Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...

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Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
GGG 2021 I 3

                         ..

DieSchule
                        für alle

               50        Jahre

Gesamt-/Gemeinschaftsschulen
           in Schleswig-Holstein

                       Das Magazin

                       GGG
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
50
                                        Editorial
                                        Liebe Mitglieder der GGG,
                                               liebe Freundinnen und Freunde, liebe Leserinnen und Leser,

                                        50 Jahre Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschule sind
                                        eine mehr als erfolgreiche Geschichte, auf die alle
                                        daran Beteiligten und davon Betroffenen stolz sein
                                        können. Trotz anfänglicher Ablehnungen, massi-
                                        ver Verunglimpfungen und Diskriminierungen
                                        haben die ersten Gesamtschulen durchgehalten.
                                        Und sie haben nicht nur durchgehalten, sie haben
                                        Schule zu einem Hort von Innovationen gemacht,
                                        die sich in Schleswig-Holstein wie ein Schub an
                                        Reformpädagogik ausnehmen.
                                        Die qualitative und die quantitative Entwicklung
                                        durch die Errichtung zahlreicher Gemeinschafts-
                                        schulen aufgrund der Zusammenlegung von Real-
                                        und Hauptschulen hat zu einer stetigen Verände-
                                        rung und Verbesserung von Unterricht geführt.
                                        Lernen im Ganztag, Umgang mit heterogenen                                             Dr. Christa Lohmann
                                        Lerngruppen, Differenzierung und Individualisie-
                                                                                                                             ehem. Vorsitzende der
                                        rung, Inklusion, Lernentwicklungsberichte, die                                        Landes- und Bundes-
                                                                                                   Susanne Graf
                                        Gleichwertigkeit von Technik / Wirtschaft mit den                                            GGG
                                                                                                ehem. Stufenleiterin
                                        Sprachen, integrierte Fächer wie Weltkunde und          an der Toni-Jensen-
                                        Naturwissenschaften u.a.m. sind Markenzeichen             Gesamtschule
                                                                                                       in Kiel
                                        sehr vieler der anfangs geschmähten Gesamt-
                                        und Gemeinschaftsschulen. Schon 1982 stellte
                                        ein SPD-Arbeitskreis fest, wie diese neue Schule
                                        auf das traditionelle Schulwesen eingewirkt habe,
                                        wenn in Gymnasien jetzt Projektwochen stattfän-
                                        den. Und dieser Einfluss hat sich fortgesetzt.
                                        Nicht zuletzt haben die neuen Schulen von der mas-
                                        siven Unterstützung durch die GGG profitiert, die
                                                                                                                         Cornelia Östreich
                                        Initiativen gegründet, Veranstaltungen zur Fort-
                                                                                                                          Lehrerin an der
                                        bildung angeboten und durch ihre Netzwerke den                                   Ida-Ehre-Schule,
                                        Zusammenhalt unter den Schulen gestärkt hat.                                   Gemeinschaftsschule in
                                                                                                                           Bad Oldesloe
                                        Auf den folgenden Seiten können Sie, liebe Leserin-
DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                        nen und Leser, einen Eindruck von dieser Schulge-
                                        schichte gewinnen, die Rückblicke und Einblicke ver-
                                        bindet, ohne die Perspektive zu vernachlässigen, wie
                                        Schulen in Zukunft gestaltet sein müssen, um ihr Ziel
                                        des gemeinsamen, für alle Schülerinnen und Schüler
                                        erfolgreichen Lernens zu erreichen.

                                                                                                                                    Editorial   1
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
Grußworte
                                                                                                                                                                      Liebe Mitglieder der GGG,
                                                                                                                                                                                 liebe Leserinnen und Leser,
                                                                         Liebe Leserinnen und Leser,

                                                                         vor 50 Jahren wurde die heutige Gemeinschaftsschule Neumünster-Brachenfeld als erste
                                                                         Gesamtschule in Schleswig-Holstein gegründet – herzlichen Glückwunsch zum runden
                                                                         Geburtstag! Heute sind die Gemeinschaftsschulen eine zentrale Säule unseres Bildungs-        mit der Gründung der ersten Ge-                                  gerichtet. Aufgrund der 1. PISA-Studie
                                                                         systems.                                                                                     samtschule in Schleswig-Holstein                                 2000 erlebte die Bewegung eine wei-
                                                                                                                                                                      vor 50 Jahren begann die Entwick-                                tere Beschleunigung. Da der Begriff
                                                                         Gerade in diesem außergewöhnlichen Jubiläumsjahr bin ich den Gemeinschaftsschulen
                                                                                                                                                                      lung unserer heutigen Gemein-                                    „Gesamtschule“ ob der alten Debat-
                                                                         sehr dankbar für ihre wertvolle Arbeit. Denn in der Pandemie ist die Frage der Bildungsge-
                                                                         rechtigkeit zu einer noch größeren Herausforderung geworden. Leistungsschwächere             schaftsschulen. Dazu gratuliere ich                              ten zwischen CDU und SPD als zu be-
                                                                         Kinder sind stärker von den Auswirkungen der Schulschließungen betroffen als die leis-       ganz herzlich!                                                   lastet empfunden wurde, entstanden
                                                                         tungsstärkeren Schülerinnen und Schüler. Deshalb werden wir es auch nach der Pande-                                                                           nun mehr und mehr „Gemeinschafts-
                                                                         mie mit einer größeren Ungleichheit zu tun haben.                                            1919 schon ging die SPD mit dem                                  schulen“.
                                                                                                                                                                                                                 Serpil Midyatli
                                                                                                                                                                      Vorschlag einer achtjährigen, koe-
                                                                                                                                                                                                               Landesvorsitzende
                                                                         Unser Hauptaugenmerk liegt jetzt darauf, diejenigen aufzufangen, die unter der Krise be-     dukativen, weltlichen Schule für        der SPD in Schleswig-     Was kennzeichnet diese Schulart?
                                                                         sonders leiden. So haben wir zum Beispiel zum 1. Februar das Programm „Lernchancen“          alle Kinder in die Verhandlungen              Holstein            Es geht immer darum, Schüler*innen
                                                                         aufgelegt, damit die Schülerinnen und Schüler mit zusätzlicher Unterstützung im Laufe        zur Weimarer Reichsverfassung.                                    dort abzuholen, wo sie stehen, ihre Po-
                                                                         des zweiten Halbjahres ihre Ziele besser erreichen können. Für die Sommerferien 2021         Durchgesetzt werden konnte da-                                    tentiale zur Entfaltung zu bringen und
                                                                         planen wir ein Lernangebot, für das wir auch auf unsere Erfahrungen aus dem Lernsom-
                                                                                                                                                                      mals – immerhin! – die gemeinsame Grund-                 sie zu selbstbewussten, demokratisch orientier-
                                                                         mer 2020 zurückgreifen. Außerdem haben wir unser PerspektivSchul-Programm, von
                                                                         dem besonders die Gemeinschafsschulen profitieren, weiter ausgebaut.
                                                                                                                                                                      schule für alle. Die im 19. Jahrhundert den Er-          ten Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen.
                                                                                                                                                                      fordernissen der arbeitsteiligen Industriege-            Schulen müssen für alle Schüler*innen passend
                                                                         Ich danke allen Schulleitungen und Lehrkräften, die mit uns gemeinsam auch in der Krise      sellschaft entsprechende rigide Gliederung des           sein, nicht umgekehrt. Das schließt Selektion,
                                                                         daran arbeiten, gleiche Bildungschancen für alle Schülerinnen und Schüler zu ermögli-        Schulsystems blieb im nationalsozialistischen            Sitzenbleiben und Schrägversetzungen aus. Die
                                                                         chen und dafür Sorge zu tragen, dass es keine Bildungsverlierer gibt. Dieser Dank gilt       Ständestaat zementiert und überdauerte bis in            Schulen stellen sich der entscheidenden gesell-
                                                                         ganz besonders unseren Gemeinschaftsschulen. Sie leisten schon immer Pionierarbeit           die Debatten der 1960iger Jahre. Im Gegensatz            schaftlichen Verantwortung für den Lern- und
                                                                         beim Umgang mit einer sehr unterschiedlichen Schülerschaft und haben Heterogenität           zu den meisten anderen Ländern, die ihr Schul-           Entwicklungsprozess von Kindern und Jugend-
                                                                         früh als Chance entdeckt.                                                                    system umstellten, entstand aber aus der ge-             lichen. Heterogenität und unser aller Verschie-
                                                                                                                                                                      sellschaftlichen Debatte in der damaligen Bun-           denheit wird als Chance begriffen, nicht als Pro-
                                                                         Diese Erfahrungen können uns jetzt helfen, die Krise gut zu bewältigen. Der richtige Um-     desrepublik kein Konsens. In allen Bundeslän-            blem. In einer modernen, zukunftsorientierten
                                                                         gang mit Vielfalt ist ein zentraler Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Das
                                                                                                                                                                      dern wurden lediglich Schulversuche zur Erpro-           Gesellschaft muss dies die Messlatte für die
                                                                         ist die Chance die wir jetzt gemeinsam ergreifen müssen.
                                                                                                                                                                      bung der Schulart „Gesamtschule“ eingerichtet            Weiterentwicklung unseres Schulwesens sein.
                                                                         Ich wünsche unseren Gemeinschaftsschulen für die Zukunft viel Erfolg bei ihrer gesell-       – einer davon in Neumünster.
                                                                         schaftlich so wichtigen Arbeit.                                                                                                                       Die GGG als Zusammenschluss der Schulen des
                                                                                                                                                                      1988, mit dem Regierungswechsel zu Björn                 gemeinsamen Lernens leistet einen entschei-
                                                                                                                                                                      Engholm, wurde spürbar, wie sehr die Idee der            denden Beitrag für die Entwicklung erfolgrei-
                                                                         Herzliche Grüße                                                                              Gesamtschule viele Eltern überzeugt. Ihren In-           cher Schulen.
                                                                                                                                                                      itiativen an vielen Orten ist zu verdanken, dass
                                 DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                                                                                                                                                      über 20 Gesamtschulen der 2. Generation                  Vielen Dank dafür!
                                                                                                                                                                      entstanden – meist reformpädagogisch aus-
Portrait: Fotograf Frank Peter

                                                                         Karin Prien
                                                                         Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur
                                                                         des Landes Schleswig-Holstein

                                                                                                                                Ministerin Karin Prien

                                         2                                                                                                                                                                                                                         Grußworte       3
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
Kooperation mit Eltern
             EditorialI Dr. Christa Lohmann                 .......1
             I Susanne Graf I Cornelia Östreich                          Eltern engagieren sich        I Dieter Zielinski   .......37
             Grußworte   I Karin Prien I Serpil Midyatli    .......2/3   I Anke Sammler I Thorsten Muschinski

                         Die Gründerjahre                                          Pädagogische Innovtion

             Hallo Bernhard nach Neumünster                 .......7     Lernen im Ganztag       I                          .......40
             I Dr. Christa Lohmann I Bernd Brackhahn                     Barbara Münz-Wiedemann
             Wie ging es los in Kiel?                       .......8     Vielfalt ist normal - Inklusion                    .......42
             I Sönke Boysen                                              I Susanne Graf
             Historisches aus dem Schatzkästchen...         .......11    Neue Wege in der Berufs- und Studien-              .......44
             I Dr. Christa Lohmann I Herwig Grau                         orientierung
             Über 7 Brücken musst du geh‘n...               .......12    I Kerstin Gatermann I Christian Wolf
             I Jürgen Backhaus                                           Soziales Kompetenztraining in Klein-               .......46
             Gesamtschulen der zweiten Generation           .......14    gruppen I Anke Stüber-Peterka
             I Renate Holfter                                            Weltkunde – fünfzig Jahre Entdeckungs-             .......47
             Die Gesamtschulinitiative Kiel                 .......16    fahrt... I Johann Knigge-Blietschau
             I Ursula Tolkmit                                            NaWi – Pro & Contra         I Karl-Martin Ricker   .......50
zum Inhalt

             Gesamtschul-Initiativen                        .......18    Leistungsbeurteilung im Dialog                     .......52
             I Dr. Christa Lohmann                                       I Lisa Kunze
                                                                         Unterricht anders getaktet                         .......54
                Die Schulstruktur-Reform in SH
                                                                         I Görge Schüchler
             Von Gesamt- zu Gemeinschaftsschulen            .......20    Schule ohne Rassismus                              .......57
             I Klaus Mangold                                             I Lennard Hamelberg I Malte Richert
             Auf dem Weg zu der einen Schule                .......22
                                                                                Aktuelle Herausforderungen
             für alle I Ute Shabanpoor

                                                                         Gemeinschaftsschulen mit und ohne                  .......60
                         Die Unterstützer
                                                                         Oberstufe I Cornelia Östreich

             Das Landesseminar                              .......25    In der Oberstufe einer Gemeinschafts-              .......62
             I Barbara Soltau I Brigitte Rieckmann                       schule I Cornelia Östreich

             Die Arbeitsgemeinschaft der                    .......27    Perspektivschule als Programm                      .......64
             Schulleiter*innen (ALG) I Herbert Janßen                    I Maren Schramm
             Mitglieder der ALG berichten                   .......29    Digitalisierung...    I Lars Ziervogel             .......65

             GEW gründet Fachgruppen                        .......30    Schuljubiläum ohne Feier         I Thore Schwilp   .......68
             I Dirk Söhren I Heike Brunkert
                                                                                        Politische Akzente
                    Ehemalige Schüler*innen
                                                                         Die GGG – ein Fels in den Gezeiten der             .......70
             Von der Prognose Förderschule zum              .......33    Schulsystementwicklung in SH
             Abitur - ein langer Weg I Stella Tsagkalidis                I Dieter Zielinski
             Als die Gesamtschule noch riesig war...        .......34    Aktuelle Herausforderungen für die                 .......73
             I Dr. Rainer Lohmann                                        Gemeinschaftsschule I Dieter Zielinski

             Mit vier Geschwistern und der Mutter ge-       .......35    Gesamt-/Gemeinschaftsschule in SH                  .......76
             meinsam an der „Toni“ I Johannes Langrehr                   I Dr. Joachim Lohmann

                                                                                              Schlusswort                   .......80
                                                                                                                                        5
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
Erste und zweite Generation
                                                                                                                                             Hallo Bernhard
                                                                                                                                                   nach Neumünster
                                                                                                                                             Christa Lohmann
                                                                                                                                                                                          Bernhard: Ja, manche                 Christa: Toll finde ich, Bern-
                                                                                                                                             und Bernd Brackhahn
                                                                                                                                                                                    Schulkonferenzen waren ent-         hard, wie viele Details dir noch prä-
Gründerjahre
                                                                                                                                             haben ein Gespräch über die            täuschend, liefen nicht so, wie     sent sind. Aber ehe ich dich jetzt
                                                                                                                                             Erfahrungen des 1. Schulleiters        ich es mir gewünscht hätte. Ein     aus unserem Gespräch entlasse,
           Bernhard Brackhahn                                                                                                                an der IGS Neumünster-Bra-             Teil der Arbeit des Kollegiums      habe ich noch eine ganz entschei-
                   1. Schulleiter
                                                                                                                                             chenfeld geführt                       fand in der regelmäßig fest an-     dende Frage. Wie sieht dein schul-
               der IGS Neumünster-         Sönke Boysen                                                                                                                             gesetzten Fachgruppenarbeit         politisches Fazit aus?
                   Brachenfeld
                                         ehem. Lehrer der IGS                                                                                                                       statt und vielen war die Termin-
                                           Kiel-Friedrichsort
                                                                                                                                                   Christa: Ich habe eben deine     dichte zu eng.                            Bernhard: Natürlich haben
                                                                                                                                             Erinnerungen an die Gründungs-         Das wollten sie nicht, und ich      wir uns immer die „Gesamt-
                                                                     Hier werden Erinnerungen                                                jahre der IGS Neumünster gelesen,      fragte mich, wie das weiterge-      schule für alle“ gewünscht. Das
                                                                     wach und das mit Herzblut,                                              die mich sehr beeindruckt haben.       hen sollte.                         war unter den gegebenen Be-
                                                                     wie es denn war, als die ers-                                           (s. QR-Code) Vor allem freue ich                                           dingungen nirgends möglich.
                                                                     ten beiden Gesamtschulen
                                                                                                                                             mich über dein Fazit, dass du trotz        Christa: Du schreibst in dei-   Die Versuchsschulen IGS Neu-
                                                                                                                                             eines fast stetig scharfen Gegen-      nem Bericht davon, dass es auch     münster, IGS Kiel-Friedrichsort
                                                                     Anfang der 70er Jahre in
                                                                                                                                             windes sagen kannst, „… möchte         manche falsche Entscheidung gab.    und KGS Elmshorn mussten sich
                                                                     Neumünster und Kiel errich-
                                                                                                                                             ich während dieser Zeit meiner be-     Magst du darüber sprechen?          als „überlebensfähige“ Schulart
                                                                     tet wurden.                                                             ruflichen Tätigkeit keinen Tag mis-                                        beweisen. Das taten sie auch!
                                                                     Und lesen Sie auch, welche                                              sen“ und lobst das große Engage-            Bernhard: Ich habe mit-        Sie boten in den zurückliegen-
                 Herwig Grau                                         Entwicklungen und Schwie-                                               ment des Kollegiums, den Team-         unter einen Kollegen zu emoti-      den Jahren wenn schon nicht
           ehem. Koordinator der                                     rigkeiten die 80er Jahre mit                                            geist und die Schule als Ort kreati-   onal angefasst, was ich hinter-     die Blaupause, so doch Anlass
            IGS Kiel-Friedrichsort
                                          Jürgen Backhaus            sich brachten.                                                          ver Gestaltung.                        her bereut habe. Einmal hatte       und Voraussetzung für die Sys-
                                         ehem. Lehrer an der                                                                                 Was für eine Situation oder welche     ich einen Kollegen zum Ge-          temänderung über Regional-
                                       Geschwister-Prenski-Schule,                                                                           Erlebnisse kommen dir spontan in       spräch gebeten, das nicht gut       schulen zur heutigen Gemein-
                                                Lübeck                                                                                       den Sinn, wenn du jetzt an die IGN-    endete. Wir gingen im Dissens       schaftsschule.
                                                                                                                                             Zeit denkst?                           auseinander. Am Ende des
                                                                                                                                                                                    Tages bin ich dann nochmal          Lieber Bernd, ganz herzlichen
                                                                                                                                                  Bernhard: Die Verleum-            zu ihm hin. Ich bat ihn erneut      Dank für das Gespräch und dir
                                                                                                                                             dungen waren schlimm, schu-            zum Gespräch, weil ich das vo-      persönlich weiterhin alles Gute.
                                                                                                                                             fen extrem schwierige Situati-         rige nicht so stehen lassen woll-
                                                                                                                                             onen. Und obgleich das Kolle-          te, und stieß auf offene Ohren.
                                                                                                                                             gium und die Eltern hinter mir
                                                                                                                                             standen, hatte ich manchmal                  Christa: In ein solches In-
                                                                                                                                             Angst, dass der Laden ausein-          terview gehört natürlich auch die
                                                                                                                                             anderfliegt.                           Frage: Was war dein größtes Er-
                Renate Holfter
               Schulleiterin der RHS
                                                                                                                                                                                    folgserlebnis?
                  Trappenkamp                                                                                                                     Christa: Gab es handfeste
                                        Dr. Christa Lohmann                                                                                  Enttäuschungen für dich?                    Bernhard: (schneller mit
                                                                                                     DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                          ehem. Landes- und                                                                                                                         der Antwort als vorher): Unser
                                          Bundesvorsitzende                                                                                                                         erstes Abitur, es war angemes-
                                              der GGG
                                                                                                                                                                                    sen durchgeführt und es war
                                                                                                                                                                                    von der Schulaufsicht bestätigt.
                                                                                                                                                                                    Wie eine Erfolgswelle lief die
                                                                                                                                                                                    Freude durch das Kollegium.
                                                                                                                                                                                    Es war einfach toll.

                                                                                                                                                                                                                                       Die Gründerjahre         7
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
Wie ging es los in Kiel?                                                                                                                              Lohmann zum neuen Schullei-         Schüler, erinnert sich: „Wichtig
                                                                                                                                                                                              ter vom Schulamt der Stadt Kiel     war für mich in der Aufbausitua-
                                                                                                                                                                                              gewählt und bestätigt. Damit        tion, dass ich in alle Konferenzen
                                        Sönke Boysen                                            Die Genehmigung der Sekundarstufe II in Pries-                                                hatte die integrierte Gesamt-       eingebunden war und mich ein-
                                        Ende 1970 lud der damalige Stadtschulrat,               Friedrichsort wurde an die Bedingung geknüpft,                                                schule ihre vom Gründungskol-       bringen konnte, z. B. an der Ent-
                                        Joachim Lohmann, zu einem Vortrag über                  dass an der Gesamtschule mindestens 100 Schü-                                                 legium angestrebte Form gefun-      wicklung von Leitlinien für künfti-
                                        eine zu gründende Gesamtschule in                       lerinnen und Schüler für die Oberstufe qualifiziert                                           den. Der Schulbetrieb konnte        ge Sozialpädagogik.“
                                        Kiel-Friedrichsort ein. Der Undine-Saal                 wären.                                                                                        mit einem hoch motivierten und
                                                                                                                                                                                              idealistischen Kollegium starten!   Das erste große Schüler-
                                        des Rathauses quoll über.
                                                                                                Die SPD - Fraktion im Landtag forderte deshalb                                                                                    projekt
                                        Es gründete sich ein Gesprächskreis aus                 einen neunzügigen Ausbau. Das wurde von der                                                   30.8.1972, 9:00 Uhr, Tag der        So war es dann auch selbstver-
                                        Gewerkschaften, mit Vertretern der MAK                  CDU, die über die Mehrheit im Landtag verfüg-                                                 Einschulung                         ständlich, dass besonders die
                                        (Maschinenbau Kiel) und dem Pastor von                  te, abgelehnt; sie genehmigte einen Ausbau bis                                                237 Schülerinnen und Schüler        Schüler*innen ihre Ideen und
                                        Pries-Friedrichsort, dessen erklärtes Ziel              zu sieben Parallelklassen.                                                                    sowie 16 Lehrerinnen und Leh-       Wünsche für die Freizeitgestal-
                                        es war, die Situation im vernachlässigten                                                                                                             rer sind auf dem Schulhof der       tung einbringen konnten. So
                                                                                                Das Kultusministerium befürwortete zunächst nur                                               Heinrich-von-Stephan-Schule         wünschten sie sich Projekte, in
                                        Stadtteil zu verbessern.
                                                                                                eine starke äußere Leistungsdifferenzierung und                                               versammelt. An alle Schülerin-      denen sie sich ausprobieren, ei-
                                                                                                lehnte auch für den Wahlpflichtbereich eine                                                   nen und Schüler werden Brief-       genständig handeln und (mit-)
                                        In der Chronik des Gesprächskreises heißt es im         Gleichwertigkeit von Technik und Wirtschaft mit                                               umschläge mit dem eigenen           entscheiden konnten.
                                        Vorwort: „Die Kieler Ratsversammlung hatte be-          den Fremdsprachen ab, kam aber später der                                                     Namen und einer Zeichnung
                                        reits (…) mit einstimmigem Beschluss die Errich-        Stadt und dem Gründungskollegium entgegen.                                                    von einem Segelschiff verteilt.     Eine ausgefallene Idee von
                                        tung einer Gesamtschule als Schulversuch beim                                                                                                         Sie sollen damit die Räume fin-     ihnen war z. B., an alten Autos zu
                                        Kultusministerium beantragt. Diesen Beschluss           Eine Planungsgruppe musste her                                                                den, in denen sie in Zukunft un-    basteln, zu schrauben und sich
                                        mit allen Mitteln zu unterstützen und Pries-Fried-      Zusätzlich zu diesem Gesprächskreis wurde nach                                                terrichtet werden und an deren      auszuprobieren, und zwar Schü-
                                        richsort als Standort zu fordern, war die erste Auf-    der Undine-Veranstaltung auch von der Stadt                                                   Türen dieselben Zeichnungen zu      ler und Schülerinnen gemein-
                                        gabe, die sich der Gesprächskreis Pries-Fried-          eine Planungsgruppe gegründet. Hier diskutier-                                                finden sind, denn in Kiel hat die   sam. Schulleitung und Lehrerkol-
                                        richsort, der sich an jenem Abend (12.11.1970)          ten Lehrkräfte, Wissenschaftler, Eltern und Schü-                                             Segelolympiade begonnen und         legium waren unter besonderen
                                        konstituierte, vornahm.“                                ler*innen die allgemeinen Lernziele der künftigen                                             die Neuankömmlinge sollen die       Sicherheitsvorkehrungen bereit,
                                                                                                Gesamtschule. Aus dieser Gruppe ging zum Teil                                                 Schule kennenlernen. Die Kern-      das Projekt zu unterstützen.
                                        Das Kultusministerium genehmigte die Gesamt-            das Gründungskollegium hervor.                                                                gruppen sind vorher eingeteilt
                                        schule Pries-Friedrichsort – allerdings nur als Halb-                                                                                                 worden, und zwar nach den           Götz Salisch kommentiert in
                                        tagsschule und ohne eine Oberstufe.                     Das neue Kollegium bemühte sich, die vorher                                                   Grundschulgutachten gemischt.       der Rückschau: „Über meine
                                                                                                besprochenen Ideen in die Wirklichkeit umzuset-                                               Jede Kerngruppe hat eine Tuto-      Kontakte zum Marinefliegerge-
                                        Diese Entscheidung rief etliche Protestveranstal-       zen. Selbstständiges und angstfreies Lernen war                                               rin und einen Tutor.                schwader (MFG) in Kiel-Holte-
                                        tungen in der Turnhalle der Heinrich von Stephan        ein alles überragender Gedanke. Der Unterricht                                                                                    nau kam das erste ausrangierte
                                        Schule hervor. Gemeinsam mit Stadtschulrat              sollte so interessant sein, dass alle Schülerinnen                                            Mittags gehen die Schülerinnen      Auto per Militärkranwagen auf
                                        Joachim Lohmann setzte man sich nachhaltig              und Schüler ihn der Freizeit vorzogen. Im Unter-                                              und Schüler, Lehrerinnen und        den Schulhof - eine Sensation! Es
                                        für eine Schule als Ganztagsschule mit Oberstu-         schied zu Haupt- und Realschulen gab es Fächer                                                Lehrer gemeinsam zur MAK, um        war ein dunkelblauer VW-Käfer
                                        fe ein.                                                 wie Technik, Naturwissenschaften oder Weltkun-                                                dort das Mittagessen einzuneh-      noch mit „Brezelheckscheiben“.
                                                                                                de. Diese boten den Schülerinnen und Schülern                                                 men.
                                        Die Stadt und der Gesprächskreis erreichten             Abwechslung von „klassischen“ Fächern wie                                                                                         Eine der ersten Aktivitäten
                                        schließlich durch ihren Einsatz die Zusage des          Deutsch oder Mathematik.                                                                      Eine Besonderheit unserer Schu-     waren simulierte „Ausfahrten“ im
                                        Kultusministeriums für die Einrichtung einer Ganz-                                                                                                    le ist der Ganztags- und Frei-      vollbesetzten VW - die Jungen
                                        tagsschule mit Oberstufe.                               Schulleiter für die ersten beiden Jahre sollte ein                                            zeitbetrieb, dem im pädagogi-       vorne und die Mädchen hinten
                                                                                                                                                      DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum
DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                                                                                Mitglied der CDU werden. Das Kollegium der Ge-                                                schen Konzept ein großer Stel-      - nach z.B. Dänemark, auf die
                                        Gesamtschule ohne Genehmigung                           samtschule hatte jedoch nach den soeben ge-                                                   lenwert eingeräumt wurde. In        andere Seite der Förde, nach
                                        Die Gesamtschule begann ihren Betrieb zu-               machten Erfahrungen mit der Landesschulpolitik                                                diesem Zusammenhang beson-          Laboe oder zu den Seehunden
                                        nächst ohne ministerielle Genehmigung - mit             zu große Vorbehalte.                                                                          ders wichtig: Es wurden Leitlini-   an die Nordsee.
                                        Unterstützung der MaK - mit dem Ganztagsun-                                                                                                           en für eine künftige Sozialpäda-
                                        terricht und einer Bespeisung in der Kantine der        So wurde mit Hilfe des Stadtschulamtes Her-                                                   gogik an der Schule entwickelt.     Nach und nach wurde das Auto
                                        MaK.                                                    wig Grau mit der kommissarischen Leitung der                                                                                      dann zerlegt, Ersatzteile aus-
                                                                                                Schule beauftragt, Werner Scharf und ich hal-                                                 Einer der ersten Mitarbeiter,       und abgebaut (Kotflügel, Lam-
                                                                                                fen ihm dabei. In 1974 wurde dann Hans Dietrich                                               Götz Salisch, der Vater zweier      pen, Kleinteile des Motors und

        8                                                                                                                                                                                                                                       Die Gründerjahre        9
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
Historisches
                                                                                                                                                                                              aus dem Schatzkästchen
                                                                                                                                                                                              des Herwig Grau präsentiert von...
                                                                                                                                                                                                                         Christa Lohmann
                                                                                                                                                                                                                         Herwig Grau war der didaktische Leiter
                                                                                                                                                                                                                         der IGF. Er hat seinerzeit bestimmte Ereignisse festgehalten,
                                                                                                                                                                                                                         z.B. 1973: „Der Ruf der IGF festigt sich“.

                                                                                                                                                                                              Der Unterricht an der neuen Schule beginnt. Die         Der Tag der Invasion rückt näher. Wir wiederho-
                                                                                                                                                                                              pädagogischen Bemühungen schlagen hohe                  len den Rütlischwur.
                                                                                                                                                                                              Wellen. „Wir machen alles anders!“ Die Umwelt
                                                                                                                                                                                              versteht uns nicht. Wir halten durch, auch wenn         Eine Mannschaft von Studenten steht vor der
                                                                                                                                                                                              die Nerven flattern.                                    Tür, begleitet von Professor R. und dem Schul-
                                                                                                                                                                                                                                                      aufsichtsbeamten, Herrn H. Die Fronten formie-
                                                                                                                                                                                              Die hohe Regierung, dem Experiment Gesamt-              ren sich. Der Beamte schreitet zur Vollstreckung.
In Projektwochen gestalten Schüler*innen ihre Schule                                                                                                                                          schule gegenüber ebenso misstrauisch wie neu-           Beamte müssen doch gehorchen. Klar?!
                                                                                                                                                                                              gierig eingestellt, erscheint in Doppelbesetzung.
                                                                                                                                                                                              Die beiden gedeckten Anzüge mit Schlips und             Der Kultusbeamte geht auf den ersten Lehrer zu:
                                           Scheiben - besonders auch die Brezelscheiben         Mein Fazit ist,                                                                               Kragen besuchen den Unterricht von Herrn B.             ‚Herr …, ich frage Sie, wollen Sie den Test durch-
                                           aus den Heckfenstern) und nach Schulschluss          dass nicht nur der Freizeitaspekt als Unterbre-                                               Grau sitzt in einem Kartenzimmer in der Nähe            führen?“ Nach einer inhaltsschweren Pause folgt
                                           mit dem Bollerwagen die ca. 1.5 km zum Schrott-      chung des ‚normalen‘ Unterrichts eine wichtige                                                und hört Geräusche. Er ist zum kommissarischen          ein fester Blick des Untertanen, der Mund öffnet
                                           platz in Kiel-Pries transportiert. Ziel der 10 und   Rolle spielte, sondern u. a. auch handwerkliche                                               Schulleiter bestellt. Der erste Schulleiter hat ja      sich zu einem: „Nein, Herr H.!“
                                           11- jährigen Schüler*innen war der Verkauf der       Fähig- und Fertigkeiten sowie Gemeinsinn geför-                                               entnervt (wegen der Differenzierung) das Feld           Alle anwesenden Lehrerkräfte werden um 2,5
                                           Teile. Mit dem mir bekannten Schrottplatzbesitzer    dert und nebenbei wirtschaftliche Interessen ge-                                              verlassen. Die Lautstärke im Unterrichtsraum            cm größer, die „Regierung“ um den gleichen
                                           hatte ich vor der Aktion Kontakt aufgenommen.        weckt wurden.                                                                                 schwillt an. Das Gebrüll scheint rhythmischer zu        Betrag kleiner. Und das Nein wiederholt sich bei
                                           Er war also auf das Kommen vorbereitet.                                                                                                            werden. Offenbar werden Schränke gerückt. Ein-          allen 7 Lehrerinnen und Lehrer.
                                                                                                Zwei Jahre später zog die Schule dann in ein                                                  zelne Schreie deuten auf Probleme hin …
                                           Und sie hatten Erfolg! Es wurde gehandelt und        neues Gebäude um und existiert seither am                                                                                                             PS. Der Test wurde an diesem Tag nicht
                                           gefeilscht mit dem Ergebnis, dass Sie ein paar       Steenbarg.                                                                                    Plötzlich öffnet sich die Klassentür. Zwei Gestal-      geschrieben.
                                           Mark in die Hand gedrückt bekamen und or-            Nach und nach wurde die integrierte Gesamt-                                                   ten, sichtlich um Jahre gealtert, erscheinen mit
                                           dentlich stolz waren. Es wurden noch ein paar        schule zur Institution in Friedrichsort, obwohl das                                           wirrem Blick.                                           PPS: Leider musste der Test nach ca. 14 Tagen
                                           Mark dazugegeben und die ganze Projekt-              Kultusministerium alles andere als begeistert                                                                                                         dennoch geschrieben werden.
                                           gruppe hat damit gemeinsam den Eisladen ge-          von der neuen Schulform war. Deshalb wurde                                                    Grau lädt sie in sein Zimmer ein. Sie brechen er-
                                           stürmt.“                                             die Schule durch das Ministerium von Beginn an                                                schöpft zusammen. Milde lächelnd sagen sie:
                                                                                                scharf kontrolliert und einer wissenschaftlichen                                              „Wir haben es nicht mehr ausgehalten. Ist das           1977
                                           Die anderen Freizeitangebote, z.B. Nähen, Spie-      Begleitung unterzogen.                                                                        hier immer so an der Gesamtschule?“                     Der Norddeutsche Gesamtschulkongress fin-
   DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                                                                                                                                      DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                           le, Sportaktivitäten und viele mehr, sind von El-                                                                                                                                                          det in der IGF statt. Die legendäre Dampferfahrt
                                           tern der angemeldeten Schüler und Schülerin-         Aber Kollegium, Elternschaft und Schüler*innen                                                Oder: „Die wissenschaftliche Begleitung droht.“         nach Langeland bei Windstärke 7-8 endet mit
                                           nen ehrenamtlich geleitet worden.                    standen geschlossen hinter dem Konzept. Auch                                                  Ein alerter Professor will die Gesamtschule mit         totaler Seekrankheit von drei Viertel aller Teilneh-
                                                                                                wenn dies bedeutete, immer wieder diskutie-                                                   dem Regelschulwesen vergleichen. Wir diskutie-          mer*innen
                                           Später kamen andere, neue dazu (Tonarbeiten,         ren, streiten und protestieren zu müssen. So ent-                                             ren und wittern den Tod des jungen Pflänzchens          In der Berichterstattung heißt es später:
                                           Tiffany, Drucken, Wandmalerei, Musik, Segeln,        wickelte sich eine Gemeinschaft, die von Ehe-                                                 Gesamtschule. Die Schulkonferenz beschließt:            Der Kongress war zum K….!
                                           Graffiti, Marionetten, Schach und weitere). Die      maligen als „große Familie ohne Klassenunter-                                                 „Wir schreiben den Test nicht!“
                                           neuen Aktivitäten wurden von der Stadt bezahlt       schiede“ bezeichnet wird.
                                           und zu Ganzjahresangeboten.

           10                                                                                                                                                                                                                                                                        Die Gründerjahre        11
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
Über 7 Brücken
                                                                                                                                                                                          In der ersten Hälfte des Jah-                3. Schon im zweiten Jahr        recht kleinen Klassenräumen.
                                                                                                                                                                                          res I989 gab es für das Kollegi-       wurde deutlich, dass die ehe-         Später wurde nach vielen Pro-
                                                                                                                                                                                          um des Gründerjahrgangs eine           malige Sonderschule wegen             testen die Zahl auf 26 vermin-

                                        musst du geh'n...
                                                                                                                                                                                          Fortbildung in Kiel, zusammen          des Platzmangels keine Perspek-       dert. Das war natürlich immer
                                                                                                                                                                                          mit den Initiativen aus Trappen-       tive bot. Es musste etwas passie-     noch keine große Hilfe.
                                                                                                                                                                                          kamp und Kiel – Ost. Die erfah-        ren. Zunächst wurden noch ein
                                                                                                                                                                                          renen Lehrkräfte aus Kiel-Fried-       paar Container aufgestellt, zeit-            7. Das Ziel der Integration
                                        Jürgen Backhaus                                                                                                                                   richsort und Neumünster, na-           weise sogar Unterricht auf dem        war nicht so leicht zu realisieren,
                                        Über 7 Brücken musst du geh'n...
                                                                                                                                                                                          mentlich Christa Lohmann und           Priwall in Zelten durchgeführt.       zeigte sich doch schnell, dass
                                                                                                                                                                                          Bernhard Brackbahn, schulten                                                 nicht nur vier Kinder eines Jahr-
                                        Eine kurze Darstellung der Hürden und
                                                                                                                                                                                          die etwa 24 Neulinge - eine ge-             4. Die Stadt tat nun doch        gangs erhöhten Zuwendungs-
                                        Schwierigkeiten, die die Gründer der ersten
                                                                                                                                                                                          lungene Maßnahme, die für fol-         das, von dem sie versprochen          bedarf hatten, sondern deutlich
                                        Gesamtschule in Lübeck vor dem Start                                                                                                              gende Jahrgänge leider so nicht        hatte, es nicht zu tun: Sie be-       mehr. Aber wo sollten die quali-
                                        und in den ersten Jahren zwischen 1989                                                                                                            mehr stattfand. Außerdem wur-          schloss die Umwandlung eines          fizierten Kräfte und die Stunden
                                        bis 1994 zu überwinden hatten.                                                                                                                    den Gespräche mit der Stadt            bestehenden Schulzentrums in          für die notwendige Doppelbe-
                                                                                                                                                                                          geführt, namentlich mit Schulse-       eine IGS. Die Otto-Anthes-Schule      setzung herkommen und wo
                                        Der Vorlauf                                                                                                                                       nator Heinz Lund und dem Bür-          am Burgfeld musste „dran glau-        waren die Extra-Räume?
                                        Eigentlich umfasst der Vorlauf für diese IGS ca. 20                                                                                               germeister Michael Bouteiller, in      ben“ und es gab einen Riesen-
                                        Jahre: von 1968 bis 1988. Die 68er - Generation,                                                                                                  denen es hauptsächlich um den          protest. 1992 kam es zu einem
                                        enttäuscht und genervt von einem verknöcher-                                                                                                      Standort der neuen IGS ging.           Bürgerentscheid, der von bei-         Mein Fazit
                                        ten dreigeteilten weiterführenden Schulsystem                                                                                                                                            den Seiten vehement befeuert          Natürlich sind diese sieben Hür-
                                        mit seinem durchgängigen Buch- und Frontal-                                                                                                       Die Anfangsschwierigkeiten             wurde. Da nur 22% der erforder-       den, die genommen werden
                                        unterricht und schwarzer Pädagogik, wollte die                                                                                                    werden hier als ,,7 Hürden“            lichen 25% die Umwandlung ab-         mussten, nur die gravierendsten
                                        Schule grundlegend reformieren.                                                                                                                   zusammengefasst:                       lehnten, zog die IGS dorthin um.      Beispiele für einen langen, kräf-
                                                                                              „„ eine Klasse mit maximal vier Integrations-                                                                                      Zwei Jahre dauerte das Auslau-        tezehrenden Kampf um eine
                                        Das war allerdings in Schleswig-Holstein unter           kindern (später Inklusion genannt)                                                              1. Die chronisch „klamme“       fen der Realschule. Keine schö-       gute, fortschrittliche Schule für
                                        einer CDU - Regierung nicht möglich, es bedurf-       „„ zwei Differenzierungsniveaus (Grund- bzw.                                                Stadt konnte der neu zu grün-          ne Zeit für beide Seiten, denn        alle Kinder.
                                        te erst einer neuen Regierung unter Leitung der          Erweiterungskurse in Deutsch, Mathematik,                                                denden IGS keinen Neubau an-           die Reibereien waren für alle
                                        SPD, um die vorhandenen Pläne in die Tat um-             Englisch und Nawi)                                                                       bieten, was wünschenswert ge-          belastend.                            Dass die Geschwister-Prenski-
                                        zusetzen. In den 70er und 80er Jahren hatte sich      „„ Lernberichte anstelle von                                                                wesen wäre. Also suchte man                                                  Schule mittlerweile sicher eta-
                                        neben den hauptsächlich in der Gewerkschaft              Notenzeugnissen in den Klassen 5 – 7                                                     nach einem Leerstand. Alle Nut-              5. Weitere zwei Jahre dau-      bliert ist und einen guten Ruf
                                        organisierten jungen und kritischen Pädagogin-                                                                                                    zer größerer belegter Gebäude          erte nun der Umbau und Aus-           hat, ja, jahrelang geradezu
                                                                                              „„ Klassenleitungsteams (möglichst ein Mann
                                        nen und Pädagogen auch eine Elterninitiative                                                                                                      hatten eine Umformung schon            bau des Schulzentrums mit viel        überlaufen war, mag wohl an
                                                                                                 und eine Frau) durchgängig von
                                        gebildet, die die vielfältigen Forderungen und                                                                                                    vehement abgelehnt. Schließ-           Lärm und Unannehmlichkeiten.          den „inneren Kräften“ des Kolle-
                                                                                                 Klasse 5 bis 10
                                        Reformideen mit vorantrieb.                                                                                                                       lich fiel das Los auf eine kleine,     Erfreulich einerseits, gab es nun     giums gelegen haben, wie Björn
                                                                                              „„ kein Sitzenbleiben, sondern höchstens freiwil-                                           auslaufende Sonderschule am            endlich genug Platz, nerven-          Engholm bei der 25-Jahr- Feier
                                        Das Konzept der IGS Lübeck:                              lige Wiederholung                                                                        Stadtrand - kein guter Standort,       aufreibend andererseits, weil         der Schule vermutete.
                                        „Eine Schule für alle!“                               „„ täglicher Morgenkreis                                                                    aber doch wenigstens ein Ort für       viel improvisiert werden musste.
                                        Angeregt durch Vorbilder in Skandinavien, z.B.        „„ Schulessen, Ganztagsunterricht an drei                                                   den Anfang.                            Für den Bereich Oberstufe wur-        So ist es nicht erstaunlich, dass
                                        die Tvind-Schulen in Dänemark und bestehende             Tagen der Woche mit Freizeitangeboten                                                                                           den darüber hinaus zwei neu zu        die Schule sich weiterhin erfolg-
                                        Schulen in Göttingen und Kassel, kam die Vor-            mittags                                                                                        2. Der erste und auch der        bauende Räume zunächst ge-            reich den Zukunftsanforderun-
                                        bereitungsgruppe zu folgenden inhaltlichen Vor-                                                                                                   zweite Jahrgang erfüllte bei wei-      strichen und erst 15 Jahre später     gen stellt und innovativ ist. Wo
                                                                                              „„ betreute Aufgaben in der Schule , keine
                                        stellungen:                                                                                                                                       tem nicht die geforderte Drit-         realisiert.                           gibt es schon eine Schule mit
                                                                                                 Hausaufgaben
                                                                                                                                                                                          telparität. Viele Eltern aus dem                                             einer Sitzarena für 100 Personen
                                                                                                                                                  DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum
DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                        „„ eine kleine IGS mit maximal vier Zügen
                                                                                              „„ Klassenfahrten jedes Jahr und viel Outdoor-                                              gehobenen Bildungsbürgertum                 6. Ein Schlag gegen die          und einer eigenen Schmiede in
                                           (die in Schleswig- Holstein bereits bestehen-
                                                                                                 Unterricht                                                                               zogen deshalb trotz signalisier-       grundlegende Pädagogik er-            einem selbst gebauten Lehm-
                                           den Versuchs-IGS in Neumünster und Kiel
                                           wurden als zu groß angesehen)                      „„ mehrmals im Jahr Vorhabenwochen                                                          ten Interesses und teilweise ak-       folgte im vierten Jahr des Beste-     haus?
                                                                                              „„ keine Klingel, dafür Uhren, kein Schulhof-                                               tiver Mitarbeit in der Elterninitia-   hens der Schule: Das Ministerium
                                        „„ Tischgruppenpädagogik (Team- Kleingrup-
                                                                                                 zwang in den Pausen                                                                      tive das Gymnasium für ihre Kin-       erhöhte die Klassenfrequenz von
                                           penmodell, Projektunterricht)
                                                                                                                                                                                          der vor.                               24 auf 27. Das hatte zur Folge,
                                        „„ Drittelung der Schulart-                           „„ möglichst durchgängiges Duzen
                                                                                                                                                                                                                                 dass pro Klasse statt vier nun fünf
                                           empfehlung und hälftige Geschlechterzu-            „„ attraktive Schulhofgestaltung, eventuell                                                                                        Tischgruppen eingerichtet wer-
                                           ordnung,                                              mit Tieren                                                                                                                      den mussten, und zwar in den

        12                                                                                                                                                                                                                                                                           Die Gründerjahre        13
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
Gesamtschulen
                                        der zweiten Generation
                                                    dargestellt am Beispiel                                                                                                               le Norddeutschlands im ländlichen Raum, noch         wochen wurden von einer eher konservativ ein-
                                                                                                                                                                                          dazu in der Ablösung der Hauptschule als einzi-      gestellten Bevölkerung zwar misstrauisch beäugt,
                                                               der Richard- Hallmann-Schule Trappenkamp                                                                                   ge weiterführende Schule vor Ort, hatte die IGS      die Ergebnisse sprachen jedoch sehr schnell für
                                                                                                                                                                                          Trappenkamp dennoch von Anfang an Modell-            sich. Die ersten Integrationsklassen wurden 1996
                                        Renate Holfter                                                                                                                                    charakter und wurde entsprechend auch kritisch       eingerichtet, um dem Anspruch einer Schule für
                                        Die RHS (früher IGS Trappenkamp) liegt im                                                                                                         hinterfragt.                                         alle wirklich gerecht werden zu können. Die IGS
                                        ländlichen Raum Schleswig-Holsteins und galt                                                                                                                                                           wurde ein selbstverständlicher Bestandteil der Bil-
                                        lange als unmögliches Projekt – die einzige                                                                                                       Der Orkan, der am 28. August 1989 tobte und          dungslandschaft in der Region und bekam 2008
                                        weiterführende Schule eines Ortes durfte in                                                                                                       die geplante Eröffnung der Schule sowie die Ein-     endlich auch eine eigene Oberstufe – die Un-
                                                                                                                                                                                          schulung des ersten fünften Jahrgangs für die-       kenrufe, im ländlichen Raum gebe es dafür nicht
                                        Schleswig-Holstein auf keinen Fall eine
                                                                                                                                                                                          sen Tag verhinderte, erwies sich als symptoma-       genug Potential, waren längst eindrucksvoll wi-
                                        Gesamtschule sein. Das unmögliche Projekt
                                                                                                                                                                                          tisch für die Atmosphäre, in der die junge IGS       derlegt.
                                        besteht nun seit 32 Jahren und prägt auch                                                                                                         aufwuchs: Die Kreispolitik verweigerte die Finan-
                                        und gerade durch sein Motto „Miteinander –                                                                                                        zierung eines notwendigen Erweiterungsbaus,          Die Schulidentität der 2011 in „Richard-Hall-
                                        Füreinander“ Ort und Umgebung.                                                                                                                    Gemeindevertreter der Umlandgemeinden rie-           mann-Schule, Gemeinschaftsschule mit Ober-
                                                                                                                                                                                          ten öffentlich vom Besuch der IGS ab und Schü-       stufe“ umbenannten IGS Trappenkamp ist un-
                                                                                                                                                                                          ler*innen, Eltern und Lehrkräfte der IGS sowie Ge-   gebrochen: Als Mitglied des Netzwerks „Schu-
                                        Sommer 1981                                                                                                                                       meindevertreter*innen sahen sich Anfeindungen        le ohne Rassismus – Schule mit Courage“ leben
                                        Die Geschichte der IGS Trappenkamp beginnt           Initiative, gleichzeitig befürwortete jedoch auch                                            ausgesetzt. Dies stärkte die junge Schulgemein-      wir unser Schulmotto: „Miteinander – Fürein-
                                        bereits im Sommer 1981 mit der Gründung einer        eine deutliche Mehrheit der Eltern von Grund-                                                schaft jedoch und führte dazu, dass auf dem Hö-      ander“. Wir sind seit 2016 Zentrum für Deutsch
                                        Bürgerinitiative „Gesamtschulinitiative Trappen-     schulkindern die Errichtung einer Gesamtschu-                                                hepunkt der Streitigkeiten die Elternvertreter*in-   als Zweitsprache, unsere Schü-
                                        kamp und Umgebung“. Im strukturschwachen             le. Der erste, von der Gemeinde Trappenkamp                                                  nen demonstrierend vor das Landeshaus nach           ler*innen engagieren sich in Als Mitglied des
                                        ländlichen Raum Holsteins gelegen, unterschied       1982 eingereichte Antrag wurde jedoch von der                                                Kiel zogen und im Zuge eines ‚Schulstreiks‘ 1991     Klassen-, Schul- und Gemein- Netzwerks „Schule
                                        sich die von Geflüchteten nach dem 2. Weltkrieg      Landesregierung abgelehnt. Aufgrund der politi-                                              eine Demonstration von Eltern und Schüler*in-        deprojekten, helfen sich ge-
                                        aufgebaute Gemeinde Trappenkamp von den              schen Mehrheiten schien damit zunächst keine                                                 nen die vielbefahrene Bundesstraße 404 lahm-         genseitig im klassen- und jahr- ohne Rassismus –
                                        traditionsreichen Bauerndörfern der Umgebung         Hoffnung mehr zu bestehen, eine Gesamtschu-                                                  legte. Schließlich kam die Anweisung des Lan-        gangsübergreifendem Lernen, Schule mit Courage“
                                        sowohl durch ihre Sozialstruktur als auch durch      le errichten zu dürfen. Die Initiative aus Gemein-                                           des an den Kreis, den Schulbau nicht weiter zu       übernehmen Verantwortung
                                        ihre industrielle Prägung. Gemessen am Bevöl-        devertretern, Lehrkräften und Eltern blieb jedoch                                            blockieren und die Mittel freizugeben, so dass       füreinander und treffen sich leben wir unser
                                        kerungsdurchschnitt lebten wesentlich mehr Ar-       auch in den folgenden Jahren aktiv und in der                                                ab Januar 1992 der Bau eigener Räumlichkei-          auf Augenhöhe mit Lehrkräf- Schulmotto: „Mitein-
                                        beiter*innen, Arbeitslose und Menschen aus-          Öffentlichkeit mit ihren Forderungen präsent.                                                ten begann.                                          ten und Eltern, nicht nur im Un-
                                        ländischer Herkunft in Trappenkamp als in den                                                                                                                                                          terricht, sondern auch bei der
                                                                                                                                                                                                                                                                                 ander – Füreinander“
                                        Umlandgemeinden, der Ort war von der Sozi-           Neue Hoffnungen mit der SPD 1988                                                             Rasante Schulentwicklung                             Schulentwicklung. Das Thema
                                        alstruktur her einem Arbeiterviertel in der Groß-    Im Mai 1988 errang die SPD in Schleswig-Hol-                                                 Sehr schnell nahm die Schulentwicklung Fahrt         der Bildungsgerechtigkeit treibt uns bis heute
                                        stadt vergleichbar. Entsprechend gering waren        stein unter Björn Engholm einen Erdrutsch-Sieg.                                              auf und bereits innerhalb der ersten 10 Jahre er-    um, darum engagieren wir uns beim Bund-Län-
                                        die Bildungschancen der dort lebenden Kinder,        Das weckte auch in Trappenkamp neue Hoff-                                                    warb sich die IGS Trappenkamp einen guten Ruf        der-Projekt LemaS (Leistung macht Schule) mit
                                        dies zeigte sich in einem weit überproportionalen    nung und so stellte die Gemeinde einen Monat                                                 sowohl bei Eltern als auch Arbeitgebern der Re-      dem Schwerpunkt, die in jedem Kind stecken-
                                        Anteil von Hauptschulempfehlungen nach der 4.        später einen erneuten Antrag zur Gesamtschul-                                                gion. Trotz insgesamt zurückgehender Schüler-        den Begabungen zu entdecken und zu fördern.
                                        Klasse sowie auch darin, dass die einzige weiter-    gründung. Schließlich wurde im Januar 1989 ein                                               zahlen blieb die Nachfrage ungebrochen hoch          Wir sind heute eine moderne, auch digital gut
                                        führende Schule vor Ort eine Hauptschule war.        Schulversuch mit drei neuen Gesamtschulen                                                    und ermöglichte der Schule die Vierzügigkeit.        aufgestellte Schule mit 800 Schüler*innen aus
DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                                                                                                                                  DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                                                                             genehmigt: Die IGS Lübeck (später Geschwis-                                                  Das verdankte sich neben der intensiven Zusam-       vielen Ländern und Kulturen, leben ein selbst-
                                        Die Initiative verfolgte daher eine doppelte Ziel-   ter-Prenski-Schule), die IGS Kiel-Diedrichsdorf                                              menarbeit von Lehrkräften, Schüler*innen, Eltern,    verständliches Miteinander unabhängig von
                                        setzung mit der Forderung nach einer Gesamt-         (später Toni-Jensen-Schule) und die IGS Trap-                                                Schulleitung und Kommunalpolitik auch den örtli-     Herkunft, psychischen oder physischen Beson-
                                        schule: Sowohl die Bildungschancen der Kinder        penkamp (heutige Richard-Hallmann-Schule).                                                   chen und überörtlichen Betrieben, die ein großes     derheiten, sozialen oder familiären Gegebenhei-
                                        sollten deutlich verbessert werden als auch lang-    Die IGS Trappenkamp wurde dabei als dreizügi-                                                Interesse an Abgänger*innen mit höherwertigen        ten und sind stolz auf die selbstbewussten, sozi-
                                        fristig der Ort und dessen Bevölkerung von einer     ge Schule ohne Oberstufe genehmigt, da man                                                   Schulabschlüssen hatten und daher die Schule         al kompetenten und engagierten jungen Leute,
                                        Aufwertung der Infrastruktur profitieren. Daher      auch in der SPD (!) annahm, der ländliche Raum                                               unterstützten. Pädagogische Innovationen wie         die wir jedes Jahr mit guten Abschlüssen entlas-
                                        war die Kommunalpolitik, insbesondere die dort       habe ein gymnasiales Potential nicht in ausrei-                                              Freiarbeit, Tischgruppenarbeit, offener Unter-       sen dürfen. Die Erwartungen und Hoffnungen
                                        tonangebende SPD, einer der Motoren für die          chendem Maß zu bieten. Als erste Gesamtschu-                                                 richtsbeginn, Projektunterricht und Vorhaben-        der Gründer*innen haben sich erfüllt.

        14                                                                                                                                                                                                                                                                   Die Gründerjahre        15
Die Schulefür alle - Gesamt-/Gemeinschaftsschulen 50Jahre in Schleswig-Holstein - Gemeinnützige Gesellschaft ...
Die Gesamtschulinitiative Kiel                                                                                                                      Ein großes Problem war die ablehnende Haltung          Dle Toni-Jensen-Gesamtschule - heute die Toni-
                                                        – aber die zweite Gesamtschule für die                                                                                              der Lehrerkollegien an den bestehenden Haupt-
                                                                                                                                                                                            und Realschulen, die zwar nicht immer grund-
                                                                                                                                                                                                                                                   Jensen-Gemeinschaftsschule - ist inzwischen un-
                                                                                                                                                                                                                                                   bestrittene Realität. Bei Schülern wie Eltern aner-
                                                               Landeshauptstadt ließ lange auf sich warten                                                                                  sätzlicher Art war, aber die eigene Schule ver-        kannt, genießt sie einen guten Ruf. Was uns noch
                                                                                                                                                                                            schont wissen wollte. Da waren sich denn auch          nicht zufriedenstellt, ist die Zusammenarbeit mit
                                                                                                                                                                                            GEW- und SPD-Kollegen oft durchaus einig. Un-          der im gleichen Gebäudekomplex befindlichen
                                        Ursula Tolkmit                                                                                                                                      sere Hoffnung waren die Eltern, die für ihre Kinder    Grundschule. Unser Ziel war von Anfang an für
                                        Im Stadtteil Neumühlen-Dietrichsdorf gab es            unsere Eile und meinten, man wäre noch gar                                                   diese neue Schulform als sinnvoll ansahen. Aber        die bereits bestehende Ganztags-Grundschu-
                                                                                               nicht so weit. An Info-Ständen sammelten wir                                                 wie gegen die massive Gegenpropaganda an-              le ein Angebot zu schaffen, die bewährten Un-
                                        schon seit 1980 eine Gesamtschulinitiative.
                                                                                               weiter Unterschriften und überreichten schließ-                                              kommen? Wir versuchten uns nun als Gesprächs-          terrichtsformen fortzuführen und den Schülerin-
                                        Eltern, Lehrer und Politiker hatten erkannt,
                                                                                               lich 145. Erster Erfolg unserer Bemühungen war                                               partner für Elternversammlungen der 4. Schuljah-       nen und SchüIern einen Übergang im gesamten
                                        dass eine Gesamtschule in einem Stadtteil, der         ein Beschluss der Kieler SPD-Rathausfraktion: Wir                                            re anzubieten, was meist schon an den vorein-          Klassenverband zu ermöglichen. Dieser Idealfall
                                        überwiegend von Arbeitern und Angestellten             wollen eine zweite Gesamtschule für Kiel, und                                                genommenen Elternvertretern scheiterte. Wir            konnte noch nicht erreicht werden, da die Vor-
                                        bewohnt wird, für viele Kinder eine unabding-          zwar auf dem Ostufer.                                                                        unterstützten Informationsveranstaltungen der          urteile, besonders bei einigen der abgebenden
                                        bare Notwendigkeit ist, um ihre Chancen für                                                                                                         Nachbarstadtteile bzw. -gemeinden. Schließ-            Klassenlehrer gegen die Gesamtschule noch zu
                                        eine gute Schulausbildung zu erhöhen.                  Jetzt wurden die Gesamtschulgegner aktiv. In                                                 lich richteten wir eine wöchentliche Elternbera-       groß waren. Ziel bleibt aber, Ganztagsgrund-
                                                                                               einer CDU-Versammlung am 5.10.1988 trat der                                                  tung im AWO-Bürgerladen ein, die wir über die          schule und Gesamtschule allmählich zu einer
                                        Die Initiative kümmerte sich in den Jahren der         ehemalige Kultusminister Peter Bendixen auf                                                  Presse ankündigten. Hier gelang es uns, in vielen      immer größeren Einheit werden zu lassen, so wie
                                        CDU-Regierung, in denen jeder Weg zu Gesamt-           den Plan. Die alten Diffamierungen gegen die                                                 Einzelgesprächen Eltern für die Gesamtschule so        wir das in der von uns besuchten Hamburger
                                        schulen per Schulgesetz verbaut worden war,            Gesamtschule wurden aus der Schublade ge-                                                    zu motivieren, dass sie jetzt die Arbeit der neuen     Schule erlebt hatten: Übergang ganzer Klassen
                                        um andere Verbesserungen des Bildungsange-             holt. Leider fanden sie in den „Kieler Nachrich-                                             Schule tatkräftig unterstützten. Am Ende der Os-       ohne Bruch, ohne Auseinanderreißen der in vier
                                        bots, wie z.B. ein 10. Schuljahr für alle Schülerin-   ten“ ein Instrument, alle negativen Äußerungen                                               terferien organisierte unsere Initiative eine Studi-   Jahren zusammengewachsenen Gruppe.
                                        nen und Schüler.                                       über Gesamtschulen lückenlos zu veröffentli-                                                 enfahrt für interessierte Lehrer und Eltern zu einer
                                                                                               chen, während unsere Stellungnahmen, Presse-                                                 Hamburger Gesamtschule.                                Wir waren als Eltern, Lehrer und Politiker unseres
                                        Nach dem Regierungswechsel am 8. Mai 1988              notizen, Leserbriefe usw. nur selten abgedruckt                                                                                                     Stadtteils mit unserer Initiative für unseren Stadt-
                                        beschlossen Mitglieder, eine Unterschriftenliste       wurden. Ein regelrechter Schulkrieg wurde ent-                                               Würden genug Kinder angemeldet?                        teil aktiv geworden. Das brachte uns am Anfang
                                        für die Einrichtung einer Gesamtschule in ihrem        facht, Eltern und Lehrer des im Einzugsbereich                                               Aber immer noch blieb für uns das große Fra-           den Vorwurf der zu engen Sicht ein. Es war aber
                                        Stadtteil zu starten. Nachdem bis Juli ca. 200 Un-     liegenden Gymnasiums - in seinem Bestand üb-                                                 gezeichen: Wie viele Eltern würden ihre Kinder         auch unsere Stärke; denn wir waren bei den Bür-
                                        terschriften vorlagen, stellte die Initiative beim     rigens nie in Frage gestellt- waren sich nicht zu                                            an der neuen Schule anmelden? Von Seiten des           gern bekannt, und die Eltern vertrauten unserer
                                        Ortsbeirat Neumühlen-Dietrichsdorf den Antrag,         schade, die Schüler zu Demonstrationen aufzu-                                                Schulamtes war man von einer Dreizügigkeit aus-        Redlichkeit, auch wenn sie eine andere Meinung
                                        sich für die Errichtung einer integrierten Gesamt-     hetzen. Als schließlich die Entscheidung für den                                             gegangen, Bedingung des Ministeriums waren             zur Gesamtschule hatten. So konnten wir uns ein
                                        schule einzusetzen. Gegen 2 Stimmen (CDU) be-          Standort Dietrichsdorf gefallen war, ging dort                                               60 SchüIer/Innen. Und dann die spannenden An-          wenig frei machen von dem politischen Kalkül.
                                        schloss der Ortsbeirat am 25.8.1988 einen ent-         derselbe „Zauber“ an der Realschule los. Massi-                                              meldetage: 184 Anmeldungen! Der Elternwille
                                        sprechenden Antrag an die Ratsversammlung.             ve Beeinflussung der Eltern über ihre Kinder hatte                                           hatte sich überdeutlich artikuliert. An dieser Stel-   Diese Herangehensweise müsste unserer Mei-
                                                                                               das Ziel, den Beschluss zu kippen. Hier noch eher                                            le muss gesagt werden, dass all die anfallenden        nung nach auch von anderen Initiativen in
                                        Inzwischen veranstaltete unsere Initiative eine        verständlich, da dieser Beschluss ein Auslaufen                                              Probleme und Schwierigkeiten wettgemacht               noch stärkerem Maße geübt werden. Deshalb
                                        gut besuchte öffentliche Versammlung zum               der Real- und der Hauptschule zugunsten der                                                  wurden von einem optimistischen Teamgeist zwi-         darf kein Stillstand in der Gesamtschulbewegung
                                        Thema Gesamtschule, zu dem der Leiter der Ge-          Gesamtschule vorsah. Vor Ort hatte inzwischen                                                schen Eltern, Initiativlern, dem nun schon kräftig     Schleswig-Holsteins eintreten.
                                        samtschule in Kiel-Friedrichsort eingeladen wor-       der SPD-Ortsverein eine eigene Veranstaltung                                                 in der Vorbereitung stehenden Gesamtschulkol-
                                        den war. Die Diskussion verlief kontrovers, aber       zum Thema durchgeführt, die umzuwandelnde                                                    legium und, nicht zu vergessen, der neuen Schul-       Wir wünschen allen Initiativen den gleichen
                                        sachlich.                                              Grund- und Hauptschule hatte auf Initiative des                                              sekretärin.                                            Erfolg, den wir uns hart erstritten haben!
                                                                                               Elternbeirates ebenfalls einen Info-Abend veran-
                                        Immer wieder Vorbehalte und aktive                     staltet. Aber die Negativ-Information war immer                                              Das Ziel war erreicht, aber die Arbeit für unse-        Ursula Tolkmit
                                        Gegner                                                 noch beherrschend.                                                                           re Initiative nicht beendet. Für das Stadtteilfest     Mitglied der Elterninitiative
DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                                                                                                                                    DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                        In dieser Phase unserer Bemühungen stießen wir                                                                                                      zur Kieler Woche bereiteten wir einen großen In-       und Mitarbeiterin im Ganztagsbereich
                                        noch auf sehr viele Vorbehalte der unterschied-        Im Dezember, nach Einholung der Voten von El-                                                fo-Stand vor, der gleichzeitig die Möglichkeit des
                                        lichsten Art. Da kam z.B. der Einwand, unser           ternbeiräten und Lehrer-Kollegien, wurde der An-                                             Kennenlernens bieten sollte. Denn das Einzugs-
                                        Stadtteil sei kein geeigneter Standort. Wir ließen     trag von der Ratsversammlung beschlossen und                                                 gebiet der künftigen Schule war sehr umfang-
                                        uns nicht beirren; denn wir wussten, dass diese        an das Kultusministerium weitergeleitet. Die Ge-                                             reich. Die Initiativmitglieder, soweit nicht selbst
                                        Schulform von vielen Bürgern gewünscht und             nehmigung erfolgte im Januar 1989. Aufgrund                                                  Eltern künftiger Gesamtschüler, traten als zah-
                                        von den örtlichen Politikern unterstützt wurde.        des noch bestehenden alten Schulgesetzes                                                     lende Mitglieder in den Schulförderverein ein,
                                        Auch die SPD-Vertreter der Stadt taten sich an-        konnte vorerst nur die Einrichtung aIs Schulver-                                             sie beteiligten sich aktiv an der Einrichtung der
                                        fangs schwer. Selbst Befürworter stöhnten über         such beschlossen werden.                                                                     Schülerbücherei.

        16                                                                                                                                                                                                                                                                        Die Gründerjahre        17
Gesamtschul-Initiativen                                                                                                                    Aus der Gesamtschule werden
                                                                               – ein wichtiger Motor für die                                                                           Gemeinschaftsschulen
                                                                               Gründung weiterer Gesamtschulen

                                                                                                                                                                 Struktur-Reform
                                        Christa Lohmann
                                        Ende der 80er Jahre gab es an
                                                                               richtung einer solchen Schule            bund mit Tornesch und den Um-
                                                                               aufs nächste Jahr vertagt, blieb         landgemeinden übernehmen.
                                        die 30 Initiativen, die die Ein-
                                                                               aber erfolglos.                          Aber der Weg war mühsam,
                                        richtung einer Gesamtschule
                                                                                                                        denn in der Gemeindeversamm-
                                        forderten. Peter Steinhagen,                  Pro: In Eckernförde arbeite-      lung wurde der von den Grünen
                                        ein Mitglied der GGG, stellte          te eine Elterninitiative, die als lose   gestellte Antrag für die Gesamt-
                                        seinerzeit eine Übersicht von          Vereinigung ohne formalen Cha-           schule im März 1989 abgelehnt.
                                        diesen Gruppen zusammen,               rakter organisiert war. Unterstützt      Die Wendung zum Besseren trat                                                               Das Jahr 2007 markiert eine Wen-
                                        die zwischen Ost- und Nordsee          wurde die Gruppe vom DGB-Orts-           ein, nachdem die betroffenen                                                                de. Mit einem neuen Schulgesetz
                                        aktiv waren.                           kartell und der GEW. Der Antrag auf      Eltern aller Kreis Pinneberger Ini-                                                         gibt es neben dem Gymnasium nur
                                                                                                                                                                                            Klaus Mangold
                                                                               Errichtung einer Gesamtschule, den       tiativen einen Regionalverband                                                              noch Gemeinschaftsschulen.
                                        Er schrieb dazu in einem                                                                                                                           ehem. Schulleiter
                                                                               die Stadt Eckernförde im Oktober 89      der GGG gründeten, um ihren                                     an der IGS Bad Oldesloe,
                                        GGG-Info: „Schleswig-Holstein                                                                                                                                               Aber wie konnte das geschehen?
                                                                               stellte, beinhaltete eine dreizügige     Einfluss zu erhöhen, so dass es                                  heute Ida-Ehre-Schule
                                        erholt sich in diesem Jahr von         integrierte Ganztags-Gesamtschu-         langfristig zumindest zur Grün-                                                             Und die Gesamtschulen werden in
                                        Jahrzehnten bevormundender             le. Ihre gymnasiale Oberstufe sollte     dung einer kooperativen Ge-                                                                 Gemeinschaftsschulen umbenannt
                                        Schulpolitik.“ Auf Grundlage           mit der des Gymnasiums kooperie-         samtschule mit Oberstufe in Tor-                                                            – ein Tiefschlag für die „Alten“.
                                        dieser Zusammenstellung sol-           ren, das sich im gleichen Gebäude-       nesch kam.
                                        len hier einige Beispiele kurz         komplex befindet.
                                        vorgestellt werden.                                                                   Pro: In Trappenkamp brauch-
                                                                                    Contra: Seit Juni 1989 ar-          te die Initiative zwei Anläufe für die
                                        Die Erfahrungen, die die Initi-
                                                                               beitete eine Initiative in Heide         Errichtung der Gesamtschule. Deren
                                        ativen mit ihren Forderungen
                                                                               zusammen mit einigen SPD-Mit-            Arbeit war schließlich so erfolgreich,
                                        machten, fallen sehr unter-            gliedern. Die erhoffte Antragstel-       dass Gesamtschulgegner der Nach-
                                        schiedlich aus. Es gab Erfolge,        lung für das Schuljahr 1990/91           bargemeinde Bornhöved mit einer
                                        aber auch Enttäuschungen.              kam aber nicht zustande.                 CDU-Gemeindemehrheit eine Ge-
                                                                                                                        samtschule zum Schuljahr 90/91
                                                                                                                                                                                           Ute Shabanpoor
                                              Pro: Äußerst erfolgreich war           Pro: Auf Druck einer Initiative    beantragten, obgleich dies den Ver-
                                                                                                                                                                                              Schulleiterin
                                        die Initiative Bargteheide, die sich   vom Herbst 1988 beschloss die Stadt      zicht auf Haupt- und Realschule be-                             an der Bergschule Fockbek
                                        im Sommer 1988 gründete. Sie           Pinneberg im Januar 1989 die Errich-     deutete.
                                        konnte innerhalb eines Jahres 431      tung einer Gesamtschule in der Re-
                                        Unterschriften von Gesamtschulbe-      alschule Thesdorf. Die Schulkonfe-       Fazit von Peter Steinhagen,
                                        fürwortern vorweisen, darunter 277     renz der Realschule unterstützte das     Mitglied der GGG
                                        von Eltern aus allen Grundschulklas-   zukünftige Miteinander der auslau-       Die Zusammenarbeit mit den ört-
                                        sen im Raum Bargteheide. Den An-       fenden Realschule und der aufwach-       lichen Kommunalpolitikern fällt
                                        trag auf die Einrichtung einer Ge-     senden Gesamtschule. In den ersten       sehr unterschiedlich aus. Die Zu-
                                        samtschule stellte die Stadt dann      Wochen des neuen Schuljahres ge-         sammenarbeit mit den Grünen
                                        im Oktober 1989: maximal vierzü-       stalteten „alte“ Realschulklassen        und der GAL war gut, mit der
                                        gig, mit Oberstufe.                    und „neue“ Thesdorfer Fünftklässler      SPD mal von guter Zusammenar-
                                                                               eine gemeinsame Projektwoche und         beit geprägt, mal aus wahltak-
                                              Contra: Weniger erfolg-          erprobten so auch die persönlichen       tischen Gründen negativ. Fast
DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                        reich verlief die Initiative in        Patenschaften zwischen „Real“- und       durchgängig war die Unzufrie-
                                        Barmstedt, die von der örtlichen       „Gesamt“-Schülern.                       denheit mit der Kultusministerin
                                        SPD getragen wurde. Bei einer                                                   und der SPD-Landtagsfraktion
                                        Befragung von Tür zu Tür spra-              Con/Pro: Die örtliche Initi-        wegen ihrer Zögerlichkeit sehr
                                        chen sich 70% der Grundschul-          ative in Uetersen arbeitete seit         groß. Besonders heftig waren
                                        eltern für eine Gesamtschule für       Herbst 1988. Die Stadt Uetersen          die Klagen der Initiativen über
                                        ihre Kinder aus. Mit Rücksicht auf     beantragte für das Schuljahr             die mangelnde Objektivität der
                                        die bevorstehende Kommunal-            1990/91eine Gesamtschule. Die            Presse und ihre unnötige demo-
                                        wahl wurde der Antrag auf Ein-         Trägerschaft sollte ein Schulver-        tivierende Berichterstattung.

     18                                                                                                                                                                                                                                                 19
Von Gesamt-                                                                                                                                       Realschullehrer sehr unterstützt wurden. Auch        In meiner Beratungstätigkeit vor Ort (als GGG–Mit-

                                            zu Gemeinschaftsschulen                                                                                                                       dem neuen System standen viele Kolleginnen
                                                                                                                                                                                          und Kollegen ablehnend gegenüber. So musste
                                                                                                                                                                                          unter anderem durch ein Vorschaltgesetz verhin-
                                                                                                                                                                                                                                               glied) habe ich von 2007 - 2015 ca. 100 Schulen
                                                                                                                                                                                                                                               besucht - einige sogar mehrmals. Ich traf dann
                                                                                                                                                                                                                                               doch auf viel Offenheit, aber auch viel Respekt
                                                                                                                                                                                          dert werden, dass Schulen abschlussbezogene          vor der Veränderung. Viele Kolleginnen und Kol-
                                        Klaus Mangold                                                                                                                                     Klassen einrichteten. Die GGG hat dagegen in         legen fühlten sich durch die Landesregierung al-
                                        Die Geschichte der Schulen in Schleswig-             sollten auf Antrag des Schulträgers aus verschie-                                            diesem Zusammenhang den Schulen vielfältige          lein gelassen. Zum Beispiel wurde das Angebot
                                                                                             denen bestehenden Schulen unterschiedlicher                                                  Beratungsangebote gemacht, die zum Teil auch         des IQSH als sehr unterschiedlich wahrgenom-
                                        Holstein von einem drei- bis vierfach
                                                                                             Schularten oder durch eine Schulartänderung                                                  genutzt wurden. Dabei ging es vor allen Dingen       men. Einige empfanden es als wirkliche Hilfe und
                                        gegliederten System in ein zwei- bis dreifach
                                                                                             entstehen. Voraussetzung für eine Genehmi-                                                   um folgende Aspekte:                                 gut investierte Zeit, andere oft auch als Zeitver-
                                        gegliedertes System war ein langer Weg.
                                                                                             gung war die Erstellung eines pädagogischen                                                  Umgang mit heterogenen Gruppen, individuelle         schwendung, weil die Fortbildungsveranstaltun-
                                                                                             Konzeptes. Die bestehenden Gesamtschulen er-                                                 Förderung im Unterricht und Inklusion. Bei inter-    gen selber zu unkonkret und praxisfern waren
                                        Nach der Gründung der ersten Integrierten und        hielten den Auftrag, sich zu Gemeinschaftsschu-                                              nationalen Schulvergleichsstudien (u.a. IGLU und     oder aber weil die guten Inputs im Alleingang
                                        Kooperativen Gesamtschulen (in Neumüns-              len weiterzuentwickeln.                                                                      TIMSS 2011) wurde deutlich, dass in Deutschland      im Schulalltag schwer umsetzbar waren. Konkret
                                        ter und Kiel bzw. in Elmshorn und Flensburg) in                                                                                                   sowohl hochintelligente wie auch leistungs-          wurde ich nach folgenden meiner Erfahrungen
                                        den siebziger Jahren stagnierte die Entwicklung.     Am 1. August 2007 starteten die ersten 7 Ge-                                                 schwache Kinder und Jugendliche schlecht ab-         gefragt:
                                        Diese Gesamtschulen wurden argwöhnisch be-           meinschaftsschulen in Flensburg, Handewitt,                                                  schnitten.                                           „„ Umgang mit Schülerinnen und Schülern
                                        äugt – als „Sonderformen“ und „Exoten“ be-           Schafflund, Fehmarn, Kellinghusen, Itzstedt und                                                                                                      mit sehr unterschiedlichem Leistungsvermö-
                                        trachtet, von den Schulen des gegliederten           Halstenbek mit insgesamt 714 Schülern im neuen                                               MINT-Fächer kennzeichnete ebenfalls ein enor-           gen (äußere Differenzierung und Binnen-
                                        Schulwesens oft belächelt und auch angefein-         5. Jahrgang. Auf Fehmarn gibt es eine gymnasi-                                               mer Nachholbedarf. Unterrichtsinhalte und Di-           differenzierung)
                                        det. Dabei war die Entwicklung der Integrier-        ale Oberstufe, in Schafflund und Itzstedt organi-                                            daktik von Unterrichtsfächern entwickeln sich
                                                                                                                                                                                                                                               „„ Organisation der Lerngruppen für Schüler-
                                        ten Gesamtschulen positiv, sie konnten oftmals       satorische Verbindungen mit Grundschulteilen,                                                fort, neue Unterrichtsfächer entstehen. Für diese
                                                                                                                                                                                                                                                  innen und Schüler (z.B. Grund- und Erweite-
                                        nicht alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen.       in Handewitt mit Grundschulteil und Förderzen-                                               stete Veränderung, Modernisierung und zeitge-
                                                                                                                                                                                                                                                  rungskurse)
                                        Ihre Konzepte unterlagen allerdings relativ stren-   trum. Die neu entstandenen Regionalschulen                                                   mäße Anpassung sollen Lehrkräfte sinnvolle Be-
                                        gen Vorgaben (äußere Differenzierungen, Wahl-        konnten sich aber letztlich nicht halten. Auch sie                                           gleitung und Unterstützung erfahren, denn im Al-     „„ Notengebung und Berichtszeugnisse –
                                        pflichtbereich, Notengebung). Das änderte sich       wurden von 2014 an in Gemeinschaftsschulen                                                   leingang ist diese Aufgabe nicht zu leisten. Viele      hier insbesondere die Anwendung der
                                        rapide mit dem Jahre 1989 durch die Gründung         umgewandelt. Die letzten Regionalschulen lie-                                                Kolleginnen und Kollegen konnten sich nicht             Übertragungsskala
                                        von neuen Gesamtschulen.                             fen im Schuljahr 2018/2019 endgültig aus.                                                    vorstellen, dass man naturwissenschaftlichen In-     „„ Einsatz von Kolleginnen und Kollegen
                                                                                                                                                                                          halten (Physik, Chemie, Biologie) in einem Fach      „„ Übergang in die Oberstufe –
                                        Die Entwicklung der Gesamtschulen seit 1989          Zurzeit gibt es in Schleswig-Holstein 137 Gemein-                                            (Nawi) gerecht werden kann. Das gleiche galt            hier insbesondere die Angst, nicht den
                                        Mit Beginn des Schuljahres 1992/93 existierten       schaftsschulen ohne Oberstufen und 44 Gemein-                                                auch für das Fach Weltkunde (Geschichte, Erd-           Anforderungen gerecht zu werden
                                        in Schleswig-Holstein 20 Gesamtschulen (s. QR-       schaftsschulen mit Oberstufen. Dabei ist die re-                                             kunde).
                                                                                                                                                                                                                                               „„ Erfahrungen mit dem naturwissenschaft-
                                        Code: Tabelle Gesamtschulgründungen). Sie wurden     gionale Verteilung sehr unterschiedlich. In einem
                                                                                                                                                                                                                                                  lichen Unterricht und dem Fach Weltkunde
                                        vor allem in den kreisfreien Städten und deren      einzigen Kreis (Stormarn) gibt es mehr Gemein-                                               Schulleitungen sind für die Schul- und Lernkultur
                                        Umkreis sowie im südlichen Schleswig-Holstein        schaftsschulen mit Oberstufen (9 zu 5) als Ge-                                               zentral. Management, Personalführung, Organi-        „„ Erfahrungen mit dem Wahlpflichtbereich
                                        errichtet. In der Regel waren diese Neugründun-      meinschaftsschulen ohne Oberstufen, dagegen                                                  sationsentwicklung, Konfliktschlichter – Schullei-      (insbesondere 2. Fremdsprache und
                                        gen geplant als Schulen mit gymnasialer Ober-        an der Westküste kaum Gemeinschaftsschulen                                                   tung ist eine Managementaufgabe. Für Schullei-          Gestalten)
                                        stufe und einem Ganztagsbetrieb mit sehr unter-      mit Oberstufen.                                                                              tungen braucht es Fortbildungen, vorbereitend,       „„ Möglichkeiten der Teambildung und
                                        schiedlichen Ausformungen.                                                                                                                        ebenso auch begleitend, wenn die Schulleitun-           der Doppelbesetzungen.
                                                                                             Die Gemeinschaftsschulen in SH                                                               gen schon länger im Amt sind. Hier stellt sich die
                                        Die Entwicklung der Gemeinschaftsschulen             Die bestehenden Gesamtschulen hatten durch                                                   Anforderung nach unmittelbarer Wirksamkeit           Durch meine langjährige Erfahrung an einer
                                        Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schul-      die Umwandlung genau genommen nur ihren                                                      und effizienten Angeboten in besonderer Form.        Schule, in der unter anderem mehr als 60 % eines
                                        wesens in Schleswig-Holstein wurde 2007 die          Namen „Integrierte Gesamtschule“ verloren                                                                                                         Jahrgangs in die Oberstufe wechseln konnten,
                                        Schulstruktur in Schleswig-Holstein vollständig      – aber der Verlust fiel allen erkennbar schwer.                                              Die Schulaufsicht für die Gemeinschaftsschulen       neue Fächer eingeführt wurden und die lange
DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                                                                                                                                  DSfa GGG Magazin 3 / 2021 SH Jubiläum

                                        neu geordnet. Neben dem Gymnasium wur-               Die anderen Schularten (Grund- und Haupt-                                                    ohne Oberstufe blieb bei den Kreisen, während        nicht alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen
                                        den Gemeinschaftsschulen und Regionalschu-           schulen, Hauptschulen, Haupt- und Realschu-                                                  die Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe schul-        konnte, habe ich viele Bedenken zerstreuen kön-
                                        len als alleinige weiterführende allgemeinbilden-    len, Realschulen) standen vor der Aufgabe, ihre                                              aufsichtlich direkt beim Ministerium angebun-        nen. Ich habe versucht, den Kollegien Mut zu
                                        de Schulen eingeführt. Die neuen Schulformen         Schulkonzepte an die neuen Schulartordnun-                                                   den wurden – analog zu den Gymnasien. Diese          machen, Neues zu probieren, die Schulstruktur
                                                                                             gen anzupassen. Das allerdings war eine mehr                                                 Konstruktion war für die Integration der Gemein-     den örtlichen Gegebenheiten anzupassen und
                                                                                             theoretische Arbeit – viel schwieriger war die                                               schaftsschulen ohne Oberstufen nicht besonders       gemeinsam mit den Kollegien in der Schule ei-
                                                                                             Haltungsänderung in den Kollegien, die ja zum                                                hilfreich; die Gemeinschaftsschulen ohne Ober-       gene Wege zu gehen und ein eigenständiges
                                                                                             Teil die Gesamtschulen bekämpft hatten und                                                   stufen fühlten und fühlen sich häufig als Schulen    Profil zu entwickeln.
                                                                                             dabei insbesondere vom Verband Deutscher                                                     zweiter Klasse!                                      Denn: Umwege erhöhen die Ortskenntnis

        20                                                                                                                                                                                                                                                       Die Schulstrukturreform in SH      21
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