Studie Biden / Harris 2020: Eine Vorausschau auf die sicherheitspolitischen Konsequenzen
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Studie Biden / Harris 2020: Eine Vorausschau auf die sicherheitspolitischen Konsequenzen Nr. 19 | September 2020 Metis Studien geben die Meinung der Autor*innen wieder. Sie stellen nicht den Standpunkt der Bundeswehr, des Bundesministeriums der Verteidigung oder der Universität der Bundeswehr München dar. Metis Studien richten sich an die politische Praxis. Sie werten Fachliteratur, Reports, Pressetexte sowie Hintergrundgespräche mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Ministerien und Denkfabriken aus. Auf Referenzen wird verzichtet. Rückfragen zu Quellen können per Email an die Autor*innen gerichtet werden.
Metis Studie | Nr. 19 Biden / Harris 2020: Eine Vorausschau auf die sicherheitspolitischen Konsequenzen Zusammenfassung E in Ende der Präsidentschaft Donald J. Trumps würde für Europa und Deutschland nicht nur die Möglichkeit bieten, das zerrüttete Verhältnis zu den USA zu kitten, sondern auch, an der zukünftigen Ausrichtung des Westens stärker mitzuwirken. Durch frühzeitige Initiativen könnte Deutschland US-Forderungen nach mehr europäischer Verantwortung mitgestalten und dazu beitragen, die bestehenden Differenzen zwischen den Alliierten in transatlantischen Fortschritt umzumünzen. Szenario: Biden im Weißen Haus Bevölkerungsschichten in die geschwächten politischen Joe Biden und Kamala Harris treten für die Partei der Institutionen des Landes wiederherzustellen, sondern Demokraten gegen die aktuellen, republikanischen Amts auch den Versuch, der Polarisierung der Gesellschaft zu inhaber Donald J. Trump und Mike Pence bei der US-Präsi begegnen und den geteilten American Dream von der dent schaftswahl am 3. No vember 2020 an. Für die Chance auf sozialen Aufstieg zu rehabilitieren. Der Impuls vor liegende Studie wird die Annahme eines Macht der Black Lives Matter-Bewegung wird dabei in politischen wechsels getroffen. Die Autoren gehen vorausschauend Reformen und Programmen münden, die die wirtschaftli der Frage nach, welche außen-, sicherheits- und verteidi che, soziale und rechtliche Marginalisierung und Diskrimi gungspolitischen Konsequenzen ein Sieg des Teams nierung benachteiligter Gruppen korrigieren sollen, etwa Biden / Harris hätte. mit Blick auf soziale Ungleichheit, Polizeigewalt oder die Bevor sich die Studie programmatischen Aussagen und Schieflage im Justiz- und Strafvollzugssystem. Neben geplanten politischen Initiativen in einigen aus d eutscher Sozialreformen wird es für eine Biden-Administration und europäischer Sicht besonders bedeutsamen Politik auch prioritär sein, den immensen volkswirtschaftlichen feldern und Regionen zuwendet, gilt es vorab kurz daran Schaden, den COVID-19 in den USA bewirkt haben wird, zu erinnern, dass sich in Bidens außen- und sicherheits- zu reparieren und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. politischem Personaltableau zahlreiche Personen fin Der Versuch der Bewältigung all dessen wird Bidens den, die bereits in den Obama-Administrationen die Präsidentschaft zwangsläufig prägen. Die Slogans US-Außen- und Sicherheitspolitik mitgestaltet haben. Das » restoring democracy and economy « sowie » a house verwundert nicht, denn es ist gute Tradition in den USA, divided … cannot stand « spiegeln die Leitlinien wider, die zweite Reihe vergangener Administrationen in Ämter mit denen Biden dem von der Trump-Administra in der ersten Reihe aufrücken zu lassen. Das dürfte auch tion hinterlassenen Flurschaden in der Innenpolitik zu in diesem Fall dazu führen, dass bereits bekannte Grund begegnen gedenkt. sätze und Prinzipien wiederkehren. Die Konsequenzen für das Außen Der Blick nach innen Trotz der unerlässlichen Konzentration auf die Innen Sollte Joe Biden im Januar 2021 das Präsidentenamt an politik, wird auch die Außenpolitik die neue Administ treten, so wird er sich auf lange Zeit und schwerpunkt ration massiv fordern. Ohne die Wiederherstellung der mäßig den gewaltigen innenpolitischen Problemen eigenen Glaubwürdigkeit und tradierter Partnerschaf und sozialen Verwerfungen in den USA stellen ten und Allianzen sind selbst die USA nicht dazu in der müssen. Dies wird nicht nur die Aufgabe umfassen, Lage, als Führungsnation des Westens globale Politik das Vertrauen m arginalisierter und desillusionierter entscheidend zu beeinflussen. 3
Metis Studie | Nr. 19 Biden / Harris 2020: Eine Vorausschau auf die sicherheitspolitischen Konsequenzen In seinem Beitrag in „Foreign Affairs“ vom März 2020 Verhältnis zu Deutschland, Frankreich und anderen deutet Biden an, was das bestimmende Thema seiner lliierten zu normalisieren und Gemeinsamkeiten wieder A Außenpolitik sein wird: die Systemkonkurrenz zwischen in den Vordergrund zu rücken. Da die US-Positionen im Demokratien und Autokratien. Biden plant, bereits im sich wandelnden transatlantischen Verhältnis auch unter ersten Jahr seiner Präsidentschaft eine Konferenz demo Biden im Kern aber weitgehend gleich bleiben werden, kratischer Staaten einzuberufen, um deren Kooperations ist eine grundlegende Änderung nur im Ton, nicht in fähigkeit zu stärken und den Einfluss von Autokratien der Substanz zu erwarten. Spielraum könnte sich aus zurückzudrängen. Hier deutet sich – zumindest in der europäischer Sicht allenfalls mit Blick auf das 2 %-Ziel aktuellen Wahlkampfrhetorik – ein politisches Grund ergeben – nämlich dann, wenn eine andere Metrik dazu satzprogramm an, in dem die Truman-Doktrin von 1947 beitragen würde, die Verteidigungs- und Interventionsfä widerhallt. Durch die Bekundung, die Kooperation unter higkeit der NATO trotz sinkender Verteidigungshaushalte Demokratien zu stärken, wird auch deutlich, dass eine in Folge der Corona-Pandemie zu stärken. Ein deutscher Biden-Administration vom unilateralen Kurs Trumps ab Vorstoß zur Übernahme von 10 % der Lasten innerhalb der rücken wird. Dies schließt amerikanischen Unilateralismus NATO könnte einen solchen Impuls bereitstellen. in Zukunft natürlich nicht aus. Aber dieser dürfte eher im Wenn die Systemkonkurrenz „Autokratien vs. Demo Sinne Madeleine Albrights ausgelegt werden als gemein kratien“ die Außenpolitik einer Biden-Administration sames Vorgehen dort, wo es möglich und Alleingänge prägt, dann ist auch nicht auszuschließen, dass die dort, wo es nötig ist. Rolle der NATO als möglichem militärpolitischem Kern Der US-Fokus auf China als primärem autokratisch der von Biden avisierten Coalition of Democracies ins Zen em Kontrahenten wird unter Biden bestehen bleiben. trum der Diskussion rückt. Für die Europäer wäre damit Chinas Aufstieg und sein zunehmend selbstbewusstes glo erneut die Frage verbunden, ob sie die NATO weiterhin bales Auftreten stellen aus US-Sicht eine systemische als rein transatlantische Institution verstehen wollen oder Herausforderung dar, der höchste politikfeldübergrei ob sie gegebenenfalls bereit wären, die NATO zu einer fende Priorität zugeschrieben wird. Bei Klimawandel, globalen Allianz der Demokratien, inklusive denen nuklearer Nichtverbreitung und Gesundheitssicherheit Asiens, zu transformieren. sucht Biden die Kooperation. Aber mit Blick auf Chinas In diesen Zusammenhang gehört die Erwartung, dass Ambitionen, regional und global Machtprojektion zu eine Biden-Administration mit Blick auf militärische betreiben oder auch die internationalen Standards, R egeln Interventionen, insbesondere in der europäischen und Institutionen des Digitalzeitalters zu b estimmen, Peripherie, zurückhaltend bleiben dürfte. Biden hat kündigt er entschlossenen Widerstand an. Mit Blick auf bereits angekündigt, die Truppen aus den langjährigen die Machtbalance in der gesamten Asien-Pazifik-Region Kriegen im Irak und in Afghanistan nach Hause zu holen. brachten Biden und sein Team jüngst auch vertiefte Es ist plausibel anzunehmen, dass seine Administration in Kooperationen mit den demokratischen A llianzpartnern Sachen Militärinterventionen ein » leading from b ehind « Australien, Japan und Südkorea ebenso wie eine bevorzugen wird – erneut mit entsprechenden Impli Intensivierung der Zusammenarbeit mit Indien oder kationen für die europäischen Verbündeten in Sachen Indonesien ins Spiel. Lastenteilung. Die Haltung gegenüber Russland dürfte sich, im Mit Blick auf das militärische Engagement der USA Kontrast zum Schlingerkurs der Trump-Administra in Afrika ist zu erwarten, dass sich die Zusammenarbeit tion, durchweg verschärfen. Die vor dem Hintergrund mit NATO-Partnern und regionalen Schlüsselstaaten auf russischer Aktivitäten der jüngeren Vergangenheit – man die Bekämpfung terroristischer Gefahren konzentrieren denke etwa an die Krim, die Ukraine, Giftanschläge und wird und die USA womöglich sukzessive sogar mehr Ver zahllose Informationsoperationen – im Wahlkampf an antwortung auf europäische Partner und die Afrikanische zutreffende Metapher lautet, man wolle » Antikörper Union zu übertragen versuchen werden. 1 Eine Revitalisie gegen a utokratische Einmischung « entwickeln. rung des US-Wirtschaftsengagements gegenüber Afrika Die Aufforderung an die Europäische Union wird ist demgegenüber allerdings denkbar, da zunehmende demzufolge lauten, einerseits mehr zur eigenen Verteidi chinesische Investitionen schon aus der Logik der System gung und erhöhter Resilienz gegen hybride Einflussnah konkurrenz heraus eine aktive Rolle der USA notwendig men beizutragen, um die USA zu entlasten, andererseits erscheinen lassen. die USA in ihren Haltung gegenüber Autokratien wie Im Nahen und Mittleren Osten wird eine Biden- China und Russland stärker zu stützen. Dazu könnte auch Administration für die weitere Normalisierung des die explizite Erwartungshaltung gegenüber der EU ge hören, mit Blick auf Ungarn oder die Türkei, aber auch den Iran sowie im Mittleren Osten und in Afrika mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Biden-Administra 1 Siehe „Afrika – der aufsteigende Kontinent?“, Metis Studie Nr. 10 tion wird zweifelsohne darauf abzielen, das zerrüttete (Februar 2019). 4
Metis Studie | Nr. 19 Biden / Harris 2020: Eine Vorausschau auf die sicherheitspolitischen Konsequenzen israelisch-arabischen Verhältnisses eintreten und sich der wiederherstellen zu wollen. Das Land sei davon i nzwischen Zwei-Staaten-Lösung verschreiben. Zu viele Administra zu weit entfernt, und der Rest der Welt habe sich ohnehin tionen haben sich aber bereits verhoben beim Versuch, längst weiterbewegt. eine dauerhafte Konfliktbeilegung zwischen Israel und Eine mögliche Präsidentschaft Bidens sollte also den Palästinensern herbeizuführen. Ein erneuter Vorstoß nicht mit Erwartungen überfrachtet werden. Es gibt ist hier nicht zu erwarten. kein Zurück in vermeintlich gute alte Zeiten. Und In den Bereichen Klima- und Wirtschaftspolitik was die von Rhodes angemahnte Fehlervermeidung an hingegen zeichnen sich klare Kurswechsel ab. Biden geht, so wird dafür nicht zuletzt entscheidend sein, wie hat bereits die Rückkehr der USA ins Pariser Abkommen es einem Präsident Biden gelingt, sich zu tieferliegenden angekündigt und außerdem das Ziel ausgegeben, die strukturellen Zwängen im internationalen System zu ver US-Wirtschaft bis 2050 zu dekarbonisieren. Auch eine halten. Neuauflage der Verhandlungen zu einem gemeinsamen Vor diesem Hintergrund wird also auch eine transatlantischen Wirtschaftsraum – mit dem Ziel, die Biden-Administration an ihre europäischen Alliierten und wirtschaftliche Balance zu Asien zu halten – liegt im Be Partner zahlreiche Forderungen stellen und mehr Verant reich des M öglichen. wortungsübernahme einfordern. Mit Blick auf NATO und Was schließlich die nukleare Rüstungskontrolle EU ist damit erneut die Notwendigkeit zur Stärkung der betrifft, so will Biden – ungeachtet der zu erwartenden deutsch-französischen Zusammenarbeit sowie das engere härteren Linie gegen Russland in anderen Politikfel Einbeziehen Polens im Format des Weimarer D reiecks dern – die Verlängerung des NewSTART-Vertrags anstre unterstrichen. Und meint Europa es ernst mit Autonomie ben, sollte diese bis zu seinem Amtsantritt nicht bereits und eigenständiger Handlungsfähigkeit, dann wird gera beschlossen sein. Ein belebendes Signal in Richtung der de Deutschland zur Unterfütterung dieser Ziele um die Er multilateralen nuklearen Rüstungskontrolle wäre die Rück höhung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die kehr der USA ins unter Präsident Obama abgeschlossene Übernahme größerer Lasten nicht umhinkommen. Iran- Abkommen, wie vom außenpolitischen Team um Für Europa und Deutschland dürfte eine Biden-Admi Biden und Harris für den Fall eines iranischen Entgegen nistration aber auch ein entgiftetes G esprächsklima zur kommens ebenfalls bereits deklariert. 2 Folge haben, inklusive einem Ende von offenen Konfron tationen, Sanktionsdrohungen und Beschuldigungen. Für Fazit und Empfehlungen Deutschland bietet eine Rückkehr der USA zum multilatera Ben Rhodes, der einflussreiche stellvertretende len Institutionalismus zudem neue Einflussmöglichkeiten nationale Sicherheitsberater und Berater für s trategische und die Chance, im Verbund mit anderen Demokratien für Kommunikation von Barack Obama, forderte in einem Sicherheit und Frieden, eine regelbasierte Weltordnung, Artikel in „Foreign Affairs“ vom September 2020, dass die Einhaltung internationaler Verträge, den Schutz von eine B iden- Administration nicht die außen- und Menschenrechten und des K limas einzutreten. sicherheitspolitischen Fehler der letzten 20 Jahre wieder Ein kluges Signal der Europäer an die USA wäre, holen dürfe. Er nennt hier unter anderem den seit Septem einer Biden-Administration bereits frühzeitig ein Ange ber 2001 währenden Dauerkriegszustand, fragwürdige bot zu unterbreiten, in welchen Bereichen EU- und Engagements im Mittleren und Nahen Osten wie im NATO-Staaten in Europa bereit zu mehr Verantwortungs Jemen-Krieg oder auch aus Menschenrechtsperspektive übernahme wären. Deutschland sollte einen solchen problematischen Partnerschaften mit Ländern wie Prozess frühzeitig initiieren und nicht darauf warten, mit Saudi-Arabien. Zugleich warnte er vor dem Versuch, das welchen Forderungen die USA unter Biden die Europäer alte Selbstbild der USA als dem tugendhaften, siegreich konfrontieren. aus dem Kalten Krieg hervorgegangenen H egemon 2 Siehe „Nukleare Rüstungskontrolle in der Krise“, Metis Studie Nr. 18 (August 2020). 5
Metis Publikationen Bisher ebenfalls erschienen und zu finden auf der Metis Website unter metis.unibw.de
IMPRESSUM Herausgeber Metis Institut für Strategie und Vorausschau Universität der Bundeswehr München metis.unibw.de Autoren Dr. Konstantinos Tsetsos, Prof. Dr. Carlo Masala, Dr. Frank Sauer metis@unibw.de Creative Director Christoph Ph. Nick, M. A. c-studios.net Bildnachweis Titel: ungvar/shutterstock.com ISSN-2627 – 0587 Dieses Werk ist unter einer Creative Commons Lizenz vom Typ Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International zugänglich.
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