Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
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GGG 2021 I 3 .. DieSchule für alle 50 Jahre Gesamt-/Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein Das Magazin GGG
50 Editorial Liebe Mitglieder der GGG, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Leserinnen und Leser, 50 Jahre Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschule sind eine mehr als erfolgreiche Geschichte, auf die alle daran Beteiligten und davon Betroffenen stolz sein können. Trotz anfänglicher Ablehnungen, massi- ver Verunglimpfungen und Diskriminierungen haben die ersten Gesamtschulen durchgehalten. Und sie haben nicht nur durchgehalten, sie haben Schule zu einem Hort von Innovationen gemacht, die sich in Schleswig-Holstein wie ein Schub an Reformpädagogik ausnehmen. Die qualitative und die quantitative Entwicklung durch die Errichtung zahlreicher Gemeinschafts- schulen aufgrund der Zusammenlegung von Real- und Hauptschulen hat zu einer stetigen Verände- rung und Verbesserung von Unterricht geführt. Lernen im Ganztag, Umgang mit heterogenen Dr. Christa Lohmann Lerngruppen, Differenzierung und Individualisie- ehem. Vorsitzende der rung, Inklusion, Lernentwicklungsberichte, die Landes- und Bundes- Susanne Graf Gleichwertigkeit von Technik / Wirtschaft mit den GGG ehem. Stufenleiterin Sprachen, integrierte Fächer wie Weltkunde und an der Toni-Jensen- Naturwissenschaften u.a.m. sind Markenzeichen Gesamtschule in Kiel sehr vieler der anfangs geschmähten Gesamt- und Gemeinschaftsschulen. Schon 1982 stellte ein SPD-Arbeitskreis fest, wie diese neue Schule auf das traditionelle Schulwesen eingewirkt habe, wenn in Gymnasien jetzt Projektwochen stattfän- den. Und dieser Einfluss hat sich fortgesetzt. Nicht zuletzt haben die neuen Schulen von der mas- siven Unterstützung durch die GGG profitiert, die Cornelia Östreich Initiativen gegründet, Veranstaltungen zur Fort- Lehrerin an der bildung angeboten und durch ihre Netzwerke den Ida-Ehre-Schule, Zusammenhalt unter den Schulen gestärkt hat. Gemeinschaftsschule in Bad Oldesloe Auf den folgenden Seiten können Sie, liebe Leserin- DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum nen und Leser, einen Eindruck von dieser Schulge- schichte gewinnen, die Rückblicke und Einblicke ver- bindet, ohne die Perspektive zu vernachlässigen, wie Schulen in Zukunft gestaltet sein müssen, um ihr Ziel des gemeinsamen, für alle Schülerinnen und Schüler erfolgreichen Lernens zu erreichen. Editorial 1
Grußworte Liebe Mitglieder der GGG, liebe Leserinnen und Leser, Liebe Leserinnen und Leser, vor 50 Jahren wurde die heutige Gemeinschaftsschule Neumünster-Brachenfeld als erste Gesamtschule in Schleswig-Holstein gegründet – herzlichen Glückwunsch zum runden Geburtstag! Heute sind die Gemeinschaftsschulen eine zentrale Säule unseres Bildungs- mit der Gründung der ersten Ge- gerichtet. Aufgrund der 1. PISA-Studie systems. samtschule in Schleswig-Holstein 2000 erlebte die Bewegung eine wei- vor 50 Jahren begann die Entwick- tere Beschleunigung. Da der Begriff Gerade in diesem außergewöhnlichen Jubiläumsjahr bin ich den Gemeinschaftsschulen lung unserer heutigen Gemein- „Gesamtschule“ ob der alten Debat- sehr dankbar für ihre wertvolle Arbeit. Denn in der Pandemie ist die Frage der Bildungsge- rechtigkeit zu einer noch größeren Herausforderung geworden. Leistungsschwächere schaftsschulen. Dazu gratuliere ich ten zwischen CDU und SPD als zu be- Kinder sind stärker von den Auswirkungen der Schulschließungen betroffen als die leis- ganz herzlich! lastet empfunden wurde, entstanden tungsstärkeren Schülerinnen und Schüler. Deshalb werden wir es auch nach der Pande- nun mehr und mehr „Gemeinschafts- mie mit einer größeren Ungleichheit zu tun haben. 1919 schon ging die SPD mit dem schulen“. Serpil Midyatli Vorschlag einer achtjährigen, koe- Landesvorsitzende Unser Hauptaugenmerk liegt jetzt darauf, diejenigen aufzufangen, die unter der Krise be- dukativen, weltlichen Schule für der SPD in Schleswig- Was kennzeichnet diese Schulart? sonders leiden. So haben wir zum Beispiel zum 1. Februar das Programm „Lernchancen“ alle Kinder in die Verhandlungen Holstein Es geht immer darum, Schüler*innen aufgelegt, damit die Schülerinnen und Schüler mit zusätzlicher Unterstützung im Laufe zur Weimarer Reichsverfassung. dort abzuholen, wo sie stehen, ihre Po- des zweiten Halbjahres ihre Ziele besser erreichen können. Für die Sommerferien 2021 Durchgesetzt werden konnte da- tentiale zur Entfaltung zu bringen und planen wir ein Lernangebot, für das wir auch auf unsere Erfahrungen aus dem Lernsom- mals – immerhin! – die gemeinsame Grund- sie zu selbstbewussten, demokratisch orientier- mer 2020 zurückgreifen. Außerdem haben wir unser PerspektivSchul-Programm, von dem besonders die Gemeinschafsschulen profitieren, weiter ausgebaut. schule für alle. Die im 19. Jahrhundert den Er- ten Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen. fordernissen der arbeitsteiligen Industriege- Schulen müssen für alle Schüler*innen passend Ich danke allen Schulleitungen und Lehrkräften, die mit uns gemeinsam auch in der Krise sellschaft entsprechende rigide Gliederung des sein, nicht umgekehrt. Das schließt Selektion, daran arbeiten, gleiche Bildungschancen für alle Schülerinnen und Schüler zu ermögli- Schulsystems blieb im nationalsozialistischen Sitzenbleiben und Schrägversetzungen aus. Die chen und dafür Sorge zu tragen, dass es keine Bildungsverlierer gibt. Dieser Dank gilt Ständestaat zementiert und überdauerte bis in Schulen stellen sich der entscheidenden gesell- ganz besonders unseren Gemeinschaftsschulen. Sie leisten schon immer Pionierarbeit die Debatten der 1960iger Jahre. Im Gegensatz schaftlichen Verantwortung für den Lern- und beim Umgang mit einer sehr unterschiedlichen Schülerschaft und haben Heterogenität zu den meisten anderen Ländern, die ihr Schul- Entwicklungsprozess von Kindern und Jugend- früh als Chance entdeckt. system umstellten, entstand aber aus der ge- lichen. Heterogenität und unser aller Verschie- sellschaftlichen Debatte in der damaligen Bun- denheit wird als Chance begriffen, nicht als Pro- Diese Erfahrungen können uns jetzt helfen, die Krise gut zu bewältigen. Der richtige Um- desrepublik kein Konsens. In allen Bundeslän- blem. In einer modernen, zukunftsorientierten gang mit Vielfalt ist ein zentraler Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Das dern wurden lediglich Schulversuche zur Erpro- Gesellschaft muss dies die Messlatte für die ist die Chance die wir jetzt gemeinsam ergreifen müssen. bung der Schulart „Gesamtschule“ eingerichtet Weiterentwicklung unseres Schulwesens sein. Ich wünsche unseren Gemeinschaftsschulen für die Zukunft viel Erfolg bei ihrer gesell- – einer davon in Neumünster. schaftlich so wichtigen Arbeit. Die GGG als Zusammenschluss der Schulen des 1988, mit dem Regierungswechsel zu Björn gemeinsamen Lernens leistet einen entschei- Engholm, wurde spürbar, wie sehr die Idee der denden Beitrag für die Entwicklung erfolgrei- Herzliche Grüße Gesamtschule viele Eltern überzeugt. Ihren In- cher Schulen. itiativen an vielen Orten ist zu verdanken, dass DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum über 20 Gesamtschulen der 2. Generation Vielen Dank dafür! entstanden – meist reformpädagogisch aus- Portrait: Fotograf Frank Peter Karin Prien Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein Ministerin Karin Prien 2 Grußworte 3
Kooperation mit Eltern EditorialI Dr. Christa Lohmann .......1 I Susanne Graf I Cornelia Östreich Eltern engagieren sich I Dieter Zielinski .......37 Grußworte I Karin Prien I Serpil Midyatli .......2/3 I Anke Sammler I Thorsten Muschinski Die Gründerjahre Pädagogische Innovtion Hallo Bernhard nach Neumünster .......7 Lernen im Ganztag I .......40 I Dr. Christa Lohmann I Bernd Brackhahn Barbara Münz-Wiedemann Wie ging es los in Kiel? .......8 Vielfalt ist normal - Inklusion .......42 I Sönke Boysen I Susanne Graf Historisches aus dem Schatzkästchen... .......11 Neue Wege in der Berufs- und Studien- .......44 I Dr. Christa Lohmann I Herwig Grau orientierung Über 7 Brücken musst du geh‘n... .......12 I Kerstin Gatermann I Christian Wolf I Jürgen Backhaus Soziales Kompetenztraining in Klein- .......46 Gesamtschulen der zweiten Generation .......14 gruppen I Anke Stüber-Peterka I Renate Holfter Weltkunde – fünfzig Jahre Entdeckungs- .......47 Die Gesamtschulinitiative Kiel .......16 fahrt... I Johann Knigge-Blietschau I Ursula Tolkmit NaWi – Pro & Contra I Karl-Martin Ricker .......50 zum Inhalt Gesamtschul-Initiativen .......18 Leistungsbeurteilung im Dialog .......52 I Dr. Christa Lohmann I Lisa Kunze Unterricht anders getaktet .......54 Die Schulstruktur-Reform in SH I Görge Schüchler Von Gesamt- zu Gemeinschaftsschulen .......20 Schule ohne Rassismus .......57 I Klaus Mangold I Lennard Hamelberg I Malte Richert Auf dem Weg zu der einen Schule .......22 Aktuelle Herausforderungen für alle I Ute Shabanpoor Gemeinschaftsschulen mit und ohne .......60 Die Unterstützer Oberstufe I Cornelia Östreich Das Landesseminar .......25 In der Oberstufe einer Gemeinschafts- .......62 I Barbara Soltau I Brigitte Rieckmann schule I Cornelia Östreich Die Arbeitsgemeinschaft der .......27 Perspektivschule als Programm .......64 Schulleiter*innen (ALG) I Herbert Janßen I Maren Schramm Mitglieder der ALG berichten .......29 Digitalisierung... I Lars Ziervogel .......65 GEW gründet Fachgruppen .......30 Schuljubiläum ohne Feier I Thore Schwilp .......68 I Dirk Söhren I Heike Brunkert Politische Akzente Ehemalige Schüler*innen Die GGG – ein Fels in den Gezeiten der .......70 Von der Prognose Förderschule zum .......33 Schulsystementwicklung in SH Abitur - ein langer Weg I Stella Tsagkalidis I Dieter Zielinski Als die Gesamtschule noch riesig war... .......34 Aktuelle Herausforderungen für die .......73 I Dr. Rainer Lohmann Gemeinschaftsschule I Dieter Zielinski Mit vier Geschwistern und der Mutter ge- .......35 Gesamt-/Gemeinschaftsschule in SH .......76 meinsam an der „Toni“ I Johannes Langrehr I Dr. Joachim Lohmann Schlusswort .......80 5
Erste und zweite Generation Hallo Bernhard nach Neumünster Christa Lohmann Bernhard: Ja, manche Christa: Toll finde ich, Bern- und Bernd Brackhahn Schulkonferenzen waren ent- hard, wie viele Details dir noch prä- Gründerjahre haben ein Gespräch über die täuschend, liefen nicht so, wie sent sind. Aber ehe ich dich jetzt Erfahrungen des 1. Schulleiters ich es mir gewünscht hätte. Ein aus unserem Gespräch entlasse, Bernhard Brackhahn an der IGS Neumünster-Bra- Teil der Arbeit des Kollegiums habe ich noch eine ganz entschei- 1. Schulleiter chenfeld geführt fand in der regelmäßig fest an- dende Frage. Wie sieht dein schul- der IGS Neumünster- Sönke Boysen gesetzten Fachgruppenarbeit politisches Fazit aus? Brachenfeld ehem. Lehrer der IGS statt und vielen war die Termin- Kiel-Friedrichsort Christa: Ich habe eben deine dichte zu eng. Bernhard: Natürlich haben Erinnerungen an die Gründungs- Das wollten sie nicht, und ich wir uns immer die „Gesamt- Hier werden Erinnerungen jahre der IGS Neumünster gelesen, fragte mich, wie das weiterge- schule für alle“ gewünscht. Das wach und das mit Herzblut, die mich sehr beeindruckt haben. hen sollte. war unter den gegebenen Be- wie es denn war, als die ers- (s. QR-Code) Vor allem freue ich dingungen nirgends möglich. ten beiden Gesamtschulen mich über dein Fazit, dass du trotz Christa: Du schreibst in dei- Die Versuchsschulen IGS Neu- eines fast stetig scharfen Gegen- nem Bericht davon, dass es auch münster, IGS Kiel-Friedrichsort Anfang der 70er Jahre in windes sagen kannst, „… möchte manche falsche Entscheidung gab. und KGS Elmshorn mussten sich Neumünster und Kiel errich- ich während dieser Zeit meiner be- Magst du darüber sprechen? als „überlebensfähige“ Schulart tet wurden. ruflichen Tätigkeit keinen Tag mis- beweisen. Das taten sie auch! Und lesen Sie auch, welche sen“ und lobst das große Engage- Bernhard: Ich habe mit- Sie boten in den zurückliegen- Herwig Grau Entwicklungen und Schwie- ment des Kollegiums, den Team- unter einen Kollegen zu emoti- den Jahren wenn schon nicht ehem. Koordinator der rigkeiten die 80er Jahre mit geist und die Schule als Ort kreati- onal angefasst, was ich hinter- die Blaupause, so doch Anlass IGS Kiel-Friedrichsort Jürgen Backhaus sich brachten. ver Gestaltung. her bereut habe. Einmal hatte und Voraussetzung für die Sys- ehem. Lehrer an der Was für eine Situation oder welche ich einen Kollegen zum Ge- temänderung über Regional- Geschwister-Prenski-Schule, Erlebnisse kommen dir spontan in spräch gebeten, das nicht gut schulen zur heutigen Gemein- Lübeck den Sinn, wenn du jetzt an die IGN- endete. Wir gingen im Dissens schaftsschule. Zeit denkst? auseinander. Am Ende des Tages bin ich dann nochmal Lieber Bernd, ganz herzlichen Bernhard: Die Verleum- zu ihm hin. Ich bat ihn erneut Dank für das Gespräch und dir dungen waren schlimm, schu- zum Gespräch, weil ich das vo- persönlich weiterhin alles Gute. fen extrem schwierige Situati- rige nicht so stehen lassen woll- onen. Und obgleich das Kolle- te, und stieß auf offene Ohren. gium und die Eltern hinter mir standen, hatte ich manchmal Christa: In ein solches In- Angst, dass der Laden ausein- terview gehört natürlich auch die anderfliegt. Frage: Was war dein größtes Er- Renate Holfter Schulleiterin der RHS folgserlebnis? Trappenkamp Christa: Gab es handfeste Dr. Christa Lohmann Enttäuschungen für dich? Bernhard: (schneller mit DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum ehem. Landes- und der Antwort als vorher): Unser Bundesvorsitzende erstes Abitur, es war angemes- der GGG sen durchgeführt und es war von der Schulaufsicht bestätigt. Wie eine Erfolgswelle lief die Freude durch das Kollegium. Es war einfach toll. Die Gründerjahre 7
Wie ging es los in Kiel? Lohmann zum neuen Schullei- Schüler, erinnert sich: „Wichtig ter vom Schulamt der Stadt Kiel war für mich in der Aufbausitua- gewählt und bestätigt. Damit tion, dass ich in alle Konferenzen Sönke Boysen Die Genehmigung der Sekundarstufe II in Pries- hatte die integrierte Gesamt- eingebunden war und mich ein- Ende 1970 lud der damalige Stadtschulrat, Friedrichsort wurde an die Bedingung geknüpft, schule ihre vom Gründungskol- bringen konnte, z. B. an der Ent- Joachim Lohmann, zu einem Vortrag über dass an der Gesamtschule mindestens 100 Schü- legium angestrebte Form gefun- wicklung von Leitlinien für künfti- eine zu gründende Gesamtschule in lerinnen und Schüler für die Oberstufe qualifiziert den. Der Schulbetrieb konnte ge Sozialpädagogik.“ Kiel-Friedrichsort ein. Der Undine-Saal wären. mit einem hoch motivierten und idealistischen Kollegium starten! Das erste große Schüler- des Rathauses quoll über. Die SPD - Fraktion im Landtag forderte deshalb projekt Es gründete sich ein Gesprächskreis aus einen neunzügigen Ausbau. Das wurde von der 30.8.1972, 9:00 Uhr, Tag der So war es dann auch selbstver- Gewerkschaften, mit Vertretern der MAK CDU, die über die Mehrheit im Landtag verfüg- Einschulung ständlich, dass besonders die (Maschinenbau Kiel) und dem Pastor von te, abgelehnt; sie genehmigte einen Ausbau bis 237 Schülerinnen und Schüler Schüler*innen ihre Ideen und Pries-Friedrichsort, dessen erklärtes Ziel zu sieben Parallelklassen. sowie 16 Lehrerinnen und Leh- Wünsche für die Freizeitgestal- es war, die Situation im vernachlässigten rer sind auf dem Schulhof der tung einbringen konnten. So Das Kultusministerium befürwortete zunächst nur Heinrich-von-Stephan-Schule wünschten sie sich Projekte, in Stadtteil zu verbessern. eine starke äußere Leistungsdifferenzierung und versammelt. An alle Schülerin- denen sie sich ausprobieren, ei- lehnte auch für den Wahlpflichtbereich eine nen und Schüler werden Brief- genständig handeln und (mit-) In der Chronik des Gesprächskreises heißt es im Gleichwertigkeit von Technik und Wirtschaft mit umschläge mit dem eigenen entscheiden konnten. Vorwort: „Die Kieler Ratsversammlung hatte be- den Fremdsprachen ab, kam aber später der Namen und einer Zeichnung reits (…) mit einstimmigem Beschluss die Errich- Stadt und dem Gründungskollegium entgegen. von einem Segelschiff verteilt. Eine ausgefallene Idee von tung einer Gesamtschule als Schulversuch beim Sie sollen damit die Räume fin- ihnen war z. B., an alten Autos zu Kultusministerium beantragt. Diesen Beschluss Eine Planungsgruppe musste her den, in denen sie in Zukunft un- basteln, zu schrauben und sich mit allen Mitteln zu unterstützen und Pries-Fried- Zusätzlich zu diesem Gesprächskreis wurde nach terrichtet werden und an deren auszuprobieren, und zwar Schü- richsort als Standort zu fordern, war die erste Auf- der Undine-Veranstaltung auch von der Stadt Türen dieselben Zeichnungen zu ler und Schülerinnen gemein- gabe, die sich der Gesprächskreis Pries-Fried- eine Planungsgruppe gegründet. Hier diskutier- finden sind, denn in Kiel hat die sam. Schulleitung und Lehrerkol- richsort, der sich an jenem Abend (12.11.1970) ten Lehrkräfte, Wissenschaftler, Eltern und Schü- Segelolympiade begonnen und legium waren unter besonderen konstituierte, vornahm.“ ler*innen die allgemeinen Lernziele der künftigen die Neuankömmlinge sollen die Sicherheitsvorkehrungen bereit, Gesamtschule. Aus dieser Gruppe ging zum Teil Schule kennenlernen. Die Kern- das Projekt zu unterstützen. Das Kultusministerium genehmigte die Gesamt- das Gründungskollegium hervor. gruppen sind vorher eingeteilt schule Pries-Friedrichsort – allerdings nur als Halb- worden, und zwar nach den Götz Salisch kommentiert in tagsschule und ohne eine Oberstufe. Das neue Kollegium bemühte sich, die vorher Grundschulgutachten gemischt. der Rückschau: „Über meine besprochenen Ideen in die Wirklichkeit umzuset- Jede Kerngruppe hat eine Tuto- Kontakte zum Marinefliegerge- Diese Entscheidung rief etliche Protestveranstal- zen. Selbstständiges und angstfreies Lernen war rin und einen Tutor. schwader (MFG) in Kiel-Holte- tungen in der Turnhalle der Heinrich von Stephan ein alles überragender Gedanke. Der Unterricht nau kam das erste ausrangierte Schule hervor. Gemeinsam mit Stadtschulrat sollte so interessant sein, dass alle Schülerinnen Mittags gehen die Schülerinnen Auto per Militärkranwagen auf Joachim Lohmann setzte man sich nachhaltig und Schüler ihn der Freizeit vorzogen. Im Unter- und Schüler, Lehrerinnen und den Schulhof - eine Sensation! Es für eine Schule als Ganztagsschule mit Oberstu- schied zu Haupt- und Realschulen gab es Fächer Lehrer gemeinsam zur MAK, um war ein dunkelblauer VW-Käfer fe ein. wie Technik, Naturwissenschaften oder Weltkun- dort das Mittagessen einzuneh- noch mit „Brezelheckscheiben“. de. Diese boten den Schülerinnen und Schülern men. Die Stadt und der Gesprächskreis erreichten Abwechslung von „klassischen“ Fächern wie Eine der ersten Aktivitäten schließlich durch ihren Einsatz die Zusage des Deutsch oder Mathematik. Eine Besonderheit unserer Schu- waren simulierte „Ausfahrten“ im Kultusministeriums für die Einrichtung einer Ganz- le ist der Ganztags- und Frei- vollbesetzten VW - die Jungen tagsschule mit Oberstufe. Schulleiter für die ersten beiden Jahre sollte ein zeitbetrieb, dem im pädagogi- vorne und die Mädchen hinten DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum Mitglied der CDU werden. Das Kollegium der Ge- schen Konzept ein großer Stel- - nach z.B. Dänemark, auf die Gesamtschule ohne Genehmigung samtschule hatte jedoch nach den soeben ge- lenwert eingeräumt wurde. In andere Seite der Förde, nach Die Gesamtschule begann ihren Betrieb zu- machten Erfahrungen mit der Landesschulpolitik diesem Zusammenhang beson- Laboe oder zu den Seehunden nächst ohne ministerielle Genehmigung - mit zu große Vorbehalte. ders wichtig: Es wurden Leitlini- an die Nordsee. Unterstützung der MaK - mit dem Ganztagsun- en für eine künftige Sozialpäda- terricht und einer Bespeisung in der Kantine der So wurde mit Hilfe des Stadtschulamtes Her- gogik an der Schule entwickelt. Nach und nach wurde das Auto MaK. wig Grau mit der kommissarischen Leitung der dann zerlegt, Ersatzteile aus- Schule beauftragt, Werner Scharf und ich hal- Einer der ersten Mitarbeiter, und abgebaut (Kotflügel, Lam- fen ihm dabei. In 1974 wurde dann Hans Dietrich Götz Salisch, der Vater zweier pen, Kleinteile des Motors und 8 Die Gründerjahre 9
Historisches aus dem Schatzkästchen des Herwig Grau präsentiert von... Christa Lohmann Herwig Grau war der didaktische Leiter der IGF. Er hat seinerzeit bestimmte Ereignisse festgehalten, z.B. 1973: „Der Ruf der IGF festigt sich“. Der Unterricht an der neuen Schule beginnt. Die Der Tag der Invasion rückt näher. Wir wiederho- pädagogischen Bemühungen schlagen hohe len den Rütlischwur. Wellen. „Wir machen alles anders!“ Die Umwelt versteht uns nicht. Wir halten durch, auch wenn Eine Mannschaft von Studenten steht vor der die Nerven flattern. Tür, begleitet von Professor R. und dem Schul- aufsichtsbeamten, Herrn H. Die Fronten formie- Die hohe Regierung, dem Experiment Gesamt- ren sich. Der Beamte schreitet zur Vollstreckung. In Projektwochen gestalten Schüler*innen ihre Schule schule gegenüber ebenso misstrauisch wie neu- Beamte müssen doch gehorchen. Klar?! gierig eingestellt, erscheint in Doppelbesetzung. Die beiden gedeckten Anzüge mit Schlips und Der Kultusbeamte geht auf den ersten Lehrer zu: Scheiben - besonders auch die Brezelscheiben Mein Fazit ist, Kragen besuchen den Unterricht von Herrn B. ‚Herr …, ich frage Sie, wollen Sie den Test durch- aus den Heckfenstern) und nach Schulschluss dass nicht nur der Freizeitaspekt als Unterbre- Grau sitzt in einem Kartenzimmer in der Nähe führen?“ Nach einer inhaltsschweren Pause folgt mit dem Bollerwagen die ca. 1.5 km zum Schrott- chung des ‚normalen‘ Unterrichts eine wichtige und hört Geräusche. Er ist zum kommissarischen ein fester Blick des Untertanen, der Mund öffnet platz in Kiel-Pries transportiert. Ziel der 10 und Rolle spielte, sondern u. a. auch handwerkliche Schulleiter bestellt. Der erste Schulleiter hat ja sich zu einem: „Nein, Herr H.!“ 11- jährigen Schüler*innen war der Verkauf der Fähig- und Fertigkeiten sowie Gemeinsinn geför- entnervt (wegen der Differenzierung) das Feld Alle anwesenden Lehrerkräfte werden um 2,5 Teile. Mit dem mir bekannten Schrottplatzbesitzer dert und nebenbei wirtschaftliche Interessen ge- verlassen. Die Lautstärke im Unterrichtsraum cm größer, die „Regierung“ um den gleichen hatte ich vor der Aktion Kontakt aufgenommen. weckt wurden. schwillt an. Das Gebrüll scheint rhythmischer zu Betrag kleiner. Und das Nein wiederholt sich bei Er war also auf das Kommen vorbereitet. werden. Offenbar werden Schränke gerückt. Ein- allen 7 Lehrerinnen und Lehrer. Zwei Jahre später zog die Schule dann in ein zelne Schreie deuten auf Probleme hin … Und sie hatten Erfolg! Es wurde gehandelt und neues Gebäude um und existiert seither am PS. Der Test wurde an diesem Tag nicht gefeilscht mit dem Ergebnis, dass Sie ein paar Steenbarg. Plötzlich öffnet sich die Klassentür. Zwei Gestal- geschrieben. Mark in die Hand gedrückt bekamen und or- Nach und nach wurde die integrierte Gesamt- ten, sichtlich um Jahre gealtert, erscheinen mit dentlich stolz waren. Es wurden noch ein paar schule zur Institution in Friedrichsort, obwohl das wirrem Blick. PPS: Leider musste der Test nach ca. 14 Tagen Mark dazugegeben und die ganze Projekt- Kultusministerium alles andere als begeistert dennoch geschrieben werden. gruppe hat damit gemeinsam den Eisladen ge- von der neuen Schulform war. Deshalb wurde Grau lädt sie in sein Zimmer ein. Sie brechen er- stürmt.“ die Schule durch das Ministerium von Beginn an schöpft zusammen. Milde lächelnd sagen sie: scharf kontrolliert und einer wissenschaftlichen „Wir haben es nicht mehr ausgehalten. Ist das 1977 Die anderen Freizeitangebote, z.B. Nähen, Spie- Begleitung unterzogen. hier immer so an der Gesamtschule?“ Der Norddeutsche Gesamtschulkongress fin- DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum le, Sportaktivitäten und viele mehr, sind von El- det in der IGF statt. Die legendäre Dampferfahrt tern der angemeldeten Schüler und Schülerin- Aber Kollegium, Elternschaft und Schüler*innen Oder: „Die wissenschaftliche Begleitung droht.“ nach Langeland bei Windstärke 7-8 endet mit nen ehrenamtlich geleitet worden. standen geschlossen hinter dem Konzept. Auch Ein alerter Professor will die Gesamtschule mit totaler Seekrankheit von drei Viertel aller Teilneh- wenn dies bedeutete, immer wieder diskutie- dem Regelschulwesen vergleichen. Wir diskutie- mer*innen Später kamen andere, neue dazu (Tonarbeiten, ren, streiten und protestieren zu müssen. So ent- ren und wittern den Tod des jungen Pflänzchens In der Berichterstattung heißt es später: Tiffany, Drucken, Wandmalerei, Musik, Segeln, wickelte sich eine Gemeinschaft, die von Ehe- Gesamtschule. Die Schulkonferenz beschließt: Der Kongress war zum K….! Graffiti, Marionetten, Schach und weitere). Die maligen als „große Familie ohne Klassenunter- „Wir schreiben den Test nicht!“ neuen Aktivitäten wurden von der Stadt bezahlt schiede“ bezeichnet wird. und zu Ganzjahresangeboten. 10 Die Gründerjahre 11
Über 7 Brücken In der ersten Hälfte des Jah- 3. Schon im zweiten Jahr recht kleinen Klassenräumen. res I989 gab es für das Kollegi- wurde deutlich, dass die ehe- Später wurde nach vielen Pro- um des Gründerjahrgangs eine malige Sonderschule wegen testen die Zahl auf 26 vermin- musst du geh'n... Fortbildung in Kiel, zusammen des Platzmangels keine Perspek- dert. Das war natürlich immer mit den Initiativen aus Trappen- tive bot. Es musste etwas passie- noch keine große Hilfe. kamp und Kiel – Ost. Die erfah- ren. Zunächst wurden noch ein renen Lehrkräfte aus Kiel-Fried- paar Container aufgestellt, zeit- 7. Das Ziel der Integration Jürgen Backhaus richsort und Neumünster, na- weise sogar Unterricht auf dem war nicht so leicht zu realisieren, Über 7 Brücken musst du geh'n... mentlich Christa Lohmann und Priwall in Zelten durchgeführt. zeigte sich doch schnell, dass Bernhard Brackbahn, schulten nicht nur vier Kinder eines Jahr- Eine kurze Darstellung der Hürden und die etwa 24 Neulinge - eine ge- 4. Die Stadt tat nun doch gangs erhöhten Zuwendungs- Schwierigkeiten, die die Gründer der ersten lungene Maßnahme, die für fol- das, von dem sie versprochen bedarf hatten, sondern deutlich Gesamtschule in Lübeck vor dem Start gende Jahrgänge leider so nicht hatte, es nicht zu tun: Sie be- mehr. Aber wo sollten die quali- und in den ersten Jahren zwischen 1989 mehr stattfand. Außerdem wur- schloss die Umwandlung eines fizierten Kräfte und die Stunden bis 1994 zu überwinden hatten. den Gespräche mit der Stadt bestehenden Schulzentrums in für die notwendige Doppelbe- geführt, namentlich mit Schulse- eine IGS. Die Otto-Anthes-Schule setzung herkommen und wo Der Vorlauf nator Heinz Lund und dem Bür- am Burgfeld musste „dran glau- waren die Extra-Räume? Eigentlich umfasst der Vorlauf für diese IGS ca. 20 germeister Michael Bouteiller, in ben“ und es gab einen Riesen- Jahre: von 1968 bis 1988. Die 68er - Generation, denen es hauptsächlich um den protest. 1992 kam es zu einem enttäuscht und genervt von einem verknöcher- Standort der neuen IGS ging. Bürgerentscheid, der von bei- Mein Fazit ten dreigeteilten weiterführenden Schulsystem den Seiten vehement befeuert Natürlich sind diese sieben Hür- mit seinem durchgängigen Buch- und Frontal- Die Anfangsschwierigkeiten wurde. Da nur 22% der erforder- den, die genommen werden unterricht und schwarzer Pädagogik, wollte die werden hier als ,,7 Hürden“ lichen 25% die Umwandlung ab- mussten, nur die gravierendsten Schule grundlegend reformieren. zusammengefasst: lehnten, zog die IGS dorthin um. Beispiele für einen langen, kräf- eine Klasse mit maximal vier Integrations- Zwei Jahre dauerte das Auslau- tezehrenden Kampf um eine Das war allerdings in Schleswig-Holstein unter kindern (später Inklusion genannt) 1. Die chronisch „klamme“ fen der Realschule. Keine schö- gute, fortschrittliche Schule für einer CDU - Regierung nicht möglich, es bedurf- zwei Differenzierungsniveaus (Grund- bzw. Stadt konnte der neu zu grün- ne Zeit für beide Seiten, denn alle Kinder. te erst einer neuen Regierung unter Leitung der Erweiterungskurse in Deutsch, Mathematik, denden IGS keinen Neubau an- die Reibereien waren für alle SPD, um die vorhandenen Pläne in die Tat um- Englisch und Nawi) bieten, was wünschenswert ge- belastend. Dass die Geschwister-Prenski- zusetzen. In den 70er und 80er Jahren hatte sich Lernberichte anstelle von wesen wäre. Also suchte man Schule mittlerweile sicher eta- neben den hauptsächlich in der Gewerkschaft Notenzeugnissen in den Klassen 5 – 7 nach einem Leerstand. Alle Nut- 5. Weitere zwei Jahre dau- bliert ist und einen guten Ruf organisierten jungen und kritischen Pädagogin- zer größerer belegter Gebäude erte nun der Umbau und Aus- hat, ja, jahrelang geradezu Klassenleitungsteams (möglichst ein Mann nen und Pädagogen auch eine Elterninitiative hatten eine Umformung schon bau des Schulzentrums mit viel überlaufen war, mag wohl an und eine Frau) durchgängig von gebildet, die die vielfältigen Forderungen und vehement abgelehnt. Schließ- Lärm und Unannehmlichkeiten. den „inneren Kräften“ des Kolle- Klasse 5 bis 10 Reformideen mit vorantrieb. lich fiel das Los auf eine kleine, Erfreulich einerseits, gab es nun giums gelegen haben, wie Björn kein Sitzenbleiben, sondern höchstens freiwil- auslaufende Sonderschule am endlich genug Platz, nerven- Engholm bei der 25-Jahr- Feier Das Konzept der IGS Lübeck: lige Wiederholung Stadtrand - kein guter Standort, aufreibend andererseits, weil der Schule vermutete. „Eine Schule für alle!“ täglicher Morgenkreis aber doch wenigstens ein Ort für viel improvisiert werden musste. Angeregt durch Vorbilder in Skandinavien, z.B. Schulessen, Ganztagsunterricht an drei den Anfang. Für den Bereich Oberstufe wur- So ist es nicht erstaunlich, dass die Tvind-Schulen in Dänemark und bestehende Tagen der Woche mit Freizeitangeboten den darüber hinaus zwei neu zu die Schule sich weiterhin erfolg- Schulen in Göttingen und Kassel, kam die Vor- mittags 2. Der erste und auch der bauende Räume zunächst ge- reich den Zukunftsanforderun- bereitungsgruppe zu folgenden inhaltlichen Vor- zweite Jahrgang erfüllte bei wei- strichen und erst 15 Jahre später gen stellt und innovativ ist. Wo betreute Aufgaben in der Schule , keine stellungen: tem nicht die geforderte Drit- realisiert. gibt es schon eine Schule mit Hausaufgaben telparität. Viele Eltern aus dem einer Sitzarena für 100 Personen DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum eine kleine IGS mit maximal vier Zügen Klassenfahrten jedes Jahr und viel Outdoor- gehobenen Bildungsbürgertum 6. Ein Schlag gegen die und einer eigenen Schmiede in (die in Schleswig- Holstein bereits bestehen- Unterricht zogen deshalb trotz signalisier- grundlegende Pädagogik er- einem selbst gebauten Lehm- den Versuchs-IGS in Neumünster und Kiel wurden als zu groß angesehen) mehrmals im Jahr Vorhabenwochen ten Interesses und teilweise ak- folgte im vierten Jahr des Beste- haus? keine Klingel, dafür Uhren, kein Schulhof- tiver Mitarbeit in der Elterninitia- hens der Schule: Das Ministerium Tischgruppenpädagogik (Team- Kleingrup- zwang in den Pausen tive das Gymnasium für ihre Kin- erhöhte die Klassenfrequenz von penmodell, Projektunterricht) der vor. 24 auf 27. Das hatte zur Folge, Drittelung der Schulart- möglichst durchgängiges Duzen dass pro Klasse statt vier nun fünf empfehlung und hälftige Geschlechterzu- attraktive Schulhofgestaltung, eventuell Tischgruppen eingerichtet wer- ordnung, mit Tieren den mussten, und zwar in den 12 Die Gründerjahre 13
Gesamtschulen der zweiten Generation dargestellt am Beispiel le Norddeutschlands im ländlichen Raum, noch wochen wurden von einer eher konservativ ein- dazu in der Ablösung der Hauptschule als einzi- gestellten Bevölkerung zwar misstrauisch beäugt, der Richard- Hallmann-Schule Trappenkamp ge weiterführende Schule vor Ort, hatte die IGS die Ergebnisse sprachen jedoch sehr schnell für Trappenkamp dennoch von Anfang an Modell- sich. Die ersten Integrationsklassen wurden 1996 Renate Holfter charakter und wurde entsprechend auch kritisch eingerichtet, um dem Anspruch einer Schule für Die RHS (früher IGS Trappenkamp) liegt im hinterfragt. alle wirklich gerecht werden zu können. Die IGS ländlichen Raum Schleswig-Holsteins und galt wurde ein selbstverständlicher Bestandteil der Bil- lange als unmögliches Projekt – die einzige Der Orkan, der am 28. August 1989 tobte und dungslandschaft in der Region und bekam 2008 weiterführende Schule eines Ortes durfte in die geplante Eröffnung der Schule sowie die Ein- endlich auch eine eigene Oberstufe – die Un- schulung des ersten fünften Jahrgangs für die- kenrufe, im ländlichen Raum gebe es dafür nicht Schleswig-Holstein auf keinen Fall eine sen Tag verhinderte, erwies sich als symptoma- genug Potential, waren längst eindrucksvoll wi- Gesamtschule sein. Das unmögliche Projekt tisch für die Atmosphäre, in der die junge IGS derlegt. besteht nun seit 32 Jahren und prägt auch aufwuchs: Die Kreispolitik verweigerte die Finan- und gerade durch sein Motto „Miteinander – zierung eines notwendigen Erweiterungsbaus, Die Schulidentität der 2011 in „Richard-Hall- Füreinander“ Ort und Umgebung. Gemeindevertreter der Umlandgemeinden rie- mann-Schule, Gemeinschaftsschule mit Ober- ten öffentlich vom Besuch der IGS ab und Schü- stufe“ umbenannten IGS Trappenkamp ist un- ler*innen, Eltern und Lehrkräfte der IGS sowie Ge- gebrochen: Als Mitglied des Netzwerks „Schu- Sommer 1981 meindevertreter*innen sahen sich Anfeindungen le ohne Rassismus – Schule mit Courage“ leben Die Geschichte der IGS Trappenkamp beginnt Initiative, gleichzeitig befürwortete jedoch auch ausgesetzt. Dies stärkte die junge Schulgemein- wir unser Schulmotto: „Miteinander – Fürein- bereits im Sommer 1981 mit der Gründung einer eine deutliche Mehrheit der Eltern von Grund- schaft jedoch und führte dazu, dass auf dem Hö- ander“. Wir sind seit 2016 Zentrum für Deutsch Bürgerinitiative „Gesamtschulinitiative Trappen- schulkindern die Errichtung einer Gesamtschu- hepunkt der Streitigkeiten die Elternvertreter*in- als Zweitsprache, unsere Schü- kamp und Umgebung“. Im strukturschwachen le. Der erste, von der Gemeinde Trappenkamp nen demonstrierend vor das Landeshaus nach ler*innen engagieren sich in Als Mitglied des ländlichen Raum Holsteins gelegen, unterschied 1982 eingereichte Antrag wurde jedoch von der Kiel zogen und im Zuge eines ‚Schulstreiks‘ 1991 Klassen-, Schul- und Gemein- Netzwerks „Schule sich die von Geflüchteten nach dem 2. Weltkrieg Landesregierung abgelehnt. Aufgrund der politi- eine Demonstration von Eltern und Schüler*in- deprojekten, helfen sich ge- aufgebaute Gemeinde Trappenkamp von den schen Mehrheiten schien damit zunächst keine nen die vielbefahrene Bundesstraße 404 lahm- genseitig im klassen- und jahr- ohne Rassismus – traditionsreichen Bauerndörfern der Umgebung Hoffnung mehr zu bestehen, eine Gesamtschu- legte. Schließlich kam die Anweisung des Lan- gangsübergreifendem Lernen, Schule mit Courage“ sowohl durch ihre Sozialstruktur als auch durch le errichten zu dürfen. Die Initiative aus Gemein- des an den Kreis, den Schulbau nicht weiter zu übernehmen Verantwortung ihre industrielle Prägung. Gemessen am Bevöl- devertretern, Lehrkräften und Eltern blieb jedoch blockieren und die Mittel freizugeben, so dass füreinander und treffen sich leben wir unser kerungsdurchschnitt lebten wesentlich mehr Ar- auch in den folgenden Jahren aktiv und in der ab Januar 1992 der Bau eigener Räumlichkei- auf Augenhöhe mit Lehrkräf- Schulmotto: „Mitein- beiter*innen, Arbeitslose und Menschen aus- Öffentlichkeit mit ihren Forderungen präsent. ten begann. ten und Eltern, nicht nur im Un- ländischer Herkunft in Trappenkamp als in den terricht, sondern auch bei der ander – Füreinander“ Umlandgemeinden, der Ort war von der Sozi- Neue Hoffnungen mit der SPD 1988 Rasante Schulentwicklung Schulentwicklung. Das Thema alstruktur her einem Arbeiterviertel in der Groß- Im Mai 1988 errang die SPD in Schleswig-Hol- Sehr schnell nahm die Schulentwicklung Fahrt der Bildungsgerechtigkeit treibt uns bis heute stadt vergleichbar. Entsprechend gering waren stein unter Björn Engholm einen Erdrutsch-Sieg. auf und bereits innerhalb der ersten 10 Jahre er- um, darum engagieren wir uns beim Bund-Län- die Bildungschancen der dort lebenden Kinder, Das weckte auch in Trappenkamp neue Hoff- warb sich die IGS Trappenkamp einen guten Ruf der-Projekt LemaS (Leistung macht Schule) mit dies zeigte sich in einem weit überproportionalen nung und so stellte die Gemeinde einen Monat sowohl bei Eltern als auch Arbeitgebern der Re- dem Schwerpunkt, die in jedem Kind stecken- Anteil von Hauptschulempfehlungen nach der 4. später einen erneuten Antrag zur Gesamtschul- gion. Trotz insgesamt zurückgehender Schüler- den Begabungen zu entdecken und zu fördern. Klasse sowie auch darin, dass die einzige weiter- gründung. Schließlich wurde im Januar 1989 ein zahlen blieb die Nachfrage ungebrochen hoch Wir sind heute eine moderne, auch digital gut führende Schule vor Ort eine Hauptschule war. Schulversuch mit drei neuen Gesamtschulen und ermöglichte der Schule die Vierzügigkeit. aufgestellte Schule mit 800 Schüler*innen aus DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum genehmigt: Die IGS Lübeck (später Geschwis- Das verdankte sich neben der intensiven Zusam- vielen Ländern und Kulturen, leben ein selbst- Die Initiative verfolgte daher eine doppelte Ziel- ter-Prenski-Schule), die IGS Kiel-Diedrichsdorf menarbeit von Lehrkräften, Schüler*innen, Eltern, verständliches Miteinander unabhängig von setzung mit der Forderung nach einer Gesamt- (später Toni-Jensen-Schule) und die IGS Trap- Schulleitung und Kommunalpolitik auch den örtli- Herkunft, psychischen oder physischen Beson- schule: Sowohl die Bildungschancen der Kinder penkamp (heutige Richard-Hallmann-Schule). chen und überörtlichen Betrieben, die ein großes derheiten, sozialen oder familiären Gegebenhei- sollten deutlich verbessert werden als auch lang- Die IGS Trappenkamp wurde dabei als dreizügi- Interesse an Abgänger*innen mit höherwertigen ten und sind stolz auf die selbstbewussten, sozi- fristig der Ort und dessen Bevölkerung von einer ge Schule ohne Oberstufe genehmigt, da man Schulabschlüssen hatten und daher die Schule al kompetenten und engagierten jungen Leute, Aufwertung der Infrastruktur profitieren. Daher auch in der SPD (!) annahm, der ländliche Raum unterstützten. Pädagogische Innovationen wie die wir jedes Jahr mit guten Abschlüssen entlas- war die Kommunalpolitik, insbesondere die dort habe ein gymnasiales Potential nicht in ausrei- Freiarbeit, Tischgruppenarbeit, offener Unter- sen dürfen. Die Erwartungen und Hoffnungen tonangebende SPD, einer der Motoren für die chendem Maß zu bieten. Als erste Gesamtschu- richtsbeginn, Projektunterricht und Vorhaben- der Gründer*innen haben sich erfüllt. 14 Die Gründerjahre 15
Die Gesamtschulinitiative Kiel Ein großes Problem war die ablehnende Haltung Dle Toni-Jensen-Gesamtschule - heute die Toni- – aber die zweite Gesamtschule für die der Lehrerkollegien an den bestehenden Haupt- und Realschulen, die zwar nicht immer grund- Jensen-Gemeinschaftsschule - ist inzwischen un- bestrittene Realität. Bei Schülern wie Eltern aner- Landeshauptstadt ließ lange auf sich warten sätzlicher Art war, aber die eigene Schule ver- kannt, genießt sie einen guten Ruf. Was uns noch schont wissen wollte. Da waren sich denn auch nicht zufriedenstellt, ist die Zusammenarbeit mit GEW- und SPD-Kollegen oft durchaus einig. Un- der im gleichen Gebäudekomplex befindlichen Ursula Tolkmit sere Hoffnung waren die Eltern, die für ihre Kinder Grundschule. Unser Ziel war von Anfang an für Im Stadtteil Neumühlen-Dietrichsdorf gab es unsere Eile und meinten, man wäre noch gar diese neue Schulform als sinnvoll ansahen. Aber die bereits bestehende Ganztags-Grundschu- nicht so weit. An Info-Ständen sammelten wir wie gegen die massive Gegenpropaganda an- le ein Angebot zu schaffen, die bewährten Un- schon seit 1980 eine Gesamtschulinitiative. weiter Unterschriften und überreichten schließ- kommen? Wir versuchten uns nun als Gesprächs- terrichtsformen fortzuführen und den Schülerin- Eltern, Lehrer und Politiker hatten erkannt, lich 145. Erster Erfolg unserer Bemühungen war partner für Elternversammlungen der 4. Schuljah- nen und SchüIern einen Übergang im gesamten dass eine Gesamtschule in einem Stadtteil, der ein Beschluss der Kieler SPD-Rathausfraktion: Wir re anzubieten, was meist schon an den vorein- Klassenverband zu ermöglichen. Dieser Idealfall überwiegend von Arbeitern und Angestellten wollen eine zweite Gesamtschule für Kiel, und genommenen Elternvertretern scheiterte. Wir konnte noch nicht erreicht werden, da die Vor- bewohnt wird, für viele Kinder eine unabding- zwar auf dem Ostufer. unterstützten Informationsveranstaltungen der urteile, besonders bei einigen der abgebenden bare Notwendigkeit ist, um ihre Chancen für Nachbarstadtteile bzw. -gemeinden. Schließ- Klassenlehrer gegen die Gesamtschule noch zu eine gute Schulausbildung zu erhöhen. Jetzt wurden die Gesamtschulgegner aktiv. In lich richteten wir eine wöchentliche Elternbera- groß waren. Ziel bleibt aber, Ganztagsgrund- einer CDU-Versammlung am 5.10.1988 trat der tung im AWO-Bürgerladen ein, die wir über die schule und Gesamtschule allmählich zu einer Die Initiative kümmerte sich in den Jahren der ehemalige Kultusminister Peter Bendixen auf Presse ankündigten. Hier gelang es uns, in vielen immer größeren Einheit werden zu lassen, so wie CDU-Regierung, in denen jeder Weg zu Gesamt- den Plan. Die alten Diffamierungen gegen die Einzelgesprächen Eltern für die Gesamtschule so wir das in der von uns besuchten Hamburger schulen per Schulgesetz verbaut worden war, Gesamtschule wurden aus der Schublade ge- zu motivieren, dass sie jetzt die Arbeit der neuen Schule erlebt hatten: Übergang ganzer Klassen um andere Verbesserungen des Bildungsange- holt. Leider fanden sie in den „Kieler Nachrich- Schule tatkräftig unterstützten. Am Ende der Os- ohne Bruch, ohne Auseinanderreißen der in vier bots, wie z.B. ein 10. Schuljahr für alle Schülerin- ten“ ein Instrument, alle negativen Äußerungen terferien organisierte unsere Initiative eine Studi- Jahren zusammengewachsenen Gruppe. nen und Schüler. über Gesamtschulen lückenlos zu veröffentli- enfahrt für interessierte Lehrer und Eltern zu einer chen, während unsere Stellungnahmen, Presse- Hamburger Gesamtschule. Wir waren als Eltern, Lehrer und Politiker unseres Nach dem Regierungswechsel am 8. Mai 1988 notizen, Leserbriefe usw. nur selten abgedruckt Stadtteils mit unserer Initiative für unseren Stadt- beschlossen Mitglieder, eine Unterschriftenliste wurden. Ein regelrechter Schulkrieg wurde ent- Würden genug Kinder angemeldet? teil aktiv geworden. Das brachte uns am Anfang für die Einrichtung einer Gesamtschule in ihrem facht, Eltern und Lehrer des im Einzugsbereich Aber immer noch blieb für uns das große Fra- den Vorwurf der zu engen Sicht ein. Es war aber Stadtteil zu starten. Nachdem bis Juli ca. 200 Un- liegenden Gymnasiums - in seinem Bestand üb- gezeichen: Wie viele Eltern würden ihre Kinder auch unsere Stärke; denn wir waren bei den Bür- terschriften vorlagen, stellte die Initiative beim rigens nie in Frage gestellt- waren sich nicht zu an der neuen Schule anmelden? Von Seiten des gern bekannt, und die Eltern vertrauten unserer Ortsbeirat Neumühlen-Dietrichsdorf den Antrag, schade, die Schüler zu Demonstrationen aufzu- Schulamtes war man von einer Dreizügigkeit aus- Redlichkeit, auch wenn sie eine andere Meinung sich für die Errichtung einer integrierten Gesamt- hetzen. Als schließlich die Entscheidung für den gegangen, Bedingung des Ministeriums waren zur Gesamtschule hatten. So konnten wir uns ein schule einzusetzen. Gegen 2 Stimmen (CDU) be- Standort Dietrichsdorf gefallen war, ging dort 60 SchüIer/Innen. Und dann die spannenden An- wenig frei machen von dem politischen Kalkül. schloss der Ortsbeirat am 25.8.1988 einen ent- derselbe „Zauber“ an der Realschule los. Massi- meldetage: 184 Anmeldungen! Der Elternwille sprechenden Antrag an die Ratsversammlung. ve Beeinflussung der Eltern über ihre Kinder hatte hatte sich überdeutlich artikuliert. An dieser Stel- Diese Herangehensweise müsste unserer Mei- das Ziel, den Beschluss zu kippen. Hier noch eher le muss gesagt werden, dass all die anfallenden nung nach auch von anderen Initiativen in Inzwischen veranstaltete unsere Initiative eine verständlich, da dieser Beschluss ein Auslaufen Probleme und Schwierigkeiten wettgemacht noch stärkerem Maße geübt werden. Deshalb gut besuchte öffentliche Versammlung zum der Real- und der Hauptschule zugunsten der wurden von einem optimistischen Teamgeist zwi- darf kein Stillstand in der Gesamtschulbewegung Thema Gesamtschule, zu dem der Leiter der Ge- Gesamtschule vorsah. Vor Ort hatte inzwischen schen Eltern, Initiativlern, dem nun schon kräftig Schleswig-Holsteins eintreten. samtschule in Kiel-Friedrichsort eingeladen wor- der SPD-Ortsverein eine eigene Veranstaltung in der Vorbereitung stehenden Gesamtschulkol- den war. Die Diskussion verlief kontrovers, aber zum Thema durchgeführt, die umzuwandelnde legium und, nicht zu vergessen, der neuen Schul- Wir wünschen allen Initiativen den gleichen sachlich. Grund- und Hauptschule hatte auf Initiative des sekretärin. Erfolg, den wir uns hart erstritten haben! Elternbeirates ebenfalls einen Info-Abend veran- Immer wieder Vorbehalte und aktive staltet. Aber die Negativ-Information war immer Das Ziel war erreicht, aber die Arbeit für unse- Ursula Tolkmit Gegner noch beherrschend. re Initiative nicht beendet. Für das Stadtteilfest Mitglied der Elterninitiative DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum In dieser Phase unserer Bemühungen stießen wir zur Kieler Woche bereiteten wir einen großen In- und Mitarbeiterin im Ganztagsbereich noch auf sehr viele Vorbehalte der unterschied- Im Dezember, nach Einholung der Voten von El- fo-Stand vor, der gleichzeitig die Möglichkeit des lichsten Art. Da kam z.B. der Einwand, unser ternbeiräten und Lehrer-Kollegien, wurde der An- Kennenlernens bieten sollte. Denn das Einzugs- Stadtteil sei kein geeigneter Standort. Wir ließen trag von der Ratsversammlung beschlossen und gebiet der künftigen Schule war sehr umfang- uns nicht beirren; denn wir wussten, dass diese an das Kultusministerium weitergeleitet. Die Ge- reich. Die Initiativmitglieder, soweit nicht selbst Schulform von vielen Bürgern gewünscht und nehmigung erfolgte im Januar 1989. Aufgrund Eltern künftiger Gesamtschüler, traten als zah- von den örtlichen Politikern unterstützt wurde. des noch bestehenden alten Schulgesetzes lende Mitglieder in den Schulförderverein ein, Auch die SPD-Vertreter der Stadt taten sich an- konnte vorerst nur die Einrichtung aIs Schulver- sie beteiligten sich aktiv an der Einrichtung der fangs schwer. Selbst Befürworter stöhnten über such beschlossen werden. Schülerbücherei. 16 Die Gründerjahre 17
Gesamtschul-Initiativen Aus der Gesamtschule werden – ein wichtiger Motor für die Gemeinschaftsschulen Gründung weiterer Gesamtschulen Struktur-Reform Christa Lohmann Ende der 80er Jahre gab es an richtung einer solchen Schule bund mit Tornesch und den Um- aufs nächste Jahr vertagt, blieb landgemeinden übernehmen. die 30 Initiativen, die die Ein- aber erfolglos. Aber der Weg war mühsam, richtung einer Gesamtschule denn in der Gemeindeversamm- forderten. Peter Steinhagen, Pro: In Eckernförde arbeite- lung wurde der von den Grünen ein Mitglied der GGG, stellte te eine Elterninitiative, die als lose gestellte Antrag für die Gesamt- seinerzeit eine Übersicht von Vereinigung ohne formalen Cha- schule im März 1989 abgelehnt. diesen Gruppen zusammen, rakter organisiert war. Unterstützt Die Wendung zum Besseren trat Das Jahr 2007 markiert eine Wen- die zwischen Ost- und Nordsee wurde die Gruppe vom DGB-Orts- ein, nachdem die betroffenen de. Mit einem neuen Schulgesetz aktiv waren. kartell und der GEW. Der Antrag auf Eltern aller Kreis Pinneberger Ini- gibt es neben dem Gymnasium nur Klaus Mangold Errichtung einer Gesamtschule, den tiativen einen Regionalverband noch Gemeinschaftsschulen. Er schrieb dazu in einem ehem. Schulleiter die Stadt Eckernförde im Oktober 89 der GGG gründeten, um ihren an der IGS Bad Oldesloe, GGG-Info: „Schleswig-Holstein Aber wie konnte das geschehen? stellte, beinhaltete eine dreizügige Einfluss zu erhöhen, so dass es heute Ida-Ehre-Schule erholt sich in diesem Jahr von integrierte Ganztags-Gesamtschu- langfristig zumindest zur Grün- Und die Gesamtschulen werden in Jahrzehnten bevormundender le. Ihre gymnasiale Oberstufe sollte dung einer kooperativen Ge- Gemeinschaftsschulen umbenannt Schulpolitik.“ Auf Grundlage mit der des Gymnasiums kooperie- samtschule mit Oberstufe in Tor- – ein Tiefschlag für die „Alten“. dieser Zusammenstellung sol- ren, das sich im gleichen Gebäude- nesch kam. len hier einige Beispiele kurz komplex befindet. vorgestellt werden. Pro: In Trappenkamp brauch- Contra: Seit Juni 1989 ar- te die Initiative zwei Anläufe für die Die Erfahrungen, die die Initi- beitete eine Initiative in Heide Errichtung der Gesamtschule. Deren ativen mit ihren Forderungen zusammen mit einigen SPD-Mit- Arbeit war schließlich so erfolgreich, machten, fallen sehr unter- gliedern. Die erhoffte Antragstel- dass Gesamtschulgegner der Nach- schiedlich aus. Es gab Erfolge, lung für das Schuljahr 1990/91 bargemeinde Bornhöved mit einer aber auch Enttäuschungen. kam aber nicht zustande. CDU-Gemeindemehrheit eine Ge- samtschule zum Schuljahr 90/91 Ute Shabanpoor Pro: Äußerst erfolgreich war Pro: Auf Druck einer Initiative beantragten, obgleich dies den Ver- Schulleiterin die Initiative Bargteheide, die sich vom Herbst 1988 beschloss die Stadt zicht auf Haupt- und Realschule be- an der Bergschule Fockbek im Sommer 1988 gründete. Sie Pinneberg im Januar 1989 die Errich- deutete. konnte innerhalb eines Jahres 431 tung einer Gesamtschule in der Re- Unterschriften von Gesamtschulbe- alschule Thesdorf. Die Schulkonfe- Fazit von Peter Steinhagen, fürwortern vorweisen, darunter 277 renz der Realschule unterstützte das Mitglied der GGG von Eltern aus allen Grundschulklas- zukünftige Miteinander der auslau- Die Zusammenarbeit mit den ört- sen im Raum Bargteheide. Den An- fenden Realschule und der aufwach- lichen Kommunalpolitikern fällt trag auf die Einrichtung einer Ge- senden Gesamtschule. In den ersten sehr unterschiedlich aus. Die Zu- samtschule stellte die Stadt dann Wochen des neuen Schuljahres ge- sammenarbeit mit den Grünen im Oktober 1989: maximal vierzü- stalteten „alte“ Realschulklassen und der GAL war gut, mit der gig, mit Oberstufe. und „neue“ Thesdorfer Fünftklässler SPD mal von guter Zusammenar- eine gemeinsame Projektwoche und beit geprägt, mal aus wahltak- Contra: Weniger erfolg- erprobten so auch die persönlichen tischen Gründen negativ. Fast DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum reich verlief die Initiative in Patenschaften zwischen „Real“- und durchgängig war die Unzufrie- Barmstedt, die von der örtlichen „Gesamt“-Schülern. denheit mit der Kultusministerin SPD getragen wurde. Bei einer und der SPD-Landtagsfraktion Befragung von Tür zu Tür spra- Con/Pro: Die örtliche Initi- wegen ihrer Zögerlichkeit sehr chen sich 70% der Grundschul- ative in Uetersen arbeitete seit groß. Besonders heftig waren eltern für eine Gesamtschule für Herbst 1988. Die Stadt Uetersen die Klagen der Initiativen über ihre Kinder aus. Mit Rücksicht auf beantragte für das Schuljahr die mangelnde Objektivität der die bevorstehende Kommunal- 1990/91eine Gesamtschule. Die Presse und ihre unnötige demo- wahl wurde der Antrag auf Ein- Trägerschaft sollte ein Schulver- tivierende Berichterstattung. 18 19
Von Gesamt- Realschullehrer sehr unterstützt wurden. Auch In meiner Beratungstätigkeit vor Ort (als GGG–Mit- zu Gemeinschaftsschulen dem neuen System standen viele Kolleginnen und Kollegen ablehnend gegenüber. So musste unter anderem durch ein Vorschaltgesetz verhin- glied) habe ich von 2007 - 2015 ca. 100 Schulen besucht - einige sogar mehrmals. Ich traf dann doch auf viel Offenheit, aber auch viel Respekt dert werden, dass Schulen abschlussbezogene vor der Veränderung. Viele Kolleginnen und Kol- Klaus Mangold Klassen einrichteten. Die GGG hat dagegen in legen fühlten sich durch die Landesregierung al- Die Geschichte der Schulen in Schleswig- sollten auf Antrag des Schulträgers aus verschie- diesem Zusammenhang den Schulen vielfältige lein gelassen. Zum Beispiel wurde das Angebot denen bestehenden Schulen unterschiedlicher Beratungsangebote gemacht, die zum Teil auch des IQSH als sehr unterschiedlich wahrgenom- Holstein von einem drei- bis vierfach Schularten oder durch eine Schulartänderung genutzt wurden. Dabei ging es vor allen Dingen men. Einige empfanden es als wirkliche Hilfe und gegliederten System in ein zwei- bis dreifach entstehen. Voraussetzung für eine Genehmi- um folgende Aspekte: gut investierte Zeit, andere oft auch als Zeitver- gegliedertes System war ein langer Weg. gung war die Erstellung eines pädagogischen Umgang mit heterogenen Gruppen, individuelle schwendung, weil die Fortbildungsveranstaltun- Konzeptes. Die bestehenden Gesamtschulen er- Förderung im Unterricht und Inklusion. Bei inter- gen selber zu unkonkret und praxisfern waren Nach der Gründung der ersten Integrierten und hielten den Auftrag, sich zu Gemeinschaftsschu- nationalen Schulvergleichsstudien (u.a. IGLU und oder aber weil die guten Inputs im Alleingang Kooperativen Gesamtschulen (in Neumüns- len weiterzuentwickeln. TIMSS 2011) wurde deutlich, dass in Deutschland im Schulalltag schwer umsetzbar waren. Konkret ter und Kiel bzw. in Elmshorn und Flensburg) in sowohl hochintelligente wie auch leistungs- wurde ich nach folgenden meiner Erfahrungen den siebziger Jahren stagnierte die Entwicklung. Am 1. August 2007 starteten die ersten 7 Ge- schwache Kinder und Jugendliche schlecht ab- gefragt: Diese Gesamtschulen wurden argwöhnisch be- meinschaftsschulen in Flensburg, Handewitt, schnitten. Umgang mit Schülerinnen und Schülern äugt – als „Sonderformen“ und „Exoten“ be- Schafflund, Fehmarn, Kellinghusen, Itzstedt und mit sehr unterschiedlichem Leistungsvermö- trachtet, von den Schulen des gegliederten Halstenbek mit insgesamt 714 Schülern im neuen MINT-Fächer kennzeichnete ebenfalls ein enor- gen (äußere Differenzierung und Binnen- Schulwesens oft belächelt und auch angefein- 5. Jahrgang. Auf Fehmarn gibt es eine gymnasi- mer Nachholbedarf. Unterrichtsinhalte und Di- differenzierung) det. Dabei war die Entwicklung der Integrier- ale Oberstufe, in Schafflund und Itzstedt organi- daktik von Unterrichtsfächern entwickeln sich Organisation der Lerngruppen für Schüler- ten Gesamtschulen positiv, sie konnten oftmals satorische Verbindungen mit Grundschulteilen, fort, neue Unterrichtsfächer entstehen. Für diese innen und Schüler (z.B. Grund- und Erweite- nicht alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen. in Handewitt mit Grundschulteil und Förderzen- stete Veränderung, Modernisierung und zeitge- rungskurse) Ihre Konzepte unterlagen allerdings relativ stren- trum. Die neu entstandenen Regionalschulen mäße Anpassung sollen Lehrkräfte sinnvolle Be- gen Vorgaben (äußere Differenzierungen, Wahl- konnten sich aber letztlich nicht halten. Auch sie gleitung und Unterstützung erfahren, denn im Al- Notengebung und Berichtszeugnisse – pflichtbereich, Notengebung). Das änderte sich wurden von 2014 an in Gemeinschaftsschulen leingang ist diese Aufgabe nicht zu leisten. Viele hier insbesondere die Anwendung der rapide mit dem Jahre 1989 durch die Gründung umgewandelt. Die letzten Regionalschulen lie- Kolleginnen und Kollegen konnten sich nicht Übertragungsskala von neuen Gesamtschulen. fen im Schuljahr 2018/2019 endgültig aus. vorstellen, dass man naturwissenschaftlichen In- Einsatz von Kolleginnen und Kollegen halten (Physik, Chemie, Biologie) in einem Fach Übergang in die Oberstufe – Die Entwicklung der Gesamtschulen seit 1989 Zurzeit gibt es in Schleswig-Holstein 137 Gemein- (Nawi) gerecht werden kann. Das gleiche galt hier insbesondere die Angst, nicht den Mit Beginn des Schuljahres 1992/93 existierten schaftsschulen ohne Oberstufen und 44 Gemein- auch für das Fach Weltkunde (Geschichte, Erd- Anforderungen gerecht zu werden in Schleswig-Holstein 20 Gesamtschulen (s. QR- schaftsschulen mit Oberstufen. Dabei ist die re- kunde). Erfahrungen mit dem naturwissenschaft- Code: Tabelle Gesamtschulgründungen). Sie wurden gionale Verteilung sehr unterschiedlich. In einem lichen Unterricht und dem Fach Weltkunde vor allem in den kreisfreien Städten und deren einzigen Kreis (Stormarn) gibt es mehr Gemein- Schulleitungen sind für die Schul- und Lernkultur Umkreis sowie im südlichen Schleswig-Holstein schaftsschulen mit Oberstufen (9 zu 5) als Ge- zentral. Management, Personalführung, Organi- Erfahrungen mit dem Wahlpflichtbereich errichtet. In der Regel waren diese Neugründun- meinschaftsschulen ohne Oberstufen, dagegen sationsentwicklung, Konfliktschlichter – Schullei- (insbesondere 2. Fremdsprache und gen geplant als Schulen mit gymnasialer Ober- an der Westküste kaum Gemeinschaftsschulen tung ist eine Managementaufgabe. Für Schullei- Gestalten) stufe und einem Ganztagsbetrieb mit sehr unter- mit Oberstufen. tungen braucht es Fortbildungen, vorbereitend, Möglichkeiten der Teambildung und schiedlichen Ausformungen. ebenso auch begleitend, wenn die Schulleitun- der Doppelbesetzungen. Die Gemeinschaftsschulen in SH gen schon länger im Amt sind. Hier stellt sich die Die Entwicklung der Gemeinschaftsschulen Die bestehenden Gesamtschulen hatten durch Anforderung nach unmittelbarer Wirksamkeit Durch meine langjährige Erfahrung an einer Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schul- die Umwandlung genau genommen nur ihren und effizienten Angeboten in besonderer Form. Schule, in der unter anderem mehr als 60 % eines wesens in Schleswig-Holstein wurde 2007 die Namen „Integrierte Gesamtschule“ verloren Jahrgangs in die Oberstufe wechseln konnten, Schulstruktur in Schleswig-Holstein vollständig – aber der Verlust fiel allen erkennbar schwer. Die Schulaufsicht für die Gemeinschaftsschulen neue Fächer eingeführt wurden und die lange DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum neu geordnet. Neben dem Gymnasium wur- Die anderen Schularten (Grund- und Haupt- ohne Oberstufe blieb bei den Kreisen, während nicht alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen den Gemeinschaftsschulen und Regionalschu- schulen, Hauptschulen, Haupt- und Realschu- die Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe schul- konnte, habe ich viele Bedenken zerstreuen kön- len als alleinige weiterführende allgemeinbilden- len, Realschulen) standen vor der Aufgabe, ihre aufsichtlich direkt beim Ministerium angebun- nen. Ich habe versucht, den Kollegien Mut zu de Schulen eingeführt. Die neuen Schulformen Schulkonzepte an die neuen Schulartordnun- den wurden – analog zu den Gymnasien. Diese machen, Neues zu probieren, die Schulstruktur gen anzupassen. Das allerdings war eine mehr Konstruktion war für die Integration der Gemein- den örtlichen Gegebenheiten anzupassen und theoretische Arbeit – viel schwieriger war die schaftsschulen ohne Oberstufen nicht besonders gemeinsam mit den Kollegien in der Schule ei- Haltungsänderung in den Kollegien, die ja zum hilfreich; die Gemeinschaftsschulen ohne Ober- gene Wege zu gehen und ein eigenständiges Teil die Gesamtschulen bekämpft hatten und stufen fühlten und fühlen sich häufig als Schulen Profil zu entwickeln. dabei insbesondere vom Verband Deutscher zweiter Klasse! Denn: Umwege erhöhen die Ortskenntnis 20 Die Schulstrukturreform in SH 21
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