Die Neuordnung der internationalen Unternehmensbesteuerung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
STEUERREFORM: INTERNATIONALE UNTERNEHMENSBESTEUERUNG Clemens Fuest, Elena Herold und Florian Neumeier Die Neuordnung der internationalen Unternehmensbesteuerung* Multinationale Unternehmen nehmen in der glo- IN KÜRZE balisierten (Wirtschafts-)Welt eine herausragende Stellung ein. Die größten unter ihnen erzielen mitt- lerweile Umsätze, die selbst die Wirtschaftsleistung Auf Initiative der OECD haben sich 134 Länder auf eine ge- vieler Industrieländer deutlich überschreiten. So war meinsame Erklärung über die Reform des internationalen beispielsweise der weltweite Umsatz von Amazon Unternehmensteuersystems geeinigt. Diese Einigung ist ein 2020 mit etwa 330 Mrd. Euro (386 Mrd. US-Dollar) wichtiger Schritt zur Eindämmung von Steuervermeidung größer als das Bruttoinlandsprodukt von Griechen- land (183 Mrd. Euro), Portugal (226 Mrd. Euro) oder und Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer durch multi- Finnland (257 Mrd. Euro).1 Die wachsende Bedeutung nationale Unternehmen; bis zur Umsetzung sind allerdings multinationaler Unternehmen ist dabei zugleich ein noch große Hürden zu überwinden. Dazu gehört die Verstän- Ergebnis als auch ein wichtiger Treiber der (wirtschaft- digung auf eine gemeinsame Definition des steuerpflichtigen lichen) Globalisierung. Gewinns und eine Veränderung europarechtlicher Besteu- Für die noch weitgehend national organisierten erungsregeln. Die zukünftige Bundesregierung sollte neue Systeme der Unternehmensbesteuerung birgt der Bedeutungszuwachs multinationaler Unternehmen Ideen entwickeln, wie sie gegen Steuervermeidung vorgeht, erhebliche Herausforderungen. In den vergange- und sich auf internationaler Ebene weiter um die notwen- nen Jahren wurden immer wieder Fälle öffentlich, dige Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten bemühen. in denen multinationale Unternehmen Möglichkei- ten genutzt haben, Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern und so ihre Gewinnsteuerbelastung weniger Steuern zu zahlen. Das führt zu Wettbewerbs- zu reduzieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei die verzerrungen und Effizienzverlusten. Außerdem hat weltweit wachsende wirtschaftliche Bedeutung im- die Unternehmensbesteuerung letztlich die Funktion materieller Aktiva, zu denen beispielsweise Patente, einer Einkommensteuer für die Unternehmenseigner. Markenrechte und Softwarecodes gehören. Hinzu Zwar werden Dividenden und Kursgewinne auf der kommt, dass es bei digitalen Geschäftsmodellen Ebene der Aktionäre noch einmal besteuert, aber häufig möglich ist, in Ländern wirtschaftlich aktiv diese Besteuerung ist häufig niedrig, teilweise ent- zu sein, ohne dort eine physische Präsenz zu unter- fällt sie ganz, beispielsweise weil Aktien von steu- halten, an der die Ertragsbesteuerung üblicherweise erbegünstigten Pensionsfonds gehalten werden. anknüpft. Dadurch können viele multinationale Un- Wenn die Gewinne einiger multinationaler Firmen ternehmen ihre Aktivitäten so strukturieren, dass also der Einkommensbesteuerung weitgehend ent- Gewinne überproportional in Niedrigsteuerländern zogen werden, während andere Einkommen teilweise ausgewiesen werden oder sich ganz der Gewinnbe- hoch besteuert werden, entsteht eine ungerechte steuerung entziehen. Vor allem Hochsteuerländer, zu Steuerlastverteilung. denen auch Deutschland zählt, verlieren hierdurch an Als Reaktion auf Gewinnverlagerungen gab es in Steueraufkommen. Nach einer aktuellen Schätzung den vergangenen Jahren verschiedene Reformvor- des ifo Instituts beträgt der Aufkommensverlust für schläge für die internationale Unternehmensbesteu- Deutschland dabei jährlich 5,7 Mrd. Euro (Fuest et erung. Diese Reformen verfolgen das Ziel, die Besteu- al. 2021a). erung multinationaler Unternehmen zu erhöhen und Darüber hinaus unterscheiden sich Möglichkei- Steuervermeidung zurückzudrängen. Außerdem ver- ten zur Steuervermeidung zwischen Unternehmen langen die Marktländer, also die Länder, in denen mul- und Sektoren erheblich. Beispielsweise haben klei- tinationale Unternehmen Umsätze erzielen, erweiterte nere, vornehmlich national agierende Unternehmen Rechte zur Besteuerung. Bislang sehen die geltenden weniger Möglichkeiten als multinationale Konzerne, Besteuerungsregeln vor, dass Ertragsteuern primär steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen, um dort entrichtet werden, wo Unternehmen ihren recht- lichen Sitz oder ihre Produktionsstätten haben. Die * Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Studie für die Gesell- schaft zur Förderung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung G-20-Staaten haben im Jahr 2013 einen Aktionsplan (Freunde des ifo Instituts) e.V. gegen die Erosion steuerlicher Bemessungsgrundla- 1 Quelle für die Bruttoinlandsprodukte ist OECD World Economic Outlook No. 109, für den Umsatz von Amazon der Geschäftsbericht gen und Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit des Unternehmens für das Jahr 2020. Shifting; BEPS) entwickelt und eine entsprechende ifo Schnelldienst 10 / 2021 74. Jahrgang 13. Oktober 2021 31
STEUERREFORM: INTERNATIONALE UNTERNEHMENSBESTEUERUNG Initiative auf OECD-Ebene angestoßen. Seither ar- nehmen (Betrag A/Amount A). Der Residualgewinn beitet die internationale Staatengemeinschaft daran, ist dabei definiert als der Teil des Gewinns, der eine international verbindliche Mindeststandards und Re- bestimmte Umsatzprofitabilität überschreitet. Ein Teil geln für die Besteuerung multinationaler Unterneh- der Residualgewinne soll unter den Marktstaaten auf men durchzusetzen. An dieser Initiative sind nicht Basis der dort erzielten Umsätze aufgeteilt werden. nur die OECD-Mitgliedstaaten, sondern mittlerweile Jeder Marktstaat darf dann den ihm zugewiesenen 134 Länder beteiligt. Am 1. Juli 2021 haben sich die Anteil am Residualgewinn besteuern. beteiligten Staaten auf eine gemeinsame Erklärung Die Einigung vom 1. Juli 2021 sieht vor, 20–30% geeinigt, in der Eckpunkte einer aus zwei Elementen des Residualgewinns den Marktländern zuzuweisen. (›Säulen‹) bestehenden Reform zusammengefasst wer- Der Residualgewinn soll dem Teil des Gesamtgewinns den (OECD/G-20 2021). entsprechen, der eine Umsatzprofitabilität von 10% In diesem Beitrag wird die geplante Reform der übersteigt. Das Recht zur Beteiligung an der Markt- internationalen Unternehmensbesteuerung erläutert landbesteuerung sollen Länder erhalten, wenn der und im Hinblick auf ihre fiskalischen und ökonomi- betreffende Konzern im Land Umsätze in Höhe von schen Folgen bewertet. Von besonderem Interesse mindestens einer Million Euro erzielt, bei sehr kleinen sind dabei die Auswirkungen auf Deutschland. Ländern sollen 250 000 Euro reichen. Von dieser Regelung sollen jedoch lediglich DIE ZWEI SÄULEN DES OECD-REFORMVORSCHLAGS multinationale Unternehmen erfasst werden, deren weltweite Umsatzprofitabilität über 10% liegt und Säule 1 sieht vor, die Besteuerungsrechte an den Ge- deren globaler konsolidierter Konzernumsatz einen winnen multinationaler Unternehmen international bestimmten Schwellenwert übersteigt. Zunächst soll neu aufzuteilen. Säule 2 beinhaltet die Einführung ein Schwellenwert von 20 Mrd. Euro gelten. Sieben einer globalen effektiven Mindeststeuer auf die Ge- Jahre nach Einführung der Reform soll die Funkti- winne multinationaler Unternehmen. onsweise der neuen Regel evaluiert werden und der Schwellenwert abhängig vom Ergebnis eventuell auf Säule 1: Internationale 10 Mrd. Euro sinken. Zudem sollen lediglich Unterneh- Verlagerung von Besteuerungs- men aus bestimmten Branchen von der Neuverteilung rechten in Marktländer der Besteuerungsrechte betroffen sein. Zwei Aspekte dieses Reformkonzepts sind her- Säule 1 des Reformprogramms vorzuheben: Erstens sorgen die hohen Schwellen- sieht vor, zukünftig den Markt- werte dafür, dass von dieser Reform nur eine kleine staaten, also den Staaten, in de- Anzahl multinationaler Konzerne überhaupt erfasst Prof. Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest nen die Unternehmen ihre Pro- wird. Zweitens erfordert das Konzept eine Einigung ist Präsident des ifo Instituts und dukte verkaufen, das Recht zu auf eine gemeinsame Definition des steuerpflichtigen Professor für Volkswirtschafts- lehre, Seminar für Nationalöko- gewähren, einen Teil der Gewinne Gewinns und auf die Regelungen zur Ermittlung des nomie und Finanzwissenschaft, multinationaler Unternehmen zu Residualgewinns. an der Ludwig-Maximilians-Uni- besteuern. Das soll unabhängig versität München. davon gelten, ob die betreffen- Säule 2: Globale effektive Mindeststeuer den Unternehmen im Marktstaat eine physische Präsenz in Form Nach derzeitigem Stand ist vorgesehen, die Gewinne einer Tochtergesellschaft oder multinationaler Unternehmen in jedem Sitzland mit einer Betriebsstätte aufweisen. einem effektiven Mindeststeuersatz von 15% zu be- Der derzeit gültige steuerliche legen. Effektiv bedeutet hierbei, dass das Verhältnis Nexus, der Besteuerungsrechte von den tatsächlich in einem Land gezahlten Steuern Elena Herold an die Existenz einer physischen zu den Gewinnen ausschlaggebend ist (und nicht der ist Doktorandin in der Präsenz knüpft, würde damit tarifliche Steuersatz). Ist die effektive Steuerlast, also Forschungsgruppe Steuer- und durchbrochen. das Verhältnis von Steuerzahlungen zu Gewinnen, ei- Finanzpolitik am ifo Institut. Die Neuaufteilung soll so nes Unternehmens in einem Land geringer als 15%, so funktionieren, dass die bisherigen werden die Gewinne nachbesteuert, bis das Verhält- steuerlichen Regeln im Grund- nis von Steuerzahlungen zu Gewinnen ein Niveau von satz weiterhin bestehen, aber 15% erreicht. Betreffen soll dies alle multinationalen ein bestimmter Teil der Ge- Unternehmen, deren globaler konsolidierter Umsatz winne multinationaler Konzerne mindestens 750 Mio. Euro beträgt. Die Größenschwelle den Marktländern für Zwecke liegt also deutlich niedriger als bei Säule 1. Dr. Florian Neumeier der Besteuerung zugeordnet wird. Wie soll die Mindestbesteuerung umgesetzt wer- Konkret handelt es sich dabei um den? Es wurde nicht vereinbart, dass alle Staaten ihre leitet die Forschungsgruppe Steuer- und Finanzpolitik am das Recht zur Besteuerung eines gesetzlichen Steuersätze auf ein Mindestniveau an- ifo Institut. Anteils am sogenannten Residu- heben müssen. Stattdessen soll die Mindestbesteu- algewinn multinationaler Unter- erung durch zwei Instrumente erreicht werden. Das 32 ifo Schnelldienst 10 / 2021 74. Jahrgang 13. Oktober 2021
STEUERREFORM: INTERNATIONALE UNTERNEHMENSBESTEUERUNG ist erstens eine Ausweitung der Sitzlandbesteuerung Abb. 1 von Konzernen. Wenn ein Unternehmen eine Tochter- Effektive Durchschnittssteuerlast nach Ländergruppen ᵃ gesellschaft in einem Land hat, in dem Gewinne mit weniger als 15% besteuert werden, beispielsweise Europäische Steueroasen 10,4 nur mit 5%, dann soll das Sitzland der Muttergesell- schaft den Gewinn zusätzlich besteuern, so dass ins- gesamt eine effektive Steuerlast von 15% erreicht Außereuropäische Steueroasen 11,0 wird. Das zweite Instrument betrifft den Fall, in dem beispielsweise ein in einem Niedrigsteuerland ansäs- Andere Länder 20,5 siges Unternehmen eine Tochtergesellschaft in einem Hochsteuerland hat und diese Tochtergesellschaft 0 5 10 15 20 % Lizenzgebühren für die Nutzung eines Patents an die ᵃ Die Abbildung zeigt das Verhältnis aus der Summe der Steuerzahlungen und der Summe der Gewinne deutscher Muttergesellschaft zahlt. In diesem Fall sind die Li- multinationaler Unternehmen mit einem globalen Umsatz von mindestens 750 Mio. Euro. Die Berechnungen basieren auf Daten aus Fuest et al. (2021b). Informationsgrundlage sind Angaben aus den zenzgebühren prinzipiell im Hochsteuerland steuerlich länderbezogenen Berichten aus 2016 und 2017. abzugsfähig. Wenn die Zahlungen beim Empfänger Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut aber mit weniger als 15% besteuert werden, soll im Land der Tochtergesellschaft eine Quellensteuer an- multinationaler Unternehmen mit einem globalen fallen, die dafür sorgt, dass insgesamt eine Steuerlast Umsatz von mindestens 750 Mio. Euro. Während die von 15% entsteht. In beiden Fällen wird es multinatio effektive Durchschnittssteuerlast in den europäischen nalen Konzernen erschwert, durch den Ausweis von und außereuropäischen Steueroasen bei 10,4% bzw. Gewinnen in Niedrigsteuerländern die Steuerlast zu 11% liegt, beträgt diese in anderen Sitzländern im reduzieren. Zur Umsetzung dieses Konzepts ist es al- Durchschnitt 20,5%. Die Einführung einer globalen lerdings wie im Fall von Säule 1 erforderlich, sich auf effektiven Mindeststeuer dürfte daher vor allem die eine gemeinsame Definition des steuerpflichtigen Ge- Anreize, Gewinne in Steueroasen zu verlagern, erheb- winns zu einigen. Sonst ist es nicht möglich, die Höhe lich schmälern. der effektiven Steuerlast zu bestimmen und bei Unter- schreitung der 15-Prozent-Grenze die im Quellenland BEWERTUNG DER REFORMVORSCHLÄGE oder im Sitzland der Muttergesellschaft zusätzlich fällige Steuerschuld zu bestimmen. Der Umstand, dass sich 134 Staaten4 auf eine gemein- Die OECD (2020) schätzt, dass die Einführung ei- same politische Erklärung zur Reform der Besteue- ner globalen effektiven Mindeststeuer weltweit zu rung multinationaler Unternehmen geeinigt haben, ist Steuermehreinnahmen in Höhe von 34 bis 41 Mrd. für sich genommen bemerkenswert. Es handelt sich Euro (40 bis 48 Mrd. US-Dollar) pro Jahr führen könn- zweifellos um eine Zäsur in der Geschichte der inter- te.2 Hierbei ist allerdings festzuhalten, dass diese nationalen Steuerkoordination, die vor allem – was Schätzung auf aggregierten Unternehmensdaten be- multilaterale Vereinbarungen angeht – in den vergan- ruht. Schätzungen basierend auf Mikrodaten könnten genen Jahrzehnten wenig vorzuweisen hat. Die mit sogar zu einem höheren Wert kommen.3 Wie sich diese der aktuellen Vereinbarung verbundenen hohen Er- 34 bis 41 Mrd. Euro global verteilen bzw. wie viel da- wartungen an eine zügige Eindämmung der Steuerver- von auf Deutschland entfällt, bleibt allerdings unklar. meidung und Erhöhung der öffentlichen Einnahmen Letztlich werden die Aufkommenswirkungen von der aus der Besteuerung multinationaler Unternehmen Gestaltung im Detail und der praktischen Umsetzbar- könnten allerdings enttäuscht werden. Das liegt vor keit abhängen. allem daran, dass über entscheidende Elemente der Abbildung 1 verdeutlicht, dass vor allem in den Reform bislang noch keine Einigung erreicht worden europäischen (z.B. Irland, Luxemburg, Malta, Schweiz, ist. Der wichtigste fehlende Baustein ist die Einigung Zypern) und außereuropäischen (z.B. die Bahamas, auf eine gemeinsame Definition des steuerpflichtigen Britische Jungferninseln, Kaimaninseln) Niedrigsteu- Gewinns. Sie ist eine notwendige Voraussetzung dafür, erländern (hier als ›Steueroasen‹ bezeichnet) die ef- dass die Reform umgesetzt werden kann. Es gibt aber fektive durchschnittliche steuerliche Gewinnbelas- eine Reihe weiterer Probleme und Hindernisse, die im tung deutlich unter 15% liegt. Die Abbildung zeigt Folgenden näher erläutert werden. das Verhältnis aus der Summe der Steuerzahlungen Die Bewertung einer Steuerreform erfordert und der Summe der Gewinne sämtlicher deutscher Kriterien, an denen die Reform gemessen wird. Das 2 Die Schätzung beinhaltet allerdings noch nicht das zusätzliche wichtigste Ziel der OECD-Reform besteht darin, die Aufkommen, das aus einer Reduzierung steuermotivierter Gewinn- Steuervermeidung einzudämmen. Was genau unter verlagerung resultieren würde. 3 Der Grund ist, dass bei der Verwendung von Makrodaten für jedes Steuervermeidung zu verstehen ist, bleibt allerdings Land ein durchschnittlicher effektiver Steuersatz berechnet werden umstritten. Die OECD hat dafür die recht vage politi- muss. Vermutlich aber gibt es im Hinblick auf die effektive Steuerlast multinationaler Unternehmen innerhalb eines Landes eine erhebli- sche Formel entwickelt, es solle dort besteuert wer- che Diskrepanz. So haben beispielsweise die sog. Luxemburg-Leaks den, wo Wertschöpfung stattfindet. Ob Wertschöp- aufgezeigt, dass eine Reihe multinationaler Unternehmen ihre Steu- 4 erlast in Luxemburg durch bilaterale Vereinbarungen mit der Steuer- Das ist die Anzahl der Staaten, die sich der Erklärung bis zum behörde erheblich senken konnten. 31. August 2021 angeschlossen haben. ifo Schnelldienst 10 / 2021 74. Jahrgang 13. Oktober 2021 33
STEUERREFORM: INTERNATIONALE UNTERNEHMENSBESTEUERUNG fung eher dort stattfindet, wo Produkte entwickelt, wollte, dass die Steuer am Ende fast ausschließlich produziert oder verkauft werden, dürfte umstritten von US-Unternehmen gezahlt wird. sein. Weitgehende Einigkeit besteht allenfalls darin, Man merkt dem aktuellen Vorschlag zur Säule 1 dass Wertschöpfung eher nicht in Ländern stattfin- allerdings an, dass er das Ergebnis zäher Verhand- det, in denen außer Briefkästen oder einigen Akten lungen und vieler Kompromisse ist. So enthält der in Rechtsanwaltskanzleien und Banken keine »real- Vorschlag nicht nur zahlreiche, mitunter sehr kom- wirtschaftliche« Aktivität existiert. plexe Regelungen für die Bestimmung des Residual- Es liegt auf der Hand, dass sowohl Säule 1 als gewinns, sondern auch vielfältige Einschränkungen auch Säule 2 zumindest bestimmte Formen der Steu- des Geltungsbereichs. Dies dürfte zu einem hohen ervermeidung zurückdrängen würden. Die gezielte administrativen Aufwand führen, und zwar sowohl für Ansiedlung von immateriellen Wirtschaftsgütern in die betroffenen Unternehmen als auch für die natio- Niedrigsteuerländern führt nicht mehr zu einer Steuer nalen Finanzbehörden. ersparnis, wenn die Einnahmen, die den Eigentümern Darüber hinaus dürften die aktuell vorgesehenen dieser Wirtschaftsgüter zufließen, von anderen Län- Ausnahmen die hohen Erwartungen an die Reform, dern besteuert werden, sei es durch erweiterte Sitz- vor allem was die höhere Besteuerung von Digitalkon- landbesteuerung oder durch erweiterte Quellensteu- zernen angeht, kaum befrieden. Die derzeit geplanten ern, wie in Säule 2 vorgesehen. Wenn, wie es Säule 1 Schwellen von 20 Mrd. Euro Konzernumsatz und 10% vorsieht, ein erheblicher Teil der Gewinne nicht mehr Umsatzprofitabilität bedeuten, dass nur sehr wenige dort besteuert wird, wo der Eigentümer seinen Sitz Unternehmen von der Reform betroffen wären. Nach hat, sondern dort, wo die Umsätze mit Endkunden Schätzungen von Fuest et al. (2021c) auf der Basis von erzielt werden – vor allem in großen, bevölkerungs- ORBIS-Daten handelt es sich weltweit nur um 88 Kon- reichen Ländern mit hohen Steuern –, reduziert sich zerne. Deren Residualgewinne belaufen sich immerhin die Steuerersparnis durch Ansiedlung im Niedrigsteu- auf 328 Mrd. Euro. Von diesen multinationalen Kon- erland ebenfalls. Bemerkenswert ist, dass dies ohne zernen haben allerdings nur sieben ihren Hauptsitz eine internationale Einigung auf ein Erhöhen der nati- in Deutschland, die Residualgewinne dieser Firmen onalen gesetzlichen Steuersätze auf ein angestrebtes belaufen sich auf 4,3 Mrd. Euro. Da lediglich ein An- Mindestniveau erreicht wird. teil von 20–30% am Residualgewinn zum Zweck der Trotz dieser grundsätzlichen Vorteile sollte man Besteuerung neu aufgeteilt werden soll, dürfte das vor allem kurzfristig nicht allzu viel von den Refor- aus der Reform resultierende zusätzliche Steuerauf- men erwarten; ob sie überhaupt wirksam werden und kommen außerdem begrenzt sein. spürbare Effekte entfalten, ist nicht sicher. Beide Säu- Aus der Perspektive des Exportlands Deutsch- len stehen vor dem zentralen Problem, dass sie eine land wirft die Verlagerung von Besteuerungsrechten Einigung auf eine gemeinsame Definition des steuer- in Marktländer die Frage auf, ob fiskalische Verluste pflichtigen Gewinns voraussetzen. Das zu erreichen, drohen. Es ist bekannt, dass beispielsweise deutsche wird nicht einfach sein. Hinzu kommen verschiedene Automobilkonzerne einen großen Teil ihrer Fahrzeuge weitere Probleme, die im Folgenden für beide Säulen in China absetzen, die Gewinne aus diesen Aktivitäten erläutert werden. aber größtenteils in Deutschland versteuert werden. Solange Deutschland Exportüberschüsse erzielt, er- Säule 1: Zunächst sehr begrenzt in der Wirkung, scheint ein Übergang zu einer Marktländerbesteue- aber eventuell der Beginn einer grundlegenden rung fiskalisch riskant. Neuordnung der internationalen Besteuerung Das ifo Institut hat die fiskalischen Wirkungen einer Einführung der Marktländerbesteuerung für ver- Säule 1 kann auf eine sehr verworrene Entstehungs- schiedene, auch geringere Größenschwellen als die geschichte zurückblicken. So gab es zwischen den jetzt vorgesehenen, untersucht. Dabei zeigt sich über- am Reformprozess beteiligten Staaten ursprünglich raschenderweise, dass Deutschland voraussichtlich sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche nicht mit fiskalischen Verlusten rechnen muss (Fuest Unternehmen von der internationalen Neuverteilung et al. 2021c). Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, der Besteuerungsrechte betroffen sein sollten. Die dass die Einführung der Säule 1 für Deutschland über Einführung einer Steuer auf die Umsätze digitaler Kon- die nächsten fünf Jahre hinweg sogar zu Mehreinnah- zerne, die sich u.a. einige EU-Staaten wünschten und men in Höhe von 0,8 bis 1,9 Mrd. Euro pro Jahr führen die sich am Vorschlag der Europäischen Kommission würde, je nach Ausgestaltung der Reform. aus dem Jahr 2018 orientieren sollte, scheiterte dabei Dass Deutschland trotz seiner Exportüberschüsse an den Vorbehalten anderer Länder, insbesondere fiskalisch keine Verluste erleidet, hat vor allem zwei der USA. Der aktuelle Vorschlag zur Säule 1 zielt nun Gründe. Erstens sind an den deutschen Exporten viele nicht mehr ausschließlich auf Digitalunternehmen ab, mittelständische Unternehmen beteiligt, die unter sondern schließt prinzipiell auch Unternehmen mit keinem der derzeit ernsthaft diskutierten Reformsze- »herkömmlichen« Geschäftsmodellen mit ein. Dies narien unter Säule 1 steuerpflichtig wären. Zweitens machten die USA zu einer Voraussetzung für ihre Zu- erreichen viele deutsche Unternehmen zumindest mit stimmung zum Reformprogramm, da man verhindern ihren inländischen Aktivitäten nicht die Umsatzprofi- 34 ifo Schnelldienst 10 / 2021 74. Jahrgang 13. Oktober 2021
STEUERREFORM: INTERNATIONALE UNTERNEHMENSBESTEUERUNG tabilitätsschwelle von 10%, so dass Residualgewinne, unterhalb von 15% liegt, darf dann nur der auf diese wenn sie überhaupt existieren, schon heute nicht in Weise bestimmte Residualgewinn nachbesteuert wer- Deutschland anfallen. Folglich kann die Beteiligung den. Ein solcher Carve Out könnte den internationalen der Marktländer an den Residualgewinnen in diesen Steuerwettbewerb tatsächlich weiter anheizen. Wäh- Fällen auch nicht zu Lasten des deutschen Fiskus rend es multinationalen Unternehmen bisher (in Gren- gehen. Anders wäre die Lage, wenn die Marktländer zen) möglich ist, ihre Steuerlast durch Verlagerung nicht nur an den Residualgewinnen, sondern an den von Gewinnen allein auf dem Papier zu reduzieren, gesamten steuerpflichtigen Gewinnen beteiligt wür- würde ein Carve Out bedeuten, dass dies nur noch den. Dann würde Deutschland fiskalische Verluste durch eine Verlagerung von realwirtschaftlicher Aktivi- erleiden. tät in Niedrigsteuerländer möglich ist. Multinationale Abschließend sollte erwähnt werden, dass Säule 1 Unternehmen hätten durch ein Carve Out also einen der Beginn einer sehr grundlegenden Veränderung deutlich größeren Anreiz als bisher, Realinvestitionen des Systems der internationalen Besteuerung sein in Niedrigsteuerländern zu tätigen. Auf diese Weise könnte. Es wird mit der Anknüpfung am Marktland ein könnten die Hochsteuerländer im schlimmsten Fall völlig neuer Ansatzpunkt für die Ertragsbesteuerung nicht nur Steueraufkommen verlieren, sondern auch eingeführt, der bislang nicht existiert. Damit greift Arbeitsplätze. die Politik Elemente eines Konzepts auf, das in der Außerdem wäre es wichtig, den Mindeststeuersatz finanzwissenschaftlichen Forschung entwickelt wurde nicht zu hoch anzusetzen. Für viele Entwicklungs- und – die bestimmungslandorientierte Unternehmensge- Schwellenländer ist eine niedrige Gewinnsteuerbelas- winnbesteuerung (Bond und Devereux 2002). Es ist tung eine der wenigen Möglichkeiten, um sich über- nicht auszuschließen, dass Säule 1 in den kommenden haupt als Standort für multinationale Unternehmen Jahren weiterentwickelt wird und an Gewicht gewinnt. zu empfehlen. Eine geringe Gewinnsteuerbelastung Die bestimmungslandorientierte Besteuerung hat den kann eine Kompensation für eine schlecht ausgebaute Vorteil, dass Konsumenten in der Regel international Infrastruktur oder ein geringes Produktivitätsniveau weniger mobil sind als Fabriken, Finanzkapital oder sein. Ist der globale effektive Mindeststeuersatz zu immaterielle Wirtschaftsgüter. Folglich drohen weni- hoch, verschlechtert sich die Position dieser Länder ger steuerliche Verzerrungen der Standortwahl, und im internationalen Standortwettbewerb erheblich.5 herkömmliche Formen der Steuervermeidung werden Vor diesem Hintergrund erscheint ein Steuersatz von eingedämmt. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass die 15% gerade noch akzeptabel. Länder, die Produktionsstandorte sind, auf einen ge- Was die praktische Umsetzung von Säule 2 an- wissen Anteil an den Besteuerungsrechten bestehen geht, liegt ein wichtiges Hindernis darin, dass vor al- werden. Außerdem gibt es für die Besteuerung in den lem die neue Quellenbesteuerung mit EU-Recht in Bestimmungsländern bereits die Umsatzsteuer. In je- Konflikt geraten könnte. Die EU-Zins- und Lizenzge- dem Fall wird das Nebeneinander der herkömmlichen bührenrichtlinie6 untersagt Quellensteuern auf diese Ertragsbesteuerung mit der Marktlandbesteuerung die Zahlungen, sofern sie zwischen Konzerngesellschaften bereits heute hohe Komplexität des Steuersystems innerhalb der EU erfolgen. noch einmal steigern. SCHLUSSFOLGERUNGEN Säule 2: Steuerwettbewerb um realwirtschaftliche Aktivitäten könnte sich verstärken – offene Die gemeinsame Erklärung über die Reform der Be- europarechtliche Fragen steuerung multinationaler Unternehmen ist zweifellos ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der inter- Die Einführung einer globalen effektiven Mindest- nationalen Besteuerung. Es ist dennoch verfrüht da- steuer dürfte den Anreiz, Gewinne zum Zweck der von zu sprechen, das Problem der Steuervermeidung Reduzierung der Gewinnsteuerlast in Niedrigsteuer- durch multinationale Unternehmen sei durch diesen länder zu verlagern, deutlich verringern und damit Schritt überwunden. Es handelt sich eher um den im Großen und Ganzen auch für einen faireren Wett- Beginn eines voraussichtlich langwierigen Prozesses bewerb zwischen den Unternehmen sorgen. Ob eine der Neuordnung des internationalen Steuersystems. Mindeststeuer allerdings auch den internationalen Wie weit dieser Prozess führen wird, ist heute noch Steuerwettbewerb einschränkt, wird u.a. von der De- 5 Eine Carve-Out-Regelung wiederum würde dieses Problem zum finition der Bemessungsgrundlage abhängen. Aktuell Teil adressieren, da realwirtschaftliche Aktivitäten von der Mindest- besteuerung ausgenommen sind. wird diskutiert, nur jene Gewinne zu berücksichtigen, 6 RICHTLINIE 2003/49/EG DES RATES vom 3. Juni 2003 über eine die sich nicht auf realwirtschaftliche Aktivitäten zu- gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzge- bühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mit- rückführen lassen. Dazu soll von dem in einem Land gliedstaaten. In Artikel 1 der Richtlinie heißt es: »In einem Mitglied- ausgewiesenen Gewinn ein fester prozentualer Anteil staat angefallene Einkünfte in Form von Zinsen oder Lizenzgebühren werden von allen in diesem Staat darauf erhebbaren Steuern — un- des Werts des dort ansässigen Sachanlagevermögens abhängig davon, ob sie an der Quelle abgezogen oder durch Veranla- und/oder der dort gezahlten Lohnsumme abgezogen gung erhoben werden — befreit, sofern der Nutzungsberechtigte der Zinsen oder Lizenzgebühren ein Unternehmen eines anderen Mit- werden (sog. Carve Out). Für den Fall, dass die effek- gliedstaats oder eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Be- tive steuerliche Gewinnbelastung in einem Sitzland triebsstätte eines Unternehmens eines Mitgliedstaats ist.« ifo Schnelldienst 10 / 2021 74. Jahrgang 13. Oktober 2021 35
STEUERREFORM: INTERNATIONALE UNTERNEHMENSBESTEUERUNG nicht absehbar. Das wohl größte Hindernis liegt darin, LITERATUR dass sich die beteiligten Staaten auf eine gemein- Bond, S. und M.P. Devereux (2002), »Cash Flow Taxes in an Open Eco- same Definition des steuerpflichtigen Gewinns eini- nomy«, CEPR Discussion Paper 3401. gen müssen. Prinzipiell wäre es möglich, zumindest Fuest, C., F. Hugger und F. Neumeier (2021a), »Gewinnverlagerung deutscher Großunternehmen in Niedrigsteuerländer – wie hoch sind die Ziele der Säule 2 auch ohne eine solche Einigung zu Steueraufkommenssverluste?«, ifo Schnelldienst 74(1), 38–42. verfolgen. Dazu müssten die beteiligten Staaten ver- Fuest, C., F. Hugger und F. Neumeier (2021b), »Corporate Profit Shifting einbaren, ihre Quellensteuern und ihre Sitzlandbe- and the Role of Tax Havens: Evidence from German Country-By-Country Reporting Data«, CESifo Working Paper No. 8838. steuerung wie vorgesehen auszudehnen, aber dabei Fuest, C., F. Hugger, F. Neumeier und D. Stöhlker (2021c), Nationale jeweils ihre heimische Gewinndefinition zugrunde Steueraufkommenswirkungen einer Neuverteilung von Besteuerungs- legen. rechten im Rahmen der grenzüberschreitenden Gewinnabgrenzung: Ergänzende Berechnungen, Studie im Auftrag des Bundesministeriums Auch das würde allerdings nichts daran ändern, der Finanzen, ifo Institut, München. dass europarechtliche Vorgaben der Umsetzung der OECD (2020), Tax Challenges Arising from Digitalisation – Economic Reform im Wege stehen. Das gilt vor allem für das Ver- Impact Assessment, OECD Publishing, Paris. bot der Erhebung von Quellensteuern auf Zinsen und OECD/G-20 (2021), Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising From the Digitalisation of the Economy, 1. Juli, Lizenzzahlungen innerhalb der EU. Änderungen dieser verfügbar unter: https://www.oecd.org/tax/beps/statement-on-a-two-pil- Regeln erfordern Einstimmigkeit. Da vor allem Irland lar-solution-to-address-the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisati- on-of-the-economy-july-2021.pdf das OECD-Reformprojekt bislang nicht unterstützt, dürfte das schwierig werden. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Kompromissbereitschaft un- ter den beteiligten Staaten so weit reicht, dass diese Hindernisse aus dem Weg geräumt werden können. 36 ifo Schnelldienst 10 / 2021 74. Jahrgang 13. Oktober 2021
Sie können auch lesen