Die Zukunft der afrikanischen Kunst - didier CLAES

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Die Zukunft der afrikanischen Kunst - didier CLAES
Das Kunstmagazin der ZEIT

Nº165   Dezember 2019                                                                                     Seit 1927

                            Die Zukunft der afrikanischen Kunst

                                                                                           € 11,80 (D)
                                                                                       SFR 20,– (CH)
                                                                                  € 13,– (A, I, LUX, NL)

  Alte Meister Die besten Ausstellungen von El Greco bis Tiepolo Regensburg Stadt zum Staunen
    Schwerpunkt Afrika Interviews, Porträts      undamAnalysen
                                     191128155353YX-01 28.11.2019 über zu    Kunststreit und Kolonialdebatte
                                                                       http://www.united-kiosk.de
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TITELBILD und Bild rechts: Monsengo Shula, Acryl und Pailletten auf Leinwand, 130 x 200 cm/© Monsengo Shula, Courtesy Sammlung Henri und Farida Seydoux, Galerie MAGNIN-A, Paris

                                                                                                                                                                                   Ein Afrikaner als erster Mensch auf dem – und wird von Monsengo Shula in seinem                 druck gewachsenen Selbstbewusstseins.
                                                                                                                                                                                   Mond. Das war die große Vision von Edward Gemälde »Ata Ndele Mokili Ekobaluka (Tôt              Auch deshalb ist Shulas Gemälde das passen-
                                                                                                                                                                                   Festus Mukuka Nkoloso aus Sambia, der 1960 ou tard le monde changera)« weitergeträumt.          de Titelbild für unseren Heftschwerpunkt.
                                                                                                                                                                                   im Alleingang das Wettrennen zum Erdtra- Früher oder später wird sich die Welt ändern,                Der kongolesische Künstler wurde 1959
                                                                                                                                                                                   banten gewinnen wollte – in Konkurrenz mit erklärt der Titel des 2014 geschaffenen Bilds.       noch in der Kolonialzeit geboren und arbei-
                                                                                                                                                                                   den Amerikanern und Sowjetrussen. In sei- Und Afrika ist dann vielleicht mittendrin, so         tet heute erfolgreich von der Hauptstadt­
                                                                                                                                                                                   ner Zambia National Academy of Science, wie die Skulptur, die von den Afronauten                Kinshasa aus. Sein Gemälde wird gerade in
                                                                                                                                                                                   Space Research and Philosophy, einem ver- umschwebt wird. Man muss sich keinen Sci-             der Ausstellung »Fiktion Kongo« gezeigt, mit
                                                                                                                                                                                   lassenen Bauernhof nahe der Hauptstadt Lu- ence-Fiction-Fantasien hingeben, um das              der das Museum Rietberg in Zürich die Ur-
                                                                                                                                                                                   saka, trainierte er die nächsten neun Jahre ei- kulturelle Gewicht des Kontinents zu erken-     sprünge der eigenen Sammlung hinterfragt
                                                                                                                                                                                   nige Afronauten (ja, die hießen tatsächlich nen. Die afrikanische Kunst jedenfalls hat          (siehe S. 40). Ebenfalls dort ausgestellt ist eine
                                                                                                                                                                                   so). Leider mangelte es Nkoloso an Geld, sein das Zentrum der Aufmerksamkeit längst er-         Maske mit Perücke, entstanden vor 1939 in
                                                                                                                                                                                   Projekt hob nie ab, und Neil Armstrong be- reicht: Die klassische bestimmt gerade die           der Chokwe-Region, deren Antlitz dem Ge-
                                                                                                                                                                                   trat vor 50 Jahren als Erster den Mond.         Restitutionsdebatte und die zeitgenössische     sicht von Shulas gemalter Figur ähnelt. Die
                                                                                                                                                                                         Der Traum von einem afrikanischen erobert mit Sonderausstellungen die Museen              Traditionen Afrikas, sie leben weiter in der
                                                                                                                                                                                   Raumfahrtprogramm blieb jedoch bestehen in Europa und Amerika. Ein kraftvoller Aus-             zeitgenössischen Kunst.  TIM ACKERMANN

                                                                                                                                                                                                                                                      5
                                                                                                                                                                                                                                                      191128155353YX-01 am 28.11.2019 über http://www.united-kiosk.de
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WELTKUNST

                                          INHALT
                                                                 N° 165

                                                                                                                    Bilder links: Martin Franken, SMB, Ethnologisches Museum; Eva Donckers für WELTKUNST; Rainer Wolfsberger, Museum Rietberg; rechts: Szépművészeti Múzeum - Museum of Fine Arts Budapest, 2019; blickwinkel/Alamy Stock Photo; Jil Koehn
Kolumnen
10   Zeitmaschine
12   Was bewegt die Kunst?
14   Drei Wünsche
16   Hand des Meisters
17   Heimliche Zwillinge
17   Kritikerfrage
106 Obrist

Geschichten
18   OUT OF AFRICA
     Thomas E. Schmidt über Recht
     und Moral in der Restitutions-
     debatte und die Zukunft der

                                                                                                        34 Seiten
     ethnologischen Sammlungen

                                                                                                   FOK US
30   WERKE OHNE WORTE
     Wie um 1900 unser Blick auf die

                                                                                                   A FR I K A
     Künste Afrikas geformt wurde:
     ein Interview mit Yaëlle Biro vom
     Metropolitan Museum

34   DER ERNEUERER
     Didier Claes ist der Popstar unter
     den Händlern alter afrikanischer
     Kunst. Wir trafen ihn in Brüssel

40   MASKEN DER MACHT
     Das Museum Rietberg in Zürich
     widmet sich in der Schau »Fiktion
     Kongo« seiner eigenen Geschichte

48   FÜR SEELEN UND BIER
     Die Neue Sammlung in München                                      Schwerpunkt Afrika
     präsentiert afrikanische Keramik                               Wir zeigen Höhepunkte der
     von Herzog Franz von Bayern                             Afrika­abteilung des künftigen Humboldt
                                                                  Forums in Berlin (S. 18), sprechen
52   LEINWANDSTARS                                               mit dem Händler Didier Claes über
     Von El Greco bis Lavinia Fontana:                       afrikanische Sammler (S. 34), befragen mit
     die schönsten Ausstellungen                                  dem Museum Rietberg in Zürich
     alter Meister in diesem Winter                          die Herkunft kongolesischer Kunst (S. 40)
                                                                          und vieles mehr
62   DREI TAGE IN REGENSBURG
     Römische Spuren, rauschender
     Fluss und der spektakuläre Dom:
     Die Donaustadt ist zum Staunen

                                          191128155353YX-01 am 28.11.2019 über http://www.united-kiosk.de
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Agenda
                                                                                    70     KUNSTWELT
                                                                                           News und Personalien

     52                                                                             72     FARBVERWANDTE
                                                                                           Die Kunsthalle Mannheim zeigt
                                                                                           den Einfluss von Henri Matisse
     Ewig jung
Nur selten werden
   die Schätze der                                                                  74     AUSSTELLUNGEN
alten europäischen                                                                         Rokoko-Luxus in Düsseldorf,
Malerei so opulent                                                                         Amsterdam würdigt Jean-François
  ausgebreitet wie                                                                         Millet, Präraffaelitinnen in London
 in diesem Winter
                                                                                    78     MESSEN
                                                                                           Brussels Art Fair, Art Basel Miami
                                                                                           Beach, Zeughausmesse in Berlin

                                                                                    80     KUNSTHANDEL
                                                                                           Lyonel Feininger bei Utermann

                                                                                    82     JAHRHUNDERTLEBEN
                                                                                           Nachruf auf Hildegard Bachert

                                                                                    84     STILKUNDE
                                                                                           Ausschneidebogen

                                                                       62           86     AUKTIONEN
                                                                                           100 Jahre Leo Spik, Asiatika bei
                                                                Lovely Oberpfalz           Koller, Lempertz, Nagel und
                                                                 Regensburg ist            Van Ham, Porzellan bei Metz,
                                                                 nicht nur dank            Arnold bietet Schmuck, Fotografie
                                                                der umwaldeten             bei Bassenge, Antikes bei Gorny &
                                                                    Walhalla               Mosch, Ketterer setzt auf Moderne
                                                                 eine R
                                                                      ­ eise wert
                                                                                    104 WELTKUNST FEIERT
                                                                                           Zwei Jubiläen in München

                                                                                    8     Editorial

                     79                                                             101 Termine
                                                                                    105 Impressum
              Schöner Schimmer                                                      105 Vorschau
Die Berliner Zeughausmesse zeigt eindrucksvoll,
       dass Schmuck auch edel sein kann,
 wenn man nicht mit Gold und Silber arbeitet

                                                                                         instagram.com/WeltkunstMagazin
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Didier Claes im Brüsseler Museum Van Buuren. Rechts eine Lega-
Maske neben einer Suku-Statue, beide spätes 19. bzw. frühes 20. Jahr-
hundert, an der Wand »Der Schäfer« von Gustave van de Woestyne

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                Der Erneuerer
Er beriet beim Restitutionsreport, bewundert die Gegenwartskunst und bringt
       Dogon-Statuen mit Art déco zusammen: Der Händler Didier Claes
   ist der Popstar der alten afrikanischen Kunst. Eine Begegnung in Brüssel

          FOTOS                                                               VON
     E VA D ON C K E R S                                            SI MON E SON DE R M A N N

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Félix Aublets Kugellampe von 1931 neben einer Dogon-Statue
des 18. Jahrhunderts aus Mali und einer Holzfigur der Mumuye
aus N
    ­ igeria aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert
                                                                                     191128155353YX-01 am 28.11.2019 über http://www.united-kiosk.de
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Zu Beginn des Jahres hat Didier Claes auf der
Brafa, der altehrwürdigen Brüsseler Kunst-
und Antiquitätenmesse, mal wieder alle
überrascht. Der Mann, der sonst auf der Te-
faf in New York und Maastricht oder in sei-
nem eleganten Geschäft im Brüsseler Gale-
rienviertel vor allem Hochkarätiges und
Hochpreisiges der alten afrikanischer Kunst
präsentiert, zeigte bei seinem diesjährigen
Heimspiel – er ist Vizepräsident der Brafa –
eine Ausstellung mit dem Titel »Kinasola:
Die Kunst des Haars«. Zu sehen waren Käm-
me der Chokwe, Yaka, Luba und Lele aus der
Demokratischen Republik Kongo, bezau-
bernde Kleinode mit meisterhaften Verzie-
rungen, in denen sich die Welt des Nützli-
chen mit der des Kunstvollen verband. Der
dazugehörige Katalog zeigte fantastische tra-
ditionelle Frisuren der Kongolesen, die sich
mit dem Haarschmuck zu einem Gesamt-
kunstwerk verbanden.
      Die gewohnten Pfade verlassen, dieses
Motto scheint über allem zu schweben, was
der umtriebige Mittvierziger in der jüngeren
Zeit angegangen ist. Diesen November war
Claes, weltweit einer der bedeutendsten
Händler klassischer afrikanischer Kunstwer-
ke, zum ersten Mal auf der Also Known As
Africa präsent, der Pariser Messe für afrika-
nische Gegenwartskunst. Dort wagte er ei-
nen Ausflug in ein komplett neues Feld und
präsentierte den Kameruner Maler Anjel, der
mit seinen knallbunten spielerischen Por-             »Es stimmt, wenn heute                       che. Das Christentum und auch der Islam ­
träts für den Galeristen »in einer Art Kreis-                                                      haben in vielen afrikanischen Ländern die
lauf die Vergangenheit in heutige Fragestel-         gesagt wird, es gäbe keine                    traditionelle Kultur verdrängt.« Mit 17 Jah-
lungen einschließt«. Mit seinem neuesten                afrikanische Kunst                         ren verließ Claes das Land. Nach Stationen
Projekt, einer von ihm kuratierten Ausstel-                                                        in Paris und New York eröffnete er 2020 im
lung im Brüsseler Museum Van Buuren,                  mehr in Afrika. Die alte                     vornehmen Brüsseler Kunsthändlerviertel
bringt er ein Herzstück der belgischen Kul-          Kultur wurde verdrängt.«                      Sablon eine eigene Galerie für Tribal Art, da
tur, das Art déco, mit Objekten des vermeint-                                                      war er gerade mal Ende zwanzig. Mittlerwei-
lich Fremden zusammen, das über die Kolo-                                                          le ist er nicht nur Vizepräsident der Brafa,
nialzeit zugleich so eng mit der Geschichte                                                        sondern auch Präsident der Bruneaf, der tra-
des jungen Staates Belgien verwoben ist. Das     Sohn eines Belgiers und einer Kongolesin.         ditionsreichen Messe für außereuropäische
Van Buuren ist mit seiner Inneneinrichtung       Sein Vater war Wissenschaftler und Einkäu-        Kunst in der belgischen Hauptstadt. Vor
aus Möbeln, Wandteppichen und Glaskunst          fer für das Nationalmuseum in der Haupt-          zwei Jahren hat er das Sablon-Viertel verlas-
des Art déco eine Zeitkapsel des frühen          stadt Kinshasa. Als Kind war Didier Claes         sen und zog mit seiner Galerie in das südli-
20. Jahrhunderts. Kontrastierend dazu zeigt      viel mit seinem Vater im Land unterwegs,          cher gelegene Ixelles-Viertel, in dem viele ­
Didier Claes hier demnächst Statuen und          um in den Dörfern Stücke für die Sammlung         Galerien für Gegenwartskunst zu Hause
Masken aus Gabun, Nigeria oder dem Kon-          des Museums zu akquirieren. »Schon da-            sind. Die traditionelle Kunst des Kongo, sein
go. »Es wird wirken, als wären sie schon im-     mals«, also in den 1980er-Jahren, erinnert er     Spezialgebiet, präsentiert er dort auf zwei
mer dort gewesen, in einem privaten, inti-       sich, als wir uns zum Gespräch in seiner Ga-      Stockwerken im Ambiente eines kleinen, ele-
men Ambiente«, erzählt er begeistert.            lerie treffen, »waren solche Stücke sehr rar.     ganten White Cube.
      Der Clash und die Versöhnung von Kul-      Es stimmt, wenn heute gesagt wird, es gäbe              Als Mensch mit dunkler Hautfarbe ist
turen ist tief in Didier Claes’ Biografie ver-   keine afrikanische Kunst mehr in Afrika. Im       Didier Claes im Kunsthandelmilieu nach
wurzelt. Er wurde im Kongo geboren, als          Kongo gibt es heute in jeder Straße eine Kir-     wie vor eine Ausnahmeerscheinung. Die

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Die Mahongwe- und Kota-Reliquiare, alle aus Gabun und von Mitte
des 19. Jh., sind neben weiteren Objekten aus belgischen Privatsamm-
lungen ab 19. Januar im Brüsseler Museum Van Buuren zu sehen

                                                                        38
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Mehrheit der Galeristen und Kunsthändler              »Viele Afrikaner glauben                    »Das war wie eine Weihe. Ich kann mich
ist weiß, auch und gerade im Bereich der Tri-                                                     noch gut an die Proteste einiger bedeutender
bal Art. »Heute ist meine Herkunft ein Vor-              noch immer, dass                         Museumsleute und Anthropologen erin-
                                                                                                  ­
teil, dank meiner Kennerschaft wurde sie zur           den Objekten ein Geist                     nern: Wie kann man nur diese Kunst in den
Stärke«, sagt er. Doch das war nicht immer                                                        Louvre ­lassen? Es ist paradox: Damals wurde
so. Als junger schwarzer Mann hatte er mit              innewohnt. Deshalb                        dafür gekämpft, dass die afrikanische Kunst
vielen Ressentiments zu kämpfen. Danach                sammeln sie sie nicht.«                    in den großen Museen der Welt ihren Platz
gefragt, verschwindet für einen Augenblick                                                        findet. Heute setzen sich einige dafür ein,
sein einnehmendes Millionen-Dollar-Lä-                                                            das ebendiese Kunst wieder aus den Museen
cheln, und er wird sehr ernst. »Belgien ist ein                                                   entfernt wird.«
sehr konservatives Land«, erzählt er. »Es gibt    Kunst des Kontinents schwertun. Das Pro-             Neben den vielen rechtlichen und mo-
noch immer Vorurteile. Die großen Galerien        blem der afrikanischen Kunden sei vor al- ralischen Fragestellungen rund um das ­
sind eine geschlossenen Welt, mit Dynastien       lem ein spirituelles. »Viele Afrikaner glau- Thema Restitution gibt es für ihn noch ein
und langer Tradition. Wenn meine Tochter          ben noch immer, dass den Objekten ein weiteres Problem. An wen soll restituiert
mir sagen würde, sie möchte in der Kunst-         Geist innewohnt. Deshalb fällt es ihnen werden? Natürlich, es gibt große Museen in
branche arbeiten, würde ich ihr abraten.«         schwer, sie zu sammeln.« Mit einem Lachen Afrika, sein Vater hat selbst für eines gear­
       Als die Kunsthistorikerin Bénédicte        im Gesicht ergänzt er eine Anekdote: »Ich beitet. Aber dennoch ist die Idee der Kunst-
Savoy und der Ökonom Felwine Sarr im ver-         war kürzlich im Senegal und habe dort ei- sammlung für Claes ein genuin westliches
gangenen Jahr im Auftrag des französischen        nen Sammler besucht. Er präsentierte in sei- Konzept. Viele afrikanische Werke seien
Präsidenten Emmanuel Macron an einem              nem Haus Arbeiten aus Holz, also Gegen- nicht für die Dauer geschaffen worden und
Report über die Rückgabe des afrikanischen        wartskunst. Er hatte viele Leute eingeladen, schon gar nicht für ein Museum. Vielmehr
Kulturguts arbeiteten, konsultierten sie Didier   sie sich anzusehen, aber sie sagten ihm: Nein, wurden Objekte, die verloren gingen, oft ein-
Claes als einen von nur zwei Vertretern des       wir können nicht kommen, in diesem Holz fach durch neue ersetzt, die die spirituelle
Handels. Nach Veröffentlichung des Berichts       steckt der Geist der Ahnen.«                    Funktion der alten übernahmen. »Wenn das
protestierte der Verband der französischen              Es ist typisch für Didier Claes, dass er ursprüngliche Objekt jetzt in ein Dorf zu-
Kunsthändler in einem offenen Brief. Die Be-      seine Sicht der Dinge mit Geschichten ver­ rückkehrt, erzeugt es dort eventuell Glau-
lange des Handels wären nicht ausreichend         anschaulicht. Auch bei der Kernfrage, näm- bensprobleme. Es ist also kompliziert«, erläu-
berücksichtigt worden. Die ganze Stoßrich-        lich ob die Museen denn nun ihre Werke ­ tert der Kunsthändler. Anders verhalte es
tung von Savoy und Sarr sei ein Angriff auf       afrikanischer Kunst an die heutigen sich bei Stücken, die aus afrikanischen Mu-
den Kunsthandel. Versteht er diese Entrüs-        Herkunftsländer zurückgeben sollten, über- seen entwendet wurden, die seien eindeutig
tung? »Natürlich verstehe ich das. Das Pro-       rascht er mit ungewohnten Perspektiven. Beutekunst. Auch bei archäologischen Ob-
blem war: Der Report sollte mithilfe von Mu-      Die Forderung nach einer generellen Rück- jekten halte er die Eigentumsfrage für hoch-
seen, Wissenschaftlern und Kunsthändlern          gabe, die immer mal wieder laut wird, hält problematisch, deshalb habe er sich früh ent-
verfasst werde. Aber alle, die Savoy und Sarr     er für völlig sinnlos. Auch entspräche sie schlossen, damit nicht zu handeln.
hätten fragen können, haben gegen die Re-         nicht der Position der afrikanischen Länder,         Insgesamt aber werde sich bei vielen
stitution argumentiert«, erklärt er. »Zudem       mal ganz abgesehen davon, dass sich diese Objekten nicht abschließend klären lassen,
fanden die Franzosen nicht gut, dass ich als      auch nicht auf einen gemeinsamen Nenner ob sie beispielsweise geschenkt, unter Wert
Belgier eingeladen wurde«, fügt er augen-         bringen lässt. Worum es ginge, sei eine »ge- bezahlt oder einfach geplündert wurden. Bei
zwinkernd hinzu.                                  zielte Rückgabe«. Bisher habe vor allem Be- den Zigtausenden Werken, von denen hier
       Die Befürchtung, dass die Forderung        nin eine Restitution gefordert, aber auch da- die Rede ist, davon auch viele in Privatsamm-
nach Rückgaben afrikanischer Kunst den            bei sei es »nur um wenige Stücke gegangen«, lungen, sei dies einfach nicht möglich. Am
Markt beschädigen würde, hat sich aus seiner      um die großen, für die Kultur des früheren Ende gehe es vielmehr um eine Begegnung
Sicht nicht bestätigt. „Es gab Unruhe, keine      Königreichs Benin so zentralen Königssta- auf Augenhöhe zwischen der europäischen
Frage. Das ist wie an der Börse: Schlechte        tuen. Das sei wie mit den Forderungen Ägyp- und der afrikanischen Welt. Deshalb würde
Nachrichten haben Auswirkungen. Anderer-          tens gegenüber Deutschland. »Die Ägypter auch die Idee einiger Museen, die Werke
seits wurde noch nie so viel über afrikani-       wollen ja auch nicht alles zurück. Sie wollen nach Afrika auszuleihen, statt sie zu restituie-
sche Kunst gesprochen. Der Bericht hat gera-      nur die Nofretete«, ergänzt er lachend und ren – entsprechende Vorschläge kamen etwa
dezu Werbung dafür gemacht.« Seitdem ist          wohl wissend, dass dieses Thema bei Muse- aus dem British Museum oder dem künfti-
Didier Claes immer wieder zu seiner Mei-          umsleuten ein heißes Eisen ist.                 gen Humboldt Forum –, bei den Afrikanern
nung in der Restitutionsfrage und zu den                Doch auch wenn es um die Rolle der nicht gut ankommen. Idealerweise sollte es
Folgen für den Markt befragt worden. In ei-       Museen geht, ist seine Haltung differenziert. umgekehrt sein: Afrikanische Staaten wer-
ner aufgeheizten und sehr polarisierten De-       Er verweist auf einen Aspekt, der bei der De- den die formellen Eigentümer, aber die Stü-
batte – mit Extremforderungen nach völliger       batte zu oft in den Hintergrund getreten sei, cke bleiben als Dauerleihgabe in den euro-
Rückgabe einerseits und massivem Besitz-          nämlich die Aufwertung der afrikanischen päischen Museen. »Wissen Sie, Afrika wurde
standsdenken in Museen und Kunsthandel            Kunst durch die europäischen Museen, von versklavt, kolonisiert, geplündert, ausgebeu-
andererseits – sind Claes’ Äußerungen stets       der er auch als Händler selbstverständlich tet. Es geht hier um Ehre und Respekt.«
erfrischend undogmatisch und praxisnah.           profitiert. Es sei ein Meilenstein gewesen, als Doch nach einem Jahr Diskussionen rund
       Dass er sich vermehrt der Gegenwarts-      vor zwanzig Jahren die klassische afrikani- um die Restitution macht sich auch bei Didier
kunst zuwendet, hat auch damit zu tun, dass       sche Kunst in die Sammlung des Louvre auf- Claes Ernüchterung breit: »Der Restitutions-
sich nicht nur die junge Generation in Euro-      genommen worden sei, indem man mit dem report hat bei den Afrikanern falsche Hoff-
pa, sondern auch die wachsende Zahl afri-         Pavillon des Sessions eine eigene Abteilung nungen geweckt. Aber er hatte das Verdienst,
kanischer Sammler mit der traditionellen          für außereuropäische Kunst gegründet hat. den Horizont zu erweitern.«                      ×

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                                                            191128155353YX-01 am 28.11.2019 über http://www.united-kiosk.de
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