Die USA unter Joe Biden: Kehrtwende oder "America first light"? - ifo Institut

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Die USA unter Joe Biden:
Kehrtwende oder »America first light«?
Am 20. Januar 2021 wird Joe Biden als der 46. Präsident der USA ins Weiße Haus
einziehen. Mit dem Machtwechsel in Washington werden in Deutschland und in Europa
große Erwartungen und Hoffnungen verbunden. Viele versprechen sich eine
Entspannung der transatlantischen Beziehungen sowie die Rückkehr der USA zum
Multilateralismus und einer regelbasierten internationalen Ordnung. Auch in der
Wirtschaftspolitik wird mit Veränderungen gerechnet, die vor allem der Handels- und
der Klimapolitik positive Impulse verleihen würden. Sind die Hoffnungen auf eine
neue politische Ära berechtigt?

Philipp Hauber
US-Wirtschaftspolitik unter Joe Biden: Pläne und
Umsetzbarkeit vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie
Mit der Wahl Joe Bidens zum 46. Präsidenten der          vor, dass die Ausgaben bis zum Jahr 2030 zwischen
Vereinigten Staaten ist mit erheblichen Verände-         2 bis 4 Billionen Dollar umfassen dürften.
rungen in der Wirtschaftspolitik zu rechnen. Seine             Ein wichtiger Bestandteil der Bidenschen Agenda
Agenda sieht weitreichende Ausgaben vor allem in         ist die Ausweitung der Krankenversicherung im Rah-
den Bereichen Infrastruktur, erneuerbare Energien        men des »Affordable Care Act« sowie die Möglich-
und Bildung vor. Finanziert werden sollen diese Maß-     keit, dass Bürger der Vereinigten Staaten Medicare
nahmen zum Teil durch Steuererhöhungen. In einer         bereits ab einem Alter von 60 statt vormals 65 Jah-
Abschätzung geht das Comittee for a Responsible          ren in Anspruch nehmen können. Das CRFB geht von
Budget (CRFB) von zusätzlichen Defiziten in den Jah-     Mehrausgaben in diesem Bereich in Höhe von etwa
ren 2021 bis 2030 in Höhe von 5,6 Billionen Dollar aus   2 Billionen Dollar aus. In der Sozialpolitik setzt Biden
(CFRB 2020).                                             vor allem bei der Bildung Akzente. So soll der Zugang
                                                         zur Kinderbetreuung ausgeweitet und vergünstigt
KEHRTWENDE IN DER KLIMA- UND                             werden. Im Bereich der Hochschulpolitik folgt die
STEUERPOLITIK                                            Regierung einem Gesetzentwurf von Bernie Sanders,
                                                         der vorsieht, dass Studierende aus Familien mit ei-
Einen deutlichen Bruch mit der Vorgängerregierung        nem jährlichen Einkommen von bis zu 125 000 Dollar
stellt die Klimapolitik dar. So werden unter Präsident   in den ersten beiden Jahren ihres Studiums keine
Biden die Vereinigten Staaten wieder dem Pariser         Gebühren zahlen müssen. Des Weiteren ist ein Vor-
Klimaabkommen beitreten. Des Weiteren bekennt            schlag zum Erlass von Studienkrediten im Gespräch.
sich die Regierung zu dem Ziel, bis zum Jahr 2050        Alles in allem umfassen die Maßnahmen in diesem
die Nettotreibhausgasemissionen auf null zu reduzie-     Bereich Mehrausgaben in Höhe von 2,7 Billionen
ren; für die Stromerzeugung soll dies bereits ab dem     Dollar. Hinzukommen eine Auswei-
Jahr 2035 gelten. Um dies zu erreichen, hat Biden im     tung des sozialen Wohnungsbaus
Wahlkampf mehrere Programme vorgeschlagen, die           (750 Mrd. Dollar) sowie höhere
sich teilweise überschneiden. Diese beinhalten die       sozialstaatliche Transfers im
Förderung der erneuerbaren Energien und E-Mobili-        Rahmen der Social Security In-
tät, Gebäudesanierungen und ein Ausbau des (emis-        come und Supplemental Secu-
sionsfreien) öffentlichen Nahverkehrs. Zusätzlich soll   rity Income-Programme (1,1 Bio.                   Philipp Hauber
die Forschung im Bereich der negativen Emissions-        Dollar).
technologien vorangetrieben werden. Alles in allem             Auch mit Blick auf die Steuer-            ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
                                                                                                         im Forschungszentrum »Konjunk-
herrscht angesichts der Vielzahl an Plänen und mög-      politik unterscheidet sich Bidens               tur und Wachstum« am Institut
licher Doppelzählungen Unsicherheit über das finan-      Programm deutlich von jenem                     für Weltwirtschaft in Kiel.
zielle Volumen der Maßnahmen. CRFB (2020) rechnet        seines Vorgängers. Die Regierung

                                                                      ifo Schnelldienst   1 / 2021   74. Jahrgang   20. Januar 2021   3
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    hat vor, die Steuersätze insbesondere für Spitzen-                       Aufträgen zu bevorzugen. Außerdem plant er die För-
    verdiener mit einem Jahreseinkommen von mehr als                         derung von Forschungs- und Entwicklungsausgaben
    400 000 Dollar zu erhöhen und damit im Wesentli-                         an nationale Beschäftigungsgarantien zu koppeln,
    chen die Änderungem im Rahmen des »Tax Cuts and                          damit Industriejobs in den Vereinigten Staaten blei-
    Jobs Act« (TCJA) der Trump-Regierung rückgängig zu                       ben bzw. dorthin zurückverlagert werden. Neben den
    machen. Außerdem sollen auf Einkommen ab dieser                          Mitteln unterscheiden sich auch die Begründungen
    Grenze künftig 12,4% Sozialversicherungsbeiträge                         der Ansätze. Unter Präsident Trump wurde merkan-
    (Social Security payroll tax) entfallen, die jeweils zur                 tilistisch argumentiert: Der internationale Handel sei
    Hälfte von Arbeitgeber und -nehmer getragen wer-                         ein Nullsummenspiel, Handelsdefizite ein Ausdruck
    den.1 Auch im Bereich der Körperschaftsteuer werden                      von (volkswirtschaftlicher) Schwäche und schlecht
    Teile des TCJA zurückgedreht: So will die Regierung                      ausgehandelter Rahmenbedingungen; Zölle wären
    den Spitzensteuersatz von 21 auf 28% erhöhen. Des                        demnach ein geeignetes Mittel, um ausländische
    Weiteren soll ein Mindeststeuersatz von 15% für Un-                      Konkurrenten zu schwächen oder Handels­partner
    ternehmen mit einem jährlichen Gewinn in Höhe von                        am Verhandlungstisch zu Konzessionen zu zwingen.
    mindestens 100 Mio. Dollar gelten. Insgesamt rechnet                     Die Argumentation von Biden richtet sich hingegen
    das CRFB mit Mehreinnahmen in Höhe von 4,3 Billio-                       in erster Linie an die eigene Bevölkerung und stellt
    nen Dollar in den kommenden zehn Jahren. Die Tax                         die Schaffung von (gut bezahlten) Industrie­jobs
    Foundation setzt diese mit 3,3 Billionen Dollar deut-                    sowie die Förderung von strukturschwachen Regi-
    lich niedriger an und rechnet vor, dass die verfügba-                    onen in den Vordergrund. Weitere geplante Maß-
    ren Einkommen in Folge der Maßnahmen im Durch-                           nahmen wie die Erhöhung des bundesweiten Min-
    schnitt um knapp 2% sinken dürften; mit 7,7% fielen                      destlohns oder eine gesetzlich gestärkte Verhand-
    die Einkommensverluste für die oberen 1% der Ein-                        lungsmacht von Gewerkschaften fügen sich in diesen
    kommensverteilung deutlich höher aus (Watson et al.                      Rahmen.
    2020). Modellgestützte Analysen der wirtschaftlichen                           Die möglichen Folgen einer solchen Politik der
    Folgen des Programms Bidens unter Berücksichtigung                       Importsubstitution dürften freilich in beiden Vari-
    von makroökonomischen Wechselwirkungen kommen                            anten ähnlich sein: Durch den Schutz vor ausländi-
    zu unterschiedlichen Einschätzungen. Äußerst negativ                     scher Konkurrenz entgehen den Vereinigten Staaten
    beurteilen Ökonomen der Hoover Institution Bidens                        Handelsvorteile, und staatliche Großaufträge werden
    Wahlprogramm: Hasset et al. (2020) ermitteln einen                       teurer für die Steuerzahler; zudem werden dadurch
    Rückgang des Bruttoinlands­produkts je Einwohner                         ineffiziente Strukturen zementiert, was das Produk-
    um 8%, wenn die von Biden geplanten Steuer- und                          tionspotenzial schmälert. Mit Blick auf die Handels­
    Subventionserhöhungen so wie verschärfte Regulie-                        partner der Vereinigten Staaten könnte es den Trend
    rungsvorschriften umgesetzt werden. Noch stärker                         beschleunigen, dass sich ausländische Firmen vor Ort
    sinkt in diesem Modell der Kapitalstock je Einwoh-                       niederlassen, um bei öffentlichen Ausschreibungen
    ner (14%). Hingegen dürfte laut PWBM (2020) im Jahr                      nicht benachteiligt zu werden. Damit würden sie auch
    2030 das Bruttoinlandsprodukt und der Kapitalstock                       Vorgaben und Auflagen nationaler Industrie- und Si-
    gegenüber der aktuellen Gesetzeslage nur etwas nied-                     cherheitspolitik ausgesetzt, die ihren unternehme-
    riger ausfallen (0,4 bzw. 0,7%); der Schuldenstand                       rischen Zielen widersprechen könnten. Fraglich ist
    (im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung) bliebe quasi                     letztlich, ob eine solche Politik der Importsubstitution
    unverändert.2                                                            erfolgreich sein kann. Trumps Bilanz war in dieser
                                                                             Hinsicht wenig glanzvoll: Weder die Beschäftigung
    »MADE IN ALL OF AMERICA« STATT                                           noch die Produktion nahmen in den Jahren 2017 bis
    »MAKE AMERICA GREAT AGAIN«                                               2019 in den besonders durch Zölle protegierten Auto-
                                                                             mobil-, Stahl- oder Aluminiumbranchen stark zu (Gern
    Weniger deutlich sind die Unterschiede zwischen                          und Hauber 2020). So erscheint denn auch Bidens
    Biden und Trump hingegen in der Industrie- und                           Versprechen, 5 Millionen Arbeitsplätze im Verarbei-
    Außenwirtschaftspolitik. Beide wollen letztlich die                      tenden Gewerbe zu schaffen – dies entspricht einem
    heimische Industrieproduktion stärken und die Nach-                      Anstieg von 40% gegenüber dem Jahr 2019 – reichlich
    frage nach Erzeugnissen ausländischer Hersteller                         optimistisch.
    verringern (Langhammer 2020). Während Präsident                                Trotz gewisser Überschneidungen mit seinem
    Trump dabei vorrangig auf Zölle setzte, sieht Biden                      Vorgänger und der teils protektionistischen Rhetorik
    verschärfte »Buy-American«-Regeln vor, um inlän-                         in Bidens Wahlprogramm dürfte nach dem Wechsel
    dische Hersteller bei der Vergabe von öffentlichen                       dennoch ein anderer Wind aus Washington wehen.
    1
       Einkommen, die über der bisherigen Beitragbemessungsgrenze
                                                                             Zwar wird auch eine Biden-Regierung zuerst US-ame-
    von 137 700 Dollar, aber unter 400 000 Dollar liegen, sind nicht abga-   rikanische Interessen vertreten. Allerdings dürfte sie
    benpflichtig. Das Loch, das dadurch in der Besteuerung entsteht,
    wird in der politischen Debatte als »donut hole« bezeichnet.
                                                                             dabei diplomatischer, berechenbarer und pragmati-
    2
       Die große Diskrepanz zwischen den Analysen dürfte zum Teil dar-       scher agieren. Zölle oder Zolldrohungen außerhalb
    auf zurückzuführen sein, dass unterschiedliche Aspekte Bidens Wahl-
    programms simuliert wurden. So berücksichtigen PWBM (2020) auch
                                                                             des WTO-Rechts dürften der Vergangenheit angehö-
    die Folgen höherer öffentlicher Investitionen.                           ren. Zudem erscheint es wahrscheinlicher, dass die

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Europäische Union mit der US-Regierung in Fragen         Repräsentantenhaus verabschiedete HEROES-Act um-
wie dem Airbus-Boeing-Konflikt, einem möglichen          fasste Maßnahmen in Höhe von knapp 3 Billionen Dol-
CO2-Grenzausgleich oder einer gemeinsamen Position       lar – abweichen, um die Zustimmung der Republikaner
gegenüber China zu einer einvernehmlichen Lösung         im Senat zu erhalten. So erhalten US-Steuerzahler
kommen kann.                                             Einmalzahlungen in Höhe von lediglich 600 Dollar, und
                                                         die Arbeitslosenversicherung wird für elf Wochen um
COVID-19-KRISE SCHRÄNKT BIDENS                           300 Dollar pro Woche aufgestockt.
HANDLUNGSSPIELRÄUME EIN                                        Nachdem es den Demokraten Anfang Januar
                                                         gelang, in Stichwahlen die beiden Senatssitze aus
Wie viel dieser ambitionierten Agenda Biden umset-       Georgia zu gewinnen, sind die Stimmverhältnisse in
zen kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer abzu-        der oberen Kammer des Kongresses nun ausgeglichen,
schätzen. Denn die Coronakrise hält die US-Wirtschaft    und bei einem Patt entscheidet die Stimme der Vize-
weiterhin in Atem. Trotz einem deutlichen Rückprall      präsidentin Harris. Dies gibt der Biden-Regierung die
der gesamtwirtschaftlichen Produktion im dritten         Möglichkeit, ein noch umfassenderes Konjunkturpaket
Quartal des Jahres 2020, ist die wirtschaftliche Er-     als Ergänzung zu den bereits beschlossenen Maßnah-
holung keineswegs vollständig: So liegt das Brutto-      men auf den Weg zu bringen. Auch wenn dies aus sta-
inlandsprodukt immer noch um 3,5% unter seinem           bilisierungspolitischer Sicht angezeigt sein dürfte und
Vorkrisenniveau; im Dezember hatten 10 Millionen         die mittel- und langfristigen Folgen der Corona-Rezes-
weniger Menschen einen Job als vor der Pandemie.         sion dadurch geschmälert werden, schränkt die in der
Zwar verhinderten umfangreiche staatliche Transfers      Folge steigende Staatsverschuldung den Handlungs-
durch den im März verabschiedeten CARES-Act bis-         spielraum der künftigen US-amerikanischen Regierung
lang einen Rückgang der privaten Einkommen, und in       allerdings ein.
der Folge stieg die Sparquote der privaten Haushalte
sprunghaft an. Seit dem Sommer haben die Impulse         LITERATUR
aber deutlich nachgelassen, und die Sparquote nor-       Committee for a Responsible Federal Budget – CRFB (2020), »The cost
malisierte sich teilweise. Zum Ende des vergangenen      of the Trump and Biden campaign plans«, US Budget Watch, 7. Oktober,
                                                         verfügbar unter: http://www.crfb.org/sites/default/files/CRFB_USBW_
Jahres liefen jedoch auch die verlängerte Bezugs-        CostOfTrumpAndBidenPlans.pdf, aufgerufen am 6. Dezember 2020.
dauer und ausgeweitete Anspruchsberechtigung der         Gern, K.-J. und P. Hauber (2020), »Entwicklung der US-Industrie: Kein
Arbeitslosenversicherung aus. Im Rahmen der Pande-       Trump-Effekt erkennbar«, Kurzbericht, Institut für Weltwirtschaft, ver-
                                                         fügbar unter: https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/policy-papers/
mic Emergency Unemployment Compensation bzw.             entwicklung-der-us-industrie-kein-trump-effekt-erkennbar-0/, aufgerufen
Pandemic Unemployment Assistance bezogen Mitte           am 3. Dezember 2020.

Dezember noch mehr als 13 Millionen Personen Leis-       Hasset, K., C. Mulligan, T. Fitzgerald und C. Kallen (2020), »An Analysis
                                                         Of Vice President Biden’s Economic Agenda: The Long Run Impacts Of
tungen. Zudem hat das Infektionsgeschehen wieder         Its Regulation, Taxes, And Spending«, Hoover Institution Study, 13. Okto-
an Fahrt aufgenommen, und angesichts von Infekti-        ber, verfügbar unter: https://www.hoover.org/research/analysis-vice-
                                                         president-bidens-economic-agenda-long-run-impacts?fbclid=
onsschutzmaßnahmen und Verhaltensanpassungen             IwAR1RootX4GaGSKEmzafR3vUrUAh-XPbsjwUCduQoWTXNVBfKa_
ist die wirtschaftliche Erholung ins Stocken geraten.    HO6G14oyc, aufgerufen am 10. Dezember 2020.

     Vor diesem Hintergrund hat der Kongress noch        Langhammer, R. (2020), »Freierer Handel mit Joe Biden? Nein, nur die
                                                         Mittel ändern sich«, Kiel Focus, Institut für Weltwirtschaft Kiel, verfügbar
Ende vergangenen Jahres ein weiteres Konjunkturpa-       unter: https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kiel-focus/2020/freierer-
ket verabschiedet. Dieses beinhaltet in weiten Teilen    handel-mit-joe-biden-nein-nur-die-mittel-aendern-sich-15233/, aufgeru-
                                                         fen am 2. Dezember 2020.
ähnliche Maßnahmen wie der CARES-Act, fällt mit ei-
                                                         PWBM – Penn Wharton Budget Model (2020), »PWBM Analysis of the
nem finanziellen Volumen in Höhe von 900 Mrd. Dollar     Biden Platform«, 14. September, verfügbar unter: https://budgetmodel.
allerdings deutlich geringer aus. Insbesondere bei der   wharton.upenn.edu/issues/2020/9/14/biden-2020-analysis#spend-pubIn-
                                                         vestment, aufgerufen am 10. Dezember 2020.
Höhe der Einmalzahlungen sowie der Ausweitung der
                                                         Watson, G., H. Li und T. Lajoie (2020), Details and Analysis of Presi-
Arbeitslosenunterstützung mussten die Demokraten         dent-elect Joe Biden’s Tax Proposals, October 2020 Update, FISCAL FACT,
von ihren Vorstellungen – der bereits im Oktober vom     Nr. 730, Tax Foundation. Oktober.

                                                                          ifo Schnelldienst   1 / 2021   74. Jahrgang   20. Januar 2021   5
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                         Stormy-Annika Mildner
                         »We Are Back« – Kurskorrektur in der US-Handelspolitik
                         in Sicht?
                    »Ich lasse sie wissen, dass Amerika zurück ist. […]                  Juristin bringt viel Erfahrung mit. Als Mitarbeiterin im
                    Es ist nicht Amerika allein,« sagte US-Präsident Joe                 USTR-Büro vertrat sie die USA in zahlreichen Handels-
                                    Biden Reportern in seinem Heimat-                    konflikten mit China bei der WTO. Zuletzt beriet sie die
                                       staat Delaware kurz nach seinem                   Demokraten im Repräsentantenhaus in Handelsfragen.
                                         Wahlerfolg im November 2020                     Sie spielte eine wichtige Rolle in den Neuverhandlun-
                                         (Marri 2020). Der 46. Präsident                 gen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens
                                         der Vereinigten Staaten will                    (NAFTA), insbesondere der Frage der Arbeitnehmer-
                                         der »America-first«-Politik von                 rechte. Ihr soll der Brückenschlag zwischen Adminis-
                                        Donald Trump ein Ende setzen.                    tration und Kongress gelingen. Ihr Job wird jedoch
 Dr. Stormy-Annika Mildner
                                                                                         nicht leicht sein. Denn gerade in Handelsfragen tritt
ist Direktorin des Aspen                                »BUILDING BACK BETTER!«          die Biden-Administration ein schweres Erbe an; die
Institutes Deutschland, Berlin.
                                                                                         To-Do-Liste ist lang.
                                              Wo Präsident Trump auf Unilatera-
                                              lismus und Drohkulissen gesetzt            TRUMPS HANDELSPOLITISCHER
                                              hat, will Biden die internationale         TRÜMMERHAUFEN
                         Zusammenarbeit und den Multilateralismus stärken.
                         Wo Trump Disruption und Unsicherheit geschaffen hat,            Präsident Trump hat deutlich mit der Handelspoli-
                         will Biden Vertrauen und Verlässlichkeit aufbauen.              tik seiner Vorgänger gebrochen. Für ihn war Handel
                         Wo Trump versucht hat zu spalten, möchte Biden                  ein Nullsummenspiel: Exporte waren gut, Importe
                         vereinen. »Building back better« ist das Motto seiner           schlecht. Das große Handelsbilanzdefizit der USA war
                         Präsidentschaft.                                                Beweis für ihn, dass andere Länder unfair handeln.
                               Biden ist ein Transatlantiker der alten Schule –          Mit seiner »America-First«-Handelspolitik wollte er die
                         ein Internationalist. Er sieht den Wert internationaler         industrielle Basis in den USA stärken, Produktion in
                         Organisationen und die Bedeutung internationalen                die USA zurückholen und Millionen neuer Arbeitsplätze
                         Rechts. Er will die USA zurück in das Pariser Klima-            schaffen. Er setzte auf bilaterale und Quid-pro-quo-
                         schutzabkommen führen; der Austritt der USA aus der             Lösungen anstelle multilateraler Zusammenarbeit.
                         Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist mit ihm vom               Da er sich mehr für »Deals« als für durchsetzbares
                         Tisch. Andere internationale Organisationen wie die             internationales Handelsrecht interessierte, war sein
                         Welthandelsorganisation (WTO) will er reformieren.              Ansatz sehr transaktional. Trump brach zahlreiche
                         Und dies alles zusammen mit den Partnern der USA.               Handelskonflikte vom Zaun, auch mit der EU. Die EU
                         Biden sieht – ganz anders als sein Vorgänger –keinen            bezeichnete er als Gegner, die nur gegründet worden
                         Wert in einem geschwächten, gespaltenen Europa.                 sei, um die USA auszunutzen. Er unterstützte nicht
                         Ganz im Gegenteil will er die transatlantischen Be-             nur den Brexit, sondern versuchte aktiv, einen Keil
                         ziehungen stärken.                                              zwischen die Europäer zu treiben, nicht zuletzt beim
                               Entsprechend hat Biden ein starkes außenpoli-             Umgang mit Russland.
                         tisches Team zusammengestellt. Antony Blinken soll                   Trump setzte auf drei Strategien, um die Handels­
                         der neue Außenminister der USA werden. Der lang-                politik stärker an den nationalen (Sicherheits-)Inte­
                         jährige Vertraute von Joe Biden berät ihn seit Jahren           ressen der USA ausrichten:
                         in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Blinken
                         ist ein bekennender Internationalist und Multilatera-           Aggressiver Unilateralismus
                         list. »Wir können nicht alle Probleme der Welt allein
                         lösen. Wir müssen mit anderen Ländern zusammen-                 Das Mittel der Wahl waren Zölle, insbesondere Ab-
                         arbeiten,« so Blinken (Business Standard 2020). Linda           schnitt 232 des Handelsgesetzes von 1962 und Ab-
                         Thomas-Greenfield soll die USA bei den Vereinten Na-            schnitt 301 des Handelsgesetzes von 1974. Gemäß
                         tionen vertreten. Die erfahrene Diplomatin war in ihrer         Abschnitt 232 können die USA Zölle auf Waren aus
                         langen Karriere unter anderem unter Präsident Obama             dem Ausland verhängen, wenn diese eine Gefährdung
                         Staatssekretärin für Afrika-Angelegenheiten. Auch sie           der nationalen Sicherheit darstellen. Laut Abschnitt
                         ist eine bekennende Internationalistin: »Ich möchte             301 können die USA mit Zöllen gegen unfaire Handels­
                         Ihnen sagen: Amerika ist zurück. Der Multilateralis-            praktiken im Ausland vorgehen. Seit März 2018 erhe-
                         mus ist zurück. Die Diplomatie ist zurück.« (DW 2020)           ben die USA 232-Zölle auf Stahl (25%) und Aluminium
                               Für die Position des US-Handelsbeauftragten               (10%). Anfang 2020 weitete die Trump-Administration
                         (United States Trade Representative, USTR) hat Bi-              die 232-Zölle auf Stahl und Aluminium auf Produkte
                         den Katherine Tai im Blick. Die China-Expertin und              mit einem hohen Anteil dieser Metalle, wie etwa Nä-

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ZUR DISKUSSION GESTELLT

gel, Kabel und bestimmte Automobilteile, aus. Zudem      sanktionieren, die ihre Handelspraktiken nicht frist-
drohte Trump mit Zöllen auf Fahrzeuge und Fahrzeug-      gerecht bei der WTO melden. Besonders kritisch sah
teile, denn ein Bericht des Wirtschaftsministeriums      die Trump-Administration den Streitschlichtungsme-
war zu dem Ergebnis gekommen, dass auch diese die        chanismus der WTO, insbesondere das Berufungs-
nationale Sicherheit bedrohten. Darüber hinaus ließ      gremium. Dieses habe Fristen nicht eingehalten, sein
Trump untersuchen, ob Importe von Titanschwamm,          Mandat überschritten und in Bereiche eingegriffen, für
mobilen Kränen oder auch von Elektrostahl ein Si-        die die WTO-Mitglieder selbst verantwortlich seien.
cherheitsrisiko für die USA darstellten. Die 301-Zölle   Die Trump-Administration blockierte daher die Be-
kamen vor allem in Chinahandel zum Einsatz. Im Som-      nennung von Mitgliedern in das Berufungsgremium.
mer 2018 schlugen die USA erstmals Sonderzölle in        In der Folge brach der Streitschlichtungsmechanismus
der Höhe von 25% auf Warenimporte aus China in           Ende 2019 zusammen. Zuletzt verhinderten die USA
einem Wert von 34 Mrd. US-Dollar auf. Mittlerweile       die Besetzung des WTO-Generaldirektorpostens.
ist ein US-Importvolumen von mehr als 360 Mrd.                Trump wollte die Handelsbilanz der USA verbes-
US-Dollar mit Sonderzöllen bis zu 25% belegt. In der     sern; gelungen ist ihm dies nicht. Die Sonderzölle und
Folge stiegt der durchschnittliche US-Zoll auf Importe   zahlreichen Handelskonflikte verschlechterten nicht
aus China von 3,1% im Jahr 2017 auf 19,3% (2020)         nur die Rahmenbedingungen für Unternehmen, son-
(Brown 2020).                                            dern führten auch zu erheblichen Kosten für US-Ver-
                                                         braucher. Die fortschreitende De-Industrialisierung
(Neu-)Verhandlung von Handelsabkommen                    konnte Trump nicht aufhalten; die Situation der so-
                                                         genannten »blue collar workers« hat sich kaum ver-
Bis zu Trumps Amtsantritt hatten die USA 14 bilaterale   bessert. Infolge strenger US-Exportkontrollen gerade
und plurilaterale Freihandelsabkommen mit 20 Staa-       für Hightech-Produkte und kritischer Investitionskont-
ten abgeschlossen. Präsident Obama hatte in seiner       rollen verändern sich zwar die Wertschöpfungsketten.
Amtszeit zwei Mega-FTAs verhandelt: die Transpa-         Das erhoffte großflächige Reshoring, also die Rückver-
zifische Partnerschaft (TPP) mit Australien, Brunei,     lagerung von Produktion in die USA, hat sich hingegen
Chile, Japan, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur,      nicht materialisiert.
Vietnam, Kanada und Mexiko sowie die Transatlan-
tische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP.      BIDENS HANDELSPOLITISCHE AGENDA
Ganz anders Trump: Als eine seiner ersten Amtshand-
lungen vollzog er im Januar 2017 den Austritt aus der    Die Hoffnungen auf eine deutliche Kurskorrektur in
TPP. Auch die TTIP-Verhandlungen legte er auf Eis.       der US-Handelspolitik sind groß – gerade in Europa.
Eine Top-Priorität war die Neuverhandlung von NAFTA.     Ohne Frage: Biden wird die »America-first«-Politik von
Das mittlerweile in Kraft getretene U.S.-Mexico-Ca-      Trump nicht fortsetzen. Allerdings sollte nicht ver-
nada Agreement (USMCA) ist deutlich weniger liberal,     gessen werden: Die USA haben schon immer einen
gerade in puncto Ursprungsregeln. Diese legen fest,      pragmatischen Multilateralismus verfolgt – kein Multi-
wann eine Ware unter den präferenziellen Bedingun-       lateralismus zum Selbstzweck, sondern im Sinne ame-
gen eines Freihandelsabkommens (FTA) gehandelt           rikanischer Interessen. Zudem gehört Handel nicht
werden kann. Auch das Abkommen mit Südkorea              zu den Top-Prioritäten von Biden. Ganz oben stehen
(KORUS) wurde neu verhandelt; mit Japan schlossen        innen- und binnenwirtschaftliche Themen: Die Über-
die USA ein sektorales Teilabkommen ab. Eine weitere     windung der Coronakrise und die Wiederbelebung der
Top-Priorität für Trump waren die Verhandlungen über     Wirtschaft; die Bekämpfung des strukturellen Ras-
den sogenannten »Phase One Deal« mit China. In dem       sismus sowie der Einkommensungleichheit; Klima;
Abkommen von Anfang 2020 sicherte China den USA          Bildung; Infrastruktur.
zu, mehr US-Produkte zu importieren, zukünftig auf            Mit Joe Biden werden die vergangenen vier Jahre
erzwungenen Technologietransfer zu verzichten und        nicht ausradiert werden. Auch Joe Biden wird be-
den Schutz geistigen Eigentums besser durchzusetzen.     weisen wollen, dass er US-Arbeitsplätze verteidigt.
Zahlreiche Streitpunkte, wie Chinas Industriepolitik     Für viele vielleicht überraschend: Auch seine Han-
oder auch die unfaire Subventionierung chinesischer      delspolitik wird daher protektionistische Elemente
Staatsunternehmen, sollten in einem »Phase Two           beinhalten.
Deal« angegangen werden.
                                                         Stärkung der industriellen Basis
Angriff auf multilaterale Organisationen
                                                         Die Förderung inländischer Produktion und die Stär-
Die Trump-Administration stand der WTO äußerst           kung der US-amerikanischen Mittelschicht haben für
kritisch gegenüber. Trump monierte, dass Länder          Biden hohe Priorität. Bidens »Made-in-All-of-Ameri-
wie China nach wie vor als Entwicklungsländer bei        ca«-Plan sieht vor, Investitionen und Handel zu nut-
der WTO gelten und so in den Genuss umfassender          zen, um die Abhängigkeit von ausländischer Fertigung
Ausnahmen kommen. Das sollte sich ändern. Zu-            zu verringern, inländische Innovationen anzustoßen
dem schlug die Trump-Administration vor, Länder zu       und mindestens 5 Millionen amerikanische Indust-

                                                                     ifo Schnelldienst   1 / 2021   74. Jahrgang   20. Januar 2021   7
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    riearbeitsplätze zu schaffen. US-Firmen sollen mit              Beziehungen auch unter Biden nicht sein. Gerade in
    Strafsteuern davon abgehalten werden, Arbeitsplätze             der Chinapolitik wird er mehr Engagement und eine
    ins Ausland zu verlagern. Auch Staatsaufträge sollen            klarere geopolitische Positionierung der Europäer
    prioritär an US-Unternehmen gehen (Stichwort: »Buy              einfordern. Dies wird auch wichtige Einzelthemen,
    American«). Für Unternehmen, die in den USA investie-           wie die Frage einer Beteiligung chinesischer Firmen
    ren, soll es dagegen Steuererleichterungen geben. Ins-          am Aufbau von 5G-Netzen, betreffen. Ende 2020 ver-
    besondere bei kritischen Gütern, wie Pharmazeutika              ständigten sich die EU und China auf ein Investitions-
    und medizinischer Schutzausrüstung, will er auf mehr            abkommen. Erste Reaktionen aus Washington waren
    Unabhängigkeit von globalen Lieferketten setzen.                überrascht bis kritisch. Es bleibt abzuwarten, inwie-
                                                                    weit das Abkommen den Handlungsspielraum der EU
    Zollpolitik                                                     einschränken wird, gemeinsam mit den USA gegen
                                                                    unfaire Handelspraktiken Pekings vorzugehen.
    Anders als Trump wolle er zwar Zölle nicht einsetzen,
    »um Härte vorzutäuschen« (Washington Trade Daily                Alte und neue Handelsabkommen
    2020). Wo für den Aufbau der heimischen Wirtschaft
    erforderlich, werde aber auch er vor Zöllen nicht zu-           Weltweit steigt die Zahl von Freihandelsabkommen.
    rückschrecken und kann sich dabei einer breiten Un-             Mit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens
    terstützung in der Bevölkerung und der Gewerkschaf-             RCEP Ende 2020 durch China und 14 weitere Staa-
    ten versichert sein. Die Hoffnungen der Europäer, dass          ten aus dem asiatisch-pazifischen Raum wurde die
    Joe Biden nach Amtsantritt die 232-Zölle auf Stahl              weltweit größte Freihandelszone geschaffen. Für die
    und Aluminium zügig abschafft, könnten somit leicht             USA bedeutet dies, dass sich ihr Zugang zu auslän-
    enttäuscht werden. Die 301-Zölle im Chinahandel sol-            dischen Märkten relativ verschlechtert. Dennoch ist
    len laut Biden zunächst in Kraft bleiben.                       nicht damit zu rechnen, dass Biden zu Beginn seiner
                                                                    Präsidentschaft versuchen wird, neue Handelsabkom-
    Chinapolitik                                                    men abzuschließen. Laufende Verhandlungen wie mit
                                                                    dem Vereinigten Königreich werden keine Priorität für
    Der Konflikt zwischen den USA und China ist weit                ihn haben. Im Sommer 2021 endet die sogenannte
    mehr als ein Handelsstreit. Es ist ein Wettstreit un-           »Trade Promotion Authority« (TPA). Dieses Mandat,
    terschiedlicher wirtschaftlicher und politischer Sys-           das der Kongress dem Präsidenten gewähren kann,
    teme. Chinas wirtschaftliches Hybridmodell mit einem            ist unabkömmlich für einen erfolgreichen Ratifizie-
    starken Einfluss des Staates auf der einen, die markt-          rungsprozess. Sowohl Präsident George W. Bush als
    wirtschaftlichen und demokratischen Prinzipien des              auch Präsident Barack Obama hatten die TPA nur mit
    Westens auf der anderen Seite. Biden dürfte daher               knappen Mehrheiten im Repräsentantenhaus erhal-
    den Konfrontationskurs gegenüber China fortsetzen               ten. Angesichts seiner ambitionierten innenpolitischen
    – und sich der Unterstützung im Kongress und der                Agenda dürfte Biden kein politisches Kapitel für die
    Bevölkerung sicher sein. Dies gilt jedoch anders als bei        TPA opfern wollen. Sollte Biden neue Handelsabkom-
    Trump nicht nur für die Handelspolitik, sondern auch            men verhandeln, werden Arbeitnehmerrechte und Kli-
    für Menschenrechtsfragen. So wird sich der Druck auf            maschutz eine wichtige Rolle in den Verträgen spie-
    Peking in Bezug auf Hongkong, Taiwan, Xinjian und               len. Die Biden-Administration wird sehr genau die Ein-
    das Südchinesische Meer erhöhen. Biden wird kon-                haltung von Handelsverträgen überwachen und sich
    sequent die Umsetzung des »Phase One-Deal« ein-                 nicht scheuen, rigoros gegen unfaire Handelspraktiken
    fordern. Strenge Exportkontrollen werden genauso                vorzugehen. Weit oben auf der Agenda dürften da-
    Bestand von Bidens Wirtschaftspolitik sein wie die              bei USMCA und das Kapitel zu Arbeitnehmerrechten
    kritische Prüfung ausländischer Direktinvestitionen             stehen – eine Top-Priorität für die demokratischen
    in die USA. Ob China bereit sein wird, weitere Zuge-            Handelspolitiker im Kongress.
    ständnisse zu machen, ist fraglich. Die Aussichten auf
    einen »Phase Two-Deal« sind daher ungewiss.                     Handel und Klima

    Transatlantische Beziehungen                                    Bidens Klimaschutzziele sind ambitioniert. Bis 2035
                                                                    möchte er den Energiesektor klimaneutral umgestal-
    US-Zölle auf Stahl und Aluminium und EU-Gegenmaß-               ten. Wie genau Klima- und Handelspolitik miteinander
    nahmen, US-Antidumping-Zölle auf Aluminiumbleche,               verknüpft werden sollen, ist zum jetzigen Zeitpunkt
    Trumps Drohung, Autozölle zu erheben, Luftfahrtsub-             noch unklar. Viele Europäer hoffen, dass sich hier neue
    ventionen, US-Russlandsanktionen, französische Digi-            transatlantische Kooperationsmöglichkeiten öffnen.
    talsteuer, EU-Chinapolitik – die Liste der EU-US-Han-           Die EU-Kommission will 2021 einen Gesetzesvorschlag
    delskonflikte ist lang. In den vergangenen Jahren ist           für einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM)
    viel Vertrauen in den transatlantischen Beziehungen             vorlegen. So soll für europäische Unternehmen, die
    verlorengegangen. Eine Wiederbelebung dieser wird               strengeren Klimaschutzanforderungen als ihre Wett-
    kein Selbstläufer sein. Ganz konfliktfrei werden die            bewerber im Ausland unterliegen, international faire

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ZUR DISKUSSION GESTELLT

Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Bei             mehr Verantwortung seitens der Entwicklungsländer
US-Umweltgruppen und Gewerkschaften findet die            einfordern. Präsident Trump hatte wiederholt ange-
Idee eines CBAM viel positiven Widerhall. Die notwen-     kündigt, die Mitgliedschaft der USA im WTO-Über-
digen Mehrheiten im Kongress für ein umfangreiches        einkommen über das öffentliche Beschaffungswesen
Klimagesetz mit einer CBAM hat Biden allerdings           aufkündigen zu wollen. Unter Biden werden die USA
nicht. Sollte er versuchen, eine CBAM per präsiden-       sicherlich Mitglied des Abkommens bleiben. Ein posi-
tieller Anordnung (»executive order«) einzuführen,        tiver Impuls könnte von den laufenden plurilateralen
dürfte diese mit großer Wahrscheinlichkeit vor den        WTO-Verhandlungen über elektronischen Handel aus-
US-Gerichten angefochten werden. Der Großteil der         gehen. Denn digitaler Handel ist wichtig für die USA.
US-Wirtschaft steht diesem Instrument kritisch ge-        In den Verhandlungen geht es unter anderem um den
genüber. Vielversprechender sind Überlegungen, die        Abbau von Handelsbarrieren auf elektronische Über-
Verhandlungen über ein plurilaterales Abkommen zur        tragungen, den Schutz personenbezogener Daten und
Beseitigung von Zöllen auf sogenannte Umweltgüter         die Verbesserung der Marktzugangsverpflichtungen für
wiederzubeleben. Seit Trumps Amtsantritt liegen diese     Telekommunikations- und Computerdienste.
auf Eis. Allerdings könnte ein solches Abkommen auch
auf Widerstand unter den Demokraten stoßen, da es –       APELL ZUM HANDELN
zumindest auf den ersten Blick – im Widerspruch mit
Bidens »Made-in-All-of-America«-Plan steht.               Handelspolitik ist Ergebnis eines komplexen Zusam-
                                                          menspiels zahlreicher interner und externer Fakto-
Handel und Gesundheit                                     ren: der Werte des Präsidenten und seines Teams,
                                                          aber auch der verfassungsrechtlichen Aufgabenver-
Die Corona-Pandemie hat die US-Wirtschaft in eine         teilung zwischen der Exekutive und der Legislative,
schwere Rezession gestürzt. Die Pandemie hat ge-          der Mehrheitsverhältnisse im Kongress, der Koope-
zeigt: Nationale Exportverbote für medizinische           rationsbereitschaft der Regierungsorgane, dem Ein-
Produkte sind keine Lösung, sondern verschärfen           fluss von Interessengruppen und der öffentlichen Mei-
aufgrund komplexer internationaler Wertschöpfungs-        nung sowie nicht zuletzt der wirtschaftlichen Lage
ketten Lieferengpässe. Diversifizierung von Lieferket-    selbst.
ten und Produktionsnetzwerken sowie internationale             Verfassungsrechtlich liegt die Verantwortung
Kooperation bei Forschung und Entwicklung sind ge-        für die Handelspolitik beim Kongress; der exekutive
nauso wichtig wie der Abbau von Handelsbarrieren.         Spielraum ist jedoch groß, wie Präsident Trump mit
Ende November schlug die EU zusammen mit zwölf            der Anwendung von Abschnitt 232 und 301 wiederholt
anderen Staaten vor, weltweit Zölle auf Medizinpro-       unter Beweis stellte. Mit dem US-Japan-Abkommen
dukte abzuschaffen. Die USA gehören bisher nicht          zeigte er zudem, dass bestimmte sektorale Handels­
dieser Initiative an. Sie sind zwar Mitglied des pluri-   abkommen nicht vom Kongress ratifiziert werden
lateralen Pharma-Abkommens der WTO, mit dem sich          müssen. Joe Biden wird jedoch keine Handelspoli-
22 WTO-Mitglieder 1995 verpflichteten, Zölle auf eine     tik am Kongress vorbei machen können und wollen.
Vielzahl pharmazeutischer Produkte und bestimmter         Mit »Build back better« hat er sich viel vorgenommen.
chemischer Zwischenprodukte, die zur Herstellung          Ohne parteiübergreifende Zusammenarbeit wird dies
von Arzneimitteln verwendet werden, zu beseitigen.        nicht gelingen. Eine proaktive Handelspolitik würde
Bislang standen sie einer Modernisierung dieses           aufgrund der innenpolitischen Lage dem Präsiden-
mittlerweile veralteten Abkommens kritisch gegen-         ten den Einsatz von viel politischem Kapital ab-
über. Die Biden-Administration hat sich noch nicht        verlangen.
öffentlich zu den Vorschlägen der Ottawa-Gruppe                Beim Thema Handel kann Biden zudem nicht auf
positioniert. Allerdings könnte es auch hier zu einem     die volle Unterstützung durch seine Partei zählen.
Widerspruch mit Bidens »Made-in-All-of-America«-          Insbesondere der progressive, linke Flügel fürchtet
Plan kommen.                                              den Verlust heimischer Arbeitsplätze und positioniert
                                                          sich – unterstützt von den Gewerkschaften – deutlich
Reform der WTO                                            gegen neue Handelsabkommen. Viele Demokraten im
                                                          Kongress befürworteten Trumps Zollpolitik. Auch in
Biden sieht zwar erheblichen Reformbedarf bei der         den Reihen der Republikaner, die traditionell Han-
WTO, erkennt aber an, dass sie unter Mitwirkung der       delsabkommen positiver gegenüberstehen, fand der
USA ein »effektives Instrument« sein kann (Bade 2020).    scheidende Präsident viel Zuspruch.
Mit ihm öffnet sich ein Fenster, den Konflikt um die           Handelspolitik gehört nicht zu den Top-Priori-
neue WTO-Generaldirektorin beizulegen. Der Disput         täten von Joe Biden. Gleichwohl wird er die lange
um den Streitschlichtungsmechanismus dürfte sich          handelspolitische To-Do-Liste nicht ignorieren kön-
jedoch nicht so einfach lösen lassen. Die Kritik am Be-   nen. Die Wiederbelebung der WTO, die Stärkung der
rufungsgremium ist überparteilich. Auch unter Biden       transatlantischen Beziehungen – all das wird kein
dürften die USA zudem auf strengere Überwachungs-         Selbstläufer sein. Auch Joe Bidens Handelspolitik
verfahren und Sanktionsmöglichkeiten pochen sowie         wird protektionistische Elemente enthalten. Umso

                                                                      ifo Schnelldienst   1 / 2021   74. Jahrgang   20. Januar 2021   9
ZUR DISKUSSION GESTELLT

                        wichtiger ist es, dass die Handelspartner der USA –                   Brown, C. (2020), »US-China Trade War Tariffs: An Up-to-Date Chart«,
                                                                                              14. Februar, verfügbar unter: https://www.piie.com/research/piie-charts/
                        allen voran die EU – nicht auf Angebote und Initiati-                 us-china-trade-war-tariffs-date-chart.
                        ven aus Washington warten, sondern den USA aktiv                      Business Standard (2020), »US Should Proceed with Both Humility and
                        Angebote unterbreiten. Dies ist dann am erfolgver-                    Confidence: Antony Blinken«, 25. November, verfügbar unter: https://
                                                                                              www.business-standard.com/article/international/us-should-proceed-
                        sprechendsten, wenn Bidens innen- und binnenwirt-                     with-both-humility-and-confidence-antony-blinken-120112500091_1.
                        schaftliche Prioritäten mit internationalen Themen                    html.
                        verknüpft werden.                                                     DW (2020), »Joe Biden Lays out Foreign Policy Vision: ‘America is
                                                                                              Back’«, 24. November, verfügbar unter: https://www.dw.com/en/
                                                                                              joe-biden-lays-out-foreign-policy-vision-america-is-back/a-55715379.
                        LITERATUR
                                                                                              Marri, S. (2020), »US is Back and Ready to Lead, Says Joe Biden«, Sky
                        Bade, G. (2020), »Biden Won’t Rule out new Tariffs, Adviser Says«,    News, 25. November, verfügbar unter: https://news.sky.com/story/
                        Politico, 22. September, verfügbar unter: https://www.politico.com/   biden-america-is-back-and-were-ready-to-lead-12141689.
                        news/2020/09/22/biden-tariffs-adviser-420096, aufgerufen am
                                                                                              Washington Trade Daily (2020), »Biden’s Trade Policy«, 29. Juli, 2–6.
                        28. November 2020.

                        Galina Kolev und Jürgen Matthes
                        Neue handelspolitische Kooperationsmöglichkeiten mit der
                        Biden-Administration
                        Der scheidende US-Präsident hat die Welthandels­                      im Airbus-Boeing-Konflikt. Zudem drohte er immer
                        organisation (WTO) massiv geschwächt und zahl-                        wieder mit US-Zöllen auf Automobilimporte. Letzt-
                        reiche Handelskonflikte entfacht, vor allem gegen-                    lich machte er diese Drohung aber nicht wahr. Die
                        über China, mit dem Ziel, das US-Leistungsbilanzde-                   EU-Strategie scheint sich ausgezahlt zu haben, mit
                        fizit zu verringern. Sein konfrontativer handelspoliti-               Stärke und Gegenmaßnahmen zu reagieren. So blieb
                        scher Kurs säte Zweifel an der Verlässlichkeit der USA                es überwiegend bei Theaterdonner für das heimische
                        unter Verbündeten, trug jedoch keineswegs zu einer                    Publikum, und nur ein geringer Teil der EU-Exporte in
                        Reduktion des Leistungsbilanzdefizits bei, das mit                    die USA war letztlich von höheren Zöllen betroffen.
                        480 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019 so hoch war wie seit                  Daher blieben die gesamtwirtschaftlichen Schäden in
                        über zehn Jahren nicht mehr. In einer globalisierten                  Deutschland geringer als befürchtet (Matthes 2020a).
                        Welt, in der neue Handelsbarrieren durch Umlenkung
                        der Handelsströme zu geringen Kosten umgegangen                       VORSICHTIGE HOFFNUNGEN AUF BIDEN
                        werden können, sind solche Maßnahmen von vorn-
                        herein zum Scheitern verurteilt. Dies ist umso mehr                   Der neu gewählte Präsident wird von der internati-
                        der Fall für die USA, die die Reservewährung der Welt                 onalen Gemeinschaft mit vorsichtiger Hoffnung er-
                        stellen und in demselben Zeitraum die Binnennach-                     wartet. Zwar wird er in den ersten Monaten zunächst
                        frage durch diverse fiskalische Maßnahmen angekur-                    sehr intensiv mit der Innenpolitik beschäftigt sein.
                        belt haben (Kolev 2020).                                              Im Mittelpunkt wird dabei der Umgang mit der eska-
                              Donald Trump hat mit seiner konfliktsuchenden                   lierenden Covid-19-Pandemie und die Spaltung der
                        Politik auch das transatlantische Verhältnis einer ext-               Gesellschaft stehen, sei es mit Blick auf die wirt-
                        remen Belastungsprobe ausgesetzt – sei es durch die                   schaftliche Ungleichheit oder die politische Lager-
                        Einführung von Zöllen auf Stahl- und Aluminiumim-                     bildung. Doch Joe Biden wird als erfahrener Politiker
                                         porte oder durch die mangelnde                          einen schnellen Einstieg in sein Amt finden und
                                             Verhandlungsbereitschaft                                bereitete schon vor dem Jahreswechsel ein
                                                                                                        weltoffenes Team vor, um den Verbünde-
                                                                                                         ten weltweit ein Versöhnungssignal aus-
                                                                                                         zusenden.
                                                                                                             Dennoch ist selbst mit Joe Biden als
                                                                                                        US-Präsidenten nicht davon auszugehen,
 Prof. Dr. Galina Kolev                                     Jürgen Matthes                            dass es zu einer 180-Grad-Wende in der Han-
ist Professorin an der Hochschule                         leitet das Kompetenzfeld                    delspolitik kommt. Wenngleich sich der Ton
RheinMain und Leiterin der                                »Internationale Wirtschafts-                ändern dürfte und mehr internationale Ko-
Forschungsgruppe »Gesamtwirt-                             forschung und Konjunktur«                   operation mit gleichgesinnten Staaten, ins-
schaftliche Analysen und                                  am Institut der deutschen
Konjunktur« am Institut der                               Wirtschaft.                                 besondere im Umgang mit China, möglich
deutschen Wirtschaft.                                                                                 wäre (s.u.), dürfte der wirtschafts- und han-
                                                                                                      delspolitische Kurs der USA weiterhin von

                  10    ifo Schnelldienst   1 / 2021   74. Jahrgang   20. Januar 2021
ZUR DISKUSSION GESTELLT

dem Grundsatz »Buy American« geprägt sein, zu-             KOOPERATION BEI FREIHANDELSABKOMMEN!?
mindest wenn Joe Biden seine Ankündigungen wahr
macht (Bardt und Kolev 2020). So ist anhand seines         Aus der Sicht der deutschen und anderen europäi-
Wahlprogramms eine klare Ablehnung von Produkti-           schen Unternehmen stellt sich die Frage, ob es mit
onsverlagerungen ins Ausland zu erkennen, die mit          Joe Biden möglich wäre, die Verhandlungen zu ei-
steuerpolitischen Druckmitteln angegangen werden           nem potenziellen Freihandelsabkommen wieder zu
sollen (»Pro-American Worker Tax and Trade Stra-           beleben. Zwar haben die TTIP-Verhandlungen mit der
tegy«, siehe Biden 2020a). Zudem sollen die beste-         Obama-Administration gezeigt, dass ein umfassendes
henden Buy-American-Regeln vermehrt eingesetzt             Handels- und Investitionsabkommen kaum realisier-
werden, um Nachfrageimpulse für die heimischen             bar ist, nicht zuletzt aufgrund des Widerstands in der
Produzenten zu schaffen.                                   EU. Doch die EU hat bereits Anfang Dezember 2020
     Wichtige Änderungen dürften mit dem Macht-            einen Vorschlag für eine neue transatlantische Agenda
wechsel in Bezug auf die Unterstützung des Multi-          unterbreitet, die den Rahmen für mehr Kooperation
lateralismus kommen. Joe Biden hat diesbezüglich           und Handelsliberalisierung schaffen soll (European
bereits entsprechende Signale ausgesendet. Die             Commission 2020a). Nachdem die letzten Jahre von
Schaffung des Postens eines Klima-Sonderbeauf-             einer hohen Unsicherheit in den transatlantischen Be-
tragten und die Besetzung dieses Postens mit dem           ziehungen geprägt waren, dürfte zumindest ein reines
ehemaligen Präsidentschaftskandidaten John Kerry,          Freihandelsabkommen mit der neuen US-Administ-
einem entschiedenen Kämpfer gegen den Klimawan-            ration möglich werden, im Rahmen dessen Zölle und
del, zeigt die Entschlossenheit des neu gewählten          einige weniger sensible nicht-tarifäre regulatorische
Präsidenten, dieses globale Problem mitanzugehen           Hemmnisse abgebaut werden.
und die Bemühungen der internationalen Klima-                   Doch die Verschiebung des Fokus der USA vom
schutzgemeinschaft zu unterstützen. Klimaneutrali-         transatlantischen hin zum transpazifischen Raum, die
tät bis 2050, Investitionen von historischem Maßstab       bereits in den Jahren vor der Wahl Donald Trumps
in klimafreundlicher Energie und Klimaforschung und        stattfand, dürfte nun weiter fortgesetzt werden. So
-innovationen, Förderung der Elektromobilität, Stei-       ist es nicht ausgeschlossen, dass weniger Interesse
gerung der Energieeffizient von Gebäuden und vieles        an Verhandlungen mit der EU besteht. Zudem ist auf
mehr – die Liste der geplanten Maßnahmen ist lang,         europäischer Seite immer noch wenig Einigkeit dar­
um den Beitrag der USA zum globalen Klimaschutz            über vorhanden, ob der Agrarsektor Teil eines transat-
zu steigern (Biden 2020b).                                 lantischen Freihandelsabkommens werden soll – was
     Was sich jedoch in der Liste nicht findet, ist eine   in den letzten Jahren eine wichtige Forderung der
explizite Bepreisung von CO2-Emissionen (Kolev und         USA war, um mit den Verhandlungen zu beginnen.
Schaefer 2020). Und vermutlich wird das Tempo              Solange die USA das öffentliche Beschaffungswesen
beim Klimaschutz in den USA hinter dem in der EU           nicht in die Verhandlungen mit einbringen, dürfte
zurückbleiben. Somit wird es auch unter Joe Biden          die EU den Agrarsektor auch außen vor halten. Dann
eine große Herausforderung bleiben, für gleiche            stellt sich die Frage, ob ein reines Industriegüterab-
Wettbewerbsbedingungen der CO2-intensiven Bran-            kommen WTO-konform gestaltet werden kann, denn
chen zu sorgen. Während der europäische Emissi-            die WTO akzeptiert nur Handelsabkommen, die nach
onshandel die Herstellungskosten in die Höhe treibt        dem GATT-Article XXIV »substantially all the trade«
und die EU-Kommission nach Lösungen für dieses             abdecken.
Problem, etwa in der Form einer Grenzausgleich-                 Insbesondere der Abschluss des asiatisch-pazifi-
steuer sucht, sind die US-Hersteller kaum mit dieser       schen Abkommens RCEP dürfte die USA dazu bewe-
Herausforderung konfrontiert. Hierbei kann selbst ein      gen, ihren Ausstieg aus der während der Obama-Amts-
Grenzausgleichsmechanismus keine effiziente Markt-         zeit ausverhandelten Transpazifischen Partnerschaft
lösung liefern, stattdessen droht hier ein weiterer        (damals TPP) auf den Prüfstand zu stellen. Denkbar
Handelskonflikt.                                           wäre auch ein Beitritt der USA zu einem etwas ange-
     Auch andere Besetzungen im Team Joe Bidens            passten CPTPP, der auch die EU unter Druck setzen
signalisieren den Willen des neu gewählten Präsiden-       würde, diesem wichtigen Schritt nachzugehen und
ten, mehr auf Kooperation mit gleichgesinnten Län-         eine eigene Beteiligung der EU am CPTPP zu prüfen
dern weltweit zu setzen. So dürfte Antony Blinken als      (Matthes und Kolev 2020). In so einem Szenario wür-
Außenminister die Rolle der USA in der internationa-       den sich die Verhandlungen zu einem transatlanti-
len Zusammenarbeit und Koordination stärken. Und           schen Freihandelsabkommen erübrigen, und der
wenn Katherine Tai die Rolle der Handelsbeauftragten       Prozess der globalen Handelsliberalisierung dürfte
übernimmt, ist die Message an die Welt klar: Als Chi-      ein Momentum erfahren. Doch auch hier bestehen
na-Expertin dürfte sie die bestehende Chinas-Strate-       zahlreiche Fragezeichen, nicht nur bezüglich der stra-
gie überarbeiten und neue Ansätze im bestehenden           tegischen Verhandlungsmacht beim Beitritt zu einem
Konflikt suchen. Im Ergebnis dürfte es an der Han-         bereits ausverhandelten Abkommen. Auch die gravie-
delsfront zwischen den USA und China jedoch nicht          renden Unterschiede in den Abkommen der EU und
zu einer wesentlichen Entspannung kommen.                  der USA etwa in Sachen Nachhaltigkeit in FTA stehen

                                                                       ifo Schnelldienst   1 / 2021   74. Jahrgang   20. Januar 2021   11
ZUR DISKUSSION GESTELLT

     solch einem Schritt zunächst im Wege. Die EU wird               auch diese multilaterale Organisation wieder stärken
     sich damit fragen müssen, welche Kompromisse ein-               wird. Doch wie viel davon ist realistisch und wie viel
     zugehen sie bereit ist, um in der asiatisch-pazifischen         ist Wunschdenken?
     Wachstumsregion in Zukunft hinreichend präsent                       Unter Donald Trump hatten die USA erst im Ok-
     zu sein.                                                        tober 2020 noch die Wahl einer neuen WTO-Gene-
                                                                     raldirektorin blockiert. Die Mehrheit der WTO-Mit-
     HOFFNUNGEN AUF FORTSCHRITTE BEI                                 glieder hatte sich zuvor für die Nigerianerin Ngozi
     AUSGEWÄHLTEN KONFLIKTFELDERN                                    Okonjo-Iweala ausgesprochen, die Trump-Administ-
                                                                     ration für die Südkoreanerin Yoo Myung-hee. Es gibt
     Bei einigen bestehenden transatlantischen handels­              Spekulationen darüber, dass die Biden-Administration
     politischen Konflikten erscheinen Hoffnungen auf                hier umschwenken könnte, da Okonjo-Iweala den De-
     Fortschritte unter einer Biden-Administration begrün-           mokraten in den USA offenbar nahesteht (Third World
     det, auch wenn darüber aktuell noch keine belastbare            Network 2020). Das wäre wünschenswert, denn die
     Aussage getroffen werden kann.                                  WTO braucht gerade in diesen schwierigen Zeiten
                                                                     eine starke Führung.
     ‒     Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass die                     Die Berufungsinstanz des WTO-Streitschlich-
           Biden-Administration die Drohung mit Autozöllen           tungsmechanismus, der »Appellate Body«, ist para-
           nicht aufrechterhält. Das wäre vor allem für die          lysiert, weil die USA die Nachbesetzung von ausschei-
           deutsche Wirtschaft ein sehr positives Signal.            denden Schiedsexperten blockierten, bis zu wenige
     ‒     Bei den US-Zöllen auf Stahl- und Aluminiumim-             Streitschlichter verblieben (Matthes 2020b). Damit
           porte aus der EU spielt eine wichtige Rolle, wie          können Staaten einen gültigen Schiedsspruch ver-
           weit die Bidensche Handelspolitik sich wieder             hindern, indem sie nach einem erstinstanzlichen Ur-
           stärker an den multilateralen Handelsregeln ori-          teil Berufung einlegen, die dann ins Leere läuft. Die
           entieren wird. Wenn das der Fall ist, dürften die         WTO kann in einem solchen Fall die multilateralen
           Zölle vermutlich zurückgenommen werden, weil              Regeln nicht mehr durchsetzen. Vor diesem Hinter-
           sie mit dem Verweis auf die nationale Sicherheit          grund initiierte die EU zusammen mit Kanada einen
           sehr fragwürdig begründet sind. Möglicherweise            temporären Ersatzmechanismus für den »Appellate
           wird der Schritt eher früher als später realisiert,       Body« mit der Bezeichnung MPIA (»Multiparty Interim
           weil die EU eine zweite Tranche ihrer Gegenmaß-           Appeal Arbitration Arrangement«). Das Abkommen
           nahmen im Frühjahr 2021 in Kraft setzen dürfte            trat Ende April 2020 in Kraft (WTO 2020), und ihm
           (European Commission 2018). Gleichwohl sollte             sind inzwischen rund 20 Staaten beigetreten, unter
           Brüssel im Blick haben, dass Biden möglicher-             anderem China, Brasilien, Mexiko, Australien und die
           weise als Gegenleistung etwas vorweisen muss,             Schweiz. Zudem haben Rat und Europäisches Parla-
           um die Rücknahme politisch durchsetzen zu                 ment einen Enforcement-Mechanismus auf den Weg
           können.                                                   gebracht, um gegenüber Nicht-Teilnehmern am MPIA,
     ‒     Im schon lange bestehenden Airbus-Boeing-Kon-             wie den USA, weiter handlungsfähig zu bleiben. Falls
           flikt um Subventionen für den Flugzeugbau wa-             diese ins Leere in Berufung gehen, schaffen die neuen
           ren Klagen beider Seiten vor der WTO erfolg-              EU-Regeln bald die Möglichkeit, dass die EU bereits
           reich (Matthes 2020b). Die WTO hat inzwischen             Gegenmaßnahmen ergreifen kann, wenn ein gültiges
           sowohl die USA als auch die EU zu Gegenmaß-               Urteil bei der WTO in der ersten Instanz vorliegt. Es
           nahmen in Form von Zollerhöhungen auf Importe             geht dabei um die Rücknahme von Zugeständnissen
           der jeweils anderen Seite ermächtigt, die USA             der EU, nicht nur wie bisher bei Zöllen und öffentli-
           schon im Oktober 2019 und die EU Ende Oktober             chen Aufträgen, sondern in Zukunft auch bei Libe-
           2020, woraufhin Brüssel die Zölle kurz nach der           ralisierungen von Dienstleistungen oder geistigen
           US-Präsidentschaftswahl in Kraft setzte (Euro-            Eigentumsrechten.
           pean Commission 2020b). Wenig später ist die                   Das Drohpotenzial dieses Enforcement-Mecha-
           Trump-Administration auf das schon länger be-             nismus könnte mit dazu beitragen, dass sich die USA
           stehende Angebot der EU eingegangen und hat               unter der Biden-Administration auf Verhandlungen
           Verhandlungen über eine Lösung des Subventi-              über eine Reform des »Appellate Body« einlassen.
           onsstreits begonnen. Die Hoffnung besteht, dass           Dabei ist ein Teil der Kritik der USA durchaus berech-
           die Biden-Administration hier anknüpft. Im Ideal-         tigt (Matthes 2020b; EP 2019). Zu Recht kritisieren
           fall würden bereits während der Verhandlungen             sie vor allem, dass die Schiedsexperten ihre Kompe-
           die gegenseitigen Strafzölle ausgesetzt. Aber das         tenzen zu weit ausgelegt und neues Recht gesetzt
           bleibt abzuwarten.                                        haben (Matthes 2020c). Zudem sehen sich die USA zu
                                                                     Recht in ihren Möglichkeiten zu sehr eingeschränkt,
     BEWEGUNG IN SACHEN WTO?                                         gegen Wettbewerbsverzerrungen durch chinesische
                                                                     Industriesubventionen vorgehen zu können. Ein Kon-
     Auch mit Blick auf die stark geschwächte WTO sind               zeptpapier der Europäische Kommission zur WTO-Re-
     die Hoffnungen groß, dass die Biden-Administration              form aus dem Jahr 2018 greift zahlreiche dieser As-

12   ifo Schnelldienst   1 / 2021   74. Jahrgang   20. Januar 2021
ZUR DISKUSSION GESTELLT

pekte auf (European Commission 2018). Es kann als       LITERATUR
Grundlage für Verhandlungen über eine Reform und        Bardt, H. und G. Kolev (2020), Biden versus Trump – Positionen in der
die hoffentlich darauffolgende Wiedereinsetzung         Handels-, Wirtschafts- und Klimapolitik, IW-Policy Paper, Nr. 16, Köln.

des »Appellate Body« dienen. Dazu ist aber auch         Biden, J. (2020a), »The Biden plan to ensure the future is »made in all of
                                                        America« by all of America’s workers«, verfügbar unter: https://joebiden.
ein Entgegenkommen Chinas beim Thema Wettbe-            com/made-in-america/, aufgerufen am 14. Dezember 2020.
werbsverzerrungen nötig, auf das die EU mit Nach-       Biden, J. (2020b), »The Biden plan for a clean energy revolution and
druck und gemeinsam mit den USA hinwirken sollten       environmental justice«, verfügbar unter: https://joebiden.com/
                                                        climate-plan/, aufgerufen am 17. Dezember 2020.
(Matthes 2020c).
                                                        EP – European Parliament (2019), »Balanced and fairer world trade de-
                                                        fence – EU, US and WTO perspectives«, Workshop documentation, EP/
GEMEINSAME STRATEGIE GEGENÜBER CHINA                    EXPO/B/INTA/2018/08-10, Brüssel.
                                                        European Commission (2018), »EU adopts rebalancing measures in re­
                                                        action to US steel and aluminium tariffs«, Pressemitteilung, 20 Juni, ver-
Bislang gibt es in Sachen China jedoch zu wenig Ko-     fügbar unter: https://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1868,
operation zwischen der EU und den USA wegen des         aufgerufen am 17. Dezember 2020.

konfrontativen Kurses der Trump-Administration ge-      European Commission (2020a), »EU-US: A new transatlantic agenda for
                                                        global change«, Pressemitteilung, 2. Dezember, verfügbar unter: https://
genüber der EU. Die USA setzte – anders als Europa      ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_2279, aufgerufen
und Deutschland – auf eine weitgehende Entkoppe-        am 14. Dezember 2020.

lung von China (»Decoupling«).                          European Commission (2020b), »Boeing WTO case: EU puts in place
                                                        countermeasures against U.S. exports«, 9 November, verfügbar unter:
     Doch gab es auf Expertenebene bei den Themen       https://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=2207, aufgerufen
Industriesubventionen und Staatsunternehmen be-         am 17. Dezember 2020
reits zusammen mit Japan eine trilaterale Zusammen-     Kolev, G. (2020), US-Leistungsbilanz: Eine Zwischenbilanz vor der Wahl,
                                                        IW-Kurzbericht, Nr. 107, Köln.
arbeit, die weitreichende Vorschläge für Reformen der
                                                        Kolev, G. und T. Schaefer (2020), US-Präsidentschaftswahl: Implikationen
WTO-Regeln gemacht hat (USTR 2020). Diese Initiative    für die Klima- und Energiepolitik, IW-Kurzbericht, Nr. 109, Köln.
gilt es nun, mit Nachdruck in die WTO einzubringen      Matthes, J. (2020a), Deutsch-amerikanische Handelsbeziehungen unter
und Verbündete zu suchen, um China zu Verhandlun-       Donald Trump, IW Kurzbericht, Nr. 98, Köln
gen über eine WTO-Regelreform zu bringen.               Matthes, J. (2020b), Protektionismus eindämmen und WTO-Reform voran-
                                                        treiben - Handelspolitische Empfehlungen für Bundesregierung und EU,
     Auch auf hoher politischer Ebene kam es in den     Gutachten für die INSM, Köln.
letzten Monaten zu einer Annäherung. Ende Oktober       Matthes, J. (2020c), Die europäische Handelspolitik und China - Schritte
2020 wurde ein bilateraler Dialog zwischen der EU und   zu einer neuen Balance mit fairem Wettbewerb, IW-Analyse, Nr. 138, Köln.
den USA zu China aufgenommen (US Department of          Matthes, J. und G. Kolev (2020), Eine Einordnung von RCEP. Was das regi-
                                                        onale Handelsabkommen für die EU und die deutsche Wirtschaft bedeutet
State 2020). Die EU hatte zuvor ihre Positionierung
                                                        – und was nicht, IW-Policy Paper, Nr. 28, Köln.
gegenüber China verschärft, nicht zuletzt durch die
                                                        Third World Network (2020), »General Council meeting on WTO DG selec-
Benennung Chinas als systemischen Wettbewerber          tion postponed, TWN Info Service on WTO and Trade Issues Nov20/08«,
und die Einführung einer Prüfung von Investitionen      10 November, verfügbar unter: https://www.twn.my/title2/wto.info/2020/
                                                        ti201108.htm, 17. Dezember 2020.
aus Drittstaaten wie China. Die Grundsatzeinigung
                                                        US Department of State (2020), »Launch of the U.S.-EU Dialogue on
auf ein Investitionsschutzabkommen der EU mit China     China«, Media Note, 23. Oktober, verfügbar unter: https://www.state.
stellt hingegen einen Schritt hin zu mehr Kooperation   gov/launch-of-the-u-s-eu-dialogue-on-china/, aufgerufen am 9. Dezem-
                                                        ber 2020.
mit China dar und könnte einen Schulterschluss mit
                                                        USTR (2020), »Joint Statement of the Trilateral Meeting of the Trade
den USA erschweren.                                     Ministers of Japan, the United States and the European Union«, 14. Ja-
     Unter der Biden-Administration dürfte die Zusam-   nuar, verfügbar unter: https://ustr.gov/about-us/ policy-offices/press-
                                                        office/press-releases/2020/january/joint-statement-trilateralmeeting-
menarbeit zwischen der EU und den USA weiter inten-     trade-ministers-japan-united-states-and-european-union, aufgerufen am
siviert werden können. Klare gemeinsame Interessen      9. Dezember 2020.

finden sich z. B. auch bei Menschenrechtsverstößen in   WTO (2020), »Statement on a Mechanism for developing, documenting
                                                        and sharing Practices in the Conduct of WTO Disputes«, JOB/DSB/1/
China und möglichen Sanktionen (etwa gegen Güter        Add.12, 30 April, verfügbar unter: https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/SS/
aus Arbeitslagern) und bei der gemeinsamen Setzung      directdoc.aspx?filename=q:/Jobs/DSB/1A12.pdf&Open=True.

von internationalen Produktstandards, wo China im
Rahmen seiner China Standards 2035 zunehmend sei-
nen Einfluss geltend macht.

                                                                         ifo Schnelldienst   1 / 2021   74. Jahrgang   20. Januar 2021   13
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