Strategische Rivalität zwischen USA und China - Stiftung Wissenschaft und Politik

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Strategische Rivalität zwischen USA und China - Stiftung Wissenschaft und Politik
SWP-Studie

  Barbara Lippert / Volker Perthes (Hg.)

Strategische Rivalität zwischen
USA und China
         Worum es geht, was es für Europa (und andere) bedeutet

                                                   Stiftung Wissenschaft und Politik
                                                               Deutsches Institut für
                                                Internationale Politik und Sicherheit

                                                                       SWP-Studie 1
                                                                 Februar 2020, Berlin
Strategische Rivalität zwischen USA und China - Stiftung Wissenschaft und Politik
Kurzfassung

∎ Die Rivalität zwischen den USA und China ist in den letzten zwei Jahren
  zu einem Leitparadigma der internationalen Beziehungen geworden. Es
  prägt strategische Debatten ebenso wie reale politische, militärische und
  wirtschaftliche Dynamiken.
∎ Die sino-amerikanische Konkurrenz um Macht und Status hat verschie-
  dene Dimensionen. Dazu gehören auch wachsende Bedrohungswahrneh-
  mungen und eine sich verstärkende politisch-ideologische Komponente.
∎ Der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt wird politisch instrumen-
  talisiert und ist eng mit weltordnungspolitischen Fragen verbunden.
∎ Bei der technologischen Dimension geht es nicht nur darum, wer tech-
  nische Standards setzt, sondern auch um geopolitische Machtprojektion
  durch »technopolitische Einflusssphären«. Dabei werden Fragen der
  Technologieentwicklung und -nutzung Teil eines Systemgegensatzes
  oder systemischen Wettbewerbs.
∎ Die Präsidenten Trump und Xi schüren durch ihre unterschiedlichen
  Führungsstile bilaterale Konflikte und beschädigen, jeder auf seine Art,
  internationale Regeln und Institutionen.
∎ Zu den internationalen Auswirkungen der sino-amerikanischen Rivalität
  gehört, dass sie multilaterale Institutionen untergräbt, etwa die Welt-
  handelsorganisation. Während sich die USA aus einigen multilateralen
  Institutionen zurückziehen, baut China seinen Einfluss aus, wie bei den
  Vereinten Nationen.
∎ Europa muss sich der bipolaren Logik entziehen, nach der es sich
  zwischen einer amerikanischen und einer chinesischen Wirtschafts- und
  Technologiesphäre zu entscheiden habe. Es muss eine Chinapolitik ent-
  wickeln, die als Teil des Strebens nach europäischer Souveränität oder
  strategischer Autonomie konzipiert wird; dazu bedarf es einer »supra-
  nationalen Geopolitik«.
Strategische Rivalität zwischen USA und China - Stiftung Wissenschaft und Politik
SWP-Studie

Barbara Lippert / Volker Perthes (Hg.)

Strategische Rivalität zwischen
USA und China
Worum es geht, was es für Europa (und andere) bedeutet

                                                            Stiftung Wissenschaft und Politik
                                                                        Deutsches Institut für
                                                         Internationale Politik und Sicherheit

                                                                                SWP-Studie 1
                                                                          Februar 2020, Berlin
Strategische Rivalität zwischen USA und China - Stiftung Wissenschaft und Politik
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ISSN 1611-6372
doi: 10.18449/2020S01
Inhalt

 5   Dimensionen strategischer Rivalität:
     China, die USA und die Stellung Europas
     Volker Perthes

10   Der sino-amerikanische Weltkonflikt
     Peter Rudolf

13   Chinesische Narrative über die USA
     Hanns Günther Hilpert / Gudrun Wacker

17   Die Wahrnehmung Chinas in den USA
     Marco Overhaus / Peter Rudolf / Laura von Daniels

22   Sicherheit und Sicherheitsdilemmata in den
     chinesisch-amerikanischen Beziehungen
     Michael Paul / Marco Overhaus

27   Handel, Wirtschaft, Finanzen:
     Rivalitäten, Konflikte, Eskalationsrisiken
     Hanns Günther Hilpert

32   Einflusssphären der Digitalisierung
     Matthias Schulze / Daniel Voelsen

37   Werte und Ordnungen:
     Ideologische Konflikte und Herausforderungen
     Hanns Günther Hilpert

41   Trump und Xi:
     Wettbewerb der Führungsstile
     Günther Maihold

46   Auswirkungen des US-China-Konflikts auf die
     multilaterale Ordnung
     Laura von Daniels

50   Die Europäische Union im Spannungsfeld der
     sino-amerikanischen Rivalität
     Annegret Bendiek / Barbara Lippert

56   Anhang
56   Abkürzungen
57   Die Autorinnen und Autoren
Dimensionen strategischer Rivalität: China, die USA und die Stellung Europas

Volker Perthes

Dimensionen strategischer Rivalität:
China, die USA und die Stellung Europas

Die Rivalität zwischen den USA und China ist im                  Ein eigener strategischer Ansatz Deutschlands und
Laufe der vergangenen zwei Jahre zu einem Leit-               der Europäischen Union (EU) in Bezug auf die sino-
paradigma der internationalen Beziehungen gewor-              amerikanische Rivalität verlangt zunächst einmal ana-
den. Es prägt strategische Debatten, aber auch reale          lytische Klarheit: Nur wenn wir die Multidimensiona-
politische, militärische und wirtschaftliche Dynami-          lität der Konfliktkonstellation verstehen, können wir
ken, und dies dürfte für einige Zeit so bleiben. Das          angemessene politische Antworten finden und die
bedeutet nicht, dass die Konkurrenz zwischen Wa-              notwendigen Instrumente entwickeln.
shington und Peking oder gar die Großmachtrivalität
allgemein alle anderen internationalen Problem-
und Konfliktlagen bestimmen. Wohl aber bildet diese           Globale Machtkonkurrenz
Rivalität immer häufiger den Rahmen, durch den
verschiedenste Akteure bedeutende Ereignisse und              So geht es offensichtlich um globale Machtbalancen
Entwicklungen betrachten. Zumindest für die USA               und ihren Status im internationalen System. Einiges
gilt, dass die strategische Rivalität mit China das seit      spricht dafür, dass US-Präsident Donald Trump Über-
2001 vorherrschende Paradigma »Kampf gegen den                legenheit, vor allem militärische Dominanz, als
Terrorismus« ersetzt hat.                                     Zweck an sich betrachtet und nicht in erster Linie als
   In den offiziellen Strategiedokumenten der US-             Mittel, um bestimmte Interessen und Werte zu beför-
Regierung firmiert China seit 2017 als »long-term             dern. Präsident Xi Jinping scheint eher von einer
strategic competitor«. Die Nato spricht in ihrer Lon-         Weltordnungsvision chinesischer Provenienz getrie-
doner Erklärung vom Dezember 2019 erstmals von                ben zu sein, bei der Superiorität gleichermaßen
den Herausforderungen (allerdings auch von den                Mittel und Ziel darstellt. Der Konflikt hat aber auch
Chancen), die sich aus dem Gewicht und der inter-             eine sicherheitspolitische, eine wirtschaftliche, eine
nationalen Politik Chinas ergeben.1 Chinas politische         technologische, eine ideologische und eine, wenn
Elite ist – wohl zu Recht – überzeugt, dass die USA           man so will, Persönlichkeitsdimension. Auf jede ein-
zumindest die Ausdehnung chinesischen Einflusses              zelne dieser Dimensionen und ihre Zusammenhänge
eindämmen wollen. Streit über die Handelspolitik              gehen wir in den Beiträgen dieser Studie ein, ebenso
oder die Handelsbilanzen steht zwar im Vordergrund            auf die Auswirkungen amerikanisch-chinesischer
öffentlicher Äußerungen des US-Präsidenten und hat            Rivalität auf internationale Institutionen und auf
unmittelbare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.             Europa. Um den Einfluss der etablierten und der
Gleichwohl stellen handelspolitische Auseinander-             sich entwickelnden Supermacht auf andere Staaten,
setzungen nur einen und keineswegs den wichtigsten            Regionen und Gesellschaften geht es in jedem Fall.
Aspekt der Rivalität dar. Der Konflikt ist, wie Peter            Aus chinesischer Sicht, so Hanns Günther Hilpert
Rudolf ausführt, multidimensional.                            und Gudrun Wacker, wird Amerika China niemals
                                                              freiwillig größeren internationalen Einfluss gewäh-
                                                              ren. In den USA wird China als revisionistische Macht
  1 Vgl. »London Declaration«, Issued by the Heads of State   betrachtet, die langfristig nach einer globalen Vor-
  and Government Participating in the Meeting of the North    machtstellung strebt. Darüber besteht, wie aus dem
  Atlantic Council in London 3–4 December 2019, Press         Beitrag von Marco Overhaus, Peter Rudolf und Laura
  Release (4.12.2019) 115,  (Zugriff am 9.12.2019).   zwischen Republikanern und Demokraten, zwischen

                                                                                                                  SWP Berlin
                                                                              Strategische Rivalität zwischen USA und China
                                                                                                                Februar 2020

                                                                                                                          5
Volker Perthes

             Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Abgewogenere         leichtesten lösbaren Knoten im komplexen Geflecht
             Positionen gibt es zwar, doch sie finden in der öffent-    amerikanisch-chinesischer Rivalität darstellen. An-
             lichen Debatte kaum Gehör. Strittig diskutiert wird        ders gesagt: Die strategische Rivalität zwischen den
             vor allem über die Wahl der Mittel in dieser Ausein-       USA und China wird die internationale Politik auf
             andersetzung.                                              absehbare Zeit auch dann maßgeblich prägen, wenn
                Auch deshalb werden harte sicherheitspolitische         Washington und Peking sich noch vor den kommen-
             Herausforderungen akuter, bildet sich ein klassisches      den US-Präsidentschaftswahlen über wesentliche Han-
             Sicherheitsdilemma heraus. Wie Michael Paul und            delsfragen einigen und ein entsprechendes Abkom-
             Marco Overhaus darlegen, gilt dies ganz besonders für      men schließen sollten.
             China als Großmacht, die ihren Handlungsraum aus-
             weitet und dabei Schritt für Schritt von der Doktrin der
             Küstenverteidigung zu der einer aktiven Verteidigung       Technologische Dimension
             im maritimen Raum übergeht. Es gilt aber auch für die
             USA, die in Chinas wachsenden militärischen Fähigkei-      Entscheidender ist die technologische Dimension
             ten nicht nur eine Bedrohung für eigene Militärbasen       dieser Rivalität. Sie würde eine Beilegung des Han-
             im Pazifik sehen, sondern auch für ihr Partnerschafts-     delsstreits, wenn sie denn gelänge, überdauern.
             und Allianzsystem in der asiatisch-pazifischen Region      Gewiss geht es beim Wettbewerb der Technologien
             sowie perspektivisch für ihre nukleare Abschreckung.       um absolute und relative Gewinne, darum, wer
                                                                        unmittelbar und längerfristig den größeren Teil
                                                                        des Kuchens abbekommt, etwa indem er technische
             Konflikte um die Handels-, Wirtschafts-                    Standards setzt. Technologische Konkurrenz ist
             und Finanzpolitik                                          jedoch immer auch sicherheitspolitisch von Belang.
                                                                        Andernfalls wären die Verschärfung des Wettbewerbs
             Wirtschaftliche Konkurrenz und Konflikte um die            und das wachsende Misstrauen, das den Austausch
             Handels-, Wirtschafts- und Finanzpolitik bilden eine       und die Zusammenarbeit bei Technologien mittler-
             reale, eigene Dimension der Rivalität, nicht nur, weil     weile spürbar einschränkt, nicht zu erklären. Diese
             die USA unter Präsident Trump einen protektionis-          Konkurrenz verbindet sich zudem, wie Matthias
             tischen Kurs eingeschlagen haben. Die amerikanische        Schulze und Daniel Voelsen erläutern, mit im tradi-
             Kritik am chinesischen Handelsgebaren, an unfairen         tionellen Sinne geopolitischen Fragen: »Technopoliti-
             Wettbewerbsbedingungen in China oder an chine-             sche Einflusssphären«, die mittels digitaler Produkte
             sischen Regelverstößen wird in Europa weitgehend           und Dienste etabliert werden, sind heute nicht mehr
             geteilt. Der Handelskonflikt ist, wie sowohl Hilpert als   rein territorial zu verstehen, erlauben es aber den-
             auch von Daniels in ihren Beiträgen ausführen, eng         noch, geopolitische Machtprojektion zu betreiben
             mit weltordnungspolitischen Fragen verbunden, die          und internationale Abhängigkeiten zu zementieren.
             gerade auch aus europäischer Perspektive von vitaler          Dabei verbinden sich Fragen der Technologie-
             Bedeutung sind. Das gilt etwa für die Zukunft verbind-     entwicklung und -nutzung immer mehr mit politisch-
             licher, multilateraler Handelsregeln und Institutio-       ideologischen Aspekten. Sie werden Teil eines System-
             nen. Diese Themen haben zudem in beiden Staaten            gegensatzes oder systemischen Wettbewerbs, der die
             innenpolitische Relevanz und darüber hinaus hohes          innere Ordnung zum Gegenstand hat: das Verhältnis
             mobilisatorisches Potential, teilweise unabhängig          von Staat und Gesellschaft, von Regierenden und Re-
             davon, inwieweit globale Entwicklungen tatsächlich         gierten. Hilpert geht auf diese politisch-ideologische
             die Beschäftigungssituation in bestimmten Branchen         Dimension ein, die sich in einen weltweiten Wett-
             beeinträchtigen. Insgesamt aber, so Hilpert, sind die      streit zwischen liberalen und demokratischen Gesell-
             materiellen Vorteile, die beide Seiten, vor allem die      schaftsvorstellungen auf der einen Seite und autori-
             USA, aus ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit             tären auf der anderen einordnet. Dieser mag in allen
             ziehen, im Vergleich zu den zweieinhalb Jahrzehnten        Staaten, auch in Europa, zunächst eine innere Aus-
             nach 1990 geringer geworden. Der bilaterale Handel         einandersetzung sein, wird aber durch die Polari-
             zwischen den USA und China ist heute kein Stabili-         sierung zwischen den USA und China mitbestimmt.
             sator mehr, der politische Konflikte mildern kann.         Offensichtlich hat es für den amtierenden amerika-
             Handelskonflikte werden vielmehr politisch instru-         nischen Präsidenten keine Priorität, demokratische
             mentalisiert, könnten gleichzeitig aber auch den am        Werte oder liberale Weltordnungselemente zu ver-

             SWP Berlin
             Strategische Rivalität zwischen USA und China
             Februar 2020

             6
Dimensionen strategischer Rivalität: China, die USA und die Stellung Europas

teidigen. Für den Kongress dagegen steht beides im       Unterschiedliche Führungsstile
Vordergrund der sino-amerikanischen Rivalität. Dar-
um bemühen sich beide Kammern, zuletzt mit der           Wie weit der persönliche Faktor, die Eigenheiten der
Verabschiedung des Hong Kong Human Rights and            Präsidenten in Washington und Peking, eine geson-
Democracy Act im November 2019, eine in dieser Hin-      derte Dimension der amerikanisch-chinesischen Riva-
sicht entschiedenere Regierungspolitik durchzusetzen.    lität darstellt, mag man diskutieren. In jedem Fall, so
   Die Debatte in den USA ist von Furcht vor dem         argumentiert Günther Maihold, werden die unter-
Aufstieg Chinas und einer möglichen Überrundung          schiedlichen, aber auf beiden Seiten hoch personali-
durch den Kontrahenten gekennzeichnet. Deshalb           sierten Führungsstile Trumps und Xis die weiteren
geht vielleicht unter, dass sich auch die chinesische    Beziehungen zwischen den USA und China mit-
Elite in ihrem Herrschaftsanspruch nach wie vor          prägen. Trumps »transaktionaler« und Xis nach innen
bedroht fühlt, wie Hilpert erläutert, nämlich durch      und außen »transformativer« Stil sind kaum kom-
liberale Werte und Weltsichten. Daran hat auch           patibel. Sie unterminieren tendenziell, was an Ver-
nichts geändert, dass China die liberale Erwartungs-     trauensbasis noch existiert, beschränken die Möglich-
hypothese des Westens widerlegt hat: In westlichen       keiten der Diplomatie und verschärfen bilaterale Kon-
Ländern hatte man gehofft, rechtsstaatliche und          flikte. Andere Mächte, auch die Europäische Union,
demokratische Verhältnisse würden in China nahe-         könnten hier im Einzelfall Handlungsspielraum ge-
zu automatisch entstehen, wenn sich das Land wirt-       winnen. Vornehmlich werden sie sich aber um Scha-
schaftlich entwickelt und wachsenden Wohlstand           densbegrenzung und die Wahrung internationaler
generiert. Tatsächlich ist es wohl so, dass Chinas       Regeln und Institutionen bemühen müssen, die in
Entwicklungsmodell zwar erfolgreich ist, liberale        unterschiedlicher Weise von beiden Akteuren beschä-
Werte aber nach wie vor überaus attraktiv wirken,        digt werden.
vor allem auf gut ausgebildete, junge und mobile
Mitglieder der chinesischen Gesellschaft. Das erklärt
Chinas nervösen Blick auf Hongkong, die, wie es          Internationale Auswirkungen
scheint, übertriebene Furcht der chinesischen Füh-       der Rivalität
rung vor Farbenrevolutionen sowie die umfassenden
Bemühungen, mit technologischen Vorkehrungen             Auch wenn die hier beschriebene Konflikt- oder
die eigene Herrschaft und idealerweise eine in Pekings   Konkurrenzkonstellation als bilaterale Rivalität
Sinne harmonische Gesellschaft abzusichern.              verstanden und zum Teil inszeniert wird, sind ihre
   Technologien sind, wie Schulze und Voelsen            Bedeutung und ihre Folgen global: Sie wirkt auf die
betonen, nicht wertneutral. Technologischer Wett-        Beziehungen mit anderen Mächten, beeinflusst regio-
bewerb wird umso stärker mit der politisch-ideo-         nale Dynamiken, selbst in Europa, prägt die Arbeit
logischen Dimension strategischer Rivalität verknüpft    in internationalen Organisationen und Foren – etwa
werden, je mehr technologische Entwicklungen Grund-      den G20 oder den Vereinten Nationen (VN) und ihren
fragen politischer und gesellschaftlicher Ordnung        Unterorganisationen – und untergräbt oft genug,
berühren, sei es bei der Datengewinnung und -nut-        wie Laura von Daniels ausführt, multilaterale Insti-
zung, der Künstlichen Intelligenz oder der Biotechno-    tutionen. Besonders deutlich wird das bei der Welt-
logie. Auch europäische und deutsche Politik muss        handelsorganisation (WTO), deren Regeln von beiden
sich damit auseinandersetzen, was etwa ein mit Hilfe     Staaten verletzt werden und deren Funktionsfähigkeit
chinesischer Technologieinvestitionen ermöglichter       zudem von der Trump-Regierung geschwächt wird.
großflächiger Abfluss von Personendaten für das          China baut vor allem in seinem regionalen Umfeld
europäische Staats- und Gesellschaftsmodell bedeuten     neue internationale Foren und Organisationen auf,
würde, das der Wahrung individueller Rechte ver-         die seinen eigenen sinozentrischen Ordnungsvorstel-
pflichtet ist. Zudem muss kritisch untersucht werden,    lungen entsprechen. Anders als die USA zieht China
wie Entwicklung und Export von Überwachungs-             sich aber an keiner Stelle aus internationalen und
technologie und Techniken sozialer Kontrolle durch       multilateralen Institutionen zurück. Vielmehr be-
chinesische High-Tech-Firmen nicht nur autoritären       müht sich das Land aktiv darum, seinen Einfluss bei
und repressiven Regimen helfen, sondern auch die         den Vereinten Nationen und bei deren Agenturen
Verbreitung illiberaler Governance- und Gesell-          und Unterorganisationen auszubauen. Das geschieht
schaftsvorstellungen fördern.                            zum Teil, und nicht zuletzt beim VN-Peacekeeping,

                                                                                                             SWP Berlin
                                                                         Strategische Rivalität zwischen USA und China
                                                                                                           Februar 2020

                                                                                                                     7
Volker Perthes

             indem China größere Verantwortung und höhere                    was Fragen der Werte, des politischen Systems und
             Kosten übernimmt. Gleichzeitig versucht es jedoch,              der regelgebundenen internationalen Ordnung
             eigene politische Begriffe und Wertvorstellungen                anbelangt. Und die Bindungen der europäisch-
             im Sprachgebrauch der Vereinten Nationen durch-                 amerikanischen Werte- und Sicherheitsgemeinschaft
             zusetzen. So haben die USA unter Trump den VN-                  dürften trotz aller Differenzen auch in Zukunft
             Menschenrechtsrat verlassen, während China bestrebt             weitaus enger bleiben als die Beziehungen sowohl der
             ist, innerhalb des Rates seinen Ideen Geltung zu ver-           USA als auch der europäischen Staaten mit irgend-
             schaffen, etwa indem es den Stellenwert individueller           einem anderen internationalen Partner.
             Menschenrechte relativiert.
                 Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten
             sind mittelbar und unmittelbar von der sino-amerika-            Neue Strategie für Europa
             nischen Rivalität betroffen. Europas Blick auf China
             ist kritischer geworden, in Deutschland wahrschein-             Europa wird sich, wie Annegret Bendiek und Barbara
             lich in höherem Maße als in anderen EU-Ländern.                 Lippert unterstreichen, seiner eigenen Stärken be-
             China ist für Europa nicht mehr nur Verhandlungs-               wusst werden und eine Chinapolitik entwickeln
             partner mit unterschiedlichen Interessen und wirt-              müssen, die nicht als »Länderstrategie«, sondern als
             schaftlicher Wettbewerber, sondern auch ein System-             Teil einer umfassenden europäischen Selbstbehaup-
             rivale, der »alternative Governance-Modelle« zu ver-            tungsstrategie konzipiert wird, oder, in anderen
             breiten sucht.2 Dennoch bleibt China aus europäi-               Worten, des Strebens nach mehr europäischer Sou-
             scher Sicht ein unverzichtbarer Kooperationspartner             veränität oder strategischer Autonomie.4 Das verlangt
             bei der Bewältigung globaler Herausforderungen –                gerade für den Umgang mit China mehr Supranatio-
             zuvörderst, aber nicht ausschließlich beim Klima-               nalität oder, so Bendiek und Lippert, eine »supra-
             schutz. Europa kann kein Interesse an einem                     nationale Geopolitik«. An Instrumenten, die eine
             »decoupling« haben, einer weitgehenden Kappung                  selbstbewusste, umsichtige Chinapolitik unterfüttern
             technologischer oder wirtschaftlicher Verbindungen              können, wird bereits gearbeitet, etwa an einem euro-
             mit China, wie sie in den USA diskutiert und zum                päischen, durch nationale Gesetzgebung komplemen-
             Teil auch vorbereitet wird. Wie zahlreiche andere               tierten Investitionsscreening. Die Kunst besteht darin,
             Staaten und Staatengruppen auch wird sich Europa                Europa für eine härtere Konkurrenz zu präparieren
             einer bipolaren Logik entziehen müssen, der zufolge             und dabei gesellschaftliche und technologische Resi-
             es sich zwischen einer amerikanischen und einer                 lienz zu stärken, ohne Kooperations- und Interdepen-
             chinesischen Wirtschafts- und Technologiesphäre zu              denzbeziehungen zu schwächen. Allerdings betrifft
             entscheiden hätte. Stattdessen wird es nicht umhin-             eine solche Strategie nicht nur das direkte Verhältnis
             kommen, sich um Formen langfristiger Verflechtung               zu China, sondern auch das internationale und glo-
             auf Grundlage echter Interdependenz und gemein-                 bale Profil Europas insgesamt. Viele Staaten und
             samer Regeln zu bemühen. Eine Äquidistanz zu                    Gesellschaften Asiens und Afrikas schätzen Chinas
             China und den USA, wie sie von interessierter Seite             wirtschaftliches Engagement und seine »Belt and
             gelegentlich auch in europäischen Debatten vorge-               Road«-Initiative, fürchten aber einseitige Abhängig-
             schlagen wird,3 ist allerdings keine Option: Dazu ist           keiten. Die Konnektivitätsstrategie der EU gegenüber
             der Abstand zwischen Europa und China zu breit,                 Asien ist hier ein sinnvoller Ansatz. Gleiches gilt für
                                                                             die schon heute umfangreichen Mittel, die Europa
                 2 Vgl. Europäische Kommission, EU-China – A Strategic       für afrikanische Infrastruktur zur Verfügung stellt,
                 Outlook, Joint Communication to the European Parliament,    zum Beispiel über die Europäische Investitionsbank.
                 the European Council and the Council, 12.3.2019,            Schließlich werden die europäischen Staaten ihr
                  (Zugriff am 4.12.2019).
                 3 Siehe etwa Xuewu Gu, »Der dritte Weg: Warum Europa
                 den Alleingang wagen muss«, in: Handelsblatt, 22.11.2019,     4 Siehe dazu ausführlich Barbara Lippert/Nicolai von
                  (Zugriff am              schaft und Politik, Februar 2019 (SWP-Studie 2/2019),
                 4.12.2019).                                                   .

             SWP Berlin
             Strategische Rivalität zwischen USA und China
             Februar 2020

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Dimensionen strategischer Rivalität: China, die USA und die Stellung Europas

müssen. Dabei werden sie im Zweifelsfall Lücken
füllen müssen, die sich durch das Desinteresse oder
den Rückzug der gegenwärtigen US-Regierung auf-
getan haben. Das bietet die Chance, Zeugnis davon
abzulegen, dass sich Europas Verständnis von Multi-
lateralismus und internationaler Regelgebundenheit
vom sinozentrischen Multi-Bilateralismus fundamen-
tal unterscheidet.

                                                                                                          SWP Berlin
                                                                      Strategische Rivalität zwischen USA und China
                                                                                                        Februar 2020

                                                                                                                  9
Peter Rudolf

               Peter Rudolf

               Der sino-amerikanische Weltkonflikt

               Für die internationale Politik birgt die strategische                 ebenso wie in China rege debattiert wird und die in
               Rivalität zwischen USA und China die Gefahr, sich                     den letzten Jahren unter dem Stichwort »Thukydides-
               zu einem vielschichtigen Weltkonflikt mit wirtschaft-                 Falle« in die öffentliche Diskussion ausstrahlte. Diese
               lichem und militärischem Risikopotential zu ver-                      Theorie ist problematisch, ihr Erklärungswert strittig.
               dichten, der die internationalen Beziehungen struk-                   Als Deutungsrahmen beeinflusst sie aber die Perzep-
               turiert.* Die Großmachtkonkurrenz zwischen den                        tionen sowohl in den USA als auch in China. Einer-
               beiden Kontrahenten könnte eine neue »geoökonomi-                     seits sensibilisiert dieser Interpretationsrahmen für
               sche Weltordnung« hervorbringen. Darin könnten die                    die Risiken eines Machtübergangs, andererseits ver-
               Frage der relativen Nutzenverteilung und die Sorge                    dichten sich in dieser Deutung einzelne eher regio-
               vor den sicherheitspolitisch problematischen Folgen                   nale oder lokale Konflikte zu einem globalen Hege-
               wirtschaftlicher Interdependenz eine weit wichtigere                  monialkonflikt.
               Rolle spielen als in den letzten Jahrzehnten. Werden
               wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen
               unter diesen Aspekten dauerhaft neu justiert, könnte                  Zur Struktur des amerikanisch-
               das Integrationsniveau sinken, bis hin zu einer Art                   chinesischen Konfliktsyndroms
               Deglobalisierung.
                                                                                     Das amerikanisch-chinesische Konfliktsyndrom setzt
                                                                                     sich aus mehreren Elementen zusammen. Seine Grund-
               Chinas Aufstieg als Bedrohung der                                     lage bildet eine regionale, aber auch zunehmend glo-
               amerikanischen Vormachtposition                                       bale Statuskonkurrenz. Chinas Machtzuwachs hat in
                                                                                     den USA Ängste geweckt, den Status als international
               Chinas Aufstieg wird in den USA weithin als Gefahr                    vorherrschende Supermacht zu verlieren. Staaten
               für die eigene Machtposition im internationalen Sys-                  (bzw. die sie vertretenden Akteure) mögen Status als
               tem gesehen. Die Vorstellung eines unaufhaltsamen                     Ziel an sich anstreben, wie in sozialpsychologischen
               wirtschaftlichen und militärischen Aufstiegs Chinas                   Ansätzen postuliert wird. Danach verschafft ein hoher
               und eines relativen Machtverfalls der USA ruht zwar                   Status das psychisch befriedigende Gefühl der Über-
               auf fragwürdigen Annahmen und Projektionen. Den-                      legenheit über andere Personen oder Staaten, und die
               noch ist China der einzige Akteur, der als potentielle                Furcht vor dem Statusverlust erscheint als bedrohlich
               Supermacht den Status der USA zu bedrohen vermag.                     für die eigene Identität. Aber mit Status verbinden
               Machtverschiebungen können, so heißt es, die Sta-                     sich auch materielle Gewinne. China bedroht lang-
               bilität des internationalen Systems gefährden, wenn                   fristig nicht nur den Status der USA als Vormacht,
               die vorherrschende und die aufsteigende Macht nicht                   sondern auch die sich daraus ergebenden Privilegien
               in der Lage sind, sich über Führung und Ordnung des                   und wirtschaftlichen Vorteile. China könnte, so wird
               internationalen Systems zu verständigen. Das legt die                 geargwöhnt, politisch, wirtschaftlich und techno-
               Machtübergangstheorie nahe, über die in den USA                       logisch vorherrschenden Einfluss in der Welt gewin-
                                                                                     nen, in großem Maßstab Regeln und Standards setzen
                                                                                     und eine Art »illiberale Einflusssphäre« aufbauen.
                    *   Dieser Beitrag fasst die Ergebnisse einer SWP-Studie des
                    Autors zusammen. Dort finden sich ausführliche Literatur-        In diesem Falle wären Sicherheit und Wohlstand der
                    angaben. Vgl. Peter Rudolf, Der amerikanisch-chinesische Welt-   USA nicht mehr im bisherigen Maße gewährleistet.
                    konflikt, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Oktober        Diese Konkurrenz um Einfluss mischt sich mit
                    2019 (SWP-Studie 23/2019), .                                   Menschenrechtslage in China immer wieder Ursache

               SWP Berlin
               Strategische Rivalität zwischen USA und China
               Februar 2020

               10
Der sino-amerikanische Weltkonflikt

für Irritationen in den amerikanisch-chinesischen          zudem mit der nuklearen Dimension verwoben.
Beziehungen. Aber solange der Aufstieg Chinas nicht        China scheint dieses Meer im Sinne einer geschützten
als globale Herausforderung wahrgenommen wurde             Bastion für nuklear bewaffnete U-Boote auszubauen,
und solange die Hoffnung mitschwang, China werde           mit denen das Land die Zweitschlagfähigkeit gegen-
sich liberalisieren, wurde das Land in den USA nicht       über den USA sicherstellen will.
als ideologischer Antagonist gesehen. Aus chine-
sischer Sicht war diese ideologische Dimension schon            Die globale Einflusskonkurrenz ist
immer ausgeprägter, denn westliche Vorstellungen               aufs engste mit der technologischen
von liberaler Demokratie und Meinungsfreiheit                     Dimension der amerikanisch-
bedrohen die ideologische Dominanz der Kommunis-                 chinesischen Rivalität verwoben.
tischen Partei Chinas. Zu rechnen ist jedoch damit,
dass auf amerikanischer Seite der Systemkonflikt               Weniger bedeutsam, aber gleichwohl vorhanden
mehr und mehr in den Vordergrund tritt, ein System-        sind die militärischen Bedrohungsperzeptionen in der
konflikt zwischen, wie es gelegentlich heißt, »digi-       globalen Einflusskonkurrenz, die mittlerweile auch
talem Autoritarismus« und »liberaler Demokratie« –         die Arktis umfasst. Die gegenwärtige Administration
eignet er sich doch dazu, nachhaltige innenpolitische      ist überzeugt, dass Chinas weltweit wachsende wirt-
Unterstützung für einen wirtschaftlich nicht kosten-       schaftliche und politische Präsenz auf Kosten der USA
freien Machtkonflikt mit China zu mobilisieren.            geht. Deswegen versucht Washington mit Anreizen
   Auch wenn der ideologische Konflikt nicht die           und Druck, andere Staaten vom Ausbau der wirt-
wichtigste Konfliktschicht ist, so ist doch zu erwarten,   schaftlichen Beziehungen mit China abzubringen.
dass eine immer stärker akzentuierte »ideologische             Die globale Einflusskonkurrenz ist aufs engste mit
Differenz« Bedrohungswahrnehmungen intensiviert            der technologischen Dimension der amerikanisch-
und so das Sicherheitsdilemma zwischen USA und             chinesischen Rivalität verwoben. Es geht dabei um
China verstärkt. Da sich die USA und China seit der        die technologische Vorherrschaft im digitalen Zeit-
Taiwan-Krise 1995/96 (wieder) als potentielle mili-        alter. Diese Dimension des Konflikts ist deshalb so
tärische Gegner sehen und die Planungen entspre-           essentiell, weil technologische Führung weltwirt-
chend ausrichten, prägt das Sicherheitsdilemma die         schaftliche Wettbewerbsvorteile schafft und die Basis
Beziehungsstruktur. Beide Seiten sind nicht beson-         für militärische Überlegenheit sichert.
ders sensibel für dadurch ausgelöste wechselseitige            Was sich in der Kampagne gegen Huawei abzeich-
Bedrohungsvorstellungen. Denn die Antagonisten             net, ist die Abkehr von der Positivsummenlogik
verstehen sich selbst als defensive, friedliche Mächte,    in den Wirtschaftsbeziehungen zu China. Solange
unterstellen der jeweils anderen Seite aber offensive      Washington nicht den Aufstieg eines strategischen
Absichten.                                                 Rivalen befürchtete, herrschte die wirtschaftliche
                                                           Logik vor. Absolut gesehen profitierten die USA von
                                                           wirtschaftlichen Austauschbeziehungen. Da spielte
Dimensionen und Dynamik der Rivalität                      es keine nennenswerte Rolle, dass China möglicher-
                                                           weise relativ stärkeren Nutzen daraus zog. Diese öko-
Da China und USA potentielle militärische Gegner           nomische Logik, die auf absolute Nutzengewinne
und nicht nur Statuskonkurrenten und System-               abstellt, war mit der Erwartung verknüpft, wirtschaft-
antagonisten sind, lässt sich das Verhältnis der beiden    liche Interdependenz wirke kooperationsfördernd
als komplexe strategische Rivalität verstehen. Diese       und friedensstabilisierend. Mit dem befürchteten
ist besonders an der maritimen Peripherie Chinas aus-      Aufstieg Chinas zu einem globalen strategischen
geprägt, dominiert von militärischen Bedrohungs-           Rivalen ist die wirtschaftliche Logik ins Hintertreffen
vorstellungen und der amerikanischen Auffassung,           geraten. Unter Trump dominiert in Rhetorik und
China wolle in Ostasien eine exklusive Einflusssphäre      Praxis die sicherheitspolitische Logik, verbunden
etablieren. Im Südchinesischen Meer kollidiert der         mit der Sorge um die relative Nutzenverteilung und
amerikanische Anspruch auf freien Zugang zu den            der Auffassung, wirtschaftliche Interdependenz habe
Weltmeeren mit dem chinesischen Bestreben, eine            negative Folgen für die technologische Basis militä-
Sicherheitszone zu errichten und die amerikanische         rischer Überlegenheit.
Interventionsfähigkeit zu konterkarieren. Der geo-
politische Konflikt über das Südchinesische Meer ist

                                                                                                              SWP Berlin
                                                                          Strategische Rivalität zwischen USA und China
                                                                                                            Februar 2020

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Peter Rudolf

               Folgen

               Sollte sich die strategische Rivalität zwischen USA
               und China zu einer dauerhaften globalen Konflikt-
               konstellation verfestigen, könnte dies eine Art De-
               globalisierung in Gang setzen und zwei Ordnungen
               entstehen lassen: die eine von den USA dominiert,
               die andere von China. Spitzt sich der amerikanisch-
               chinesische Konflikt weiter zu und leistet der Bipola-
               risierung des internationalen Systems Vorschub, dürfte
               die Basis für einen globalen Multilateralismus schwin-
               den. Der amerikanisch-chinesische Weltkonflikt stellt
               zudem deutsche und europäische Politik vor die Frage,
               ob, in welchem Maße und unter welchen Bedingun-
               gen sie die USA in der Auseinandersetzung mit China
               unterstützen soll. Denn sicher scheint eines: Ob Prä-
               sident Trump wiedergewählt wird oder ob im Januar
               2021 eine Demokratin oder ein Demokrat ins Weiße
               Haus einzieht – die strategische Rivalität mit China
               wird der amerikanischen Außenpolitik ihren Stempel
               aufdrücken.

                    Washington wird die Welt und damit
                     auch Europa wohl vor allem durch
                      ein »China-Prisma« wahrnehmen.

                  Washington wird die Welt und damit auch Europa
               wohl vor allem durch ein »China-Prisma« wahrneh-
               men. Dies mag dazu führen, dass für die USA, sofern
               sie stärker als früher auf den Indopazifik und die
               Einflusskonkurrenz mit China fixiert sind, Krisen in
               Europa und der europäischen Peripherie zweitrangig
               werden und die Scheu vor kostspieligen Verwicklun-
               gen die Politik in und um Europa prägt. Eher wach-
               sen als nachlassen wird indes der Druck Washingtons
               auf die Verbündeten, im sich verschärfenden ameri-
               kanisch-chinesischen Konflikt Position zu beziehen
               und sich klar auf die Seite der USA zu stellen.

               SWP Berlin
               Strategische Rivalität zwischen USA und China
               Februar 2020

               12
Chinesische Narrative über die USA

Hanns Günther Hilpert / Gudrun Wacker

Chinesische Narrative über die USA

Die Supermacht USA hat auf Chinas politische Eliten                  Über die tatsächliche Wahrnehmung der USA in
schon immer eine besondere Faszination ausgeübt,                 China lässt sich nur spekulieren, da offizielle State-
war für sie aber auch stets ein Quell der Unsicherheit.          ments und die Darstellung in offiziellen Medien stark
Angesichts dieser obsessiven Fixierung auf Amerika               gelenkt sind, akademische Publikationen wiederum
traf der Politikwissenschaftler Graham Allison offen-            entweder einer Selbstzensur unterliegen oder der
kundig einen Nerv, als er die sino-amerikanischen                anderen Seite bestimmte politische Botschaften
Beziehungen mit der Metapher der »Thukydides-                    vermitteln sollen. Im Folgenden werden daher die
Falle« bedachte.1 Nach Allisons historisch verglei-              amerika-bezogenen Narrative vorgestellt, die in Chi-
chender Beobachtung führt der Einflussgewinn einer               nas offizieller und veröffentlichter Meinung zu iden-
aufstrebenden Macht zwangsläufig zu geopolitischen               tifizieren sind. Beiträge in sozialen Medien wurden
Machtverschiebungen und Anpassungsprozessen oder                 ebenso herangezogen. Als Quelle für einige der wie-
gar zu gewaltsamen Konflikten: Was in der Antike,                dergegebenen Meinungen dienten überdies persön-
wie von Thukydides beschrieben, zwischen Athen                   liche Gespräche mit Wissenschaftlern im Land.
und Sparta geschehen sei, drohe heute im Verhältnis
zwischen China und den USA. Solche Warnungen
stehen freilich im Gegensatz zu Chinas eigener Rhe-              China als »Champion of the South«
torik vom friedlichen Aufstieg des Landes.
                                                                 Aus chinesischer Sicht ist der eigene Zugewinn an
      Nach Chinas Verständnis ist der                            wirtschaftlicher und politischer Bedeutung nichts
   eigene Zugewinn an wirtschaftlicher                           anderes als ein Wiederaufstieg. Bis ins späte 18. Jahr-
     und politischer Bedeutung nichts                            hundert übertraf Chinas Pro-Kopf-Einkommen das-
      anderes als ein Wiederaufstieg.                            jenige Westeuropas und Nordamerikas, war das Reich
                                                                 der Mitte die unbestrittene Vormacht Asiens. Erst
   Aus chinesischer Sicht erfolgt dieser Aufstieg                nachdem westlicher Kolonialismus und Imperialis-
natürlich und zwangsläufig. Ein frustriertes, mit                mus auch China erreicht hatten, erlitt das Land einen
sich selbst haderndes Amerika hingegen versucht,                 rund 100 Jahre andauernden Niedergang, musste
so Pekings Bild, die eigene Vormachtstellung zu                  wirtschaftliche Ausbeutung, politische Demütigun-
bewahren, indem es die Volksrepublik geopolitisch                gen und militärische Invasionen erfahren (»Jahrhun-
einzudämmen und in ihrer wirtschaftlichen, techno-               dert der Erniedrigung«). Entsprechend ambivalent ist
logischen und militärischen Entwicklung zu behin-                der heutige Blick auf die USA und den Westen. Einer-
dern sucht. Dabei ist man überzeugt, dass für die                seits fasziniert Amerika aufgrund seiner Innovations-
eigene Erfolgsgeschichte der letzten vier Jahrzehnte             fähigkeit, seiner Wirtschaftskraft, seiner Hochschu-
nicht etwa amerikanische Schwäche verantwortlich                 len, seiner militärischen Fähigkeiten und auch seines
sei, sondern in erster Linie die harte Arbeit und die            politischen Systems; all dies erweckt in China Respekt
Findigkeit von Chinas Bevölkerung, das kommerzielle              und Bewunderung. Andererseits begegnet man dem
Geschick seiner Unternehmen und eine kluge, weit-                Westen angesichts der eigenen leidvollen Erfahrung
sichtige Politik der Pekinger Staats- und Partei-                mit Distanz und Misstrauen. Zudem hat das westliche
führung.                                                         Ansehen durch die globale Finanzkrise, Amerikas
                                                                 militärische Interventionen im Nahen Osten und
                                                                 Trumps erratische Politik stark gelitten.
  1 Graham T. Allison, Destined for War: Can America and China      Selbst verortet sich China trotz seiner wirtschaft-
  Escape Thucydides’s Trap?, Boston 2017.                        lichen Erfolge und seines Großmachtstatus nach

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                                                                                Strategische Rivalität zwischen USA und China
                                                                                                                  Februar 2020

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Hanns Günther Hilpert / Gudrun Wacker

            wie vor im globalen Süden. Die politische Führung          interessen« des jeweils anderen respektieren würden.
            spricht heute noch von China als dem »größten Ent-         Zwar begreifen realistische Analytiker aus China das
            wicklungsland der Welt«. Die Nord-Süd-Dimension            Verhältnis zwischen auf- und absteigenden Mächten
            eines globalen Entwicklungs- und Machtgefälles             als unausweichliches Nullsummenspiel – wonach
            zwischen dem Westen und dem Rest der Welt ist im           der eine in dem Maße verliert, wie der andere ge-
            chinesischen Diskurs wohl noch wichtiger als die           winnt –, doch sehen sie die Regierungen Chinas und
            eher ideologische Ost-West-Trennung. Denn China            der USA in der Verantwortung, das Ausbrechen eines
            stilisiert sich als Repräsentant und Spitzenreiter der     Konflikts oder gar Krieges zu verhindern.2
            aufsteigenden Ökonomien und der Entwicklungs-                 Pekings Furcht, die USA strebten letztlich einen
            länder, nicht als systemischer Gegenspieler der USA        Regimewechsel in China an, verstärkte sich noch mit
            und des Westens. Amerika gibt aus dieser Perspektive       den sogenannten Farbenrevolutionen der 2000er Jahre
            die Richtschnur bei der Modernisierung vor. Es gilt        und dem Arabischen Frühling 2011. In China fragt
            den Abstand gegenüber den USA zu verringern und            man sich, ob die USA den Aufstieg der Volksrepublik
            schließlich mit ihnen gleichzuziehen, um die Welt so       und deren mögliche Führungsrolle bei neuen Tech-
            auch fairer und gerechter zu machen. Diese Selbst-         nologien (Künstliche Intelligenz, 5G) akzeptieren
            einordnung modifiziert gleichsam den Triumphalis-          würden, wenn das Land eine Demokratie nach west-
            mus, der in Pekings wiederkehrendem Narrativ vom           lichem Vorbild wäre. Ist die Wahrung amerikanischer
            chinesischen Aufstieg und amerikanischen Abstieg           Vorherrschaft das Hauptinteresse der USA – so die
            immer mitschwingt.                                         Überlegung –, oder wäre es für sie in bestimmten
                                                                       Bereichen denkbar, diese Rolle aufzugeben, wenn
                                                                       China sich grundlegend verändern, sprich demokra-
            Ein Amerika, das Chinas Aufstieg                           tisieren würde?
            im Wege steht

            Die Volksrepublik hat stets mit tiefem Misstrauen          Eine von den USA
            auf Amerika geblickt. Den USA wurde unterstellt,           dominierte Weltordnung
            China – wie die kommunistische Welt insgesamt –
            mittels »friedlicher Evolution«, sprich Infiltration und   Ambivalent ist auch Chinas Sicht auf die liberale
            Subversion, im Innern korrumpieren und transfor-           Weltordnung nach 1945 und die sie tragenden Werte
            mieren zu wollen. Derlei Befürchtungen bestätigten         und Institutionen. Diese Ordnung und der darauf auf-
            sich aus Pekings Sicht schockartig im Jahr 1989 mit        bauende Prozess der Globalisierung haben es China
            Tiananmen und dem fast zeitgleich einsetzenden             zwar ermöglicht, sich über Marktöffnung und markt-
            Zerfall des sowjetischen Imperiums. Seitdem war die        wirtschaftliche Reform zu industrialisieren und zu
            Wahrnehmung der USA als Hemmnis auf Chinas                 modernisieren, die absolute Armut weitgehend zu
            Weg zu alter Größe zumindest unterschwellig ein            beseitigen und international an Macht und Status zu
            durchgängiges Motiv im Diskurs der Volksrepublik.          gewinnen. Doch letztlich bleibt das liberale westliche
                                                                       System aus chinesischer Sicht eine Manifestation
                 Aus Chinas Sicht warnt das Beispiel                   amerikanischer Hegemonie. In Peking erwartet man
                 Sowjetunion – ein offener Konflikt                    nicht, dass die USA der Volksrepublik in diesem Sys-
                 mit den USA ist daher zu vermeiden.                   tem ein Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht zubil-
                                                                       ligen werden, das dem wirtschaftlichen und politi-
              Das Schicksal der Sowjetunion prägte auch die            schen Gewicht des Landes angemessen wäre.3 Man
            Haltung aller nachfolgenden chinesischen Führungs-         ist davon überzeugt, dass Amerika und der Westen
            generationen. Zu vermeiden war demnach ein offener         China niemals freiwillig mehr Einfluss auf internatio-
            Wettkampf oder gar Konflikt mit den USA, sei es in
            Form eines Wettrüstens oder durch Konfrontation              2 Zum Beispiel Yan Xuetong, Leadership and the Rise of Great
            auf anderen Gebieten. Entsprechend begegnete man             Powers, Princeton, NJ: Princeton University Press, 2019.
            den wahrgenommenen Eindämmungsversuchen                      3 Siehe Evan S. Medeiros, China’s International Behavior.
            Amerikas mit Kooperationsrhetorik (»win-win«) und            Activism, Opportunism, and Diversification, Santa Monica, CA:
            Konzepten wie den »Großmachtbeziehungen neuen                RAND Corporation, 2009 (Project Air Force; RAND Corpor-
            Typs«, bei denen beide Seiten die »nationalen Kern-          ation Monograph Series).

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            Strategische Rivalität zwischen USA und China
            Februar 2020

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Chinesische Narrative über die USA

naler Ebene einräumen werden. Demnach würde die                                  In China wird heute offen
Rolle eines »responsible stakeholder«, wie sie erstmals                     eingestanden, man habe die Gefahr
2005 der damalige US-Vizeaußenminister Robert                                   durch Trump unterschätzt.
Zoellick von Peking einforderte, in erster Linie den
Hegemonialanspruch Amerikas stärken – nicht aber                           Inzwischen scheint tiefe Ernüchterung eingetreten
der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas zugute-                         zu sein.5 Offen wird eingestanden, man habe Trumps
kommen und schon gar nicht dem politischen Auf-                         Unberechenbarkeit, sein Eskalationspotential und die
stieg des Landes. Ohnehin deutet man es in der Volks-                   von ihm ausgehenden Gefahren für Chinas Wachs-
republik als Hegemonialdiskurs, wenn der Westen                         tum unterschätzt. Die handelspolitischen Vorwürfe
für eine liberale Weltordnung und die universale                        des Präsidenten an die Adresse der Volksrepublik
Geltung der Menschenrechte eintritt.                                    werden als unbegründet, substanzlos und illegitim
                                                                        zurückgewiesen.6 In der nationalistischen Global Times
                                                                        heißt es mittlerweile unverblümt, die USA seien
Die USA unter Donald Trump                                              gegenüber China auf einen Kurs der Eindämmung
                                                                        umgeschwenkt, der sich unter anderem in Washing-
Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten 2016                              tons Indo-Pazifik-Strategie manifestiere.7 Doch demons-
wurde in China offiziell begrüßt; die Einschätzungen                    triert das Blatt auch neues Selbstbewusstsein. Ein Con-
aus der Wissenschaft waren vorsichtig optimistisch,                     tainment Chinas sei nicht mehr möglich, und würde
was die Aussichten für die bilateralen Beziehungen                      es versucht, dann zum größeren Schaden Amerikas.
anging. Zwar hatte sich Trump im Wahlkampf einer                        Aber selbst die Global Times befeuert nicht durchweg
gegen China gerichteten Rhetorik bedient, doch                          eine konfrontative Haltung gegenüber den USA. Viel-
glaubte man darin ein bekanntes Muster zu erken-                        mehr gibt sie sich verhalten optimistisch, dass im
nen. Auch frühere Kandidaten für die amerikanische                      Handelsstreit eine Lösung gefunden wird. Ein neuer
Präsidentschaft (Carter, Reagan, Clinton, Bush jr.)                     Kalter Krieg sei »unrealistisch«.8 In offiziellen und
hatten China im Wahlkampf als Wettbewerber und                          veröffentlichten Darstellungen herrscht der Tenor
Gegner dargestellt. Nach Amtsantritt fand die jewei-                    vor, angesichts der bilateralen Spannungen auf
lige neue US-Regierung früher oder später aber stets                    wirtschaftlichem Feld müssten beide Seiten den Kom-
zu einer pragmatischen und kooperativen Politik                         promiss suchen, um sich nicht selbst zu schaden.
gegenüber Peking zurück. Bei Trump ging man zu-                         Dagegen warnen Skeptiker, dass mit einem Präsiden-
dem davon aus, mit ihm als Geschäftsmann eine                           ten Trump ein dauerhaft verlässlicher Handelsfrieden
tragfähige Arbeitsgrundlage schaffen zu können.                         nicht möglich sein werde.
Offiziell und in Pressekommentaren reagierte man                           Überaus kritisch fallen offizielle Stellungnahmen
daher auf die Angriffe Trumps zurückhaltend (außer                      sowie Medienberichte aus, wenn es um die jüngsten
in der Taiwan-Frage). Es gab öffentlich auch wenig                      Proteste in Hongkong geht. Bei diesem Thema werden
Kritik an dessen Kompetenz und Führungsstil. Selbst                     die USA scharf angegriffen; dem amerikanischen Kon-
in Chinas sozialen Medien fielen die ersten Reaktio-                    gress und der CIA unterstellt man, die Unruhen nicht
nen auf Trumps Wahlsieg verhalten positiv aus. Er                       nur verbal, sondern auch finanziell zu unterstützen.
wurde überwiegend als unorthodoxe Persönlichkeit                        Hier kommt wieder das Narrativ zum Tragen, die USA
charakterisiert, seine Verweigerung politischer Kor-                    suchten das chinesische System zu schwächen und
rektheit als erfrischend wahrgenommen.4                                 letztlich einen Regimewechsel in Peking zu erreichen.

                                                                          perceptions_of_the_US_administration.pdf> (Zugriff am
  4 Siehe Diandian Guo, »›Congratulations, It’s a Boy!‹ –                 19.12.2019).
  China’s (Mixed) Reactions to President Trump’s Election                 5 Siehe Xue Li, »China and US: Are They Rivals or En-
  Victory«, What’s on Weibo. Reporting Social Trends in China,            emies?«, in: Global Times, 20.8.2019; »Trump’s Impeachment
  9.11.2016,  (Zugriff am 19.12.2019);               6 Zum Beispiel Yongding Yu, »A Trade War That Is Un-
  Camille Boullenois, »The Roots of Trump’s Behavior and                  warranted«, in: China & World Economy, 26 (2018) 5, S. 38–61.
  Strategy«, in: The Trump Opportunity: Chinese Perceptions of the US     7 So zum Beispiel Ding Gang, »›Balance of Power‹ a Strate-
  Administration, London: European Council on Foreign Rela-               gic Trap for India«, in: Global Times, 11.9.2019.
  tions (ECFR), Juni 2018 (ECFR China Analysis 262), S. 3f,               8 »Goodwill Reciprocity Needed to End Trade War«, in:
Hanns Günther Hilpert / Gudrun Wacker

            Denn mit Hongkong stehen »nationale Kerninteres-                     Eine differenzierte
            sen« wie Chinas territoriale Integrität auf dem Spiel.               Wahrnehmung Europas

                                                                                 Weniger von Extremen geprägt ist Chinas Blick auf
            Zurück in die Zukunft?                                               Europa. Geographisch an der gegenüberliegenden
                                                                                 Seite des eurasischen Großkontinents gelegen, ist es
            Chinas Amerikabeobachter sind gespalten, wenn es                     zwar Kernbestandteil des Westens und politischer
            darum geht, die weitere Entwicklung im sino-ameri-                   Verbündeter der USA. Allerdings gilt Europa aus
            kanischen Verhältnis einzuschätzen. Ein Lager hofft                  chinesischer Sicht im Vergleich zu Amerika kaum als
            darauf, dass beide Seiten zu pragmatischen und kon-                  hinderlich für den eigenen Aufstieg, ja sogar als eher
            struktiven Beziehungen zurückkehren, sei es durch                    nützlich. Zudem wird in China zur Kenntnis genom-
            eine Einigung mit Trump im Handelsstreit oder durch                  men, dass Europa sich für den Erhalt von Multilatera-
            seine Abwahl. Ein anderes Lager deutet den Wandel                    lismus und liberaler Weltordnung einsetzt und seiner-
            in der amerikanischen Chinapolitik als dauerhaft und                 seits mit der Trump-Administration politische und
            strukturell. Demnach besteht dazu in den USA ein                     wirtschaftliche Probleme hat.
            überparteilicher Konsens, der das bilaterale Verhält-
            nis auf absehbare Zukunft bestimmen werde (»no                          Gegenüber Trumps Angriffen auf die
            turning back«).9 Eher reformorientierte Wissenschaft-                    internationale Ordnung profiliert
            ler aus China nehmen die von der Trump-Regierung                           sich China gern als Verteidiger
            eingesetzten Druckmittel als kontraproduktiv wahr,                             des Multilateralismus.
            weil sie die Verteidigungshaltung in Chinas Führung
            verhärten ließen. Aus dieser Sicht schadet es vor                       Gegenüber Trumps disruptiven Angriffen auf
            allem den Reformkräften, wenn das System so fun-                     die internationale Ordnung profiliert sich China gern
            damental angegriffen wird.                                           als Verteidiger des Multilateralismus; dabei bietet
               Dies wird indirekt bestätigt, wenn offizielle Medien              es sich anderen Staaten auch als Allianzpartner an.
            schreiben, die anhaltenden Handelsstreitigkeiten                     Doch Deutschland und Europa sollten sich nicht
            hätten Chinas Entschlossenheit gestärkt, sich den                    von Pekings Rhetorik blenden lassen. Tatsächlich ver-
            Bully-Methoden der USA zu widersetzen und die eige-                  letzt China multilaterale Regeln in opportunistischer
            nen Rechte und Interessen zu verteidigen. Chinesi-                   Manier, sobald es die eigenen Interessen gebieten. So
            sche Beobachter des ökonomischen Konflikts ver-                      missachtet das Land in seiner Außenwirtschafts-
            weisen zum Teil auch auf die Chancen, die der Volks-                 politik die grundlegenden WTO-Prinzipien von Nicht-
            republik jenseits von Handels- und Wachstums-                        diskriminierung und Transparenz, ebenso wie es sich
            einbußen entstünden. So könne Amerikas Technolo-                     über das – für die Volksrepublik nachteilige – Urteil
            gieboykott das Streben Chinas nach Autonomie auf                     des Internationalen Schiedsgerichtshofs im Territorial-
            diesem Feld beschleunigen. Zudem sei es Pekings                      streit mit den Philippinen hinweggesetzt hat. Zwischen
            Rolle auf globaler Ebene zugutegekommen, dass                        dem europäischen und dem chinesischen Verständnis
            Washington eine destruktive, gegen die Welthandels-                  von Multilateralismus besteht jedenfalls ein grund-
            organisation (WTO) gerichtete Handelspolitik betreibe                legender Unterschied.11
            und sich aus einer Reihe internationaler Organisatio-
            nen und Vereinbarungen zurückgezogen habe.10

                 9 Siehe An Gang, »Time for China to Forge a New Strategy          11 Siehe Hanns Maull, The »Alliance for Multilateralism«
                 towards the US«, China-US Focus, 4.6.2019,  (Zugriff am 19.12.2019).             of View),  (Zugriff am
                 S. 5ff (7).                                                       19.12.2019).

            SWP Berlin
            Strategische Rivalität zwischen USA und China
            Februar 2020

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Die Wahrnehmung Chinas in den USA

Marco Overhaus / Peter Rudolf / Laura von Daniels

Die Wahrnehmung Chinas in den USA

In Washington hat sich während der vergangenen 15                   die nach regionaler Hegemonie im indopazifischen
Jahre ein chinakritischer Konsens herausgebildet, der               Raum strebe und langfristig eine weltweite Vormacht-
sowohl beide Parteien im Kongress als auch ein brei-                stellung erringen wolle.
tes Spektrum wirtschaftlicher und gesellschaftlicher                   Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass
Akteure umfasst. Die als aggressiv wahrgenommene                    sich die chinakritische Grundstimmung im politi-
Politik Chinas im Südchinesischen Meer, die merkan-                 schen System der USA in den letzten Jahren verfestigt
tilistischen Wirtschaftspraktiken, die autoritäre Ver-              hat.3 Chinas Aufstieg und der damit einhergehende
härtung – all dies hat das Bild des Landes in den USA               Gewinn an Macht und Einfluss in immer mehr Politik-
zum Negativen verändert.                                            bereichen und Weltregionen haben in den USA
    Damit eng verbunden ist die Auffassung, dass der                Ängste und Abwehrreflexe verstärkt. Zusätzliche
Ansatz des Engagements, den die USA seit der Politik-               Nahrung erhielten diese durch Präsident Xi Jinpings
wende der Nixon-Administration 1972 verfolgten,                     nach innen autoritären, nach außen nationalis-
gescheitert sei. Diese Sichtweise wurde in der ersten               tischen Kurs.
Nationalen Sicherheitsstrategie der Trump-Adminis-                     Was die Auseinandersetzungen in der amerika-
tration aus dem Jahr 2017 auf den Punkt gebracht:                   nischen Innenpolitik betrifft, bietet China ein hervor-
»Jahrzehntelang war die US-Politik in der Überzeu-                  ragendes Feindbild für Donald Trumps Agenda und
gung verwurzelt, dass die Unterstützung für Chinas                  seine Wahlkampfslogans. Aber auch Akteure jenseits
Aufstieg und für seine Integration in die internatio-               des Trump-Lagers sehen ihre Chance gekommen,
nale Nachkriegsordnung China liberalisieren würde.«1                China für die Deindustrialisierung und andere wirt-
Die damit verknüpfte Hoffnung, China werde sich zu                  schaftliche oder gesellschaftliche Probleme in den
einem »responsible stakeholder« entwickeln, wie es                  USA verantwortlich zu machen, selbst wenn sie teils
2005 der damalige stellvertretende US-Außenminister                 nationalen Versäumnissen, teils technologischen
Robert Zoellick formulierte, hat sich nach fast ein-                Veränderungen entspringen.
helliger Meinung in Washington zerschlagen.2

     Aus Sicht der USA ist China nicht                              Normative, sicherheitspolitische
     mehr nur eine regionale, sondern                               und wirtschaftliche Dimension der
      eine globale Herausforderung.                                 China-Kritik

   Chinas Aufstieg wird in den USA zunehmend als                    Die kritische Sicht der USA auf China hat eine nor-
Gefahr für die eigene Machtposition im internatio-                  mative, eine sicherheitspolitische und eine wirtschaft-
nalen System verstanden. In den einschlägigen Stra-                 liche Dimension. Die normative Dimension – die Be-
tegiedokumenten der Trump-Administration wird                       drohung der Menschenrechte sowie demokratischer
China als durchweg revisionistische Macht dargestellt,              Werte durch China – steht bereits seit der blutigen

  1 President of the United States, National Security Strategy of     3 Siehe David Shambaugh, »The New American Bipartisan
  the United States, Washington D. C., Dezember 2017, S. 25.          Consensus on China Policy«, in: China-US Focus, 21.9.2018;
  2 Wenngleich diese Sichtweise des »gescheiterten Engage-            Zack Cooper/Annie Kowalewski, A US Perspective, Washington,
  ments« gegenüber China in den USA heute dominiert, gibt es          D. C.: American Enterprise Institute (AEI), 21.12.2018;
  auch abweichende Stimmen. Vgl. Alastair I. Johnston, »The           Richard C. Bush/Ryan Hass, »The China Debate Is Here to
  Failures of the ›Failure of Engagement‹ with China«, in:            Stay«, Order from Chaos (Blog, The Brookings Institution),
  The Washington Quarterly, 42 (2019) 2, S. 99–114 (110).             4.3.2019.

                                                                                                                         SWP Berlin
                                                                                     Strategische Rivalität zwischen USA und China
                                                                                                                       Februar 2020

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