Die Revolution des Kleinen - Erfolgreich ökologisch wirtschaften mit biointensiver Landwirtschaft und Mikrofarming von Manuel Nagel ...

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Ökologischer Landbau

Die Revolution des Kleinen
Erfolgreich ökologisch wirtschaften mit biointensiver Landwirtschaft
und Mikrofarming

von Manuel Nagel

                  Hohe Erträge auf sehr kleiner Fläche, nachhaltige Bewirtschaftung nach ökologischen Standards,
                  überschaubare Investitionen und ein verhältnismäßig geringer Arbeitsaufwand bei gutem Betrieb-
                  seinkommen – das verspricht das Konzept des Mikrofarmings, das auch als biointensiver Anbau
                  bezeichnet wird. Für immer mehr junge Menschen bilden diese Konzepte einen attraktiven Weg, um
                  in die Landwirtschaft einzusteigen. Der biointensive Anbau ist bisher vor allem in Kanada, Japan
                  und den USA bekannt, wo das Konzept seit den 1960er-Jahren angewendet und weiterentwickelt
                  wird. In Deutschland gibt es zurzeit etwa 50 solcher Kleinstbetriebe – Tendenz steigend. Der folgen-
                  de Beitrag stellt das Konzept des Mikrofarmings vor, analysiert die Erfolgsfaktoren und zeigt anhand
                  konkreter Beispiele aus dem In- und Ausland die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Ganzen – neben
                  dem vielfältigen ökologischen wie sozialen Nutzen, den diese innovative Anbauform stiftet.

»Get big or get out« – diese Forderung des ehemali-        den sind – insbesondere vor dem Hintergrund stark
gen U. S. amerikanischen Landwirtschaftsministers          und stetig steigender Flächenpreise.4 Als Folge sind
Earl Butz prägt bis heute nationale und internationale     landwirtschaftliche Betriebe meist hoch verschuldet,5
Agrar­politik. Je größer ein Betrieb – so die Annah-       und viele, vor allem junge Menschen, die sich gerne
me -, umso effizienter könne er wirtschaften. Die Um-      eine Existenz in der Landwirtschaft aufbauen würden,
setzung dieses industriellen Expansionsparadigmas          schrecken aus finanziellen Gründen davor zurück.
diente nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur dem               Der Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 plädiert
Ziel einer raschen Produktion von Lebensmitteln zur        für eine Ausdehnung agrarökologischer Methoden
Ernährung der eigenen Bevölkerung. Gleichzeitig soll-      und der Förderung von Kleinbauern auch in den in-
ten dadurch Arbeitskräfte für die wirtschaftliche Ent-     dustrialisierten Ländern. In seinem aktuellen Bericht
wicklung (im verarbeitenden Sektor und dem Dienst-         Transformation of our food system6 von 2020 fordern
leistungssektor) freigesetzt und global-verflochtene       die Autorinnen und Autoren ein neues Paradigma
Wertschöpfungsketten aufgebaut werden.                     zur Transformation des ganzen Ernährungssystems.
   Ob im konventionellen oder im biologischen An-          Dieses neue Paradigma muss die planetaren Grenzen
bausystem, in der logischen Konsequenz dieses Ex-          anerkennen, zu einer Relokalisation der Wertschöp-
pansionsmodells sinkt die Anzahl der Betriebe in           fungsketten beitragen, die wahren Kosten mitein-
Deutschland seit Jahrzehnten. Über zehn Prozent aller      beziehen und das Management von Komplexität als
landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland haben         Grundelement lebender Systeme im Denken und
zwischen 2010 und 2018 aufgegeben.1 Laut einer ak-         Handeln abbilden.
tuellen Studie der DZ-Bank wird die Anzahl der Höfe           Der Autor Benedikt Haerlin beschreibt die Dyna-
von derzeit 267.000 (Stand 2020) auf 100.000 Höfe          mik der 2010er-Jahre als Phase der Entstehung vie-
im Jahr 2040 sinken.2 Besonders stark sind dabei die       ler Bottum-up-Initiativen: »A groundswell of highly
Rückgänge in den kleinsten Betriebsgrößenklassen zu        innovative, yet conserving and healing agricultural
verzeichnen, währenddessen die Anzahl der Betriebe         and community practices may prove to have laid the
größer 100 Hektar wächst.3                                 ground for a ›revolution of the niches‹ in industria-
   Je größer aber ein Betrieb, umso höher auch die         lized as well as in less industrialized societies«.7 Das
Investitionskosten, die mit seiner Gründung verbun-        Konzept des Mikrofarming birgt das Potenzial, aus

                                                                                                                  135
Der kritische Agrarbericht 2021

der Nische herauszutreten und zu einem Wandel un-          than you can imagine 10 von John Jeavons (1991) inspi-
seres Landwirtschafts- und Ernährungssystems bei-          rierten beide eine ganze Reihe jüngerer Pioniere, un-
zutragen.                                                  ter anderem Jean-Martin Fortier und Maude-Hélène
                                                           Desroches (Kanada), Elizabeth und Paul Kaiser (Ka-
Das Konzept des Mikrofarmings                              lifornien, USA), Charles und Perrine Hervé-Gruyer
                                                           (Frankreich) oder Richard Perkins (Schweden). Ins-
Seit ein paar Jahren beweisen weltweit Landwirte,          besondere das Buch von Jean-Martin Fortier Bio-Ge-
dass wirtschaftliche Rentabilität nicht nur allein durch   müse erfolgreich direktvermarkten, welches mit über
Größenwachstum zu erreichen ist. Sie kombinieren           100.000 verkauften Exemplaren weltweit ein ausge-
verschiedenste ökologische, technische und wirt-           wiesener Bestseller ist, führte zu einer weiten Verbrei-
schaftliche Praktiken, um die Flächenproduktivität         tung des Market Gardening auch in Deutschland.
sowie die Wertschöpfung pro erzeugtem Produkt auf             Der Kanadier Jean-Martin Fortier erzielte beispiels-
begrenzter kleiner Anbaufläche zu steigern. Das Mot-       weise auf seinem Dreiviertel Hektar großen Hof »Les
to lautet nicht mehr »get big or get out«, sondern »get    Jardins de la Grelinette« in der Nähe von Quebec in
small and smarter«. Die Höfe sind menschengerecht          seiner vierten Saison einen Umsatz von 150.000 ka-
ausgerichtet, ganzheitlich und unternehmerisch op-         nadischen Dollar (knapp 100.000 Euro) bei einer
timiert und schaffen ein wertschätzendes Verhältnis        Gewinnspanne von 45 Prozent. Der französische Hof
zwischen Landwirt und Kunde.                               »Bec Hellouin« in der Normandie erreichte sogar ei-
   Hauptgeschäftsbereich vieler Mikrofarming-Mo-           nen Umsatz von 57.000 Euro auf ihren lukrativsten
delle ist der Anbau von Gemüse. Hier wird eine Viel-       1.000 Quadratmeter Anbaufläche. Beide Höfe arbeiten
zahl an verschiedenen Gemüsesorten mittels Handar-         dabei biologisch und vermarkten ihre Produkte direkt.
beit und einfachen, mechanisierten Geräten angebaut        Kevin Morel vom staatlichen Agrarforschungsinstitut
und über direkte Vermarktungswege wie etwa auf             in Frankreich (Institut national de la recherche agro-
dem Wochenmarkt, im Hofverkauf, an Restaurants             nomique, INRA) kommt in seiner Doktorarbeit zu
oder im Rahmen einer Solidarischen Landwirtschaft          dem Schluss, dass solche kleinen Betriebe – entgegen
vertrieben. Hierfür hat sich die Bezeichnung »Market       der Logik der Skaleneffekte – produktiver und renta-
Gardening« etabliert. Der Anbau erfolgt biologisch         bler sein können als größere.11
und intensiv, sowohl in zeitlicher als auch in räum-
licher Perspektive, unter gleichzeitiger Steigerung        Erfolgsfaktoren
der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit. Immer
mehr Betriebe kombinieren den Gemüsebau mit wei-           Die wirtschaftliche Rentabilität entsteht aus der Kom-
teren Geschäftsfeldern wie mobiler Hühnerhaltung,          bination vieler einzelner ökologischer, technischer
Agroforst, Schnittblumen, Pilzzucht oder Micro-            und wirtschaftlicher Praktiken (siehe Abb. 1). Wichtig
greens und schaffen somit eine vielfältige, resiliente     dabei zu erwähnen, dass einzelne Strategien für sich
und produktive Mikrofarm.                                  keine Neuerung darstellen, sondern bereits von vie-
   Besonders der Bereich des Market Gardening stellt       len Gemüsebaubetrieben seit Jahren bzw. Jahrzehnten
eine Kombination aus modernen Ansätzen von be-             angewendet werden. Die Innovation besteht vielmehr
währten traditionellen Methoden mit jahrzehntelan-         in der Kombination und kann somit als systemisch
ger Weiterentwicklung dar. Inspiriert sind die Höfe        bezeichnet werden. Die zwei Hauptprinzipien sind
durch die Marktgärtner von Paris aus dem 19. Jahr-         »Steigerung der Produktion auf kleiner, begrenzter
hundert, die damals die Millionenmetropole mit Ge-         Fläche« und »Steigerung der Wertschöpfung pro er-
müse versorgten. Dafür entwickelten sie besondere          zeugtem Produkt«. Die hier angeführten Praktiken
Werkzeuge und Techniken, um auf kleinem Raum               müssen vor Ort an die jeweiligen persönlichen, stand-
produktiv zu sein und gleichzeitig die Bodenfrucht-        ortspezifischen und regionalen Bedingungen ange-
barkeit aufrechtzuerhalten. Ausführlich beschrieben        passt werden.
ist dies in dem Buch Manuel pratique de la culture
maraîchère de Paris 8 von Moreau und Daverne aus           Biointensiver Gemüsebau
dem Jahr 1845. Dieses alte, bewährte Wissen wurde          Einer der Grundbausteine für den wirtschaftlichen
mit neuen agrarökologischen und permakulturellen           Erfolg der Market-Gardening-Betriebe ist das bio­
Erkenntnissen und Erfindungen, vor allem von den           intensive Anbausystem. Diese »biologisch-intensive«
amerikanischen Biopionieren wie Eliot Coleman und          Methode ermöglicht die Ertragsmaximierung einer
John Jeavons, kombiniert.                                  Kulturfläche, sowohl in zeitlicher als auch in räum-
   Mit den Referenzwerken The new organic grower 9         licher Perspektive, bei gleichzeitiger Wahrung, wenn
von Eliot Coleman (1995) und How to grow more ve-          nicht sogar Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit.
getables than you ever thought possible on less land       Hierbei sind die Beete leicht hügelig angelegt und blei-

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Ökologischer Landbau

  Abb. 1: Überblick über die ökologischen, technischen und wirtschaftlichen Praktiken der Marktgärtnerei1²
                                                                      Hohe Pflanzdichte
                                                                      Mischkultur
                                                                      Hohe Fürsorge für Pflanzen
                                          Mehr anbauen                Mikroklimatische Bedingungen für besseres Pflanzen-
                       Steigerung der     pro Fläche                  wachstum
                       Produktion auf
                       kleiner Fläche     Mehr anbauen                Produktion auch im Winter
                                          pro Jahr                    Kontinuierliche Rotation
                                                                      Minimierung der Standzeit auf dem Beet
   Wirtschaftliche                                                    Neue Anzucht bereits vor dem Ende
   Rentabilität                           Diversifizierung der        des vorherigen Kulturzyklus
                                          Absatzwege und
                                          Direktvermarktung           Minimierung von Maschinenkosten
                                                                      Geschlossene Nährstoffkreisläufe anstatt Zukauf
                                                                      von kommerziellen Düngemitteln
                       Steigerung der     Verminderung                Förderung von Biodiversität und Nützlingen
                       Wertschöpfung      der Materialkosten
                                                                      Verminderung des Unkrautjätens durch hohe Pflanzdichte
                                          Verminderung                und Mischkultur
                                          der Arbeitskosten           Minimale Bodenbearbeitung
                                                                      Verwendung effizienter, an den Menschen angepasster
                                                                      Werkzeuge
                                                                      Standardisierung (z.B. von Beetgrößen und Prozessen)

ben permanent bestehen. Permanent bedeutet, dass                 auf seinen market garden. Grundlegend geht es um
diese Beetstruktur einmal angelegt wird und dann für             eine effiziente Gestaltung von Methoden und Verfah-
viele Jahre an derselben Stelle bleibt und nur noch die          rensweisen entlang der gesamten Wertschöpfungsket-
dazwischenliegenden Wege betreten werden. Die per-               te. Er unterteilt Arbeitsprozesse in drei Kategorien:
manenten Beete mit guter Bodenstruktur ermöglichen               1. Unnötige Arbeiten, 2. Notwendige Arbeiten, aber
dadurch – je nach Kultur – eine drei- bis fünfmal dich-          nicht direkt beitragend zur Wertschöpfung, 3. Arbei-
tere Pflanzung.                                                  ten, die direkt zur Wertschöpfung beitragen. In der
   Die Förderung eines lockeren, nährstoffreichen                Umsetzung geht es darum, alle unnötigen Arbeiten zu
Bodens erlaubt den Gemüsewurzeln, sich mehr in die               entfernen, alle notwendigen Arbeiten zu verschlanken
Tiefe als seitwärts an der Oberfläche auszubreiten.              und alle die Wertschöpfung steigernden Arbeiten zu
Dadurch wird es möglich, die Abstände innerhalb der              vermehren. Dabei kann dieser Denkansatz sowohl in
Kultur sehr eng zu setzen, ohne dass sich die Pflanzen           der Aufbauphase als auch in der Betriebsphase ange-
im Wurzelbereich gegenseitig behindern. Diese en-                wendet werden.
gen Pflanzabstände führen zu zahlreichen positiven                  In der Aufbauphase spielt die Standardisierung
Effekten: Ein frühzeitiger Reihenschluss (nach circa             eine wichtige Rolle: Beete erhalten eine einheitliche
Dreiviertel des Wachstums) erzeugt ein günstiges                 Länge und werden in Blöcken zusammengefasst.
Mikroklima, verringert das Austrocknen der Boden-                Dies ermöglicht eine einfachere Planung sowohl bei
oberfläche und verhindert durch die Beschattung die              Pflanzmengen pro Beet, in der Vereinheitlichung von
Vermehrung von Beikräutern. Durch die Verwen-                    Kulturschutzutensilien, als auch in der Planung der
dung von Jungpflanzen werden diese Effekte noch                  Kulturrotationen. In der Praxis haben sich Beetbrei-
schneller erreicht. Elizabeth und Paul Kaiser von der            ten von 75 Zentimeter durchgesetzt, da diese noch be-
Singing Frogs Farm in Kalifornien verwenden z. B.                quem in der Hockposition kultiviert werden können.
sehr gut ausgebildete Jungpflanzen, um die Standzeit             Eine effiziente Wegeführung auf dem Betrieb kann
in den Beeten zu minimieren. Dies erlaubt mehr Beet-             überdies viel Zeit über das Jahr hinweg einsparen.
belegungen pro Jahr und damit einen höheren Umsatz                  In der Betriebsphase spielen kontinuierliche Ver-
pro Quadratmeter.                                                besserungen der Arbeitsabläufe eine wichtige Rolle:
                                                                 Was brauche ich wirklich für meine Arbeit, wie halte
Lean Farming                                                     ich stets Ordnung und Übersichtlichkeit, wie verein-
Neben dem Innovationspotential der permanenten                   fache ich Arbeitsabläufe, wie kann ich Wertschöp-
Beete stellt der Ansatz des »Lean Farming« einen wei-            fung steigern? Richard Perkins hat auf seiner Farm
teren wichtigen Hebel zur Steigerung der wirtschaft-             in Schweden alle Arbeitsabläufe mit Zeit-Bewegungs-
lichen Rentabilität eines Betriebs dar. Der amerika-             Studien erfasst. Somit kann er ein fundiertes Control-
nische Landwirt Ben Hartmann überträgt in seinem                 ling seiner Abläufe durchführen und seine Mitarbeiter
Buch The Lean Farm das Konzept, welches ursprüng-                die Abläufe üben lassen. Wichtig ist es dabei zu verste-
lich von dem Gründer von Toyota erfunden wurde,                  hen, dass es nicht um Ausbeutung oder Größenwachs-

                                                                                                                               137
Der kritische Agrarbericht 2021

tum geht. Vielmehr machen diese Maßnahmen über            Beziehungsgeflechts mit dem Betrieb wachsen. Über
das Jahr hinweg den Unterschied aus, ob ich einen         die Solidarische Landwirtschaft, Abokisten, Markt-
»frühen Feierabend, einen Winterurlaub und ein Ge-        schwärmer, Wochenmarkt, Hofverkauf und die Be-
halt über dem Branchendurchschnitt habe, oder eben        lieferung an Restaurants gibt es eine große Vielfalt
nicht« (Richard Perkins).                                 von Absatzwegen, welche den Betrieb resilienter ge-
                                                          stalten können.
Handwerkzeuge                                                Das Innovative liegt somit nicht in einzelnen Maß-
Die Kleinräumigkeit und die Kompaktheit der Beet-         nahmen begründet. Vielmehr geht es um eine ganz-
flächen ermöglichen den Verzicht auf einen Traktor        heitliche Betrachtung auf systemischer Ebene. Im Um-
und die Minimierung von Investitionskosten und            kehrschluss stellt das hohe Maß an Optimierung große
Ausgaben für Betriebsmittel wie Rohölprodukte. Dies       Anforderungen an die Landwirte. Das Management
eröffnet ein weites Feld für Innovationen von leichten    (Anbauplanung, Arbeitsplanung etc.) wird wesentlich
und effizienzsteigernden Handgeräten, ganz im Sinne       komplexer und erhält einen zentralen Stellenwert.
der von dem Philosoph Ivan Illich geforderten convi-
vialen, »dem Leben dienenden« Technologie. So ent-        Beispiele aus Deutschland
steht auch hier eine Symbiose aus bewährten, weiter-
entwickelten Gartengeräten aus der ganzen Welt und        Die strukturelle als auch inhaltliche Umsetzung des
der Erfindung neuer Geräte, vom Einachsschlepper          Konzeptes ist durchaus unterschiedlich. Strukturell
bis zur Grabegabel. Ursprünglich aus solidem Stahl        wird der Ansatz des biointensiven Gemüsebaus auch
hergestellte ein- oder mehrreihig handbetriebene Sä-      von etablierten Gemüsebetrieben übernommen, da
geräte erlangen nun durch eine leichtere Bauart eine      vor allem die arbeitswirtschaftlichen Vorteile im Fein-
einfachere Bedienung. Der aus Japan stammende Pa-         gemüseanbau lohnenswert sind. Ein Market Garden
per Pot Transplanter pflanzt Setzlinge direkt während     kann weiterhin ein mehr oder weniger selbstständi-
der Überfahrt, indem er mit Anzuchtbehältern aus          ger Teil eines größeren Hofbetriebes sein, wenn die
Papier, die nach dem Origamiprinzip gefaltet sind,        Vermarktungsseite hinzukommt. So stellt der Markt-
arbeitet. Diese Lowtech-Maschine kann bei erlernter       garten von Maya und Sebastian Heilmann auf Schloss
Bedienung genauso schnell wie eine Pflanzmaschine         Tempelhof einen Teil der Landwirtschaft dar. Das hier
sein, allerdings ohne fossile Energie. Oder anders ge-    produzierte Feingemüse wird für ihre Solidarische
sagt: Die vorher händische Arbeit kann nun um ein         Landwirtschaft durch einen mulchbasierten Feldge-
Vielfaches effizienter sein. Solche Innovationen finden   müseanbau ergänzt.
entlang der ganzen Wertschöpfungskette statt. Ob              Gerade die niedrigen Investitions- und Betriebs-
pneumatische Plattensämaschinen für die Anzucht,          kosten machen das Mikrofarming-Konzept jedoch
umgebaute Waschmaschinen zum Waschen von                  interessant für den eigenen unternehmerischen Ein-
Schnittsalate oder bohrmaschinenbetriebene Ernte-         stieg in die Landwirtschaft. Denn wenig Fläche und
geräte: Effizienzsteigerung und Arbeitserleichterung      der Verzicht auf teure Maschinen senken die Inves-
für ein gutes Leben in der Landwirtschaft stehen im       titionen auf ein Minimum. Somit kann der Start mit
Mittelpunkt.                                              einem Kapitalbedarf von 20.000 bis 40.000 Euro gut
   Neben diesen landwirtschaftlichen Praktiken ba-        möglich sein.
siert der wirtschaftliche Erfolg auch auf der Optimie-        Vivian Glover vom Gemüsegarten Hoxhol startete
rung aller anderen Bereiche eines landwirtschaftlichen    ihr Projekt 2016 auf einer 3.600 Quadratmeter großen
Unternehmens wie die Verarbeitung bzw. Aufarbei-          Fläche mit einem Startbudget von rund 35.000 Euro.
tung, das Marketing und die Distribution bzw. Ver-        Aufgrund der wirtschaftlichen Rentabilität des Pro-
marktung der Produkte.                                    jekts konnte sie weitere Anschaffungen im Laufe der
                                                          Jahre ohne Verschuldung tätigen. Im Jahr 2019 konnte
Vermarktung                                               sie auf einem Drittel Hektar von April bis März Ge-
Die Art der Vermarktung stellt ein weiteres wichti-       müse für 65 Ernteanteile einer Solidarischen Land-
ges Merkmal der Mikrofarming-Betriebe dar. Dabei          wirtschaft erzeugen.
liegt der Schlüssel zur Steigerung der wirtschaftli-          Sara Knapp und Orfeas Fischer haben 2017 den
chen Rentabilität in der direkten Vermarktung und         Betrieb Weierhöfer Gartengemüse mit Anfangsinves-
in der Diversifizierung von Absatzwegen. Über den         titionen von rund 10.000 Euro gegründet. Auf 2.000
direkten Kontakt mit Kunden ist es möglich, die bei-      Quadratmeter Fläche erzeugen sie rund 30 verschie-
den Hauptunterscheidungsmerkmale zu industriel-           dene Sorten Gemüse für 220 kleine Gemüsekisten (für
len Lebensmitteln darzustellen, nämlich die Frische       zwölf Euro) pro Woche, von April bis Oktober. Für
und die Qualität der Lebensmittel. Kunden können          das Jahr 2020 streben beide einen Jahresbruttolohn
an den Betrieb gebunden werden und als Teil eines         von jeweils 30.000 Euro an.

138
Ökologischer Landbau

    Auf der Ebene der Geschäftsfelder weisen die Mi-         Revival des Kleinen
krofarming-Betriebe verschiedene Ausgestaltungen
auf. Hauptgeschäftsfeld ist meistens ein Marktgarten.        In Deutschland gelangten die Mikrofarming-Ansät-
Viele Betriebe kombinieren diesen mit weiteren Ge-           ze, allen voran das Market Gardening, nach einem
schäftsfeldern wie mobiler Hühnerhaltung (Legehen-           Vortrag von Jean-Martin Fortier 2017 in Fulda zum
nen, Masthähnchen), Streuobst bzw. Agroforst, Feld-          Durchbruch. Waren bereits einige Betriebe von den
gemüseanbau, Pilzzucht, Microgreens, Blumen oder             englisch- und französischsprachigen Pionieren ins-
Gemüsefermentation und können somit als »Mikro-              piriert (z. B. Olaf Schnelle, Sebastian und Maya Heil-
farm« bezeichnet werden.                                     mann oder Vivian Glover), stieg die Anzahl der Neu-
    Jasper de Wit bewirtschaftet seit Ende 2017 den          gründungen ab 2017 rapide an (Stand Sommer 2020:
Helle-Hof in Godelheim (NRW). Neben dem Mar-                 50 Betriebe in Deutschland). Die seit dem Event in
ket Garden als Hauptgeschäftsfeld hat er eine lowtech        Fulda jährlich stattfindende »Marktgarten & Mikro-
mobile Hühnerhaltung aufgebaut, welche er unter              farming Konferenz« bildet für alle aktiven und inte-
anderem mit einer Streuobstwiese kombiniert und              ressierten Menschen seitdem ein Forum zum Aus-
somit ein multifunktionales Agroforstsystem schafft.         tausch und zur Vernetzung.
Weiterhin hat er mehrere Baum- und Strauchreihen                Auch international lässt sich ein Revival des Klei-
in und um seinen Garten gepflanzt, welche ihm nicht          nen feststellen. Einem Bericht der Washington Post
nur für Windschutz und Nützlingsunterkunft sorgen,           zufolge stieg 2017 in den USA zum zweiten Mal seit
sondern auch seine Produktpalette erweitern. Die             den letzten 100 Jahren die Zahl junger Landwirte un-
menschengerechte Ausrichtung und somit die über-             ter 35 Jahren an. Dabei haben 69 Prozent der Befragten
schaubare Größe seiner Mikrofarm ermöglicht ihm              einen Collegeabschluss (mehr als der Landesdurch-
die Integration der vielfältigen Nebenerzeugnisse wie        schnitt), die Mehrzahl hat keinen landwirtschaftlichen
Grünschnitt oder Hühnermist und der Steuerung der            Hintergrund und startet mit kleinen Höfen.13
Synergieeffekte hin zu einem Kreislaufsystem.                   Nach ersten Studien ermöglichen die Mikrofar-
    Im Jahr 2014 hat Olaf Schnelle den Betrieb »Schnelles    ming-Konzepte, einen Lebensunterhalt über dem
Grünzeug« in Grammerdorf (Mecklenburg-Vorpom-                Branchendurchschnitt auf weniger als meist 1,5 Hek-
mern) gegründet. Teil seines Betriebes ist ein Markt-        tar Land zu erwirtschaften14 und gleichzeitig einen
garten auf einer Fläche von 3.000 Quadratmetern.             Lebensstil zu pflegen, der primär auf der Verwirkli-
Er hat sich auf die Fermentierung von Gemüse- und            chung von sozialen und ökologischen Motiven beruht
Wildpflanzen spezialisiert. Somit steigert er die Wert-      (Selbstbestimmtheit, Lebens- und Arbeitsqualität,
schöpfung seiner Urproduktion, z. B. von Kohl, schafft       Sinn und Engagement).15 Für immer mehr junge Men-
ein breiteres Angebot und kann damit vormalige Ern-          schen bilden diese Konzepte einen attraktiven Weg,
tereste verwerten und über die Winterzeit vermarkten.        um in die Landwirtschaft einzusteigen.
    Neben dem klassischen »Grünzeug« kann die                   Auf der Makroebene kann dieses Konzept zu einer
biointensive Anbaumethode auch zum Anbau ande-               Aufwertung des landwirtschaftlichen Berufes führen,
rer Pflanzen, z. B. von Schnittblumen, verwendet und         wieder den Anteil von jungen Menschen und Querein-
somit eine unternehmerische Zukunft im Rahmen                steigern in der Landwirtschaft heben und den ländli-
­einer Mikrofarm ermöglichen. Auf 6.000 Quadrat­             chen Raum durch die Schaffung von Arbeitsplätzen auf-
 meter baut Malin Lüth Schnittblumen an und erfüllt          werten – dem Leben dienlich, statt industriekonform.
 sich somit ihren Traum.

                                                             Anmerkungen
  Folgerungen     &   Forderungen                             1 Statistisches Bundesamt (Destatis): Betriebsgrößenstruktur
                                                                 landwirtschaftlicher Betriebe nach Bundesländern 2019 (www.
                                                                 destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirt-
  ■   Freiräume für Lowtech-Innovationen, statt Industrie­       schaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/
      normen.                                                    Tabellen/betriebsgroessenstruktur-landwirtschaftliche-
  ■   Förderung von lokaler, ökologischer und direkt­            betriebe.html).
                                                              2 A. Deter: Massiver Strukturwandel: DZ-Bank prognostiziert
      vermarktender Landwirtschaft.
                                                                 dramatisches Höfesterben bis 2040. In: top agrar online vom
  ■   Kompost nicht als Abfall betrachten, sondern als           14. Februar 2020 (www.topagrar.com/management-und-poli-
      wichtigen Hilfsstoff zum Aufbau von Bodenfrucht-           tik/news/dz-bank-prognostiziert-dramatisches-hoefesterben-
      barkeit.                                                   bis-2040-11977700.html).
  ■   Anerkennung von Betrieben unter einem Hektar            3 A. Deter: DBV-Situationsbericht: 266.700 landwirtschaftliche
                                                                ­B etriebe in Deutschland. In: top agrar online vom 5. Januar
      als Vollerwerbsbetrieb.                                    2020 (www.topagrar.com/management-und-politik/news/
  ■   Finanzierung von Startinvestitionen.                       266-700-landwirtschaftliche-betriebe-in-deutschland-
                                                                 11946438.html).

                                                                                                                            139
Der kritische Agrarbericht 2021

 4 M. Kipp, M. Heil und J. Planer: Bodenpreise. Wie viel Steigerung        torale No 581: Agriculture, Alimentation, Biologie, Environne-
   ist noch zu ertragen? Bundeszentrum für Ernährung. Bonn 2016            ment et Santé (ABIES).
   (www.bzfe.de/inhalt/bodenpreise-2675.html).                        12   Abbildung entnommen aus: M. Nagel: Kleine Höfe mit revolutio-
 5 Vgl. C. Ehrenstein und C. C. Malzahn: Deutsche Bauern – solide,         närem Potenzial. In: Ökologie & Landbau 4 (2018), S. 36.
   bodenständig, bald pleite. In: Welt vom 11. Mai 2016 (www.         13   C. Dewey: A growing number of young Americans are leaving
   welt.de/politik/deutsch-land/article155248423/Deutsche-Bau-             desk jobs to farm. In: Washington Post online dated 23. Mai
   ern-solide-bodenstaendig-bald-pleite.html)                              2017 (www.washingtonpost.com/business/economy/a-growing-
 6 H. R. Herren, B. Haerlin and IAASTD+10 Advisory Group (eds.):           number-of-young-americans-are-leaving-desk-jobs-to-farm/
   Transformation of our food systems. The making of a paradigm            2017/11/23/e3c018ae-c64e-11e7-afe9-4f60b5a6c4a0_story.html)
   shift. Zürich / Berlin 2020 (www.globalagriculture.org/filead-     14   A. Joeres: Kohl meets Zwiebel. Vielfalt oder Monokultur: Welche
   min/files/weltagrarbericht/IAASTD-Buch/PDFBuch/BuchWeb-                 Landwirtschaft ist sinnvoll und produktiv? Das Experiment
   TransformationFoodSystems.pdf).                                         einer französischen Mikrofarm. In: Die ZEIT vom 29. September
 7 Ebd., S. 19.                                                            2016, S. 41. – Morel (siehe Anm. 11), p. 213 sq.
 8 J. G. Moreau et J. J. Daverne: Manuel pratique de la culture       15   Morel (siehe Anm. 11).
   maraîchère de Paris. Paris 1845.
 9 E. Coleman: The new organic grower. A master‘s manual of tools
   and techniques for the home and market gardener. 2. Edition.
   White River Junction 1995.                                                              Manuel Nagel
10 J. Jeavons: How to grow more vegetables (and fruits, nuts, ber-                         Beratung für regenerative Agrikultur im Rah-
   ries, grains, and other crops) than you ever thought possible                           men der Initiative Farmgrowers und Mitarbeit
   on less land with less water than you can imagine. 8. Edition.                          beim Aufbau eines Mikrofarming-Netzwerkes
   Berkeley 2012.                                                                          in der DACH-Region. Davor mehrere Jahre für
11 K. Morel: Viabilité des microfermes maraîchères biologiques.                            die Stiftung Ökologie & Landbau (SÖL) tätig.
   Une étude inductive combinant méthodes qualitatives et
   modélisation. Université Paris-Saclay. Paris 2016. Ecole Doc-                           manuel@farmgrowers.de

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