SPOT ON - Aspen Institute Germany

Die Seite wird erstellt Thorben Esser
 
WEITER LESEN
SPOT ON - Aspen Institute Germany
SPOT ON
Stormy-Annika Mildner und Claudia Schmucker

China – Härtetest für die transatlantischen
Beziehungen
                                                                                   Juni 2021

China ist ein systemischer Wettbewerber – dieser Meinung sind sowohl die USA als auch die
Europäische Union (EU). Beste Voraussetzungen, um gemeinsam gegen unfaire Handelsprak‐
tiken und Menschenrechtsverletzungen vorzugehen? Ganz so einfach wird es nicht werden.
Das EU-USA-China Dreiecksverhältnis ist kompliziert und könnte schnell zu einem Stolperstein
für einen Neustart der transatlantischen Beziehungen werden. Umso wichtiger, dass sich die
EU und die USA zügig auf eine positive Agenda verständigen.

„Ihre Kinder oder Enkelkinder werden ihre        schnitt einen Zoll von fast 21 Prozent auf
Doktorarbeit über die Frage schreiben, wer       US-Waren (2018: 8 %). Das Defizit der USA
sich durchgesetzt hat: Autokratie oder De‐       im Warenhandel mit China ist zwar zwi‐
mokratie? Denn darum geht es, nicht nur bei      schen 2019 und 2020 leicht von -345 Milli‐
China“, führte Joe Biden in einer Pressekon‐     arden US-Dollar auf knapp -311 Milliarden
ferenz im März 2021 aus. Wer auf eine Ent‐       US-Dollar zurückgegangen (US Census),
spannung im US-China Konflikt gehofft hat‐       China führt jedoch die Liste der Länder mit
te, ist schnell eines Besseren belehrt worden.   Handelsüberschüssen gegenüber den USA
Der 46. Präsident der Vereinigten Staaten        weiter deutlich an. Zudem hat Peking seine
setzt die harte Linie seines Vorgängers, Do‐     Zusagen im Rahmen des sogenannten ‚Pha‐
nald Trump, fort. Überraschend ist dies          se One Deal‘ bisher nicht eingehalten. China
nicht. Denn China wird über die Parteilinien     hatte sich 2020 verpflichtet, in den Jahren
hinweg als Bedrohung der USA und der             2020 und 2021 zusätzliche US-Waren im
westlichen Wertewelt gesehen. Laut einer         Wert von 200 Milliarden US-Dollar zu kau‐
aktuellen Umfrage von Gallup (März 2021)         fen.
wird China mittlerweile als Feind Nr. 1 der
                                                 Der Konflikt zwischen den USA und China
USA betrachtet (45 % der Befragten). Das
                                                 ist jedoch weit mehr als ein Handelsstreit. Er
sind doppelt so viele wie 2020. Die Hälfte
                                                 ist ein Wettstreit unterschiedlicher wirt‐
der Amerikaner hält China für die führende
                                                 schaftlicher und politischer Systeme: Chinas
Wirtschaftsmacht der Welt. Das Umfragein‐
                                                 wirtschaftliches Hybridmodell mit einem
stitut Pew Research fragte Anfang 2021, was
                                                 starken Einfluss des Staates auf der einen,
Amerikaner als erstes mit China assoziieren.
                                                 die marktwirtschaftlichen und demokrati‐
Auf Platz eins: Menschenrechtsverletzungen
                                                 schen Prinzipien des Westens auf der ande‐
(20 %), gefolgt von Wirtschaft (19 %) und
                                                 ren Seite. Es geht zudem um die hegemonia‐
dem autokratischen politischen System
                                                 le Vormachtstellung in der Welt und wer in
(17 %). Positive Assoziationen gab es kaum.
                                                 Zukunft die Regeln für die Weltwirtschaft
Zollspirale, strenge Exportkontrollen, Inves‐    setzen wird. Die USA sehen sich durch Chi‐
titionsbeschränkungen, Unternehmenslis‐          na massiv herausgefordert, wirtschaftlich,
tungen und Sanktionen – in den vergangenen       technologisch und sicherheitspolitisch.
vier Jahren spitzte sich der Konflikt zwi‐
                                                 Die Covid-19-Pandemie hat dies noch ein‐
schen den USA und China immer mehr zu.
                                                 mal verstärkt. China ist die einzige große
Mittlerweile liegt laut dem Peterson Institute
                                                 Volkswirtschaft, die 2020 trotz Pandemie
das durchschnittliche US-Zollniveau auf
                                                 gewachsen ist. Der Internationale Wäh‐
Waren aus China bei rund 19 Prozent (Janu‐
                                                 rungsfonds (IWF) erwartet für 2021 ein
ar 2018: rund 3 %). China erhebt im Durch‐
                                                 Wirtschaftswachstum von acht Prozent für
SPOT ON - Aspen Institute Germany
SPOT ON

China – im Vergleich zu sechs Prozent für      von Dingen, auch im medizinischen Bereich,
die USA und vier Prozent für die Eurozone.     geht.“
Euler Hermes berechnet regelmäßig den
weltwirtschaftlichen Schwerpunkt (WECG).       Die USA sehen sich durch China massiv
Die Computersimulation zeigt, dass sich        herausgefordert, wirtschaftlich, techno‐
dieser seit 2002 nach Asien verschiebt. 2030   logisch und sicherheitspolitisch.
dürfte der Schwerpunkt bei China, Indien
und Pakistan liegen. Zum Vergleich: Bis        Ein wichtiger Unterschied zu Trump: Biden
2007 befand er sich im Atlantischen Ozean.     geht es nicht nur um Wirtschaft. Schon in
Schon heute ist China die zweitgrößte          den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft
Volkswirtschaft nur hinter den USA. Kauf‐      hat sich gezeigt, dass Menschenrechtsfragen
kraftbereinigt hat China die USA bereits       einen deutlich höheren Stellenwert für die
überholt.                                      US-Regierung gewonnen haben. So ist der
China weitet seinen politischen und wirt‐      Druck auf Peking in Bezug auf Hongkong,
schaftlichen Einfluss immer weiter aus.        Taiwan, Xinjian und das Südchinesische
Dazu gehören beispielsweise die Asian In‐      Meer deutlich gestiegen. Und zwar nicht im
frastructure Investment Bank (AIIB) aber       Alleingang, sondern zusammen mit den Ver‐
auch geopolitische Großprojekte wie die        bündeten. Im März 2021 verhängten die
Belt and Road-Initiative (BRI). Mitte No‐      USA, Kanada, die EU und das Vereinigte
vember unterzeichnete Peking mit 14 asia‐      Königreich Sanktionen gegen China auf‐
tisch-pazifischen Ländern die Regional         grund der Menschenrechtsverletzungen ge‐
Comprehensive Economic Partnership             gen die Uiguren.
(RCEP). Mit einer Bevölkerung von 2,3 Mil‐
liarden Menschen und einem Bruttoinland‐       US-Erwartungen an die Partner
produkt (BIP) von knapp unter 26 Billionen
US-Dollar ist RCEP das größte Freihandels‐     Was bedeutet dies nun für die transatlanti‐
abkommen (FTA) der Welt.                       schen Beziehungen? Sicherheitsberater Jake
Anders als Trump strebt Biden zwar kein        Sullivan und Kurt Campbell, Koordinator
komplettes De-Coupling an, doch will auch      für die US-Indo-Pazifik-Politik im Nationa‐
er konsequent gegen unfaire Handelsprakti‐     len Sicherheitsrat, führten aus, dass die USA
ken Pekings vorgehen. Im Mittelpunkt steht     die Ko-Existenz mit China unter den Bedin‐
dabei die Förderung von sogenannten            gungen des strategischen Wettbewerbs lang‐
Schlüsseltechnologien in den USA, darunter     fristig managen müssten. Beim Treffen der
Biotechnologie, künstliche Intelligenz (KI),   Nato-Außenminister Ende März 2021 beton‐
additive Herstellung und Datenanalyse. Mit‐    te US-Außenminister Antony Blinken, dass
te Februar 2021 brachte Biden zudem die        die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten
China Task Force des US-Verteidigungsmi‐       nicht vor eine „wir oder sie“-Entscheidung
nisteriums auf den Weg, die verteidigungs-     mit China stellen wollten. Kurz vor dem G7-
und technologiestrategische Fragen untersu‐    Außenministertreffen Anfang Mai 2021 un‐
chen soll. Biden will die USA wettbewerbs‐     terstrich Blinken: „Es ist nicht unser Ziel,
fähiger machen. In den 1960er Jahren inves‐    China einzudämmen oder China niederzu‐
tierten die USA über zwei Prozent des BIP      halten.“ Vielmehr würden die USA versu‐
in Grundlagenforschung – heute sind es 0,7     chen, die internationale, auf Regeln basie‐
Prozent. Das soll sich ändern, so der Präsi‐   rende Ordnung aufrechtzuerhalten, „in die
dent, der Ende März 2021 ein 2,3 Billionen     unsere Länder über so viele Jahrzehnte so
US-Dollar schweres Infrastrukturpaket          viel investiert haben“. Wo es möglich ist,
(American Jobs Plan) und Ende April ein        sollten Länder mit China zusammenarbeiten
Sozialpaket in Höhe von 1,8 Billionen US-      können, zum Beispiel bei Herausforderun‐
Dollar (American Families Plan) vorlegte.      gen wie dem Klimawandel und der Gesund‐
Gerade bei kritischen Technologien und Gü‐     heitssicherheit. Im April 2021 reiste deshalb
tern will Biden die Abhängigkeit vom Aus‐      auch Bidens Klimaschutzbeauftragter John
land reduzieren und Produktionsnetzwerke       Kerry nach China, um mit Xie Zhenhua,
zurück in die USA holen. Er unterstrich in     dem Klimaschutz-Beauftragten der chinesi‐
seiner Pressekonferenz im März 2021: „Die      schen Staats- und Parteiführung, über die
Zukunft liegt darin, wer tatsächlich die Zu‐   Reduzierung von Treibhausgasemissionen
kunft besitzen kann, wenn es um Technolo‐      zu sprechen.
gie, Quantencomputing, eine ganze Reihe        Die USA erkennen an, dass ihre Verbünde‐
                                               ten teilweise komplexe Beziehungen zu Chi‐

2
SPOT ON

na haben. Wenn ein Staat wirtschaftlich ge‐    schaftssystems eindämmt. Zudem will die
nötigt werde, sollten diese gemeinsam re‐      EU ihre Handelsinstrumente schärfen. Unter
agieren, so Blinken. Dabei erwarten die        anderem kündigte die Kommission ein neu‐
USA, dass die Verbündeten einen Teil der       es Instrument an, mit dem sich die EU gegen
Last schulterten – klare Worte seitens des     wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen im Aus‐
US-Außenministers.                             land (wie extraterritoriale Sanktionen) weh‐
                                               ren kann (Anti-Coercion Instrument). Beste
                                               Voraussetzungen für einen transatlantischen
Die EU und China                               Schulterschluss? Ganz so einfach wird es
                                               nicht.
Die EU-China-Politik befindet sich im Wan‐
del. Auch die EU bezeichnet China mittler‐
weile als Systemwettbewerber und strategi‐     Ein kompliziertes Dreiecksver‐
schen Rivalen. Nur wenige glauben noch,        hältnis
dass wirtschaftliche Öffnung auch zu Demo‐
kratisierung führen wird. Europäische Un‐
                                               Für die USA ist die EU zwar ein wichtiger,
ternehmen sehen sich zunehmend mit un‐
                                               aber nicht der alleinige Partner. Dies zeigte
gleichen Wettbewerbsbedingungen konfron‐
                                               sich bereits beim ersten Treffen der Staats-
tiert. Mit der Strategie „Made in China
                                               und Regierungschefs der sogenannten Quad
2025“ fördert Peking aktiv Schlüsselberei‐
                                               – Australien, Indien, Japan und die USA –,
che der Wirtschaft, um eine technologische
                                               die eine wichtige Rolle in der US-amerikani‐
Supermacht zu werden.
                                               schen China-Strategie einnimmt.
Laut Meinungsumfragen ist das Chinabild
                                               Zudem wirft das Konzept der EU der offe‐
auch in der europäischen Bevölkerung über‐
                                               nen strategischen Souveränität viele Frage‐
wiegend negativ. Dies belegt beispielsweise
                                               zeichen in den USA auf. In seiner Nato-Rede
eine Umfrage des Central European Institu‐
                                               betonte Blinken zwar, dass die USA ein In‐
tes of Asian Studies in 13 europäischen Län‐
                                               teresse an starken Partnern für starke Part‐
dern (2021). Sie zeigt jedoch auch Unter‐
                                               nerschaften haben. Allerdings betrachten sie
schiede: Die Länder im Westen und Norden
                                               einige Entwicklungen in der EU durchaus
(Schweden, Frankreich, Großbritannien und
                                               mit Sorge. Für erste Irritationen sorgte das
Deutschland) haben tendenziell die nega‐
                                               Investitionsabkommen         Comprehensive
tivsten Ansichten, während die Einstellung
                                               Agreement on Investment (CAI), auf das
von Ländern im Osten (Russland, Serbien
                                               sich die EU und China kurz vor dem Jahres‐
und Lettland) überwiegend positiv ist. Süd-
                                               wechsel verständigten. Die USA erwarten in
(Italien, Spanien) und Mitteleuropa (Tsche‐
                                               der Zukunft ein abgestimmteres Vorgehen.
chien, Ungarn, Polen und die Slowakei) lie‐
gen dazwischen; die Einstellungen sind den‐    In der EU hingegen gibt es viele Stimmen,
noch entschieden negativ.                      die mehr Unabhängigkeit von den USA for‐
                                               dern. Die USA seien aufgrund der tiefen ge‐
Es überrascht daher nicht, dass China eine
                                               sellschaftlichen Spaltung und politischen
zentrale Rolle in der neuen Handelsstrategie
                                               Polarisierung kein verlässlicher Partner,
der Europäischen Kommission (Open, Su‐
                                               auch nicht unter Joe Biden. Eine Meinungs‐
stainable and Assertive Trade Policy) ein‐
                                               umfrage des Forschungsinstituts European
nimmt. Die Handelspolitik der Europäischen
                                               Council on Foreign Relations (ECFR, 2021)
Union (EU) soll schlagkräftiger und nach‐
                                               kommt zu dem Ergebnis, dass Mehrheiten in
haltiger werden. Leitlinie ist das Konzept
                                               wichtigen EU-Mitgliedsstaaten glauben,
der „offenen, strategischen Autonomie“. Sie
                                               dass das politische System der USA ‚kaputt“
hat drei Aspekte: 1. Widerstandsfähigkeit
                                               („broken“) sei und China innerhalb eines
und Wettbewerbsfähigkeit; 2. Nachhaltigkeit
                                               Jahrzehnts mächtiger sein werde als die
und Fairness; 3. Durchsetzungsvermögen
                                               USA. Die Europäer könnten sich nicht auf
und regelbasierte Zusammenarbeit.
                                               die USA verlassen, um sie zu verteidigen. In
                                               den elf Ländern, die von der ECFR-Umfrage
Nur wenige glauben noch, dass wirt‐            erfasst wurden, sind sechs von zehn Befrag‐
schaftliche Öffnung auch zu Demokrati‐         ten der Meinung, dass China innerhalb der
sierung führen wird.                           nächsten zehn Jahre mächtiger als die USA
                                               werde. Mindestens die Hälfte möchte, dass
Die Kommission fordert, dass China seiner      ihre Regierung in einem Konflikt zwischen
Verantwortung im globalen Handelssystem        den USA und China neutral bleibt.
gerecht wird und die negativen Auswirkun‐
gen seines staatskapitalistischen Wirt‐

                                                                                          3
SPOT ON

In den vergangenen vier Jahren ist viel Ver‐    Agrarhandel und Chinas Marktzugangsbe‐
trauen in den transatlantischen Beziehungen     schränkungen sowie eine wachsende Sorge
verloren gegangen. Diese waren durch eine       über Chinas Investitionen in kritische Infra‐
Vielzahl an Handelskonflikten belastet. Ob‐     struktur.
wohl Biden im Subventionskonflikt um Air‐
                                                Doch auch, wenn sich die Meinungen zwi‐
bus/Boeing und bei den Digitalsteuern die
                                                schen altem und neuem Europa immer mehr
Strafzölle zunächst ausgesetzt hat, wurden
                                                angleichen, stechen zwei Länder heraus:
die Zölle auf EU-Stahl und Aluminium bis‐
                                                Griechenland und Ungarn, beides Empfän‐
lang nicht abgeschafft – aus Sicht der EU
                                                ger von chinesischen Direktinvestitionen. Im
eine wichtige Voraussetzung für eine ver‐
                                                April und Mai 2021 blockierte Ungarn eine
trauensvolle Zusammenarbeit. Gleichzeitig
                                                gemeinsame EU-Erklärung, die China auf‐
verlässt sich Biden weiterhin auf strenge
                                                grund des Vorgehens in Hongkong kritisie‐
„Buy America“-Vorkehrungen – auch zulas‐
                                                ren sollte. Beide Länder sind auch nicht be‐
ten der EU. Die EU und die USA teilen zwar
                                                reit, China aufgrund seines Vorgehens im
viele gemeinsame Werte und Interessen, die
                                                Südchinesischen Meer zu verurteilen.
EU hat jedoch ein etwas anderes strategi‐
sches Interesse im Hinblick auf China. Sie      Trotz vieler gemeinsamer Werte der transat‐
ist keine Hegemonialmacht, die sich durch       lantischen Partner treffen letztlich auch un‐
China herausgefordert fühlt. Brüssel hat we‐    terschiedliche Ordnungsvorstellungen auf‐
der die Ambition, ein strahlendes Vorbild für   einander: Die EU glaubt, dass man China
den Rest der Welt zu sein, eine „City upon      mit Regeln eindämmen kann – die USA setz‐
the Hill“, noch strebt es danach, militärisch   ten schon längst auf harte Sanktionen. Ein
oder wirtschaftlich überlegen zu sein.          weiterer Unterschied: Die Priorisierung des
                                                Multilateralismus. Die USA setzen auf Prag‐
In den vergangenen vier Jahren ist viel         matismus: Multilateral wo möglich, bilateral
Vertrauen in den transatlantischen Be‐          und unilateral, wenn nötig. Anders als in der
ziehungen verloren gegangen.                    EU erfüllt Multilateralismus in den USA
                                                keinen Selbstzweck. Das zeigt sich bei‐
Auch in punkto Wirtschaft gibt es Unter‐        spielsweise im Umgang mit der Welthan‐
schiede. Die EU hat zwar auch ein Handels‐      delsorganisation (WTO).
bilanzdefizit mit China, doch ist dieses rund
90 Milliarden US-Dollar geringer als das
US-Defizit im Chinahandel (2020: -220 Mil‐      Kooperationsmöglichkeiten
liarden US-Dollar vs. -311 Milliarden US-
                                                Die Erwartungen auf beiden Seiten an eine
Dollar). Der Wert der EU-Ausfuhren ist fast
                                                Wiederbelebung der transatlantischen Be‐
doppelt so hoch wie der Wert der US-Aus‐
                                                ziehungen sind groß. Dass sich die transat‐
fuhren nach China (2020: 247 Milliarden
                                                lantischen Partner im März 2021 auf einen
US-Dollar vs. 125 Milliarden US-Dollar). In
                                                EU-US China Dialog verständigten, gibt
der Konsequenz: Auch wenn sich das China-
                                                Anlass zur Hoffnung. Zudem soll erstmals
Bild in der EU ändert – die Risikoperzeptio‐
                                                seit Jahren Mitte Juni 2021 ein EU-US Gip‐
nen in der EU und den USA unterscheiden
                                                fel auf Ebene der Staats- und Regierungs‐
sich nach wie vor. Dies gilt allerdings auch
                                                chefs stattfinden. Bei diesem Gipfel sollten
zwischen EU-Mitgliedstaaten. Und so wird
                                                die Eckpfeiler für die zukünftige Kooperati‐
es auch in Zukunft für die EU nicht einfach
                                                on gelegt und Strukturen für die Umsetzung
sein, eine einheitliche Chinapolitik zu ver‐
                                                auf Arbeitsebene geschaffen werden.
folgen.
Ein Beispiel: Seit 2019 ist Italien Teil der    Ein 10-Punkteplan für die EU-US
chinesischen BRI. Ein weiteres Beispiel: die    Kooperation in Sachen China:
17+1 Initiative; jährlich stattfindende
Treffen zwischen China und 17 mittel- und
osteuropäischen Ländern. Allerdings stellt
sich in vielen Länder mittlerweile Ernüchte‐
                                                1   Umgang mit neuen Technologien
rung über die wirtschaftlichen Versprechen      Die EU und die USA sollten eine gemeinsa‐
Chinas ein. Dies kam auch im letzten 17+1-      me Innovation- und Technologiekooperation
Treffen im Februar 2020 zum Ausdruck:           auf den Weg bringen. Die EU schlug bereits
Sechs osteuropäische Länder (Bulgarien,         im Dezember 2020 die Gründung eines
Rumänien, Estland, Lettland und Litauen)        transatlantischen Handels- und Technologie‐
waren lediglich auf Ministerebene vertreten.    rats vor. Dieser sollte so schnell wie möglich
Ein kritischer Punkt unter vielen waren der     mit Leben gefüllt werden. Dazu gehört bei‐

4
SPOT ON

spielsweise das Thema technische Stan‐           extraterritoriale Charakter der US-Export‐
dards. In der Informations- und Kommuni‐         kontrolle.
kationstechnologie werden sie zum Beispiel
                                                 Auch der Bereich Cybersicherheit und Cy‐
verwendet, um die Interoperabilität von Sys‐
                                                 berdiebstahl gehört zu den großen Heraus‐
temen zu ermöglichen. Dies ist eine wichtige
                                                 forderungen für Staat und Wirtschaft auf
Voraussetzung für offene Märkte. China
                                                 beiden Seiten des Atlantiks. Das neue geo‐
wird immer mehr selbst zum Standardsetzer
                                                 ökonomische Umfeld sowie die Covid-19-
– dem könnten die USA und EU gemeinsam
                                                 Pandemie haben bestehende Cyber-Bedro‐
etwas entgegensetzen. Bereits während der
                                                 hungen aus autokratischen Staaten wie Chi‐
Verhandlungen über das Transatlantische
                                                 na oder Russland verschärft und neue Her‐
Handels- und Investitionsabkommen TTIP
                                                 ausforderungen für Behörden (auf lokaler,
gab es Bemühungen, Handelsbarrieren im
                                                 nationaler und internationaler Ebene), In‐
transatlantischen Markt durch die gegensei‐
                                                 dustrie und die Zivilgesellschaft geschaffen.
tige Anerkennung abzubauen. Dies gestalte‐
                                                 Um die Bedrohungen effektiver zu bekämp‐
te sich ausgesprochen schwierig, unter ande‐
                                                 fen, sollten die EU und USA noch stärker
rem aufgrund der unterschiedlichen Regu‐
                                                 Daten austauschen (soweit dies unter der eu‐
lierungsansätze und -strukturen. Fortschritte
                                                 ropäischen Datenschutzrichtlinie möglich
gab es seitdem nur wenige.
                                                 ist), sich gegenseitig in der Echtzeit-Reakti‐
Die transatlantischen Partner sind sich einig:   on auf Cyber-Bedrohungen unterstützen so‐
bei bestehenden Standards ist eine gegensei‐     wie gemeinsam in vertrauenswürdige Infra‐
tige Anerkennung schwer bis unmöglich.           struktur investieren.
Daher sollten sie verstärkt bei der Entwick‐
lung neuer Standards zusammenarbeiten,
beispielsweise bei Biotechnologie, KI, addi‐
tiver Herstellung, Datenanalyse und Logis‐
                                                 3     Datenschutz und Datentransfer
tiktechnologie, Raumfahrt, Satellitentech‐       Für einen funktionsfähigen transatlantischen
nik, Nanotechnologie und Robotik. Im Be‐         Markt sind Datentransfers über den Atlantik
reich Informations- und Kommunikations‐          unabkömmlich. Die EU hat strenge Anforde‐
technologie betrifft dies 5G, Internet of        rungen an die Übermittlung von Daten an
Things, Cybersecurity, Cloud und Big Data.       Drittländer, um die Privatsphäre von EU-
Auch bei Pharmaprodukten und Medizin‐            Bürgern zu schützen. Voraussetzung für die
technik sollten die EU und USA noch stärker      Datenübermittlung war, dass die jeweiligen
kooperieren. Wie wichtig dies ist, hat die       Unternehmen beim EU-US-Privacy-Shield
Covid-Krise gezeigt.                             zertifiziert waren und sich verpflichten, be‐
                                                 stimmte europäische Datenschutzprinzipien
                                                 umzusetzen. Am 16. Juli 2020 erklärte der
2    Wirtschaft und Sicherheit                   Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem
                                                 Urteil „Schrems II“ (C-311/18) den EU-US-
Seit Jahren investiert China massiv im Aus‐      Privacy-Shield-Beschluss jedoch für ungül‐
land – und zwar gezielt und strategisch auch     tig, da er kein angemessenes Datenschutzni‐
in Bereiche der kritischen Infrastruktur (z.B.   veau garantiere. Kritisiert wurden unter an‐
Häfen, IT und Telekommunikation, Ener‐           derem die weitgehenden staatlichen Ein‐
gie). Die USA verschärften bereits 2018 ihre     griffsbefugnisse in den USA. Darüber hin‐
Gesetze zum Investment Screening; die EU         aus wurden die Anforderungen an den Ein‐
führte erstmals im Jahr 2020 einen Koordi‐       satz von sogenannten EU-Standardvertrags‐
nierungsmechanismus für Investitionsprü‐         klauseln verschärft. Mit diesen verpflichtet
fungen ein. Die USA und EU sollten sich          sich der Datenempfänger im Drittland, den
noch stärker über Prüfkriterien und laufende     festgelegten Datenschutzstandard zu befol‐
Prüffälle austauschen, zum einen, um ‚best       gen. Mitte November 2020 veröffentlichte
practices‘ zu entwickeln, zum anderen um         der Europäische Datenschutzausschuss
schneller abgestimmt auf Risiken für die na‐     (EDSA) einen Entwurf neuer Standardda‐
tionale Sicherheit zu reagieren und die kriti‐   tenschutzklauseln.
sche Infrastruktur im transatlantischen
Raum zu schützen. Selbiges gilt für die Ex‐      Mit Joe Biden stehen die Chancen gut,
portkontrolle. Auch hier wäre ein stärkeres      dass sich die EU und USA auf ein neues
gemeinsames Vorgehen wünschenswert. Ein          bilaterales Abkommen verständigen.
erheblicher transatlantischer Konfliktpunkt,
der dabei angegangen werden muss, ist der        Mit Joe Biden stehen die Chancen gut, dass
                                                 sich die EU und USA auf ein neues bilatera‐

                                                                                              5
SPOT ON

les Abkommen zum Datenschutz verständi‐         Überarbeitung ihrer Haftungsgesetze für die
gen, um Rechtsicherheit im transatlantischen    großen US-Plattformen. Die Arbeit der EU
Markt zu gewährleisten. Diese Chance sollte     mit Online-Plattformen und der Verhaltens‐
genutzt werden, da der Datentransfer ein es‐    kodex zur Bekämpfung von illegaler Hassre‐
senzieller Grundstein für den transatlanti‐     de könnten die Grundlage für ein transatlan‐
schen Markt ist.                                tisches Projekt werden. Die USA planen für
                                                2022 ein Gipfeltreffen zur Demokratie, bei
                                                dem unter anderem die Themen Wahlen,

4     Wissenschaftskooperation
                                                Technologie und Korruption sowie Medien‐
                                                pluralismus und Medienkompetenz auf der
                                                Agenda stehen. Die EU könnte mit ihren Ge‐
Neben der Zusammenarbeit auf politischer        setzen eine Vorbildfunktion für eine globale‐
Eben sollten sich die transatlantischen Part‐   re Regelung einnehmen.
ner auf konkrete Wissenschaftskooperatio‐
nen verständigen. Mit ihrem 95 Milliarden
Euro schweren Forschungsrahmenpro‐
gramm Horizon Europe will die EU den eu‐
ropäischen Forschungsraum stärken. Im
                                                6     Reform der WTO

März 2021 wurde der Europäische Investiti‐      Seitdem die USA die Nachbesetzung neuer
onsrat ins Leben gerufen. Auch die Biden-       Mitglieder im Berufungsgremium des Streit‐
Administration plant, massiv in Forschung       beilegungsmechanismus blockieren, befin‐
und Entwicklung zu investieren. In der Ver‐     det sich die Organisation in einer tiefen Kri‐
gangenheit scheiterten Bemühungen, die          se. Damit die WTO den Anforderungen des
transatlantische Kooperation unter dem eu‐      modernen Handels entspricht, muss zudem
ropäischen Forschungsdach institutionell zu     das Regelwerk dringend weiterentwickelt
verankern und zu fördern. Gerade die            werden. Zurzeit wird in der WTO über vier
Trump-Administration hatte wenig Appetit        plurilaterale Initiativen verhandelt: E-Com‐
für Forschungskooperationen. Aber auch die      merce, Dienstleistungen, Investitionen und
EU ist zögerlich. Beispielsweise hat sie „di‐   kleine und mittlere Unternehmen. Im Mai
gitale Souveränität“ zu einer zentralen stra‐   2019 legte die Europäische Kommission ei‐
tegischen Priorität für die kommenden Jahre     nen umfangreichen Vorschlag für den elek‐
erklärt. Die EU und die USA sollten jedoch      tronischen Handel vor. Da auch die USA ein
einen neuen Versuch starten und Assoziie‐       Interesse an diese Themen haben, sollte
rungen des transatlantischen Partners in        hierzu zügig ein vertiefter Austausch statt‐
ihren jeweiligen Forschungsrahmenpro‐           finden.
grammen ermöglichen.
                                                Besonders brisant ist die Blockade des
                                                Streitschlichtungsmechanismus      (Dispute

5     Online Inhalte und Demokratie
                                                Settlement System, DSS), die eine endgülti‐
                                                ge, verbindliche und durchsetzbare Ent‐
                                                scheidung im Konfliktfall verhindert. Um
Desinformation durch staatliche und nicht-      den Streitbeilegungsmechanismus nicht
staatliche Akteure stellt ein zunehmendes       vollständig lahmzulegen, schuf die Europäi‐
Risiko für Demokratien dar. Große Internet‐     sche Kommission zusammen mit einer Rei‐
dienstleister beauftragen schon jetzt soge‐     he anderer WTO-Mitglieder einen „Ad
nannte Moderatoren, um fragwürdige Inhal‐       hoc“-Streitbeilegungsmechanismus (Multi-
te zu entfernen oder zu sperren. In der Poli‐   Party Interim Appeal Arbitration Arrange‐
tik werden neue Regulierungen diskutiert.       ment, MPIA). Im Gegensatz zu China gehö‐
Der Ausschluss des damaligen US-Präsiden‐       ren die USA bisher nicht dazu. Die EU und
ten Donald Trump von Facebook und Twit‐         die USA sollten sich daher zügig zu den Re‐
ter hat diese Diskussion noch einmal befeu‐     formnotwendigkeiten der WTO-Streitbeile‐
ert.                                            gung austauschen, um diese auf rechtlich si‐
                                                chere Füße zu stellen.
Die EU-Kommission veröffentlichte im De‐
zember 2020 ihre Vorschläge für den Digital     Eine Wiederbelegung des Streitbeilegungs‐
Services Act/Digital Markets Act. Mit den       mechanismus wäre auch die Voraussetzung
Gesetzen will die EU für mehr Transparenz,      dafür, gemeinsam gegen unfaire Handels‐
Konsistenz und Verantwortlichkeit bei der       praktiken Chinas vorzugehen. Dass dies er‐
Regulierung von illegalen und schädlichen       folgreich sein kann, zeigen beispielsweise
Online-Inhalten sorgen. Auch die USA er‐        die Fälle um Seltene Erden. Die USA hatten
wägen nach dem Sturm auf das Kapitol eine       2012, unterstützt von der EU und Japan,

6
SPOT ON

Klage gegen chinesische Exportbeschrän‐           Mineralien (wie Seltene Erden, Kobalt und
kungen eingereicht und gewonnen.                  Titan) als kritisch identifiziert.
                                                  Ein weiterer Bereich sind Halbleiterherstel‐
7     Subventionen und Staatsunter‐
      nehmen
                                                  ler. Sowohl die USA als auch die EU identi‐
                                                  fizieren Halbleiter als strategische Technolo‐
                                                  gie, die unter anderem essentiell für KI ist.
Industriesubventionen sind zwar nichts Neu‐
                                                  Die Produktion ist hochkonzentriert. Die
es, stellen aber zunehmend eine Bedrohung
                                                  Abhängigkeit von Ländern wie Taiwan
für den fairen Wettbewerb auf den Welt‐
                                                  macht die Produktion anfällig gegenüber po‐
märkten dar. Zudem haben die Regierungen
                                                  litischen Entwicklungen (z.B. Bedrohungen
weltweit enorme Stimulus- und Rettungspa‐
                                                  durch China); aber auch Naturereignisse wie
kete aufgelegt, um die Folgen der Covid-19-
                                                  Erdbeben stellen ein erhebliches Risiko dar.
Pandemie zu lindern und den Bankrott gan‐
zer Sektoren zu verhindern.                       Sowohl die EU-Mitgliedstaaten als auch die
                                                  USA führen zurzeit Stresstests ihrer Wert‐
Zwar legt die WTO Regeln für Subventionen
                                                  schöpfungsketten und Produktionsnetzwer‐
und Ausgleichsmaßnahmen (Agreement on
                                                  ke durch. Als ersten Schritt sollten sie sich
Subsidies and Countervailing Measures,
                                                  über ihre jeweiligen Kriterien und Methoden
SCM-Übereinkommen) fest, doch sind diese
                                                  austauschen. Da ihre Wertschöpfungsketten
zu lückenhaft. Im Rahmen der Trilateralen
                                                  eng miteinander verflochten sind, sollten sie
Initiative hatten die EU, die USA und Japan
                                                  sich in einem zweiten Schritt über gemeinsa‐
daher bereits im Januar 2020 Vorschläge für
                                                  me Verwundbarkeiten informieren und ge‐
den Umgang mit Subventionen vorgelegt.
                                                  meinsame Lösungsansätze ausloten. Emp‐
Dabei sprachen sie sich für einen breiteren
                                                  fehlenswert wären auch gemeinsame Kri‐
Subventionsbegriff, die Erfassung von wei‐
                                                  sensimulationen sowie die Entwicklung von
teren Arten von Subventionen (insbesondere
                                                  Krisen-Playbooks, um besser auf zukünftige
auch solche, die über Staatsunternehmen
                                                  Schocks vorbereitet zu sein.
fließen) sowie strengere Meldepflichten und
Sanktionsmechanismen aus. Es ist wichtig,
die Trilaterale Initiative wiederzubeleben.
Zum einen sollte der thematische Fokus auf
den Dienstleistungssektor und auf Diskussi‐
                                                  9    Konnektivitätsstrategien

onen über laufende Modernisierungen des           Mit der BRI dehnt China seinen Einfluss im‐
Wettbewerbsrechts ausgeweitet werden.             mer weiter aus. Eine Studie des Kieler Insti‐
Zum anderen sollten weitere Länder eingela‐       tuts für Weltwirtschaft (IfW, 2020) kam
den werden, der Initiative beizutreten.           jüngst zu der Erkenntnis, dass China seit den
                                                  2000er Jahren massiv Kredite an Entwick‐
                                                  lungsländer für Häfen, neue Straßen oder

8    Verbesserung der Resilienz
     von Lieferketten
                                                  auch Eisenbahnlinien vergibt. Und zwar ge‐
                                                  rade an solche, die an der BRI beteiligt sind.
                                                  Diese Verträge führen zu hohen Abhängig‐
                                                  keiten.
Die Definition von kritischen Gütern ist
schwierig und situations- sowie länderab‐         Die EU hat 2018 ihre Konnektivitätsstrate‐
hängig. Gleichwohl haben sowohl die USA           gie mit Asien ins Leben gerufen, während
als auch die EU identische Bereiche identifi‐     die USA 2019 zusammen mit Australien und
ziert, in denen Lieferketten besonders kri‐       Japan das Blue Dot-Netzwerk gegründet ha‐
senanfällig sind. Dazu gehört eine Reihe von      ben. Beide Strategien zielen im Gegensatz
Metallen und Mineralien. Die Vereinigten          zur BRI darauf ab, transparente und nachhal‐
Staaten nennen in ihrer Executive Order           tige Standards bei der Investitionsvergabe zu
13953 vom 30. September 2020 35 Minera‐           schaffen und wirtschaftliche Entwicklung
lien, die (1) „wesentlich für die wirtschaftli‐   und die Schaffung von Arbeitsplätzen in
che und nationale Sicherheit der Vereinigten      Entwicklungs- und Schwellenländern zu för‐
Staaten“ sind, (2) deren Lieferketten „stör‐      dern. Bisher stellen beide Initiativen jedoch
anfällig“ sind und (3) die „eine wesentliche      für viele Drittländer keine attraktive Alter‐
Funktion bei der Herstellung eines Produkts       native zur BRI dar. Das muss sich ändern.
erfüllen, dessen Fehlen erhebliche Folgen         Laut dem Global Infrastructure Outlook (ei‐
für unsere Wirtschaft oder unsere nationale       ner G20-Initiative) müssen bis zum Jahr
Sicherheit hätte.“ Die EU hat in ihrem Ak‐        2040 weltweit 94 Billionen US-Dollar in die
tionsplan zu kritischen Rohstoffen (2020) 30      Infrastruktur investiert werden, um mit den

                                                                                               7
SPOT ON

wirtschaftlichen und demografischen Verän‐                    Der Magnitzky Act von 2012 ermöglicht es
derungen der kommenden Jahre Schritt zu                       ihnen, weltweit Menschenrechtsverletzungen
halten. Es ist daher wichtig, dass sich die EU                zu sanktionieren. Dies kam zuletzt im März
und die USA zusammentun, um die Schlag‐                       2021 – im Zusammenspiel mit der EU – ge‐
kraft ihrer Initiativen zu erhöhen. Nur auf                   gen China zum Tragen. Der Schutz von Men‐
diese Weise können beide Seite attraktive                     schenrechten steht weit oben auf der außen‐
und transparente Finanzierungen und Infra‐                    politischen Agenda Bidens. Sowohl im Be‐
struktur zur Verfügung stellen und eine Al‐                   reich der Sanktionen als auch bei der Nach‐
ternative zur BRI aufbauen.                                   haltigkeit von Lieferketten macht ein gemein‐
                                                              sames transatlantischen Vorgehen Sinn, um

10          Menschenrechte und
            Handel
                                                              mit Hilfe des großen transatlantischen Mark‐
                                                              tes den Schutz der Menschenrechte zu stär‐
                                                              ken.
Die EU hat ihre Instrumente zum globalen                      Viele der genannten Themen stehen auch auf
Schutz der Menschenrechte verschärft. Im                      der diesjährigen G7-Agenda unter britischem
Dezember 2020 verabschiedete sie ein Sank‐                    Vorsitz. Beim Handelsministertreffen im
tionsinstrument, mit dem sie erstmals gezielt                 März 2021 nannten die G7 erstmals China als
gegen Einzelpersonen und Organisationen                       gemeinsame Herausforderung. Eine intensi‐
vorgehen kann. Zusätzlich betont die EU in                    vierte transatlantische Kooperation in den ge‐
ihrer neuen Handelsstrategie vom Februar                      nannten Bereichen könnte als Basis für ge‐
2021, dass sie die Handels- und Investitions‐                 meinsame G7-Initiativen dienen. Nach Groß‐
abkommen stärker nutzen will, um grundle‐                     britannien übernimmt Deutschland den
gende Menschen- und Arbeitsrechte bei den                     Staffelstab der Gruppe. Der Bundesregierung
Handelspartnern zu fördern. Im Juni 2021                      kommt daher eine besondere Bedeutung zu.
will die Kommission darüber hinaus einen
Gesetzesvorschlag zum Schutz von Men‐                         Eine Wiederbelebung der transatlantischen
schenrechten und der Umwelt in Lieferketten                   Zusammenarbeit wird nicht einfach sein, ist
vorlegen.                                                     aber im neuen geoökonomischen Umfeld für
                                                              beide Seiten wichtig. Die oben genannten
Eine intensivierte transatlantische Ko‐                       zehn Initiativen in den Bereichen Wirtschaft,
operation könnte als Basis für gemeinsa‐                      Handel und Sicherheit, Datenschutz und
me G7-Initiativen dienen.                                     Konnektivitiät sind wichtige Ansatzpunkte,
                                                              um die Partnerschaft in strategischen Feldern
Die USA gehen bereits seit längerem welt‐                     voranzutreiben.
weit gegen Menschenrechtsverletzungen vor.

                          Über die Autorinnen
                          Im Januar 2021 wurde Dr. Stormy-Annika Mildner (M.Sc.) Direktorin des
                          Aspen Institute Deutschland in Berlin. Von 2014 bis 2020 war sie als
                          Leiterin der Abteilung „Außenwirtschaftspolitik“ beim Bundesverband der
                          Deutschen Industrie (BDI).

                          Dr. Claudia Schmucker leitet das Programm Geoökonomie der DGAP
                          seit Herbst 2020. Von 2002 bis 2020 war sie Leiterin des Programms
                          Globalisierung und Weltwirtschaft.

Dieser Text stellt die persönlichen Ansichten der Autorinnen dar. Die Autorinnen sprechen ausdrücklich nicht im Namen
der mit ihnen assoziierten Institutionen.

Über diese Reihe
Mit dem Kurzdossier Spot On bietet das Aspen Institute Deutschland ausgewählten AutorIn‐
nen eine Plattform, um das aktuelle Zeitgeschehen zu analysieren und konkrete Handlungs‐
empfehlungen zu formulieren. Das Format dient dem offenen Diskurs zu drängenden gesell‐
schaftlichen und politischen Herausforderungen und Chancen.
Herausgeberschaft: Aspen Institute Deutschland e.V.
Redaktion: Laura Senftleben, Dr. Stormy-Annika Mildner; Design & Layout: Michaela Zintl

8
Sie können auch lesen