Wo Entwicklung zur Bedrohung wird - Rosa Luxemburg ...

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Rosa Luxemburg Stiftung Israel
Das Israel-Büro der Rosa Luxemburg Stiftung in Tel Aviv bietet Hintergrundberichte rund um die Themen Demokratie,
Menschenrechte & Nahostkonflikt; Wirtschaft & Gewerkschaften; Rassismus & Geflüchtete, sowie Geschichte & Kultur
aus einer linken & progressiven Perspektive.
https://www.rosalux.org.il
Wo Entwicklung zur Bedrohung wird
Während des Ramadans von Mitte April bis Mitte Mai kam es in Ost-Jerusalem zu gewaltsamen
Zusammenstößen zwischen Palästinenser*innen und israelischen Sicherheitskräften . Diesen
führten in der zweiten Mai-Hälfte zu einer allgemeinen Spirale von Gewalttätigkeiten zwischen
jüdischen und palästinensischen Staatsbürger*innen in binationalen, von Israelis als „gemischten“
Städten bezeichneten Orten im ganzen Land. Lod war die erste Stadt, in der sich im Zuge des
Gaza-Kriegs sowohl palästinensische wie jüdische Lynchmobs zusammenschlossen. Danach
breitete sich die Gewalt auch auf andere binationale Städte aus. In Akko richtete sich die Wut vor
allem gegen touristische Einrichtungen wie Hotels, einen Gebäudekomplex, der dem Erhalt von
Antiquitäten dient, sowie Restaurants von jüdischen und palästinensischen Besitzer*innen.
Natürlich wird der Kreislauf der Gewalt von Randgruppen auf beiden Seiten angeheizt. Neben dem
Schaden an Gesundheit, Leben und Eigentum wurde das gegenseitige Vertrauen zwischen
jüdischen und palästinensischen Staatsbürger*innen schwer beschädigt.

Um den Hintergrund dieser gewaltsamen Auseinandersetzungen in diesen „gemischten Städten
zu verstehen, müssen einige grundlegende historische Sachverhalte erläutert werden. In Israel
werden Städte, in denen eine jüdische Mehrheit und eine arabische Minderheit leben, als
„gemischte“ Städte bezeichnet. Daneben gibt es „jüdische“ Städte und „arabische“ Städte, in
denen fast keine Menschen der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe leben. Die „gemischten“
Städte, wie Akko, Lod, Jaffa und andere, waren vor der Staatsgründung Israels im Jahr 1948
Städte mit primär palästinensischen Einwohner*innen. Dies sind bereits in der Antike gegründete
Städte von historischer Bedeutung, deren palästinensische Einwohner*innen Teil einer
Siedlungstradition bilden, die Hunderte und sogar Tausende von Jahren alt ist. Lod und Akko
waren bereits zur Zeit des Römischen Reichs wichtige Städte; Lod wurde damals Diospolis
genannt, und Akko Ptolemais. Auf den Ruinen und Überbleibseln dieser Städte wurden die Städte
gebaut, wie wir sie heute kennen.

Umsiedelung und Vertreibung nach 1948
Während des Kriegs 1948 und gleich nach dessen Ende vertrieb oder siedelte Israel die
palästinensischen Einwohner*innen von Lod und Akko um (ebenso wie die palästinensischen
Einwohner*innen vieler anderer Städte, wie zum Beispiel Jaffa, Aschkelon, Haifa und Tiberias).
Anstelle der palästinensischen Einwohner*innen von Akko zogen Palästinenser*innen ein, die aus
ihren Dörfern im Norden Israels vertrieben worden waren; und anstelle der palästinensischen
Einwohner*innen von Lod kamen Palästinenser*innen, die aus der im Süden gelegenen Stadt
Aschkelon und den umliegenden Dörfern vertrieben worden waren. Es gelang nur sehr, sehr
wenigen Familien, die vor dem Krieg 1948 in den palästinensischen Städten lebten, auch danach
in diesen zu bleiben.[1] Während in Akko die neuen palästinensischen Einwohner*innen in den

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Häusern lebten, die von ihren ursprünglichen Bewohner*innen verlassen wurden, entschied Israel
Mitte der 1950er Jahre, die gesamte Altstadt bis auf sehr wenige historisch bedeutsame Gebäude
abzureißen.

In beiden Städten siedelte die israelische Regierung neueingewanderte, vor allem aus arabischen
Ländern kommende, jüdische Menschen an. Aufgrund der gezielten Politik der israelischen
Regierung, die sowohl die palästinensische Bevölkerung in Israel als auch die aus arabischen
Ländern eingewanderte jüdische Bevölkerung vernachlässigte, waren die binationalen Städte wie
Lod, Akko, Ramla und andere jahrzehntelang auch die ärmsten Städte in Israel. Es gab nur sehr
geringe Investitionen in die Infrastruktur und die Entwicklung der lokalen Bevölkerung. Andererseits
übersah die israelische Regierung das Potential dieser alten historisch bedeutenden Städte für den
Tourismus nicht und begann Anfang der 2000er Jahre Entwicklungspläne für Akko voranzutreiben.
In den letzten Jahren wurden erhebliche Investitionen in den Tourismus und den Erhalt historischer
Gebäude getätigt; auch in Lod, aber in geringerem Maße. In jeder dieser Städte gibt es
jahrtausendealte historische Überreste, und daher sind Investitionspläne der Kommunen und der
Regierung primär darauf gerichtet, den Tourismus als wirtschaftliche Ressource zu entwickeln.
Eine Untersuchung lässt erkennen, dass die Entwicklungsmaßnahmen der lokalen
palästinensischen Bevölkerung zumeist nicht zugutekommt und von dieser oft als bedrohlich
empfunden wird.

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Lod – nachhaltige Verdrängung
Lod liegt auf der Strecke zwischen Tel Aviv (beziehungsweise Jaffa) nach Jerusalem. Bereits in der
Antike lief der Hauptverkehrsweg durch die Stadt. Wissenschaftler*innen konnten feststellen, dass
dieser Ort bereit vor 4,000 Jahren besiedelt war. Sowohl im Römischen Reich (1.-4.Jahrhundert),
im Byzantinischen (4.-7. Jahrhundert), während des Mamluken-Sultanats (13.-15.Jahrhundert) und
im Osmanischen Reich (16.-20.Jahrhundert) erlebte die Stadt Blütezeiten. Gemäß des
Teilungsplans der Vereinten Nationen von 1947 sollte sich Lod auf dem Territorium des
palästinensischen Staates befinden. Sowohl Jordanien als auch Israel betrachteten die Stadt als
strategisch wichtigen Ort, insbesondere aufgrund des Flughafens, der während des britischen
Mandats dort errichtet wurde. Israel hat dann die Stadt während des Kriegs 1948 erobert. Während
des Krieges wurden die meisten Einwohner*innen der Stadt im Rahmen einer blutigen
Militäroperation deportiert. In den 1950er Jahren riss Israel den größten Teil der Altstadt ab, mit
Ausnahme von ein paar historisch bedeutsamen Gebäuden.

Während der Ausschreitungen diesen Mai war der Bau des Mosaikmuseums der Stadt in vollem
Gange. Das Museum wurde unmittelbar auf der Stelle errichtet, an der sich das spektakulärste
Mosaik der Antike und der spätrömischen Zeit (3.-4.Jahrhundert) im Land befindet. Das Mosaik
wurde im Jahr 1996 bei Ausgrabungen entdeckt und erst nach vielen Jahren konnten genügend
Spenden und Haushaltsmittel gefunden werden, um den Bau des Museums für ungefähr
30 Millionen Schekel [ca. 7,5 Millionen Euro] zu finanzieren. Im Rahmen der Tourismusförderung
ist das kein besonders hoher Betrag. Trotzdem hat es 20 Jahre gedauert, bis genügend
Finanzmittel zur Verfügung standen, von denen ein erheblicher Teil durch Spenden aufgebracht
wurde. Das Mosaik befindet sich in der Nähe der Altstadt, imheutigen Ramat-Eschkol-Viertel. Es ist
eines der ärmsten Viertel der Stadt und war eines der Brennpunkte während der gewalttätigen
Ereignisse im Mai.

Das Ramat-Eschkol-Viertel befindet sich unmittelbar neben der Altstadt von Lod. In beiden leben
sowohl jüdische als auch palästinensische Einwohner*innen, wobei letzteren die Mehrheit bilden.
Im Gegensatz dazu sind die meisten Einwohner*innen der Stadt jüdisch und nur eine Minderheit
palästinensisch. Nachdem der größte Teil der Altstadt in den 1950er Jahren abgerissen worden
war, erhielten die meisten Straßen im Ramat-Eschkol-Viertel explizit zionistische Namen, wie zum
Beispiel Rehov HaGdud HaIvri (Straße der Jüdischen Legion), Rehov HeChaluts (Straße des
jüdischen Pioniers) oder Rehov Alija (Straße der jüdischen Einwanderung nach Israel/Palästina).
Die Straßennamen springen besonders ins Auge angesichts der dort lebenden Menschen, die
mehrheitlich palästinensisch sind, und der sehr offensichtlichen Vernachlässigung des Viertels.

Das vergessene Erbe der Mamluken

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Auf den ersten Blick scheint kein Zusammenhang zwischen dem Bau des Museums und der
Gewalt, die wirtschaftliche, politische und nationalistische Hintergründe hat und zum Teil durch das
Gefühl der Diskriminierung der palästinensischen Einwohner*innen verursacht wurde, zu bestehen.
Die wenigen archäologischen Funde, wie das römische Mosaik, die Gebäude der Mamluken-Zeit
und die zentrale Verkehrslage, zeugen von dem eigentlichen Reichtum und dem
Tourismuspotential der Stadt, die unter Armut, Vernachlässigung und politischen Spannungen
vergraben sind. Im Gegensatz zu vielen anderen touristischen Sehenswürdigkeiten ist das
Mosaikmuseum nicht einmal Teil der jüdischen Geschichte, sondern Teil der antiken römischen
Polis, als die Stadt Diospolis hieß. Zudem gibt es ein großes Entwicklungsprojekt der
Stadtverwaltung nur wenige hundert Meter vom Museum entfernt: Khan al-Hilu, ein Gebäude aus
der Mamluken-Zeit (13.-16.Jahrhundert), das bis ins 20.Jahrhundert genutzt wurde und bis 1948
ein zentrale Marktkomplex für die gesamte Umgebung war. Das Entwicklungsprojekt schließt den
Bau eines großen Parkplatzes mit ein und sieht Cafés und Einrichtungen für die Anwohner*innen
im Khan vor. Auch bei dem Entwicklungsprojekt des Khan ließe sich auf ersten Blick
argumentieren, dass dies zum Nutzen der gesamten Bevölkerung und sogar zum Erhalt eines
Gebäudes des arabischen historischen Erbes unternommen wird.

Aber die Entwicklung des Tourismus und die Entscheidungen, was und vor allem wie bewahrt
werden soll, sind integralen Bestandteile eines Prozesses, der von den palästinensischen
Einwohner*innen von Lod als Repression erfahren beziehungsweise gesehen wird. Die
Entwicklung des Tourismus in Lod erfolgt ohne Anbindung an die Menschen, die in diesen Vierteln
leben, und eignet sich praktisch das historische Erbe und die Gebäude der Altstadt an, um eine
moderne Entwicklung voranzutreiben, und zieht nicht unbedingt dabei ihrer historischen Bedeutung
in Betracht. So sollen zum Beispiel Khan al-Hilu, der in der Vergangenheit der zentrale Markt von
Lod und ein Handelszentrum für Ware aus dem Negev sowie aus den Gebieten um Ramallah,
Nablus und anderen Ortschaften war, und das in der Nähe gelegene Gewölbegebäude, das im 19.
und 20. Jahrhundert die zentrale Mühle für Öl und andere Produkte war, nun Zentren für kulturelle
und künstlerische Zwecke werden. Dabei wird nicht nur die Geschichte des arabischen Kulturerbes
ignoriert, sondern diese neuen Kulturzenten werden hauptsächlich wohlhabenden jüdischen
Einwohner*innen der Stadt zugutekommen. Die zig Millionen Schekel, die die Stadtverwaltung und
der israelische Staat jedes Jahr in die Entwicklung des Tourismus stecken, löschen praktisch das
Wenige, das von der reichen Geschichte der Stadt und ihrer zentralen Stellung unter muslimischer
Herrschaft vom 13. bis 20. Jahrhundert noch übriggeblieben ist, aus.

Stärkung des jüdischen Kerns
In den 1990er Jahren errichtete eine Gruppe religiöser Juden und Jüdinnen einen Tora-Kern
(wörtliche Bedeutung des hebräischen Begriffs Gar´in Torani: Torah Nukleus) gleich neben dem
Khan al-Hilu, mitten in der Altstadt. Nach dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 wurden
viele der dortigen jüdischen Siedler*innen nach Lod umgesiedelt, um dort weitere solche Tora-

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Kerne zu bilden, mit der Absicht, die Siedlungsideologie in Lod zu stärken. Der Tora-Kern fungiert
als exklusive Gruppe von Menschen mit gemeinsamer Ideologie und emotioneller Bindung an das,
was sie als jüdische Werte definieren, die darauf abzielt, die jüdische Präsenz an dem Ort zu
stärken. In vielerlei Hinsicht fungieren solch ein Tora-Kern in „gemischten“ Städten in Israel wie
die Siedlerorganisationen in Ost-Jerusalem. Im Gegensatz zu den Palästinenser*innen in Ost-
Jerusalem sind die Palästinenser*innen in den /bi-nationalen Städten zwar israelische
Staatsbürger*innen, und manchmal erklärt ein Tora-Kern, dass er mit allen Bevölkerungsgruppen
zusammenarbeiten wolle, aber in der Praxis handelt es sich dabei um exklusive Gruppen, deren
Bildungsarbeit meist auf die jüdische Bevölkerung ausgerichtet ist, und die sich durch ihre religiöse
und gemeinschaftliche Lebensweise von ihrem sozialem Umfeld abgrenzen.

Der Garin Torani in Lod arbeitet eng mit der Stadtverwaltung zusammen. So rekrutierte die
Stadtverwaltung zum Beispiel Freiwillige (junge Frauen, die nationalen Dienst leisten), die im
Gemeindezentrum neben dem Khan al-Hilu arbeiten, um Führungen zum Kennenlernen der
jüdischen Geschichte der Stadt zu fördern. Führungen, Vorträgen und historische Narrative, die die
jüdische Verbindung zu den verschiedenen Orten stärken, werden nicht nur vom Garin Torani oder
der Stadtverwaltung von Lod verwendet. Bereits in den 1990er Jahren vermarktete die
Siedlerorganisation Elad, die in Ost-Jerusalem und dort insbesondere in Silwan aktiv ist,
Führungen durch die in der Umgebung gelegenen archäologischen Stätten der Davidstadt, als Teil
ihres Bestrebens, den jüdischen Anspruch auf und das Zugehörigkeitsgefühl zu diesen
Stadtvierteln zu stärken. Im Laufe der Zeit verwendete die Siedlerorganisation Elad auch
Tourismus und historische Narrative für ihre Zwecke, so dass heute ein Besuch in der Davidstadt
sowie in anderen Orten des historischen Beckens östlich der Jerusalemer Altstadt unter der
Führung ihrer Expert*innen stattfindet, die die historische Verbundenheit und das nationale Anrecht
des jüdischen Volkes auf diese Orte betonen.

Akko – Boutique-Hotel im osmanischen Markt
Die Entwicklung in Akko kann vielleicht als Warnsignal für die Zukunft der Einwohner*innen von
Lod dienen. Es gibt viele Parallelen in der Entwicklung der beiden Städte. Auch in Akko leben die
palästinensischen Einwohner*innen hauptsächlich in der Altstadt. Akko hat eine besondere
Stellung in der Geschichte des Landes. Obwohl in der Stadt Überreste von vor etwa 4.000 Jahren
gefunden wurden und sie in der Bibel als eine der 20 Städte, die König Salomon dem König von
Tyros übergab (1. Könige 9: 10-13), erwähnt wird, stammen die meisten historischen Überreste
aus der Kreuzfahrerzeit, als Akko der wichtigste Hafen und die letzte eroberte Kreuzfahrerstadt bis
1291 war, sowie aus der Zeit der Herrschaft von Dhaher al-Omar in Galiläa im 18. Jahrhundert, der
Akko wieder aufgebaut und in eine wichtige Hafenstadt gemacht hat. Danach blieb es eine wichtige
Hafenstadt und sein Hafen wird bis heute genutzt. Gemäß dem Teilungsplan der Vereinten
Nationen von 1947 sollte Akko Teil des palästinensischen Staats werden. Israel eroberte jedoch

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die Stadt während des Kriegs 1948 und die meisten palästinensischen Einwohner*innen sind
geflüchtet oder wurden vertrieben. In ihren Häusern wurden israelische Soldat*innen nach Ende
ihrer Dienstzeit und jüdische Neueinwander*innen angesiedelt.

Ihre Lage und ihr Wiederaufbau und Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert machen Akko zu
einer der schönsten historischen Städte Israels. Die 2001 von der UNESCO als Weltkulturerbe
anerkannte Stadt ist jedoch längst in die Hände der Stadtverwaltung und von Geschäftsleuten
übergegangen, die seit 20 Jahren schwer daran arbeiten, sie zu einer Touristenstadt zu machen.
Das Hauptnarrativ, das den Besucher*innen präsentiert wird, ist das von Akko aus der Zeit der
Kreuzfahrer. So wird beispielsweise ein Wanderweg zum Tunnel des Templer-Ordens, der
Kreuzfahrerfestung und ähnlichem angeboten. Zugunsten der Stadtverwaltung ist anzumerken,
dass einige der touristischen Routen auch Gebäude aus der osmanischen Zeit, wie zum Beispiel
die Saraja (Regierungsgebäude), miteinschließen. Auf jeden Fall ist eine unmittelbare Folge dieses
Touristenbooms, dass den Einwohner*innen der Altstadt, allesamt palästinensische
Staatsbürger*innen Israels, seit fast 10 Jahren die Zwangsräumung aus ihren Häusern droht.

Im Rahmen der Entwicklung des Tourismus laufen in der Stadt zwei Prozesse parallel ab: zum
einen der Bau von Märkten und Hotels in der Altstadt, zum andern das Bestreben, die armen
palästinensischen Bewohner*innen aus ihren Wohnungen zu vertreiben, um Wohnraum für
wohlhabende (manche würden sagen, jüdische) Schichten zu schaffen. Ein Beispiel für eine
Tourismus-orientierte Entwicklung, die die Geschichte der Altstadt praktisch ignoriert und sogar
auslöscht, ist die Entscheidung Khan al-Umdan in ein Hotel umzubauen. Khan al-Umdan (auch
Säulen-Khan genannt) befindet sich in der Nähe des Hafens und gilt als der größte und am besten
erhaltene Khan (Karawanserei) in Israel. Der Khan wurde 1784, unter der Herrschaft des
osmanischen Gouverneurs Ahmad al-Dschazzar, gebaut und diente lange als ein wichtiger Markt
der Stadt und ihrer Umgebung. Während der 20. Jahrhundert wurde der Khan weniger wichtig.
Derzeit gibt es in Khan al-Umdan keine permanenten Aktivitäten. Er ist der Öffentlichkeit
zugänglich, befindet sich jedoch in einem sehr vernachlässigten Zustand. Die Errichtung eines
Hotels auf dem Gelände durch private Geschäftsleute führt dazu, dass es für die Öffentlichkeit
geschlossen und zu einem profitablen Gelände wird, das nur wohlhabende Menschen genießen
können.

Es ist kein Zufall, dass einer der Orte, die von den Unruhen in Akko in den letzten Wochen
betroffen waren, das von der israelischen Altertümer-Behörde mit europäischem Geld betriebene
Internationale Zentrum für den Erhalt des alten Akko, das sich mitten in der Altstadt befindet, ist.
Das Zentrum, das mit der an sich guten Absicht eingeweiht wurde, den Tourismus in Akko und den
Erhalt des historischen Kulturerbes der Stadt zu fördern, wird von den palästinensischen
Einwohner*innen als ein externes Projekt wahrgenommen, dessen Arbeit für den Erhalt ein Teil der
Bemühungen ist, die Stadt in ein urbanes Museum und eine Wohnanlage für Reiche zu machen.
Die Erhaltung der Altstadt kommt ihnen nicht zugute, und zudem müssen sie sich nun auch davor
fürchten, dass sie ihre Wohnungen durch Zwangsräumung verlieren werden.

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Denn die Einwohner*innen der Altstadt, von denen die meisten palästinensischen
Staatsbürger*innen Israels sind, wohnen in Häusern, die nach israelischem Recht als
Staatseigentum gelten. Die Bewohner*innen leben in Sozialwohnungen, die ihnen in den 1950er
und 1960er Jahren zur Verfügung gestellt wurden. Im Rahmen der Förderung des Tourismus in
Akko arbeiten die Stadtverwaltung und die staatliche Gesellschaft für öffentliche Wohnungen
(Amidar) zusammen, um die Bewohner*innen der alten Viertel der Stadt mit aller Macht aus ihren
Wohnungen zu räumen. Für diese Menschen bedeutet Entwicklung Bedrohung.

Der Tora-Kern in Akko
Zusammen mit der Entwicklung des Tourismus in Akko kam in den 1990er Jahren auch der Garin
Torani/Tora-Kern, der sich „Akkos Mut“ nennt, in die Stadt, mit dem erklärten Ziel „die Flagge zu
hissen, um den jüdischen Charakter des westlichen Teils der Stadt Akko zu stärken zu stärken“,
das heißt die alten Viertel mit mehrheitlich palästinensischen Einwohner*innen. Wie in Lod arbeitet
der Garin Torani in Akko eng mit der Stadtverwaltung zusammen und fördert den Tourismus, wobei
der Fokus auf der Zurschaustellung des jüdischen Narrativs liegt. Während der Garin Torani in Lod
erklärt, dass er zum Wohl der gesamten Bevölkerung arbeite, verbirgt der Garin Torani in Akko
seine Ziele nicht, die jüdische Identität und Präsenz in der Stadt zu stärken.

Stadt für Investoren, nicht für MenschenAkko ist ein lehrreiches Beispiel für eine Stadt, die Glück
hat, während zugleich ihre Einwohner*innen ein sehr unglückliches Schicksal erleiden. Die Altstadt,
die zum Weltkulturerbe gehört und als eine der wichtigsten Touristenstädte Israels gilt, ist auch
eine sehr arme Stadt, deren Einwohner*innen seit Jahrzehnten unter Diskriminierung und
Verfolgung leiden. Die Stadtentwicklung und die internationale Anerkennung haben nicht nur die
Situation vieler Einwohner*innen nicht verbessert, sondern dazu geführt, dass sie im Rahmen
dieser angeblich willkommenen Entwicklung Bemühungen, sie aus ihren Wohnungen zu
vertreiben, ausgesetzt sind.

In Lod wurde die arabische Stadt bereits Anfang der 1950er Jahre weitgehend abgerissen. Nun
werden Maßnahmen ergriffen, um den Tourismus zu entwickeln und die verbliebenen historischen
arabischen Gebäude in öffentliche Einrichtungen und eine Ressource für Tourismus umzuwandeln.
So löscht die Stadtverwaltung wieder das prachtvolle historische Erbe der Stadt aus und sieht
zugleich ihre palästinensischen Einwohner*innen als eine Quelle der Störung an einem Ort, der für
Investitionen attraktiv sein soll.

Es gibt viele Gründe für die Gewalt, die in jüngster Zeit in den binationalen Städten ausgebrochen
ist. Unseres Erachtens ist die Auslöschung der glorreichen Geschichte dieser Städte nicht nur eine
historische Ungerechtigkeit, sondern vor allem eine gegenwärtige Ungerechtigkeit gegenüber ihren
palästinensischen Einwohner*innen sowie der Gesellschaft insgesamt. So wie Gewalt keine
Lösung ist, so sind das Auslöschen der historischen Identität und die Umwandlung von Khan-

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                                   Menschenrechte & Nahostkonflikt; Wirtschaft & Gewerkschaften; Rassismus & Geflüchtete, sowie Geschichte & Kultur
                                   aus einer linken & progressiven Perspektive.
                                   https://www.rosalux.org.il
                                   Gebäuden in Zentren für Künstler*innen kein Mittel, um zwei Völker, die sich weigern, das
                                   historische Erbe des jeweils andern als Teil dieses Landes anzuerkennen, einander näher zu
                                   bringen.

                                                                                                        Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin

                                   Yonatan Mizrahi ist Archäologe und Direktor der Organisation Emek Shaveh, die sich für die
                                   Verteidigung kultureller Erbes einsetzt und gegen ihren Missbrauch als politisches Werkzeug im
                                   palästinensisch-israelischen Konflikt.
                                   Eine kürzere hebräische Version des Artikels wurde am 16. Mai 2021 auf der Webseite von Sicha
                                   Mekomit veröffentlicht.

                                   Anmerkungen
                                   [1] Diese Familien konnten in der Regel ihr Eigentum behalten. Anderen wurden von den
                                   israelischen Behörden als „Abwesende“ oder „anwesende Abwesende“ klassifiziert und so
                                   enteignet. (Anm. d. Übers.)

                                                                                                                                           9/9
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