Die Saga vom Turm - Bauwelt
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Der Turm führt in Basel einen völlig neuen Maßstab ein: der Bau Eins auf dem Roche-Areal am Rhein. Foto: Ruedi Walti, Lageplan im Maßstab 1 : 7500 Die Saga vom Turm Basel hat ein neues Wahrzeichen: Der Bau Eins von Roche ist das höchste Haus der Schweiz. Doch niemand frohlockt. Was ist geschehen? Eine Rekonstruktion der Ereignisse Text Andres Herzog „Es handelt sich um die gewalttätigste und dent der Bau- und Raumplanungskommission, Aufmerksamkeit garantieren. Darum ein Turm. respektloseste Architektur, die bis jetzt in der sprach von „hochqualitativer Architektur“, einer Und zwar nicht nur der höchste, sondern der Schweiz gebaut wurde.“ Mit diesem Satz wet- „spannenden Form“ und schwärmte vom „Spiel spektakulärste im ganzen Land. terte Carl Fingerhuth 2013 in der „Neuen Zürcher mit der Aerodynamik“. Eindrücklich, avantgardis- Doch dann rüttelte die Finanzkrise die globale Zeitung“ gegen den Roche-Turm in Basel und tisch, ja genial, meinten einige gar. Wirtschaft durch, und plötzlich zählte der harte sorgte damit für hörbares Raunen im Blätterwald. Die Roche-Führung wusste: Architektur ge- Franken mehr als luftige Visionen. Mit der Abzo- Wenn der ehemalige Kantonsbaumeister mit hört zum Geschäft. Das haben Firmen weltweit ckerschelte änderten sich zudem die Vorzei- solchen Worten über das neue Wahrzeichen der begriffen, auch in Basel. Mit Stahl und Beton chen: Die Hochhaus-Pläne drohten als überheb- Stadt herzieht, ist etwas im Argen. Dabei hatte verleiht man in einer Welt aus Bits und Tweets liche Geste, als Hybris des obersten Prozentes alles doch so gut angefangen. der eigenen Ausstrahlung Gewicht. Novartis, der verstanden zu werden. 2008 begrub die Roche- Als Roche 2006 erstmals Herzog & de Meurons zweite Pharmariese in der Stadt, der mit Roche Spitze hastig das tollkühne Projekt und schickte Pläne für das Bürohochhaus vorstellte, herrschte um Patienten und Expats konkurriert, hatte es die Architekten zurück an den Zeichentisch. Ein Freude. Ihr Entwurf war nichts weniger als eine mit seinem Campus vorgemacht, den vielzitierte Jahr später präsentierten diese den neuen Ent- Tollkühnheit. Spiralförmig schwang sich der Turm Architekten mit ihren Kreationen schmückten. wurf. Dieser war zwar 18 Meter höher, sonst aber in die Höhe und erinnerte an die Doppelhelix des Roche wurde nervös. Ab den 1930er Jahren hat- vor allem eines: bescheidener. Die geschwunge- menschlichen Gens. 8000 Fensterformate um- ten die Architekten Otto R. Salvisberg und Roland nen Linien verwandelten sich in gerade Kanten hüllten die 160 Meter projektierte Waghalsigkeit. Rohn die Baukultur der Firma mit reduzierten, wie in einer Exceltabelle. Ein Zeichen für Fortschritt. Für Aufbruch. Für sorgfältigen Entwürfen geprägt. Doch im neuen Wie es zu der Form kam, hat die Öffentlichkeit Eleganz. Das Publikum war begeistert, alles lief Zeitalter musste ein Gebäude nicht nur Dauer- nie erfahren. Es gab keinen Architekturwettbe- nach Plan. Andreas Albrecht, der damalige Präsi- haftigkeit ausstrahlen, sondern auch schnelle werb, wie dies bei den meisten Hochhäusern in 16 THEMA Bauwelt 11.2016 Bauwelt 11.2016 THEMA 17
der Schweiz der Fall ist. Der Auftrag ging direkt an Herzog & de Meuron. Laut Roche hat das Büro 80 Volumenstudien erstellt, die aber nie publi- ziert wurden. Die Architektur wurde quasi als Notwendigkeit vorgestellt. Die Höhe ergab sich aus der Fläche, die Roche für die 2000 Arbeits- plätze benötigt, welche die Firma im Turm zusam- menzieht. Grundlage für die abgetreppte Form ist laut den Architekten das „bebaubare Licht- raumprofil“. Die wenigen Reaktionen klangen nach Ernüchterung. Die „Basler Zeitung“ sprach zurückhaltend von einer „neuen Sachlichkeit“, „begeistert“ zeigte sich gewissenhaft nur noch Konzernchef Severin Schwan. Fehlende Debatte Ob geschwungen oder abgetreppt: Carl Finger- huth hat mit dem Turm ein generelles Problem. Das Roche-Areal liegt am Rhein, nur einen Stein- wurf von der Kleinbasler Altstadt entfernt neben dem Tinguely Museum. „Die Stellung eines sol- chen Akzents so nah an der Altstadt finde ich grundsätzlich falsch“, legte Fingerhuth in einem Interview mit „Schweiz am Sonntag“ 2014 nach. „Er schadet dem Stadtbild.“ Basel verliere damit seine einmalige Identität mit der Pfalz und der Altstadt direkt am Rheinufer. Mit dem Roche-Pro- jekt werde das Stadtbild globalisiert. „Der Stapel sagt überhaupt nichts über Roche aus.“ Das Frappante dabei: Herzog & de Meuron selber zeigen sich mitunter sehr empfindlich, was das historische Stadtbild angeht. Als sie beim Die gebänderte Fassade betont die Horizontale, Wettbewerb für den Ausbau des Uni-Spitals Ba- unten fließt der Rhein. sels auf dem zweiten Platz landeten, wehrten Der Wolkenkratzer am Rhein ist schweizweit relevant. Fotos: Roche sie sich vehement gegen das Siegerprojekt von Giuliani & Hönger Architekten, die einen 60-Me- Er könnte in anderen Städten Tür und Tor öffnen ter-Turm vorschlugen. Jacques Herzog bezeich- für Türme, die den Maßstab ähnlich radikal sprengen nete die Turmlösung als „völlig unverständlich“. Natürlich würden sie den Entscheid akzeptie- ren, gab das Büro per Medienmitteilung bekannt. leisten“, nickte die Bau- und Raumplanungs- Höhe ist“. Und wurde am Schluss melancholisch: Türme, einer davon ist mit 205 Metern nochmals Mit den Ausbauplänen sind die Befürchtungen Ihnen gehe es um eine Diskussion, so Pierre de kommission in Ehrfurcht vor dem Pharmariesen. „Es ist, als ob die Roche der Stadt den Himmel deutlich höher als der erste. Seine Erscheinung des grünen Großrates Thomas Grossenbacher Meuron, „ein normaler und grundsätzlich konst- Auch die Stadtbildkommission legte kein Veto gestohlen hat.“ Doch die Empörung kam zu spät. gleicht exakt der des ersten Turms: Eine skalier- eingetroffen, der schon 2010 mahnte, der Roche- ruktiver Vorgang“. ein, obschon die Meinungen laut Insidern ausein- Längst war das Projekt in Beton gegossen. te Kopie. Turm dürfe „kein Präzedenzfall werden für ähnli- Doch eine solche blieb beim Roche-Turm weit- andergingen. Im Gleichschritt marschierte Ba- Abermals blieb Kritik aus. Die Politiker jubel- che Mammutbauten in Basel“. Dabei ist der Wol- gehend aus. Kaum ein Architekt wagte, die Ro- sel Richtung neues Wahrzeichen. Der Spielraum Unantastbare Pharmariesen ten ob der Prognose, dass Roche kräftig in den kenkratzer am Rhein schweizweit relevant. Er che-Pläne öffentlich zu kritisieren. Schließlich für eine städtebauliche Diskussion sei von Be- Standort investiere, insgesamt dreieinhalb Milliar- könnte in anderen Gemeinden Tür und Tor öff- gehört die Firma zu den wichtigsten Bauherren ginn weg sehr klein gewesen, weil die politische Dabei hätte es dringend einer öffentlichen Aus- den Franken. Sie lobten die Hochhausstrategie, nen für Bauprojekte, die den städtebaulichen in der Stadt. Einer der wenigen war der Archi- Bis 2022 soll das Areal zu Unterstützung dermaßen ausgeprägt gewesen einandersetzung bedurft. Der Turm ist fast von denn sie spare Boden und bewahre so die Land- Maßstab ähnlich radikal sprengen. Warum soll- einem Cluster mit Hoch- tekt Ingemar Vollenweider, der in der Zeitschrift sei, zitiert die „Tages-Woche“ Fritz Schuhmacher, jeder Stelle in Basel zu sehen. Wer so brachial schaft vor den Betonmischern. Doch sie wussten ten Nestlé oder die UBS ihre wirtschaftspoliti- häusern werden, das eine „Hochparterre“ 2010 von einem „formal rück- davon mit 205 Metern den damaligen Kantonsbaumeister. ins Stadtbild eingreift, muss sich Kritik gefallen auch: Wer so hoch baut, der spielt seine Macht sche Macht nicht ebenso wuchtig im Stadtbild wärtsgewandten Turm“ sprach, „der Eingliede- nochmals deutlich höher Die Debatte blieb aus, selbst als der Rohbau lassen. Doch diese Haltung ist typisch für Basel: aus. Martin Steinmann, Präsident der Stadtbild- darstellen? Was hält andere Architekten davon rung vortäuscht, aber singulär bleiben wird“. als der Bau Eins. stand. An der Podiumsdiskussion, zu der das Die beiden Pharmariesen Roche und Novartis kommission, gab 2014 gegenüber der „Basler ab, wenn das weltberühmte Büro aus Basel es Nur drei Parlamentarier stimmten im Großen Schweizerische Architekturmuseum Anfang 2015 sind unantastbar. Zu groß ist ihre wirtschaftliche Zeitung“ offen zu, dass es bei diesen Investitio- vormacht? Welche Argumente bleiben da einer Rat gegen den Turm, im Sommer 2010 wies die einlud, wollte weder ein Vertreter von Roche Bedeutung. Auch als Novartis für seinen Cam- nen um wirtschaftliche, politische und soziale Stadtbildkommission überhaupt noch? Regierung alle 19 Einsprüche gegen den Bebau- noch von Herzog & de Meuron teilnehmen. Erst pus eine Straße privatisierte, gab es keinen Auf- Fragen gehe. Und zwar von einer Wichtigkeit, bei „Wir leben in einer Zeit, in der alle Traditionen ungsplan ab. Fast zeitgleich präsentierte die kurz vor der Eröffnung meldeten sich kritische schrei. Nun tut Roche dasselbe mit dem Himmel. der das Stadtbild weit hinten anstehen müsse. und Regeln zerstört worden sind“, sagte Jacques Stadt ein Hochhauskonzept mit ausgewiesenen Stimmen zu Wort. Voller Zorn schrieb Michael Dabei ist der Bau Eins erst der Anfang. Bereits „Ob das Projekt jemandem gefällt oder nicht, ist Herzog vor ein paar Jahre in einem Interview. Arealen, das den Roche-Turm im Nachhinein legi- Bahnerth in der „Basler Zeitung“ an gegen diesen 2014, lange bevor das Hochhaus eingeweiht wur- in diesem Zusammenhang schlicht nicht rele- „Deshalb muss sich die Architektur bei jedem ein- timierte. „Roche darf sich diese Art der Präsenz „Turm ohne Charakter, dessen Größe nur die de, verkündete die Firma ihre Pläne für weitere vant“, so Steinmann. zelnen Projekt die Regeln wieder selber geben.“ 18 THEMA Bauwelt 11.2016 Bauwelt 11.2016 THEMA 19
Architekten 1 Haupteingang Abbildungen rechte Seite: Beim Roche-Turm lautet eine davon: Höher als Die hellen Großraumbüros Herzog & de Meuron, Basel 2 Auditorium die anderen. Die Pharmafirmen stehen über der sind mit perforierten Stell- 3 Restaurant wänden zoniert (links). Stadt, über allem. Doch Roche weiß: Die Höhe Projektarchitekten Auf jedem zweiten Geschoss ist ein heikles Thema. Mit keinem Wort erwähnte 4 Cafeteria Jacques Herzog, Pierre de können die Mitarbeiter auf der Pharmakonzern bei der Eröffnung im Herbst 5 Technikgeschosse Meuron, Stefan Marbach der Terrasse Höhenluft 6 Kommunikationszonen schnuppern (rechts dane- vergangenen Jahres den Schweizer Rekord. Kon- Mitarbeiter GR 38., 31., 22., 5., 2. Ober- ben). zernchef Severin Schwan sprach geflissentlich geschoss, Erdgeschoss Fotos: Roche von einer „evolutionären Entwicklung“ am Stand- Michael Fischer, Stefan Segessenmann, Mirjam und Schnitt im Maßstab ort Basel und verwies auf die Tradition seit Otto Imgrüth, Falk Schneemann, 1 : 1000 In der Cafeteria im 38. Stock Rudolf Salvisberg. „Ein Höhenrekord ist weder Barbara Zeleny, Florian 0 20 spielgelt sich die grandiose Becker, Martin Knüsel, für Roche noch für uns Architekten ein Thema“, Aussicht an den Wänden Nathalie Rinne, Tanja erklärte Jacques Herzog. Natürlich sei dieser (Mitte). Thomae, Caesar Zumthor Die bis zu dreigeschossi- Maßstab neu für Basel und die Schweiz. „Aber gen Kommunikationszonen Generalplanung das hat nichts mit Macht zu tun“, meinte Herzog. durchbrechen luftig die Drees & Sommer Schweiz, Vertikale (unten). Und fügte an: „Wir leben nicht mehr im 20. Jahr- Basel Fotos: Ruedi Walti, Roche hundert.“ 5 Bauherr F. Hoffmann-La Roche, 4 Basel Investitionskosten 550 Mio. Franken 6 6 Der Büroberg Der Bau Eins ist ein Riese, jedenfalls für Schwei- zer Verhältnisse. 178 Meter ragt er am Rheinknie hinauf, 111 Meter höher als das Basler Münster, 6 73 Meter himmelsnaher als der Messeturm, 52 Meter länger als der PrimeTower in Zürich, das 6 bisher höchste Haus im Land. Doch die Archi- tektur will das Gegenteil. Mit dem abgetreppten 6 Volumen versuchen Herzog & de Meuron das Roche-Massiv mit der Stadt zu versöhnen. Auch 5 die weißen Brüstungsbänder führen die Bautra- dition fort, die zurückgeht auf Otto Rudolf Salvis- berg und Roland Rohn. Doch damit negiert sich das neue Wahrzeichen ein Stück weit selbst: Es 6 ist ein Turm, der nicht hoch sein will. Ein Hoch- haus nicht als vertikale Spitze, sondern als hori- zontale Stapelung von Geschossen. 6 Im Inneren überrascht der Turm mit Großzü- gigkeit. Zwei- und dreigeschossige Aufenthalts- 6 bereiche durchbrechen die Stapelung auf fast jedem Stockwerk, was die Zusammenarbeit er- leichtert. Und dank der Terrassen auf jedem 6 zweiten Geschoss ist hier niemand im Elfenbein- turm gefangen. Roche baut hoch – und wertig. 4 Perforierte Trennwände gliedern die hellen Groß- 3 raumbüros. Im Flur liegt Eichenparkett, in der 2 Lobby Terrazzo. Der Höhepunkt ist die Cafeteria im 38. Stock, welche die Aussicht wie im Spie- 1 gelkabinett allseits reflektiert. Zugänglich ist sie nur für Mitarbeiter. Interessierte können sich aber für Rundgänge durch den Bau und die Fir- mengeschichte anmelden. 5 20 THEMA Bauwelt 11.2016 Bauwelt 11.2016 THEMA 21
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