DIE WERKBANK ALS WELLNESSRESORT - wienERleben - Nähsalon Nahtlos

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DIE WERKBANK ALS WELLNESSRESORT - wienERleben - Nähsalon Nahtlos
wienERleben

DIE WERKBANK
ALS WELLNESSRESORT
Immer mehr WienerInnen werden nach Feierabend zu GärtnerInnen,
NäherInnen oder BastlerInnen. Do it yourself (DIY) ist längst ein
Massenphänomen. Dabei verlässt der Trend die heimischen vier Wände
und findet zunehmend im öffentlichen Raum statt. studio! besuchte einige
Initiativen in Wien und ging den Gründen für den Hype auf die Spur.
VON HEIKE GUGGI

                      K
                              onsumkritik und Umwelt­       immer mehr und mehr Menschen                    Selbst begeisterter Hobby-Bastler,
                              bewusstsein – das war der     selbst Dinge herstellen, die sie billiger   arbeitet er seit drei Jahren im Team
                              Ausgang für die Do-it-your­   kaufen könnten. Geht es dabei um            der Radwerkstatt – natürlich ehren­
                      self-Bewegung in den 1970er-Jahren.   Anti-Establishment oder doch um             amtlich. Die Leidenschaft fürs Zer­
                      Fast 50 Jahre später wollen noch      Sparsamkeit? Und welche Rolle spielt        legen entwickelte Michael schon als
                                                            Nachhaltigkeit?                             Kind, später kam das Reparieren dazu.
                                                                                                        »Wir hatten zu Hause einige alte
                                                            Hilfe zur Selbsthilfe                       Räder, die wir an Hilfsorganisationen
                                                            Meine erste Station führt mich in           gespendet haben«, erzählt er. Beim
                                                            die Fahrrad.Selbsthilfe.Werkstatt           Versuch sie zu reparieren, hat Michael
DIY-HOTSPOTS IN WIEN                                        im WUK im 9. Bezirk, unweit der
                                                            FHWien der WKW. Der Trend zum
                                                                                                        die Werkstatt im WUK entdeckt und
                                                                                                        ist geblieben. Aktuell arbeiten in der
Fahrrad.Selbsthilfe.Werkstatt WUK                           Selbermachen ist hier längst Alltags­       Fahrrad.Selbsthilfe neun Betreuer.
Währinger Straße 59                                         geschäft. Seit 1983 bietet die Werkstatt
1090 Wien                                                   auf 100 m² professionelle Reparatur­        Nahtlos nähen
fahrrad.wuk.at                                              plätze für ambitionierte Laien.             Während es in der Radwerkstatt ne­
                                                               Ich spreche mit Michael Leuthner,        ben der Liebe zum Werkeln auch um
Nähsalon Nahtlos
                                                            einem der Werkstättenbetreuer. Er           die Ersparnis geht, steht bei meinem
Kellermanngasse 4/4
1070 Wien
                                                            erklärt mir das Prinzip der Fahrrad.        nächsten Halt Kreativität im Vorder­
www.naehsalon.at                                            Selbsthilfe: »Für einen Beitrag von         grund. Der Nähsalon »Nahtlos« in
                                                            4 Euro kann jede und jeder einen            der Kellermanngasse im 7. Bezirk ist
»sous-bois«                                                 Nachmittag lang unser Werkzeug und          eine Mischung aus Nähwerkstatt und
Neustiftgasse 33                                            unser Know-how nutzen. Mit diesem           Siebdruckatelier. Dort kann man sich
1070 Wien                                                   Geld werden die laufenden Kosten            einerseits einmieten, wenn man selbst
                                                                                                                                                 FOTOS: CHRISTOPH LIEBENTRITT, ANDREAS PUNZ

sous-bois.at                                                und neues Werkzeug finanziert.«             das Werkzeug und den Platz nicht
                                                            Wie der Name schon sagt, geht es in         hat; man kann aber auch die grundle­
Neu-Marx Garten
                                                            der Fahrradwerkstatt um Hilfe zur           genden Techniken in Einsteigerkursen
Karl-Farkas-Gasse 1
1030 Wien                                                   Selbsthilfe – die anwesenden Betreuer       lernen.
www.neumarx.at                                              beraten und geben Tipps, wenn man              Inhaber Andreas Punz bedient mit
                                                            nicht mehr weiter weiß. »Aber schrau­       seinem Angebot primär die Hob­
                                                            ben muss man selbst«, so Michael.           by-Schiene (siehe Interview). In der

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Das technische Interesse an der Nähmaschine hat bei Andreas
                                                                                          Punz (unten) die Leidenschaft für's Nähen geweckt. Er betreibt
                                                                                                              den Nähsalon »Nahtlos« in Wien-Neubau.

 Selbst schrauben statt
 reparieren lassen: Das
   ist die Devise in der
 Fahrradwerkstätte im
WUK, wo RadlerInnen
       für ein paar Euro
      Infrastruktur und
      Werkzeug nutzen
    können – inklusive
       Betreuung durch
Menschen wie Michael
       Leuthner (oben).

  Textilbranche ist er als Quereinsteiger   »sous-bois«: Mehr als ein Geschäft         Werkstoff Papier drückt sich bereits
  und Autodidakt gelandet. Vor allem        Chloé Thomas ist die Inhaberin des         im Namen aus, der zu Deutsch »unter
  sein großes technisches Interesse für     »sous-bois«, ein kleines, gut sortiertes   Holz« bedeutet. Von Anfang an war
  die Nähmaschine war ausschlagge­          Schreib- und Papierwarengeschäft in        es Chloé wichtig, dass das »sous-bois«
  bend: »Ich liebe es, Dinge zu zerlegen    der Neustiftgasse in Wien-Neubau.          nicht nur ein Geschäft ist, sondern ein
  und wieder zusammenzubauen und            Vor vier Jahren erfüllte sich die stu­     lebendiger Ort, an dem etwas passiert.
  dabei herauszufinden, wie sie funk­       dierte Grafikerin den Traum von ei­        Sie selbst liebt Bücher und legt bei der
  tionieren«, erzählt er. In den Kursen     nem eigenen Geschäft. Die Liebe zum        Auswahl ihrer Produkte viel Wert auf
  lernen die TeilnehmerInnen die tech­
  nischen Grundlagen, sodass sie sich
  danach kreativ entfalten können.
     Beim Selbermachen fasziniert
                                            » ICH LIEBE ES, DINGE ZU ZERLEGEN UND WIEDER ZUSAMMENZUBAUEN
  Andreas der persönliche Bezug, den        UND DABEI HERAUSZUFINDEN, WIE SIE FUNKTIONIEREN. «                              ANDREAS PUNZ
  man zu den hergestellten Objekten
  entwickelt. Am Rande erzählt er mir
  dann noch, dass er auch Workshops
  gemeinsam mit dem »sous-bois«
  veranstaltet – das ich als Nächstes
  besuchen werde.

         SEPTEMBER 2017                                                                                                                               23
DIE WERKBANK ALS WELLNESSRESORT - wienERleben - Nähsalon Nahtlos
wienERleben

»Irgendwo alleine vor mich hin werken
ist nicht mein Ding!«
Andreas Punz, Besitzer und Betreiber des Nähsalons »Nahtlos«,
macht alles selbst: von der Homepage über Siebdruckaufträge
bis zur Kursanleitung. studio! traf ihn zum Interview.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den   Kenntnisse auffrischen möchten. Beim
Nähsalon zu eröffnen?                     Siebdruck sind es vor allem kleine
Punz: Ich bin Quereinsteiger. Als         Designer, Vereine oder Yoga-Studios,
technisch interessierter Mensch habe      die oft spezielle Wünsche haben und
ich erst mal die HTL besucht, danach      ihre Sachen individuell bedrucken
noch Musikwissenschaften studiert.        möchten.
Während eines Auslandssemesters
habe ich Siebdruck kennen und lieben      Was war Ihr schönstes »Do-it-your-
gelernt. Als ich eine Dokumentation       self«-Erlebnis?
über offene Werkstätten gesehen habe,     Punz: Beim Siebdruck kommt für mich
war ich total begeistert von der Idee.    persönlich immer noch ein emotiona­
Irgendwo allein sitzen und vor mich       ler Kick, wenn der Prozess abgeschlos­
hinwerken ist nicht mein Ding, ich        sen ist. Wenn ich ein T-Shirt bedruckt
mag es, wenn Leute kommen und den         und zum ersten Mal gewaschen habe,
Platz mitnutzen.                          dann kriegt es nochmals eine andere      Design und Form, vor allem aber auf
                                          Qualität und sieht aus wie ein gekauf­   das Papier und die Bindung.
Welche Leute kommen in den Salon?         tes T-Shirt. Aber man weiß, dass man         In den rund dreistündigen Work­
Punz: Primär geht es um ein Hobby.        es selbst gemacht hat. Das ist toll!     shops, die abends nach Ladenschluss
Zu den Nähworkshops kommen                                                         stattfinden, lernt man verschiedene
Leute, die schon immer mal nä­                                                     Arten des Buchbindens, bastelt No­
hen wollten, weil sie das bei ihren                                                tizhefte oder kann sich in Kalligrafie
Großmüttern gesehen haben oder ihre                                                und Brushlettering versuchen. Das
                                                                                   Klientel ist eher weiblich, viele haben
                                                                                   auch durch ihren Beruf einen Bezug
                                                                                   zum Papier und wollen mal selbst
                                                                                   Hand anlegen. »Durch die Workshops
                                                                                   verbringen die Menschen mehr Zeit
                                                                                   im Laden und man kann einen per­
   Nähen lernen wie
                                                                                   sönlicheren Kontakt herstellen. Viele
    die Oma oder die
     Suche nach dem                                                                kommen immer wieder und verwen­
   ganz individuellen                                                              den die Sachen, die wir machen, in der
 Kleidungsstück: Das                                                               Freizeit oder für die Arbeit«, erzählt
   ist die Motivation                                                              Chloé.
    vieler Menschen,                                                                   Ich selbst verwende übrigens das
     die im Nähsalon                                                               Reisebuch mit japanischem Verschluss
                                                                                                                             FOTOS: ANDREAS PUNZ, CHRISTOPH LIEBENTRITT, LUKAS PREISINGER

»Nahtlos« einen Kurs                                                               und Aktenstichheftung, das ich in
            besuchen.
                                                                                   Chloés Workshop gebastelt habe, seit
                                                                                   kurzem für berufliche Notizen.

                                                                                   Treffpunkt Garten
                                                                                   Einige U3-Stationen weiter östlich,
                                                                                   am Gelände des ehemaligen Schlacht­
                                                                                   hofs in St. Marx, befindet sich der Ge­
                                                                                   meinschaftsgartenverein »Neu-Marx«
                                                                                   – meine letzte Station auf der Suche

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Chloé Thomas setzt in ihrem
     »sous-bois« nicht nur auf
      gut sortierte Papier- und
   Schreibwaren, sondern auch
auf Workshops zu Buchbinden
               oder Kalligrafie.

                                                                                            Garteln als Zwischennutzung, bevor gebaut wird: Dieses
                                                                                        Konzept verfolgt der Gemeinschaftsgartenverein »Neu-Marx«
                                                                                                          am gleichnamigen Areal in Wien-Erdberg.

nach DIY-Möglichkeiten in Wien.
Gegründet wurde der Garten vor drei
Jahren, die Wiener Standortentwick­
lung GmbH (WSE) hatte Zwischen­
nutzungsprojekte für das Stadtent­
wicklungsareal ausgeschrieben. »Es
wurden uns 1.000 m² zur Verfügung
gestellt, zusätzlich drei Baucontainer,
dazu gab es noch einen großen Hau­
fen Erde und einen Wasseranschluss«,       am Tag meines Besuchs steht wieder           So sieht das übrigens auch die
erzählt Lukas Preisinger, Obmann des       Grillen am Plan. Bis zur Umgestal­       Soziologin Christiane Varga, die als
Gemeinschaftsgartenvereins »Neu-           tung des Areals, das für innovative      freie Autorin für das Zukunftsinstitut
Marx«. Mittlerweile ist der Garten auf     Wohn- und Arbeitsformen reserviert       Österreich arbeitet und sich unter
35 Beete gewachsen, um die sich rund       ist, kann man hier für 25 Euro pro       anderem auf den Schwerpunkt New
100 Mitglieder kümmern. Gepflanzt          Saison ein Beet erwerben; wegen der
wird alles, das wächst, schmeckt und       großen Nachfrage muss man aber eine
erlaubt ist. »Das macht schon Spaß,        gewisse Wartezeit in Kauf nehmen –       » IM GEMEINSCHAFTSGARTEN TREFFEN SICH
wenn so viele verschiedene Leute an
einem gemeinsamen Ziel arbeiten«,
                                           aktuell stehen sieben Personen auf der
                                           Warteliste.                              LEUTE AUS DER UMGEBUNG, DIE SICH SONST
schwärmt Lukas.
    Der Garten gilt aber auch als          Ausgleich zum schnellen Alltag
                                                                                    NIE GETROFFEN HÄTTEN. «             LUKAS PREISINGER

sozialer Treffpunkt – davon zeugen         Was hat es also nun auf sich mit DIY?
ein Grillplatz und zahlreiche Garten­      Am Ende meiner Recherche bleibt          Work fokussiert hat: »Mit Handar­
möbel, die Hermann, ein besonders          übrig: Es geht um mehr als um Kon­       beit begreift man sprichwörtlich die
engagiertes Vereinsmitglied, aus alten     sumkritik oder Geldbörsel-schonende      Welt und ist von Anfang bis Ende
Paletten herstellt. »Der Verein ist eine   Alternativen. Die Werkbank und das       Herr über den gesamten Prozess. Die
super Gemeinschaft. Hier treffen sich      kreative Arbeiten mit den eigenen        Tatsache, dass die Arbeit überschaubar
Leute aus der Umgebung, die sich           Händen stellen vielmehr einen            ist und man am Ende ein konkretes
sonst vielleicht nie getroffen hätten.     Ausgleich zur heutigen Wissensge­        Ergebnis in Händen hat, entspannt
Es gab schon Feste, wo bis in der Früh     sellschaft und der Schnelligkeit der     uns, weil wir uns und unser Tun wie­
gefeiert wurde«, sagt Lukas. Auch          digitalisierten Arbeitswelt dar.         der beherrschen.«

       SEPTEMBER 2017                                                                                                                           25
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