Perfekte Partner: Titan und Gewebe - Bioprothesen für das Kniegelenk Karl-Heinz Frosch

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Perfekte Partner: Titan und Gewebe - Bioprothesen für das Kniegelenk Karl-Heinz Frosch
Perfekte Partner:
Titan und Gewebe
      Bioprothesen für das Kniegelenk

      Karl-Heinz Frosch
Perfekte Partner: Titan und Gewebe - Bioprothesen für das Kniegelenk Karl-Heinz Frosch
WIRKSTOFFE              UND         WERKSTOFFE

Die Oberfläche nahezu aller Gelenke des menschlichen Körpers ist mit Knorpelgewebe überzogen, dem so ge-
nannten hyalinen Gelenkknorpel. Nach Abschluss des Wachstums ist dieses Gewebe nicht mehr in der Lage zu
regenerieren. Es verschleißt mehr oder weniger kontinuierlich; ein Prozess, der beispielsweise durch Verlet-
zungen, Fehlbelastung und starke Beanspruchung beschleunigt werden kann. Im schlimmsten Fall kommt es zu
einem vollständigen Verbrauch des Gelenkknorpels und damit zur Arthrose des Gelenkes mit freiliegendem
Knochen. Schmerzen und Bewegungseinschränkung führen dann in der Regel zum künstlichen Gelenkersatz.
Dabei bereiten herkömmliche Kniegelenksprothesen häufig Probleme. Wissenschaftler des Bereichs Human-
medizin der Universität Göttingen entwickeln deshalb Bioprothesen, bei denen Titan und Gewebe einen be-
lastbaren Verbund eingehen.

In der Bundesrepublik Deutschland      Fall bedeutet dies, dass bei einem     lenkes als ultima ratio mit allen
werden jährlich rund 250.000           jungen 25jährigen Mann, der nach       Konsequenzen für Familie, Beruf
künstliche Knie- und Hüftgelenke       einem schweren Verkehrsunfall          und soziales Umfeld.
(Endoprothesen) implantiert. In        ein künstliches Kniegelenk be-
den kommenden zehn Jahren ist          nötigt und erhält, mit circa 40 Jah-   Titan-Bioprothesen
aufgrund demographischer Daten         ren die erste Wechseloperation,        für Kniegelenke
mit einer Verdreifachung dieser        mit 55 die zweite, mit 70 die drit-    Als logische Konsequenz der be-
Zahl zu rechnen. Die sichere und       te und eventuell mit 85 Jahren, je     schriebenen Problematik scheint
frühzeitige Verankerung der Im-        nach körperlichem Zustand, die         die Züchtung eines Kniegelenkes
plantate im Knochen ist ein we-        vierte Wechseloperation notwen-        aus körpereigenem Knochen und
sentliches Problem der derzeiti-       dig wäre. Nach heutigem Stand          Knorpel im Labor die Idealvorstel-
gen Endoprothesenmodelle. Nur          der Technik würde dieser Patient       lung und der Ausweg. Die Mög-
dann können die Patienten das          im Laufe seines Lebens wahr-           lichkeiten in dieser Hinsicht sind
Gelenk schnell wieder voll belas-      scheinlich fünf verschiedene           jedoch momentan noch sehr limi-
ten und in ihr berufliches und so-     künstliche Kniegelenke benötigen       tiert. So gelingt es nicht, im Rea-
ziales Umfeld zurückkehren. Ein        und müsste alle damit verbunde-        genzglas hochwertigen Knorpel
weiteres Problem sind die Über-        nen Risiken und Folgen auf sich        oder Knochen zu züchten. Mit
lebenszeiten der Implantate, die       nehmen.                                derzeitigen tissue engineering-
derzeit rund zehn bis 15 Jahre be-         Zudem sind die derzeit auf         Methoden können allenfalls sehr
tragen. Nach dieser Zeit lockern       dem Markt befindlichen Prothe-         kleine Knorpel- und Knochen-
sie sich häufig im Knochen, so         senmodelle für junge Patienten         stückchen (maximal bis fünf Milli-
dass Schmerzen und Bewegungs-          meist ungeeignet. Betroffene müs-      meter groß) oder Vorstufen dieser
einschränkung die Folge sind. Be-      sen mit erheblichen Funktionsein-      Gewebe hergestellt werden. Un-
günstigt wird die Lockerung zu-        schränkungen im täglichen Leben        ter Zuhilfenahme entsprechender
sätzlich durch den zunehmenden         zurecht kommen, vor allem weil         organischer und anorganischer
Verschleiß und durch Abriebparti-      bei der Implantation derzeit die       Trägermaterialien für körpereige-
kel, die das Gewebe schädigen.         Kreuzbänder teilweise oder kom-        ne Zellen konnten bereits von ver-
Ein operativer Wechsel des Im-         plett entfernt werden. Auch ent-       schiedenen Arbeitsgruppen klei-
plantates ist unweigerlich die Fol-    spricht die Oberflächenform des        nere Knorpel-Knochendefekte ge-
ge. Neben der Operation, die           künstlichen Gelenkes nicht dem         heilt werden. Bei größeren Zer-
häufig aufwändig und belastend         natürlichen Kniegelenk und be-         störungen der Gelenkkontinuität –
für den Patienten ist, sind die kli-   reits kleine Unterschiede der Ge-      größer als ein bis zwei Zentimeter
nischen Ergebnisse nach einer          lenkform haben erhebliche bio-         – gelingt dies derzeit weder im
Wechseloperation im Durch-             mechanische Auswirkungen. Die          Tierversuch noch beim Men-
schnitt deutlich schlechter als        Folgen können ein ständiges »In-       schen.
nach der ersten Implantation.          stabilitätsgefühl« sowie Sehnen-           Unsere Arbeitsgruppe in der Kli-
Dies wird bedingt durch die be-        und Bänderreizungen sein. Gera-        nik für Unfallchirurgie, Plastische
reits eingetretene Gewebsschädi-       de bei jungen Patienten wirkt sich     und Wiederherstellungschirurgie
gung, Knochensubstanzverlust,          dies aufgrund der starken Bean-        im Bereich Humanmedizin der
erneutes Operationstrauma und          spruchung bei hoher körperlicher       Universität Göttingen ist derzeit
Narbenbildung. Je nach Anzahl          Aktivität besonders stark aus. Da      eine der wenigen Arbeitsgruppen
der notwendigen Wechselopera-          es derzeit jedoch keine geeigne-       bundesweit, die sich mit der Ent-
tionen führt dies zu einem schritt-    ten alternativen Behandlungs-          wicklung lebender Titan-Biopro-
weisen Funktionsverlust des be-        möglichkeiten gibt, bleibt die Im-     thesen beschäftigt. Titan ist ein
troffenen Gelenks. Im konkreten        plantation eines künstlichen Ge-       verträgliches und häufig verwen-

                                                                                                             Georgia Augusta 4 | 2005
                                                                                                                                        121
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Bioprothesen für den Oberflächen-
                                                                                                   ersatz von Gelenken werden hier
                                                                                                   die ersten erfolgreichen Schritte
                                                                                                   von der Technik der Implantatbe-
                                                                                                   siedelung mit körpereigenen Zel-
                                                                                                   len, der beschleunigten Einhei-
                                                                                                   lung dieser Implantate in den Kno-
                                                                                                   chen bis hin zur erfolgreichen
                                                                                                   Heilung kleiner Knorpel-Kno-
                                                                                                   chen-Defekte am Kniegelenk in
                                                                                                   vivo beschrieben. Die vorliegen-
                                                                                                   de Studie wurde von der Else-Krö-
                                                                                                   ner-Fresenius Stiftung unterstützt
                                                                                                   und wird derzeit von der Deut-
                                                                                                   schen Forschungsgemeinschaft
                                                                                                   (DFG) gefördert.
Abbildung 1:
Mesenchymale             detes Implantatmaterial in der      Gelenkkontur, Trägermaterial für      Zellkultur
Stammzellen in der       Medizin. Es sind kaum Allergien     körpereigene Zellen und als Basis     Mesenchymale Stammzellen (MSC)
Kulturschale zwei
Wochen nach Isolation    beschrieben, es ist als Werkstoff   für die Ausdifferenzierung von        sind das Ausgangsmaterial für das
aus dem Knochenmark      gut zu bearbeiten und besitzt bei   Knorpel- und Knochengewebe            gewünschte Zellwachstum im
                         entsprechender Verarbeitung kno-    scheint es deshalb nahezu ideal.      Knorpel/Knochen-Bereich. Man
                         chenähnliche Elastizitätseigen-     Auf dem Weg hin zur Entwicklung       erhält sie mit Hilfe der so genann-
                         schaften. Als Formgeber für die     lebender, biologisch aktiver Titan-   ten »Ficoll-Methode« aus dem

122   Universität Göttingen
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WIRKSTOFFE            UND         WERKSTOFFE

Knochenmark des Beckenkamms           bildung 3). Nach vier Wochen fin-
(Pittenger et al. 1999). Die am Bo-   det sich ein dichtes Netzwerk aus
den der Kulturschale angewach-        extrazellulären Matrixproteinen
sene Zellfraktion besteht aus einer   und Zellen im gesamten Bohrka-
physiologischen Mischkultur von       nal (Abbildung 4). In den Zellkul-
Knochenmarksvorläuferzellen,          turuntersuchungen zeigte sich,
mit einem hohen Anteil an me-         dass die mesenchymalen Stamm-
senchymalen Stammzellen (Ab-          zellen am schnellsten in Kanäle
bildung 1). Die Zellen können so-     mit einem Durchmesser von 600
wohl zu Knorpelzellen, Knochen-       µm einwachsen. In diesen Kanä-
zellen und Bindegewebszellen          len wird die höchste knochenge-                                                        Abbildung 2:
differenzieren.                       websspezifische Differenzierung       tates (linke Spalte) im Vergleich            Sandgestrahlte
                                                                                                                     Reintitanimplantate
                                      erreicht und dreidimensional mit      gezeigt. In der Mikroradiographie     mit den Abmessungen
Besiedlung von Titanimplantaten       einem dichten Netzwerk aus Zel-       zeigt sich bei den zellbesiedelten   7,35 mal zwei Millimeter
mit mesenchymalen Stamm-              len und Proteinmatrix besiedelt.      Implantaten mehr Knochen, dich-      mit 28 Bohrkanälen von
                                                                                                                   600 µm Durchmesser
zellen                                In den molekularbiologischen          terer Knochen sowie ein höherer
Ob und wie Knochenmarkszellen         Untersuchungen erwiesen sich          Knochen-Wand-Kontakt. In der
in Titanimplantate einwachsen         alle anderen Kanaldurchmesser         confokalen Lasermikroskopie zeigt
können und welche Oberflächen-        (300, 400, 500 und 1.000 µm) als      sich vor allem in den Ausschnitts-
strukturen dafür notwendig sind,      signifikant unterlegen.               vergrößerungen (letzte Zeile),
war bis vor kurzem völlig unbe-                                             dass der Knochen, wie wir anhand
kannt. In eigenen Untersuchun-        Das Kaninchen-Modell                  der Farbmarkierungen erkennen
gen wurden Titanimplantate (Ab-       Unsere Arbeitsgruppe konnte zei-      können, bei den zellbesiedelten
bildung 2) mit durchgängigen, de-     gen, dass mit körpereigenen MSC       Implantaten mindestens zehn Ta-
finierten Bohrkanälen mit den         besiedelte Titanimplantate im         ge früher entstanden ist. Auch
Durchmessern von 300, 400, 500,       Tierexperiment mit Kaninchen          handelt es sich bei den zellbesie-
600 und 1.000 µm (Millionstel         signifikant schneller und besser in   delten Implantaten um reife la-
Meter) in die Zellkultur gegeben,     den Knochen eingebaut werden          melläre Knochen, bei den unbe-
so dass die Zellen vom Boden der      als Titanimplantate ohne Zellen.      siedelten Implantaten um noch
Kultur in die Implantate einwach-     Dabei wird nicht nur mehr Kno-        »reifenden Faserknochen«.
sen konnten. Dabei bilden die         chengewebe in den zellbesiedel-          Durch diese verbesserte und
Zellen nach fünf Tagen Kulturzeit     ten Kanälen gebildet, sondern         beschleunigte Einheilung zellbe-
füßchenartige Fortsätze aus und       auch der Kontakt zwischen Im-         siedelter Implantate in den Kno-
wachsen aktiv in die Kanäle.          plantat und Knochen wird ver-         chen könnte beim Patienten die
Nach Einwandern in die Kanäle         größert. Das ist für die Veranke-     Rate früher Lockerungen bei
beginnen die Zellen mit der Pro-      rung des Implantates im Knochen       künstlichen Kniegelenken, wie sie
duktion von extrazellulären Ma-       vorteilhaft.                          derzeit angewendet werden, ge-
trixproteinen, mit denen sie sich        In Abbildung 5 wird jeweils ein    senkt und rund zwei bis drei Wo-
spinnenartig in den Kanal einwe-      typischer Kanal nach einer Ver-       chen früher eine Vollbelastung der
ben. Die Zellen verlieren dadurch     suchsdauer von sechs Wochen ei-       Implantate erzielt werden. Die Re-
ihre Fähigkeit zu migrieren, sind     nes zellbesiedelten (rechte Spalte)   habilitationszeiten könnten sich
aber im Kanal fest verankert (Ab-     und eines unbesiedelten Implan-       dadurch bei einer eins zu eins

                                                                                                                 Abbildung 3:
                                                                                                                 Nach dem Einwandern
                                                                                                                 in die Kanäle des Titan-
                                                                                                                 implantates beginnen
                                                                                                                 die Zellen nach fünf bis
                                                                                                                 sieben Tagen mit der
                                                                                                                 Produktion von extra-
                                                                                                                 zellulären Matrixprotei-
                                                                                                                 nen, mit denen sich die
                                                                                                                 Zellen spinnenartig in
                                                                                                                 den Kanal einweben.

                                                                                                                 Abbildung 4:
                                                                                                                 Nach vier Wochen
                                                                                                                 findet sich ein dichtes
                                                                                                                 Netzwerk aus extra-
                                                                                                                 zellulären Matrixpro-
                                                                                                                 teinen und Zellen im
                                                                                                                 gesamten Bohrkanal.

                                                                                                         Georgia Augusta 4 | 2005
                                                                                                                                      123
MATERIALIEN                    UND     STOFFE

                                                                                                          tion und Heilung sowie die Aus-
                                                                                                          bildung von minderwertigem Fa-
                                                                                                          serknorpel an der Gelenkober-
                                                                                                          fläche des Defektes. Zellbesiedel-
                                                                                                          te Implantate hingegen bewirkten
                                                                                                          eine vollständige knöcherne Inte-
                                                                                                          gration des Implantates, die Aus-
                                                                                                          bildung einer dünnen Knochen-
                                                                                                          schicht auf dem Implantat und die
                                                                                                          Regeneration des Knorpelgewe-
                                                                                                          bes. Molekularbiologisch erreich-
                                                                                                          te der neu entstandene Knorpel zu
                                                                                                          circa 90 Prozent die Qualität des
                                                                                                          unverletzten Gelenkknorpels (Ab-
              Abbildung 5:                                                                                bildung 6).
      Mikroradiographien
        (obere Reihe) und
                                                                                                              Als unbefriedigend erwies sich
   confokale Lasermikro-                                                                                  die langsame Regeneration der
  skopien jeweils dessel-                                                                                 Schädigungen. Bei dem sechs
            ben Bohrkanals
       (untereinander an-
                                                                                                          Monate dauernden Versuch setzte
    geordnet) mit einem                                                                                   die knöcherne Heilung erst nach
         Durchmesser von                                                                                  rund zehn Wochen bei zellbesie-
  600 µm. Die Farbmar-
   kierungen geben den
                                                                                                          delten Implantaten ein, bei unbe-
     zeitlichen Verlauf der                                                                               siedelten Implantaten und Leerde-
  Knochenheilung inner-                                                                                   fekten blieb sie meist gänzlich
   halb der sechswöchi-
      gen Versuchsdauer
                                                                                                          aus. Die molekularbiologischen
                    wieder.                                                                               Knorpelanalysen zeigten, dass bei
                                                                                                          zellbesiedelten Implantaten das
                                                                                                          Knorpelgewebe auch nach sechs
                              Übertragung der Ergebnisse auf        die Zellen aktiv in die Bohrkanäle    Monaten noch nicht endgültig
                              den Menschen um 40 bis 50 Pro-        der Implantate einwanderten und       ausdifferenziert war. Ein weiterer
                              zent reduzieren und die Patienten     diese besiedelten. Die Implantate     Nachteil des beschriebenen Expe-
                              um diese Zeitspanne früher wie-       wurden anschließend in chirur-        rimentes war, dass rund die Hälfte
                              der in ihr berufliches und soziales   gisch gesetzte Knorpel-Knochen-       der zellbesiedelten Implantate
                              Umfeld zurückkehren.                  defekte an jeweils beiden Kniege-     nicht knöchern eingeheilte, so
                                                                    lenken eingesetzt. Es gab drei Ver-   dass keine feste Verankerung der
                              Das Schaf-Modell                      suchsgruppen: unbehandelte (Leer)     Implantate im Knochen erzielt
                              Bei neun Milchschafen wurden          defekte, Defekte mit unbesiedel-      wurde. Wir begründen dies damit,
                              mesenchymale Stammzellen ent-         ten Implantaten und zellbesiedel-     dass die Tiere sofort nach der
                              nommen, in Kulturschalen einge-       te Implantate. Die Leerdefekte        Operation das betroffene Knie
                              bracht und über drei bis vier Wo-     zeigten nahezu keine Heilung,         voll belasteten und durch die da-
                              chen vermehrt. In die Kultur leg-     unbesiedelte Implantate zeigten       mit entstehenden hohen biome-
                              ten wir Titanimplantate, so dass      eine schlechte knöcherne Integra-     chanischen Kräfte Mikrobewe-
                                                                                                          gungen am Implantat entstanden,
                                                                                                          die die Einheilung verhinderten.

                                                                                                          Ausblick in die Zukunft
                                                                                                          Das vorgestellte Projekt stellt den
                                                                                                          ersten Schritt zur Entwicklung ei-
             Abbildung 6:                                                                                 nes zellbesiedelten, lebenden und
  Mikroradiographie und
    histologischer Schnitt                                                                                biologisch aktiven Oberflächen-
 eines Knorpel-Knochen-                                                                                   ersatzes für das Kniegelenk dar.
 defektes am Knie eines                                                                                   Sollte gerade bei jungen Patienten
    Schafes nach jeweils
          sechs Monaten                                                                                   eine nicht rekonstruierbare Teil-
  Versuchszeit. Die beste                                                                                 zerstörung des Kniegelenkes vor-
     Heilung der Defekte                                                                                  liegen, so könnte anhand von
  zeigte sich bei stamm-
           zellbesiedelten                                                                                computer- oder kernspintomogra-
             Implantaten.                                                                                 phischen Daten der gesunden

124     Universität Göttingen
WIRKSTOFFE            UND         WERKSTOFFE

Gegenseite die entsprechende         Ellbogen-, Hand- und Fingerge-         Jahren mit der Entwicklung zell-
Gelenkform als Titan-Bioprothese     lenke in Frage.                        besiedelter Titanimplantate für
maßgeschneidert hergestellt und                                             den Oberflächenersatz am Knie-
passgenau eingesetzt werden. Die     Zusammenfassung                        gelenk, um gerade jungen Patien-
Technologie für solche dreidimen-    Endoprothesenmodelle, wie sie          ten eine funktionell hochwertige,
sionalen Fräsungen anhand von        derzeit für den künstlichen Knie-      alternative Lösung bieten zu kön-
digitaler Bildgebung ist in den      gelenksersatz verwendet werden,        nen. Wir haben uns zunächst mit
Wissenschaftlichen Werkstätten       haben den Nachteil, dass die           Besiedelungstechniken von Titan-
des Bereichs Humanmedizin der        Überlebenszeit der Implantate be-      implantaten mit mesenchymalen
Universität Göttingen bereits vor-   grenzt ist und häufig keine voll be-   Stammzellen und Knochenzellen
handen. Der Titan-Oberflächen-       lastbare Primärstabilität vorliegt.    sowie dem Einwachsverhalten
ersatz wird vor der Implantation     Vor allem junge Patienten sind         dieser zellbesiedelten Implantate
mit körpereigenen Knochen-           durch die Implantation eines           in den Knochen beschäftigt und
marksstammzellen beladen, die        künstlichen Kniegelenkes aus           hierzu morphologische, elektro-
durch eine einfache Knochen-         funktioneller Sicht deutlich einge-    nenmikroskopische und moleku-
marksaspiration in örtlicher Be-     schränkt und können ihren beruf-       larbiologische Untersuchungen
täubung beim Patienten entnom-       lichen und sozialen Gewohnhei-         durchgeführt. Dabei konnte eine
men werden können. Neben der         ten nur noch in reduziertem Um-        verstärkte Knochenneubildung
Rekonstruktion des verletzten        fang nachgehen. Unsere Arbeits-        und eine beschleunigte Einhei-
Kniegelenkes kommt auch die Re-      gruppe im Bereich Humanmedi-           lung der zellbesiedelten Implanta-
konstruktion anderer Gelenke wie     zin der Universität Göttingen be-      te in den Knochen nachgewiesen
Sprunggelenk, Hüft-, Schulter-,      schäftigt sich bereits seit mehreren   werden. Im nächsten Schritt wur-

                                                                                                         Georgia Augusta 4 | 2005
                                                                                                                                    125
MATERIALIEN                  UND     STOFFE

                         den dann Knorpel-Knochende-                            Endoprotheses as currently        titanium implants, defined chan-
                         fekte im Schafsversuch mit zell-                       used for artificial joint re-     nels were created in the implants
                         besiedelten Titanimplantaten er-                placement of the knee have a limi-       to provide optimal conditions for
                         folgreich geheilt. Es konnte der                ted life and usually do not allow        cell proliferation and differentia-
                         hyaline Gelenkknorpel weitge-                   for full weight bearing after sur-       tion. Autologous cell coated tita-
                         hend regeneriert werden. Die                    gery. Young patients with an arti-       nium implants were then implan-
                         beschriebene Technologie ist der                ficial knee joint, in particular, cur-   ted in rabbit femoral defects. An
                         erste Schritt zur Entwicklung zell-             rently suffer from limited functional    accelerated integration of the im-
                         besiedelter, lebender Bioprothe-                results with consequences for            plants into the bone tissue as well
                         sen für den Oberflächenersatz am                their professional and social lives.     as an improved bone-implant
                         Kniegelenk. Langzeitversuche so-                For several years, our research          contact could be observed. In the
                         wie Versuche mit großen Knorpel-                group has been examining possi-          third step, osteochondral defects
                         Knochendefekten sind derzeit                    bilities of developing stem cell         in the knee of sheep were treated
                         noch Gegenstand der Untersu-                    coated titanium implants for the         by specially designed, autologous
                         chungen.                                       surface replacement of the knee          cell coated titanium implants.
                                                                         joint. The goal is to provide an         Through this procedure it was
                                                                         alternative solution for the cur-        possible to detect regeneration of
                                                                         rently available artificial joints,      the articular cartilage.
                                                                         especially for the group of young            The technology described is
                                                                         patients with large bone and carti-      the first step in the development of
                                                                         lage defects in the knee. Our first      stem-cell-coated, living titanium
                                                                         step was to develop techniques for       implants for the surface replace-
                                                                         a sufficient cell coating of titanium    ment of the knee. Long-term re-
                                                                         implants. By observing growth be-        sults, as well as experiments with
                                                                         haviour, matrix production, mine-        large osteochondral defects, still
                                                                         ralization and gene expression of        constitute a part of current
                                                                         mesenchymal stem cells on porous         investigations.

                                                                                          Dr. Karl-Heinz Frosch, Jahrgang 1968, studierte von
                                                                                          1990 bis 1996 Humanmedizin an der Universität
                                                                                          Erlangen-Nürnberg und wurde 1998 im Fach Immu-
                                                                                          nologie und Rheumatologie promoviert. Nach Studien-
                                                                                          aufenthalten an der Duke University in North Carolina
                                                                                          und in Vail, Colorado (USA), erhielt er im Jahr 1998
                         Literatur:
                                                                           die Approbation als Arzt. Seither ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter
                         Frosch K.H., Barvencik F., Viereck V., Loh-
                                                                           mit klinischem Schwerpunkt in der Klinik für Unfallchirurgie, Plasti-
                         mann C.H., Dresing K., Breme J., Stürmer          sche und Wiederherstellungschirurgie im Bereich Humanmedizin
                         KM.: Growth behaviour, matrix production          der Universität Göttingen. Dr. Frosch ist seit 2002 Facharzt für Chir-
                         and gene expression of human osteoblasts          urgie und führt seit 2004 die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirur-
                         in defined cylindrical titanium channels. J
                                                                           gie. Seit September 2004 ist er Oberarzt der Klinik und Leiter der
                         Biomed Mater Res 2004; 68A: 325-334.
                         Frosch K.H., Sondergeld I., Dresing K., Ru-
                                                                           Knie-, Schulter- und Sportlersprechstunde. Sein Forschungsschwer-
                         dy T., Lohmann C.H., Rabba J., Schild D.,         punkt, sowohl klinisch als auch experimentell, ist das Kniegelenk.
                         Breme J., Stürmer K.M.: Autologous osteob-
                         lasts significantly enhance osseointegration
                         of porous titanium implants. J Orthop Res
                         2003; 21 (2): 213-222.
                         Frosch K.H., Barvencik F., Lohmann C.H.,
                         Viereck V., Breme J., Siggelkow H., Dresing
                                                                         Dank
                         K., Stürmer K.M. Migration, matrix produc-
                         tion and lamellar bone formation of human       Die confokalen Lasermikroskopien entstanden in Kooperation mit Prof.
                         osteoblast-like cells in porous titanium im-    Dr. Detlef Schild, Bereich Humanmedizin, Abteilung Molekulare Neu-
                         plants. Cells Tissues Organs, 2002; 170(4):
                                                                         rophysiologie. Mein Dank gilt auch meinen Mitarbeitern und Kollegen
                         214-227.
                         Pittenger M.F., Mackay A.M., Beck S.C.,         Anja Dengk, Ramona Castro, Petra Krause und Fritz Kauer.
                         Jaiswal R.K., Douglas R., Mosca J.D., Moor-        Die Abbildungen 3, 4 und 5 wurden mit Genehmigung der Zeitschrift
                         man M.A., Simonetti D.W., Craig S, Mars-        »Cells Tissues Organs« (Frosch et al. 2002) verwendet, die Abbildungen
                         hak D.R.: Multilineage potential of adult hu-
                         man mesenchymal stem cells. Science 1999        6 und 7 wurden mit Erlaubnis der Zeitschrift »Journal of Orthopaedic Re-
                         Apr 2;284(5411):143-7.                          search« (Frosch et al. 2003) verwendet.

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