DAS DOLLAR-PROBLEM Wirtschafts- und Währungspolitik der USA in langfristiger Perspektive Heinz-Peter Spahn1

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DAS DOLLAR-PROBLEM
Wirtschafts- und Währungspolitik der USA in langfristiger Perspektive

Heinz-Peter Spahn1

                                    It is the duty of every bank and most of all a central bank to be rich.
                                                                                    R.S. Sayers (1936: 27)

       The country whose currency is functioning as a key or reserve currency in international monetary
    relations, and therefore as the currency of denomination in international transactions, must act as if
                                                                                 it is on a gold standard.
                                                                                H.P. Minsky (1979: 119)

I          Die Vorgeschichte: Aufstieg und Krise des Dollar-Standards

Der Goldstandard fiel in den 30er Jahren, weil - nach herrschender Meinung - die internen
Ziele der Wirtschaftspolitik im Zuge der Entwicklung zu Demokratie und Wohlfahrtsstaat im-
mer wichtiger geworden waren und die Verpflichtung, die externe Währungsparität zu wah-
ren, als politisch nicht mehr durchsetzungsfähig galt. Zu beachten ist dabei, daß der Goldstan-
dard in der Praxis niemals ein durch reine Marktmechanismen hervorgerufener "Sachzwang"
war; stets waren vielmehr wirtschaftspolitische Entscheidungen involviert.
    So funktionierte dieses System nie in der Weise, wie dies die quantitätstheoretischen
"rules of the game" vorsahen: Diese hatten bei Inflationsdifferentialen und Handelsbilanzun-
gleichgewichten Goldbewegungen und entsprechende Veränderungen der nationalen Geld-
mengen angenommen, so daß national wie international das monetäre Gleichgewicht wieder-
hergestellt werden würde. Tatsächlich verteidigten die führenden Länder ihre Goldbestände
aber durch eine Zinspolitik, die bei einer drohenden Gefährdung des externen Geldwertes über
eine Restriktion den Goldverlust bremste. England praktizierte diese Politik so erfolgreich,
daß es die dominierende Rolle des Pfundes in der Weltwirtschaft mit vergleichsweise gerin-
gen Goldbeständen zu wahren vermochte.
    Umgekehrt ließen Länder, denen Gold zuströmte, keineswegs regelmäßig eine entspre-
chende Geldmengenexpansion (und damit eine Anpassungsinflation) zu, sondern betrieben ei-
ne Sterilisierungspolitik, d.h. in diesem Fall eine Aufschatzung von Gold-, oder allgemein De-
visenbeständen. Die USA bauten mit einer solchen Politik, auch wenn diese in erster Linie
binnenwirtschaftlich motiviert gewesen sein mag, den Dollar objektiv zu einer neuen Reserve-
währung auf. Keynes warf den USA vor, sie hielten sich nicht an die Regeln des Goldstan-
dards. Aber diese Kritik "übersieht", daß England sich in Prinzip nicht anders verhalten hatte.

1     Für Diskussionen und nützliche Anregungen danke ich Hansjörg Herr.
2

Entscheidend ist für Keynes letztlich auch nicht, daß die USA den Goldstandard damit unter-
höhlten, sondern: "Tatsächlich haben sie einen Dollar-Standard eingeführt" (Keynes 1924:
203; vgl. 172, 202; Crabbe 1989). Die USA hielten in einer Phase der Währungskonkurrenz
den Dollar knapper als das Pfund, weil der Bank von England angesichts der hohen Arbeitslo-
sigkeit in England die Hände gebunden waren.
     Daß England den Kampf um die monetäre Vorherrschaft in der Weltwirtschaft verloren
hatte, zeigte sich dann endgültig in den Ergebnissen der Verhandlungen von Bretton Woods,
indem der Dollar auch institutionell die Funktion der Weltwährung übernahm. Die möglicher-
weise gehegte Hoffnung, daß das Post-Goldstandard-System von Bretton Woods eine Abkehr
von den Zahlungsbilanzzwängen der nationalen Wirtschaftspolitik bedeute, erwies sich jedoch
als eine Illusion. Daß dies allgemein weniger wahrgenommen wurde - die externen Restriktio-
nen der Wirtschaftspolitik sind erst seit den 80er Jahren in die Diskussion gerückt -, lag daran,
daß die USA als Leitwährungsland selbst die Zügel schleifen ließen und insbesondere in den
60er Jahren nicht bereit waren, sozial- und militärpolitische Ziele währungspolitischen Neben-
bedingungen unterzuordnen2. Eine weiche Leitwährung bedeutete für die übrigen Länder je-
doch letztlich keinen Gewinn an außenwirtschaftlicher Handlungsfreiheit - sondern den Zu-
sammenbruch des Währungssystems zu Beginn der 70er Jahre.
    Bretton Woods hätte nur bestehen können, wenn die USA eine ähnliche Politik wie Eng-
land in der Ära des Goldstandards betrieben hätten: England spielte praktisch für die Welt-
wirtschaft die Rolle einer Bank. Ausländer hielten zur Abwicklung von Zahlungen im Han-
delsverkehr kurzfristige Einlagen in London, und London vergab langfristige Kredite an das
Ausland. Aufgrund dieser Zinsdifferenz, die aus der Dienstleistung der Fristentransformation,
aber auch aus der Liquiditätsprämie des Pfundes gegenüber anderen Währungen folgte, war
England "reich": Der Zins auf seine Verschuldung war niedriger als Zins auf seine Forderun-
gen. Damit war eine leicht positive Leistungsbilanz trotz passiver Handelsbilanz möglich - die
englische Volkswirtschaft konsumierte ihren "Bankgewinn".
    Bei drohenden Zahlungsbilanzungleichgewichten wurde der Zins zur außenwirtschaftli-
chen Absicherung eingesetzt. Aufgrund des immensen Bestandes von Pfund-Forderungen und
-Verpflichtungen in der Welt reagierte die englische Kapitalbilanz mit absolut ausreichend
großen Beträgen, um den Wechselkurs zu stabilisieren. Im günstigsten Fall blieb dabei die
Zinssteigerung auf das "kurze Ende" des Marktes beschränkt oder war so moderat, daß die in-
ländische Konjunktur nicht tangiert wurde. Die notwendige Voraussetzung dazu war eben die
im Prinzip ausgeglichene Leistungsbilanz. Gerade weil England auf diese Weise außenwirt-

2    Damit wird eine prekäre Interdependenz zwischen Währungs- und Innenpolitik deutlich. England
konnte seine Rolle als dominantes Finanzzentrum der Weltwirtschaft nicht zuletzt deshalb lange Zeit
verteidigen, weil die "City" als innenpolitischer Machtfaktor eine an finanziellen Interessen orientierte
Wirtschaftspolitik durchsetzen konnte. Volcker (1978/79: 7) beschrieb die Einstellung der politischen
Administration in den USA folgendermaßen: "A nation, most of all a great world power, does not
want to be hampered in its domestic policies, or in its international security or political objectives, by
external economic constraints, and specifically by the need to guard against a breakdown of the mone-
tary system."
3

schaftliches Gleichgewicht ohne substantielle binnenwirtschaftliche Opfer wahren konnte, war
- in die Sprache der Theorie rationaler Erwartungen übersetzt - die Glaubwürdigkeit der engli-
schen Geld- und Währungspolitik hoch, was dem Pfund wiederum zusätzliche Stabilität ver-
lieh.
     Demgegenüber verschlechterte sich die Zahlungs- bzw. "Bank"-Bilanz der USA jedoch
gegen Ende der 60er Jahre zusehends. War zunächst noch nach Abzug der langfristigen Aus-
leihungen ein Überschuß zu verzeichnen, so markierte spätestens das Jahr 1971 die Wegschei-
de, als die Grundbilanz erstmals ins Defizit geriet (vgl. Minsky 1979). Die ab Mitte der 70er
Jahre verfolgte Strategie "Talking the Dollar Down", um mittels Abwertung das Handelsbi-
lanzdefizit zu bekämpfen, war nicht erfolgreich und beschleunigte den Verfall des Dollar auf
den internationalen Finanzmärkten: Nun wirkte der - im Vergleich zum Pfund - umgekehrte
Erwartungseffekt, denn eine angekündigte oder offenbar erwünschte Abwertung mußte ange-
sichts des riesigen Bestandes von Dollar-Titeln in der Welt zu unkontrollierbaren Kapitalbe-
wegungen in andere Ersatzanlagewährungen führen. Jedes Land kann (unter bestimmten Be-
dingungen) eine Abwertungsstrategie verfolgen - ein Leitwährungsland nicht.
     In den Jahren 1976-78 konnten nur umfangreiche Stützungsoperationen im Rahmen des
öffentlichen Kapitalverkehrs, d.h. Käufe amerikanischer Schuldpapiere durch ausländische In-
stitutionen (vgl. im Anhang Tabelle "Zahlungsbilanz USA" und Abbildung 2) den freien Fall
des Dollar verhindern. Allmählich merkte die US-Administration, daß ein fallender Dollar
keinen Vorteil, sondern eine Gefahr darstellte: Das Handelsbilanzdefizit nahm zu, die interne
Geldentwertung wurde durch die Abwertung angetrieben (vgl. Abbildung 3).
     Zwar wurde das Haushaltsdefizit in der zweiten Hälfte der 70er Jahre kontinuierlich abge-
baut (vgl. Abbildung 6), aber ein sinkender Außenwert des Dollar mußte langfristig das Ver-
teidigungsbudget belasten, wollten die USA ihre internationale Militärpräsenz aufrechterhal-
ten. Wenn keine Streichungen an anderer Stelle möglich waren, würde das Budgetdefizit
wachsen, mit vermutlich wiederum negativen Auswirkungen auf das Vertrauen in den Dollar -
ein circulus vitiosus. In realwirtschaftlicher Hinsicht war die Lage der USA in der zweiten
Hälfte der 70er Jahre recht gut (vgl. Abbildung 4), in währungs- und geopolitischer Hinsicht
war der Verfall der "American Power" unübersehbar geworden (vgl. Calleo 1980/81).
     Zunächst strebten die USA eine "billige" Sanierung an, die den Dollar ohne allzu große
volkswirtschaftliche Kosten stabilisieren sollte (vgl. OECD 1988: 25ff). Eine Expansionspoli-
tik der übrigen Industrieländer sollte eine Restriktion in den USA entbehrlich machen. Auf
dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel von 1978 verpflichteten sich auch die Bundesrepublik und
Japan nach amerikanischem Druck zu einer finanzpolitischen Nachfrageförderung; angesichts
der Weigerung der Bundesbank, an einer Stützung des Dollar mitzuwirken, wurde die Schwä-
che der amerikanischen Währung jedoch nicht überwunden3.

3   Aus der Sicht der Bundesbank erschien es wohl vorteilhaft, die USA nach den nur als halbherzig
eingeschätzten Stabilisierungsbemühungen zu einer grundsätzlichen Revision ihrer Politik zu zwin-
gen, um die D-Mark von dem für die deutsche Exportwirtschaft unangenehmen Aufwertungsdruck zu
4

     Neben Großbritannien hatten die USA schon 1978 mit einem härteren geldpolitischen
Kurs begonnen (vgl. Abbildung 7). Kurz darauf zog jedoch neben Japan, das trotz steigender
Zinsen eher auf eine Abwertung des Yen setzte, die Bundesrepublik nach; somit blieb die
Zinsdifferenz unzureichend, um die Nachfrage nach Dollar-Forderungen grundlegend zu sta-
bilisieren. Im Laufe des Jahres 1979 verengte sich diese Zinsdifferenz sogar, als der Zinsstei-
gerungsprozeß in den USA zum Stillstand kam. Zugleich stießen ausländische öffentliche
Stellen (u.a. Zentralbanken), die in den Jahren zuvor den amerikanischen Kapitalimport getra-
gen hatten, nun Dollar-Forderungen ab (vgl. Tabelle). Deshalb blieb den USA keine Alternati-
ve zu einer äußerst scharfen monetären Restriktion, als sich die Hoffnungen auf eine wäh-
rungspolitische Kooperation endgültig zerschlugen. Nachdem entsprechende Verhandlungen
in Hamburg im September 1979 gescheitert waren, verkündete Fed-Präsident Volcker die
"monetaristische Wende" der amerikanischen Geldpolitik4.
    Das Ergebnis dieses geldpolitischen Kurswechsels in den USA war eine Wirtschaftskrise,
die sich bis zu ihrem Tiefpunkt 1982 hinzog5, und vor allem eine völlig überraschende Re-
naissance des Dollar als führende Weltwährung. Allerdings war die neue Geldpolitik zunächst
nur in der Lage, die Dynamik des Abwertungstrends des Dollar zu stoppen; sein Aufstieg be-
gann erst mit der konservativen "Revolution" der (Wirtschafts-) Politik unter Reagan (vgl. Ab-
bildung 3). Es ist deshalb angebracht, den institutionellen Hintergrund der vergangenen wäh-
rungspolitischen Entscheidungen zum Dollar-Problem zu betrachten.

II      Der Mythos: Reaganomics als wirtschaftspolitische Strategie

Entgegen ihrem Anspruch hatten die Reaganomics mit Angebotspolitik letztlich wenig zu tun.
Die in der Konzeption zentralen angebotsseitigen Zielsetzungen wurden entweder nicht reali-
siert (Arbeitsangebot, Spartätigkeit) oder haben die Entwicklung nur am Rande beeinflußt
(Produktivität, Deregulierung). Rückblickend wurde die Angebotspolitik auch von ihren Pro-
tagonisten als eher langfristiges Programm gesehen (Feldstein 1986; Chimerine/Young 1986),
während sich die kurz- und mittelfristige makroökonomische Entwicklung durchaus im Rah-
men der keynesianischen Theorie analysieren läßt (Sachs 1985; Kregel 1985; Müller 1987).
Eine Bestätigung des Mundell-Fleming-Modells, das eine fiskalische Globalsteuerung bei

befreien (vgl. dazu im einzelnen Emminger 1986: 318ff, 372ff; Spahn 1988a: 91ff).
4    "Dieser Beschluß vom 6. Oktober 1979 hat Wirtschaftsgeschichte gemacht, nicht nur für die Ver-
einigten Staaten selbst, sondern für die ganze Welt: Denn mit ihm begann die amerikanische Desinfla-
tionspolitik, welche die ganze Weltwirtschaft umgekrempelt hat" (Emminger 1986: 397). Da der Mo-
netarismus auf einer güterwirtschaftlich orientierten (neoklassischen) Theorie aufbaut, in der Geld
letztlich keine wesentliche Bedeutung hat, ist es fruchtbarer, die oftmals von den Vermögens- und De-
visenmärkten her erzwungenen wirtschaftspolitischen Strategiewechsel einzelner Länder in den 70er
und 80er Jahren mit Hilfe einer monetär-keynesianischen Theorie zu analysieren (vgl. Spahn 1988b).
5    Eine parallele konjunkturelle Entwicklung zeigte sich in der Bundesrepublik, wo die Phase wäh-
rungspolitischer Stärke 1980 angesichts steigender Leistungsbilanz- und Budgetdefizite unvermittelt
in eine DM-Krise umschlug, die zu einer monetären Stabilisierungskrise zwang.
5

gleichzeitiger Politik des "schweren Geldes" propagierte, läßt sich dabei allerdings insoweit
nicht finden, als der Aufschwung 1983 erst nach dem Übergang zu einer expansiven Geldpoli-
tik - ablesbar an sinkenden Zinsen - einsetzte (vgl. Abbildungen 4 und 7)6.
     Die partiell höchst unterschiedlichen Zielsetzungen der am wirtschaftspolitischen Wil-
lensbildungsprozeß beteiligten Gruppen lassen sich z.T. auf wirtschaftstheoretische Wider-
sprüche zurückführen, die sich dann in einer inneren Inkonsistenz des Gesamtprogramms - ge-
messen am Ideal einer rational komponierten Strategie - niederschlugen7. Aber andererseits
sollte man den Einfluß der Wirtschaftstheorie überhaupt auf Formulierung und Umsetzung der
Supply-Side Policy nicht überbewerten. Diese These wird durch den immer wieder beschwo-
renen propagandistischen Rekurs auf Prinzipien der marktwirtschaftlichen Lehre, auf Say und
Schumpeter, nicht widerlegt, sondern bestätigt: Offensichtlich waren diese Dogmen im wis-
senschaftlichen Bereich seit vielen Jahrzehnten bekannt; die Vorstellung, daß Erkenntnisfort-
schritte der Ökonomen die neue wirtschaftspolitische Konzeption angeleitet hätten, ist abwe-
gig (und wohl auch in allgemeiner Hinsicht ein Mythos). Sicherlich waren viele Positionen
der Supply-Sider mit modernen ökonomischen Theorien vereinbar; aber der unerschütterliche
Glaube an die Selbstregulierungsfähigkeit des Marktsystems beispielsweise entsprang wohl
eher subjektiven Vorurteilen oder der neuerlichen (bzw. erstmaligen) Lektüre einseitig ausge-
wählter ökonomischer Klassiker als einer fundierten Beschäftigung mit der zu diesem Pro-
blem einschlägigen Kontroverse zwischen Neuer Keynesianischer und Neuer Klassischer Ma-
kroökonomie.
     Die Reaganomics sind aus heutiger Sicht in erster Linie als Fallstudie über die Eigentüm-
lichkeiten der Entstehung und Verfolgung wirtschaftspolitischer "Strategien" interessant. Im
extremer Weise wurden traditionelle Vorstellungen einer theoretisch fundierten, intern abge-
stimmten und insoweit rationalen Wirtschaftspolitik ad absurdum geführt. Ein sachlicher Dia-
log zwischen den im Prozeß der Politikformulierung involvierten Gruppen von marktgläubig-
ideologisch gefärbten Hobby-Ökonomen, harten Monetaristen, auf politische Wiedererstar-
kung Amerikas bedachten Militaristen und auf Haushaltskonsolidierung fixierten Konservati-
ven scheint nicht stattgefunden zu haben. Die verschiedenen Fraktionen fanden lediglich in
dem ideologischen Konsens über das Ziel der Wiedererstarkung Amerikas zueinander und
diese Utopie war offenbar ergiebig genug, um vorhersehbare Widersprüche zu überdecken.

6    "One might be tempted to conclude (...) that simply abandoning the restrictive monetary policy
that has produced the cyclical downturn is all that is necessary to get the economy back on track"
(Eichner 1988: 551). Diese Formulierung läßt allerdings noch die typischen Vorbehalte eines Postkey-
nesianers gegenüber der Wirksamkeit der Geldpolitik erkennen. Auf der anderen Seite wurden Prog-
nosen, die expansive Geldpolitik werde zur Inflationsbeschleunigung führen, eindrucksvoll widerlegt;
der markante Strukturbruch in der Relation von Geldmenge und (nominellem) Sozialprodukt (vgl.
Friedman 1988) erschütterte die Reputation des Monetarismus.
7    Beispielsweise empfanden die eigentlichen "Supply-Sider" den anfänglichen geldpolitischen Re-
striktionskurs Volckers als äußerst hinderlich für die intendierte Freisetzung der Unternehmerinitiati-
ve - gleichsam ein Konflikt zwischen Friedman und Schumpeter. Auf diesen wenig beachteten Wider-
spruch innerhalb der angebotspolitischen Philosophie hat, mit Blick auf die bundesdeutsche Diskus-
sion, insbesondere Flassbeck (1982) hingewiesen.
6

Die internen Koordinationsprobleme wurden durch Nicht-Thematisierung "gelöst". Das oft
beschworene Ideal einer rationalen, in sich abgestimmten Politik hätte nur ein ausgewogenes
Minimalprogramm hervorbringen können. Ironischerweise muß man bezweifeln, ob dies die
USA zu Anfang der 80er Jahre aus ihren Problemen herausgeführt hätte.
    Die eigentlichen Besonderheit der Reaganomics liegt auch nicht in ihrer zweifelhaften
bzw. stellenweise als unseriös eingeschätzten theoretischen Fundierung, sondern darin, daß
diese Politik ihre Wirksamkeit gerade aus der Nichtabstimmung zwischen einzelnen Maßnah-
mebündeln, d.h. aus dem unkoordinierten Nebeneinander bezog. Die Widersprüche zwischen
den einzelnen Politikfraktionen führten nicht zu einer gegenseitigen Blockade und Handlungs-
unfähigkeit oder zu einem "muddling through" auf der Ebene eines Minimalkonsensus; viel-
mehr entstanden aus der Nicht-Einigung gleichsam Maximallösungen, bei denen die einzelnen
Gruppierungen ihre Ziele ohne Abstriche zu realisieren trachteten. Bei einem solchen Verfah-
ren muß es natürlich einen Puffer geben und so zogen beispielsweise Steuersenkungen (als
Marktanreiz und erster Schritt zur Verkleinerung des Staatssektors) sowie höhere Verteidi-
gungsausgaben (um die USA weltpolitisch wieder zu stärken) enorm steigende Budgetdefizite
nach sich. Das ungeplante Deficit Spending war dann die Schlüsselgröße für die Einkom-
mens- und Beschäftigungssteigerung und für die Dollar-Aufwertung (die wiederum maßgeb-
lich zum Inflationsabbau beitrug).
     In spieltheoretischer Perspektive lassen sich so nicht nur die Akteure auf der Einnahmen-
und Ausgabenseite des Budgets einander gegenüberstellen; Sargent (1986) charakterisiert
auch das zumindest zeitweilige Gegeneinander der geld- und finanzpolitischen Akteure als ein
"game of chicken", bei dem beide Spieler unvereinbare Strategien verfolgen und früher oder
später einer von ihnen unvermeidlich (als "chicken") nachgeben muß8. Die Reaganomics litten
demnach von Beginn an einem Glaubwürdigkeitsproblem, einfach weil das Programm nicht
konsistent war. Die Marktakteure waren dabei mit einer Unsicherheit darüber konfrontiert,
wer wann aufgeben würde. Entsprechend konnten künftige Steuersätze, Zinsen und Inflations-
raten nicht sicher kalkuliert werden. Sargent interpretiert denn auch die hohen langfristigen
Nominalzinsen der Jahre 1981/82 (vgl. Abbildung 8) als Ausdruck von Inflationserwartungen,
die sich auf die Annahme gründeten, die Fed werde einen großen Teil der amerikanischen
Staatsschuld monetisieren.
    Diese Einschätzung kann allerdings nicht überzeugen, da dann nach dem tatsächlichen
Übergang zu einer expansiven Geldpolitik die Zinsen noch stärker hätten steigen müssen, was

8    "The monetary authority had promised to stick to a tight-money policy of M(t)-M(t-1)=0 for all
future t's, come hell or high water, but meanwhile the fiscal authority had set in place tax and expendi-
ture plans that implied large values of G(t)-T(t) into the indefinite future. On the one hand, if the mo-
netary authority could successfully stick to its guns and forever refuse to monetize any government
debt, then eventually the arithmetic of the government's budget constraint would compel the fiscal au-
thority to back down and to swing its budget into balance. On the other hand, if the fiscal authority
were to stick to its guns and simply refuse to reduce the stream of G(t)-T(t), then eventually the arith-
metic of the government budget constraint would compel the monetary authority to monetize large
parts of the deficit" (Sargent 1986: 34f).
7

jedoch nicht der Fall war. Grundsätzlich aber leidet Sargents Analyse an der in der modernen
Makrotheorie weit verbreiteten Attitüde, die Notenbank - in dem Bestreben, die staatliche
Budgetbeschränkung zu berücksichtigen - implizit als Teil des Fiskus zu modellieren. Sie
wird damit zu einer regierungsabhängigen Steuerbehörde und die Inflation erscheint entspre-
chend als Vermögenssteuer. Eine solche institutionelle Annahme ist nicht nur für Länder mit
einer ausgesprochen autonomen Zentralbank wie die Bundesrepublik, sondern wohl auch für
die USA unangemessen9. Faktisch gab und gibt es für die amerikanische Notenbank keine
Veranlassung, die Staatsschuld zu monetisieren, und gerade nach der konsequenten Neuaus-
richtung der Geldpolitik durch Volcker entbehrten auch derartige Erwartungen jeder Grundla-
ge. Feldstein (1984) wies zu Recht darauf hin, daß gerade der erfolgreiche Abbau der Infla-
tionserwartungen im internationalen Vergleich die Besonderheit der amerikanischen Finanz-
politik ausmachte - nämlich ein Deficit Spending mit Währungsaufwertung verbinden zu kön-
nen.
     Die damit angesprochene außenwirtschaftliche Seite der Reaganomics eröffnet für das
von Sargent angesprochene Glaubwürdigkeitsproblem eine (von ihm nicht erwähnte) neue Lö-
sung in Gestalt der Aktionen ausländischer Akteure. Portfolioentscheidungen auf den interna-
tionalen Finanzmärkten (d.h. die nicht antizipierte Nachfrage nach Dollar-Forderungen) be-
sorgten zunächst die im nationalen Maßstab nicht gegebene makroökonomische Konsistenz
der amerikanischen Wirtschaftspolitik10. Sachs (1985) bescheinigte der in der ersten Hälfte
der 80er Jahre verfolgten "Strategie" durchaus eine gewisse (Ex-post-) Rationalität, da die ex-
pansive Finanzpolitik Einkommen und Beschäftigung förderte, während die hohen Zinsen
über eine Aufwertung zu einem Inflationsabbau beitrugen - allerdings spielte auch der deutli-
che Rückgang der Lohnstückkosten eine maßgebliche Rolle (vgl. Abbildung 3). Die Gefahr,
daß die spätere Abwertung vermittelt über eine Lohnreaktion die Inflation wieder anheizen
könnte, wurde dann durch den unvorhergesehenen Verfall der Ölpreise neutralisiert, so daß
Dornbusch (1987: 15) konstatierte: "The timing of appreciation and depreciation thus looked
like a masterpiece of political economy".

III     Die USA: Eine Bank vor dem Zusammenbruch?

Wechselnde Konstellationen auf dem Devisenmarkt

Die in der ersten Hälfte der 80er Jahre einsetzende Dollar-Aufwertung wurde zunächst noch
durch das krisenbedingte Verhalten der US-Banken gebremst, die in Ermangelung inländi-

9    "Die Notenbank als Staatshauptkasse und die Inflation als öffentliche Abgabe, das sind Vorstel-
lungen, die Monetaristen wohl infolge ihrer zu häufigen Reisen in Südamerika aufgelesen haben"
(Streissler 1988: 122).
10 "Capital flows under Reagan have enabled the United States to run a current account trade deficit
much larger than the one which international capital refused to permit Nixon to undertake" (Bliss
1986: 13).
8

scher Kreditnachfrage ihre Ausleihungen an das Ausland verstärkten11. Der Rückgang insbe-
sondere dieses Kapitalexports in den Jahren 1983-85, als die amerikanischen Banken sich nun
verstärkt im Inland engagierten, sowie Wertpapierkäufe durch Ausländer12 führten den Dollar
dann in einen Aufwertungsboom, der zu den meist diskutierten Rätseln der makroökonomi-
schen Diskussion der 80er Jahre avancierte.
    Die Stärke des Dollar war generell erstaunlich, weil die Wechselkurstheorie das keynesia-
nische Thema des "Vertrauens" in die Solidität einer Währung entdeckt hatte und die amerika-
nische Wirtschaftspolitik danach, insbesondere angesichts einer rasch ansteigenden Staatsver-
schuldung, den internationalen Vermögensmärkten viele Argumente für eine Abwendung von
Dollar-Titeln bot (vgl. Herr/Spahn 1989). Mit der rhetorischen Frage, ob man auch bei einer
Verdreifachung des britischen Budgetdefizits eine entsprechende Aufwertung des englischen
Pfundes erwarten könne, wies Goodhart (1987: 19) zu Recht darauf hin, daß die Dollar-Stär-
kung vor allem auf der Reputation von Volckers Geldpolitik beruhe. Eine allgemeine Bestäti-
gung des Mundell-Fleming-Szenarios, wonach ein Deficit Spending mechanisch zu einem
zinsinduzierten Kapitalimport führen werden, bietet der amerikanische Fall sicherlich nicht.
    Der Dollar-Aufstieg erschien aber auch vor dem Hintergrund moderner Wechselkurstheo-
rien vielen als rätselhaft. Die aus der Retrospektive offensichtliche Überbewertung des Dollars
in der ersten Hälfte der 80er Jahre konnte auch nicht mit Dornbuschs Theorie "überschießen-
der Wechselkurse" (1976) erklärt werden: Die Aufwertung erfolgte nicht sprunghaft, um dann
schrittweise revidiert zu werden, sondern hielt kontinuierlich mehrere Jahre an13. In diesem
Zusammenhang wurden auch Zweifel an der Rationalität der Devisenmärkte deshalb geäußert,
weil mit der Dauer der Aufwertungsphase eine "harte Landung" des Dollar als immer wahr-
scheinlicher gelten mußte, während andererseits die internationale Zinsdifferenz noch unmit-
telbar vor dem Ende des Dollar-Booms im Frühjahr 1985 eben diese erwartete Abwertung in
keiner Weise widerspiegelte (vgl. Bliss 1986)14.
    Der in der Tat rasche Prozeß der Dollar-Abwertung ging auch nicht primär von veränder-
ten Anlagepräferenzen auf den internationalen Finanzmärkten aus, sondern wurde von einer
geldpolitischen Lockerung eingeleitet, die sich bereits im vierten Quartal 1984 an sinkenden
Geldmarktzinsen zeigte und die in den folgenden Jahren fortgeführt wurde (vgl. Abbildung 7;
Sachs 1988: 660f). Das Plaza-Abkommen westlicher Notenbanken im September 1985 be-

11   Diese kompensierende Bewegung zwischen Auslands- und Inlandskreditvergabe von finanzstar-
ken Ländern ist ein in der Wirtschaftsgeschichte zwar häufiges, jedoch nicht allgemeingültiges Muster
(vgl. Kindleberger 1987: 257f).
12 Anzumerken ist, daß nicht identifizierbare Zuflüsse, die im Restposten der Zahlungsbilanz ausge-
wiesen werden, insbesondere zu Beginn der 80er Jahre einen großen Teil des amerikanischen Kapital-
imports ausmachten (vgl. Tabelle und Abbildung 2).
13 Es wird im übrigen selten darauf hingewiesen, daß Dornbuschs Modell ohnehin auf recht restrik-
tiven Annahmen beruht; so ergibt sich ein Überschießen des Wechselkurses i.d.R. nur dann, wenn
Output und Realeinkommen auch in der kurzen Frist fix sind - eine extrem neuklassische und schlicht
unrealistische Prämisse.
14 Zum Stand der Diskussion zur Frage der Effizienz von Devisenmärkten siehe z.B. Levich (1989).
9

kräftigte noch den Wunsch nach einer weiteren Dollar-Abwertung, was eben heißt, daß der
Markt keineswegs von einer befürchteten Flucht aus dem Dollar beherrscht war. Die veränder-
ten Kräfteverhältnisse auf dem Devisenmarkt waren denn auch nicht eine Folge ausbleibender
Kapitalimporte, sondern steigender Kapitalexporte: Während die Wertpapierkäufe des Aus-
lands bis einschließlich 1986 weiter stiegen15, nahmen amerikanische Direktinvestitionen und
die Kreditvergabe der US-Banken deutlich zu (vgl. Tabelle und Abbildung 1).
     Erst die Jahre 1987-88 waren von einer Dollar-Schwäche gekennzeichnet. Nicht nur im
Gefolge des spektakulären Börsenkrachs im Oktober 198716 waren erhebliche Stützungsope-
rationen zugunsten des Dollar notwendig; der amerikanische Kapitalimport wurde jetzt bei
rückläufigen privaten Portfolioinvestitionen des Auslands vermehrt durch Verpflichtungen ge-
genüber öffentlichen ausländischen Institutionen getragen (vgl. Tabelle und Abbildung 2). Al-
lerdings fand Sachs (1988: 659) auch für diese Phase keine Anzeichen für eine gestiegene Ri-
sikoprämie des Dollar. Im Jahr 1989 war dann wieder eine Stabilisierung zu verzeichnen, als
der Dollar sogar gegenüber der D-Mark an Wert gewann (vgl. Abbildung 3).
     Damit stellt sich die Frage, wie die Position der US-Ökonomie nach dem eigenwilligen
Kurs der amerikanischen Wirtschaftspolitik und den ausgeprägten Schwankungen des Dollar-
Kurses in den 80er Jahren zu beurteilen ist. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um bin-
nenwirtschaftliche Aspekte, sondern vor allem um eine Einschätzung der USA als "Bank",
d.h. als Kreditproduzent und Anbieter von "Weltgeld" sowie verzinslichen Finanzforderun-
gen, die in der internationalen Geldwirtschaft bis heute eine bedeutende Vermögenssiche-
rungsfunktion übernehmen.

Die Staatsverschuldung

Das "Zwillingsdefizit" in Staatshaushalt und Leistungsbilanz gilt als schwerwiegender Nega-
tivposten in der Hinterlassenschaft der Reaganomics. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen
war das propagierte Ziel, die faktisch verfolgte Politik war demgegenüber expansiv. Dabei ist
allerdings anzumerken, daß die amerikanische Finanzpolitik auf der Ausgabenseite zu Beginn
der 80er Jahre lediglich den bis dahin fallenden Trend des Staatsanteils am Sozialprodukt ge-
stoppt hat (vgl. Abbildung 5). Spätere Ansätze einer gesetzlichen Regelbindung haben dann
die jährlichen Budgetdefizite nicht entscheidend einzudämmen vermocht. Jedoch ist das Pro-

15 Gerade die rasche Dollar-Abwertung machte es für Ausländer nicht sinnvoll, die bei ihrem Be-
stand amerikanischer Wertpapiere eingetretenen Buchverluste zu realisieren, sondern regte vermutlich
sogar Zukäufe an, um den durchschnittlichen Einstandspreis der Papiere zu verringern.
16 Dieses Ereignis wurde weithin als Bestätigung der von fundamentalkeynesianischer Seite immer
wieder betonten These einer finanziellen Instabilität des Marktsystems gewertet. Während die Progno-
sen für den realwirtschaftlichen Bereich deutlich nach unten revidiert und Vergleiche zur Weltwirt-
schaftskrise in den 30er Jahren beschworen wurden, erwies sich die aggregative Stabilität des Systems
bei exogenen Störungen - wenn die Geldpolitik Liquiditätskrisen verhindert - dann doch rasch als
weitaus höher als erwartet: Die quantitätstheoretische Position konnte einen Punktsieg verbuchen
(vgl. Brunner/Meltzer 1988).
10

blem der amerikanischen Staatsverschuldung in der Öffentlichkeit wohl übertrieben worden.
    Dem rasch gewachsenen Defizit im Bundeshaushalt sind die weiterhin bestehenden Über-
schüsse der lokalen Gebietskörperschaften gegenzurechnen. Das Gesamtdefizit blieb auch in
der expansivsten Phase der Finanzpolitik gemessen am Bruttosozialprodukt unter 4%; das Ni-
veau der Defizite liegt in einigen europäischen Ländern weitaus höher. Beim Tempo der Kon-
solidierung ab Mitte der 80er Jahre konnten die USA im Vergleich mit der Bundesrepublik,
Japan und Großbritannien zwar nicht ganz mithalten (vgl. Abbildung 6), aber ohne Zinszah-
lungen gerechnet ist das Budget nun etwa ausgeglichen und die Relation zwischen Schulden-
stand und Sozialprodukt hat sich bei etwas über 40% stabilisiert (vgl. OECD 1989: 49ff)17.
     Auch wenn deshalb das interne Staatsschuldenproblem auf keine instabile Dynamik hin-
deutet, so bleibt die These zu prüfen, die Finanzierung des amerikanischen Budgetdefizits er-
fordere in großem Umfang ausländische Ersparnisse, womit einerseits die USA in eine für sie
neue und unbequeme Abhängigkeitsposition geraten sei und andererseits damit das Deficit
Spending über steigende Zinsen die Investitionen in anderen Ländern behindere.
     Im Hinblick auf die Einkommensströme "absorbiert" das amerikanische Haushaltsdefizit
jedoch keine ausländischen Ersparnisse, sondern schafft diese: Kreditfinanzierte Staatsausga-
ben in den USA verlangen an anderer Stelle einen Konsumverzicht, der unter der Bedingung
eines Handelsbilanzdefizits vom Ausland geleistet wird. Dabei bleibt freilich offen, ob den
ausländischen Exporten in die USA ein freiwilliger oder unfreiwilliger Konsumverzicht der
Exportländer entspricht. Entscheidend ist aber, daß bei geringerem US-Budgetdefizit über ge-
ringere US-Importe insoweit auch die ausländische Ersparnis geringer wäre. Dies ist nur eine
Implikation des Sachverhalts, daß eine Haushaltskonsolidierung in den USA für sich genom-
men im Ausland zunächst einmal zu Nachfrage- und Einkommensausfällen führen müßte.
     In monetärer Sicht, d.h. in bezug auf die Allokation von Geldvermögensbeständen, sind
die USA dagegen auf die Bereitschaft des Auslands angewiesen, amerikanische Staatsschuld-
titel (bzw. andere Dollar-Papiere) zu kaufen. Da Auslandswährungen im strengen Wortsinne
jedoch niemals Wirtschaftsprozesse im Inland finanzieren können18, ist für die USA der Re-
flex dieser Kapitalbewegung, der Importüberschuß, von Bedeutung, der gleichsam die güter-

17   Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, daß die konventionelle Messung von Budgetdefiziten
stets kontrovers ist. In jüngerer Zeit hat insbesondere Eisner (1989) herausgearbeitet, daß in realer
Rechnung, bei Berücksichtigung der notwendigen Trennung zwischen konsumtiven und investiven
Ausgaben sowie unter Einschluß einer marktgerechten Bewertung der Aktiva und Passiva das Defizit
praktisch verschwindet. Allerdings trifft dieses Meßproblem auch auf andere Länder zu und ist hier
deshalb nicht weiter zu verfolgen.
18 In diesem Zusammenhang ist das verbreitete Mißverständnis auszuräumen, daß z.B. DM-Anlagen
im finanztechnischen Sinne für eine Deckung der Lücken im amerikanischen Staatshaushalt sorgen
könnten. Die DM-Beträge eines auf den Erwerb von US-Staatsanleihen gerichteten deutschen Kapital-
exports bewirken vielmehr auf dem Devisenmarkt eine Wechselkursänderung, induzieren damit einen
zusätzlichen Güterexport in die USA und fließen so als DM-Gegenwert der Exporterlöse zu deutschen
Unternehmen. Umgekehrt werden die Käufe amerikanischer Wertpapiere i.e.S. aus dem Dollar-Kreis-
lauf in den USA finanziert, indem die Zahlungen amerikanischer Importeure vom Devisen- zum US-
Bondsmarkt umgelenkt werden.
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wirtschaftliche Finanzierung des Budgetdefizits besorgt.
     Diese "Realbesteuerung" des Auslands, das mit Ressourcenexporten zur Wahrung des gü-
terwirtschaftlichen Gleichgewichts in den USA beiträgt, steht auch der Befürchtung entgegen,
die Kombination von expansiver Finanzpolitik und (anfangs) kontraktiver Geldpolitik werde
zu einem langsameren Wachstum des Kapitalstocks führen als sonst zu erwarten gewesen wä-
re (Kregel 1985: 120). Faktisch zahlt das Ausland den Preis in Form eines vergleichsweise ge-
ringeren Kapitalstocks, indem Exporte an die Stelle heimischer Investitionen treten. Der An-
teil der Investitionen am Bruttosozialprodukt ist jedenfalls in den USA seit Beginn der 80er
Jahre (wie auch in langfristiger Perspektive) gestiegen (vgl. Abbildung 5), während er be-
kanntlich in der Bundesrepublik im gleichen Zeitraum - parallel zum gestiegenen Außenbei-
trag - zurückging (vgl. Spahn 1988a: 215).
     Auf der anderen Seite sind die USA aufgrund der Importabhängigkeit in gewisser Weise
zu einer Politik vergleichsweise hoher Zinsen gezwungen: Bei einem auf deutliche Zinssen-
kungen gerichteten Kurs, der Kapital- und Güterimport vermindert würde, müßte der Kon-
sumverzicht nicht vom Ausland, sondern im Inland geleistet werden. Eine Absenkung von
Zins und Wechselkurs würde Investition und Export stimulieren, so daß bei weiterhin hohen
Budgetdefiziten der makroökonomische Einkommensreflex - die volkswirtschaftliche Er-
sparnis - statt in Importen nun in inflationsbedingt auftretenden unverteilten Unternehmensge-
winnen bestehen würde.
    Dieses Szenario droht zumindest dann, wenn die privaten Ersparnisse nicht entsprechend
zunehmen (und so an die Stelle der Unternehmensersparnis treten). Die Sparquote hat sich
von 7,7% im Jahr 1981 mittlerweile nahezu halbiert - obwohl bei steigenden Budgetdefiziten
nach neuklassischer Lehre eigentlich das Gegenteil zu erwarten gewesen wäre (vgl. OECD
1989: 51f, 133). Das angebliche Problem der Staatsverschuldung in den USA erweist sich so-
mit als ein Problem der zu hohen privaten Verschuldung. Dies betrifft auch den Unterneh-
menssektor, der aufgrund gestiegener Zinsverpflichtungen bei einer geldpolitischen Restrik-
tion sehr krisenanfällig wäre.
    Aber damit verschiebt sich die Frage zu den möglichen Anlässen eines derartigen Kurs-
wechsels der Geldpolitik. Im Vergleich zu den 70er Jahren erscheinen die internen Faktoren
einer drohenden Geldentwertung, Lohndruck und Produktivitätsentwicklung, weitgehend un-
ter Kontrolle - wobei das Auftreten konjunktureller Verspannungen natürlich nicht auszu-
schließen ist (vgl. Abbildung 3; OECD 1989: 17ff). Somit bleibt die Gefahr eines krisenhaften
Verfalls des Dollar-Außenwertes, der die Notenbank direkt oder vermittelt über den Infla-
tionseffekt zur Stabilisierung zwingen könnte. Wie ist die außenwirtschaftliche Lage der
USA?

Das gefährdete externe Gleichgewicht

"The Second Debt Crisis Is Coming!" Mit dieser Warnung prognostizierte Bergsten (1985) am
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Wendepunkt der Dollar-Kursentwicklung neben den Entwicklungsländern auch den USA ein
Verschuldungsproblem. Der zentrale Unterschied zur Situation der Entwicklungsländer ist
freilich, daß die USA eben nicht über Exporte Devisen zur Schuldtilgung verdienen müssen.
Die Verschuldung in eigener Währung bedeutet, daß die USA (im Gegensatz zu den Entwick-
lungsländern) über das Instrument der Entwertung ihrer Verpflichtungen über Währungsab-
wertung verfügen (vgl. Riese 1989: 196ff).
     Da die USA den ausländischen Anlegern Dollar zu zahlen haben, die sie selbst "produzie-
ren" können, ist die reale, in Gütern gerechnete Rückzahlung der amerikanischen Außenver-
schuldung in Form eines Exportüberschusses nicht wie bei den Entwicklungsländern die Vor-
aussetzung der Tilgung, sondern ihre Folge: ein Vorgang, der von den USA zwar einen Kon-
sumverzicht verlangt, der aber zugleich einen Impuls ökonomischer Dynamik darstellt, wäh-
rend auf der anderen Seite die Gläubigerländer über diesen Realtransfer insofern nicht froh
sein können, als er in ihren Wirtschaftsräumen für sich genommen zu partiellen Produktions-
und Beschäftigungsverlusten führt.
     Die Rückzahlungsverpflichtung der amerikanischen Auslandsverschuldung ist insoweit
fiktiv - sie stellt für die USA praktisch keine Last dar und wäre im Falle ihrer Realisierung
eben auch für das Ausland mit Anpassungskosten verbunden19. Aber die Vorstellung, daß die
Gläubiger insgesamt auf einer Rückzahlung ihrer Kredite bestehen werden, negiert ohnehin ei-
ne zentrale ökonomische Funktion der USA in der Weltwirtschaft: nämlich als Bank u.a. ver-
zinsliche Formen der Vermögenssicherung anzubieten, die von den Anlegern als Gruppe per-
manent gehalten werden, wenn Sicherheit, Rentabilität und Liquidität dieser Depositen i.w.S.
als gegeben gelten.
     Diese kollektive Erwartung ist der eigentlich kritische Punkt. Im "klassischen" Fall eines
Leitwährungslandes ist seine Bankfunktion und die Akzeptanz seiner Währung als Weltgeld
(wie in Abschnitt I beschrieben) von der Bindung an eine "Sicherheit" (wie z.B. Gold), vor al-
lem aber von der erkennbaren Bereitschaft und Fähigkeit der betreffenden Notenbank zur
Verteidigung der Währungsparität abhängig. Im Hinblick auf beide Aspekte sind Zweifel an-
gebracht.
     Zum einen hat die amerikanische Geldpolitik spätestens seit den 70er Jahren zumindest
phasenweise immer wieder zu erkennen gegeben, daß nationale Interessen in der Praxis einen
höheren Stellenwert einnehmen als Erfordernisse zur Stabilisierung des Weltwährungssystems
- zumal Flexibilität und Veränderung der Paritäten eben auch als ökonomische Notwendigkei-
ten dargestellt werden konnten. Zum anderen ist die Macht der US-Notenbank zur Regulie-

19   In ähnlicher Weise beurteilte Emminger (1934: 324) die Position Englands zu Beginn der 30er
Jahre, als der Goldstandard aufgegeben wurde: Andere, in fremder Währung verschuldete Länder
mußten auf eine Devisenbewirtschaftung zurückgreifen, weil eine Abwertung die Kreditabzüge nicht
bremste. "Für England hingegen, das in der günstigeren Lage war, hauptsächlich Pfundverpflichtun-
gen zu haben, war es das Natürlichste, die fremden Gläubiger oder die mißtrauischen Volksgenossen
ihre Panik mit einem entsprechenden Disagio des Pfundes bezahlen zu lassen; dieses Disagio mußte
dann ganz von selbst dafür sorgen, daß die Kreditabzüge zum Halten kamen."
13

rung des Dollar-Kurses beschränkt; eine Wechselkurspolitik gegen die Marktkräfte läßt sich
bei der Empfindlichkeit und dem Volumen der heutigen internationalen Finanzmärkte nicht
erfolgreich durchhalten.
    Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Beurteilung des US-Leistungsbilanzdefizits
durch die Akteure auf den Devisenmärkten, weil dieses die Notwendigkeit eines ständigen
Kapitalstroms in die USA suggeriert20, um Abwertung und Kapitalverluste für die Halter von
Dollar-Forderungen zu vermeiden. Solange dieses Defizit als Folge eines überbewerteten
Wechselkurses - und das heißt: als Folge der Kapitalanlagen in den USA - aufgefaßt wird, ist
die Marktkonstellation stabil. Ein Rückzug der Anleger beseitigt zugleich den Anlaß ihrer ur-
sprünglichen Besorgnis, indem bei sinkendem Wechselkurs die Leistungsbilanz über die Re-
aktionen der Handelsströme wieder ins Gleichgewicht gelangt. Freilich benötigt diese Reak-
tion (zuviel) Zeit, so daß die im Gold-Pfund-Standard gültige Norm einer ausgeglichenen Lei-
stungsbilanz eine solidere Basis abgibt.
    Auf der anderen Seite wird jedoch das Handelsbilanzdefizit stellenweise auf eine sich
langfristig verschlechterte industrielle Wettbewerbsfähigkeit der US-Ökonomie zurückge-
führt. Dabei wird das Ausbleiben bzw. die starke Verzögerung einer Handelsbilanzverbesse-
rung im Nachgang zur doch deutlichen Dollar-Abwertung nach 1985 als ein Beleg für die Be-
deutung nicht-preislicher Faktoren für die angeblich mangelnde Marktfähigkeit amerikani-
scher Exporte gewertet. Träfe diese Einschätzung zu, so wäre das währungspolitische Dilem-
ma der USA perfekt: Der Prozeß der Dollar-Verfalls wäre einerseits deutlich genug, um
Wohlfahrtsverluste via Terms-of-Trade-Verschlechterungen zu bewirken, andererseits jedoch
nie ausreichend, um handelswirtschaftlich zu einem externen Gleichgewicht zurückzufinden.
    Die ökonomische Profession ist in der Haltung zu diesem neuerlichen "Elastizitätspessi-
mismus", d.h. der These einer strukturell geringen Wechselkurs- und Preisreagibilität der ame-
rikanischen Handelsströme, gespalten. Kritiker halten das Ganze für einen "Mythos" (Land-
mann 1988: 315). Einige Anmerkungen zu diesem Streit müssen hier genügen:
    Zunächst kann mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit grundsätzlich kein Argu-
ment für ein Handelsbilanzdefizit, sondern immer nur für einen "schlechten" Wechselkurs
sein, d.h. sie wird ein für das betreffende Land ungünstiges Austauschverhältnis im Handel
und darüber eine relative Verarmung bewirken. Preistheoretische Zusammenhänge werden
nicht durch den Verweis auf "ungünstige Elastizitäten" aus der Welt geschaffen. Wenn also
die USA aufgrund ungenügender Effizienz i.w.S auf vielen Märkten zurückfallen, so heißt
dies nicht, daß der Wechselkurs nicht mehr für einen Handelsbilanzausgleich sorgen kann;
vielmehr würde dann die Abwertung c.p. solange anhalten, bis dieses Gleichgewicht bei dann
möglicherweise enormen Wohlfahrtsverlusten realisiert wäre.
    Weiterhin leiden ökonometrische Analysen zur Wechselkurselastizität von Handelsströ-

20  Daß die Marktlogik makroökonomisch eher vom Kapital- zum Leistungsbilanzsaldo führt und so-
mit ein Defizit bei letzterem nicht gleichsam exogen vorgegeben kann, muß für den einzelnen Anleger
nicht unbedingt eine Beruhigung darstellen.
14

men an ihrem partialanalytischen Ansatz, d.h. sie erfassen beispielsweise nicht jene einkom-
mensbedingten Importsteigerungen, die im Gefolge einer abwertungsbedingten Exportsteige-
rung und ihrer Rückwirkung auf die effektive Nachfrage auftreten. Die Handelsbilanzentwick-
lung reagiert dann in der ökonometrischen Simulation bei Wechselkursänderungen positiver
als im faktischen Verlauf, woraus dann aber eben nicht ohne weiteres auf die Existenz maß-
geblicher nicht-preislicher Bestimmungsfaktoren geschlossen werden kann21.
     Ein Blick auf die groben Linien des Verlaufs der empirischen Entwicklung zeigt, daß die
amerikanischen Exporte (neben den Investitionen) seit drei Jahren zu einem bedeutenden Trä-
ger des Wachstums geworden sind. Die am Sozialprodukt gemessene Zunahme des Imports
hat sich dagegen abgeschwächt, wobei es durchaus plausibel erscheint, die sich nur langsam
schließende Schere durch die Wirksamkeit von Einkommenseffekten zu erklären. Hierbei
spielt das bereits erwähnte veränderte Sparverhalten der privaten Haushalte eine wichtige Rol-
le: Eine temporäre Erhöhung der Konsumneigung entkoppelte das "Zwillingsdefizit", so daß
auch die Ansätze einer Budgetkonsolidierung nicht entsprechend auf das Handelsbilanzdefizit
durchschlugen (vgl. Abbildung 5; OECD 1989: 12, 51, 55).
     Festzuhalten bleibt somit, daß schon aus methodischen Gründen ein Vorgehen verfehlt ist,
zunächst - z.B. aufgrund der These einer strukturell verschlechterten amerikanischen Wettbe-
werbsfähigkeit - anhaltende Leistungsbilanzdefizite für die kommenden Jahre zu prognostizie-
ren und dann die Frage zu stellen, ob sich genügend Vermögensbesitzer im Ausland finden
werden, die mit ihren Kapitalanlagen in den USA für ein Zahlungsbilanzgleichgewicht sorgen.
Denn wenn im Falle eines merklichen Vertrauensverlustes des Dollar der Strom des Nettoka-
pitalimports versiegt, müßte eben auch das Leistungsbilanzdefizit verschwinden. Die Wech-
selkurselastizität der Handelsströme bestimmt dann nur den Abwertungssatz, bei dem sich das
Gleichgewicht einstellt.
     Vor diesem Hintergrund wäre umgekehrt anzunehmen, daß ein anhaltendes Leistungsbi-
lanzdefizit darauf hinweist, daß das Vertrauen in die Wertsicherheit von Dollar-Anlagen of-
fenbar noch nicht geschwunden ist. Krugman (1989) wendet sich gegen diese Schlußfolgerung
mit dem Argument, daß kurzfristig zumindest die Handelsbilanz aufgrund des J-Kurven-Ef-
fektes22 nicht in der notwendigen Weise reagieren wird, wenn eine Vertrauenskrise auf dem
internationalen Vermögensmarkt zu einer Abwendung von Dollar-Titeln führt und es zu einer

21   "The initial increase in net exports will have income effects which generate greater import de-
mand, and if little of this extra income is saved, the 'general equilibrium' improvement in the trade de-
ficit will be small compared with the initial balance-of-payments effect of depreciation. (...) Confu-
sion between the partial- and general-equilibrium effects of depreciation has often brought the compe-
titive response of U.S. industry to the dollar's decline prematurely into question" (OECD 1989: 57).
Auch Funke (1989: 92) sieht diesen Punkt, hält aber an seinem Ergebnis eines im wesentlichen struk-
turell bedingten US-Handelsbilanzdefizits fest.
22 Dieser wird in seiner Wirkung durch einen Hysteresis-Effekt verstärkt, weil bei starken und lang-
anhaltenden Wechselkursausschlägen Kapazitätsentscheidungen induziert werden, so daß selbst bei
einer Rückkehr des Wechselkurses zum ursprünglichen Niveau die Handelsbilanz nicht wieder ins
Gleichgewicht gelangt (vgl. Dornbusch 1987: 9f).
15

Dollar-Abwertung kommt. Bleibt so das Defizit in der Leistungsbilanz bestehen, sind die An-
leger gleichsam "aus saldenmechanischen Gründen" zu einem weiteren entsprechenden Kapi-
talexport in die USA gezwungen, wobei eben nur der Wechselkurs sinkt23. Die markante Dol-
lar-Abwertung nach 1985 bei im wesentlichen unveränderten Kapital- und Leistungsströmen
legt Krugman zufolge also die Schlußfolgerung nahe, "that a loss of foreign confidence in the
United States is not something that might happen in the future; it is something that has already
happened" (1989: 34).
     Nun hebt die Saldenmechanik der Zahlungsbilanz nicht die Dispositionsfreiheit der Ver-
mögensbesitzer auf. Krugman erklärt deshalb das Interesse ausländischer Anleger an amerika-
nischen Vermögenswerten damit, daß ein gesunkener Dollar nicht amerikanische Waren wett-
bewerbsfähig, sondern amerikanische Assets "billig" gemacht habe, so daß die USA zu "Aus-
verkaufspreisen" Vermögenswerte an das Ausland verliere ("fire sale theory"). Die gestiegene
Attraktivität dieser Aktiva ergebe sich daraus, daß der Dollar unter sein langfristig erwartetes
Niveau gefallen sei und so ausländischen Investoren eine höhere Rendite verspreche (Krug-
man 1989: 32f).
     Diese Begründung ist nun deshalb fragwürdig, weil sie einen anhaltenden Kapitalimport
der USA mit langfristigen Aufwertungserwartungen im Hinblick auf den Dollar (in der Situa-
tion einer aktuell scharfen Abwertung) erklärt, d.h. auf die Vorstellung "überschießender
Wechselkurse" rekurriert. Dabei ist jedoch unklar, wie trotz unterstellter Vertrauenskrise des
Dollar der Markt langfristig wieder an einen auf höherem Niveau stabilisierten Dollar glauben
kann. Entweder diese Krise wird ohnehin nur als kurzfristiges Phänomen interpretiert - dann
wird sich kaum ein scharfer Dollar-Einbruch einstellen, weil die Erwartungen über seinen
künftigen Wert schon den jeweils aktuellen Kurs beeinflussen. Oder es tritt ein fundamentaler
Regimewechsel ein, der die bisherige Rolle des Dollar in der Weltwirtschaft unterminiert -
dann bleibt offen, worauf sich langfristige Aufwertungserwartungen gründen lassen.
     Um Krugmans Position zu stützen, wäre es besser, die erwartete Ertragsrate von US-Ver-
mögenswerten nicht an spätere Kursgewinne beim Rücktransfer in die heimische Währung zu
binden. Näherliegender wäre das Argument, daß für ohnehin transnational wirtschaftende Ak-
teure, denen das geographische Element ihrer Bilanz eher zweitrangig ist, der Dollar-Kursver-
fall vor allem reale Vermögenswerte relativ, d.h. im Vergleich zu ihrem Preis in anderen Wäh-
rungsräumen verbilligt hat. So werden z.B. multinationale Unternehmen, die einen bestimm-
ten Wertanteil ihres Portefeuilles in Aktien oder Immobilien zu halten wünschen, vermehrt als
Käufer in den USA auftreten. Die Ratio eines solchen Verhaltens liegt dann nicht in der Er-
wartung einer späteren Dollar-Aufwertung, sondern in der spekulativen Vorwegnahme künfti-
ger Dollar-Preissteigerungen für die betreffenden Aktiva, wenn man gleichsam von einem
"law of one price" für bestimmte Sachvermögenswerte ausgeht.

23  "Since the rate of capital inflow is by definition equal to the current account deficit, we have a
paradoxical result: capital markets cannot determine the rate of capital inflow. All they can do is de-
termine the value of the dollar" (Krugman 1989: 33).
16

     In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Direktinvestitionen in den USA
in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben; aber andere bedeutende Posten des US-Ka-
pitalimports, bei denen das "fire-sale"-Argument kaum eine Rolle spielen dürfte, wie der ge-
stiegene Erwerb von Bankguthaben und die immer noch beträchtlichen Wertpapierneuanlagen
(vgl. Tabelle und Abbildung 2), deuten darauf hin, daß Krugmans Analyse nur einen Aus-
schnitt des Marktgeschehens erklärt.
     Eine allgemeine Antwort auf die Frage nach den Grenzen des US-Kapitalimports kann
nicht aus Überlegungen zur Notwendigkeit einer Rückzahlung der amerikanischen Auslands-
schuld gewonnen werden, sondern muß umgekehrt an der Rate der Geldvermögensbildung in
der Welt und den dabei zur Geltung kommenden Währungspräferenzen ansetzen. Das durch
Nettokapitalimport zu deckende Leistungsbilanzdefizit der USA betrug zuletzt lediglich etwa
ein Zehntel der laufenden Ersparnis Japans und der EG. Aus dieser Perspektive erscheint es
keineswegs ausgeschlossen, daß die Überschußländer jährlich einen konstanten Teil ihres
wachsenden Geldvermögens zum Kauf von Dollar-Titeln verwenden (vgl. Cooper 1985;
Sachs 1988: 654f).
     Auf der anderen Seite wird jedoch die Erwirtschaftung der Zinszahlungen, die die USA
als "Bank" für die ausländische Kreditaufnahme, d.h. für ihre "Einlagen" i.w.S. zu leisten hat,
zu einem Problem. Denn erstens sind die USA nicht (mehr) in der komfortablen Position einer
normalen Geschäftsbank, die von der Marge zwischen Soll- und Habenzinsen leben kann. Das
Zinsniveau der USA ist vielmehr mittlerweile im internationalen Vergleich relativ hoch.
Zweitens werden die USA etwa seit 1985 in der Position eines Nettoschuldnerlandes gese-
hen24, was ebenfalls der typischen Position einer Geschäftsbank widerspricht. Aus beiden
Gründen ergibt sich eine Tendenz zu negativen Zinserträgen.
    Diese vermögenswirtschaftlich ungünstige Lage der USA schlägt sich nun auch immer
mehr in der Entwicklung der Zahlungsbilanz nieder. Der Posten der Vermögenseinkommen,
der in der Vergangenheit praktisch die gesamte Dienstleistungsbilanz bestimmt hat, ist stark
geschrumpft und wird demnächst ins Defizit geraten. Selbst wenn aus der Perspektive der in-
ternationalen monetären Kapitalallokation ein bestimmtes Leistungsbilanzdefizit als dauerhaft
finanzierbar gilt, so muß sich aufgrund der amerikanischen Nettozinszahlungen an das Aus-
land die Struktur dieses Defizits nach und nach ändern: Der Güterimportüberschuß muß ten-
denziell abgebaut werden und unter ungünstigen Bedingungen, d.h. bei einem über der
Wachstumsrate liegenden Zinssatz, sogar sein Vorzeichen wechseln (vgl. Tabelle; OECD
1989: 58ff)25.

24   Aufgrund von vielfältigen Bewertungsproblemen läßt sich jedoch zumindest der Zeitpunkt dieses
Umschlags nicht eindeutig bestimmen; so bewirkt die Veranschlagung der amerikanischen Direktin-
vestitionen zu historischen "Anschaffungswerten" eine systematische Unterschätzung der US-Aus-
landsaktiva (vgl. OECD 1989: 58).
25 Das Domar-Modell bei Auslandsverschuldung: Es sei D der Auslandsschuldbestand, r der Zins
für Auslandsschulden und Z der Zinsendienst rD. Das Leistungsbilanzdefizit L = dD / dt setzt sich aus
den Zinszahlungen Z und dem Handelsbilanzdefizit H zusammen. Das Einkommen Y wachse mit der
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