Die solitäre Kreative - Universität Zürich
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KULTUR SCHWEIZER MONAT 1089 SEPTEMBER 2021 Die solitäre Kreative Innovativ, vorwärtsgewandt und eklektisch: Erna Yoshida Blenk erarbeitete zwischen Zürich und Tokio ein malerisches und gestalterisches Werk. Ihre damals völlig neuartigen Anleihen an ostasiatischen Stilen machten sie zu einer Ausnahmeerscheinung, die Kategorien sprengte. von Bettina Gockel E rna Yoshida Blenk (1913–1996) sitzt am 26. Juni 1980 um 20 Uhr vor dem Fernseher und schaut einen Film über die Ver- filmung von Gustave Flauberts «Madame Bovary»: eine Szene, die wandte Eklektikerin, welche die westliche Erwartungshaltung an das künstlerische Schaffen einer in China geborenen und mit Ja- pan-Erfahrung ausgestatteten Frau erfüllte – im Sinne des euro- von der Kunstkritikerin Annelise Zwez im ersten Buch, das der päischen, vor allem französischen Japonismus. Sie verknüpfte Künstlerin gewidmet ist und dieser Tage erscheint, erzählt wird. dieses ästhetische Element mit der Formensprache moderner Idi- Die Galerie Wolfsberg hatte seinerzeit Blenk gerade eine erste ome der bildenden Kunst von Jean Siméon Chardin bis Paul Cé- Einzelausstellung bereitet. 1980 und 2021 – das ist für erste Wür- zanne eigenständig. Ihre Stillleben und die Darstellungen japani- digungen im Ausstellungsbetrieb und in der Wissenschaft ein er- scher Frauen im Kimono wirken oft wie Collagen, in denen es um staunlich weiter Zeitspagat. Blenk war keine rebellische Emma die Beziehung zwischen Form und Farbe als Elemente des «Bild- Bovary. Und sie schluckt auch kein Arsen, sondern hat sich zeit baus» (Yoshida Blenk) geht. Trotz der oft beschriebenen Stille ih- lebens auf ihr Werk konzentriert, durchaus abgelenkt von den rer Werke ist eine formale und inhaltliche Spannung spürbar, die Rollen, die zu erfüllen waren – Künstlergattin, Künstlerwitwe, die Aufmerksamkeit des Betrachters für das Bild an sich zu fesseln Stiftungsgründerin. Hätte es andere Rollen gegeben? Ausbruch, vermag. Es scheint diese vielschichtige, hybride Struktur ihrer Überschwang, spektakulärer Niedergang? Womöglich. Und hät- Werke zu sein, die Yoshida Blenk dann doch wieder mit der japa- ten diese den Erfolg als Künstlerin eher manifestiert? Sicher. nischen Spielart modernistischer und zugleich traditioneller Zwischen Asien und Europa – so könnte man das Lebenswerk Kunsttechnik, Komposition und Motivik vergleichbar erscheinen von Erna Yoshida Blenk verorten, die als Tochter des Winter- lässt: der Nihonga-Malerei, die eigenständig eine national ge- thurer Kaufmanns Werner Blenk (1883–1957) und der Japanerin prägte, aber bis heute auch international erfolgreiche kulturelle Chiyono Yoshida (aus Nagasaki) zuerst in China und Japan und Hybridität hervorbrachte und wie Yoshida Blenk ein Bildideal der dann ab ihrem 13. Lebensjahr in Winterthur beim Bruder ihres Va- Schönheit verfolgt. ters aufwuchs. Aber wie viel «Asien» ist eigentlich in ihrem Werk Mit ihrem Mann Eugen Früh, den sie beim gemeinsamen Ma- vorhanden? Da ist zum Beispiel ein Bild wie «Melone» (1968). lerei- und Grafikstudium an der Kunstgewerbeschule Zürich ab Blenk dürfte klar gewesen sein, dass Melonen in Japan bis heute 1930 kennenlernt und heiratet, unternahm sie zahlreiche Reisen. ein hochpreisiges Statussymbol sein können. Japanische Schrift- Westliche Kunstausstellungsereignisse wie die Biennale in Vene- zeichen sind mit der geradezu architektonisch wirkenden Kompo- dig oder der Besuch des Museum of Modern Art in New York ste- sition eines Früchtestilllebens verschränkt. Manches Schriftzei- hen dabei im Fokus. Blenks zweimalige Teilnahme an der Interna- chen wird konkret etwas bedeuten (zum Beispiel «Glück»), andere tional Art Exhibition of Japan (1955 und 1957), auch Tokyo Bien- bleiben konkret-fiktional gemischt. Es sind Ideogramme, welche nale genannt – dem bedeutendsten Event für moderne Kunst in via Zeichen einen Begriff oder eine Idee vermitteln. Damit wird Asien nach dem Zweiten Weltkrieg –, positionieren sie in der mo- die Bildwelt von Yoshida Blenk reicher, aber auch weniger klar dernen Auseinandersetzung zwischen Figuration und Abstrak- einordbar. In gewisser Weise war sie eine innovative, vorwärtsge- tion. Dabei werden asiatische Allusionen zu integralen Bestand- 46
Ein Bildnis der Künstlerin, gemalt von Eugen Früh (oben links), die Arbeit «Die Melone» (1958, rechts) sowie zwei undatierte Porträtaufnahmen von Erna Yoshida Blenk © Eugen-und-Yoshida-Früh-Stiftung, Zürich. 47
KULTUR SCHWEIZER MONAT 1089 SEPTEMBER 2021 «Die Wiederentdeckung von Künstlerinnen geht häufig mit ausgiebigen biografischen Schilderungen der Personen und ihrer Lebens- umstände einher. Aus dem Schaffen wird dann schnell ein Schicksal, das die Eliminierung aus der Geschichte erklären soll: zu verheiratet, zu lesbisch, zu süchtig, zu labil – you name it, insgesamt einfach zu weiblich.» Bettina Gockel teilen einer letztlich global ausgerichteten Kunst. Nimmt man samtwerk hatte. Tatsächlich waren Künstlerinnen etwa seit 1900 noch die Inkludierung in die Zürcher und Schweizer Kunstszene bis in die 1930er-Jahre ausgesprochen erfolgreich. Diese Karrieren hinzu, die vom Ehepaar Blenk-Früh genossen und genutzt wird, waren angetrieben von Emanzipationswellen, die sich zuerst am zeichnet sich das Bild einer Künstlerin ab, die doch mehr hier, in Ersten Weltkrieg und dann endgültig am Zweiten Weltkrieg bra- einer moderaten Schweizer Moderne, zu Hause war, als dass sie in chen und zum Rinnsal beschränkter fraulicher Freiheit gerieten, der Ferne Chinas und Japans ihre Identität gesucht hätte. Stellt um dann ab den späten 1960er-Jahren und mit noch mehr Dyna- sich die Frage, weshalb eine so facettenreiche und auch theore- mik ab den 1980er-Jahren wieder an Fahrt zu gewinnen, nicht zu- tisch, weil interkulturell, so interessante Figur der Kunstge- letzt gekoppelt mit dem Aufbau eines bis heute stetig anschwel- schichte bislang fast vergessen gegangen ist. lenden wissenschaftlichen Theorieapparats. Es ist dieser lange, unabgeschlossene historische Prozess, in dem die inzwischen bis Künstlerisches Schaffen als Schicksal nach China vorgedrungene #MeToo-Bewegung erklärbar wird, Die Wiederentdeckung von Künstlerinnen geht häufig mit ausgie- nämlich als Folge einer immer wieder unterbrochenen Freiheits- bigen biografischen Schilderungen der Personen und ihrer Le- bewegung. Gleichberechtigung, rechtlich-gesellschaftlich unein- bensumstände einher. Aus dem Schaffen wird dann schnell ein geschränkte persönliche Entfaltung, darum ging es damals wie Schicksal, das die Eliminierung aus der Geschichte erklären soll: heute, globaler denn je. zu verheiratet, zu lesbisch, zu süchtig, zu labil – you name it, ins- gesamt einfach zu weiblich. Disparat sind die Diagnosen, durch- Im Orkus männlicher Narrative schlagend die Argumente, die es erlauben, historisch verbürgte Nicht nur die Kunstgeschichte, sondern zum Beispiel auch die Li- Erfolgsgeschichten als problematische Eintagsfliegen darzustel- teraturwissenschaften ringen bis heute mit der Tatsache, dass len, nicht selten mit dem kennerhaft-wissenschaftlich gefärbten namhafte Künstlerinnen im Orkus männlicher Narrative ver- Gestus eines stilistisch doch eigentlich schmalen und schwachen schwanden. Die New Yorker Kunsthistorikerin und Feministin Œuvres. Umfassende historische Umstände, in denen ein Werk Linda Nochlin analysierte nüchtern und ganz ohne Moralismus, entstand, liefern dagegen häufig antiideologische, aufschlussrei- dass es sich schlicht um wissenschaftliche Fehler einer fast aus- che Erklärungen dafür, welchen Charakter und Verlauf ein Ge- schliesslich von Männern geschriebenen Geschichte handle, und 48
SCHWEIZER MONAT 1089 SEPTEMBER 2021 KULTUR nicht um die Frage, ob Männer oder Frauen talentierter seien. Die alben im Nachlass, die zeigen, dass Blenk sich ihrer transkonti- gerade erschienene Untersuchung zum malerischen und grafi- nentalen Herkunft bewusst war. Aber die Integration von Ideo- schen Werk von Erna Yoshida Blenk gehört in diese schon lang grammen in ein malerisches Werk oder in eine Grafik, insbeson- andauernde und durchaus zähe Korrekturphase der Kunstge- dere auch mit der Referenz auf japanische und chinesische schichte der Moderne. Die Wiederentdeckung von zu ihrer Zeit Schriftzeichen, war durchaus nicht ungewöhnlich oder gar ab- erfolgreichen kreativen Frauen der Schweizer Kunst- und Kultur- hängig von direkten Lebenserfahrungen. Zu sehr waren asiatische szene, wie der Malerin und Schriftstellerin Adelheid Duvanel und Zeichen, Kompositionen und Motive schon seit dem 19. Jahrhun- der Fotografin Annemarie Schwarzenbach, ist von Verweisen auf dert in die europäische Kunst quasi eingewandert. Eine Art bildli- deren Kranken- und Suchtgeschichte geprägt, übrigens durchaus che Kolonisation fand statt, ohne Reflexion der tatsächlichen aus- typische biografische Krankenstationen für unzählige Künstler beuterischen Kolonisierung und deren Nutzniesser. Die Künste und Wissenschafter. Für Männer führt dies zur Genie-Codierung wurden selber zu Kolonisatoren, produzierten quasi ihre ganz ei- ihrer Werke, die Werke von Frauen lässt dies jedoch zu psychisch gene Raubkunst, indem sie die Kunstgeschichte annektierter indi- belastetem Material mutieren. Yoshida Blenk passte sich einem gener Kulturen beträchtlich als Innovationsquelle nutzten, die anderen Stereotyp an, das Frauen langfristig ebenso wenig guttat: ökonomisch schon längst im Wahrnehmungswesen der europäi- dem der Exotin. schen Staaten verankert waren. Wirtschaftliche und künstle rische Werte konnten so ein bequemes, wenngleich originell er- Erwartung als Haltung scheinendes Joint Venture eingehen, um symbolisches Kapital zu Die fotografischen Aufnahmen von Erna Yoshida Blenk, die sie in schaffen – vermeintlich ganz der Harmonie und der Schönheit Künstlerkreisen in Zürich zeigen oder als Einzelporträt, vermit- gewidmet, wie die Künstlerin und ihr Ehegatte dies meinten. teln wie ihre Werke eine hybride Haltung: Da ist der Eindruck ei- ner zarten Exotin, als die sie in der Kunsthochschule von Mitstu- Kollektiv mit Solitär dierenden und ihrem Lehrer Ernst Gubler und nicht zuletzt von Künstlerbewegungen waren seit dem letzten Drittel der 19. Jahr- Max Frisch verehrt wurde; da ist gleichzeitig der Typus der eman- hunderts in Mode, mochte man doch kollektiv, oft auch lebensre- zipierten Frau mit Unisex-Kleidung und Prinz-Eisenherz-Frisur. formerisch und zeitweise auch ideal-kommunistisch unterwegs Die Durchgängigkeit dieser Performanz der Persönlichkeit lässt sein, wie jüngst der Kinofilm «Der Rausch der Freiheit» über den auf eine bewusste Idee von sich selbst schliessen, welche die Rolle Monte Verità nachvollziehen liess. Aber schon die Innovationsge- der Künstlergattin, die Yoshida Blenk ab 1934 spielte, durchaus stalt der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, Marcel Duchamp, ambivalent erscheinen lässt. Auch wenn von Lily Klee über Duva- konnte sich mit Gruppen nicht anfreunden und liebte daher das nel bis zu «Quappi» Beckmann unzählige Frauen ihr künstleri- althergebrachte, seit der europäischen Antike etablierte Genie- sches Schaffen bis zur totalen kreativen Selbstaufgabe ganz ein- konzept, das jedem Ego, welchen Geschlechts auch immer, entge- stellten, zum Lehrerberuf machten oder das Medium wechselten, genkommt. Blenk gehörte einerseits in die familiale Struktur der meistens auf Geheiss ihrer Männer, lässt sich das für Blenk nicht linksorientierten Künstlerfamilie Früh, aber als «andere» Persona sagen. Exzellent ausgebildet und zweifellos ehrgeizig, verfolgte und mit ihrem Geschlecht nicht. Insofern war sie, die bis an ihr die Künstlerin den Aufbau ihres Œuvres und gab ihre «Opus- Lebensende als Solitär kreativ war, selbstbestimmt und deshalb in Phantasie» (Peter von Matt) ganz offenkundig nie auf. Davon zeu- dreierlei Hinsicht innovativ: Erstens wollte sie zu Lebzeiten ihre gen auch ihre zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen im Zürcher Rechte an ihren Werken keiner Stiftung übergeben, zweitens er- Helmhaus zwischen 1943 und 1952 und in den Präsentationen der richtete sie diese kurz vor ihrem Tod, um ihr Nachleben zu schüt- 1902 gegründeten Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen, Bild- zen, und drittens verabschiedete sie sich von familialen und fami- hauerinnen und Kunstgewerblerinnen (GSMBK), in der sie ab 1948 liären Künstlerkollektiven historisch schneller als die Männer in Mitglied war. ihrem Umfeld zugunsten einer Haltung als Solitär – und als sol- cher ist sie nun, ja einmal mehr, wiederzuentdecken. Ein weibli- Bild und Schrift ches Genie also? Um dieses Erfolgslabel zu erhaschen, hätte sie Ob die in Schanghai geborene Yoshida Blenk tatsächlich aus ei- vielleicht doch Emma Bovary sein müssen. � nem asiatischen Bilderreservoir ihrer Kindheit und Jugend schöpfte, darf bezweifelt werden. Aber Blenk bediente diese Le- gendenbildung, die ihrer Positionierung und Profilierung inner- halb der Kunstszene förderlich war, sie aber auch isolierte. An- ders sein zu müssen konnte auch heissen: Das «Andere» zu inkor- Bettina Gockel porieren und als Wertschöpfung zu nutzen, ein komplexes ist Ordinaria für Geschichte der bildenden Kunst an der Universität Zürich. Sie leitet die Lehr- und Forschungsstelle für Theorie und Ge- «Othering» also, wie es die Vertreterin postkolonialer Theorie, schichte der Fotografie am Kunsthistorischen Institut. Jüngst ist ihr Gayatri Chakravorty Spivak, analysiert hat. Zwar gibt es Foto Buch «The Colors of Photography» (De Gruyter, 2020) erschienen. 49
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