EIN JAHR NACH FUKUSHIMA - www.kas.de - Konrad-Adenauer-Stiftung

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EIN JAHR NACH FUKUSHIMA

I N T E R N AT I O N A L E S T I M M U N G S B I L D E R

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Herausgeber
Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit
der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Redaktion
Dr. Christian Hübner
Koordinator für Umwelt-, Klima- und Energiepolitik,
Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit

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© 2012, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Sankt Augustin/Berlin

Gestaltung: SWITSCH KommunikationsDesign, Köln.
I N H A LT

4 | J A PA N
     Jörg Wolff

5 | EUROPÄISCHE UNION
     Dr. Stefan Gehrold | Joscha Ritz

6 | ARGENTINIEN
     Dr. Bernd Löhmann

7 | BELGIEN UND NIEDERLANDE
     Dr. Stefan Gehrold | Olaf Wientzek

8 | BRASILIEN
     Gregory John Ryan

9 | CHINA
     Dr. Peter Hefele

10| DEUTSCHLAND
     Dr. Christian Hübner

11| FRANKREICH
     Dr. Norbert Wagner

1 2 | G R O S S B R I TA N N I E N
     Claudia Crawford | Maike Elisa Schug

13| INDIEN
     Dr. Béatrice Gorawantschy | Benjamin Querner

15 | KOREA
     Dr. Norbert Eschborn

16| POLEN
     Dr. Christian Schmitz

1 7 | S PA N I E N
     Katarina Ojeda

18| SÜDAFRIKA
     Dr. Werner Böhler

19 | RUSSLAND
     Dr. Lars Peter Schmidt | Johann C. Fuhrmann

20| TSCHECHISCHE REPUBLIK
     Dr. Hubert Gehring | Alena Falathová

21| TÜRKEI
     Dr. Colin Dürkop

22 | USA
     Dr. Lars Hänsel

23| VIETNAM
     Rabea Brauer
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    J A PA N
    Jörg Wolff | KAS-Auslandsbüro, Tokio

    Ein Jahr nach der verheerenden Katastrophe im            vor zusätzliche Probleme. Seine Wirtschaft musste
    Nordosten des Landes ist nach wie vor offen, ob der      noch den Abschwung von 2008-2009 verkraften und
    11. März 2011 die Wirtschaft, Gesellschaft und Politik   sah sich nach Fukushima neben einer Deflation und
    Japans verändern wird. Aus der japanischen Perspek-      einem stark steigenden Yen zusätzlich mit Energie-
    tive bleibt der Reaktorunfall in Fukushima nur ein       engpässen konfrontiert. Hinzu kamen in der zweiten
    Teil der dreifachen Katastrophe, der mit dem gewal-      Hälfte des letzten Jahres noch die Produktionsausfälle
    tigen Erdbeben, der gigantischen Tsunamiwelle und        vieler japanischer Zulieferer durch die Flut in Thai-
    ihren Zerstörungen und Opfern einherging. Die Ge-        land. Doch die bemerkenswerte Geschwindigkeit und
    samtschäden betrugen ca. 220 Milliarden US-Dollar,       Effizienz, mit der die Wirtschaft reagierte und zum
    die menschlichen Verluste sind immer noch nicht          Wachstum zurückfand, dokumentieren die großen
    genau bekannt und werden auf ca. 20.000 beziffert.       gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Widerstands-
    Die Reaktionen angesichts dieser Tage wieder in          kräfte des Landes. So wird für 2012 trotz der verrin-
    Erinnerung gerufener Bilder von zerstörten Land-         gerten Nachfrage aus Europa und den USA mit einem
    strichen, den Meldungen über ca. 30.000 qkm von          sehr respektablen Wachstum von 1,7 Prozent gerech-
    Radioaktivität kontaminierten Flächen und jüngster       net. Zusätzlich dürften die Wachstumskräfte von dem
    Prognosen über weitere bevorstehende Großbeben           Wiederaufbau in den Katastrophengebieten profitie-
    im Raum Tokio zeigen, dass sich Japan und vor allem      ren, für die eine Serie von Nachtragshaushalten in
    seine Bevölkerung mit großer Selbstdisziplin der         Höhe von 221 Milliarden US-Dollar bewilligt wurde.
    Katastrophe gestellt haben und der Zukunft besonnen
    und mit bewundernswerter Ruhe gegenüberstehen.           Der mit Tschernobyl auf gleicher historisch höchster
    Im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Dreifach-          Stufe eingeordnete Reaktorunfall im Atomkraftwerk
    Katastrophe wird in der Öffentlichkeit jedoch vermehrt   in Fukushima führte dagegen bis heute noch nicht
    die Frage gestellt, ob die Nuklearkatastrophe das        zu einer Änderung des bestehenden unzulänglichen
    Resultat einer unvorhersehbaren Naturkatastrophe         nuklearen Regulativsystems, einer angepassten Ener-
    war oder aber hätte verhindert werden können. Die        giepolitik oder gar einer kompletten Energiewende
    dieser Tage vorgelegten Bewertungen und Beurtei-         wie in Deutschland. Während der ehemalige Minister-
    lungen verweisen auf eine Reihe von gravierenden         präsident Kan die deutsche Energiewende als Vorbild
    Fehleinschätzungen, Sicherheitsmängeln, Pannen,          sieht, möchte die derzeitige Regierung Noda die
    Inkompetenzen und Vertuschungen, die weder der           Monopole bei der Stromversorgung aufbrechen, die
    Atomwirtschaft, noch den Reaktionen von Regierung        Atomenergie zurückfahren und Erneuerbare Energien
    und Behörden ein gutes Zeugnis ausstellen. So führte     ausbauen. Dennoch konnte sie sich bislang noch
    der damalige Ministerpräsident Naoto Kan in einem        nicht auf ein schlüssiges Energiekonzept und die
    Interview aus, dass die Regierung längere Zeit keiner-   künftige Reorganisation der Nuklearbetreibergesell-
    lei präzise Auskünfte über den Zustand der Reaktoren     schaften einigen, obwohl gegenwärtig 52 der insge-
    hatte und selbst die Betreibergesellschaft Tepco zu-     samt 54 Atomkraftwerke abgeschaltet sind und das
    nächst nicht wusste, was sich wirklich in Fukushima      Industrieland inzwischen fast ohne nuklearen Strom
    abspielte. Er selbst verhinderte vier Tage nach der      normal funktioniert. Dennoch dürften bald einige
    Katastrophe in einem dramatischen persönlichen           Reaktoren wieder angefahren werden, um sowohl
    Appell an die Verantwortlichen, dass Tepco Fukushima     die drastisch gestiegenen Ausgaben für Erdöl- und
    aufgibt und das zerstörte Kernkraftwerk sich selbst      Erdgasimporte als Substitutionsenergie zu senken,
    überlässt, was zu unabsehbaren Folgen für Japan          als auch aus dem Bemühen heraus, weiterhin Atom-
    hätte führen können.                                     technik zu exportieren. Japans Debatte über die
                                                             Nuklearenergie und eine mögliche neue Energiepolitik
    Die Dreifach-Katastrophe stellte Japan, das sich         weist jedoch über das Land hinaus und hat eine
    ohnehin den weltweit höchsten Staatsschulden und         internationale Bedeutung. Weder die nationalen noch
    einer schnell alternden Bevölkerung gegenübersieht,      internationalen Atomexperten hatten im Vorfeld die
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Sicherheitsmängel diagnostiziert und damit jene          Auf der anderen Seite zeigt die Bevölkerung ein neues
Restrisiken erkannt, die offenbar bei allen Nuklear-     Bewusstsein für die Produktionsketten der Nahrungs-
anlagen bestehen. Positiv kann jedoch bewertet           mittel und immer wieder erregen Meldungen zu Fällen
werden, dass der bis Fukushima recht sorglose Um-        erhöhter Strahlungswerte Aufsehen und Sorge. Der
gang mit der Kernenergie in Japan ein Ende fand.         Glaube an die Ehrlichkeit und Fähigkeit der politischen
                                                         Klasse und das politische System nimmt ab. Inzwi-
Die Dreifach-Katastrophe hatte bisher keine Auswir-      schen fordern laut Umfragen 70 Prozent der Japaner
kungen auf das Kernproblem des politischen Systems       den sofortigen oder allmählichen Ausstieg aus der
Japans mit seiner Verkrustung und den bestehenden        Kernenergie. Doch nur wenige gehen auf die Straßen,
Reibungsverlusten. Der Machtwechsel von Liberal-         da in den Medien kaum darüber berichtet wird. Trotz-
demokraten zu Demokraten hat nicht die erwartete         dem nehmen die für japanische Verhältnisse außer-
Erneuerung gebracht. Noch immer bilden Japans            gewöhnlich großen Demonstrationen gegen die Atom-
Politiker eine eigene Kaste und noch immer besteht       energie zu, die, wie zum Beispiel im Januar 2012, bis
eine Verzahnung zwischen (Atom-)Wirtschaft, Regie-       zu 6.000 Personen zählten.
rung und Bürokratie, die jedoch immer stärker hinter-
fragt wird und aufzubrechen beginnt. Das Karussell       Insgesamt wurde die Dreifach-Katastrophe Japans
der jährlich wechselnden Premierminister beleuchtet      bislang recht gut bewältigt. Dennoch hat sie erhebli-
die Defizite japanischer Politik. In der japanischen     che Mängel im bestehenden japanischen System
Gesellschaft demgegenüber scheint die Katastrophe        offengelegt. Dies gilt nicht für die Bevölkerung, deren
Spuren hinterlassen zu haben. Auf der einen Seite        Umgang mit und deren Verhalten während und nach
stehen die Rückbesinnung auf traditionelle Werte,        der Krise großen Respekt verdient. Auch ein Jahr nach
zwischenmenschliche Verbundenheit und bürgerliche        Fukushima ist jedoch noch nicht deutlich, ob und wie
Initiativen zur Unterstützung der gesamten von der       diese Katastrophe Japan verändert hat beziehungs-
Katastrophe betroffenen Tohoku-Region durch Spen-        weise noch verändern wird.
den und den verstärkten Konsum dortiger Produkte.

EUROPÄISCHE UNION
Dr. Stefan Gehrold, Joscha Ritz | KAS-Europabüro, Brüssel

RÜCKKEHR ZUR SACHLICHKEIT                                Schweden besteht eine große Abhängigkeit von der
                                                         Kernenergie. Weitere Mitgliedstaaten – z.B. Polen
Ein Jahr nach dem Atomunglück von Fukushima hat          – planen den Einstieg in die Kernkraft. Entsprechend
sich die europapolitische Diskussion zur Zukunft der     nennt die Kommission in ihrem Energiefahrplan bis
Kernenergie weitgehend versachlicht. In Brüssel liegt    2050 eine Erhöhung des Anteils der Kernenergie am
der Fokus wieder auf der Frage, wie nachhaltige,         Primärenergieverbrauch als ein mögliches Szenario
sichere und bezahlbare Energie für Europa langfristig    zur Senkung von CO2-Emissionen im Energiesektor.
sichergestellt werden kann. Dabei spielt die Kern-
energie im Instrumentenkasten der EU und zahl-           Die Durchführung von EU-weit einheitlichen Stress-
reicher Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle. Haupt-      tests hat ebenfalls dazu beigetragen, dass die atom-
grund: Für die Festlegung des Energiemixes sind die      politische Debatte in Brüssel wieder stärker fakten-
Mitgliedstaaten zuständig (Art. 194 Abs. 2 AEUV) –       basiert geführt wird. Ziel ist es, die europäischen
die Kommission gibt sich betont neutral. Die Mehr-       AKWs darauf zu überprüfen, ob sie Naturkatastrophen
heit der Mitgliedstaaten setzen – im Gegensatz zu        (z.B. Erdbeben, Überschwemmungen) oder durch
Deutschland – weiterhin auf die Atomkraft. Der Anteil    Menschen verursachten Einwirkungen (z.B. Flugzeug-
der Kernenergie an der Bruttostromerzeugung beträgt      abstürze) standhalten können. Die Tests befinden
in Europa 28 Prozent und liegt damit noch vor Kohle      sich aktuell in der letzen Phase: Experten der Mitglied-
und Erdgas. Aktuell betreiben vierzehn Mitgliedstaaten   staaten und der Kommission untersuchen die jeweili-
143 AKWs. Insbesondere in Frankreich, Belgien und        gen nationalen Ergebnisse und führen ggf. weitere
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    Kontrollen vor Ort durch. Die Glaubwürdigkeit der        Diskussionsgrundlage ist der Zwischenbericht zu den
    Resultate soll dadurch sichergestellt werden, dass       Stresstests vom November 2011. In diesem Zusam-
    neben Beamten der Kommission auch nationale Ex-          menhang erwägt die Kommission z.B. die Einführung
    perten der dreizehn Mitgliedstaaten, die keine AKWs      von Mindestanforderungen zu Standort, Design und
    betreiben, in die Kontrollteams einbezogen sind.         Betrieb von AKWs. Ferner wird die Stärkung der Un-
    Zudem sollen abweichende Meinungen in den Ab-            abhängigkeit nationaler Regulierungsbehörden bera-
    schlussbericht einfließen. Dieser wird den Staats- und   ten, die Lizenzen vergeben und Kontrollen vor Ort
    Regierungschefs auf ihrer Tagung im Juni vorgelegt.      vornehmen sollen. Zudem stehen grenzüberschreiten-
    Zudem wird der Bericht Grundlage für Empfehlungen        de Krisenbewältigungspläne auf der Kommissionsa-
    von Energiekommissar Günther Oettinger an die            genda: Nukleare Kontaminierung macht nicht vor
    Mitgliedstaaten sein. Gemäß den zuständigen natio-       nationalen Grenzen halt – so die Logik der Kommis-
    nalen Behörden ist eine sofortige Abschaltung von        sion. Ende des Jahres könnten erste Vorschläge der
    AKWs nicht notwendig. Gleichzeitig wird jedoch be-       Kommission auf dem Tisch liegen.
    tont, dass in einigen Fällen hohe Investitionen in die
    Stärkung der Robustheit von AKWs fließen müssten         Darüber hinaus hat die EU die Kontrollen für Nah-
    (z.B. Frankreich). Sollte ein AKW den Stresstest nicht   rungsmittel aus der Umgebung von Fukushima bis
    bestehen, kann die Kommission seine Abschaltung          zum 31. November 2012 verlängert. Gleichzeitig
    zwar de jure nicht anordnen. Es wird jedoch erwartet,    wurde die Intensität der Kontrollen abgeschwächt.
    dass der öffentliche Druck zu angemessenen Maßnah-       Damit tragen Kommission und Mitgliedstaaten dem
    men in den betroffenen Mitgliedstaaten führen wird.      inzwischen deutlich geringeren Risiko des Exports
                                                             nuklear kontaminierter Nahrungsmittel Rechnung.
    Auf Grundlage erster Erkenntnisse berät die Kom-         Gleichzeitig wird signalisiert, dass die Europäer auf-
    mission bereits eine mögliche Verstärkung des euro-      merksam bleiben.
    päischen Rechtsrahmens zur Nuklearsicherheit.

    ARGENTINIEN
    Dr. Bernd Löhmann | KAS-Auslandsbüro, Buenos Aires

    BUSINESS AS USUAL – FUKUSHIMA                            Niemand von Gewicht scheint die Abschaltung der
    SPIELT IN DER ARGENTINISCHEN ENERGIE-                    zwei laufenden Atomkraftwerke, Atucha I und Embalse
    DISKUSSION KEINE ROLLE                                   Río Tercero, auch nur in Erwägung zu ziehen. Dabei
                                                             sind die Anlagen bereits seit 1974 bzw. 1983 in Be-
    2011 stand die japanische Dreifachkatastrophe –          trieb. Ein neuer Atommeiler, Atucha II, dessen Bau
    Erdbeben, Tsunami, nuklearer GAU – über Wochen           zwanzig Jahre ruhte und erst 2007 wieder aufgenom-
    im Mittelpunkt der medialen Berichterstattung. Das       men wurde, soll in Kürze ans Netz gehen. Im Septem-
    enorme Ausmaß der Zerstörungen, vor allem aber           ber 2011 begann der „Prozess der Betriebsaufnahme”,
    die menschlichen Schicksale bewegten die Argentinier     der bislang noch nicht abgeschlossen ist. Das Sicher-
    zutiefst. Forderungen nach politischen Konsequenzen      heitssystem müsse ausgebaut werden, heißt es.
    für die hiesige Energiepolitik kamen allerdings nur      Vielleicht ist hierin eine konkrete Auswirkung aus
    vereinzelt auf.                                          der Katastrophe von Fukushima zu sehen?

    Ein Jahr danach haben die argentinischen Medien die      Das Kernenergieprogramm der Präsidentin Cristina
    Ereignisse in Japan ins Gedächtnis gerufen, doch war     Fernández de Kirchner bleibt hingegen unbeeinträch-
    die Berichterstattung insgesamt eher spärlich. Innen-    tigt. Es sieht die Verlängerung der Laufzeit des Kraft-
    politische Fragen dominierten bis zuletzt die Schlag-    werks Embalse Río Tercero und den Bau von zwei
    zeilen. Noch weit weniger als vor einem Jahr waren       kleineren Atomkraftwerken vor, die jeweils Städte
    die Geschehnisse in Japan ein Reflexionspunkt für die    in der Größenordnung von rund 100.000 Einwohnern
    hiesige energiepolitische Debatte. In Argentinien ist    versorgen sollen.
    Fukushima ein außenpolitisches Thema.
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Laut offiziellen Zahlen macht die Atomenergie derzeit   zwei Drittel des argentinischen Benzinbedarfs deckt,
nur etwa 5,5 Prozent des argentinischen Energie-        wird seitens der Regierung in letzter Zeit für die
marktes aus. Die Wasserkraft liegt mit 24,6 Prozent     mangelnde Ausbeutung der im Land vorhandenen
weit darüber und gilt als ausbaufähig. Die Nutzung      Ressourcen verantwortlich gemacht. Es besteht die
der Windkraft sowie der Solarenergie stecken noch in    Drohung, ihm Bohr- und Ausbeutungsrechte zu ent-
den Anfängen und bieten viel Spielraum nach oben.       ziehen. Das Beispiel YPF zeigt emblematisch, dass
                                                        Argentinien in der Energiepolitik mit anderen Dingen
Die argentinische Energiediskussion richtet sich        beschäftigt als mit der Frage der Sicherheit der Kern-
zurzeit auf die wachsenden Engpässe bei fossilen        energie und ihren Alternativen. Fukushima hat daran
Brennstoffen, die 69 Prozent des Energiemarktes         kaum etwas geändert.
ausmachen. Vor allem der Energiekonzern YPF, der

BELGIEN UND DIE NIEDERLANDE
Dr. Stefan Gehrold, Olaf Wientzek | KAS-Europabüro, Brüssel

Im Zentrum der Diskussionen in Belgien und den          Befragung ergab, dass rund zwei Drittel der Bevölke-
Niederlanden stehen die Laufzeitverlängerung bzw.       rung einen Atomausstieg befürworten. Eine im De-
der Ausbau bestehender Kernkraftwerke. Die Auswir-      zember vom Forum nucléaire veranlasste Befragung
kungen der Energiewende in Deutschland werden           ergab ein anderes Bild: So waren immerhin 58 Prozent
zumindest am Rande verfolgt.                            für den Erhalt der Kernenergie in Belgien, wenn auch
                                                        mit regionalen Unterschieden (64 Prozent der Flamen
BELGIEN                                                 und nur 50 Prozent der Frankophonen). Dieser Er-
                                                        hebung zufolge gab es lediglich bei den französisch-
Die Fukushima-Katastrophe hat die Debatte in Belgien    sprachigen Belgiern eine signifikante Änderung der
wesentlich beeinflusst, wenngleich nicht in dem Aus-    Einstellung (von 59 auf 50 Prozent) im Vergleich zu
maß wie in Deutschland. Die Kernenergie ist zentraler   2010. Ein Ausstieg oder die Abschaltung der drei
Bestandteil des belgischen Energiemixes und deckt       Reaktoren 2015 hätte umfassende Auswirkungen
55 Prozent des Elektrizitätsbedarfs des Landes ab.      auf die Wirtschaft. Bereits der Atomausstieg Deutsch-
In Belgien gibt es zwei Atomkraftwerke, eines im        lands, das immerhin rund fünf Prozent des belgischen
flämischen Doel, eines im wallonischen Tihange mit      Energieverbrauchs deckte, war mit einigem Unmut zur
insgesamt sieben Reaktoren.                             Kenntnis genommen worden.

Die Diskussion fokussiert sich ein Jahr nach Fuku-      Die Folgen der Energiewende in Deutschland werden
shima auf die Laufzeitverlängerung der drei ältesten    in den belgischen Medien zumindest oberflächlich
Reaktoren (Tihange 1, Doel 1 und 2) über 2015           verfolgt. Vor allem in Flandern werden die Auswir-
hinaus. Noch 2010 galt eine Verlängerung als Form-      kungen der deutschen Energiewende diskutiert.
sache. In Folge der Fukushima-Debatte wurde be-
schlossen, die Entscheidung erst nach Bekanntgabe       NIEDERLANDE
der endgültigen Ergebnisse der durch die EU veran-
lassten Stresstests im Juni 2012 zu treffen. Die im     In den Niederlanden konzentrierte sich die Debatte
November 2011 veröffentlichten Zwischenergebnisse       in den vergangenen zwölf Monaten auf die Sicher-
der Stresstests waren weitgehend positiv. Allerdings    heit und den geplanten Ausbau des einzigen Atom-
müssen die drei ältesten Nuklearreaktoren nachge-       kraftwerks Borssele. Im niederländischen Energie-
rüstet werden.                                          mix nimmt die Nuklearenergie eine vergleichsweise
                                                        untergeordnete Stellung ein: Borssele war 2010 für
Die Stimmung in der Bevölkerung ist gespalten,          3,4 Prozent der niederländischen Energieproduktion
Umfragen zeigen ein uneinheitliches Bild: Eine im       verantwortlich. Haupteigentümer ist Delta, das deut-
November von Greenpeace in Auftrag gegebene             sche Energieunternehmen RWE ist mit 30 Prozent
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    Miteigentümer. Das Atomkraftwerk liegt in der Provinz    allerdings noch nicht mit der deutschen Diskussion
    Zeeland, nur wenige Kilometer von der Meeresküste        vergleichbar. So wird ein kompletter Atomausstieg
    entfernt. Das Zwischenergebnis des im November           zu einem früheren Zeitpunkt als 2034 in den meisten
    2011 auf Veranlassung der EU hin durchgeführten          Parteien noch nicht ernsthaft diskutiert. Die nieder-
    Stresstests war im Großen und Ganzen positiv. Aller-     ländischen Christdemokraten des CDA vertreten eine
    dings wurden einige Nachbesserungen empfohlen,           differenzierte Position: Die mit den Rechtsliberalen
    die noch 2012 erfolgen sollen.                           der VVD getroffene Regierungsvereinbarung von 2010
                                                             bekennt sich klar zur Kernenergie. Eigentliches Ober-
    Der von der Regierung unterstützte Ausbau von            ziel von Parteiführung und Fraktion ist aber eine
    Borssele („Borssele 2”) hingegen wurde im Januar         nachhaltige Energiepolitik: Die Kernenergie wird dabei
    2012 zumindest für die kommenden zwei bis drei           nur als eines von mehreren Instrumenten gesehen.
    Jahre auf Eis gelegt. Die Gründe sind rein wirtschaft-   Die Basis der gerade im ländlichen Raum sehr stark
    licher Natur: hohe Kosten, niedrige Marktpreise und      verankerten Partei vertritt bereits seit einigen Jahren
    Überkapazitäten am Elektrizitätsmarkt sowie ein          eine etwas kritischere Haltung. Die Katastrophe von
    ungünstiges Investitionsklima. Bereits im Dezember       Fukushima hat die Skepsis gestärkt, war aber nicht
    war der Genehmigungsantrag um ein halbes Jahr nach       die Ursache der Debatte. Die deutsche Energiewende
    hinten verschoben worden, in der Zwischenzeit hatte      hat nachhaltigen Eindruck hinterlassen: So führen
    der Hauptbetreiber Delta die Investitionsbereitschaft    Atomkraftskeptiker im CDA die von einer christdemo-
    weiterer Partner ausloten wollen. Delta könnte einen     kratischen Regierung lancierte Energiewende gerne
    etwa vier bis sieben Milliarden Euro teuren Ausbau       als Vorbild für die Niederlande an. Noch schlägt sich
    nicht alleine stemmen. Potentieller Partner wäre neben   dieser langsame, aber offenbar stetige Sinneswandel
    RWE das französische Energieunternehmen EDF.             nicht in einem Kurswechsel der politischen Führung
                                                             nieder. Gleichwohl ist zu erwarten, dass spätestens
    Die Debatte um Kernenergie und den Klimawandel           bei der Erarbeitung des nächsten Wahlprogramms die
    im Allgemeinen hat in den Niederlanden durch die         Frage der Zukunft der Kernenergie kontrovers disku-
    Fukushima-Katastrophe an Fahrt aufgenommen, ist          tiert werden wird.

    BRASILIEN
    Gregory John Ryan | KAS-Auslandsbüro, Rio de Janeiro

    Ein Jahr nach dem tragischen Unglück in Fukushima        will sich Brasilien von der Technologie bislang nicht
    erinnert sich auch Brasilien, vornehmlich über die       verabschieden. Brasilien betreibt seit Anfang der
    Medien, der Katastrophe. Der Fokus der Berichterstat-    1970er Jahre zwei Reaktoren in Angra dos Reis, einem
    tung wird dabei auf den Wiederaufbau in Japan ge-        kleinen Ort unmittelbar am Atlantik, wenige Auto-
    richtet. Brasilien fühlt sich dem ostasiatischen Land    stunden südlich von Rio de Janeiro. Ein dritter bau-
    in besonderer Weise verbunden, beherbergt es doch        gleicher Reaktor im selben Komplex soll planmäßig
    eine der größten japanischen Gemeinden außerhalb         mit deutscher Technologie (Siemens) 2015 ans Netz
    Japans, die Folge einer Migrationswelle, die ihren       gehen. Der Anteil des Stroms, der durch die Atom-
    Ursprung vor über hundert Jahren hatte. Brasilien        meiler produziert wird, ist relativ klein und liegt bei
    war daher betont bemüht, Japan beim Wiederaufbau         nur zwei bis drei Prozent der nationalen Gesamtpro-
    zu unterstützen. Diese Solidarität ist in Japan auf      duktion. Nach Auskunft des Direktors der nationalen
    äußerst positive Resonanz gestoßen und dürfte die        Organisation zur Erforschung von nuklearer Energie
    Beziehungen der beiden Länder nachhaltig verbessert      (Empresa de Pesquisa Energética – EPE), Maurício
    haben.                                                   Tolmasquim, soll dieser Anteil durch den Neubau von
                                                             weiteren Meilern gehalten werden und als Alterna-
    Die Risiken einer weiteren Nutzung der nuklearen         tive zur Wasserkraft ausgebaut werden, wenn deren
    Energie im eigenen Land werden derzeit kaum debat-       Potential zwischen 2025 und 2030 erschöpft sein wird.
    tiert. Anders als etwa Deutschland oder die Schweiz      Der Nationale Energieplan 2030 (Plano Nacional de
9

Energia) des Bergbau- und Energieministeriums sieht      strategische Nutzen aus der eigenen Anreicherung von
gegenwärtig den Bau von vier neuen Atomkraftwerken       Uran für das Atomprogramm Brasiliens weiterhin von
vor. Noch steht nicht fest, wo diese gebaut werden       großer Bedeutung – auch für manchen Nachbarstaat.
sollen.
                                                         In der Zivilgesellschaft regt sich vermehrt öffentlich
Fukushima ist dennoch nicht spurlos am politischen       geäußerte Kritik. Zum Jahrestag des Unglücks in
Brasilien vorbeigegangen. Studien, die nach der          Fukushima versammelten sich kleine Protestgruppen
Katastrophe in Auftrag gegeben wurden, haben die         in vielen Großstädten Brasiliens. Ein deutlicheres Bild
Sicherheit der bestehenden Atommeiler in Frage           zeichnet eine Umfrage, die vom Nachrichtensender
gestellt. Die Regierung hat versprochen, bis 2015        BBC durchgeführt wurde, wonach sich über 79 Prozent
entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Die               der in Brasilien Befragten gegen den Bau neuer Atom-
Kosten dafür sollen bei bis zu 300 Millionen Euro        kraftwerke aussprachen. Erste Politiker nehmen sich
liegen. Dies wird den Preis pro Kilowattstunde weiter    diesem Thema nun an. Die Initiative eines Abgeord-
erhöhen: Studien hatten zuvor bereits ergeben, dass      neten, eine Volksbefragung durchzu-führen, ist vorerst
durch Kernkraftwerke produzierter Strom in Brasilien     gescheitert. Es kann allerdings davon ausgegangen
um einiges teurer ist als etwa durch Wasserkraft oder    werden, dass angesichts der anstehenden Kommunal-
sogar Windkraft produzierte Energie. Aus ökonomi-        wahlen Ende 2012 das Thema wieder auf die Tages-
scher Sicht gibt es deshalb immer mehr Zweifel hin-      ordnung der Politik zurückkehren wird.
sichtlich eines Weiterbetriebs und Ausbaus der atoma-
ren Kapazität. Allerdings bleibt der kommerzielle und

CHINA
Dr. Peter Hefele | KAS-Auslandsbüro, Shanghai

Nach der Atomkatastrophe in Fukushima verhängte          Die Entscheidung der Bundesregierung, bis 2022 alle
die chinesische Regierung einen Genehmigungs- und        Atomkraftwerke zu schließen, wird in China häufig als
Baustopp für Atomkraftwerke. 2011 wurden keine           Fehler bezeichnet. Zudem könnte China für deutsche
neuen Atomreaktoren genehmigt. Darüber hinaus            Nuklearexperten aufgrund des vorzeitigen deutschen
kam es zu einer Überprüfung aller bestehenden Meiler,    Atomausstiegs noch attraktiver werden und Vertreter
die im Herbst 2011 für abgeschlossen erklärt wurde.      des chinesischen Atomverbands haben deutsche Ex-
Gravierende Sicherheitsrisiken wurden dabei laut der     perten bereits aufgefordert, ihr Glück in der Volksre-
Staatlichen Agentur für Nuklearsicherheit nicht ent-     publik zu suchen. Für die internationale Atomindustrie
deckt. Auf Grundlage der Untersuchung wurde der          könnten Aufträge allerdings beschränkt bleiben, da
China National Plan for Nuclear Safety formuliert, der   China in erster Linie auf die eigene Produktion setzt
noch ratifiziert werden muss. Gemäß Aussagen von         und langfristig auch seine Atomtechnologie exportie-
Xiao Xinjian, einem Experten für Atomenergie des         ren will. Die China National Nuclear Corp (CNNC)
staatlichen Energy Research Institute, kann für 2012     hat bereits zwei Reaktoren in Pakistan errichtet und
wieder mit Genehmigungen gerechnet werden. Aller-        China hofft in der Zukunft auf weitere Aufträge, be-
dings werde China seine Ausbaupläne zunächst vor-        sonders aus Südostasien. Dabei handelt es sich aber
sichtiger fortsetzen. Für 2012 rechnet Xiao mit ledig-   um herkömmliche Druckwasserreaktoren.
lich drei bis vier Genehmigungen. Mitte des Jahres
wird voraussichtlich der Bau bereits genehmigter         Fortschritte bei der Wiederaufbereitungstechnik, die
Kraftwerke wiederaufgenommen und im Zeitraum             es ermöglichen sollen, bis 2020 im westchinesischen
2013 bis 2015 könnte es laut Expertenmeinung zu          Lanzhou die erste eigene Wiederaufbereitungsanlage
einem erneuten Boom beim Neubau von Atommeilern          fertig zu stellen, befeuern die chinesischen Atompläne
kommen. Bis 2020 soll die installierte Leistung von      weiter. Dadurch soll eine hohe Abhängigkeit von
Atommeilern von derzeit 10,8 auf 80 Gigawatt erhöht      Uranimporten vermieden werden. Eine langfristige
werden.                                                  Versorgungssicherheit soll zudem durch die Beteili-
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     gung an Uranminen in Afrika und Zentralasien sicher-      Auch in den Medien und der breiten Bevölkerung
     gestellt werden.                                          ist die Diskussion nach den Ereignissen in Japan
                                                               schnell wieder abgeflaut. Umweltprobleme, die die
     Chinesische Nuklearexperten, die die ambitionierten       Menschen unmittelbar betreffen und bereits deutlich
     Pläne der Regierung für übertrieben halten, sind          spürbar sind – allen voran die zunehmende Luft-
     weiterhin in der Minderheit, finden aber zunehmend        verschmutzung –, beherrschen den öffentlichen
     Gehör. Eine Ausnahme ist He Zuoxiu von der Chinese        Diskurs. Besonders das Thema Feinstaubbelastung
     Academy of Science. Er warnt vor den Sicherheits-         chinesischer Großstädte beunruhigt die Menschen.
     risiken und fordert einen Baustopp aller Nuklearanla-     Chinas Großstädte wie etwa Peking und Shanghai
     gen im Inland, um eine Verseuchung weiter Land-           weisen eine im internationalen Vergleich extrem
     striche und wichtiger Flüsse wie dem Jangtse zu           hohe Belastung mit Feinstaubpartikeln, die kleiner
     verhindern. Lediglich Anlagen an der Küste, die auch      als 2,5 Mikrogramm sind (PM 2,5), auf. In diesem
     einem Tsunami standhalten können, kommen für ihn          Kontext wird Atomenergie weiterhin von einer Mehr-
     in Frage. Die meisten seiner Kollegen betrachten aber     heit als Lösung für das Problem der Luftverschmut-
     den massiven Ausbau der Atomkraft in ganz China           zung angesehen. Auch eine Debatte um die Endlage-
     als das notwendige, kleinere Übel, um Chinas Energie-     rung von atomaren Brennstäben findet bislang nicht
     versorgung langfristig sicherzustellen und gleichzeitig   statt.
     die enorme Umweltbelastung durch die Stromproduk-
     tion in Kohlekraftwerken zu überwinden.                   Ein radikales Umdenken liegt in weiter Ferne, da die
                                                               politische Führung davon überzeugt ist, dass ein Un-
     Der Nuklearunfall in Japan hat zwar ein Umdenken          fall wie in Japan in der Volksrepublik nicht denkbar
     unter einigen Wissenschaftlern und eine stärkere          ist. Wenn es nicht auch in China eines Tages zu einem
     Fokussierung auf das Thema Nuklearsicherheit durch        verheerenden Atomunglück, etwa in Folge eines Erd-
     einige Umweltorganisationen bewirkt, diese wird aber      bebens, kommt, ist ein Kurswechsel deshalb nicht zu
     weiterhin nicht als dringendstes Problem angesehen.       erwarten.

     DEUTSCHLAND
     Dr. Christian Hübner | KAS Berlin

     Schon 2010 beschloss die deutsche Bundesregierung         Für Deutschland sind damit eingreifende wirtschafts-
     den Eintritt in das Zeitalter der Erneuerbaren Ener-      und gesellschaftspolitische Maßnahmen verbunden.
     gien, um die Herausforderungen des globalen Klima-        So müssen nun zum einen die fossilen Energieträger
     wandels, die Sicherung einer nachhaltigen Energiever-     die bisherige Brückenfunktion der Kernkraft über-
     sorgung und den Ausbau von Deutschland als einem          nehmen, zum anderen müssen die Erneuerbaren
     führenden Innovationsland anzugehen. Als Brücke für       Energien schneller die Wirtschaftlichkeit erreichen
     diesen Schritt war Kernkraft angedacht. Nach den          und ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
     verheerenden Ereignissen in Japan im vergangenen          Um die Beschleunigung der Energiewende zu fokus-
     Jahr, in deren Folge das japanische Atomkraftwerk in      sieren, beschloss das Bundeskabinett im Juni 2011
     Fukushima zeitweise außer Kontrolle geriet, mussten       ein Maßnahmenpaket, das unter anderem Verbesse-
     die Restrisiken, die mit der Kernkraft verbunden sind,    rungen im Bereich des Netzausbaus beinhaltet und
     jedoch neu bewertet werden. In der Folge entstand         die Marktintegration von Erneuerbaren Energien
     in Deutschland ein parteiübergreifender Konsens           vorantreiben soll. Darüber hinaus werden Fragen
     für eine beschleunigte Energiewende. Ziel blieb dabei     der Energieeffizienz, der Förderung im Bereich ener-
     der nahezu vollständige Umstieg auf Erneuerbare           getischer Gebäudesanierung und die verbesserte
     Energien bis zum Jahr 2050. Allerdings wird die Kern-     Anbindung von Offshore-Windenergie diskutiert.
     kraft schrittweise bis 2022 aus dem deutschen Ener-       Außerdem wurde ein jährliches Monitoring beschlos-
     giemix herausgenommen.                                    sen, das den Fortschritt der Umsetzung der Energie-
                                                               wende kritisch reflektieren soll.
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Gegenwärtig wird die Umsetzung der Energiewende             Energiewende übernehmen. Langfristig wird ihnen
in der deutschen Presse sehr kritisch aufgegriffen,         sicher auch, solange die Speicherproblematik für
obwohl im Vorhinein geäußerte Befürchtungen, wie            Energie aus erneuerbaren Quellen nicht zufrieden-
zum Beispiel übergreifende Stromausfälle, nicht             stellend gelöst ist, zusätzlich eine Ausgleichsfunktion
eintrafen. Die kritischen Stimmen sind deshalb – ver-       für die Volatilität der Erneuerbaren zukommen, da
mutlich – vor allem mit den veränderten energiepoli-        Kohle- und Gaskraftwerke bedarfsorientiert Energie
tischen Subventionslandschaften zu erklären. So wird        bereitstellen können.
im Rahmen der zunehmenden Marktintegration von
Erneuerbaren Energien die Photovoltaik in ihrer För-        Im Rückblick zeigt sich, dass Deutschland als Indus-
derhöhe gekürzt und den fossilen Energieträgern wird        trieland die zukünftigen Herausforderungen erkannt
nur eine Übergangsrolle zugedacht. Besonders heftig         hat und angeht. In der Debatte über den Stand der
wird auch der Netzausbau kritisiert. Studien beschei-       Umsetzung sollte deshalb vor allem die Größenord-
nigen die Notwendigkeit eines zusätzlichen Ausbaus          nung der Energiewende bedacht werden. Darüber
der Stromnetze um bis zu 4.000 km, um EE-Strom              hinaus zeigen die Fakten, dass mit den Beschlüssen
aus dem Norden in den verbrauchsintensiven Süden            vom Juni letzten Jahres und den jüngsten Entwick-
weiterzuleiten und um die Schwankungen der weiter-          lungen die beschleunigte Energiewende in der Praxis
geleiteten Strommenge, die für Wind- und Sonnene-           schon angegangen wird. Letztlich muss in dieser
nergie charakteristisch sind, abzufangen. Davon wurde       Phase dafür gesorgt werden, dass die notwendigen
bisher nur ein Bruchteil realisiert. Die Netzproblematik    Weichen für eine marktwirtschaft-liche Entwicklung
muss dringend angegangen werden, wobei die ange-            der Energiewende gesetzt werden, damit Erneuerbare
strebte zeitliche Verringerung der Genehmigungsver-         Energien in naher Zukunft im Vergleich zu fossilen
fahren von zehn auf vier Jahre, schon durchaus als ein      Energieträgern wettbewerbsfähig sein können. Der
Erfolg gewertet werden darf. Ein weiterer Kritikpunkt       Punkt, an dem die Erneuerbaren am Markt alleine
zielt auf die zukünftige Rolle fossiler Energieträger wie   bestehen können, darf nicht durch Lobbyismus über-
Kohle und Gas ab, die die Brückenfunktion für die           schattet werden.

FRANKREICH
Dr. Norbert Wagner | KAS-Auslandsbüro, Paris

In Frankreich besitzt die Nuklearenergie einen großen       Bedeutung, die der Nuklearenergie in Frankreich
Anteil an der Stromerzeugung (ca. 75 Prozent) bzw.          zukommt. Davon wolle und werde man nicht ab-
an der Primärenergieerzeugung (ca. 50 Prozent).             rücken. Diese Energie in Frage zu stellen, hieße
Die Konsumenten und die Industrie profitieren des-          gewissermaßen an den Grundpfeilern der französi-
halb von vergleichsweise niedrigen Strompreisen, die        schen Republik rütteln. Außerdem sei die französische
letztlich auch einen politisch gewollten Preis darstel-     Nuklearindustrie eine der – wenn nicht die – sicherste
len, vergleichbar dem Brotpreis. Allzu große Preis-         der Welt.
sprünge können vor diesem Hintergrund schnell zu
erheblichen politischen Konvulsionen führen. Der            Gleichwohl veranlasste die französische Regierung
günstige Strompreis prägt die Haltung der Bevölke-          einen „Sicherheitsstresstest”, d.h. sie unterzog die
rung zur Nuklearenergie.                                    Sicherheitsvorkehrungen aller französischen Reak-
                                                            toren einer eingehenden Überprüfung. Es war erwartet
Nach der Katastrophe von Fukushima haben sich die           worden, dass dabei zumindest der Reaktor in Fessen-
französischen Behörden und die Öffentlichkeit gefragt,      heim (Elsaß), der älteste Kernkraftreaktor in Frank-
welche Schlussfolgerungen aus diesem Ereignis zu            reich, vom Netz genommen würde. Nach Abschluss
ziehen sind. Präsident Sarkozy und die französische         des Stresstests entschied die französische Regierung
Regierung betonten in diesem Zusammenhang die               indes, den Reaktor Fessenheim weiter am Netz zu
                                                            belassen.
12

     Die Energiewende in Deutschland blieb in Frankreich       Rolle). Hollande schlug deshalb vor, den Anteil der
     nicht ohne Wirkung. Dies umso mehr, als Deutsch-          Nuklearenergie an der Stromerzeugung bis zum Jahr
     land in Frankreich aktuell eine wichtige Rolle spielt.    2020 auf 50 Prozent zu reduzieren. Das reicht den
     Es entwickelte sich tatsächlich eine innenpolitische      Grünen allerdings nicht.
     Debatte über die Zukunft der Nuklearenergie in
     Frankreich. Die Grünen, die politisch nur insoweit        Präsident Sarkozy und die UMP halten das günsti-
     von Bedeutung sind, dass der sozialistische Präsident-    ge Strompreisniveau für einen Standortvorteil von
     schaftskandidat Hollande sie als Koalitionspartner        Frankreich. Es wäre unverantwortlich, so Sarkozy,
     benötigt, forderten den völligen Ausstieg aus der         daran rütteln zu wollen. Die Präsidentenwahlen im
     Nuklearenergie. Dem konnte Hollande nicht zustim-         April/Mai 2012 werden einen Einfluss auf die Zukunft
     men, schon allein aus Rücksicht auf die Gewerkschaf-      der Nuklearenergie in Frankreich haben. Es ist aber
     ten, die bei EDF eine sehr einflussreiche Rolle spielen   nicht damit zu rechnen, dass es zu einem drastischen
     (außerdem spielt das Unternehmen EDF bei der Finan-       Richtungswechsel kommen wird. Die Position von
     zierung der kommunistisch und sozialistisch geprägten     Nicolas Sarkozy und der UMP ist eindeutig. Und auch
     Gewerkschaften und damit bei der Unterstützung des        François Hollande wird sich dem massiven Einfluss der
     linken Präsidentschaftskandidaten eine bedeutende         Gewerkschaften nicht entziehen wollen und können.

     G R O S S B R I TA N N I E N
     Claudia Crawford, Maike Elisa Schug | KAS-Auslandsbüro, London

     VEREINIGTES KÖNIGREICH:                                   fragen zeigten ein Gleichgewicht zwischen Atomkraft-
     DIE WAHRNEHMUNG DER KATASTROPHE                           gegnern und ‑befürwortern, wobei die Stimmen der
     IN FUKUSHIMA EIN JAHR DANACH                              Befürworter laut sind und die Unterstützung selbst
                                                               unmittelbar nach Fukushima noch bei 42 Prozent
     Kurz nach der Katastrophe in Fukushima zeigte sich        lag. Deutschlands Entscheidung, bis 2022 alle Atom-
     ein Anstieg im Zuspruch für den Ausbau Erneuer-           kraftwerke auszuschalten, wird von einer knappen
     barer Energien, anstatt den Fokus auf Atomenergie zu      Mehrheit der Briten als unangemessene Reaktion zur
     legen. Dennoch waren und sind Atomkraftwerke längst       Katastrophe in Fukushima gewertet.
     nicht so umstritten wie in Deutschland. Atomenergie
     erfüllt drei Bedingungen, die für Großbritannien von      Nach Fukushima im März 2011 gab Chris Huhne,
     besonderer Bedeutung sind: Energiesicherheit und          damaliger Secretary of State for Energy and Climate
     damit die Unabhängigkeit von Energielieferungen von       Change, einen Bericht in Auftrag, der die Umstände
     zweifelhaften Regimes (z.B. Iran), Bezahlbarkeit und      der Katastrophe und Handlungs- oder Änderungsvor-
     CO2-arme Energiegewinnung. So stand schon bald            schläge für Großbritannien präsentieren sollte. Seit
     nach der Fukushima-Katastrophe fest, dass die Pläne       September 2011 liegt ein vollständiges Gutachten
     zum Ausbau der Reaktoren weitergehen sollen.              vor. Dieses besagt, dass es keine Einwände gegen die
                                                               Weiterführung der Energieversorgung über Atomkraft-
     Um die britische Bevölkerung im Boot zu behalten,         werke in Großbritannien gibt. Die Reaktoren in Groß-
     wurde die Atomenergie von Seiten der Regierung posi-      britannien werden als sicher in Bau und Standort
     tiv beworben. Es wurde lediglich festgelegt, dass alte    eingestuft. Ebenso wird die Stabilität der Rahmen-
     Reaktoren durch modernere ersetzt werden sollen.          bedingungen für die Betreibung von Atomkraftwerken
     Genauso wurde aber auch der Bau neuer Atomkraft-          betont, die einen höheren Standard in Großbritannien
     werke angekündigt. Unter anderem sind RWE npower          aufweisen als in Japan (unabhängigere und effizien-
     und E.on UK als Investoren bei den künftigen Neu-         tere Aufsichtsbehörden).
     bauten dabei.
                                                               Laut Gutachten seien Natureinflüsse wie Erdbeben
     Derart heftige Diskussionen um die Nutzung der            und Überflutungen für das Vereinigte Königreich
     Kernenergie, wie sie in Deutschland zu beobachten         höchst unwahrscheinlich. Dadurch bestätigt, sehen
     waren, blieben in Großbritannien aus. Gezielte Um-        die Briten die Ursache der Geschehnisse in Japan
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in Umwelt- und Standortfaktoren. Sie halten die           breite Zustimmung trifft, wenn diese zum einen hilft
Gefahren in Großbritannien für gering und die Risiken     dem Klimawandel entgegenzuwirken und zum anderen
für beherrschbar, so dass der Nutzen letztlich über-      zu einer zuverlässigen und erschwinglichen Energie-
wiegt.                                                    versorgung beiträgt.

Gleichfalls wichtig für die Unterstützung der Atomkraft   Interessant ist außerdem, dass starke Unterschiede
erscheint der Kostenfaktor. Großbritannien erlebt seit    nach Geschlechtern zu beobachten sind – Männer
einiger Zeit einen enormen Anstieg der Energiepreise.     unterstützen die Atomkraft stärker als Frauen, an
Die Briten halten die Atomenergie für eine sichere und    deren Haltung man letztlich auch einen allgemeinen
vor allem kostengünstige Alternative. Eine Populus-       Trend zum Überdenken der Energietechnologien seit
Umfrage im August 2011 spiegelt diese Einstellung         Fukushima erkennen kann.
wider, indem sie aufweist, dass Atomenergie auf eine

INDIEN
Dr. Beatrice Gorawantschy, Benjamin Querner | KAS-Auslandsbüro, New Delhi

ATOMKRAFT IN INDIEN: EIN JAHR NACH                        SICHERHEITSBESTIMMUNGEN UND NEUE
FUKUSHIMA                                                 RICHTLINIEN

Die japanische Atomkatastrophe war ein Weckruf für        Verantwortlich für die Sicherheitsbestimmungen
Indien. Bereits vor Fukushima gab es Bedenken über        und -konstruktionen der kommerziellen AKW ist das
die Sicherheit von Atomkraftwerken (AKW) und es           Atomic Energy Regulatory Board (AERB). Für den Bau
bestanden Vorbehalte gegenüber Standortentschei-          und den Betrieb ist die Nuclear Power Corporation of
dungen alter und neuer Atomkraftanlagen. Nach der         India (NPCIL) zuständig. Beide Institutionen werden
Katastrophe nahm der öffentliche Druck zu und die         vom Department of Atomic Energy (DAE) des Ministe-
regionalen Proteste erhielten neuen Auftrieb. Die         riums für Wissenschaft und Technologie verwaltet.
Regierung unter Manhoman Singh war gefordert, auf         Somit ist das DAE sowohl für die Förderung kommer-
die Verunsicherung in der Bevölkerung zu reagieren.       zieller Nutzung von Atomenergie als auch für die
                                                          Sicherheit der indischen AKW zuständig. Vor dem
Kernenergie bildet mit einem Anteil von rund drei         Hintergrund der Atomkatastrophe von Fukushima
Prozent die viertgrößte Elektrizitätsquelle in Indien,    wurde Kritik geäußert, dass dies zu einem ähnlichen
nach den fossilen Brennstoffen (65 Prozent), der          Interessenskonflikt in der Sicherheitskontrolle der
Wasserkraft (21 Prozent) und den Erneuerbaren             indischen Atomkraftwerke führen könnte wie es be-
Energien (elf Prozent). Energie ist in Indien jedoch      reits in Japan bemängelt wurde.
knapp und der Bedarf wird in den kommenden Jahren
erheblich zunehmen. Indien setzt daher beim Aus-          Drei Tage nach dem Unglück hatte der indische Pre-
bau seiner Energiequellen vor allem auf neue AKWs,        mierminister Singh angekündigt, dass er dem DAE
wobei bis 2030 die Nutzung der Kernenergie jährlich       und der NPCIL die sofortige technische Überprüfung
um mehr als fünf Prozent zunehmen soll. Bis 2050 soll     der Sicherheitssysteme aller AKW angeordnet habe.
ein Viertel der Elektrizität in Atomkraftwerken erzeugt   Zusätzlich war eine neue Regelung in der Sicherheits-
werden. Gleichzeitig müssen über 90 Prozent der           struktur der indischen AKW in Aussicht gestellt wor-
flüssigen fossilen Brennstoffe und bis zu 45 Prozent      den. Unter der Führung des AERB wurde zunächst
des Kohlebedarfs importiert werden. Angesichts des        ein Komitee gegründet, das die Sicherheit der indi-
steigenden Energiebedarfs Indiens muss die Regie-         schen Kernkraftanlagen gegenüber Gefahren wie
rung nicht nur den Zugang zu Energie verbessern,          Erdbeben, Tsunamis, Zyklonen und Überflutungen
sondern auch für eine ausreichende Versorgungsstabi-      sowie die Handhabung im Falle eines Unglücks über-
lität und -sicherheit sorgen.                             prüfen sollte. Der Ergebnisbericht steht noch aus.
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     Zusätzlich wurde im September 2011 der Nuclear           wie vor Angst vor den negativen Auswirkungen von
     Safety Regulatory Authority Bill (NSRAB) ins Parla-      radioaktiver Strahlung und radioaktivem Müll auf die
     ment eingebracht. Das NSRAB sieht die Auflösung des      Umwelt.
     AERB vor und dieser soll durch den Council of Nuclear
     Safety (Council) und die Nuclear Safety Regulatory       Der unmittelbar ausgeübte Druck auf die Regierung
     Authority (NSRA) ersetzt werden; letztere sei laut       durch Bürgerproteste sowie zunehmende Forderungen
     Gesetzestext dann befähigt, Sicherheitsvorschriften      der Bundesstaaten, mehr Einfluss und Mitspracherecht
     zu erarbeiten und diese auch zu implementieren.          in Fragen zu Energie- und Klimapolitik zu erhalten,
                                                              führt zu einer vermehrten Politisierung in der Energie-
     PROTESTBEWEGUNGEN UND DIE POLI-                          und Umweltpolitik.
     TISIERUNG IN DER ENERGIE- UND
     UMWELTPOLITIK                                            REAKTIONEN DER MEDIEN ZUM JAHRESTAG
                                                              DER KATASTROPHE
     Schon vor dem Atomunglück in Japan hatte es in den
     regional betroffenen Gebieten Indiens (Maharastra        Die Berichterstattung zum Jahrestag der Atomkata-
     im Dezember 2009 und im Januar 2010) öffentliche         strophe in Fukushima fiel verhalten aus. Zwar wurde
     Bürgerproteste gegen bestehende AKWs und gegen-          in den indischen Medien über den Jahrestag der
     über zukünftigen Bauvorhaben, wie zum Beispiel           Atomkatastrophe berichtet, teilweise mit Gedenk-
     gegen das Jaitapur-Projekt in der Stadt Ratnagiri        bildern auf den Titelseiten der Tageszeitungen, doch
     im Bundesstaat Maharastra, gegeben. Bis 2017 soll        unter den englischsprachigen Zeitungen hat lediglich
     in Jaitapur das weltweit größte Kernkraftwerk mit        The Hindu längere Kommentare veröffentlicht. Prag-
     einer Gesamtleistung von 9900 MW in Betrieb gehen.       matisch wurde über die Risiken der Atomenergie
                                                              berichtet und eher ernüchternd festgestellt, dass
     Nach umfassender Berichterstattung in den indischen      die Alternativen zu dieser Energiequelle zwar attraktiv,
     Medien über das Atomunglück in Japan war von Um-         aber vor dem Hintergrund des Energiebedarfs nicht
     weltaktivisten und Betroffenen anfänglich befürchtet     praktikabel seien. Im Vorfeld des Jahrestages wurde
     worden, dass sich die mediale Aufmerksamkeit gegen-      zusätzlich im The Hindu mit Bezug auf Deutschlands
     über den Risiken der Atomkraft abwendet, sobald die      Atomausstieg gefordert, intensiver über die Risiken
     Katastrophe überstanden ist. Diese Entwicklung traf      und über sichere Alternativen in der Energiegewin-
     nicht ein. Vielmehr kann festgestellt werden, dass die   nung nachzudenken.
     Berichterstattung über regionale Protestbewegungen
     anhält.                                                  Es ist davon auszugehen, dass die Proteste gegen
                                                              Atomkraft in den regional betroffenen Teilen Indiens
     Jüngst verstärkten sich die Proteste um das geplante     auch in Zukunft nicht abklingen werden. Allerdings
     AKW in Kudankulam im Bundesstaat Tamil Nadu. Mit         ist nicht zu erwarten, dass angesichts des steigen-
     der erreichten Bauverzögerung des AKW-Kudankulam         den Energiebedarfs Indiens eine grundsätzliche poli-
     erzielte die Protestbewegung der Fischer und Bauern      tische Debatte über die Nutzung von Kernenergie
     unter Führung der People’s Movement Against Nuclear      angestoßen wird. Vielmehr kann vermutet werden,
     Energy (PMANE) einen ersten Teilerfolg, der jedoch       dass der Fokus auf die Sicherheitsvorkehrungen der
     auch die Kosten des gesamten Projekts um fast 400        AKWs noch mehr Aufmerksamkeit erhält.
     Millionen Euro erhöht hat. Hauptgründe sind nach
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KOREA
Dr. Norbert Eschborn | KAS-Auslandsbüro, Seoul

DIE AMTLICHE ATOMPOLITIK BLEIBT                          überschritten hat, obwohl Japan ein mehr als doppelt
UNVERÄNDERT, ABER DER WIDERSTAND                         so hohes pro Kopf–Einkommen als Südkorea aufweist.
WÄCHST
                                                         Fukushima hat der koreanischen Anti-Atomkraft-
Fukushima, Synonym für eine der folgenschwersten         Bewegung einen Schub gegeben, und im Juni 2011
Nuklearkatastrophen unserer Zeit, bringt die Koreaner    wurde die „Joint Action for a Nuclear-free Society”,
zwar zum Nachdenken über die Sinnhaftigkeit dieser       ein Zusammenschluss von etwa vierzig zivilgesell-
Energiequelle, aber den konsequenten Atomkurs der        schaftlichen Organisationen gegründet. Noch aber
jetzigen und früherer Regierungen hat diese Entwick-     fehlt diesem Zusammenschluss und auch der nur
lung bisher nicht signifikant beeinflussen können.       im Embryonalstatus existierenden Grünen Partei die
Zwar haben sich in den vergangenen Monaten die           politische Traktion. Dabei festigen sich vier Wochen
atomkritischen Töne aus der Zivilgesellschaft ver-       vor den koreanischen Parlamentswahlen die partei-
stärkt, aber die Energiefrage wird von der Politik       politischen Positionen zum Thema: Die Zustimmung
noch immer weit mehr unter wirtschaftlichen als unter    von Vertretern der noch regierenden, aber von einer
Sicherheits- oder Nachhaltigkeitsaspekten bewertet.      schweren Wahlniederlage bedrohten, konservativen
Unübersehbar ist allerdings der massive Vertrauens-      Saenuri-Partei zur Kernkraft bleibt ungebrochen, wird
schwund der Bevölkerung gegenüber den zahlreichen        aber verhaltener, wohl auch angesichts neuester Um-
Reaktoren im eigenen Land.                               fragen (Quelle: Korea Energy Economics Institute),
                                                         wonach die Zahl der Kernkraftgegner zwischen 2009
Die Kernkraft spaltet das Land, auch die Meinungs-       und 2011 um enorme 40,1 Prozent auf 59,3 Prozent
macher. Der Jahrestag von Fukushima veranlasst           der Befragten gestiegen sei, während im gleichen
die koreanischen Medien zur Debatte über die Kern-       Zeitraum der Anteil der Befürworter von 42 Prozent
energie – mit höchst unterschiedlichen Schlussfolge-     auf 16,9 Prozent gesunken sein soll (erstaunlich an
rungen: „Auf Nuklearkurs bleiben” forderte der Korea     diesen Zahlen ist vor allem der Anteil von 23,8 Pro-
Herald in einem Kommentar und belegte dies mit           zent der Befragten, der 2011 keine Meinung zu dem
den angeblich zwölfmal höheren Kosten pro Kilowatt-      immer sensibler werdenden Thema haben soll). Der
stunde Solarenergie gegenüber der Kernenergie.           Unmut macht sich verständlicherweise vor allem in
Dagegen sieht die Korea Times in der Nuklearpolitik      den Provinzen mit einer hohen Reaktordichte breit.
eine „gefährliche Obsession” und fordert langfristige    Die gegenwärtige Oppositionspartei DUP scheint mit
Energiealternativen ein.                                 Blick auf den Urnengang im April den bisher auch von
                                                         ihr mitgetragenen „stillen Nuklearkonsens” der politi-
Die Fronten sind klar: Hier die Kernenergiebefürwor-     schen Elite nunmehr mindestens in Frage stellen zu
ter, die ein Szenario des gefährdeten Wohlstands         wollen; eine allmähliche Abkehr von der Kernenergie
entwerfen, sollte dem energiehungrigen Land seine        haben inzwischen eine ganze Reihe derzeitiger und
wirtschaftliche Stromquelle abhanden kommen und          früherer Amts- und Mandatsträger gefordert. Dies
damit die, wie sie meinen, Grundlage für eine inter-     dürfte aber vornehmlich der beginnenden öffentlichen
national wettbewerbsfähige Volkswirtschaft. Diese        Demontage des Präsidenten Lee Myung-bak dienen,
Seite gibt den Erneuerbaren Energien auch auf lange      der bei den nächsten Wahlen für das Amt des Staats-
Sicht keine realistische Chance, dem Nukleargewicht      oberhaupts im Dezember 2012 nicht mehr antreten
etwas Glaubwürdiges entgegenzusetzen. Dort die           darf, jedoch als der Exponent einer staatlich geförder-
Atomgegner, die unter anderem die extreme Subven-        ten Nuklearpolitik und vor allem einer Exportpolitik
tionierung des koreanischen Atomstroms kritisieren       von koreanischer Nukleartechnologie gilt. Atomkraft
und sie für die nach ihrer Auffassung weit verbreitete   wird zum ernsten politischen Thema in Südkorea, aber
Energieverschwendung verantwortlich machen. Koreas       nur langsam. Richtig neu gemischt werden die politi-
Strompreise liegen etwa bei der Hälfte des Durch-        schen Karten erst unter dem nächsten Präsidenten
schnitts aller OECD-Staaten. Das führt dazu, dass der    ab Frühjahr 2013. Angesichts einer bis heute einseiti-
pro Kopf-Energieverbrauch p.a. mit 9.510 Kilowatt-       gen Energiepolitik werden aber auch dessen Optionen
stunden (2011) mittlerweile das japanische Niveau        nicht wirklich zahlreich und attraktiv sein.
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     POLEN
     Dr. Christian Schmitz | KAS-Auslandsbüro, Warschau

     Auch in Polen wurde anlässlich des Jahrestages am        Regierungsprogramm, bis 2020 in Gang gesetzt
     11. März an die Katastrophe von Fukushima erinnert,      werden. Für den Bau des Reaktors werden Kosten
     doch das Ereignis hat hier keine energiepolitische       von ca. 35 bis 55 Milliarden Zloty eingeplant.
     Diskussion angestoßen und die Berichterstattung
     hierüber war in den zurückliegenden Monaten von          Bereits im vergangenen Jahr fanden offizielle grenz-
     sehr nachrangiger Bedeutung. Der zurückliegende          überschreitende Umweltprüfungsverfahren (zusam-
     Wahlkampf vor den Parlamentswahlen vom Herbst            men mit dem deutschen BMU) und Konsultationen
     2011 zeigte zudem einen breiten Parteienkonsens          mit gesellschaftlichen Partnern (auch im Ausland)
     hinsichtlich der zukünftig verstärkt geplanten Nutzung   statt und am 23.02.2012 unterstrich Premierminister
     von Atomenergie. PO, PSL und PiS verfügen zusam-         Tusk auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit
     men über mehr als 80 Prozent der Parlamentsman-          Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak und Regional-
     date. Die Notwendigkeit des Baus moderner Atom-          entwicklungsministerin Elżbieta Bieńkowska seine
     kraftwerke in Polen wird nur von politischen Rand-       Entschlossenheit, das Kernenergieprogramm weiter-
     gruppen in Frage gestellt wie der sozialdemokrati-       zuführen und bezeichnete es als vorrangig und strate-
     schen SLD, die ein Referendum in der Atomenergie-        gisch. Premierminister Tusk fügte hinzu, dass sech-
     frage fordert oder der unberechenbaren Palikot-          zehn EU-Länder eigene Kernenergieprogramme ver-
     Bewegung, die sich strikt gegen die Atomkraft stellt.    folgen oder starten wollen.
     Ernsthafter Widerstand gegen den Bau von Atomkraft-
     werken ist nur von der lokalen Ebene, aus den Ge-        Ungeachtet der Tatsache, dass die energiepolitische
     genden potentieller Standorte, zu erwarten. Nicht        Wende in Deutschland von den polnischen Eliten
     auszuschließen ist, dass sich aus diesen Protesten       interessiert verfolgt wird und der Anteil erneuerbarer
     irgendwann einmal eine politische Diskussion grund-      Energiequellen am polnischen Energiemix sowie die
     sätzlicher Art entwickeln wird. Doch derzeit ist die     zunehmende Diskussion hierüber in Fachkreisen leicht
     Entwicklung nuklearer Energieversorgung, auch vor        ansteigt, gibt es keine Indizien, die auf eine mögliche
     dem Hintergrund ökonomischer Erwägungen, in der          künftige Abweichung in den Plänen der polnischen
     Gesellschaft unumstritten.                               Regierung bezüglich des Kernenergieprogramms
                                                              hindeuten. Polnische Entscheidungsträger sehen,
     Das seit 2009 verstärkt verfolgte Atomprogramm           abgesehen von der möglichen, aber noch im Erkun-
     soll Polen mehr Energiesicherheit gewährleisten, und     dungsstadium befindlichen Nutzung der umfang-
     so wurde der Bau von zwei Atomkraftwerken bereits        reichen Schiefergasvorkommen im Lande, keine realis-
     der PGE A.G. (Polska Grupa Energetyczna SA) anver-       tische und bezahlbare Alternative zur Atomenergie.
     traut. Das erste Atomkraftwerk (3000 MW) soll, laut
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