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EIN JAHR NACH FUKUSHIMA I N T E R N AT I O N A L E S T I M M U N G S B I L D E R www.kas.de
Herausgeber Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Redaktion Dr. Christian Hübner Koordinator für Umwelt-, Klima- und Energiepolitik, Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit www.kas.de Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2012, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Sankt Augustin/Berlin Gestaltung: SWITSCH KommunikationsDesign, Köln.
I N H A LT 4 | J A PA N Jörg Wolff 5 | EUROPÄISCHE UNION Dr. Stefan Gehrold | Joscha Ritz 6 | ARGENTINIEN Dr. Bernd Löhmann 7 | BELGIEN UND NIEDERLANDE Dr. Stefan Gehrold | Olaf Wientzek 8 | BRASILIEN Gregory John Ryan 9 | CHINA Dr. Peter Hefele 10| DEUTSCHLAND Dr. Christian Hübner 11| FRANKREICH Dr. Norbert Wagner 1 2 | G R O S S B R I TA N N I E N Claudia Crawford | Maike Elisa Schug 13| INDIEN Dr. Béatrice Gorawantschy | Benjamin Querner 15 | KOREA Dr. Norbert Eschborn 16| POLEN Dr. Christian Schmitz 1 7 | S PA N I E N Katarina Ojeda 18| SÜDAFRIKA Dr. Werner Böhler 19 | RUSSLAND Dr. Lars Peter Schmidt | Johann C. Fuhrmann 20| TSCHECHISCHE REPUBLIK Dr. Hubert Gehring | Alena Falathová 21| TÜRKEI Dr. Colin Dürkop 22 | USA Dr. Lars Hänsel 23| VIETNAM Rabea Brauer
4 J A PA N Jörg Wolff | KAS-Auslandsbüro, Tokio Ein Jahr nach der verheerenden Katastrophe im vor zusätzliche Probleme. Seine Wirtschaft musste Nordosten des Landes ist nach wie vor offen, ob der noch den Abschwung von 2008-2009 verkraften und 11. März 2011 die Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sah sich nach Fukushima neben einer Deflation und Japans verändern wird. Aus der japanischen Perspek- einem stark steigenden Yen zusätzlich mit Energie- tive bleibt der Reaktorunfall in Fukushima nur ein engpässen konfrontiert. Hinzu kamen in der zweiten Teil der dreifachen Katastrophe, der mit dem gewal- Hälfte des letzten Jahres noch die Produktionsausfälle tigen Erdbeben, der gigantischen Tsunamiwelle und vieler japanischer Zulieferer durch die Flut in Thai- ihren Zerstörungen und Opfern einherging. Die Ge- land. Doch die bemerkenswerte Geschwindigkeit und samtschäden betrugen ca. 220 Milliarden US-Dollar, Effizienz, mit der die Wirtschaft reagierte und zum die menschlichen Verluste sind immer noch nicht Wachstum zurückfand, dokumentieren die großen genau bekannt und werden auf ca. 20.000 beziffert. gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Widerstands- Die Reaktionen angesichts dieser Tage wieder in kräfte des Landes. So wird für 2012 trotz der verrin- Erinnerung gerufener Bilder von zerstörten Land- gerten Nachfrage aus Europa und den USA mit einem strichen, den Meldungen über ca. 30.000 qkm von sehr respektablen Wachstum von 1,7 Prozent gerech- Radioaktivität kontaminierten Flächen und jüngster net. Zusätzlich dürften die Wachstumskräfte von dem Prognosen über weitere bevorstehende Großbeben Wiederaufbau in den Katastrophengebieten profitie- im Raum Tokio zeigen, dass sich Japan und vor allem ren, für die eine Serie von Nachtragshaushalten in seine Bevölkerung mit großer Selbstdisziplin der Höhe von 221 Milliarden US-Dollar bewilligt wurde. Katastrophe gestellt haben und der Zukunft besonnen und mit bewundernswerter Ruhe gegenüberstehen. Der mit Tschernobyl auf gleicher historisch höchster Im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Dreifach- Stufe eingeordnete Reaktorunfall im Atomkraftwerk Katastrophe wird in der Öffentlichkeit jedoch vermehrt in Fukushima führte dagegen bis heute noch nicht die Frage gestellt, ob die Nuklearkatastrophe das zu einer Änderung des bestehenden unzulänglichen Resultat einer unvorhersehbaren Naturkatastrophe nuklearen Regulativsystems, einer angepassten Ener- war oder aber hätte verhindert werden können. Die giepolitik oder gar einer kompletten Energiewende dieser Tage vorgelegten Bewertungen und Beurtei- wie in Deutschland. Während der ehemalige Minister- lungen verweisen auf eine Reihe von gravierenden präsident Kan die deutsche Energiewende als Vorbild Fehleinschätzungen, Sicherheitsmängeln, Pannen, sieht, möchte die derzeitige Regierung Noda die Inkompetenzen und Vertuschungen, die weder der Monopole bei der Stromversorgung aufbrechen, die Atomwirtschaft, noch den Reaktionen von Regierung Atomenergie zurückfahren und Erneuerbare Energien und Behörden ein gutes Zeugnis ausstellen. So führte ausbauen. Dennoch konnte sie sich bislang noch der damalige Ministerpräsident Naoto Kan in einem nicht auf ein schlüssiges Energiekonzept und die Interview aus, dass die Regierung längere Zeit keiner- künftige Reorganisation der Nuklearbetreibergesell- lei präzise Auskünfte über den Zustand der Reaktoren schaften einigen, obwohl gegenwärtig 52 der insge- hatte und selbst die Betreibergesellschaft Tepco zu- samt 54 Atomkraftwerke abgeschaltet sind und das nächst nicht wusste, was sich wirklich in Fukushima Industrieland inzwischen fast ohne nuklearen Strom abspielte. Er selbst verhinderte vier Tage nach der normal funktioniert. Dennoch dürften bald einige Katastrophe in einem dramatischen persönlichen Reaktoren wieder angefahren werden, um sowohl Appell an die Verantwortlichen, dass Tepco Fukushima die drastisch gestiegenen Ausgaben für Erdöl- und aufgibt und das zerstörte Kernkraftwerk sich selbst Erdgasimporte als Substitutionsenergie zu senken, überlässt, was zu unabsehbaren Folgen für Japan als auch aus dem Bemühen heraus, weiterhin Atom- hätte führen können. technik zu exportieren. Japans Debatte über die Nuklearenergie und eine mögliche neue Energiepolitik Die Dreifach-Katastrophe stellte Japan, das sich weist jedoch über das Land hinaus und hat eine ohnehin den weltweit höchsten Staatsschulden und internationale Bedeutung. Weder die nationalen noch einer schnell alternden Bevölkerung gegenübersieht, internationalen Atomexperten hatten im Vorfeld die
5 Sicherheitsmängel diagnostiziert und damit jene Auf der anderen Seite zeigt die Bevölkerung ein neues Restrisiken erkannt, die offenbar bei allen Nuklear- Bewusstsein für die Produktionsketten der Nahrungs- anlagen bestehen. Positiv kann jedoch bewertet mittel und immer wieder erregen Meldungen zu Fällen werden, dass der bis Fukushima recht sorglose Um- erhöhter Strahlungswerte Aufsehen und Sorge. Der gang mit der Kernenergie in Japan ein Ende fand. Glaube an die Ehrlichkeit und Fähigkeit der politischen Klasse und das politische System nimmt ab. Inzwi- Die Dreifach-Katastrophe hatte bisher keine Auswir- schen fordern laut Umfragen 70 Prozent der Japaner kungen auf das Kernproblem des politischen Systems den sofortigen oder allmählichen Ausstieg aus der Japans mit seiner Verkrustung und den bestehenden Kernenergie. Doch nur wenige gehen auf die Straßen, Reibungsverlusten. Der Machtwechsel von Liberal- da in den Medien kaum darüber berichtet wird. Trotz- demokraten zu Demokraten hat nicht die erwartete dem nehmen die für japanische Verhältnisse außer- Erneuerung gebracht. Noch immer bilden Japans gewöhnlich großen Demonstrationen gegen die Atom- Politiker eine eigene Kaste und noch immer besteht energie zu, die, wie zum Beispiel im Januar 2012, bis eine Verzahnung zwischen (Atom-)Wirtschaft, Regie- zu 6.000 Personen zählten. rung und Bürokratie, die jedoch immer stärker hinter- fragt wird und aufzubrechen beginnt. Das Karussell Insgesamt wurde die Dreifach-Katastrophe Japans der jährlich wechselnden Premierminister beleuchtet bislang recht gut bewältigt. Dennoch hat sie erhebli- die Defizite japanischer Politik. In der japanischen che Mängel im bestehenden japanischen System Gesellschaft demgegenüber scheint die Katastrophe offengelegt. Dies gilt nicht für die Bevölkerung, deren Spuren hinterlassen zu haben. Auf der einen Seite Umgang mit und deren Verhalten während und nach stehen die Rückbesinnung auf traditionelle Werte, der Krise großen Respekt verdient. Auch ein Jahr nach zwischenmenschliche Verbundenheit und bürgerliche Fukushima ist jedoch noch nicht deutlich, ob und wie Initiativen zur Unterstützung der gesamten von der diese Katastrophe Japan verändert hat beziehungs- Katastrophe betroffenen Tohoku-Region durch Spen- weise noch verändern wird. den und den verstärkten Konsum dortiger Produkte. EUROPÄISCHE UNION Dr. Stefan Gehrold, Joscha Ritz | KAS-Europabüro, Brüssel RÜCKKEHR ZUR SACHLICHKEIT Schweden besteht eine große Abhängigkeit von der Kernenergie. Weitere Mitgliedstaaten – z.B. Polen Ein Jahr nach dem Atomunglück von Fukushima hat – planen den Einstieg in die Kernkraft. Entsprechend sich die europapolitische Diskussion zur Zukunft der nennt die Kommission in ihrem Energiefahrplan bis Kernenergie weitgehend versachlicht. In Brüssel liegt 2050 eine Erhöhung des Anteils der Kernenergie am der Fokus wieder auf der Frage, wie nachhaltige, Primärenergieverbrauch als ein mögliches Szenario sichere und bezahlbare Energie für Europa langfristig zur Senkung von CO2-Emissionen im Energiesektor. sichergestellt werden kann. Dabei spielt die Kern- energie im Instrumentenkasten der EU und zahl- Die Durchführung von EU-weit einheitlichen Stress- reicher Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle. Haupt- tests hat ebenfalls dazu beigetragen, dass die atom- grund: Für die Festlegung des Energiemixes sind die politische Debatte in Brüssel wieder stärker fakten- Mitgliedstaaten zuständig (Art. 194 Abs. 2 AEUV) – basiert geführt wird. Ziel ist es, die europäischen die Kommission gibt sich betont neutral. Die Mehr- AKWs darauf zu überprüfen, ob sie Naturkatastrophen heit der Mitgliedstaaten setzen – im Gegensatz zu (z.B. Erdbeben, Überschwemmungen) oder durch Deutschland – weiterhin auf die Atomkraft. Der Anteil Menschen verursachten Einwirkungen (z.B. Flugzeug- der Kernenergie an der Bruttostromerzeugung beträgt abstürze) standhalten können. Die Tests befinden in Europa 28 Prozent und liegt damit noch vor Kohle sich aktuell in der letzen Phase: Experten der Mitglied- und Erdgas. Aktuell betreiben vierzehn Mitgliedstaaten staaten und der Kommission untersuchen die jeweili- 143 AKWs. Insbesondere in Frankreich, Belgien und gen nationalen Ergebnisse und führen ggf. weitere
6 Kontrollen vor Ort durch. Die Glaubwürdigkeit der Diskussionsgrundlage ist der Zwischenbericht zu den Resultate soll dadurch sichergestellt werden, dass Stresstests vom November 2011. In diesem Zusam- neben Beamten der Kommission auch nationale Ex- menhang erwägt die Kommission z.B. die Einführung perten der dreizehn Mitgliedstaaten, die keine AKWs von Mindestanforderungen zu Standort, Design und betreiben, in die Kontrollteams einbezogen sind. Betrieb von AKWs. Ferner wird die Stärkung der Un- Zudem sollen abweichende Meinungen in den Ab- abhängigkeit nationaler Regulierungsbehörden bera- schlussbericht einfließen. Dieser wird den Staats- und ten, die Lizenzen vergeben und Kontrollen vor Ort Regierungschefs auf ihrer Tagung im Juni vorgelegt. vornehmen sollen. Zudem stehen grenzüberschreiten- Zudem wird der Bericht Grundlage für Empfehlungen de Krisenbewältigungspläne auf der Kommissionsa- von Energiekommissar Günther Oettinger an die genda: Nukleare Kontaminierung macht nicht vor Mitgliedstaaten sein. Gemäß den zuständigen natio- nationalen Grenzen halt – so die Logik der Kommis- nalen Behörden ist eine sofortige Abschaltung von sion. Ende des Jahres könnten erste Vorschläge der AKWs nicht notwendig. Gleichzeitig wird jedoch be- Kommission auf dem Tisch liegen. tont, dass in einigen Fällen hohe Investitionen in die Stärkung der Robustheit von AKWs fließen müssten Darüber hinaus hat die EU die Kontrollen für Nah- (z.B. Frankreich). Sollte ein AKW den Stresstest nicht rungsmittel aus der Umgebung von Fukushima bis bestehen, kann die Kommission seine Abschaltung zum 31. November 2012 verlängert. Gleichzeitig zwar de jure nicht anordnen. Es wird jedoch erwartet, wurde die Intensität der Kontrollen abgeschwächt. dass der öffentliche Druck zu angemessenen Maßnah- Damit tragen Kommission und Mitgliedstaaten dem men in den betroffenen Mitgliedstaaten führen wird. inzwischen deutlich geringeren Risiko des Exports nuklear kontaminierter Nahrungsmittel Rechnung. Auf Grundlage erster Erkenntnisse berät die Kom- Gleichzeitig wird signalisiert, dass die Europäer auf- mission bereits eine mögliche Verstärkung des euro- merksam bleiben. päischen Rechtsrahmens zur Nuklearsicherheit. ARGENTINIEN Dr. Bernd Löhmann | KAS-Auslandsbüro, Buenos Aires BUSINESS AS USUAL – FUKUSHIMA Niemand von Gewicht scheint die Abschaltung der SPIELT IN DER ARGENTINISCHEN ENERGIE- zwei laufenden Atomkraftwerke, Atucha I und Embalse DISKUSSION KEINE ROLLE Río Tercero, auch nur in Erwägung zu ziehen. Dabei sind die Anlagen bereits seit 1974 bzw. 1983 in Be- 2011 stand die japanische Dreifachkatastrophe – trieb. Ein neuer Atommeiler, Atucha II, dessen Bau Erdbeben, Tsunami, nuklearer GAU – über Wochen zwanzig Jahre ruhte und erst 2007 wieder aufgenom- im Mittelpunkt der medialen Berichterstattung. Das men wurde, soll in Kürze ans Netz gehen. Im Septem- enorme Ausmaß der Zerstörungen, vor allem aber ber 2011 begann der „Prozess der Betriebsaufnahme”, die menschlichen Schicksale bewegten die Argentinier der bislang noch nicht abgeschlossen ist. Das Sicher- zutiefst. Forderungen nach politischen Konsequenzen heitssystem müsse ausgebaut werden, heißt es. für die hiesige Energiepolitik kamen allerdings nur Vielleicht ist hierin eine konkrete Auswirkung aus vereinzelt auf. der Katastrophe von Fukushima zu sehen? Ein Jahr danach haben die argentinischen Medien die Das Kernenergieprogramm der Präsidentin Cristina Ereignisse in Japan ins Gedächtnis gerufen, doch war Fernández de Kirchner bleibt hingegen unbeeinträch- die Berichterstattung insgesamt eher spärlich. Innen- tigt. Es sieht die Verlängerung der Laufzeit des Kraft- politische Fragen dominierten bis zuletzt die Schlag- werks Embalse Río Tercero und den Bau von zwei zeilen. Noch weit weniger als vor einem Jahr waren kleineren Atomkraftwerken vor, die jeweils Städte die Geschehnisse in Japan ein Reflexionspunkt für die in der Größenordnung von rund 100.000 Einwohnern hiesige energiepolitische Debatte. In Argentinien ist versorgen sollen. Fukushima ein außenpolitisches Thema.
7 Laut offiziellen Zahlen macht die Atomenergie derzeit zwei Drittel des argentinischen Benzinbedarfs deckt, nur etwa 5,5 Prozent des argentinischen Energie- wird seitens der Regierung in letzter Zeit für die marktes aus. Die Wasserkraft liegt mit 24,6 Prozent mangelnde Ausbeutung der im Land vorhandenen weit darüber und gilt als ausbaufähig. Die Nutzung Ressourcen verantwortlich gemacht. Es besteht die der Windkraft sowie der Solarenergie stecken noch in Drohung, ihm Bohr- und Ausbeutungsrechte zu ent- den Anfängen und bieten viel Spielraum nach oben. ziehen. Das Beispiel YPF zeigt emblematisch, dass Argentinien in der Energiepolitik mit anderen Dingen Die argentinische Energiediskussion richtet sich beschäftigt als mit der Frage der Sicherheit der Kern- zurzeit auf die wachsenden Engpässe bei fossilen energie und ihren Alternativen. Fukushima hat daran Brennstoffen, die 69 Prozent des Energiemarktes kaum etwas geändert. ausmachen. Vor allem der Energiekonzern YPF, der BELGIEN UND DIE NIEDERLANDE Dr. Stefan Gehrold, Olaf Wientzek | KAS-Europabüro, Brüssel Im Zentrum der Diskussionen in Belgien und den Befragung ergab, dass rund zwei Drittel der Bevölke- Niederlanden stehen die Laufzeitverlängerung bzw. rung einen Atomausstieg befürworten. Eine im De- der Ausbau bestehender Kernkraftwerke. Die Auswir- zember vom Forum nucléaire veranlasste Befragung kungen der Energiewende in Deutschland werden ergab ein anderes Bild: So waren immerhin 58 Prozent zumindest am Rande verfolgt. für den Erhalt der Kernenergie in Belgien, wenn auch mit regionalen Unterschieden (64 Prozent der Flamen BELGIEN und nur 50 Prozent der Frankophonen). Dieser Er- hebung zufolge gab es lediglich bei den französisch- Die Fukushima-Katastrophe hat die Debatte in Belgien sprachigen Belgiern eine signifikante Änderung der wesentlich beeinflusst, wenngleich nicht in dem Aus- Einstellung (von 59 auf 50 Prozent) im Vergleich zu maß wie in Deutschland. Die Kernenergie ist zentraler 2010. Ein Ausstieg oder die Abschaltung der drei Bestandteil des belgischen Energiemixes und deckt Reaktoren 2015 hätte umfassende Auswirkungen 55 Prozent des Elektrizitätsbedarfs des Landes ab. auf die Wirtschaft. Bereits der Atomausstieg Deutsch- In Belgien gibt es zwei Atomkraftwerke, eines im lands, das immerhin rund fünf Prozent des belgischen flämischen Doel, eines im wallonischen Tihange mit Energieverbrauchs deckte, war mit einigem Unmut zur insgesamt sieben Reaktoren. Kenntnis genommen worden. Die Diskussion fokussiert sich ein Jahr nach Fuku- Die Folgen der Energiewende in Deutschland werden shima auf die Laufzeitverlängerung der drei ältesten in den belgischen Medien zumindest oberflächlich Reaktoren (Tihange 1, Doel 1 und 2) über 2015 verfolgt. Vor allem in Flandern werden die Auswir- hinaus. Noch 2010 galt eine Verlängerung als Form- kungen der deutschen Energiewende diskutiert. sache. In Folge der Fukushima-Debatte wurde be- schlossen, die Entscheidung erst nach Bekanntgabe NIEDERLANDE der endgültigen Ergebnisse der durch die EU veran- lassten Stresstests im Juni 2012 zu treffen. Die im In den Niederlanden konzentrierte sich die Debatte November 2011 veröffentlichten Zwischenergebnisse in den vergangenen zwölf Monaten auf die Sicher- der Stresstests waren weitgehend positiv. Allerdings heit und den geplanten Ausbau des einzigen Atom- müssen die drei ältesten Nuklearreaktoren nachge- kraftwerks Borssele. Im niederländischen Energie- rüstet werden. mix nimmt die Nuklearenergie eine vergleichsweise untergeordnete Stellung ein: Borssele war 2010 für Die Stimmung in der Bevölkerung ist gespalten, 3,4 Prozent der niederländischen Energieproduktion Umfragen zeigen ein uneinheitliches Bild: Eine im verantwortlich. Haupteigentümer ist Delta, das deut- November von Greenpeace in Auftrag gegebene sche Energieunternehmen RWE ist mit 30 Prozent
8 Miteigentümer. Das Atomkraftwerk liegt in der Provinz allerdings noch nicht mit der deutschen Diskussion Zeeland, nur wenige Kilometer von der Meeresküste vergleichbar. So wird ein kompletter Atomausstieg entfernt. Das Zwischenergebnis des im November zu einem früheren Zeitpunkt als 2034 in den meisten 2011 auf Veranlassung der EU hin durchgeführten Parteien noch nicht ernsthaft diskutiert. Die nieder- Stresstests war im Großen und Ganzen positiv. Aller- ländischen Christdemokraten des CDA vertreten eine dings wurden einige Nachbesserungen empfohlen, differenzierte Position: Die mit den Rechtsliberalen die noch 2012 erfolgen sollen. der VVD getroffene Regierungsvereinbarung von 2010 bekennt sich klar zur Kernenergie. Eigentliches Ober- Der von der Regierung unterstützte Ausbau von ziel von Parteiführung und Fraktion ist aber eine Borssele („Borssele 2”) hingegen wurde im Januar nachhaltige Energiepolitik: Die Kernenergie wird dabei 2012 zumindest für die kommenden zwei bis drei nur als eines von mehreren Instrumenten gesehen. Jahre auf Eis gelegt. Die Gründe sind rein wirtschaft- Die Basis der gerade im ländlichen Raum sehr stark licher Natur: hohe Kosten, niedrige Marktpreise und verankerten Partei vertritt bereits seit einigen Jahren Überkapazitäten am Elektrizitätsmarkt sowie ein eine etwas kritischere Haltung. Die Katastrophe von ungünstiges Investitionsklima. Bereits im Dezember Fukushima hat die Skepsis gestärkt, war aber nicht war der Genehmigungsantrag um ein halbes Jahr nach die Ursache der Debatte. Die deutsche Energiewende hinten verschoben worden, in der Zwischenzeit hatte hat nachhaltigen Eindruck hinterlassen: So führen der Hauptbetreiber Delta die Investitionsbereitschaft Atomkraftskeptiker im CDA die von einer christdemo- weiterer Partner ausloten wollen. Delta könnte einen kratischen Regierung lancierte Energiewende gerne etwa vier bis sieben Milliarden Euro teuren Ausbau als Vorbild für die Niederlande an. Noch schlägt sich nicht alleine stemmen. Potentieller Partner wäre neben dieser langsame, aber offenbar stetige Sinneswandel RWE das französische Energieunternehmen EDF. nicht in einem Kurswechsel der politischen Führung nieder. Gleichwohl ist zu erwarten, dass spätestens Die Debatte um Kernenergie und den Klimawandel bei der Erarbeitung des nächsten Wahlprogramms die im Allgemeinen hat in den Niederlanden durch die Frage der Zukunft der Kernenergie kontrovers disku- Fukushima-Katastrophe an Fahrt aufgenommen, ist tiert werden wird. BRASILIEN Gregory John Ryan | KAS-Auslandsbüro, Rio de Janeiro Ein Jahr nach dem tragischen Unglück in Fukushima will sich Brasilien von der Technologie bislang nicht erinnert sich auch Brasilien, vornehmlich über die verabschieden. Brasilien betreibt seit Anfang der Medien, der Katastrophe. Der Fokus der Berichterstat- 1970er Jahre zwei Reaktoren in Angra dos Reis, einem tung wird dabei auf den Wiederaufbau in Japan ge- kleinen Ort unmittelbar am Atlantik, wenige Auto- richtet. Brasilien fühlt sich dem ostasiatischen Land stunden südlich von Rio de Janeiro. Ein dritter bau- in besonderer Weise verbunden, beherbergt es doch gleicher Reaktor im selben Komplex soll planmäßig eine der größten japanischen Gemeinden außerhalb mit deutscher Technologie (Siemens) 2015 ans Netz Japans, die Folge einer Migrationswelle, die ihren gehen. Der Anteil des Stroms, der durch die Atom- Ursprung vor über hundert Jahren hatte. Brasilien meiler produziert wird, ist relativ klein und liegt bei war daher betont bemüht, Japan beim Wiederaufbau nur zwei bis drei Prozent der nationalen Gesamtpro- zu unterstützen. Diese Solidarität ist in Japan auf duktion. Nach Auskunft des Direktors der nationalen äußerst positive Resonanz gestoßen und dürfte die Organisation zur Erforschung von nuklearer Energie Beziehungen der beiden Länder nachhaltig verbessert (Empresa de Pesquisa Energética – EPE), Maurício haben. Tolmasquim, soll dieser Anteil durch den Neubau von weiteren Meilern gehalten werden und als Alterna- Die Risiken einer weiteren Nutzung der nuklearen tive zur Wasserkraft ausgebaut werden, wenn deren Energie im eigenen Land werden derzeit kaum debat- Potential zwischen 2025 und 2030 erschöpft sein wird. tiert. Anders als etwa Deutschland oder die Schweiz Der Nationale Energieplan 2030 (Plano Nacional de
9 Energia) des Bergbau- und Energieministeriums sieht strategische Nutzen aus der eigenen Anreicherung von gegenwärtig den Bau von vier neuen Atomkraftwerken Uran für das Atomprogramm Brasiliens weiterhin von vor. Noch steht nicht fest, wo diese gebaut werden großer Bedeutung – auch für manchen Nachbarstaat. sollen. In der Zivilgesellschaft regt sich vermehrt öffentlich Fukushima ist dennoch nicht spurlos am politischen geäußerte Kritik. Zum Jahrestag des Unglücks in Brasilien vorbeigegangen. Studien, die nach der Fukushima versammelten sich kleine Protestgruppen Katastrophe in Auftrag gegeben wurden, haben die in vielen Großstädten Brasiliens. Ein deutlicheres Bild Sicherheit der bestehenden Atommeiler in Frage zeichnet eine Umfrage, die vom Nachrichtensender gestellt. Die Regierung hat versprochen, bis 2015 BBC durchgeführt wurde, wonach sich über 79 Prozent entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Die der in Brasilien Befragten gegen den Bau neuer Atom- Kosten dafür sollen bei bis zu 300 Millionen Euro kraftwerke aussprachen. Erste Politiker nehmen sich liegen. Dies wird den Preis pro Kilowattstunde weiter diesem Thema nun an. Die Initiative eines Abgeord- erhöhen: Studien hatten zuvor bereits ergeben, dass neten, eine Volksbefragung durchzu-führen, ist vorerst durch Kernkraftwerke produzierter Strom in Brasilien gescheitert. Es kann allerdings davon ausgegangen um einiges teurer ist als etwa durch Wasserkraft oder werden, dass angesichts der anstehenden Kommunal- sogar Windkraft produzierte Energie. Aus ökonomi- wahlen Ende 2012 das Thema wieder auf die Tages- scher Sicht gibt es deshalb immer mehr Zweifel hin- ordnung der Politik zurückkehren wird. sichtlich eines Weiterbetriebs und Ausbaus der atoma- ren Kapazität. Allerdings bleibt der kommerzielle und CHINA Dr. Peter Hefele | KAS-Auslandsbüro, Shanghai Nach der Atomkatastrophe in Fukushima verhängte Die Entscheidung der Bundesregierung, bis 2022 alle die chinesische Regierung einen Genehmigungs- und Atomkraftwerke zu schließen, wird in China häufig als Baustopp für Atomkraftwerke. 2011 wurden keine Fehler bezeichnet. Zudem könnte China für deutsche neuen Atomreaktoren genehmigt. Darüber hinaus Nuklearexperten aufgrund des vorzeitigen deutschen kam es zu einer Überprüfung aller bestehenden Meiler, Atomausstiegs noch attraktiver werden und Vertreter die im Herbst 2011 für abgeschlossen erklärt wurde. des chinesischen Atomverbands haben deutsche Ex- Gravierende Sicherheitsrisiken wurden dabei laut der perten bereits aufgefordert, ihr Glück in der Volksre- Staatlichen Agentur für Nuklearsicherheit nicht ent- publik zu suchen. Für die internationale Atomindustrie deckt. Auf Grundlage der Untersuchung wurde der könnten Aufträge allerdings beschränkt bleiben, da China National Plan for Nuclear Safety formuliert, der China in erster Linie auf die eigene Produktion setzt noch ratifiziert werden muss. Gemäß Aussagen von und langfristig auch seine Atomtechnologie exportie- Xiao Xinjian, einem Experten für Atomenergie des ren will. Die China National Nuclear Corp (CNNC) staatlichen Energy Research Institute, kann für 2012 hat bereits zwei Reaktoren in Pakistan errichtet und wieder mit Genehmigungen gerechnet werden. Aller- China hofft in der Zukunft auf weitere Aufträge, be- dings werde China seine Ausbaupläne zunächst vor- sonders aus Südostasien. Dabei handelt es sich aber sichtiger fortsetzen. Für 2012 rechnet Xiao mit ledig- um herkömmliche Druckwasserreaktoren. lich drei bis vier Genehmigungen. Mitte des Jahres wird voraussichtlich der Bau bereits genehmigter Fortschritte bei der Wiederaufbereitungstechnik, die Kraftwerke wiederaufgenommen und im Zeitraum es ermöglichen sollen, bis 2020 im westchinesischen 2013 bis 2015 könnte es laut Expertenmeinung zu Lanzhou die erste eigene Wiederaufbereitungsanlage einem erneuten Boom beim Neubau von Atommeilern fertig zu stellen, befeuern die chinesischen Atompläne kommen. Bis 2020 soll die installierte Leistung von weiter. Dadurch soll eine hohe Abhängigkeit von Atommeilern von derzeit 10,8 auf 80 Gigawatt erhöht Uranimporten vermieden werden. Eine langfristige werden. Versorgungssicherheit soll zudem durch die Beteili-
10 gung an Uranminen in Afrika und Zentralasien sicher- Auch in den Medien und der breiten Bevölkerung gestellt werden. ist die Diskussion nach den Ereignissen in Japan schnell wieder abgeflaut. Umweltprobleme, die die Chinesische Nuklearexperten, die die ambitionierten Menschen unmittelbar betreffen und bereits deutlich Pläne der Regierung für übertrieben halten, sind spürbar sind – allen voran die zunehmende Luft- weiterhin in der Minderheit, finden aber zunehmend verschmutzung –, beherrschen den öffentlichen Gehör. Eine Ausnahme ist He Zuoxiu von der Chinese Diskurs. Besonders das Thema Feinstaubbelastung Academy of Science. Er warnt vor den Sicherheits- chinesischer Großstädte beunruhigt die Menschen. risiken und fordert einen Baustopp aller Nuklearanla- Chinas Großstädte wie etwa Peking und Shanghai gen im Inland, um eine Verseuchung weiter Land- weisen eine im internationalen Vergleich extrem striche und wichtiger Flüsse wie dem Jangtse zu hohe Belastung mit Feinstaubpartikeln, die kleiner verhindern. Lediglich Anlagen an der Küste, die auch als 2,5 Mikrogramm sind (PM 2,5), auf. In diesem einem Tsunami standhalten können, kommen für ihn Kontext wird Atomenergie weiterhin von einer Mehr- in Frage. Die meisten seiner Kollegen betrachten aber heit als Lösung für das Problem der Luftverschmut- den massiven Ausbau der Atomkraft in ganz China zung angesehen. Auch eine Debatte um die Endlage- als das notwendige, kleinere Übel, um Chinas Energie- rung von atomaren Brennstäben findet bislang nicht versorgung langfristig sicherzustellen und gleichzeitig statt. die enorme Umweltbelastung durch die Stromproduk- tion in Kohlekraftwerken zu überwinden. Ein radikales Umdenken liegt in weiter Ferne, da die politische Führung davon überzeugt ist, dass ein Un- Der Nuklearunfall in Japan hat zwar ein Umdenken fall wie in Japan in der Volksrepublik nicht denkbar unter einigen Wissenschaftlern und eine stärkere ist. Wenn es nicht auch in China eines Tages zu einem Fokussierung auf das Thema Nuklearsicherheit durch verheerenden Atomunglück, etwa in Folge eines Erd- einige Umweltorganisationen bewirkt, diese wird aber bebens, kommt, ist ein Kurswechsel deshalb nicht zu weiterhin nicht als dringendstes Problem angesehen. erwarten. DEUTSCHLAND Dr. Christian Hübner | KAS Berlin Schon 2010 beschloss die deutsche Bundesregierung Für Deutschland sind damit eingreifende wirtschafts- den Eintritt in das Zeitalter der Erneuerbaren Ener- und gesellschaftspolitische Maßnahmen verbunden. gien, um die Herausforderungen des globalen Klima- So müssen nun zum einen die fossilen Energieträger wandels, die Sicherung einer nachhaltigen Energiever- die bisherige Brückenfunktion der Kernkraft über- sorgung und den Ausbau von Deutschland als einem nehmen, zum anderen müssen die Erneuerbaren führenden Innovationsland anzugehen. Als Brücke für Energien schneller die Wirtschaftlichkeit erreichen diesen Schritt war Kernkraft angedacht. Nach den und ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. verheerenden Ereignissen in Japan im vergangenen Um die Beschleunigung der Energiewende zu fokus- Jahr, in deren Folge das japanische Atomkraftwerk in sieren, beschloss das Bundeskabinett im Juni 2011 Fukushima zeitweise außer Kontrolle geriet, mussten ein Maßnahmenpaket, das unter anderem Verbesse- die Restrisiken, die mit der Kernkraft verbunden sind, rungen im Bereich des Netzausbaus beinhaltet und jedoch neu bewertet werden. In der Folge entstand die Marktintegration von Erneuerbaren Energien in Deutschland ein parteiübergreifender Konsens vorantreiben soll. Darüber hinaus werden Fragen für eine beschleunigte Energiewende. Ziel blieb dabei der Energieeffizienz, der Förderung im Bereich ener- der nahezu vollständige Umstieg auf Erneuerbare getischer Gebäudesanierung und die verbesserte Energien bis zum Jahr 2050. Allerdings wird die Kern- Anbindung von Offshore-Windenergie diskutiert. kraft schrittweise bis 2022 aus dem deutschen Ener- Außerdem wurde ein jährliches Monitoring beschlos- giemix herausgenommen. sen, das den Fortschritt der Umsetzung der Energie- wende kritisch reflektieren soll.
11 Gegenwärtig wird die Umsetzung der Energiewende Energiewende übernehmen. Langfristig wird ihnen in der deutschen Presse sehr kritisch aufgegriffen, sicher auch, solange die Speicherproblematik für obwohl im Vorhinein geäußerte Befürchtungen, wie Energie aus erneuerbaren Quellen nicht zufrieden- zum Beispiel übergreifende Stromausfälle, nicht stellend gelöst ist, zusätzlich eine Ausgleichsfunktion eintrafen. Die kritischen Stimmen sind deshalb – ver- für die Volatilität der Erneuerbaren zukommen, da mutlich – vor allem mit den veränderten energiepoli- Kohle- und Gaskraftwerke bedarfsorientiert Energie tischen Subventionslandschaften zu erklären. So wird bereitstellen können. im Rahmen der zunehmenden Marktintegration von Erneuerbaren Energien die Photovoltaik in ihrer För- Im Rückblick zeigt sich, dass Deutschland als Indus- derhöhe gekürzt und den fossilen Energieträgern wird trieland die zukünftigen Herausforderungen erkannt nur eine Übergangsrolle zugedacht. Besonders heftig hat und angeht. In der Debatte über den Stand der wird auch der Netzausbau kritisiert. Studien beschei- Umsetzung sollte deshalb vor allem die Größenord- nigen die Notwendigkeit eines zusätzlichen Ausbaus nung der Energiewende bedacht werden. Darüber der Stromnetze um bis zu 4.000 km, um EE-Strom hinaus zeigen die Fakten, dass mit den Beschlüssen aus dem Norden in den verbrauchsintensiven Süden vom Juni letzten Jahres und den jüngsten Entwick- weiterzuleiten und um die Schwankungen der weiter- lungen die beschleunigte Energiewende in der Praxis geleiteten Strommenge, die für Wind- und Sonnene- schon angegangen wird. Letztlich muss in dieser nergie charakteristisch sind, abzufangen. Davon wurde Phase dafür gesorgt werden, dass die notwendigen bisher nur ein Bruchteil realisiert. Die Netzproblematik Weichen für eine marktwirtschaft-liche Entwicklung muss dringend angegangen werden, wobei die ange- der Energiewende gesetzt werden, damit Erneuerbare strebte zeitliche Verringerung der Genehmigungsver- Energien in naher Zukunft im Vergleich zu fossilen fahren von zehn auf vier Jahre, schon durchaus als ein Energieträgern wettbewerbsfähig sein können. Der Erfolg gewertet werden darf. Ein weiterer Kritikpunkt Punkt, an dem die Erneuerbaren am Markt alleine zielt auf die zukünftige Rolle fossiler Energieträger wie bestehen können, darf nicht durch Lobbyismus über- Kohle und Gas ab, die die Brückenfunktion für die schattet werden. FRANKREICH Dr. Norbert Wagner | KAS-Auslandsbüro, Paris In Frankreich besitzt die Nuklearenergie einen großen Bedeutung, die der Nuklearenergie in Frankreich Anteil an der Stromerzeugung (ca. 75 Prozent) bzw. zukommt. Davon wolle und werde man nicht ab- an der Primärenergieerzeugung (ca. 50 Prozent). rücken. Diese Energie in Frage zu stellen, hieße Die Konsumenten und die Industrie profitieren des- gewissermaßen an den Grundpfeilern der französi- halb von vergleichsweise niedrigen Strompreisen, die schen Republik rütteln. Außerdem sei die französische letztlich auch einen politisch gewollten Preis darstel- Nuklearindustrie eine der – wenn nicht die – sicherste len, vergleichbar dem Brotpreis. Allzu große Preis- der Welt. sprünge können vor diesem Hintergrund schnell zu erheblichen politischen Konvulsionen führen. Der Gleichwohl veranlasste die französische Regierung günstige Strompreis prägt die Haltung der Bevölke- einen „Sicherheitsstresstest”, d.h. sie unterzog die rung zur Nuklearenergie. Sicherheitsvorkehrungen aller französischen Reak- toren einer eingehenden Überprüfung. Es war erwartet Nach der Katastrophe von Fukushima haben sich die worden, dass dabei zumindest der Reaktor in Fessen- französischen Behörden und die Öffentlichkeit gefragt, heim (Elsaß), der älteste Kernkraftreaktor in Frank- welche Schlussfolgerungen aus diesem Ereignis zu reich, vom Netz genommen würde. Nach Abschluss ziehen sind. Präsident Sarkozy und die französische des Stresstests entschied die französische Regierung Regierung betonten in diesem Zusammenhang die indes, den Reaktor Fessenheim weiter am Netz zu belassen.
12 Die Energiewende in Deutschland blieb in Frankreich Rolle). Hollande schlug deshalb vor, den Anteil der nicht ohne Wirkung. Dies umso mehr, als Deutsch- Nuklearenergie an der Stromerzeugung bis zum Jahr land in Frankreich aktuell eine wichtige Rolle spielt. 2020 auf 50 Prozent zu reduzieren. Das reicht den Es entwickelte sich tatsächlich eine innenpolitische Grünen allerdings nicht. Debatte über die Zukunft der Nuklearenergie in Frankreich. Die Grünen, die politisch nur insoweit Präsident Sarkozy und die UMP halten das günsti- von Bedeutung sind, dass der sozialistische Präsident- ge Strompreisniveau für einen Standortvorteil von schaftskandidat Hollande sie als Koalitionspartner Frankreich. Es wäre unverantwortlich, so Sarkozy, benötigt, forderten den völligen Ausstieg aus der daran rütteln zu wollen. Die Präsidentenwahlen im Nuklearenergie. Dem konnte Hollande nicht zustim- April/Mai 2012 werden einen Einfluss auf die Zukunft men, schon allein aus Rücksicht auf die Gewerkschaf- der Nuklearenergie in Frankreich haben. Es ist aber ten, die bei EDF eine sehr einflussreiche Rolle spielen nicht damit zu rechnen, dass es zu einem drastischen (außerdem spielt das Unternehmen EDF bei der Finan- Richtungswechsel kommen wird. Die Position von zierung der kommunistisch und sozialistisch geprägten Nicolas Sarkozy und der UMP ist eindeutig. Und auch Gewerkschaften und damit bei der Unterstützung des François Hollande wird sich dem massiven Einfluss der linken Präsidentschaftskandidaten eine bedeutende Gewerkschaften nicht entziehen wollen und können. G R O S S B R I TA N N I E N Claudia Crawford, Maike Elisa Schug | KAS-Auslandsbüro, London VEREINIGTES KÖNIGREICH: fragen zeigten ein Gleichgewicht zwischen Atomkraft- DIE WAHRNEHMUNG DER KATASTROPHE gegnern und ‑befürwortern, wobei die Stimmen der IN FUKUSHIMA EIN JAHR DANACH Befürworter laut sind und die Unterstützung selbst unmittelbar nach Fukushima noch bei 42 Prozent Kurz nach der Katastrophe in Fukushima zeigte sich lag. Deutschlands Entscheidung, bis 2022 alle Atom- ein Anstieg im Zuspruch für den Ausbau Erneuer- kraftwerke auszuschalten, wird von einer knappen barer Energien, anstatt den Fokus auf Atomenergie zu Mehrheit der Briten als unangemessene Reaktion zur legen. Dennoch waren und sind Atomkraftwerke längst Katastrophe in Fukushima gewertet. nicht so umstritten wie in Deutschland. Atomenergie erfüllt drei Bedingungen, die für Großbritannien von Nach Fukushima im März 2011 gab Chris Huhne, besonderer Bedeutung sind: Energiesicherheit und damaliger Secretary of State for Energy and Climate damit die Unabhängigkeit von Energielieferungen von Change, einen Bericht in Auftrag, der die Umstände zweifelhaften Regimes (z.B. Iran), Bezahlbarkeit und der Katastrophe und Handlungs- oder Änderungsvor- CO2-arme Energiegewinnung. So stand schon bald schläge für Großbritannien präsentieren sollte. Seit nach der Fukushima-Katastrophe fest, dass die Pläne September 2011 liegt ein vollständiges Gutachten zum Ausbau der Reaktoren weitergehen sollen. vor. Dieses besagt, dass es keine Einwände gegen die Weiterführung der Energieversorgung über Atomkraft- Um die britische Bevölkerung im Boot zu behalten, werke in Großbritannien gibt. Die Reaktoren in Groß- wurde die Atomenergie von Seiten der Regierung posi- britannien werden als sicher in Bau und Standort tiv beworben. Es wurde lediglich festgelegt, dass alte eingestuft. Ebenso wird die Stabilität der Rahmen- Reaktoren durch modernere ersetzt werden sollen. bedingungen für die Betreibung von Atomkraftwerken Genauso wurde aber auch der Bau neuer Atomkraft- betont, die einen höheren Standard in Großbritannien werke angekündigt. Unter anderem sind RWE npower aufweisen als in Japan (unabhängigere und effizien- und E.on UK als Investoren bei den künftigen Neu- tere Aufsichtsbehörden). bauten dabei. Laut Gutachten seien Natureinflüsse wie Erdbeben Derart heftige Diskussionen um die Nutzung der und Überflutungen für das Vereinigte Königreich Kernenergie, wie sie in Deutschland zu beobachten höchst unwahrscheinlich. Dadurch bestätigt, sehen waren, blieben in Großbritannien aus. Gezielte Um- die Briten die Ursache der Geschehnisse in Japan
13 in Umwelt- und Standortfaktoren. Sie halten die breite Zustimmung trifft, wenn diese zum einen hilft Gefahren in Großbritannien für gering und die Risiken dem Klimawandel entgegenzuwirken und zum anderen für beherrschbar, so dass der Nutzen letztlich über- zu einer zuverlässigen und erschwinglichen Energie- wiegt. versorgung beiträgt. Gleichfalls wichtig für die Unterstützung der Atomkraft Interessant ist außerdem, dass starke Unterschiede erscheint der Kostenfaktor. Großbritannien erlebt seit nach Geschlechtern zu beobachten sind – Männer einiger Zeit einen enormen Anstieg der Energiepreise. unterstützen die Atomkraft stärker als Frauen, an Die Briten halten die Atomenergie für eine sichere und deren Haltung man letztlich auch einen allgemeinen vor allem kostengünstige Alternative. Eine Populus- Trend zum Überdenken der Energietechnologien seit Umfrage im August 2011 spiegelt diese Einstellung Fukushima erkennen kann. wider, indem sie aufweist, dass Atomenergie auf eine INDIEN Dr. Beatrice Gorawantschy, Benjamin Querner | KAS-Auslandsbüro, New Delhi ATOMKRAFT IN INDIEN: EIN JAHR NACH SICHERHEITSBESTIMMUNGEN UND NEUE FUKUSHIMA RICHTLINIEN Die japanische Atomkatastrophe war ein Weckruf für Verantwortlich für die Sicherheitsbestimmungen Indien. Bereits vor Fukushima gab es Bedenken über und -konstruktionen der kommerziellen AKW ist das die Sicherheit von Atomkraftwerken (AKW) und es Atomic Energy Regulatory Board (AERB). Für den Bau bestanden Vorbehalte gegenüber Standortentschei- und den Betrieb ist die Nuclear Power Corporation of dungen alter und neuer Atomkraftanlagen. Nach der India (NPCIL) zuständig. Beide Institutionen werden Katastrophe nahm der öffentliche Druck zu und die vom Department of Atomic Energy (DAE) des Ministe- regionalen Proteste erhielten neuen Auftrieb. Die riums für Wissenschaft und Technologie verwaltet. Regierung unter Manhoman Singh war gefordert, auf Somit ist das DAE sowohl für die Förderung kommer- die Verunsicherung in der Bevölkerung zu reagieren. zieller Nutzung von Atomenergie als auch für die Sicherheit der indischen AKW zuständig. Vor dem Kernenergie bildet mit einem Anteil von rund drei Hintergrund der Atomkatastrophe von Fukushima Prozent die viertgrößte Elektrizitätsquelle in Indien, wurde Kritik geäußert, dass dies zu einem ähnlichen nach den fossilen Brennstoffen (65 Prozent), der Interessenskonflikt in der Sicherheitskontrolle der Wasserkraft (21 Prozent) und den Erneuerbaren indischen Atomkraftwerke führen könnte wie es be- Energien (elf Prozent). Energie ist in Indien jedoch reits in Japan bemängelt wurde. knapp und der Bedarf wird in den kommenden Jahren erheblich zunehmen. Indien setzt daher beim Aus- Drei Tage nach dem Unglück hatte der indische Pre- bau seiner Energiequellen vor allem auf neue AKWs, mierminister Singh angekündigt, dass er dem DAE wobei bis 2030 die Nutzung der Kernenergie jährlich und der NPCIL die sofortige technische Überprüfung um mehr als fünf Prozent zunehmen soll. Bis 2050 soll der Sicherheitssysteme aller AKW angeordnet habe. ein Viertel der Elektrizität in Atomkraftwerken erzeugt Zusätzlich war eine neue Regelung in der Sicherheits- werden. Gleichzeitig müssen über 90 Prozent der struktur der indischen AKW in Aussicht gestellt wor- flüssigen fossilen Brennstoffe und bis zu 45 Prozent den. Unter der Führung des AERB wurde zunächst des Kohlebedarfs importiert werden. Angesichts des ein Komitee gegründet, das die Sicherheit der indi- steigenden Energiebedarfs Indiens muss die Regie- schen Kernkraftanlagen gegenüber Gefahren wie rung nicht nur den Zugang zu Energie verbessern, Erdbeben, Tsunamis, Zyklonen und Überflutungen sondern auch für eine ausreichende Versorgungsstabi- sowie die Handhabung im Falle eines Unglücks über- lität und -sicherheit sorgen. prüfen sollte. Der Ergebnisbericht steht noch aus.
14 Zusätzlich wurde im September 2011 der Nuclear wie vor Angst vor den negativen Auswirkungen von Safety Regulatory Authority Bill (NSRAB) ins Parla- radioaktiver Strahlung und radioaktivem Müll auf die ment eingebracht. Das NSRAB sieht die Auflösung des Umwelt. AERB vor und dieser soll durch den Council of Nuclear Safety (Council) und die Nuclear Safety Regulatory Der unmittelbar ausgeübte Druck auf die Regierung Authority (NSRA) ersetzt werden; letztere sei laut durch Bürgerproteste sowie zunehmende Forderungen Gesetzestext dann befähigt, Sicherheitsvorschriften der Bundesstaaten, mehr Einfluss und Mitspracherecht zu erarbeiten und diese auch zu implementieren. in Fragen zu Energie- und Klimapolitik zu erhalten, führt zu einer vermehrten Politisierung in der Energie- PROTESTBEWEGUNGEN UND DIE POLI- und Umweltpolitik. TISIERUNG IN DER ENERGIE- UND UMWELTPOLITIK REAKTIONEN DER MEDIEN ZUM JAHRESTAG DER KATASTROPHE Schon vor dem Atomunglück in Japan hatte es in den regional betroffenen Gebieten Indiens (Maharastra Die Berichterstattung zum Jahrestag der Atomkata- im Dezember 2009 und im Januar 2010) öffentliche strophe in Fukushima fiel verhalten aus. Zwar wurde Bürgerproteste gegen bestehende AKWs und gegen- in den indischen Medien über den Jahrestag der über zukünftigen Bauvorhaben, wie zum Beispiel Atomkatastrophe berichtet, teilweise mit Gedenk- gegen das Jaitapur-Projekt in der Stadt Ratnagiri bildern auf den Titelseiten der Tageszeitungen, doch im Bundesstaat Maharastra, gegeben. Bis 2017 soll unter den englischsprachigen Zeitungen hat lediglich in Jaitapur das weltweit größte Kernkraftwerk mit The Hindu längere Kommentare veröffentlicht. Prag- einer Gesamtleistung von 9900 MW in Betrieb gehen. matisch wurde über die Risiken der Atomenergie berichtet und eher ernüchternd festgestellt, dass Nach umfassender Berichterstattung in den indischen die Alternativen zu dieser Energiequelle zwar attraktiv, Medien über das Atomunglück in Japan war von Um- aber vor dem Hintergrund des Energiebedarfs nicht weltaktivisten und Betroffenen anfänglich befürchtet praktikabel seien. Im Vorfeld des Jahrestages wurde worden, dass sich die mediale Aufmerksamkeit gegen- zusätzlich im The Hindu mit Bezug auf Deutschlands über den Risiken der Atomkraft abwendet, sobald die Atomausstieg gefordert, intensiver über die Risiken Katastrophe überstanden ist. Diese Entwicklung traf und über sichere Alternativen in der Energiegewin- nicht ein. Vielmehr kann festgestellt werden, dass die nung nachzudenken. Berichterstattung über regionale Protestbewegungen anhält. Es ist davon auszugehen, dass die Proteste gegen Atomkraft in den regional betroffenen Teilen Indiens Jüngst verstärkten sich die Proteste um das geplante auch in Zukunft nicht abklingen werden. Allerdings AKW in Kudankulam im Bundesstaat Tamil Nadu. Mit ist nicht zu erwarten, dass angesichts des steigen- der erreichten Bauverzögerung des AKW-Kudankulam den Energiebedarfs Indiens eine grundsätzliche poli- erzielte die Protestbewegung der Fischer und Bauern tische Debatte über die Nutzung von Kernenergie unter Führung der People’s Movement Against Nuclear angestoßen wird. Vielmehr kann vermutet werden, Energy (PMANE) einen ersten Teilerfolg, der jedoch dass der Fokus auf die Sicherheitsvorkehrungen der auch die Kosten des gesamten Projekts um fast 400 AKWs noch mehr Aufmerksamkeit erhält. Millionen Euro erhöht hat. Hauptgründe sind nach
15 KOREA Dr. Norbert Eschborn | KAS-Auslandsbüro, Seoul DIE AMTLICHE ATOMPOLITIK BLEIBT überschritten hat, obwohl Japan ein mehr als doppelt UNVERÄNDERT, ABER DER WIDERSTAND so hohes pro Kopf–Einkommen als Südkorea aufweist. WÄCHST Fukushima hat der koreanischen Anti-Atomkraft- Fukushima, Synonym für eine der folgenschwersten Bewegung einen Schub gegeben, und im Juni 2011 Nuklearkatastrophen unserer Zeit, bringt die Koreaner wurde die „Joint Action for a Nuclear-free Society”, zwar zum Nachdenken über die Sinnhaftigkeit dieser ein Zusammenschluss von etwa vierzig zivilgesell- Energiequelle, aber den konsequenten Atomkurs der schaftlichen Organisationen gegründet. Noch aber jetzigen und früherer Regierungen hat diese Entwick- fehlt diesem Zusammenschluss und auch der nur lung bisher nicht signifikant beeinflussen können. im Embryonalstatus existierenden Grünen Partei die Zwar haben sich in den vergangenen Monaten die politische Traktion. Dabei festigen sich vier Wochen atomkritischen Töne aus der Zivilgesellschaft ver- vor den koreanischen Parlamentswahlen die partei- stärkt, aber die Energiefrage wird von der Politik politischen Positionen zum Thema: Die Zustimmung noch immer weit mehr unter wirtschaftlichen als unter von Vertretern der noch regierenden, aber von einer Sicherheits- oder Nachhaltigkeitsaspekten bewertet. schweren Wahlniederlage bedrohten, konservativen Unübersehbar ist allerdings der massive Vertrauens- Saenuri-Partei zur Kernkraft bleibt ungebrochen, wird schwund der Bevölkerung gegenüber den zahlreichen aber verhaltener, wohl auch angesichts neuester Um- Reaktoren im eigenen Land. fragen (Quelle: Korea Energy Economics Institute), wonach die Zahl der Kernkraftgegner zwischen 2009 Die Kernkraft spaltet das Land, auch die Meinungs- und 2011 um enorme 40,1 Prozent auf 59,3 Prozent macher. Der Jahrestag von Fukushima veranlasst der Befragten gestiegen sei, während im gleichen die koreanischen Medien zur Debatte über die Kern- Zeitraum der Anteil der Befürworter von 42 Prozent energie – mit höchst unterschiedlichen Schlussfolge- auf 16,9 Prozent gesunken sein soll (erstaunlich an rungen: „Auf Nuklearkurs bleiben” forderte der Korea diesen Zahlen ist vor allem der Anteil von 23,8 Pro- Herald in einem Kommentar und belegte dies mit zent der Befragten, der 2011 keine Meinung zu dem den angeblich zwölfmal höheren Kosten pro Kilowatt- immer sensibler werdenden Thema haben soll). Der stunde Solarenergie gegenüber der Kernenergie. Unmut macht sich verständlicherweise vor allem in Dagegen sieht die Korea Times in der Nuklearpolitik den Provinzen mit einer hohen Reaktordichte breit. eine „gefährliche Obsession” und fordert langfristige Die gegenwärtige Oppositionspartei DUP scheint mit Energiealternativen ein. Blick auf den Urnengang im April den bisher auch von ihr mitgetragenen „stillen Nuklearkonsens” der politi- Die Fronten sind klar: Hier die Kernenergiebefürwor- schen Elite nunmehr mindestens in Frage stellen zu ter, die ein Szenario des gefährdeten Wohlstands wollen; eine allmähliche Abkehr von der Kernenergie entwerfen, sollte dem energiehungrigen Land seine haben inzwischen eine ganze Reihe derzeitiger und wirtschaftliche Stromquelle abhanden kommen und früherer Amts- und Mandatsträger gefordert. Dies damit die, wie sie meinen, Grundlage für eine inter- dürfte aber vornehmlich der beginnenden öffentlichen national wettbewerbsfähige Volkswirtschaft. Diese Demontage des Präsidenten Lee Myung-bak dienen, Seite gibt den Erneuerbaren Energien auch auf lange der bei den nächsten Wahlen für das Amt des Staats- Sicht keine realistische Chance, dem Nukleargewicht oberhaupts im Dezember 2012 nicht mehr antreten etwas Glaubwürdiges entgegenzusetzen. Dort die darf, jedoch als der Exponent einer staatlich geförder- Atomgegner, die unter anderem die extreme Subven- ten Nuklearpolitik und vor allem einer Exportpolitik tionierung des koreanischen Atomstroms kritisieren von koreanischer Nukleartechnologie gilt. Atomkraft und sie für die nach ihrer Auffassung weit verbreitete wird zum ernsten politischen Thema in Südkorea, aber Energieverschwendung verantwortlich machen. Koreas nur langsam. Richtig neu gemischt werden die politi- Strompreise liegen etwa bei der Hälfte des Durch- schen Karten erst unter dem nächsten Präsidenten schnitts aller OECD-Staaten. Das führt dazu, dass der ab Frühjahr 2013. Angesichts einer bis heute einseiti- pro Kopf-Energieverbrauch p.a. mit 9.510 Kilowatt- gen Energiepolitik werden aber auch dessen Optionen stunden (2011) mittlerweile das japanische Niveau nicht wirklich zahlreich und attraktiv sein.
16 POLEN Dr. Christian Schmitz | KAS-Auslandsbüro, Warschau Auch in Polen wurde anlässlich des Jahrestages am Regierungsprogramm, bis 2020 in Gang gesetzt 11. März an die Katastrophe von Fukushima erinnert, werden. Für den Bau des Reaktors werden Kosten doch das Ereignis hat hier keine energiepolitische von ca. 35 bis 55 Milliarden Zloty eingeplant. Diskussion angestoßen und die Berichterstattung hierüber war in den zurückliegenden Monaten von Bereits im vergangenen Jahr fanden offizielle grenz- sehr nachrangiger Bedeutung. Der zurückliegende überschreitende Umweltprüfungsverfahren (zusam- Wahlkampf vor den Parlamentswahlen vom Herbst men mit dem deutschen BMU) und Konsultationen 2011 zeigte zudem einen breiten Parteienkonsens mit gesellschaftlichen Partnern (auch im Ausland) hinsichtlich der zukünftig verstärkt geplanten Nutzung statt und am 23.02.2012 unterstrich Premierminister von Atomenergie. PO, PSL und PiS verfügen zusam- Tusk auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit men über mehr als 80 Prozent der Parlamentsman- Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak und Regional- date. Die Notwendigkeit des Baus moderner Atom- entwicklungsministerin Elżbieta Bieńkowska seine kraftwerke in Polen wird nur von politischen Rand- Entschlossenheit, das Kernenergieprogramm weiter- gruppen in Frage gestellt wie der sozialdemokrati- zuführen und bezeichnete es als vorrangig und strate- schen SLD, die ein Referendum in der Atomenergie- gisch. Premierminister Tusk fügte hinzu, dass sech- frage fordert oder der unberechenbaren Palikot- zehn EU-Länder eigene Kernenergieprogramme ver- Bewegung, die sich strikt gegen die Atomkraft stellt. folgen oder starten wollen. Ernsthafter Widerstand gegen den Bau von Atomkraft- werken ist nur von der lokalen Ebene, aus den Ge- Ungeachtet der Tatsache, dass die energiepolitische genden potentieller Standorte, zu erwarten. Nicht Wende in Deutschland von den polnischen Eliten auszuschließen ist, dass sich aus diesen Protesten interessiert verfolgt wird und der Anteil erneuerbarer irgendwann einmal eine politische Diskussion grund- Energiequellen am polnischen Energiemix sowie die sätzlicher Art entwickeln wird. Doch derzeit ist die zunehmende Diskussion hierüber in Fachkreisen leicht Entwicklung nuklearer Energieversorgung, auch vor ansteigt, gibt es keine Indizien, die auf eine mögliche dem Hintergrund ökonomischer Erwägungen, in der künftige Abweichung in den Plänen der polnischen Gesellschaft unumstritten. Regierung bezüglich des Kernenergieprogramms hindeuten. Polnische Entscheidungsträger sehen, Das seit 2009 verstärkt verfolgte Atomprogramm abgesehen von der möglichen, aber noch im Erkun- soll Polen mehr Energiesicherheit gewährleisten, und dungsstadium befindlichen Nutzung der umfang- so wurde der Bau von zwei Atomkraftwerken bereits reichen Schiefergasvorkommen im Lande, keine realis- der PGE A.G. (Polska Grupa Energetyczna SA) anver- tische und bezahlbare Alternative zur Atomenergie. traut. Das erste Atomkraftwerk (3000 MW) soll, laut
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