Der Blick nach Westen - AUSLANDSINFORMATIONEN - Eine Bestandsauf nahme zur transatlantischen Partnerschaft - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Der Blick nach Westen - AUSLANDSINFORMATIONEN - Eine Bestandsauf nahme zur transatlantischen Partnerschaft - Konrad-Adenauer-Stiftung
KO N R A D -A D E N AU E R-S T I F T U N G                          1|2019

AUSLANDSINFORMATIONEN

                                                Der Blick
                                             nach Westen
                                               Eine Bestandsauf­n ahme
                                                  zur transatlantischen
                                                          Partnerschaft
Der Blick nach Westen - AUSLANDSINFORMATIONEN - Eine Bestandsauf nahme zur transatlantischen Partnerschaft - Konrad-Adenauer-Stiftung
Der Blick nach Westen - AUSLANDSINFORMATIONEN - Eine Bestandsauf nahme zur transatlantischen Partnerschaft - Konrad-Adenauer-Stiftung
AUSL A N D S I N FO R M AT I O N E N

             1 | 2019
Der Blick nach Westen - AUSLANDSINFORMATIONEN - Eine Bestandsauf nahme zur transatlantischen Partnerschaft - Konrad-Adenauer-Stiftung
Editorial

                       Liebe Leserinnen und Leser,

    die ersten zwei Jahre Donald Trumps als 45. Präsident der Verei-
    nigten Staaten haben das Vertrauen der Europäer in die USA als
    Partner stark in Mitleidenschaft gezogen und die transatlantischen
    Beziehungen belastet. Die vorliegende Bestandsaufnahme zur
    amerikanischen Außenpolitik unter Trump, die sich der tatsäch-
    lichen Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA in fünf
    Regionen und fünf Politikfeldern widmet, zeichnet dennoch ein
    differenziertes Bild mit einigen Lichtblicken. Während die Politik
    Trumps stärker national, unilateral und protektionistisch ausge-
    richtet und durch einen konfrontativen Stil geprägt ist, hat dies die
    Schnittmenge zwischen amerikanischen und deutschen Interes-
    sen zwar verringert, eine pragmatische Kooperation in wichtigen
    Politikbereichen aber nicht verhindert. Die Außenpolitik Trumps
    setzte in den vergangenen zwei Jahren in vielerlei Hinsicht die
    traditionellen Linien amerikanischer Politik fort. So ist auch die
    Wahrung der transatlantischen Partnerschaft, die für Deutschland
    insbesondere im sicherheits- und wirtschaftspolitischen Bereich
    alternativlos ist, nach wie vor möglich und nötig.

    Viel historische Kontinuität in der Außenpolitik

    Wie unsere Autoren zeigen, waren insbesondere die Sicherheits- und
    Russlandpolitiken der Trump-Administration überwiegend durch
    Kontinuität geprägt. So hat Trump – trotz allen rhetorischen Säbel-
    rasselns – am wichtigsten transatlantischen Bündnis – der NATO –
    festgehalten. Mehr noch: Die Amerikaner haben in den vergangenen
    zwei Jahren ihre Präsenz in Europa zur Abschreckung Russlands
    wieder deutlich verstärkt. Auch der Kurs gegenüber China steht in
    vielerlei Hinsicht in Kontinuität zur bisherigen Außenpolitik, wenn
    er auch durch andere Mittel und deutlich aggressiver verfolgt wird.
    Mit dem Rückzug aus dem Nahen Osten knüpft Trump an die Poli-
    tik Obamas an. Die Aufkündigung des Nuklearabkommens mit
    dem Iran stellt eine Rückkehr zur traditionellen amerikanischen
    Nahostpolitik dar und „korrigiert“ die historische „Anomalie“ der
    Annäherung unter Obama. Ähnliches gilt für den Ausstieg aus dem
    Pariser Klimaabkommen. Die scheinbare, unilaterale Wende der
    amerikanischen Außenpolitik ist historisch betrachtet kein Bruch,

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sondern folgt der traditionellen amerikanischen Logik, die das
multilaterale System rein realpolitisch als Mittel zum Zweck – der
Durchsetzung amerikanischer Sicherheits- und Wirtschaftsinte-
ressen – betrachtet. Als klarer Bruch mit traditionellen Maximen
amerikanischer Außenpolitik lässt sich der neue Protektionismus
in der Handelspolitik identifizieren, wobei die kritische Haltung
gegenüber der Welthandelsorganisation bereits aus der Zeit von
Präsident George W. Bush stammt und stets auch handelskritische
Stimmen innerhalb der USA Gehör fanden.

Ein neuer transaktionistischer Stil

Verändert haben sich in erster Linie der Stil und die Rhetorik des
Präsidenten. Durch den transaktionistischen, teils erratischen
Stil Trumps hat eine neue Logik Einzug in die US-Außenpolitik
gehalten. Getreu seinem Wahlkampfmotto „America first“ – eine
überspitzte Kontinuität des von Obama propagierten „Nationbuil-
ding at home“ – wird die amerikanische Außenpolitik stärker an
innenpolitischen Wählergruppen ausgerichtet. Die Politik Trumps
ist Symptom eines tiefergreifenden innenpolitischen Wandels in
den USA. Sie trägt der zunehmenden Spaltung der amerikani-
schen Gesellschaft Rechnung, die sich bereits seit mehreren Jahren
abzeichnet und Resultat eines wirtschaftlichen und sozio-poli‑
tischen Strukturwandels ist. Wie die amerikanischen Zwischen-
wahlen gezeigt haben, wird die Politik Trumps von einem beacht-
lichen Teil der amerikanischen Bevölkerung mitgetragen. Hierzu
gehört auch die aggressive Rhetorik des Präsidenten, die diesen
Kurs klar artikuliert.

Die transatlantischen Beziehungen sind alternativlos

Die transatlantischen Beziehungen werden – der Logik Trumps
folgend – von US-Seite heute mehr denn je als Mittel zum Zweck
und weniger als Wertepartnerschaft verstanden. Mit einem Kurs-
wechsel der USA – auch über Trump hinaus – ist aufgrund der
innenpoli­tischen Veränderungen nicht zu rechnen. Die mediale
Fokussierung auf Trump sowie der Stil und die Rhetorik des

                                                                     3
Der Blick nach Westen - AUSLANDSINFORMATIONEN - Eine Bestandsauf nahme zur transatlantischen Partnerschaft - Konrad-Adenauer-Stiftung
Editorial

    Präsidenten haben das Vertrauen in die USA als verlässliche
    Schutz- und Ordnungsmacht in Mitleidenschaft gezogen. Gleich-
    zeitig bleiben die transatlantischen Beziehungen aus europäischer
    Sicht mit Blick auf andere Weltregionen und Werteverständnisse
    alternativlos. Die Kongruenz der gemeinsamen Interessen hat
    sich in den vergangenen zwei Jahren in den zehn untersuchten
    Bereichen verringert. Doch unsere Autoren zeigen, dass einer
    pragmatischen Kooperation in vielen Bereichen bislang nichts im
    Wege stand und weiterhin stehen wird. Dies betrifft in erster Linie
    die Zusammenarbeit im für Europa wohl wichtigsten transatlanti-
    schen Kooperationsfeld, der Sicherheitspolitik – insbesondere im
    Hinblick auf Russland und den Kampf gegen den internationalen
    Terrorismus. Auch im Bereich der Digitalisierung, dessen Bedeu-
    tung in Zukunft für beide Seiten noch weiter zunehmen wird, ist
    eine Kooperation möglich. Im Hinblick auf China und den Iran
    verfolgen die USA und Deutschland durchaus kongruente Ziele,
    streiten aber über die richtigen Mittel. Diametral gegenüber stehen
    sich die USA und Deutschland im Bereich der regelbasierten, multi-
    lateralen Ordnung – inklusive der Klima- und Entwicklungspolitik
    und des internationalen Handels – sowie mit Abstrichen auch im
    Hinblick auf das Vorgehen im Nahostkonflikt.

    Die Wahrung der Partnerschaft ist möglich

    In den nächsten zwei Jahren der Trump-Präsidentschaft wird es
    deshalb darauf ankommen, mit den USA im Dialog zu bleiben und
    die Beziehungen pragmatisch auszugestalten. Deutschland kann
    die für seine Interessen unerlässliche regelbasierte Weltordnung
    nicht ohne die USA und erst recht nicht gegen die USA verteidi-
    gen. Die föderalen Systeme und unterschiedlichen Akteurskons-
    tellationen der beiden Länder bieten jedoch Möglichkeiten eines
    vielschichtigen Dialogs. Transatlantische Freundschaft heißt dabei
    nicht, durchgängig einer Meinung zu sein. Deutschland und die
    EU müssen Mut zur klaren Positionierung beweisen. Für die USA
    gilt der Wettbewerb der Ideen auch in der Politik. Sachliche Kritik
    wird in den USA – wenn nicht von allen, aber von vielen – auch
    als Stärke und Zeichen des Respekts verstanden. Themen von

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gegenseitigem Interesse müssen daher konkretisiert, fundiert und
auch in die Öffentlichkeit getragen werden. Im Hinblick auf die
multilaterale Ordnung müssen Deutschland und die Europäische
Union aktiv in die Bereiche vordringen, aus denen sich die USA
zurückziehen. Mit dem Bemühen um multilaterale Partner – z. B.
Kanada, Australien, die lateinamerikanischen Staaten und Japan –
können die transatlantischen Beziehungen komplementiert, nicht
aber ersetzt werden. Maßgeblich entscheidend für die Bewahrung
der Beziehungen zu den USA wird sein, die Europäische Union
nach innen und außen handlungsfähiger zu machen und mehr Ver-
antwortungen in der internationalen Politik zu übernehmen. Die
aktuelle „Entzauberung“ der transatlantischen Beziehungen kann
hier als wichtiger Katalysator wirken.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai),
stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Euro­
päische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-
Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

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Der Blick nach Westen - AUSLANDSINFORMATIONEN - Eine Bestandsauf nahme zur transatlantischen Partnerschaft - Konrad-Adenauer-Stiftung
Inhalt

Der Blick
nach Westen

BINNENPERSPEKTIVEN

8
Der Fast-Forward-Präsident
Inwiefern Donald Trump vor allem
langfristige Trends beschleunigt
Paul Linnarz

10
Ernüchterung
Die europäische Perspektive auf die
transatlantischen Beziehungen
Olaf Wientzek

REGIONALE PERSPEKTIVEN

12
Viel Rhetorik, wenig Wandel
Der Umgang mit Russland unter Trump
Claudia Crawford / Philipp Dienstbier

14                                              18
Weniger Trump, mehr Europa!                     Trump, China und Europa
Amerikas Schlagseite im Nahen Osten erfordert   Was vom „Pivot to Asia“ übrig blieb
ein stärkeres europäisches Engagement           Rabea Brauer / Alexander Badenheim
Edmund Ratka / Marc Frings / Fabian Blumberg
                                                20
16                                              Mehr als Mauern
Viel Lärm um nichts                             Lateinamerikas Rolle im Dreieck
Trumps Afrikapolitik und ihre Folgen für        mit Europa und den USA
Europa                                          Hans-Hartwig Blomeier / Patricio Garza Girón /
Christoph Plate                                 Christian E. Rieck

6                                                        Auslandsinformationen 1|2019
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T H E M AT I S C H E P E R S P E K T I V E N

22
„America First“
Sicherheitspolitik in der Ära Trump
Nils Wörmer / Benjamin Fricke

24
Ein transatlantisches Relikt?                  28
Zur Zukunft der WTO und ihrer Rolle für die    America Alone
transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen       Transatlantische Herausforderungen im
David Gregosz                                  Bereich Klima und Energie
                                               Céline-Agathe Caro
26
Zwischen Innovation und Regulierung            30
Zur Notwendigkeit transatlantischer            Zerstörer der liberalen Weltordnung?
Kooperation im digitalen Raum                  Trumps Unilateralismus und seine Folgen
Sebastian Weise                                Andrea E. Ostheimer

Der Blick nach Westen                                                                    7
Der Blick nach Westen - AUSLANDSINFORMATIONEN - Eine Bestandsauf nahme zur transatlantischen Partnerschaft - Konrad-Adenauer-Stiftung
Quelle: © Carlos Barria, Reuters.
          Der Fast-Forward-Präsident
                            Inwiefern Donald Trump vor allem
                              langfristige Trends beschleunigt

                                          Paul Linnarz

Mit seinen Kurzmitteilungen per Twitter irritiert, USA zu multilateralen Schlichtungsverfahren bis
brüskiert, ja schockiert US-Präsident Donald heute. Darüber hinaus geht auch die Entschei-
Trump nicht nur seine politischen Gegner im        dung der NATO-Mitgliedstaaten, zwei Prozent
eigenen Land, sondern auch enge Verbündete im ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Ver-
Ausland. Im Kern „neu“ sind viele seiner umstrit- teidigung aufzuwenden, bereits auf das Jahr
tenen Positionen deshalb aber noch lange nicht: 2002 zurück. Die Bestätigung des Richtwerts
2001 hatten die USA, damals unter George W. fiel 2014 in die Amtszeit von Barack Obama.
Bush, das Klimaschutz-Abkommen von Kyoto Dieser sprach, anders als heute, zwar nicht von
abgelehnt. Im Jahr darauf verabschiedete sich „Make America Great Again“; seine Anhänger
das Weiße Haus aus dem ABM-Vertrag über adressierte der demokratische Ex-Präsident
die Begrenzung von antiballistischen Raketen- aber schon vor Jahren mit der sinnverwandten
abwehrsystemen. Iran wird auch nicht erst seit Forderung nach „Nationbuilding here at home“.
dem Amtsantritt von Donald Trump vorgewor- Kurzum: Die Erwartungen und Streitpunkte, um
fen, im Nahen und Mittleren Osten Terroristen      die im transatlantischen Verhältnis auf hoher
zu unterstützen. Höhere Zölle auf Stahl- und und höchster politischer Ebene derzeit gerungen
Aluminiumimporte hatte Präsident Bush trotz wird, haben fast durchgängig eine lange Vorge-
internationaler Proteste bereits 2002 verhängt. schichte. Nicht umsonst ist in Regierungskreisen
Im darauffolgenden Jahr wurden die Einfuhrge- häufig die Rede davon, Donald Trump habe in
bühren von der Welthandelsorganisation dann vielen Bereichen gewissermaßen nur die „Fast
für unrechtmäßig erklärt. Die damalige Entschei- Forward“- Taste gedrückt.
dung der WTO prägt die kritische Haltung der

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Polarisierung als Strategie                            „Wenn das passiert“, so Trump, „werden wir das-
                                                        selbe tun und die Regierung kommt zum Still-
Dementsprechend spricht auch wenig dafür,               stand.“ Die Schuld dafür liege in dem Fall bei
dass die US-Regierung auf Bitten ihrer auslän-          den Demokraten, versicherte der Präsident. Ob
dischen Partner absehbar einen Kurswechsel              sich deren Abgeordnete und Anhänger, zumal die
einleiten oder „den Druck aus dem Kessel“ neh-          weiblichen und die Vertreter der Minderheiten,
men könnte. Auch die Zwischenwahlen Ende des            mit den von Trump abgesteckten Chancen und
letzten Jahres geben diesbezüglich keinen großen        Grenzen für die checks and balances arrangieren
Anlass zur Hoffnung: Zwar stand der umstrittene         werden, ist im aufgeheizten und polarisierten
Präsident 2018 stärker im Mittelpunkt als seine         Amerika derzeit fraglich. Die von Robert Kagan
Vorgänger, Zustimmung (26 Prozent) und Ableh-           2003 in „Of Paradise and Power“ aufgestellte
nung (34 Prozent) lagen bei Donald Trump aber           These: „Amerikaner sind vom Mars und die
näher beieinander als etwa bei Barack Obama             Europäer von der Venus“ markiert heute im über-
2014 (pro: 17, contra: 30 Prozent) oder 2006 bei        tragenen Sinne jedenfalls auch die poli­tischen
George W. Bush (pro: 18, contra: 31 Prozent). Im        Realitäten innerhalb der USA. „Stillstand“ können
Ergebnis verloren die Republikaner im Novem-            sich Demokraten und Republikaner trotz aller
ber zwar ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus,           Meinungsunterschiede und Emotionen ebenso
konnten den Senat aber erfolgreich verteidigen – ein    wie Europa und die USA dennoch nicht leisten.
für Zwischenwahlen eher untypischer Erfolg, den         Am Ende würden beide verlieren.
Trump nicht zuletzt der für ihn typischen Strate-
gie der Polarisierung verdankt. Die Spaltung der
amerikanischen Gesellschaft hat unter Trump            Paul Linnarz ist Leiter des Auslandsbüros der
indes weiter zugenommen: Bei den Zwischen-             Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington D.C.

wahlen gaben nur neun Prozent aller Wähler an,
die USA seien stärker geeint, während 76 Prozent
die Auffassung vertraten, die Gesellschaft bewege
sich auseinander. Den US-Präsidenten stellt diese
Entwicklung vor nicht unerhebliche Herausforde-
rungen.

Konfrontationskurs absehbar

Gut möglich also, dass Donald Trump in den
nächsten beiden Jahren gegen die demokrati-
sche Mehrheit im Repräsentantenhaus einen
harten Konfrontationskurs fahren wird, wie wir
ihn zuletzt in der erbitterten Auseinandersetzung
über den Haushalt und den Mauerbau an der
Grenze zu Mexiko erlebt haben. Dieses Rezept
zur Wiederwahl hatte erfolgreich schon Harry
Truman angewendet, nachdem er die Mehrheit
in beiden Kammern des Kongresses bei den
Zwischenwahlen an die Republikaner abtreten
musste. Einen harten Konfrontationskurs dürfte
Trump insbesondere dann einschlagen, wenn die
Demokraten ihn, wie es ein Journalist in seiner
Frage ausdrückte, „mit einem Sturm von Vorla-
dungen zu allem von der Russland-Untersuchung
[…] bis zu Ihren Steuererklärungen“ überziehen.

Der Blick nach Westen                                                                                  9
Quelle:
                                                                                                    Quelle: ©
                                                                                                            © Itar
                                                                                                               Francois
                                                                                                                   Tass, Lenoir,
                                                                                                                         Reuters.Reuters.
                            Ernüchterung
                            Die europäische Perspektive auf die
                              transatlantischen Beziehungen

                                         Olaf Wientzek

Der anfängliche Schock nach den US-Präsident-     überzeugten Transatlantikern zu großer Ernüch-
schaftswahlen 2016 ist in der EU inzwischen       terung. Sinnbildlich dafür waren die Worte des
Ernüchterung gewichen. Die europäischen           Präsidenten des Europäischen Rats, Donald Tusk,
Reaktionen auf die neuen transatlantischen        im Mai 2018: „Die letzten Entscheidungen […]
Unwägbarkeiten sind vielfältig: mehr EU-Zusam-    betrachtend, könnte man denken: Mit Freunden
menarbeit anstreben, gleichgesinnte Partner       wie diesen, wer braucht da Feinde?“
suchen, Reihen schließen, Dialogmöglichkeiten
ausloten.                                         Reaktionen der EU

„Mit Freunden wie diesen,                         1. Mehr europäische Zusammenarbeit in der
 wer braucht da Feinde?“                          Sicherheitspolitik: Der als erratisch empfun-
                                                  dene außenpolitische Kurs Trumps verlieh den
Während sich einige Bedenken als übertrieben      Überlegungen, die gemeinsame Sicherheits- und
herausstellten, wurden andere bestätigt. Die      Verteidigungspolitik der EU zu stärken, neuen
Relativierung internationaler Institutionen und   Elan. Ziel: Den beachtlichen Rückstand zu den
Abkommen sowie das unberechenbare Auftre-         USA in Forschung, Fähigkeiten und Einsatz­
ten in wichtigen Formaten (G7) durch Washing-     bereitschaft nicht noch weiter anwachsen zu
ton wird in der EU mit großer Sorge gesehen.      lassen. Dennoch bleibt die EU vom in der 2016
Die als konfrontativ und unberechenbar wahr-      beschlossenen Globalen Strategie formulier-
genommene Haltung der USA führt auch bei          ten Ziel einer „strategischen Autonomie“ noch

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Lichtjahre entfernt. Insbesondere für die balti-       Resonanz. Marine Le Pen etwa ist im Vorfeld der
schen Länder aber auch für Polen sind die Sicher-      Europawahlen um Distanz bemüht. Die traditio­nell
heitsgarantien durch die NATO nach wie vor ein         transatlantisch gesinnte Europäische Volkspartei
wichtigerer Garant für die eigene Unversehrtheit.      (EVP) versucht es mit einer differenzierten Strate-
                                                       gie: 1. Bekenntnis zur trans­atlantischen Partner-
2. Mehr Zusammenarbeit mit Gleichgesinn-               schaft, 2. Pflege von Kontakten zu gleichgesinnten
ten: Angesichts des Rückzugs der USA aus meh-          Stimmen im Kongress, 3. Entgegenkommen, wo
reren multilateralen Formaten wurde eine engere        die Kritik als gerechtfertigt wahrgenommen wird
Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten angestrebt.         und 4. Widerstand, wenn die EU auf grundsätz­
Das gelang vor allem in der Handelspolitik:            licher Ebene ange­griffen wird.
Freihandelsabkommen mit Japan, eine grund-
sätzliche Einigung mit Mexiko sowie laufende           6. Unterschiede bei den Mitgliedstaaten: Nicht
Verhandlungen mit Australien und Neuseeland.           alle Mitgliedstaaten zeigen sich gleichermaßen
In der Klimapolitik gelang es zumindest, u. a. mit     ernüchtert: Die polnische PiS-Regierung setzt
China, Japan oder Kanada, den Willen zu einer          etwa weiter auf amerikanische Militärpräsenz.
ehrgeizigen Umsetzung des Klimaabkommens               Länderspezifische Unterschiede gibt es auch in
zu bekräftigen.                                        der öffentlichen Meinung. Nach einer Gallup-
                                                       Umfrage ist in den meisten Ländern das Miss-
3. Reihen schließen: Bemerkenswert ist der             trauen gegenüber Trump und den USA stark
Grad an Geschlossenheit innerhalb der EU bei           ausgeprägt. Dies gilt vor allem für Westeuropa,
Handelsfragen. Versuche, einen Keil zwischen           die skandinavischen Länder und die iberische
die Europäer zu treiben, blieben bislang erfolglos.    Halbinsel. Nur in vier EU-Staaten überwiegen
Die Politik der Trump-Administration hat eher          noch die positiven Bewertungen: Polen, Italien,
dafür gesorgt, die Fliehkräfte innerhalb der EU        Ungarn und Rumänien.
zu schwächen, denn sie zu stärken.
                                                       Jähes Erwachen
4. USA weiterhin einbinden: Alternativen
zur transatlantischen Partnerschaft sind dünn          Der Zustand der transatlantischen Beziehungen
gesät. Rufe nach einer Politik der Äquidistanz         zwingt die EU dazu, eine strategische Debatte
zwischen den USA und Russland sind eher von            zu führen, auf die sie bislang nur unzureichend
den politischen Rändern zu vernehmen. Durch            vorbereitet ist. Während die USA sich bereits auf
seine Rolle im Ukraine- und Syrienkonflikt hat         einen Systemwettbewerb mit China vorbereiten,
Russland in den Augen vieler Europäer jegliche         ist die EU von einer einheitlichen Chinastrategie
Glaubwürdigkeit verspielt. Auch der Vertrau-           noch weit entfernt. Insofern war das Aufwachen
ensvorschuss gegenüber China ist begrenzt. Die         aus der transatlantischen Traumwelt unvermeid-
Interessen in zentralen Politikbereichen sind zu       lich, geschah aber ruppiger, als es der EU lieb sein
unterschiedlich. Entsprechend bemüht sich die          kann. Wichtig wäre, auch einem schwierigeren
EU, den Gesprächsfaden mit den USA in mehre-           transatlantischen Partner deutlich zu machen,
ren Dossiers (u. a. WTO) wieder aufzunehmen            dass über kurzfristige Deals hinaus funktions-
und Kontakte auch jenseits des Weißen Hauses           fähige internationale Institutionen und enge
(Kongress, Zivilgesellschaft) zu pflegen.              transatlantische Zusammenarbeit entscheidende
                                                       Faktoren im künftigen Systemwettbewerb sind.
5. Resonanz in der Parteienlandschaft: Der
Einfluss des Trump-Erfolgs auf die europäische
Parteienlandschaft ist noch nicht abschließend         Olaf Wientzek ist Koordinator für Europapolitik der
einzuschätzen. Einige rechtspopulistische Parteien     Konrad-Adenauer-Stiftung.

hatten sich neuen Schub erhofft; dies ist aber nur
eingeschränkt festzustellen. Auch Steve Bannons
Initiative The Movement erfährt bislang nur begrenzt

Der Blick nach Westen                                                                                    11
Quelle: © Itar Tass, Reuters.
                                                                                                                                    Quelle: © Marcos Brindicci, Reuters.
          Viel Rhetorik, wenig Wandel
                            Der Umgang mit Russland unter Trump

                                Claudia Crawford / Philipp Dienstbier

Die Wahl von Präsident Donald Trump in den            des Atlantiks nie vollkommen homogen. Obwohl
Vereinigten Staaten versetzte Politiker in Deutsch-   Deutschland Russland immer tendenziell stärker
land und Europa in Unruhe. Trump fiel im Wahl-        auf partnerschaftliche Weise und unter koopera-
kampf durch fast bewundernde Töne gegenüber           tiven Aspekten betrachtete als das die USA taten,
dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf         herrschte in den großen außenpolitischen Linien
und zeigte ein von Geschäftslogik geprägtes Ver-      grundsätzliche Einigkeit. So bestanden nie Zwei-
ständnis von Außenpolitik und internationalen         fel an der Vorrangigkeit der transatlantischen
Bündnissen. Nach zwei Jahren Trump-Regierung          Allianz vor einer Partnerschaft mit Russland. Die
scheinen die existenziellsten Sorgen vor einem        russische Annexion der Krim sowie der Konflikt
Paradigmenwechsel der US-Politik in Osteuropa         in der Ostukraine führten zudem zu einer wei-
jedoch unbegründet, denn diese steht insgesamt        teren Konvergenz der transatlantischen Politik
viel stärker für Kontinuität als eingangs erwartet.   gegenüber Russland nach 2014.
Dort, wo es Differenzen zwischen Zielen und Inte-
ressen der USA und Deutschland gibt, bestanden        Diese größtenteils kohärente Ostpolitik fußt
diese im Kern bereits zuvor.                          traditionell auf der gemeinsamen Aufrechter-
                                                      haltung der Regeln und Prinzipien der euro-
Transatlantische Ostpolitik                           päischen Friedensordnung, durch nukleare
                                                      Rüstungskontrollverträge, die Förderung einer
Die Gemengelage der Ziele und Interessen im           stabilen, demokratischen und prosperierenden
postsowjetischen Raum war auf beiden Seiten           Nachbarschaft Europas sowie die Abschreckung

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russischer Destabilisierungsversuche, besonders        Präsi­denten ab. Die USA setzen ihre Zusam-
im Kontext der NATO.                                   menarbeit im Rahmen der NATO weiterhin fort
                                                       und nehmen etwa an sämtlichen NATO-Militär­
Kein struktureller Wandel seit Trump                   übungen in russischen Nachbarstaaten teil. Mit
                                                       dem Verkauf von letalen Defensivwaffen an die
Mit Trumps Antritt zum US-Präsidenten Anfang           Ukraine gehen sie in ihrer militärischen Absiche-
2017 keimte die Frage auf, ob die beschriebene         rung von Verbündeten vis-à-vis Russland sogar
Zusammenarbeit sich strukturell verändern würde.       weiter als unter Präsident Barack Obama.
Unbestätigte Indizien eines möglichen Austau-
sches zwischen Trumps Wahlkampfteam und Ver-           Alte Bruchlinien
tretern der russischen Regierung sowie fundierte,
durch US-Geheimdienste verifizierte Hinweise auf       Trotzdem gibt es auch Differenzen zwischen der
eine russische Einmischung in den US-Wahlkampf         amerikanischen und europäischen Politik im
öffneten dieser Sorge Tür und Tor. Mit öffentlich-     postsowjetischen Raum. Die nukleare Rüstungs-
keitswirksamen Manövern, wie Trumps Treffen            kontrolle ist ein solcher Bereich – hier votiert
mit Putin in Helsinki im Juli 2018, artikulierte der   die Trump-Regierung etwa für einen Rückzug
Präsident eine unzureich­end kritische, möglicher-     vom INF-Vertrag über nukleare Mittelstrecken­
weise befangene Haltung gegenüber Russland und         systeme, dessen Fortbestand als Pfeiler der euro-
schürte damit Sorgen, von der bisherigen Einhe-        päischen Friedensarchitektur für Deutschland
gung Russlands abweichen zu wollen.                    von großem Interesse ist. Auch die Wahrung der
                                                       deutschen Wirtschaftsinteressen in Russland
Jenseits der beschwichtigenden präsidentiellen         steht für Trump zur Disposition. Hier tritt eine an
Rhetorik verfolgen die USA jedoch de facto eine        Eigeninteressen orientierte US-Politik besonders
zweite Russlandpolitik. Diese wird maßgeblich          deutlich in der Debatte um die Gaspipeline Nord
geprägt durch Institutionen und Entscheidungs-         Stream 2 zu Tage. Trotzdem hat Trump auch
träger außerhalb des Weißen Hauses, etwa den           in diesen Bereichen keinen radikalen Politik-
ehemaligen Verteidigungsminister Jim Mat-              wechsel herbeigeführt. Auch schon Obama und
tis, den Außenminister Mike Pompeo oder den            George W. Bush nahmen eine kritische Haltung
US-Kongress, die eine kritische Haltung gegen-         zum Nord Stream-Projekt ein oder stellten Rüs-
über Russland einnehmen und angestammte                tungsverträge infrage, wenn sie amerikanischen
politische Grundlinien fortführen. Belegt wird         Interessen vermeintlich nicht dienlich waren.
dies etwa durch weitere Sanktionen gegen russi-
sche Ziele, darunter auch enge Vertraute Putins,
die teilweise eng mit den europäischen und deut-       Claudia Crawford ist Leiterin des Auslandsbüros der
schen Verbündeten abgestimmt wurden.                   Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau.

                                                       Philipp Dienstbier ist Referent im Team Europa /
Außerdem schürte Trumps Gebaren anfangs die            Nordamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Sorge, mit seinem „America first“-Mantra seien
die USA nunmehr auf den größtmöglichen eige-
nen Vorteil und Verminderung von kostspieliger
Unterstützung ohne Gegenleistung aus. Indem
Trump im Wahlkampf beispielsweise die NATO
für obsolet erklärte, säte er Zweifel, in welchem
Maße die USA weiterhin die europäische Friedens­
ordnung und osteuropäische Verbündete im
NATO-Rahmen verteidigen würden.

Auch in diesem Bereich hebt sich die tatsäch-
lich verfolgte Politik allerdings vom Diskurs des

Der Blick nach Westen                                                                                     13
Quelle: © Jonathan Ernst, Reuters.
       Weniger Trump, mehr Europa!
                       Amerikas Schlagseite im Nahen Osten erfordert
                          ein stärkeres europäisches Engagement

                           Edmund Ratka / Marc Frings / Fabian Blumberg

Donald Trump setzt den schon von seinem Vorgän-       Gemeinsames Interesse an Stabilität –
ger Barack Obama eingeleiteten Rückzug der USA        aber um welchen Preis?
aus den Verstrickungen der arabischen Welt fort
und stärkt gleichzeitig die Verbindungen zu tradi­    Bereits Obama war von der transformativen
tionellen US-Verbündeten in der Region. Dazu          Agenda für die Region abgerückt, der sich die USA
gehört neben dem Lager pro-westlicher sunni­          unter Präsident George W. Bush verschrieben
tischer Staaten – allen voran Saudi-Arabien – auch    hatten und die „pro-aktiv“ den demokratischen
Israel. Im Nahostkonflikt haben sich die USA deut-    Wandel vorantreiben wollten. Nachdem sich die
licher denn je an die Seite der Netanjahu-Regierung   im „Arabischen Frühling“ aufkeimenden Hoff-
gestellt und bislang einseitig den Druck auf die      nungen nicht erfüllt haben und angesichts der
Palästinenser erhöht. Die Europäer sollten deshalb    Sorge vor Terrorismus und neuen Migrationsströ-
mehr Verantwortung in ihrer Nachbarschaft über-       men hat man sich auch in Europa wieder einem
nehmen und die Trump’sche Schlagseite in Nahost       Stabilitäts- und Sicherheitsparadigma für den
ausbalancieren. Perspektivisch müssen Amerika-        Nahen Osten verschrieben. Dass dieses durchaus
ner und Europäer – vor allem auch angesichts neu      Perspektiven für gemeinsames Handeln ermög-
erstarkter Akteure in der Region wie Russland –       licht, zeigt sich etwa beim Kampf gegen den soge-
allerdings darum bemüht sein, ihre Politikansätze     nannten Islamischen Staat in Syrien und im Irak.
wieder näher zusammenzuführen oder im Sinne
einer trans­atlantischen Aufgabenteilung komple-      Neben geopolitischen Rivalitäten sind es jedoch
mentär zu agieren.                                    letztlich die strukturellen Probleme in den über‑

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kommenen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Herr-      angekündigt, um den Dauerkonflikt zwischen
schaftssystemen in den arabischen Ländern, die       Israelis und Palästinensern zu lösen, aber bislang
die Region in steter Unruhe halten. Angesichts der   noch keine Strategie ausformuliert. Fest steht,
aktuellen, sehr Status quo- und staatszentrierten    dass er in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit
US-Nahostpolitik unter Trump, obliegt es den         Fakten geschaffen hat, die einseitig die palästinen-
Europäern, mit den arabischen Herrschaftseliten      sische Seite unter Druck setzen. Dazu gehört die
einen kritischen Dialog darüber zu suchen und        Anerkennung Jerusalems als israelische Haupt-
die Reformkräfte in den Zivilgesellschaften, wo      stadt samt Verlegung der US-Botschaft sowie das
immer möglich, miteinzubeziehen und zu stärken.      Streichen von Hilfsgeldern für die Palästinenser.

Geopolitik am Golf: Mit Riad gegen Teheran?          Daher ist Europa gefordert, wenigstens eine
                                                     Überbrückungsstrategie zu entwerfen, um die
Während sich Obama gemeinsam mit den Euro-           Hoffnung auf das Zustandekommen der Zwei-
päern bemühte, Iran sukzessive in eine regio-        staatenlösung nicht komplett erodieren zu lassen.
nale Sicherheitsarchitektur einzubinden, setzt       Da das Oslo-Modell, also bilaterale Verhandlun-
Trump auf Eindämmung und erhöht den Druck            gen unter der Ägide eines Vermittlers, in den ver-
auf die Islamische Republik. Aus dem 2015 unter-     gangenen 25 Jahren nicht erfolgreich war, muss
zeichneten Atom-Abkommen, das die Europäer           Europa über einen alternativen Konfliktregelungs-
unbedingt erhalten wollen, stieg er einseitig aus    mechanismus nachdenken. Studien zeigen, dass
und setzte das Sanktionsregime wieder in Kraft.      israelische und palästinensische Mehrheiten für
Daneben intensivierte Trump die Beziehungen          eine Zweistaatenlösung eher zustande kämen,
zu Irans großem Rivalen und dem traditionellen       würde ein multilaterales Forum die Umsetzung
US-Verbündeten Saudi-Arabien.                        der Arabischen Friedensinitiative voranbringen.

Europa kommt damit eine vermittelnde, deeska-        Mehr europäische Verantwortung
lierende Rolle zu. Wenn es Saudi-Arabien und
die mit ihm verbündeten Golf-Staaten zu einem        Es wird Zeit für Europa, mehr Verantwortung
konstruktiveren regionalpolitischen Verhalten        in seiner unruhigen Nachbarschaft zu überneh-
anregen will, sollte es ihnen aber gleichzeitig zu   men – dies gilt in Zeiten von Trump umso mehr.
verstehen geben, dass es deren Sicherheitsbe-        Wo möglich sollte sich Deutschland engagiert
denken ernst nimmt. Dazu gehört vor allem, die       um transatlantische Zusammenarbeit bemühen.
hegemonialen Ambitionen und die expansive            Doch vor allem sollte es eine führende Rolle dabei
Regionalpolitik des Iran als tatsächliches Prob-     einnehmen, europäische Handlungsfähigkeit im
lem zu erkennen und sich zu bemühen, diese ein-      Nahen Osten zu stärken, sei es im EU-Format, im
zuhegen. Eine Kombination aus amerikanischem         Rahmen von Ad-hoc-Koalitio­nen europäischer
Druck und europäischen Anreizen gegenüber            Staaten (die dann auch das mögliche Nicht-Mitglied
Teheran könnte dafür nützlich sein.                  Großbritannien mit einschließen können) oder
                                                     deutsch-französischer Zusammenarbeit.
Zankapfel Nahostkonflikt: Verspielt
Trump die Zweistaaten-Lösung?
                                                     Dr. Edmund Ratka ist Referent im Team Naher Osten
Im israelisch-palästinensischen Konflikt teilen      und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Amerikaner und Europäer, allen voran die Deut-
                                                     Marc Frings ist Leiter des Auslandsbüros der
schen, das Interesse an der Sicherheit Israels.      Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah.
Zugleich gehörte bislang das Recht der Palästi-
nenser auf Selbstbestimmung und – nach einer         Fabian Blumberg ist Leiter des Regionalprogramms
                                                     Golfstaaten der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz
Verhandlungslösung mit Israel – auf einen eigenen
                                                     in Amman, Jordanien.
Staat zum transatlantischen Konsens in Nahost.
Trump hat zwar einen „Deal des Jahrhunderts“

Der Blick nach Westen                                                                                15
Quelle: © Itar
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                                                                                                                        Lamarque,
                                                                                                                            Reuters.Reuters.
                    Viel Lärm um nichts
                     Trumps Afrikapolitik und ihre Folgen für Europa

                                         Christoph Plate

Die Afrikapolitik Donald Trumps ist dominiert      Rhetorische Kehrtwende
vom Kampf gegen den Terrorismus und von
der Konkurrenz mit China. Gänzlich anders als      Obama hat den USA viele Sympathien in Afrika
unter seinem Vorgänger Barack Obama ist die        eingebracht, auch wenn dies nicht gleichbedeu-
Rhetorik des derzeitigen Amtsinhabers gegen-       tend war mit mehr finanzieller Unterstützung oder
über dem Kontinent. Trump wird deshalb von         besseren Handelsbedingungen. Im Grunde hat
vielen Beobachtern in Afrika als feindselig und    Obama lediglich die Initiativen seiner Vorgänger
rassistisch empfunden. Die USA jedoch stehen       fortgesetzt und kaum neue Programme einge-
in Afrika nach wie vor für das Ideal, dass jeder   leitet. Er hat diesen Status quo aber mit wohl-
eine Chance hat, und sind unverändert das Ziel     klingenden Reden abgefedert. Trump nimmt
vieler Auswanderungswilliger. Ein Stipendium       solche Rücksichten nicht, setzt aber in Vielem
in den USA ist deutlich angesehener als eines an   das fort, was Obama auch getan hat. Trumps
einer Universität in Peking. Genauso vermitteln    Sicherheitsberater John Bolton hat Mitte Dezem-
amerika­nische Rapmusik oder Kleidung aus den      ber 2018 die Afrikastrategie der Trump-Admi-
USA immer noch ein Lebensgefühl, an das chi-       nistration vorgestellt. Diese lässt sich auf drei
nesische Karaokemaschinen nicht heranreichen       Punkte reduzieren: wirtschaftliche Erfolge für
können.                                            alle Beteiligten, auch um den Chinesen die Stirn

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zu bieten. Sie und Russland werden als „Raub-        die Justiz zu beeinflussen, ist ein Zeichen, dass
tiere“ bezeichnet, die Afrika in Abhängigkeit zu     man es in Afrika mit bestimmten ehernen Prin-
bringen versuchen. Weiter soll der islamistische     zipien nicht so genau nehmen muss. Indirekt
Terrorismus bekämpft werden und drittens jeder       hat zudem Trumps Rückzug aus VN-Organi-
ausgegebene US-Dollar amerikanischen Interes-        sationen einen Effekt auf Afrika und das euro-
sen dienen.                                          päische Engagement dort, da der Staatenbund
                                                     Ordnungsfunk­tionen auf dem Kontinent wahr-
Wohl kaum ein Land in der westlichen Hemi-           nimmt. Vermutlich richtet sich Afrika auf diesen
sphäre hat historisch derart belastete Beziehungen   Präsi­denten ein. Man weiß, dass es nicht länger
zu Afrika wie die Vereinigten Staaten von Ame-       als acht Jahre dauern kann. Das ist eine über-
rika. Selbst Kolonialmächte wie Großbritannien,      schaubare Zeit – gerade in Afrika.
Frankreich oder Belgien scheinen durch das Erbe
des Sklavenhandels nicht so belastet wie die USA.
Ein Grund dafür mag in der Tatsache liegen, dass     Christoph Plate ist Leiter des Medienprogramms
trotz aller anerkannten Freiheiten und Chancen       Subsahara-Afrika mit Sitz in Johannesburg, Südafrika.

in den USA – anders als bei den europäischen
Kolonialmächten – die Geschichte des Rassis­
mus nachwirkt. Der südafrikanische Komiker
Trevor Noah hat Donald Trump als den „perfek­
ten afrikanischen Präsidenten“ bezeichnet, der
eben nur auf dem falschen Kontinent regiere.
Trump weise Ähnlichkeiten mit afrikanischen
Diktatoren auf: er sei unvorbereitet und versu-
che das Recht zu beugen. Auch wenn eine Politik,
bei der es weniger um demokratische Werte als
um Interessen geht, manchen Potentaten gefal-
len mag, so können sie doch die Trump-Rhetorik
nicht außer Acht lassen, die Afrika ins Abseits zu
stellen sucht.

Ein Marshallplan für Afrika?

Was bedeutet all das für Europa und für Deutsch-
land? Wenn John Bolton von einem Marshallplan
spricht, hat er damit keinesfalls ein konkretes
Programm verbunden wie jenes der Bundes­
regierung. So ist auch über das im Dezember
von Bolton angekündigte Programm „Prosper
Africa“ zur Förderung amerikanischer Investi­
tionen in Afrika nach wie vor wenig bekannt.
Dass Europa ein Problem mit Migration aus
Afrika hat, war auch schon Obama relativ gleich-
gültig. Markanter wird sich auswirken, dass die
Demokratieförderung, wie sie bisher von den
USA und den Europäern in Afrika betrieben
wurde, vor allem zu einem europäischen Anlie-
gen werden könnte. Dass Trump keine große
Achtung für die Gewaltenteilung zu haben scheint,
die Presse attackiert und mit Tweets versucht,

Der Blick nach Westen                                                                                  17
Quelle: © Itar
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                                                                                                                         Tass,Brindicci,
                                                                                                                               Reuters. Reuters.
            Trump, China und Europa
                              Was vom „Pivot to Asia“ übrig blieb

                                Rabea Brauer / Alexander Badenheim

Donald Trumps Präsidentschaft hat zahlreiche          Chinas in Asien betrachtet. Die Abkehr der USA
globale Veränderungen mit sich gebracht, nicht        aus der Partnerschaft bedeutet jedoch nicht, dass
zuletzt auch für den indo-pazifischen Raum.           Trump China in der Region frei gewähren lässt –
Neben der konfrontativen Handelspolitik, die vor      im Gegenteil.
allem China betrifft, ergaben sich daraus in den
vergangenen zwei Jahren auch für andere Staaten       Gemeinsam mit Indien, Japan, Australien und
in der Region große Herausforderungen.                weiteren Partnern streben die USA derzeit mit
                                                      dem Free and Open Indo-Pacific-Konzept sowie
Trumps Rückzug aus der                                dem Quadtrilateral Security Dialogue de facto ein
Transpazifischen Partnerschaft                        Gegengewicht zum wachsenden chinesischen
                                                      Einfluss in der Region an. Aufgrund der Uneinig-
Der bereits während des Präsidentschaftswahl-         keit, die unter den beteiligten Ländern über den
kampfs von Donald Trump angekündigte Rückzug          Umgang mit China herrscht, haben die Initiati-
aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) traf     ven bisher allerdings keine konkreten Ergebnisse
zahlreiche Partner der USA in der Region hart und     gebracht. Das liegt unter anderem auch an der
sorgte für einen Ansehensverlust Washingtons.         Bedeutung, die China vor allem wirtschaftlich für
Dies betraf nicht nur wirtschaftliche, sondern auch   zahlreiche Länder der Region einnimmt.
sicherheitspolitische Interessen. Unter Trumps
Vorgänger Barack Obama wurde TPP schließlich
auch als Gegengewicht zum wachsenden Einfluss

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Freihandel ohne Amerika?                              gemeinsame Kritik an Trumps Abkehr von der
                                                      auf verbindlichen Regeln gegründeten Weltwirt-
Während die meisten europäischen Akteure und          schaftsordnung beide Länder augenscheinlich
eine Vielzahl der asiatischen Länder in der Ver-      zusammenschweißen müsste, bleiben systemi-
gangenheit eine enge Abstimmung mit den USA           sche und ideologische Differenzen weiter beste-
suchten, müssen sie seit dem Amtsantritt Trumps       hen. Mit den USA hat Deutschland in diesem
und seinem Rückzug aus globalen Abkommen              Bereich einen traditionellen Verbündeten, der
und multilateralen Institutionen nun selbst mehr      ungeachtet der derzeitigen Konfliktlinien z. B. in
Verantwortung übernehmen. In Sachen Freihandel        der Handelspolitik langfristig ein strategischer
konnten die EU und Asien bereits einige Erfolge       Partner bleiben wird. Zudem stellen der Verlust
verzeichnen, die auch ein klares Zeichen gegen        geistigen Eigentums, Marktbeschränkungen in
protektionistische Handelspraktiken und für eine      China und die Sorge vor staatlich gesteuerten
multilaterale Zusammenarbeit setzen. So schloss       strategischen Investitionen in heimische Schlüs-
die EU z. B. erfolgreich Freihandelsabkommen          seltechnologien vor allem auch aus deutscher
mit Japan, Vietnam und Singapur ab.                   Sicht ein großes Problem dar. Das derzeit verhan-
                                                      delte Investitionsschutzabkommen zwischen der
Allerdings sieht die EU in Asien auch neue Heraus­    EU und China zeigt jedoch, dass auch weniger
forderungen auf sich zukommen. So werden              konfrontative und gemeinsam mit China ausge-
Chinas rege Aktivitäten im Rahmen der Seiden­         handelte Ansätze zur Lösung von wirtschaftspo-
straßeninitiative auch seitens der EU kritisch        litischen Streitpunkten gefunden werden können.
beobachtet. Bei handelspolitischen Fragen tei-
len die Europäer viele Kritikpunkte der USA an        Letztlich können die EU und die USA nur
China. Der Ansatz, den Deutschland und die EU         geschlossen die von beiden Seiten geforderte
zur Beilegung dieser Unstimmigkeiten verfolgen,       Modernisierung des Welthandelssystems herbei­
unterscheidet sich dabei jedoch von der konfron-      führen und so anpassen, dass Länder, die bisher
tativen amerikanischen China-Politik.                 überproportional stark vom derzeitigen System
                                                      profitiert haben, sich genauso an die Spielregeln
Trumps harter Kurs gegenüber China                    halten müssen wie alle anderen. Fest steht jedoch,
                                                      dass die existierenden Institutionen nur gemein-
Neben dem enormen Handelsdefizit in Höhe von          sam mit China, das sich eindeutig zu multilate-
335 Milliarden US-Dollar wirft Trump China vor        ralen Institutionen wie der WTO und Freihandel
allem unfaire Handelspraktiken vor. Das betrifft      bekannt hat, reformiert werden können. Nur
u. a. die aus staatlichen Subventionen resultieren-   so lassen sich faire Bedingungen für alle Seiten
den Marktverzerrungen sowie den einseitigen           schaffen.
Technologie- und Knowhow-Transfer, der sich
durch den in China in vielen Branchen verbrei-
teten Joint-Venture-Zwang ergibt. Der Konflikt        Rabea Brauer ist Leiterin des Teams Asien der
verdeutlicht jedoch, dass es hier nicht nur um        Konrad-Adenauer-Stiftung.

handelspolitische Fragen geht. Die USA sehen im
                                                      Alexander Badenheim ist Referent im Team Asien
wirtschaftlichen Aufstieg Chinas auch ein strate-     der Konrad-Adenauer-Stiftung.
gisches Problem und betrachten die Volksrepublik
als einen Staat, der Macht, Einfluss und Interessen
der USA herausfordert und Sicherheit und Wohl-
stand in den Vereinigten Staaten untergräbt.

Peking ist nicht das neue Washington!

Obwohl die engen wirtschaftlichen Verflechtun-
gen zwischen Deutschland und China sowie die

                                                                                                       19
Quelle: © Itar Tass, Reuters.
                          Mehr als Mauern
                Lateinamerikas Rolle im Dreieck mit Europa und den USA

                          Hans-Hartwig Blomeier / Patricio Garza Girón /
                                       Christian E. Rieck

Die transatlantischen Beziehungen sind seit dem      der Organisierten (Drogen-)Kriminalität, die
Amtsantritt Donald Trumps in eine schwierige         Fortführung des kolumbianischen Friedenspro-
Phase eingetreten. Eine Hinwendung Deutsch-          zesses und die durch das Regime Maduro ver-
lands und Europas zu Lateinamerika könnte die        ursachte humanitäre Katastrophe in Venezuela
transatlantischen Beziehungen um neue Partner        bleiben für beide Seiten dringlich und relevant.
und neue Themen erweitern, ohne den Kontakt
zu Washington abreißen zu lassen.                    Für die lateinamerikanischen Länder wird es
                                                     in den nächsten Jahren vor allem darum gehen,
Trump und Lateinamerika                              Trumps Aufmerksamkeit zu erregen und die USA
                                                     (wieder) für die Region zu interessieren. Das weist
Der zuweilen ruppige Ton und die strategische        schon darauf hin, dass im Weißen Haus bereits
Orientierungslosigkeit im Weißen Haus erschwe-       lange vor Trump ein ausgeprägtes Desinteresse
ren die Zusammenarbeit zwischen Lateiname-           gegenüber der Region existierte – und erklärt,
rika und den USA erheblich. Das sollte aber          jedenfalls teilweise, wieso die lateinamerikanische
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die geteilte      Verstörung über das Phänomen Trump jenseits
Wertebasis wie auch die gemeinsamen wirt-            von Mexiko und Kuba relativ gering ausfällt.
schaftlichen, sicherheitspolitischen und regional-
politischen Interessen von dieser Verschiebung       Chancen für Europa
in Stil und Substanz wenig berührt werden.
Heraus­forderungen wie das Management der            In der jüngsten Entfremdung zwischen Washington
Migrationsströme in der Region, das Ausufern         und Berlin und dem Desinteresse Trumps gegen‑

20                                                             Auslandsinformationen 1|2019
über Lateinamerika liegt aus deutscher und euro-        leicht auch Ecuador. Diese Länder haben sich
päischer Sicht auch die Notwendigkeit und Chance,       eindeutig dem Multilateralismus und dem freien
die eigene internationale Rolle neu zu definieren       Welthandel verschrieben. Wegen der dynami-
sowie alte und neue Partnerschaften zu vertiefen.       schen und konsequenten Öffnung dieser Länder
                                                        in Richtung China, müsste Europa hier offensiv
Eine Reihe lateinamerikanischer Staaten bieten          definieren, welche Vorteile und Kooperations­
sich hier als Partner an, einerseits, weil die Region   gewinne für alle Beteiligten in einer „Erweiterten
mit dem Westen grundsätzlich Grundwerte und             Transatlantischen Partnerschaft“ liegen.
Strukturprinzipien teilt, andererseits weil auch
die USA und Europa in der Region noch immer             Mexikos Sonderrolle
wichtige Ziele und Interessen teilen – so etwa die
Erhaltung der demokratischen und rechtsstaat­           Mexiko spielt in diesen Überlegungen eine gewich-
lichen Ordnung in Lateinamerika sowie die wei-          tige Sonderrolle – wegen seiner geografischen Nähe
tere Stabilisierung und Entwicklung der Region          zu den USA sowie den wirtschaftlichen, kulturellen
durch die Bekämpfung von Organisierter Krimi-           und sozialen Verflechtungen beider Länder. Auch
nalität und Staatenfragilität.                          das neu verhandelte Nordamerikanische Freihan-
                                                        delsabkommen (NAFTA) hat trotz des aufgeheizten
Partnerpotenziale in Lateinamerika                      Diskurses Mexikos Rolle als „verlängerte Werkbank
                                                        der USA“ nicht nachhaltig beschädigt. Mexiko ist
Innerhalb Lateinamerikas können derzeit drei            die zweitgrößte Volkswirtschaft der Region und
Ländergruppen identifiziert werden: Erstens             die EU ist nach den USA und China sein drittwich-
die Mitglieder der ALBA-Allianz, gegründet von          tigster Handelspartner, seit April 2018 gar mit eige-
Hugo Chávez, inzwischen aber wirtschaftlich             nem Freihandels­abkommen. Mit Mexiko verbindet
und politisch erheblich geschwächt: Venezuela,          Deutschland darüber hinaus eine ambitionierte
Bolivien, Kuba, mit Abstrichen Nicaragua. Eine          Entwicklungsagenda auf der globalen Ebene wie
transatlantische Kooperation mit diesen Ländern         auch in Drittstaaten, vor allem in Lateinamerika.
ist weder politisch opportun noch – bis auf punk­
tuelle Projekte – wirtschaftlich interessant.           Hier liegt für Deutschland und Europa eine außer-
                                                        gewöhnliche Chance, über Mexiko einen neuen
Eine zweite Kategorie sind die Länder, die              Kommunikationskanal zur Trump-Administration
dem freien Welthandel und einer Kooperation             zu eröffnen. Wie sich der jüngste Regierungswech-
mit Europa deutlich offener gegenüberstehen,            sel in Mexiko diesbezüglich auswirken wird, hängt
zwar noch keine bilateralen Handelsabkom-               entscheidend von der persönlichen Chemie zwi-
men mit Europa haben, diese aber im Kollektiv           schen Andrés Manuel López Obrador und Donald
(Mercosur) oder als Einzelstaaten anstreben:            Trump ab – und auch davon, inwieweit beide
Argentinien, Uruguay, Paraguay sowie v. a.              Präsidenten zulassen, dass die vielbeschworene
Brasi­lien. Allerdings ist gerade Brasilien wegen       Mauer zwischen den beiden Staaten die bilatera-
seiner politischen Turbulenzen ein Paradebei-           len Beziehungen definiert.
spiel für enttäuschte Hoffnungen mit Blick auf
eine engere Partnerschaft mit Lateinamerika.
Der jüngste Wahlerfolg Jair Bolsonaros hat Bra-         Hans-Hartwig Blomeier ist Leiter des Auslandsbüros
siliens Position in der Region jedenfalls weiter        der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexiko.

geschwächt. Was er mittel- und langfristig für
                                                        Patricio Garza Girón ist Projektmanager im Auslands­­
das Verhältnis zwischen Brasília und Washington         büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexiko.
bedeutet, lässt sich derzeit noch nicht absehen.
                                                        Christian E. Rieck ist Senior Analyst für Regional­
                                                        mächte und Regionalintegration am Global Governance
Die dritte und interessanteste Gruppe aus trans­
                                                        Institute in Brüssel sowie wissenschaftlicher Mitarbei­
atlantischer Sicht bilden die Mitglieder der Pazifik-   ter an der Universität Potsdam.
Allianz: Mexiko, Chile, Kolumbien, Peru, bald viel­‑

Der Blick nach Westen                                                                                       21
Quelle: © Itar Tass, Reuters.
                                                                                                                                           Quelle: © Carlos Barria, Reuters.
                             „America First“
                               Sicherheitspolitik in der Ära Trump

                                    Nils Wörmer / Benjamin Fricke

Die Außen- und Sicherheitspolitik der USA stellte      Verunsicherung auslöste, ansonsten aber am
in den ersten beiden Jahren unter Präsident            NATO-Engagement der USA festhält, ja dieses
Trump in ihren Grundzügen die Zusammen-                durch die Aufwertung der European Deterrence Ini-
führung wesentlicher Elemente der Politiken            tiative sogar erweitert hat. Die Kritik an der unglei-
der beiden Amtsvorgänger Obama und Bush in             chen Lastenverteilung mit Blick auf die niedrigen
übersteigerter Form dar. Die starke unilaterale        Verteidigungsausgaben vieler NATO-Mitglieder ist
Ausrichtung der Bush-Administration sowie der          ebenfalls nicht neu, wird aber von Trump mit neuer
Teilrückzug aus dem Nahen Osten und Europa             Lautstärke und Radikalität vorgebracht. Zwar ist
unter Präsident Obama wurden nicht nur über-           das bereits 2002 vereinbarte und 2014 erneut fest-
nommen, sondern dahingehend fortgeführt,               geschriebene Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlands­
dass die USA aus zentralen bestehenden multi-          produktes für Verteidigung auszugeben, rechtlich
lateralen Formaten ausgestiegen sind oder ihren        nicht bindend, jedoch sollte gerade Deutschland
Ausstieg ankündigten. Neu ist unter Trump vor          mit seinem immer wieder artikulierten Anspruch,
allem die Radikalität der Rhetorik und in weiten       mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, hier
Teilen auch des Vorgehens.                             mit gutem Beispiel vorangehen. Die von Deutsch-
                                                       land in Aussicht gestellten eineinhalb Prozent sind
Viel Lärm um nichts bei der NATO?                      jedenfalls nicht ausreichend, um zu einer seriösen
                                                       Verteidigungspolitik zurückzukehren, bleiben deut-
Mit Blick auf die NATO-Politik unter Trump ist fest-   lich hinter den Erwartungen der Verbündeten
zustellen, dass der Präsident durch seine Bemer-       zurück und verfehlen letztendlich die von der
kung, das Bündnis sei „obsolet“, zwar massive          Bundes­regierung international gemachten Zusagen.

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Paradigmenwechsel bei                                  bestehen: Gegenwärtig – und voraussichtlich
internationalen Verträgen                              noch auf Jahre – sind die USA weltweit die einzige
                                                       Nation, die in der Lage und – unter bestimmten
Abgesehen von den verbalen Attacken gegen              Voraussetzungen – willens ist, Deutschland und
NATO, EU und VN stellen die tatsächlichen              seine europäischen Verbündeten gegen jedwede
 und angedrohten Aufkündigungen von inter-             derzeit denkbare Bedrohung effektiv zu schützen.
 nationalen Vertragswerken einen Wendepunkt            Dies schließt symmetrische, asymmetrische und
 mit sicherheitspolitischer Dimension im trans­        hybride Bedrohungen in allen fünf Dimensionen
 atlantischen Verhältnis dar. Das betrifft nicht nur   der Kriegführung, (Land, Luft, See, Welt- und
 den – auch mit Sicherheitserwägungen begrün-          Cyberraum) ein. Die EU wird dieses Maß an
 deten – Ausstieg der USA aus der Klimaverein‑         Sicherheit auf absehbare Zeit nicht bereitstellen
 barung von Paris, sondern auch die Aufkündigung       können und ist – auf sich allein gestellt – nur sehr
 des Nuklearabkommens mit dem Iran und den             bedingt in der Lage Europa zu verteidigen.
 unter Vorbehalt angekündigten Rückzug vom
INF-Vertrag (Washingtoner Vertrag über nukleare        Die Herstellung autonomer europäischer Ver-
Mittelstrecken­systeme). Während Trump dem             teidigungsfähigkeit wird, selbst wenn es gelin-
INF-Vertrag verbunden mit einem 60-­tägigen            gen sollte, die hierfür notwendigen politischen
 Ultimatum an die russische Regierung theo­retisch     Rahmenbedingungen zeitnah zu schaffen, ein
 noch eine Chance gibt, kündigte sein Außen­           außerordentlich langwieriger Prozess werden.
 minister nicht weniger als die radikale Abkehr von    Dieser wird derzeit neben den strukturellen
 der weltweiten Sicherheitsarchitektur, wie sie sich   Herausforderungen und dem aufzuholenden
 in ihren Grundzügen seit 1945 entwickelt hat, an.     technologischen Rückstand der Europäer, ins-
Nicht zuletzt die Ankündigungen des Truppen-           besondere in der Cyber-Kriegführung und im
 abzugs aus Syrien und der Truppenreduzierung          Bereich der technischen nachrichtendienstlichen
 in Afghanistan deuten auf einen Paradigmen-           Aufklärung, vor allem von der Haltung Londons
 wechsel ganz im Sinne des viel propagierten           und Berlins beeinträchtigt. Durch den Austritt
„America first“ hin.                                   Großbritanniens aus der EU verliert diese den
                                                       leistungsfähigsten und leistungswilligsten sicher-
Keine Sicherheit ohne die USA                          heitspolitischen Akteur auf dem europäischen
                                                       Kontinent. Deutschland hat seinen Status als
Während die transatlantischen Gemeinsamkei-            Garant und Rückgrat der konventionellen Ver-
ten in der Sicherheitspolitik definitiv weniger        teidigung Europas verloren und ist weit davon
geworden sind, bleibt die NATO das mit Abstand         entfernt diesen zurückzugewinnen.
wichtigste gemeinsame Projekt. Das hat nicht nur
damit zu tun, dass die Allianz die einzige interna-    Deutschland und seine Verbündeten sollten des-
tionale Organisation zu sein scheint, deren Nut-       halb klar herausstellen, dass sich die jüngsten
zen Präsident Trump einigermaßen anerkennt.            Bemühungen, „mehr Europa“ in der Sicherheits-
Deutschland und die europäischen NATO-Part-            und Verteidigungspolitik zu erreichen, nicht
ner haben ihrerseits in Ansätzen erkannt, dass         gegen die USA richten, sondern im Gegenteil
diese US-Administration das Thema der gleichen         darauf abzielen, die Lastenverteilung innerhalb
Lastenverteilung sehr ernst meint und sich wahr-       der NATO durch Stärkung des europäischen Pfei-
scheinlich nicht noch einmal vertrösten lassen         lers ausgeglichener zu gestalten.
wird, was finanzielle Zusagen und die Erfüllung
von Bündnisverpflichtungen anbelangt.
                                                       Nils Wörmer ist Leiter des Teams Außen-, Sicherheits-
Denn während europäische Experten darüber              und Europapolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

streiten, ob „strategische Autonomie“ gegen-
                                                       Benjamin Fricke ist Referent für Sicherheitspolitik
über den USA und eine europäische Armee Visi-          der Konrad-Adenauer-Stiftung.
onen oder Illusionen sind, bleibt eine Tatsache

Der Blick nach Westen                                                                                        23
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