Der Auftrag Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit

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Der Auftrag Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG                                                                                    Teilhabe 3/2020, Jg. 59

                                                                                                 gen für eine inklusive Gestaltung in sich.
                                                      https://doi.org/10.48441/4427.222          Ihre Prinzipien sind

                                                                                                 > Lebenswelt- und Ressourcenorien-
                                                                                                   tierung,
                                                                                                 > Freiwilligkeit und Partizipation,
                                                                                                 > Subjekt- und Sozialraumorientierung
                         Gunda Voigts                                                              sowie
                                                                                                 > Demokratie- und Beziehungsorien-
                                                                                                   tierung.

      Der Auftrag Inklusion                                                                         Entsprechend muss sich Kinder- und
                                                                                                 Jugendarbeit für den Weg zu inklusiven

      in der Kinder- und Jugendarbeit                                                            Gestaltungstrategien nicht komplett ver-
                                                                                                 ändern, sondern den Bruch zwischen
                                                                                                 Programmatik und Praxis überwinden.
      Entwicklungen, Herausforderungen, Zukunftsvisionen                                         Sie ist gefordert, sich mit ihrer konzepti-
                                                                                                 onell angelegten Offenheit stärker denn
                                                                                                 je auseinanderzusetzen und so Partizi-
      | Teilhabe 3/2020, Jg. 59, S. 108 – 112                                                    pation für alle Jugendlichen zu ermög-
108                                                                                              lichen.
      | KURZFASSUNG Angebote der Kinder- und Jugendarbeit sind wichtig für viele Kinder
      und Jugendliche in Deutschland. Junge Menschen mit Beeinträchtigungen partizipieren           Hier macht der 15. Kinder- und Ju-
      bisher nicht umfassend an diesen Angeboten. Insgesamt ist über ihre subjektiven Frei-      gendbericht auf etwas Entscheidendes
      zeitinteressen wenig bekannt. Doch beschäftigt sich Kinder- und Jugendarbeit intensiv      aufmerksam: Kinder-, Jugend- sowie
      mit dem an sie gestellten Auftrag Inklusion. In diesem Aufsatz werden Entwicklungen        Bildungsforschung weisen eine deut-
      zu einer Kinder- und Jugendarbeit mit inklusiven Gestaltungsstrategien betrachtet. Ab-     liche Leerstelle auf, wenn es um subjek-
      schließend wird ein Praxisforschungsprojekt vorgestellt, das Perspektiven von Jugend-      tive Sichtweisen von jungen Menschen
      lichen mit geistigen Beeinträchtigungen für die Kinder- und Jugendarbeit erschließt.       mit Behinderungen geht. Ihr Einbezug
                                                                                                 in Angebote der Kinder- und Jugend-
      | ABSTRACT The mission of inclusion in child and youth work. Developments,                 arbeit ist bisweilen ungelöst. Daher
      challenges, future visions. Activities and services provided by child and youth work       geht es darum, ihre Stimmen und ihre
      are important for many children and youth in Germany. Young people with disabilities       konkreten Anliegen zu hören und ernst
      have so far not fully participated in these. Overall, rather little is known about their   zu nehmen.
      subjective leisure time interests. However, child and youth work is intensively concer-
      ned with the task of inclusion. This essay deals with the developments towards an             Anhand dieser einführenden Analyse
      inclusively designed child and youth work. Finally, a practice research project is being   werden im Folgenden drei Aspekte ver-
      presented that opens up perspectives for young people with intellectual disabilities for   tieft. Zuerst werden Grundprinzipien
      child and youth work.                                                                      der Kinder- und Jugendarbeit betrachtet,
                                                                                                 die auf dem Weg zu inklusiven Gestal-
                                                                                                 tungsstrategien helfen. Als Zweites wer-
      „Auftrag Inklusion“                          zu einer inklusiven Kinder- und Jugend-       den Herausforderungen präsentiert, die
      in der Kinder- und Jugendarbeit              arbeit zu gestalten?                          sich aus Forschungserkenntnissen wie
                                                                                                 Praxisbeobachtungen zeigen. Zuletzt wird
      Vor mehr als zehn Jahren hat Deutsch-           Kinder- und Jugendarbeit ist ein in        exemplarisch dargestellt, wie der Einbe-
      land die UN-Konvention über die Rechte       den §§ 11 und 12 des SGB VIII gere-           zug von Sichtweisen junger Menschen
      von Menschen mit Behinderungen (UN-          geltes Handlungsfeld der Kinder- und          mit (geistiger) Beeinträchtigung weiter-
      BRK) ratifiziert. Sie war der Beginn         Jugendhilfe, welches sich bereits vor         entwickelt werden kann.
      einer steilen Karriere des Inklusions-       der UN-BRK mit der Offenheit für alle
      begriffs. Mit dem Blick auf Kindheit und     Kinder und Jugendlichen beschäftigt
                                                                                                 Entwicklungen: Kinder- und
      Jugend wurde Inklusion stark auf den         hat. Die Auseinandersetzung mit der
                                                                                                 Jugendarbeit auf dem Weg
      Einbezug von jungen Menschen mit             Verschiedenheit jugendlicher Persön-
                                                                                                 zu inklusiven Gestaltungskriterien
      Behinderung in das sogenannte „Regel-        lichkeiten und Lebenslagen ist wesent-
      schulsystem“ verkürzt. Die gesellschaft-     licher Bestandteil ihrer Programmatik.        Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Viel-
      liche Anerkennung dessen, was Inklusion      So wird im 15. Kinder- und Jugendbe-          falt überhaupt zu beschreiben, ist eine
      mit ihrem menschenrechtlichen An-            richt ausdrücklich anerkannt, dass sie        schwierige Aufgabe. Ihre Facetten in Ge-
      spruch beinhaltet, geriet dabei aus dem      „ein Praxisfeld darstellt, das auf die He-    staltung, Organisation, Inhalten, Räum-
      Blick. Inklusion ist mehr als die Ein-       terogenisierung der Lebenslagen junger        lichkeiten und Finanzierung sind weit
      passung von vermeintlichen Minder-           Menschen mit der Ausdifferenzierung           gefächert (Deutscher Bundestag 2017,
      heitsgruppen in bestehende Systeme.          und der Entstehung neuer Mischformen          365 ff.; VOIGTS 2017, 566). Eines eint –
      Sie meint das Recht auf eine vollkom-        von Strukturen und Angeboten antwor-          in aller Diversität – die vielen Arbeits-
      mene, uneingeschränkte sowie gleich-         tet“ (Deutscher Bundestag 2017, 406).         felder wie z. B. die mobile Arbeit, die
      berechtigte, selbstbestimmte Teilhabe        Das heißt im Umkehrschluss nicht,             offenen Jugendzentren, die Jugendver-
      aller Menschen an der Gesellschaft (vgl.     dass Kinder- und Jugendarbeit in der          bände, die Spieleparks, den Sport, die
      DANNENBECK 2014). In der Kinder-             Praxis flächendeckend inklusiv ist.           politische oder kulturelle Jugendbil-
      und Jugendarbeit stellt sich die Frage       Aber – und das unterscheidet sie von          dung: Kinder- und Jugendarbeit ist
      nach dem „ob“ einer inklusiven Gestal-       Schule oder Jugendsozialarbeit – sie
      tung damit nicht mehr. Der Blick ist auf     trägt mit ihren im SGB VIII festge-
      die Umsetzung gerichtet: Wie ist der Weg     haltenen Maximen alle Voraussetzun-
Teilhabe 3/2020, Jg. 59                                                                   WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
                                                                             Der Auftrag Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit

  „der einzige institutionell gesicherte       > Inklusion meint mehr als die Ein-        Rahmenbedingungen entgegen. Entspre-
  und staatlich geförderte Ort, an dem           beziehung von Menschen mit (zu-          chend wird im nächsten Punkt der Fo-
  Kinder und Jugendliche eigenstän-              geschriebenen) Behinderungen. […]        kus darauf gerichtet, was benötigt wird,
  dig gestaltbare und auslotbare Er-             Inklusion geht einen Schritt weiter:     um den Auftrag Inklusion umzusetzen.
  fahrungsräume nutzen können, in                Sie meint die Teilhabe aller Men-
  denen nicht Erwachsene mit ihren               schen.
                                                                                          Herausforderungen:
  Erwartungen Orientierungspunkte              > Inklusion ist zu allererst eine Frage
                                                                                          Rahmenbedingungen einer inklusiven
  bilden und in denen eine Lernkultur            der Haltung einzelner Menschen, der
                                                                                          Kinder- und Jugendarbeit
  vorherrscht, die auf Erfahrungen des           Haltung von Teams und der Haltung
  alltäglichen Lebens setzt und so nach-         in Institutionen. Sie hat nur dann       Die Standortbestimmung weist auf He-
  haltige Wirkung auf Bildungsprozesse           eine Chance, wenn sie von allen Be-      rausforderungen hin, die unzureichende
  entfaltet“ (Arbeitsgemeinschaft für            teiligten gewollt ist. Darauf hinzu-     Rahmenbedingungen für inklusive Ge-
  Kinder- und Jugendhilfe 2011, 1).              arbeiten, muss ein wichtiges Ziel der    staltungsprinzipien darstellen. Im Fol-
                                                 Kinder- und Jugendarbeit sein.           genden werden dazu zwei Studien vor-
                                               > Inklusion ist eine Herausforderung       gestellt. Bei der ersten Studie handelt
   Für das gesamte Handlungsfeld zentrale        – auch für die Kinder- und Jugend-       es sich um eine bundesweit angelegte
inklusive Entwicklungslinien herauszu-           arbeit. Der Weg zu einer Kinder- und     quantitative wie qualitative Untersu-
arbeiten, ist keine leichte Aufgabe. Eine        Jugendarbeit mit inklusiven Gestal-      chung zu Strukturen, Konzepten und
weitreichende Auseinandersetzung mit             tungsprinzipien ist ein anspruchs-       Motiven im Kontext der gesellschaft-
der Praxis inklusiver Kinder- und Jugend-        voller Prozess. Er braucht Zeit, Res-    lichen Debatten um Inklusion in der
arbeit ist im Projekt „Auftrag Inklusion:        sourcen und Orte des Erfahrungs-         Jugendverbandsarbeit (vgl. VOIGTS          109
Perspektiven für eine neue Offenheit in          austausches.                             2015). Die zweite Studie ist eine qua-
der Kinder- und Jugendarbeit“ erfolgt.         > Auf dem Weg zu einer Kinder- und         litative Begleitforschung zum Praxis-
Die Arbeitsgemeinschaft der Evange-              Jugendarbeit mit inklusiven Gestal-      projekt „Freiräume – Inklusion in der
lischen Jugend in Deutschland (aej),             tungsprinzipien sind viele verschie-     Bielefelder Offenen Kinder- und Ju-
die Diakonie Deutschland und Aktion              dene Akteure und Akteurinnen zu          gendarbeit“ (vgl. VOIGTS 2018). Beide
Mensch haben sich darin aufgemacht,              beteiligen: die Kinder und Jugend-       Untersuchungen verbindet, dass sie u. a.
den Auftrag Inklusion und den Weg zu             lichen, die hauptamtlich und ehren-      mit Hilfe von leitfadengestützten Inter-
inklusiven Gestaltungsprinzipien für             amtlich Mitarbeitenden, die Träger       views Barrieren inklusiver Arbeit ermit-
das Handlungsfeld genauer zu bestim-             und Kooperationspartner. Schon der       teln, die Mitarbeitende in der Kinder-
men. Dies fand in einem bundesweiten             Weg zur Inklusion lebt von der Viel-     und Jugendarbeit wahrnehmen.
Prozess mit Praktiker*innen aus der              falt und fordert sie ein.“
Kinder- und Jugendarbeit sowie der Be-                                                       Die Jugendverbandsstudie (vgl. VO-
hindertenhilfe statt. Als Ergebnisse sind        Darauf aufbauend wurde eine Stand-       IGTS 2015) arbeitet Zugangsbarrieren
eine Standortbestimmung, ein Inklusi-          ortbestimmung (Abb. 1) veröffentlicht,     heraus, die für junge Menschen mit Be-
ons-Check für die praktische Arbeit vor        welche eine wesentliche Selbstbeschrei-    einträchtigungen gesehen werden. Dass
Ort sowie eine Arbeitshilfe mit theo-          bung der Kinder- und Jugendarbeit ist.     Angebote der Kinder- und Jugendarbeit
retischen Beiträgen und Praxisbeispie-         Es wird der Weg zu einer inklusiven        bei Eltern von Kindern mit Beeinträch-
len entstanden (aej, Aktion Mensch &           Gestaltung dieses Handlungsfelds auf-      tigungen nicht bekannt sind, wird da-
Diakonie Deutschland 2014a; aej, Ak-           gezeigt. Ausgangspunkt der Standort-       bei als ein zentrales Hindernis gesehen.
tion Mensch & Diakonie Deutschland             bestimmung sind gesetzliche Grundla-       Dies wird durch fehlende Peer-Bezüge
2014b; aej, Aktion Mensch & Diakonie           gen, programmatische Ausrichtungen         zu Kindern ohne Beeinträchtigung er-
Deutschland 2015). In zeitlich aktuel-         der einzelnen Arbeitsfelder sowie kon-     gänzt. Der entscheidende Zugang zu
leren Projekten werden bisher kaum             zeptionelle Vorlagen.                      Angeboten der Kinder- und Jugendar-
neue Ergebnisse dargelegt (vgl. agj 2019).                                                beit ist die Werbung durch Freund*in-
Insofern ist das genannte Projekt wei-           Über die Ergebnisse dieses Projekts      nen. Die gesonderte Beschulung und
terhin als maßstabsetzend für den in-          hinausgeschaut kann resümiert werden,      die damit fehlenden Freundschaften zu
klusiven Prozess in der Kinder- und Ju-        dass sich Kinder- und Jugendarbeit in      anderen jungen Menschen im direkten
gendarbeit anzusehen. Einige zentrale          den letzten Jahren noch intensiver als     Sozialraum scheinen den Zugang zu
Ergebnisse des Projekts werden hier            zuvor mit ihren inklusiven Möglich-        Angeboten deutlich zu erschweren. Eine
dargestellt.                                   keiten beschäftigt hat. Die Aktivitäten    weitere Hürde zeigt sich darin, dass
                                               lassen sich in sieben Bereiche kategori-   bei Kindern mit Beeinträchtigung die
  Die „Grundlegende[n] Gedanken zur            sieren. Sie werden an dieser Stelle ohne   Eltern eine wichtige Rolle bei der Frei-
Begriffsbestimmung und Mitverantwor-           Ausführung von Beispielen benannt:         zeitgestaltung einnehmen, ihre Anspra-
tung der Kinder- und Jugendarbeit auf                                                     che aber nicht Ziel der Jugendverbände
dem Weg zu einer inklusiven Gesell-            1. Projekte                                ist. Weiterhin werden Kinder- und Ju-
schaft“ (aej et al. 2014a) lauten wie folgt:   2. Positionierungen                        gendliche mit körperlicher und geisti-
                                               3. Sammlung und Veröffentlichung           ger Beeinträchtigung bei bestimmten
> „Inklusion, also die volle, wirksame            gelungener Aktivitäten                  verbandlichen Ausrichtungen nicht be-
  und gleichberechtigte Teilhabe an der        4. Wettbewerbe                             rücksichtigt, da sowohl spezifische An-
  Gesellschaft, ist ein Menschenrecht.         5. Fachaustausch und Debatte               gebote sowie barrierefreie Räumlich-
  Inklusion meint Offenheit für alle:          6. (Praxis-)Forschungsprojekte             keiten nicht hinreichend zur Verfügung
  Jeder und jede gehört dazu, ist will-                                                   stehen.
  kommen, darf mitgestalten. Diesem              Die Aufzählung zeigt in abstrakter
  Menschenrecht kann sich auch die             Weise, dass Kinder- und Jugendarbeit         Aus der Studie lassen sich damit fol-
  Kinder- und Jugendarbeit als gesell-         den Auftrag Inklusion ernst nimmt.         gende Thesen ableiten:
  schaftlicher Ort für junge Menschen          Diesem Engagement in der Praxis vor
  nicht entziehen.                             Ort, wie in den übergeordneten Zusam-      > Kinder und Jugendliche mit Beein-
                                               menschlüssen, stehen herausfordernde         trächtigungen finden leichter An-
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG                                                                                      Teilhabe 3/2020, Jg. 59
      Der Auftrag Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit

        schluss in der durch Peer-Bezüge ge-        > Jugendverbände richten sich in ihrer         Barrieren und Ansätze sowie deren Über-
        prägten Jugendverbandsarbeit, wenn            Werbung überwiegend an Kinder                windung erforscht worden. In dem Pro-
        sie in ihrem schulischen Lebensall-           und Jugendliche. Damit junge Men-            jekt wurden die Angebote von offenen
        tag nicht mehr separiert aufwachsen,          schen mit Behinderung Angebote               Einrichtungen der Kinder- und Jugend-
        sondern Peer-Bezüge von jungen                der Kinder- und Jugendarbeit wahr-           arbeit in Bielefeld mit Unterstützung
        Menschen mit und ohne Behinde-                nehmen, müssten stärker ihre Eltern          von Trägern der Behindertenhilfe (Bethel,
        rung durch gemeinsame Beschulung              adressiert werden, da sie eine zent-         Diakonische Stiftung Ummeln) inklusiv
        ermöglicht werden.                            rale Rolle bei der Freizeitgestaltung        aufgestellt. Als Ergebnis sind acht Barri-
      > Barrierefreiheit in diversen Dimen-           ihrer Kinder einnehmen.                      ere-Cluster formuliert (VOIGTS 2019):
        sionen muss ein zentrales Kriterium
        von Angeboten und Räumlichkeiten              In der Begleitforschung zum Projekt             Finanzierung und Kosten: Die häu-
        der Kinder- und Jugendarbeit werden.        „Freiräume“ sind ebenfalls zentrale            fige finanzielle Planungsunsicherheit –

         Standortbestimmung von Kinder- und Jugendarbeit im Kontext von Inklusion

         1: Kinder- und Jugendarbeit hat Potentiale für den Weg zur Inklusion: Sie ist lebenswelt- und ressourcenorientiert, sie stellt
         Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt, sie hat Erfahrungen mit neuen Öffnungsprozessen, sie verfügt über ein weitrei-
         chendes Netz von Engagierten und Räumlichkeiten.
110
         2: Kinder- und Jugendarbeit basiert auf den Peer-Beziehungen von jungen Menschen und stellt ihre Interessen in den Vorder-
         grund. Sie gestaltet sich durch die Anliegen von Kindern und Jugendlichen und folgt der Eigenlogik ihrer Kulturen. Inklusion
         kann in diesem weitgehend selbstorganisierten Arbeitsfeld mit geringem Machtgefälle nicht von oben verordnet werden.
         Sie muss von den beteiligten Kindern und Jugendlichen gewollt sein.

         3: Kinder- und Jugendarbeit bietet Räume der Selbstorganisation und Interessenvertretung von jungen Menschen. Allen Kin-
         dern und Jugendlichen diese Möglichkeiten zu bieten, ist eine hohe Herausforderung. Neue Beteiligungs- und Partizipations-
         formen sind zu entwickeln und zu erproben, sodass alle Kinder und Jugendlichen mit ihren Anliegen Gehör finden und ihre
         Interessen selbst vertreten können.

         4: Den inklusiven Prozess in der Kinder- und Jugendarbeit zu managen, erfordert personelle und auch finanzielle Ressourcen.
         Ihn zu gestalten, geht nicht immer nur „nebenbei“. Und trotzdem: Inklusive Prinzipien zu ermöglichen, gehört zum „Kernge-
         schäft“ von Akteuren und Akteurinnen in der Kinder- und Jugendarbeit. […]

         5: Eine inklusiv gestaltete Kinder- und Jugendarbeit ist eine barrierefreie Kinder- und Jugendarbeit. Hindernisse in Sprache,
         Zugang und Räumlichkeiten sind zu überwinden. Eine für alle verständliche Sprache und barrierefrei gestaltete Angebotsorte
         sind ein Schlüssel auf dem Weg zur Inklusion.

         6: Der zentrale Perspektivenwechsel liegt darin, Kinder und Jugendliche zu allererst und konsequent als Kinder und Jugend-
         liche wahrzunehmen, frei von jeglichen Zuschreibungen. Die Suche nach gemeinsamen Interessen und Anliegen steht im
         Vordergrund. […]

         7: […] Wege zu einer Kinder- und Jugendarbeit mit inklusivem Gestaltungscharakter erfordern Vernetzung. Gerade die
         Zusammenarbeit mit Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe ist oft eine neue Herausforderung. Die große Chance
         liegt darin, bisher unentdeckte Potentiale gemeinsam zu entfalten. […] Kinder- und Jugendarbeit […] ist auf die Bereitschaft
         der kooperativen Öffnung der Behindertenhilfe, aber auch der Jugendsozialarbeit, der Migrationsfachdienste und anderer
         Partner angewiesen.

         8: Kooperationen von Kinder- und Jugendarbeit und Schule nehmen im Kontext von Inklusion eine noch stärkere Bedeutung
         ein als bisher. Gewinnen die Konzepte einer inklusiven Schullandschaft an Kontur, bietet sich hier ein guter Ort für gelingende
         Kooperationen mit neuem Anspruch.

         9: Inklusive Kinder- und Jugendarbeit basiert auf der inklusiven Haltung von ehrenamtlich und hauptamtlich Aktiven in der
         Arbeit vor Ort, in den Verbänden und den Institutionen. Die Auseinandersetzung mit inklusiven Kulturen, Leitlinien und Prakti-
         ken gehört in die Aus- und Fortbildung dieser Aktiven. Eine gezielte, offensive Information dieser Beteiligten ist erforderlich.

         10: Kinder- und Jugendfreizeiten bieten für alle Beteiligten eine besondere Chance, ermutigende Erfahrungen mit inklusiven
         Konzepten in der Kinder- und Jugendarbeit zu machen. Sie können zum Experimentierfeld neuer Kooperationen auf dem
         Weg zu Inklusion werden.

         11: Eltern haben eine besondere Rolle, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche mit Behinderung und oft auch junge
         Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen. […]

         12: Die Attraktivität der Kinder- und Jugendarbeit kann durch inklusive Gestaltungsprinzipien erhöht werden. Genau das mit
         gelingenden Beispielen innerhalb der eigenen Strukturen von der Basis bis zur Bundesebene aufzuzeigen, schafft Motivation
         für die Umsetzung neuer Konzepte. […]
Teilhabe 3/2020, Jg. 59                                                                   WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
                                                                             Der Auftrag Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit

insbesondere bei der Personalausstat-       zu begleiten, wird von einigen Befrag-        Praxisrealität. Dies kann als eine wich-
tung – wird als herausgehobene Bar-         ten als „nicht immer einfach“ benannt.        tige Anforderung für die Zukunft be-
riere gesehen. Die Überwindung dieses                                                     nannt werden.
Zustands wird als Grundlage inklusi-          Eltern und Erziehungsberechtigte:
ven Handelns akzentuiert. Die Inter-        Eltern werden von den Mitarbeitenden             Als Zukunftsvision steht eine weitere
viewten formulieren weiterhin deutlich,     der offenen Kinder- und Jugendhilfe als       Perspektive im Raum, welche bereits in
dass es Mittel für Umbauten, besondere      „Barrieren“ betrachtet. Sie sind keine        der Einleitung thematisiert wurde: der
Materialien, Fortbildungen und Assis-       zentrale Zielgruppe von Kinder- und           Einbezug der Sichtweisen von jungen
tenzleistungen brauche.                     Jugendarbeit. Eltern von jungen Men-          Menschen mit Beeinträchtigung. Sie ist
                                            schen mit Beeinträchtigungen werden           bisher eine besondere Leerstelle im em-
   Personalbedarf, -ausbildung und As-      als wichtige Partner*innen wahrgenom-         pirischen Wissen. Es ist einiges über die
sistenzen: Vollbeschäftigte Hauptberuf-     men, um Erkenntnisse über Bedarfs-            Bildungs-, Verantwortungs-, Gemein-
liche, die den jungen Menschen verläss-     lagen und Kommunikationsformen der            schafts- und Integrationspotenziale von
liche Bindungen ermöglichen, werden         jungen Menschen zu erhalten. Als An-          Kinder- und Jugendarbeit bekannt (vgl.
als wichtig angesehen. Wechselnde Ho-       wesende oder Beteiligte in pädagogi-          RAUSCHENBACH et al. 2010), aber
norarkräfte seien eine Barriere für den     schen Arrangements werden sie jedoch          nichts über die Interessen und Wün-
Zugang von jungen Menschen mit Be-          als störend empfunden, da Kinder- und         sche, welche junge Menschen mit Be-
hinderungen. Eltern wie Kinder benö-        Jugendarbeit ausdrücklich Ort für Kin-        einträchtigungen an die Angebote und
tigten im Kontext von Inklusion konti-      der und Jugendliche ist.                      ihr Mitwirken haben. Um Kinder- und
nuierliche Ansprechpersonen. Können                                                       Jugendarbeit auch mit Blick auf diese
Assistenzen nicht als grundsätzliche          Schulsystem: Da der häufigste Zugang        Zielgruppe subjekt- und interessenorien-    111
Leistung der Einrichtung angeboten          zu Angeboten der offenen Kinder- und          tiert gestalten zu können, ist das drin-
und einbezogen werden, wird das als         Jugendarbeit über Gleichaltrigengruppen       gend erforderlich.
Barriere beschrieben. Die Regelfinan-       erfolgt, stellen die getrennte Beschulung
zierung von Assistenzen wird gefordert,     und die damit verbundenen separierten            Das gemeinsame Projekt „Mit den
sodass bei der Teilnahme an Angeboten       Alltagsräume eine entscheidende Zu-           Augen von Jugendlichen – was braucht
nicht das Einkommen und Vermögen            gangsbarriere dar. Kooperationen mit          inklusive Jugendarbeit?“ der Bundes-
der Eltern herangezogen werden muss         Förderschulen gelingen bisher (fast) nicht.   vereinigung Lebenshilfe, der PH Heidel-
oder Eltern ihre Kinder begleiten müss-                                                   berg und der HAW Hamburg will in den
ten. Ein ausreichender Personalschlüssel      Politische Rahmungen: Politische            nächsten drei Jahren einen ersten Teil
biete zudem den Verantwortlichen die        bzw. gesetzliche Rahmungen werden             dieser Forschungslücke schließen. An
notwendige Sicherheit für neue Öff-         als Barrieren wahrgenommen, z. B. die         drei regionalen Standorten (Hamburg,
nungsprozesse sowie Zeit und Raum für       Trennung von Kinder- und Jugendhilfe          Heidelberg, Ost-Holstein) werden Ju-
die Teilnahme an erforderlichen Fort-       und Behindertenhilfe in zwei Systeme          gendliche mit geistigen Beeinträchtigun-
bildungen zu Themen im Kontext von          und Rechtssystematiken und die damit          gen befragt. Ihre Äußerungen werden
Inklusion.                                  verbundenen verschiedenen Finanzge-           qualitativ ausgewertet und mit für den
                                            ber*innen, Ämter und Ausschüsse auf           Kinder- und Jugendbereich Verantwort-
   Bauliche und räumliche Vorausset-        kommunaler Ebene.                             lichen in den Lebenshilfen wie mit Ju-
zungen: Wie in anderen gesellschaft-                                                      gendverbänden und Einrichtungen der
lichen Bereichen zeigen sich die Ge-          Die zweite Studie kommt damit in            offenen Kinder- und Jugendarbeit dis-
bäude und Außenflächen der offenen          einigen Punkten zu ähnlichen Ergeb-           kutiert. Darauf aufbauend werden Kon-
Einrichtungen in der Regel als wesentli-    nissen wie die erste. Sie erweitert den       zeptideen für Angebote der Kinder- und
che Barriere für ein inklusives Arbeiten.   Blick auf die Herausforderungen um            Jugendarbeit entwickelt. Neben der Betei-
                                            konkrete Forderungen, z. B. nach einer        ligung der jungen Menschen mit Beein-
  Sprache und Kommunikation: Spra-          geregelten Finanzierung oder Assis-           trächtigung wird dabei ein entscheiden-
che als Ausdruck der Kommunikation          tenz. Insgesamt bestätigen die beiden         der Erfolgsschlüssel in der Vernetzung
und des Miteinanders stellt auch in der     Studien empirisch viele der Aspekte,          von Behindertenhilfe und Kinder- und
offenen Kinder- und Jugendarbeit eine       welche durch die Praktiker*innen in der       Jugendarbeit gesehen.
Barriere dar. Die Öffentlichkeitsarbeit     Standortbestimmung (siehe Kasten Seite
für Angebote wird aus Sicht der Befrag-     110) zusammengetragen wurden.
                                                                                          Fazit
ten selten in einfacher oder Leichter
Sprache vorgenommen.                                                                      Der normative Anspruch der UN-BRK
                                            Zukunftsvision: Sichtweisen
                                                                                          macht Inklusion „explizit zur gesell-
                                            von jungen Menschen
  Haltung von Mitarbeitenden, Teams                                                       schaftspolitischen Maxime und damit in
                                            mit Beeinträchtigung einbeziehen
und Organisationen: Die Haltungsfra-                                                      verbindlicher Weise handlungsleitend“
ge wird als bedeutend für Öffnungen         Die ausgeführten Forschungsergebnisse         (DANNENBECK 2014, 488). Das gilt
beschrieben. Es wird als Herausforde-       machen deutlich, dass der Auftrag In-         auch für die Kinder- und Jugendarbeit.
rung gesehen, sich kontinuierlich und       klusion nur umgesetzt werden kann,            Dass diese den Auftrag Inklusion ernst
wiederholend mit den eigenen Haltun-        wenn politisch gehandelt wird, denn           nimmt, konnte gezeigt werden. Dass auf
gen und denen im Team zu beschäfti-         Gesetzesänderungen und Finanzzuwei-           dem Weg zur stärkeren Implementie-
gen, gemeinsame Haltungen zu suchen         sungen obliegen demokratisch gewählten        rung inklusiver Gestaltungsprinzipien
und diese in Einklang mit den Ressour-      Gremien auf den verschiedenen födera-         noch zahlreiche Barrieren abzubauen
cenkonflikten (Zeit, Geld, Personal) zu     len Ebenen. Die Wendung der erforsch-         sind, ist ebenso deutlich geworden. In-
bringen. Auch die Haltung der Kinder        ten Barrieren in Rahmenbedingungen,           klusion ist ein Prozess – das gilt auch
und Jugendlichen wird thematisiert, sie     die den Weg zu einer inklusiven Kinder-       in der Kinder- und Jugendarbeit. Aus-
kann zur Barriere werden. Die soge-         und Jugendarbeit positiv ermöglichen          drücklich muss auch von politischer
nannten „Stammbesucher*innen“ bei           und stützen sollen, ist wesentliches Ele-     Seite dafür Sorge getragen werden, dass
der Öffnung zu inklusiven Strukturen        ment für das Erreichen einer inklusiven       Systembarrieren überwunden werden
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG                                                                                         Teilhabe 3/2020, Jg. 59
      Der Auftrag Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit

      und die notwendigen Ressourcen zur             und Jugendarbeit. Inklusions-Check für          zu inklusiven Gestaltungsprinzipien.
      Verfügung stehen. „Dass Inklusion nicht        die Kinder- und Jugendarbeit. Berlin.           Herausforderungen – Realitäten –
      allein an die Kinder- und Jugendarbeit         Arbeitsgemeinschaft der Evangeli-               Perspektiven. In: neue praxis 44 (2),
      zu adressieren ist, sondern – im Gegen-        schen Jugend in Deutschland (aej);              140–149.
      teil – scheitern wird, wenn sie nicht von      Aktion Mensch; Diakonie Deutschland             VOIGTS, Gunda (2015): Kinder in Jugend-
      anderen gesellschaftlichen Akteuren            (Hg.) (2015): Auftrag Inklusion. Perspektiven   verbänden. Eine empirische Untersu-
      unterstützt wird und die entsprechen-          für eine neue Offenheit in der Kinder-          chung zu Strukturen, Konzepten und
      den Ressourcen zur Verfügung gestellt          und Jugendarbeit. Inhaltliche Grundlagen,       Motiven im Kontext der gesellschaftlichen
      bekommt […]“ (Deutscher Bundestag              Handlungsempfehlungen und Anregungen            Debatten um Inklusion. Opladen: Verlag
      2017, 209) ist ein zentrales Fazit des 15.     für die Praxis. Berlin.                         Barbara Budrich.
      Kinder- und Jugendberichts. Es steht           Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und             VOIGTS, Gunda (2017): Die Bedeutung
      am Ende dieses Artikels, um den weiten         Jugendhilfe (2011): Kinder- und Jugend-         non-formaler und informeller Bildung
      Horizont von Inklusion als gesellschaft-       arbeit unter Gestaltungsdruck. Positions-       im Konzept „Inklusiver Kindheiten“.
      lichen Auftrag auch im Kinder- und Ju-         papier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder-      In: Amirpur, Donja; Platte, Andrea (Hg.):
      gendalter noch einmal zu fokussieren.          und Jugendhilfe – AGJ. Berlin.                  Handbuch Inklusive Kindheiten.
      Die Zukunftsvision liegt auch darin,           Arbeitsgemeinschaft für Kinder-                 Opladen: utb, 562–582.
      junge Menschen mit Beeinträchtigung            und Jugendhilfe (2019): Inklusion in der        VOIGTS, Gunda (2018): Projekt „Frei-
      selbst in die Prozesse einzubeziehen und       Jugendarbeit. 10 Jahre UN-BRK – ein Blick       räume – Inklusion in der Bielefelder
      ihre subjektiven Interessen und Wün-           auf die Entwicklungen in der und Erwar-         Offenen Kinder- und Jugendarbeit“.
      sche ernst zu nehmen.                          tungen an die Jugendarbeit. Diskussions-        Evaluationsbericht. Bielefeld.
112                                                  papier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder-      VOIGTS, Gunda (2019): Inklusive
                                                     und Jugendhilfe – AGJ . Berlin.                 Gestaltungsstrategien in der Offenen
      L I T E R AT U R                               Deutscher Bundestag (2017): 15. Kinder-         Kinder- und Jugendarbeit. Ergebnisse
                                                     und Jugendbericht. Berlin: Publikations-        eines Praxis-Forschungs-Projektes.
      Arbeitsgemeinschaft der Evangeli-              versand der Bundesregierung.                    In: deutsche jugend 67 (7+8),
      schen Jugend in Deutschland (aej);             DANNENBECK, Clemens (2014): Inklusive           331–338.
      Aktion Mensch; Diakonie Deutschland            Kinder- und Jugendarbeit? Diskursbeobach-
      (Hg.) (2014a): Auftrag Inklusion.              tungen im Feld Sozialer Arbeit mit Kindern
      Perspektiven für eine neue Offenheit in        und Jugendlichen. In: deutsche jugend            i   Die Autorin:
      der Kinder- und Jugendarbeit. Eine Stand-      62 (11), 487–492.                                    Prof. Dr. Gunda Voigts
      ortbestimmung von Kinder- und Jugend-          RAUSCHENBACH, Thomas et al.
                                                                                                          Professorin für Wissenschaft und Theorien
      arbeit im Kontext von Inklusion. Berlin.       (2010): Lage und Zukunft der Kinder-                 Sozialer Arbeit sowie Theorie und Praxis
      Arbeitsgemeinschaft der Evangeli-              und Jugendarbeit in Baden-Württemberg.               der Kinder- und Jugendarbeit an der Hoch-
      schen Jugend in Deutschland (aej);             Dortmund.                                            schule für Angewandte Wissenschaften
      Aktion Mensch; Diakonie Deutschland            VOIGTS, Gunda (2014): Inklusion als                  Hamburg
      (Hg.) (2014b): Auftrag Inklusion. Perspek-     Auftrag: Eine Standortbestimmung von            @    gunda.voigts@haw-hamburg.de
      tiven für eine neue Offenheit in der Kinder-   Kinder- und Jugendarbeit auf dem Weg

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