Die wahren Feinde Israels - Gastkommentar von Avraham Burg, früherer Sprecher der Knesset
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NZZ.CH DEBATTE Donnerstag Gastkommentar von Avraham Burg, früherer Sprecher der Knesset Die wahren Feinde Israels Debatte Dossier: Konflikt im Nahen Osten Donnerstag In der Dunkelheit, die den Friedensprozess im Nahen Osten umgibt, können wir nun einen Lichtschimmer sehen. Am 14. Mai haben die Aussenminister der Europäischen Union Israels Siedlungsexpansion und den Import von Produkten aus dem palästinensischen Westjordanland scharf kritisiert. Vier Tage später kündigte Dänemark Massnahmen an, um in Übereinstimmung mit dem europäischen Konsumentenschutz Produkte aus Siedlungen nicht mehr mit «made in Israel» zu deklarieren. Und vor einiger Zeit hat die Schweizer Einzelhandelskette Migros erklärt, dass sie die gleiche Deklarierung anwenden werde, weil die Siedlungen ausserhalb der international anerkannten Grenzen Israels lägen. Korrekte Deklarierung Diese Schritte sind nach dem Vorbild Grossbritanniens unternommen worden, dessen Regierung bereits im Jahr 2009 die korrekte Beschriftung von Produkten aus israelischen Siedlungen einführte. Andere Länder und Handelsketten könnten bald diesem Beispiel folgen. Entgegen dem, was man vermuten könnte, handeln diese europäischen Staaten und Unternehmen ganz in Israels Interesse. Das tun sie, weil sie durch diese Massnahmen die sogenannte Grüne Linie verteidigen, die vor 1967 als Grenze zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten galt. Diese Grüne Linie ist entscheidend für den Frieden in Nahost. Sie wurde während der Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Israel und den arabischen Staaten 1949 mit grünem Stift auf die Karten gezeichnet. Leider überlebte sie nur bis zum Krieg im Jahr 1967. Während dieses Krieges besetzte Israel das Westjordanland und den Gazastreifen. Seither bemüht sich jede israelische Regierung darum, diese Linie infrage zu stellen und schliesslich auszuradieren. Mittlerweile ist die Grüne Linie aus den offiziellen Landkarten des israelischen Staates verschwunden. Ihre Erwähnung wurde gar in Schulbüchern verboten. Das grossflächige und expansionistische Siedlungsprojekt untergräbt die Grüne Linie tagtäglich. Sogar Wohnorte, die inzwischen über 500 000 Siedler zählen, sind innerhalb der besetzten palästinensischen Gebiete gegründet worden, um die Existenz der Grünen Linie vergessen zu machen und die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates zu verhindern. Jedem Israeli sollte seit langem klar sein, dass alles innerhalb der Grünen Linie zum demokratischen und rechtmässigen Israel gehört. Und alles ausserhalb dieser Linie ist etwas anderes: undemokratisch und unrechtmässig. Nicht unser.
Aber das israelische Volk ist blind, seine Ohren sind taub und seine Führer schlaff und schwach. Dies ist genau eine dieser Situationen, in denen Gesellschaften dringend Rückmeldungen und Interventionen von aussen benötigen: um die Absurdität der Lage zu spiegeln und die Aufmerksamkeit auf den grossen Schaden zu lenken, den menschliche und politische Blindheit anrichtet. Um Israel zu sagen, dass es unmöglich ist, als einzige Demokratie im Nahen Osten behandelt zu werden, während es gleichzeitig die letzte Kolonialmacht in der westlichen Welt ist. Es ist weder antisemitisch noch antiisraelisch, diese Botschaften laut zu verkünden. Im Gegenteil: Die Siedler, die Besetzer und ihre politischen Verbündeten – einschliesslich des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu – sind die wahren Feinde von Israels Zukunft. Israels Dämonen Wer die Grenzen vor 1967 auslöschen möchte, steht im Wesentlichen auch für die Auslöschung von fundamentalen Werten, auf denen der israelische Staat gegründet worden ist: Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Säkularismus und Modernität. Palästinensisches Land über die Grüne Linie hinaus zu kolonisieren, geht in die Gegenrichtung: Es erzeugt fanatische, nationalistische, fundamentalistische und antidemokratische Energien, die alle bürgerlichen israelischen Grundfesten erschüttern. Ich habe entschieden, keine Produkte aus Siedlungen zu kaufen. Ich überschreite die Grüne Linie nicht, weder für wohltätige Zwecke noch für Familienangelegenheiten. Denn alles, was über die Grüne Linie hinaus passiert, betrifft Israels dunkles Alter Ego. Sein versteckter Charakter offenbart sich dort. Boshaft, aggressiv und unzugänglich. Diese Persönlichkeit droht die Macht zu ergreifen über die guten und menschlichen Strukturen des rechtmässigen Israel. Mit internationaler Hilfe müssen wir versuchen, diese Dämonen zu vertreiben, und uns auf die positiven Seiten Israels zurückbesinnen. Ferner Frieden Die falsche Deklarierung von Produkten aus Siedlungen als «made in Israel» zu verhindern und ihre Vorzugsbehandlung beim Zutritt in Europa zu blockieren, scheinen symbolische und kleine Schritte zu sein. Allerdings stellen sie angesichts der gegenwärtigen Umstände einen Riesensprung für die Friedensbemühungen im Nahen Osten dar. Dieser scheint ferner denn je zu sein. Im Gegensatz zu dem, was Ihnen womöglich erzählt wurde, handelt es sich hierbei nicht um einen pauschalen Boykott Israels, sondern um eine subtile Unterscheidung zwischen Israels grossartigem Potenzial und seinen destruktiven Fähigkeiten. Wenn, Gott bewahre, die Grüne Linie permanent ausradiert werden sollte, aus dem Bewusstsein wie auch aus dem Land, dann wird Israel verschwinden. Der Erhalt der Grünen Linie ist gleichbedeutend mit dem Erhalt Israels. Alle, die diese Grenze verteidigen und bestärken, sind Freunde Israels und erhalten die Hoffnung auf eine echte Demokratie im Nahen Osten aufrecht.
Avraham Burg war Sprecher der Knesset von 1999 bis 2003 und Vorsitzender der Jewish Agency sowie der World Zionist Organization. Anzeige Golf in Vorarlberg Zwischen Berg und Tal: Genuss und Golf in Vorarlberg Zu den Golfangeboten Ferien in Österreich Imperial & modern: Kulturerlebnisse in der Stadt. Zu den Angeboten iPod nano für Digital Natives! Beantworten Sie 8 Fragen zu Ihrem Digital Life und gewinnen Sie 1 von 25 iPod nanos. Starten & gewinnen KOMMENTARE Neuen Kommentar hinzufügen Einloggen Einloggen Sortieren nach älteste zuerst 9 KOMMENTARE Andreas B. Greuter 06/14/2012 10:13 AM Danke, Herr Burg für dieses richtige und gewichtige Votum aus Israel. In der festgefahrenen Nahost-Situation sind mahnende Stimmen aus Europa, ob gut oder weniger gut formuliert (Günter Grass) nötig, aber wegen der Holocaus- Erbschaft in Israel vielleicht doch nicht so wirksam. Als Schweizer kennt man die Problematik der xenophoben Igelstellung. Deshalb meine Bitte an Sie: Tun Sie allles, damit möglichst viele Ihrer Landsleute in Isreal und Ihrer Freunde in
den USA sich in Ihrem Sinn zu Wort melden! Antwort Empfehlung 45 Empfehlungen Tobias Sigrist 06/14/2012 10:43 AM Treffender und klarer kann man es nicht formulieren. Danke Herr Burg! Antwort Empfehlung 17 Empfehlungen Andrea_Ferraro 06/14/2012 11:31 AM Ein gelungener Artikel! Ratlos schaut die Welt in den Nahen Osten, natürlich will man Israel unterstützen und befreundet sein, aber dann ist da auch immer wieder dieses irrationale, dieses archaische. Die Frage nach dem Grund des Siedlungsbaues kann man ebenfalls schwer beantworten, jedem ist klar, dass die Antwort in der Idee des Zionismus liegt,diese wird aber von der israelische Regierung bestritten. So gibt es viele Tabus über die man nicht reden kann, zu viele für eine offene Freundschaft. So ist dieser Vorstoß wirklich sehr gelungen, ein Ja zu Israel, aber eben in den Grenzen von 1967! Antwort Empfehlung 11 Empfehlungen Ruedi Knutti 06/14/2012 11:59 AM Danke Avraham Burg, Dank gehört aber auch der NZZ! Unvorstellbar das Geschrei, wenn ein schweizerischer Autor einen solchen Artikel publizieren würde. Aber ganz so einmalig ist diese Sicht Israels nicht. Was Burg uns hier berichtet, lässt sich seit einiger Zeit auch in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz nachlesen: Wenn Israel mit seiner Politik weiter macht, dann wird und ich zitiere Burg und nicht Ahmadinejad "Israel verschwinden". Ein volles Einstehen für eine 2-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 muss aber auch Rechtsgleichheit für die nicht-jüdischen Bürger Israels beinhalten. Demokratie ist mehr als die Diktatur der Mehrheit, unter der die palästinensischen Bürgern Israels seit 1949 leben. Dazu gehören die elementaren Grundrechte, in einer Verfassung verankert. Auch da hat Israel noch viel aufzuholen. Antwort Empfehlung
14 Empfehlungen wolfgang sukowsky 06/14/2012 12:13 PM Ja dieser Kommentar hat mich restlos überzeugt. Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Säkularismus und Modernität ist die Basis des Staates Israel. Wo hat man das im Nahen Osten! In der Siedlungspolitik ist ein umdenken erforderlich. Antwort Empfehlung 2 Empfehlungen Stefan Meier 06/14/2012 09:46 PM Und wenn sich Israel hinter die Grenzen von 1967 zurückgezogen hat, ist wieder alles in Butter? Wer das glaubt kennt die arabische Mentalität aber ganz schlecht, da wird Nachgeben als Schwäche verstanden. Wie war das mit dem Friedensvertrag mit Ägypten? Makulatur seit die Muslimbrüder dort Politik machen! Was geschah mit Gaza, nachdem die Israelis Gaza zurückgaben? Tags darauf flogen die Raketen! Wer glaubt dass das Problem nur an die Siedlungspolitik Israels geknüpft ist, hat irgendwie nicht viel begriffen. Und von den Linken in Europa, die ihren Antisemitismus gerne in Siedlungspolitik-kritik einpacken, erwarte ich sicher keine Lösungen. Antwort Empfehlung 2 Empfehlungen Stefan Meier 06/14/2012 09:49 PM Warum soll Israel in die Grenzen von 1967 zurück? Hätten die arabischen Staaten rundherum nicht angegriffen, würde Israel noch in den grünen Grenzen sein? Warum schreibt keiner an Syrien und Libanon und sagt: Ihr habt sie angegriffen und Euch eine blutige Nase geholt, bitte akzeptiert das mal so langsam? Antwort Empfehlung 1 Empfehlung Hans-Peter Büchi 06/15/2012 12:26 AM
Wer sind die wahren Feinde Israels? Wenn schon die Rede von "blind und taub", dann an die Adresse derjenigen, die den Waffenstillstandsvertrag von 1949 mit Jordanien nicht kennen (wollen), denn dieser sagt klar, dass die Waffenstillstandslinie (green line) keinerlei zukünftige Grenzen präjudizieren darf! Es gibt nun einmal rechtlich keine "Grenzen von 1967" und Israels Regierung wehrt sich zu Recht gegen dieses Mantra linker Kreise und anderer - um Burg zu zitieren - "wahrer Feinde Israels". Abbas wird einmal mehr die Schützenhilfe zu schätzen wissen... Antwort Empfehlung 1 Empfehlung Hans-Peter Büchi 06/15/2012 08:46 AM Israel hat nicht nur das Problem mit dem Raketenbeschuss der Hamas und Attentaten, sondern damit, dass die Welt von etwas spricht, das es nicht gibt, nämlich die sogenannten "Grenzen von 1967". Im Waffenstillstandsvertrag von 1949 mit Jordanien ist präzis festgelegt, dass diese sog.green line in keiner Art und Weise zukünftige definitive Grenzen präjudizieren darf. Sich auf fiktive "Grenzen..." festzulegen widerspricht auch der gültigen englische Fassung der Resolution 242 - die Grenzverhandlungen vorsieht. Antwort Empfehlung 2 Empfehlungen
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