WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
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ökologisch , l anglebig , schön b & o gruppe WIE WIR HEUTE F Ü R D I E W E LT V O N M O R G E N BAUEN
B&O plant, baut und bewirtschaftet W ohnungen für die bestandshaltende Wohnungs- wirtschaft. Rund 2.200 Mitarbeiter erbringen an dreißig Standorten eine Jahresleistung von etwa 480 Mio. Euro (2019). Schlüssel zum Erfolg ist die Kombination aus hoher Qualität, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit: Hier arbeiten Handwerker, Architekten, Bauplaner und Programmierer Hand in Hand und auf Augenhöhe, um nachhaltig orien- tiertes Wirtschaften, Digitalisierung und soziale Verantwortung in Einklang zu bringen und neue Impulse für die Branche zu setzen. Mehr unter: www.bo-gruppe.de
über diesen bericht 7 Vorwort Ernst Böhm und Peter Münn essay 8–9 Klimawandel und nachhaltige Baukultur Hans Joachim Schellnhuber und Marc Weissgerber über die Notwendigkeit einer Bauwende einfach bauen 11 – 13 Forschungshäuser Drillinge aus Beton, Holz und Ziegel 14 – 15 Wir sollten unsere Ansprüche zurückschrauben Gespräch mit Architekt Florian Nagler 16 – 17 Es geht auch ohne Tiefgarage Mut zur Veränderung fordert Haustechnikexperte Gerhard Hausladen bauen mit hol z 19 Bauen mit Holz schützt das Klima Holz ist nachwachsender Rohstoff und Kohlenstoffspeicher zugleich 20 – 21 Wir brauchen mehr Wohlfühlorte Gespräch mit Architekt Hermann Kaufmann 22 – 25 Ein ganzes Quartier aus Holz Wohnen im Prinz-Eugen-Park in München nachverdicht en 27 – 29 Wir müssen unseren Flächenverbrauch reduzieren NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger über nachhaltige Siedlungsentwicklung 30 – 33 Bauen über Parkplätzen Wohnen am Dantebad sanieren und energie sparen 35 – 37 Rund drei Millionen Wohnungen könnten zügig saniert werden Gespräch mit Andreas Kuhlmann, Deutsche Energie-Agentur 38 – 41 Mit jedem Bau probieren wir etwas Neues aus Rundgang mit B&O Gesellschafter Ernst Böhm
Sehr geehrte Damen und Herren, die Situation, die wir derzeit im Zuge der COVID-19-Pandemie durchleben, könnte dem ähneln, was uns in einigen Jahren aufgrund des Klimawandels droht. Die Gemeinsam- keiten: Weder COVID-19 noch die Klimaerwärmung kümmern sich um Grenzen oder Nationalitäten, Ärmere sind stärker betroffen als Reichere und der internationale Zusammenhalt bei der Bekämpfung scheint verbesserungswürdig. Der Unterschied: Die Corona-Krise geht (hoffentlich) vorüber, während der Klimawandel fortschreitet. Es gibt auch einen direkten Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen: Die CO 2 -Emissionen sind aufgrund der Maßnahmen gegen eine Weiterverbreitung von COVID-19 gesunken, es könnten weltweit im Jahr 2020 rund 8 Prozent weniger werden als im Vorjahr. Man kann aber davon ausgehen, dass diese Senkung ein vorübergehendes Phänomen ist. Dabei bestünde genau jetzt die Chance, vieles zu überdenken und Grundsätzliches zu ändern in Richtung mehr Klimaschutz – auch und vor allem in Architektur und Bauindustrie. Denn 40 Prozent sämtlicher Treibhausgas- emissionen stammen aus der gebauten Umwelt. Am nachhaltigsten wäre es, gar nicht mehr zu bauen. Realistisch ist dies natürlich nicht, denn es ist eine Tatsache, dass die Bevölkerung wächst und die Urbanisierung voran- schreitet. Zudem ist Wohnen ein Urbedürfnis des Menschen. Wir müssen uns also auf andere Wege besinnen, wie wir Wohnraum schaffen können, ohne die Zukunft unserer Nachkommen zu verspielen. Diese Broschüre soll hierzu Anstöße geben und anhand von Beispielen zeigen, dass es geht: Wenn wir beispielsweise mit Holz bauen, bestehen- de, bereits versiegelte Flächen nutzen und ein wenig enger zusammenrücken, dann sind wir zumindest auf dem richtigen Weg. Unser Dank gilt den Experten, die mit ihren Beiträgen diesen Bericht ermöglicht haben. Ernst Böhm und Peter Münn 7
essay – k lim awandel und nachhaltige baukult ur Hans Joachim Schellnhuber und Marc Weissgerber über die Notwendigkeit einer Bauwende Trotz zahlreicher lokaler, nationaler und internationaler Bemühungen erwärmt sich unser Planet ständig – die globale Mitteltemperatur ist bereits um 1,1 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit gestiegen. Umfassende und miteinander verbundene Lösun- gen auf allen Ebenen und in allen Sektoren von Wirtschaft und Gesellschaft sind notwendig – und möglich –, um die Pariser Klimaziele noch zu erreichen, das heißt, die Erhöhung der globalen Mitteltemperatur auf maximal 1,5 bis 2 °C zu begrenzen. Das Bauwesen muss bei diesen Bemühungen eine entscheidende Rolle spielen. Wenn man den gesamten Lebenszyklus Ein zentraler Bestandteil einer solchen Material- und fertigungstechnische Fort- von Bau-, Nutzungs- und Abbauphase Bauwende ist der Wechsel von mineralisch schritte bei der Verwendung von Holzma- betrachtet, emittiert die gebaute Umwelt basierten Baumaterialien wie Zement und terialien führen darüber hinaus zu stark 40 Prozent des gesamten CO 2 -Ausstoßes Stahl zu bio-basierten, vor allem zu Holz. verbesserten Eigenschaften von Holz und verursacht mehr als 40 Prozent des Über Jahrhunderte wurde in Gebäuden gebäuden: Stabilere, bessere und höhere gesamten Müllaufkommens. In diesem Holz verbaut. Im Rahmen der Industriali- Bauten sind möglich. Mehr Forschung, Sinne ist ein Umdenken im Bauwesen der sierung kamen dann jedoch zunehmend mehr praktische Erfahrungen und mehr wichtigste Faktor im Kampf gegen den Zement, Stahl und andere mineralbasierte Innovationen bezüglich Materialien, Klimawandel, dennoch spielt es in den Materialien zum Einsatz. Der sehr hohe F ertigungstechniken und neuer Wert- öffentlichen Debatten kaum eine Rolle fossile Energieverbrauch sowie die gro- schöpfungsketten sind notwendig, um oder konzentriert sich lediglich auf isolierte ßen CO 2 -Emissionen infolge notwendiger den Holzbau weiterzuentwickeln. Aspekte wie die Energieeffizienz von chemischer Reaktionen bei der Herstellung Gebäuden. Eine koordinierte „Bauwende“ von Zement und Stahl stellen in der heuti- ist aber das Gebot der Stunde und muss gen Zeit eines der größten Probleme bei einen ähnlichen, wenn nicht sogar höheren der Umstellung auf eine klimaverträgliche Stellenwert erhalten als die E nergie- und Volkswirtschaft dar. Verkehrswende. Der massive Einsatz von Holz im Wohn- und Gewerbebau hat demgegenüber einen doppelt positiven klimatischen Effekt: Die emissionsintensive Produktion von Materialien wie Zement wird ersetzt und das Pflanzenwachstum entzieht mittels Photosynthese der Atmosphäre CO 2 , wodurch der Kohlenstoff langfristig gebunden wird. So entstehen gleichsam „gebaute Wälder“. 8
Schließlich gilt es, die Digitalisierung auch für das Bauwesen viel umfassender zu nutzen, als dies derzeit der Fall ist. Digitali sierung ist aber kein Selbstzweck. Smart-Home-Konzepte zum Beispiel, die mit großen privaten Investitionen und öffentlichen Geldern gefördert werden, müssen sich die Frage stellen, inwiefern sie wirklich zur Verbesserung der Lebensper spektiven des Menschen beitragen. Wichtig ist daher, die Möglichkeiten einer nachhal- tigen Digitalisierung des Bauwesens zu erkunden – von digitalen Fertigungskon- zepten über die bessere Nachvollziehbar- keit von Stoffströmen bis hin zu digitalen Optionen zur Verbesserung der (gesamt- haften) Ökoeffizienz von Gebäuden. Auch die enormen Möglichkeiten, die Künstliche So entstehen Intelligenz bietet, sollten fruchtbar ge- gleichsam macht werden. „gebaute Wälder“. Bauhaus der Erde Vor fast genau hundert Jahren wurde der Versuch unternommen, das Bauen neu zu erfinden. Walter Gropius versammelte 1919 im Staatlichen Bauhaus von Weimar eine Gruppe von Avantgardekünstlern und Städte, die aus biobasierten Materialien wie Holz gebaut werden, können als Kohlen- Denkern um sich, um Architektur und De- stoffsenken dienen. Die Verwendung von Holz ist aber nicht der einzige Bestandteil sign im 20. Jahrhundert zu revolutionieren. eines neuen, nachhaltigen Bauwesens für das 21. Jahrhundert. Weitere Elemente sind: Heute geht es um eine ähnlich radikale Aufgabe, aber in völlig anderem Kontext: 1. Baukastenprinzip und Kreislaufwirt- 4. Nachhaltiges Wassermanagement: Architektur neu denken in Zeiten von schaft: Die Bauteile werden von vornherein Dieses umfasst alle lokal sinnvollen Klimakrise und wachsenden globalen so produziert und dann zusammengefügt, Rezyk lierungsmaßnahmen inklusive der Spannungen auf einem Planeten, der schon dass sie so vollständig wie möglich direkt Regenwasser-Rückgewinnung sowie die bald mehr als neun Milliarden M enschen wiederverwendet werden können (Re-use). Energieextraktion aus dem Brauchwasser. beherbergen muss. Es braucht ein neues Damit werden am Ende des Lebenszyklus Gefiltertes Wasser kann direkt als trinkbares Bauhaus, um diese Ideen zu entwickeln, Häuser wieder in Häuser verwandelt und Kalt- und Warmwasser genutzt werden, ein „Bauhaus der Erde“. nicht in Sondermüll zulasten künftiger Grauwasser zur Bewässerung der Grün Daher versammelte sich im Dezember Generationen. flächen. 2019 eine kleine Gruppe von Wissenschaft- 2. Passive Bauweise: Das Design des Ge- 5. Flächenausgleich: Als Kompensation lern, Architekten, Künstlern, Unternehmern bäudes erfolgt so, dass der Bedarf an für den konstruktionsbedingten Flächen- und Politikern bei Potsdam, um dieses neue Strom, Wärme und Kühlung minimiert ist. verbrauch wird ein mindestens gleich „Bauhaus der Erde“ zu gründen. Es gilt, eine großes Areal renaturiert oder ökologisch neue Vision für eine Baukultur zu entwi- 3. Dezentrale Bereitstellung von erneuer- ckeln, die ihre Kraft aus einer neuen Allianz entwickelt. barer Energie (auf Gebäude- oder Quar- zwischen Mensch und Natur schöpft. tierebene): Die besten Optionen dafür sind 6. Förderung der Biodiversität: Dies ist solare und geothermische Anlagen. Das bei allen Vorhaben im Hoch- und Tiefbau Gebäude ist idealerweise Netto-Energie- grundsätzlich zu berücksichtigen und Hans Joachim Schellnhuber Quelle und potenziell in ein Internet-of- müsste eine mit dem Brandschutz ver- Direktor Emeritus des Potsdam-Instituts für Klima- Things integriert. gleichbare regulatorische Bedeutung folgenforschung, das er im Jahr 1992 gründete. Er ist Professor für Theoretische Physik an der Universität erlangen. Potsdam, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats 7. Flexible Raum- und Nutzungsgestaltung: der Bundesregierung für Globale Umweltveränderun- gen und Initiator des „Bauhauses der Erde“. Diese sichern die optimale Verwendung bei verändertem Bedarf und minimieren Marc Weissgerber die direkten und indirekten Kosten von Mit-Initiator des „Bauhauses der Erde“, ehemaliger Leerstand. Vorstand der EU-Initiative für Klimainnovationen, Climate KIC, und Deutschland-Geschäftsführer eines führenden internationalen Umweltdienstleisters in den Bereichen Kreislaufwirtschaft, Wasser und Ener- gie. Er studierte in Frankfurt am Main und Cambridge. 9
e i n f a c h b au e n Die Kirche aus der Gotik, das Wohnhaus aus dem Barock und das Gründerzeithaus sind robuste Bauwerke – sie haben hundert und mehr Jahre gut überstanden. Im Gegensatz dazu bauen wir heute viel komplizierter und fehleranfälliger. Die gestie- genen Anforderungen an Komfort und Energieeffizienz, die vielschichtigen Bau- teilaufbauten und engen Verbindungen von Technik und Baukonstruktion f ühren zu hochkomplexen Gebäuden. Das macht eine Sanierung meist unmöglich oder zumindest teurer als einen Abriss und Neubau. Diese Bauten kennzeichnet statt Langlebigkeit ein hoher Ressourcenverbrauch zulasten der Umwelt. Es ist an der Zeit, wieder zurück zu den Wurzeln zu finden und sich zu fragen: Wie können wir einfacher bauen? 10
f orschungshäuser Drillinge aus Beton, Holz und Ziegel Auf dem südlichen Teil des B&O Parkgeländes in Bad Aibling stehen drei identische Häuser mit Satteldach und einem niedrigen Anbau. Nur auf den ersten Blick sehen sie gleich aus, auf den zweiten erkennt man, dass die Häuser sich sehr wohl unter- scheiden: in ihrer Materialität und ihrem Fassadenbild. Sie wurden in jeweils mono- materieller Bauweise aus Beton, Holz und Mauerwerk errichtet und dienen als Gegenentwurf zu den immer komplexer werdenden Bauweisen. Forschungsvorhaben „Einfach Bauen“ Robust und klimagerecht bauen Die Haustechnik wurde ebenfalls so ein- Dem Bau dieser drei Forschungshäuser war Die Bauweise der drei Wohnhäuser ist fach wie möglich gehalten. Auch für den ein Forschungsprojekt an der TU München monomateriell – beim ersten aus Dämm- Bauherrn soll der Betrieb dieser Häuser mit vorausgegangen. Die daran beteiligten beton, beim zweiten aus Massivholz mit möglichst wenig Aufwand verbunden sein. Architekten und Ingenieure erarbeiteten Lufteinschlüssen und beim dritten aus Weggelassen wurde alles nicht unbedingt die Grundlagen zu den Prinzipien des Hochlochziegeln. Die einschaligen Wand- Notwendige. Auf Fußbodenheizung, Klima einfachen Bauens. Ihre Hypothese lautete, aufbauten erzielen eine ähnliche Dämm- anlage und elektrische Klingeln an den dass Wohngebäude mit einer hochwerti- leistung wie hochkomplexe Wandaufbau- Wohnungstüren wurde verzichtet. Übrig gen und zugleich suffizienten Architektur, ten durch ein einfaches, althergebrachtes bleiben Wasser-, Elektro- und Glasfaser einer robusten Baukonstruktion und einer Prinzip: die Einkapselung von Luft. Um die leitungen, die alle in einem leicht zugäng- reduzierten Gebäudetechnik über einen Umweltauswirkungen der Häuser – über lichen Schacht zusammengefasst sind. Lebenszeitraum von hundert Jahren hin- hundert Jahre betrachtet – so gering wie Sobald die Häuser bezogen sind, werden sichtlich Ökobilanz und Lebenszykluskos- möglich zu halten, wurde das Augenmerk in einem Monitoringverfahren die Ver- ten der Standardbauweise überlegen sind. auf die Langlebigkeit der verwendeten bräuche und der Raumkomfort in den drei Beim Bau der drei Wohnhäuser auf dem Materialien und damit auf einen geringen Häusern gemessen und ausgewertet. B&O Gelände setzte Architekt Florian Ressourcenverbrauch gelegt. Auf Hilfs- Nagler diese Strategien des einfachen stoffe und materialfremde Sonderbauteile Bauens konsequent um. konnte weitestgehend verzichtet werden. Die Fassadenmodelle im Maßstab 1:1 stehen auch heute noch auf dem B&O Parkgelände. Einfach bauen 11
Vergleich des ökologischen Fußabdrucks Treibhauspotenzial (GWP) der Gebäude, angegeben in CO 2 -Äquivalenten (kgCO 2 äq) Berechnung Leichtbeton Holz massiv Mauerwerk Nur in Bezug auf die Herstellung 1 163.154 -137.718 109.625 Über den gesamten Lebenszyklus 2 250.292 35.269 198.156 1 beinhaltet die Herstellung von Außenwänden, Innenwänden, Decken, Bodenplatte, Dach, Fenstern Quelle: Forschungsbericht: Einfach Bauen. und Türen Ganzheitliche Strategien für energieeffizientes, ein- 2 beinhaltet die Herstellung, Instandhaltung und Ent- faches Bauen – Untersuchung der Wechselwirkung sorgung von Außenwänden, Innenwänden, Decken, von Raum, Technik, Material und Konstruktion, Bodenplatte, Dach, Fenstern und Türen www.einfach-bauen.net Die Anforderungen an die Häuser sind groß: Sie sollen robust und langlebig sein, wenig Energie verbrauchen und zugleich einen geringeren Wärmeeintrag haben, um einer Überhitzung vorzubeugen. Nur die Gesamtheit der räumlichen, materiellen und konstruktiven Überlegungen führte zum Ziel. Dazu zählen die monomateriellen, einschichtigen Wand- und Deckenkonstruk- tionen, die konsequente Trennung von Baukonstruktion und Techniksystemen sowie die Fenstergröße und Raumhöhe. Um dieses komplexe Gefüge an Zusammenhängen und Konsequenzen beurteilen zu können, wurden an der TU München im Vorfeld zahlreiche Berechnungen und Simulationen durchgeführt. B&O möchte neben diesen Forschungshäusern noch weitere errichten, zum Beispiel eines aus Sandstein und eines aus Lehm. 12
Einfach bauen 13
wir sollt en unsere ansprüche zurück schr auben Gespräch mit Architekt Florian Nagler Mehrere Jahre bemühte sich Architekt und TU-Professor Florian Nagler in München um eine Baugenehmigung für die Forschungshäuser. Er wollte die Erkenntnisse, die er und seine Kollegen aus dem Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ gewonnen hatten, in drei vergleichbare Gebäude einfließen lassen. Auf dem Gelände von B&O und mit B&O als Bauherr bekam er die Gelegenheit dazu. Wir sprachen mit Florian Nagler über die Praxistauglichkeit und Relevanz dieser Bauweisen. Sie sagen, man müsse die Ansprüche Was verstehen Sie darunter, einfach zu reduzieren, woher kommen dann die bauen? mehr als drei Meter hohen Räume in den Eigentlich verstehe ich jeden Tag etwas Trotzdem haben Sie sich auf die Suche Forschungshäusern? anderes darunter. Die Initialzündung für nach einer einfachen, reduzierten Lösung Das ist ein Ergebnis der Simulationen, unser Forschungsprojekt war ja, dass die gemacht. Wie schaut die aus? die wir im Zuge des Forschungsprojekts Gebäude immer komplexer werden in Da spielt ganz viel hinein: Es ist ja auch gemacht haben. Bei einer Raumhöhe von ihren Anforderungen an die Haustechnik eine Suche nach einer Lösung, bei der man drei Metern steht mehr Wandfläche pro und Bautechnik. Das sind hochgezüchtete so wenig Kunststoff wie möglich verbaut, Raum zur Verfügung und damit auch mehr Häuser, die sehr fehleranfällig sind. Wir bei der man Produkte mit einer guten Speicherfläche. Es gibt weniger Übertem- haben einen Punkt erreicht, an dem wir uns grauen Energiebilanz einsetzt. Zugleich peraturgradstunden und einen geringeren fragen müssen: Wie kann man einfacher wollten wir auch mit einem Minimum an Heizwärmebedarf. Man muss nicht so oft bauen? Technik auskommen. lüften. Das ist ein komplexes Gefüge aus Um dies herauszufinden, haben wir an Es gibt so viele Sachen, die wir eigentlich einfachen Zusammenhängen. der TU München das Forschungsprojekt nicht brauchen. Ich glaube, wir müssen „Einfach Bauen“ gestartet. Der Ansatz unsere Ansprüche zurückschrauben. Werden die Bewohner das spüren? war, einschalig mit den gängigen Bau Brauchen wir wirklich in allen Räumen Ist es ein anderes Wohnen? materialien Beton, Holz und Ziegel zu 21 Grad Raumtemperatur oder reicht es, Auch das werden wir analysieren. Das bauen. wenn das Schlafzimmer kühler ist? Auf Ziel ist, dass sie in solchen Häusern ganz Die Frage „Was ist einfach bauen?“ ist wie vielen Quadratmetern wollen wir normal leben können. Wir haben hier nicht einfach zu beantworten. Jeder hat leben? Die Räume und Fenster müssen keinen Niedrigenergiestandard realisiert. einen anderen Blickwinkel darauf. Meine nicht zu groß und die Räume nicht kom- Wir halten die Energiesparverordnung, Mitarbeiter im Büro würden jetzt sagen: plett verglast sein. Sonst wird zu viel Ener- die EnEV ein, tun aber nichts darüber „Es ist viel einfacher, statt einer monoma- gie in den Raum transportiert, die man hinaus. Und wir können dennoch nach teriellen Innenwand eine Trockenbauwand dann wieder mit einer Kühlung hinaus weisen, dass diese Häuser über hundert zu bauen. Dafür gibt es alle Zulassungen, bekommen muss. Es geht darum, überall Jahre betrachtet eine bessere CO 2 -Bilanz da ist alles geregelt.“ zu angemessenen Lösungen zu kommen. haben als ein Niedrigenergiehaus. 14
Welche Chance geben Sie den einzelnen Der Bogen hat ja formal wieder Konjunktur wände sind aus Betonstein, Holz und Ziegel. Bauweisen? Können diese zum Standard in der Architektur. Das ist aber hier keine Das muss man natürlich in dieser Radikali- werden? lustige Geste, darin steckt etwas Wesent- tät nicht machen, das ist den Forschungs- Der Dämmbeton ist noch zu experimentell liches. Für meine Arbeit finde ich es sehr häusern geschuldet. Mit den Erfahrungen, und damit sehr teuer. Aber das Mauer- interessant und es macht Spaß, so zu die wir hier gemacht haben, kann man werk bietet sich hervorragend für eine konstruieren und zu denken. beim nächsten Bauvorhaben das Beste aus Standardbauweise an. Damit bauen auch Die Häuser haben etwas Ursprüngliches. den drei Bauweisen kombinieren. jetzt schon viele. Das ist auch die Ansage: Wir bauen Häuser Die Massivholzplatte mit den Luftein- mit geneigten Dächern, die haben sich über Gibt es ein Folgeprojekt? schlüssen halte ich für ein gutes Produkt. Jahrhunderte bewährt. Wir müssen wieder Wir bauen in Garching auf dem Gelände Mit 30 cm Wanddicke ist sie sogar etwas mehr auf das setzen, was die Architektur der TU München 200 Studentenwohnun- überdimensioniert im Hinblick auf die kann, und nicht versuchen, Defizite mit gen. Auch hier bauen wir wieder mit den Anforderungen der EnEV. Dieses Produkt Technik zu kompensieren. Deswegen sitzen drei Materialien Beton, Holz und Ziegel. ist schon sehr konkurrenzfähig, da es einen die Fenster tief in der Laibung. Das ist auch Wir versuchen dabei, den Anteil an geringen Flächenbedarf hat und einen vom Isothermenverlauf die beste Position. Zement zu reduzieren und die Gebäude Wärmedämmwert erreicht, den in dieser Durch die tiefe Laibung ergibt sich eine primärenergetisch neutral hinzubekom- Wandstärke keine Ziegelwand und auch Verschattung und man kann auf den tech- men. Zudem bauen wir in der nächst kein Wärmedämm-Verbundsystem hat. nischen Sonnenschutz verzichten. Das ist höheren Gebäudeklasse 4. das, was wir unter Robustheit verstehen. Welche Rolle spielt die Architektur, wenn man einfach bauen will? Läuft man nicht Sie sagen, es macht Spaß, so zu entwerfen. Gefahr dabei, auf räumliche und gestalte- Aber bewegt man sich dabei nicht in einem rische Qualität verzichten zu müssen? engen Korsett? Ich glaube, dass wir aus den Problemen Ich empfinde das gar nicht so. Ich empfinde unserer Zeit eine eigene Architekturspra- es eher als befreiend. Man muss sich nicht che ableiten können – im Hinblick auf mehr mit so vielen Sachen herumärgern. Nachhaltigkeit, Einsatz von Materialien Natürlich sind die Spielregeln etwas anders und so weiter. Der Ausdruck der Architek- und man muss seine Sprache finden. Wie tur ist dann ein anderer: Es gibt keine kann man monolithisch aus dem Material vollverglasten Fassaden mehr, sondern heraus ohne Verwendung von Stahl diese wieder geschlossenere Wände. Öffnungen herstellen? Beim Beton ist das Florian Nagler Die Fenster haben eine spezielle Form, einfach, beim Mauerwerk ist der Bogen ist Architekt und Professor für Architektur an der TU München und Mitglied im Forschungsverbund die aus der Konstruktion abgeleitet ist. mit den großformatigen Steinen hingegen „Einfach Bauen“. Er hat die drei Forschungshäuser auf Daraus ergibt sich ein Fassadenbild, das schwerer herzustellen. Wir haben hier ja dem B&O Parkgelände geplant und den Bau begleitet. auch architektonisch interessant ist. auch sortenrein gebaut: Auch die Innen- www.einfach-bauen.net Optimale Fenstergröße Der Glasanteil ist so bemessen, dass ein ausgewogenes Verhältnis aus Tageslicht- einfall, solarem Eintrag und Wärmever lusten besteht. Einfach bauen 15
es geht auch ohne tief gar agen Mut zur Veränderung fordert Haustechnikexperte Gerhard Hausladen Warum bauen wir noch immer Tiefgaragen? Dabei wissen wir doch, dass das unterirdische Bauen ressourcenintensiv ist und dass viele Städter aufgrund neuer Mobilitätskonzepte kein eigenes Auto mehr haben. Bauklimatik- und Haustechnik- experte Gerhard Hausladen erklärt, warum wir unsere gewohnten Denk- und Bau weisen verlassen müssen, um zu einem umweltverträglichen Bauen zu kommen. Die ganzheitliche Betrachtung der Bau- Ressource sehr überlegt erfolgen sollte. bestehenden Gebäuden mit Photovoltaik- werke von der Erstellung über den Lebens- Die Praxis zeichnet jedoch ein anderes Dächern. Ebenso sind Strukturen vorstell- zyklus bis zur Wiederverwertbarkeit wird Bild. Während verdichtete Städte neue bar, die am Ende des Lebenszyklus oder zukünftig im Bauwesen einen entscheiden Mobilitätskonzepte erarbeiten, die öffent- im Zuge der Umsetzung rein autofreier den Faktor darstellen, damit die notwendi- lichen Verkehrsmittel ausgebaut werden Städte abgebrochen werden können und gen Klimaziele erreicht werden können. und das „Teilen“ in Form von „Sharing- dem Kreislauf zurückgegeben werden. Vor diesem Hintergrund gilt es, sowohl den Konzepten“ in der Gesellschaft eine hohe Damit entstünden in der Stadt Flächen, Planungsprozess als auch jede Maßnahme Akzeptanz erfährt, baut die Bauwirtschaft die Platz bieten für Lösungen aktueller und Entscheidung in der Umsetzung, weiterhin auf mehrgeschossige Unter gesellschaftlicher Fragestellungen. Die die aktuell selbstverständlich scheint, zu geschosse. Diese dienen meist lediglich Möglichkeiten sind vielfältig und bedürfen hinterfragen. der Unterbringung von Autos, die Möglich- mutiger Schritte und einer guten Gestal- keiten der Umnutzung sind eingeschränkt tung. Letztlich sind ein bewusstes Handeln Wir müssen neu denken oder gar unmöglich. Oberirdisch ist eine im Städtebau und der Architektur und Ohne eine Änderung unserer gewohnten hohe Menge an Holzbau notwendig, um der Mut zu Veränderung notwendig, um Prozesse und Denkweisen werden wir die im Erdreich verbaute Masse und das lebenswerte und dauerhafte Lebens zu keiner Lösung finden. Die Ansätze sind darin enthaltende CO 2 auszugleichen räume zu schaffen. vielfältig, und nur in Summe werden wir, und so eine klimaneutrale Erstellung des einhergehend mit einem Paradigmen- Gebäudes zu erlangen. Daher sind die wechsel in der Gesellschaft, die notwendi- wertvollen Ressourcen so einzusetzen, gen Ziele erreichen. Die Einbindung rege- dass sie dauerhaft zu nutzen sind, und die nerativer Energien für den Betrieb spielt Strukturen so zu planen, dass am Ende eine ebenso entscheidende Rolle wie die der Bestimmung als Garage eine Nutzungs- Gerhard Hausladen Materialien, die Resilienz der gebauten vielfalt gegeben ist. ist ein international anerkannter Experte im Bereich Strukturen, die Suffizienz und unser zu- des energieeffizienten und nachhaltigen Bauens. künftiges Handeln. So sehen Parkgaragen in Zukunft aus In diesem Themenkomplex lehrt und forscht er seit über zwanzig Jahren. Er ist Autor mehrerer Bücher zu Am Beispiel der Tiefgaragen lassen sich Strategien ganzheitlichen Planens und Bauens in der Die Umnutzung von Tiefgaragen ist unterschiedliche Möglichkeiten betrachten: Verknüpfung von Architektur, innovativer Gebäude- schwierig bis unmöglich „Back to Back“-Bebauungen, in deren Kern technik und erneuerbarer Energieversorgung. Am Beispiel der Zementindustrie mit Garagen als Regale vorgesehen werden, Von 2001 bis 2013 war er Ordinarius für Bauklimatik und Haustechnik an der Fakultät für Architektur. einem Anteil von rund 8 Prozent der Quartiergaragen, die durch heute schon Bereits zu Beginn dieser Tätigkeit an der TU München gesamten globalen CO 2 -Emissionen zeigt vorgesehene Höhen andere Nutzungen entwickelte er den Begriff „ClimaDesign“. sich, dass der Einsatz dieser wertvollen beherbergen können, oder Parkdecks auf www.ibhausladen.de 16
Wohnbau ohne Tiefgarage – in Bad Aibling baute B&O einen ersten Prototypen für das Bauen über Parkplätzen. Einfach bauen 17
b au e n m it h o l z Der Bausektor ist für einen Großteil unserer Treibhausgasemissionen und unseres Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Wer mit Holz baut, kann wesentlich dazu beitragen, diese Emissionen langfristig zu senken und das Klima zu schützen. Der Wald in Deutschland wächst stetig. Holzvorrat Deutschland 3,7 Milliarden m 3 Holzvorrat (2012) + 121,6 Mio. m 3 jährlicher Zuwachs – 76,0 Mio. m 3 Erntefestmeter 18
Holzkreislauf Wird Holz stofflich genutzt, bleibt der Kohlenstoff im Holz gespeichert. Wird Holz energetisch genutzt, wird der im Holz gespeicherte Kohlenstoff wieder als CO 2 an die Atmosphäre abgegeben. Deshalb ist es für den Klimaschutz am besten, Holz so lange wie möglich stofflich zu nutzen. CO 2 Rohstoff Holz Nachhaltige Waldbewirtschaftung Recycling Rückgewinnung Holzindustrie Nutzung CO 2 Energetische Nutzung bauen mit hol z schü t z t da s k lim a Holz ist nachwachsender Rohstoff und Kohlenstoffspeicher zugleich Klimaneutral bauen – Umwelt schützen endlichen Rohstoffen wie Kunststoffen, Bauen, eine hohe Qualitätssicherung und Holz bezeichnet man im Hinblick auf die Metallen oder mineralischen Baustoffen. eine kürzere Bauzeit. Treibhausgasemissionen als klimaneutral, Des Weiteren gilt es, die zu erwartenden weil die Bäume im Wald der Atmosphäre Im Wald wächst das Holz – ohne Ende Lebenszykluskosten eines Gebäudes CO2 entziehen und den Kohlenstoff im Die Wälder in Europa werden schon seit nicht nur auf den Betrieb und die Her Holz speichern. Wird das Holz danach Hunderten von Jahren nachhaltig bewirt- stellungs- und Errichtungskosten zu genutzt – beispielsweise im Bau – so bleibt schaftet. Dabei darf immer nur so viel b erechnen, sondern auch die Entsorgung der Kohlenstoff dauerhaft im Holz gespei- Holz geerntet werden wie nachwächst. miteinzubeziehen. Hier bietet das Bau chert. Ein Gebäude aus Holz fungiert Und da in Deutschlands Wäldern mehr produkt Holz durch die Möglichkeit des damit wie der Wald als Kohlenstoffsenke. Holz nachwächst, als geerntet wird, steigt Recycling und der Wiederverwertung Erst wenn das Holz im Wald zersetzt oder der Holzvorrat stetig an. weitere Vorteile. energetisch genutzt wird, wird der Kohlen stoff wieder freigegeben und es entsteht Wirtschaftliche Vorteile Hohe Qualität – und schön! erneut CO2 . Holz wirkt also, solange es Wer mit Holz baut, kann auch wirtschaft- Neben einer guten Ökobilanz bietet stofflich genutzt wird, klimaentlastend. lich profitieren. Oft wird angebracht, dass der moderne Holzbau eine besondere Im Gegensatz zu anderen Baustoffen wie der Holzbau in der Errichtung noch bis zu Ästhetik, eine hohe Ausführungsqualität Ziegel oder Beton, die mit hohem ener 10 Prozent teurer ist als ein kostenopti- und, wenn das Holz sichtbar bleibt, getischen Aufwand und entsprechend mierter konventioneller Bau. Diese Mehr- einen hohen Wohlfühlfaktor: Holz sieht hohen CO2-Emissionen hergestellt werden, kosten relativieren sich aber, wenn die schön aus, fühlt sich gut an und riecht übernimmt beim Holz diesen energeti- Möglichkeiten der Vorfertigung und die angenehm. Der moderne Holzbau hat schen Aufwand die Kraft der Sonne. damit verbundene Termin- und Kalkula- sich längst in der zeitgenössischen Archi- Gerade im Hinblick auf die knapper wer- tionssicherheit mit in Betracht gezogen tektur etabliert und bietet eine große denden Ressourcen unserer Erde liefert werden. Im Holzbau werden Wände und Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten. Holz eine nachhaltige Antwort. Wer mit Decken in der Werkhalle vorfabriziert. Das Das zeigen viele gebaute Beispiele im Holz baut, vermeidet die Nutzung von ermöglicht ein witterungsunabhängiges In- und Ausland. Bauen mit Holz 19
wir br auchen mehr wohlfühlor t e Gespräch mit Architekt Hermann Kaufmann Für den Vorarlberger Architekten und TU-Professor Hermann Kaufmann ist das Bauen mit Holz eine Selbstverständlichkeit. Dass der Holzbau zunehmend auch in Deutschland an Bedeu- tung gewinnt, ist unter anderem ihm und seinen Kollegen an der TU München zu verdanken. Ein Gespräch über die Qualitäten des Holzbaus und sein Zukunftspotenzial. Warum sollen wir mit Holz bauen? Wie sieht das konkret aus? Als Architekt antworte ich: Holz ist ein Wir haben schon einige Bauten mit Holz wunderschönes Material. Das Material gebaut und damit die gewohnte sterile animiert zu vielfältiger Gestaltung und Materialwelt der Moderne mit ihren glän- ermöglicht durch seine Haptik, Optik und zenden – oft auch sehr kalten, hellen – Olfaktorik die Erzeugung ganz besonderer Materialien überwunden. Wir brauchen Atmosphären. Zu diesen Materialqualitäten wieder mehr Wohlfühlorte. Das hat primär kommen die ökologischen Aspekte hinzu. mit Raumqualität zu tun, aber auch mit Wir bauen mit einem Material, das von der den verwendeten Materialien und den Sonne erzeugt wird, und das ist im Hinblick damit erzeugten Stimmungen. Wohlfühl auf die Ressourcenfrage relevant. Zudem orte zu schaffen, gelingt auch ohne Holz, ist es eine Tatsache, dass Holz in relativ doch Holz hat zu diesem Thema spezielle großer Menge vorkommt. Statt es zu Qualitäten und Antworten parat. Wir ver verbrennen, sollten wir es zuerst stofflich suchen, unsere Bauten auch konstruktiv verwenden. Das sind für mich zwei wesent- in Holz umzusetzen. Solche Gebäude sind liche Argumente für das Bauen mit Holz. glaubwürdiger – im Gegensatz zu Häu- sern, bei denen die Holzoberflächen nur Sie sprechen von der Atmosphäre in appliziert sind. Gerade im Wohnbau stelle Holzbauten. Wir alle kennen alte Bauern- ich mit Bedauern fest, dass er von „Plastik“ häuser und wissen sofort, welche atmo- dominiert ist. Das fängt bei der Fassade sphärischen Qualitäten gemeint sind. an, geht weiter über die Eingangstüre, Aber kann auch der moderne Holzbau die Treppenbeläge und zieht sich bis in die diese erzeugen? Wohnung mit ihren Kunststofffenstern Auch der moderne Holzbau ist in der Lage, und kunststoffmodifizierten Anstrichen. diese ganz besonderen Atmosphären zu Wir müssen uns wieder auf die Ursprüng- liefern. Das ist eine Frage der gekonnten lichkeit von Materialien zurückbesinnen. Hermann Kaufmann baut derzeit auf Gestaltung. Immer mehr Menschen ent- dem B&O Parkgelände. Diese von ihm entworfenen Wohnbauten erweitern decken diese Architektur derzeit nicht nur Sie haben bisher vor allem über Innenräume die City of Wood gen Osten. für Wohnen und Freizeit, sondern auch gesprochen. Muss ein Haus aus Holz denn für qualitativ hochwertige Arbeitsräume. auch von außen als solches erkennbar sein? Für Holz gilt das Gleiche wie für alle ande- ren Materialien. Ein Gebäude zeigt in der Regel nicht, aus welchen Materialien es gebaut ist. So hat ein Haus, das konstruktiv aus Beton besteht, in der Regel auch keine Sichtbetonfassade oder ein Ziegelbau 20
keine Sichtziegelfassade. Die Forderung, Die Nachfrage nach Holzbau ist da, das dass ein Holzhaus immer eine Holzfassade Wachstum wird stattfinden, das haben wir haben muss, ist somit nicht nachvollzieh- ja angestoßen. Die Pflanze ist gepflanzt, bar. Es gibt Umgebungen, in denen natur- hat sich in der Jugend gut entwickelt und belassenes Holz als Haut die einzige richti- hat jetzt ein großes Potenzial, erwachsen ge Antwort ist, und es gibt solche, in die zu werden. das nicht passt. Dafür gibt es viele Gestal- tungsmöglichkeiten. Eine Fassade aus Das ist ein schönes Bild. Was braucht es Holz kann auch mit einem Farbanstrich denn vonseiten der Politik, damit mehr mit behandelt sein, wie wir das aus vielen nachwachsenden Rohstoffen gebaut wird? Ländern kennen. Oder man wählt ein Ich glaube, die Politik hat ihre Schuldigkeit ganz anderes Kleid, ein farbbeständiges fast getan. Sie ist auf den Zug aufgesprun- Material für das Gebäude wie Metall und gen. Die Aufgaben, die noch zu bewältigen so weiter. Das ist immer eine Frage der sind, sind einmal die Forcierung der Aus- Einbettung der Architektur in den Ort. bildungsmöglichkeiten entlang der ganzen Wertschöpfungskette Holz und die Schaf- In Österreich, speziell in Vorarlberg, gibt fung holzbaufreundlicher Rahmenbedin- es eine jahrhundertealte Holzbautradi- gungen im Bereich der Vergabe und des tion. Inzwischen wird auch in Deutschland Planungsprozesses, der seine Grundlage mehr mit Holz gebaut. Kann man den im herkömmlichen Bauen hat. Im Holzbau Holzbau so ohne Weiteres exportieren wird sehr viel vorgefertigt, da braucht es oder braucht es vor Ort ein bestimmtes andere Planungsprozesse, frühzeitigere Verständnis und die Experten dazu? Planungsentscheidungen. Vor allem bei Ich würde sagen, wir sind in dieser Ent- öffentlichen Bauten muss es möglich sein, wicklung Vorreiter und ein paar Jahre das gesamte Planungsteam sowie das voraus. Auch in Vorarlberg war das Wissen Holzbauwissen rechtzeitig einzubinden. um den Holzbau vor dreißig Jahren genau- Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aus- so verkümmert wie anderswo. Wir haben bildung. Und natürlich müssen in bestimm- über viele Jahre den Holzbau in die Gesell- ten Regionen die gesetzlichen Grundlagen schaft getragen über ein geschlossenes vereinfacht und standardisiert werden. Die Netzwerk aus guten Architekten und derzeitige Unübersichtlichkeit bei gesetz- Handwerkern, aufgeschlossenen Bauher- lichen Regeln und Normen ist nicht zweck- ren und politischen Vertretern. Die gleiche dienlich. In Österreich kann dataholz.eu, Entwicklung findet heute in vielen Ländern ein bauphysikalisch und ökologisch statt – auch in Deutschland, und nicht geprüfter Bauteilkatalog, als Grundlage nur dort, wo es schon eine Holzbautra für die Nachweisführung gegenüber dition gab. Holz wird wiederentdeckt. Baubehörden herangezogen werden. Expertentum wird entstehen, die Nach Das ist auch für Deutschland durch die frage regelt das Angebot. Aber es braucht TU München in Bearbeitung. seine Zeit. Die Übergangsphase wird Doch ich möchte noch einmal auf Ihre herausfordernd, aber zu meistern sein. erste Frage zurückkommen: Warum Holz- bau? Eine Chance für den Holzbau ist auch Welche Chance hat denn der moderne der moderne Bauprozess. Alles, was in der Holzbau in Deutschland, sich als gleich- Werkstatt gefertigt wird, ermöglicht hohe wertiges Baumaterial zu etablieren? Bauqualitäten durch Qualitätssicherung Die Chance ist reichlich vorhanden. Die und ein wesentlich friktionsfreieres Bauen, Ressourcenfrage sowie der Zwang zu als wir es derzeit auf den Baustellen erle- klimaneutralem Verhalten ist gerade in ben. Und für diejenigen Menschen, die nicht Deutschland ein Zukunftsthema gewor- auf die Baustelle wollen, gibt es wieder den. Zahlreiche Referenzprojekte belegen, mehr Möglichkeiten, im Handwerk oder in dass es möglich ist, auch im großen Maß- der Produktion beschäftigt zu sein. stab in Holz zu bauen. Es gibt Firmen, die sich auf den neuen Markt vorbereiten. Diese Etablierung geht nicht von heute Hermann Kaufmann auf morgen, es braucht andere Firmen- stammt aus Vorarlberg. Er führt sein eigenes Archi- konstellationen und eine Initiative, um tekturbüro in Schwarzach und ist Professor an der Fachkräfte in allen Bereichen auszubilden. TU München für Entwerfen und Holzbau. Er setzt Das Know-how muss mitwachsen. Ich sich beständig für die technologische und architek- tonische Weiterentwicklung der modernen Holzbau- vergleiche das gerne mit einem Baum. architektur ein, ebenso wie für ihre Bedeutung und Dieser wächst auch nicht in ein paar Tagen Akzeptanz in Politik und Gesellschaft. in den Himmel, er braucht seine Zeit. www.hkarchitekten.at Bauen mit Holz 21
ein ganzes quar tier aus hol z Wohnen im Prinz-Eugen-Park in München Auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne in München steht die größte zusammenhängende Holzbausiedlung Deutschlands. Der Wohnbau auf dem Baufeld WA 13, den B&O als Generalunter- nehmer für die städtische Wohnbaugesellschaft GEWOFAG errichtet hat, ist mit seinen 181 Wohneinheiten und der zugehörigen Kinderta- gesstätte das größte Bauwerk der ökologischen Siedlung. Er zeichnet sich durch eine flexibel adaptierbare Grundrissstruktur und die Bauweise als Holz-Hybridbau aus. Der Städtebau Brandschutzmaßnahmen aufwendiger Die Stadt München will auf dem Gelände sind) mit bis zu 2 Euro pro Kilogramm. der Prinz-Eugen-Kaserne in München Zudem gab es die Auflage, dass das Holz neue Maßstäbe in der nachhaltigen aus nachhaltiger Bewirtschaftung stam- Stadtentwicklung setzen und hat für den men muss, nicht weiter als 400 Kilometer südlichen Bereich des Geländes die Auf- von der Mustersiedlung entfernt geerntet lage an die Grundstücksvergabe gebunden, wurde und dass mindestens 50 Kilogramm mit Holz zu bauen. Um die dadurch entste- nachwachsende Rohstoffe pro Quadrat- henden Mehraufwendungen zu kompen- meter Wohnfläche verbaut werden. Inzwi- sieren, bezuschusst sie die Verwendung schen sind alle acht Holzbauprojekte mit von nachwachsenden Rohstoffen: bei insgesamt 566 Wohnungen der Muster- Gebäuden mit bis zu drei Geschossen mit siedlung fertiggestellt. 70 Cent pro Kilogramm, bei Projekten im Geschosswohnungsbau (da hier die Bauherr GEWOFAG Wohnen GmbH, München Generalunternehmer B&O Gruppe, Bad Aibling Generalplanung AIC Ingenieurgesellschaft, Dresden Architektur Pakula & Fischer Architekten GmbH, Stuttgart Brandschutz PHIplan, München BGF oberirdisch 19.468,3 m 2 Anzahl Wohnungseinheiten 181 Öffentliche Einrichtung Kindertagesstätte Gemeinschaftseinrichtungen Gemeinschaftsraum 22
Bauen mit Holz 23
Die Architektur Der Wohnbau an der südwestlichen Ecke des Areals ist mit seinen 181 Wohnein heiten das mit Abstand größte Projekt der Mustersiedlung. Es ist ein fünfge- schossiger, teilweise höhengestaffelter Wohnbau mit Loggien und einer vorver- grauten Lärchenholzfassade. Dieser be- steht aus einem L- und einem U-förmigen Baukörper, die städtebaulich wie eine Blockrandbebauung angeordnet sind, wobei der Baukörper mit der öffentlichen Kindertagesstätte sich durch eine niedri- gere Gebäudehöhe deutlich vom Wohnbau abhebt. Die Grundrisse sind so gestaltet, dass sie flexibel adaptierbar sind. Die Bewohner sollen zukünftig ihre Wohn fläche an die jeweilige Lebenssituation anpassen können, sie verkleinern oder durch Zusammenschluss zweier Einheiten vergrößern können. Um diese Flexibilität in der Grundrissgestaltung zu ermögli- chen, ist das statische Tragsystem einem Raster von 3,5 Metern untergeordnet, das auch in der Fassadenaufteilung und Fassadenverkleidung ablesbar ist. 24
Kernzone Wohnzone Nebenzone mit Treppenhaus inkl. Küchen inkl. Bädern und Loggien Die Wohnungsgrößen sind veränderbar: von der Ein- bis zur Vierzimmerwohnung Die Konstruktion Der Bauprozess der Installateur dann nur mehr die bereits Über einer Tiefgarage aus Stahlbeton Die Kombination aus Stahlbeton und vorinstallierten Ver- und Entsorgungslei- erhebt sich der Holz-Hybridbau. Um die Holzbau bot für dieses Bauvorhaben eine tungen an das Hausnetz anschließen. Nach gewünschte hohe Grundrissflexibilität ideale Lösung für die wirtschaftlichen den Bädern wurden die 11.000 Quadrat- wirtschaftlich umsetzen zu können, wurde und technischen Anforderungen vor allem meter Außenwandflächen montiert. Die ein Stahlbetonskelett mit Außenwänden im Hinblick auf Schallschutz und Brand- bis zu 12 Meter langen und geschoss in Holzbauweise kombiniert. Die nicht schutz. Das Gebäude war in einzelne hohen Fassadenelemente waren inklusive tragenden Außenwände sind hochge- Bauabschnitte eingeteilt: Während beim Fenstern, Türen und Holzfassade vorge- dämmte Holztafelbauelemente. Diese letzten Bauabschnitt noch die Rohbau- fertigt. So konnte die Baustelle so schnell arbeiten durchgeführt wurden, wurden wie möglich vor Witterung geschützt und wurden geschossweise vorgefertigt und im mittleren Bauabschnitt die Fertigbäder die Belästigung der Anrainer so gering an Decken und Stützen befestigt. Um eingehoben und im ersten Bauabschnitt wie möglich gehalten werden. eine Fassade aus Holz bei einem mehr bereits die Fassaden montiert. geschossigen Wohnbau realisieren zu Dabei nutzte man die Vorteile der Vorfer- können, braucht es zwischen den einzel- tigung vor allem bei den Außenwänden nen Geschossen Brandsperren, die die aus Holz und den Fertigbädern. Brandweiterleitung über die Fassade Alle 181 Bäder wurden in einem Werk der begrenzen können. Die baurechtlich B&O Tochterfirma vorgefertigt und als erforderliche Konstruktion ist ein auskra- Boxen über die noch offenen Fassaden in gendes Stahlblech, das in Brüstungshöhe den Rohbau eingehoben. Die Badezimmer eingebaut und zu einem gestaltprägenden, waren bereits verfliest und komplett horizontal umlaufenden Band wurde. feinmontiert. An Ort und Stelle musste Bauen mit Holz 25
nachverdichten Auf Kosten von Natur und Umwelt nehmen die Menschen immer mehr Fläche für sich in Anspruch. Statt jeden Tag neue Flächen für Gebäude und Verkehr zu versiegeln, sollten wir der Zersiedelung der Landschaft Einhalt gebieten. Nur so gelingt es uns, einen dem Klimawandel angepassten, attraktiven Lebensraum für Mensch, Flora und Fauna zu schaffen. Gerade in der Nachverdichtung von bestehenden Siedlungen liegt dabei ein großes Potenzial. Flächenverbrauch in Deutschland Jeden Tag werden 56 Hektar Fläche versiegelt, pro Jahr entspricht dies der Fläche von Frankfurt am Main. 26
wir müssen unseren fl ächenverbr auch reduzieren NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger über nachhaltige Siedlungsentwicklung Der NABU – Naturschutzbund Deutschland e. V. setzt sich für eine nachhaltige Sied- lungsentwicklung ein, die eine Koexistenz von Mensch und Natur erlaubt. Diese ist nur möglich, wenn der tägliche Flächenverbrauch reduziert wird und unbebauter Boden als Kohlenstoffspeicher erhalten bleibt. Jörg-Andreas Krüger, Präsident des NABU, beschreibt, wie ein nachhaltiges Bauen für Mensch und Natur aussehen kann. Wohnfläche pro Person In Deutschland verbrauchen wir immer Das trägt zur Grundwasserneubildung Die Menschen in Deutschland nehmen immer mehr noch mehr als 56 Hektar Fläche für Sied- bei und mindert das Hochwasserrisiko. Wohnfläche für sich in Anspruch. Dies liegt daran, lungs- und Verkehrsflächen – jeden Tag. Auf versiegelten Flächen anfallendes, dass immer größere Wohnungen gebaut werden, dass die Zahl der Single-Haushalte steigt, und ebenso In Summe ergibt das pro Jahr eine Fläche, knapper werdendes Regenwasser wird an dem Umstand, dass ältere Menschen nach Auszug die etwa so groß ist wie Frankfurt am hingegen teuer in der Kanalisation ent- der Kinder oder dem Tod des Partners in der großen Main. Es ist offensichtlich, dass dies eine sorgt und diesem Kreislauf entzogen. Wohnung wohnen bleiben. schlechte, nicht zukunftsfähige Entwick- Die starke Aufheizung versiegelter Flächen Quelle: Statistisches Bundesamt lung ist. Die ökologischen, ökonomischen begünstigt vor allem in Ballungsräumen und sozialen bzw. kulturellen Folgen des die Hitzebelastung. Die Materialien spei- Flächenverbrauchs für Mensch und Natur chern auch nachts die Wärme und geben sind gravierend. Unbebauter Boden ist sie nur langsam an ihre Umgebung ab. der größte terrestrische Kohlenstoffspei- Diese sich stauende Hitze wird im Zuge 1991 2018 cher der Erde, sein Erhalt ist somit klima- des Klima- und demografischen Wandels 34,9 m2 46,7 m2 relevant. Wenn Boden versiegelt wird, zu weit mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschwindet zunächst seine Funktion als führen als bisher. Lebensraum für Pflanzen und somit auch Durch die Erschließung neuer Flächen als Träger der Biodiversität. Sich in die steigen des Weiteren die Ausgaben für Anteil an Single-Haushalten in Deutschland Landschaft ausbreitende Siedlungen und Infrastruktur und die weiter werdenden Straßen zerschneiden und isolieren Bio- Wege führen zu einem erschwerten tope und führen zur Verinselung von Anschluss für den ÖPNV und Radverkehr. Artenvorkommen und somit zu einer Ver- Wenn Agrarflächen an Ortsrändern mit 40 % armung der genetischen Vielfalt. Neubaugebieten überzogen werden, Zudem geht der Boden als wichtiger Teil gehen einerseits die Flächen zur landwirt- des Wasserkreislaufs verloren. Im Boden schaftlichen Bewirtschaftung verloren, versickert Regenwasser, Starkregen andererseits führt das zum Aussterben der ereignisse können gepuffert an tiefer Dorfkerne. Durch diesen „Donut-Effekt“ liegende Schichten abgegeben werden. gehen jahrhundertelang gewachsene ländliche Räume für immer verloren und das Landschaftsbild, wie wir es kennen, verändert sich nachhaltig. Jörg-Andreas Krüger ist Präsident des NABU – Naturschutzbund Deutsch- und demografischen Wandel, müssen heute mit gut land e. V., des ältesten und mit mehr als 770.000 überlegten Entscheidungen die Weichen für eine Mitgliedern und Förderern mitgliederstärksten gute Zukunft gestellt werden. Das Ziel dafür sind Umweltverbandes in Deutschland. kompakte und intakte Siedlungen mit einer hohen Der NABU steht mit seinem Motto „Für Mensch und Qualität und Quantität an Grünflächen, kurzen Natur“ für nachhaltige Siedlungen, die einen attrak- Versorgungswegen, starkem ÖPNV und Radverkehr tiven, an den Klimawandel angepassten Lebensraum sowie einer Flächenkreislaufwirtschaft, in der die für Menschen, Flora und Fauna bieten. Mit Blick auf Außenentwicklung, also die immer weiter zuneh- die großen Herausforderungen, wie Klimawandel, mende Bebauung von Flächen der freien Landschaft, Artensterben, Verkehrswende, Ressourcenknappheit der absolute Ausnahmefall ist. Nachverdichten 27
Den täglichen Flächenverbrauch Auch die Politik ist gefordert Die öffentliche Hand sollte bei eigenen reduzieren Um diese Potenziale zu nutzen, ist zunächst Projekten vorbildhaft agieren und darüber In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie eine Vielzahl gesetzlicher und politischer hinaus private Investoren mit finanziellen ist daher seit über 15 Jahren das Ziel for- Änderungen nötig. Veraltete Gesetzes Anreizen zur Verwendung ökologischer muliert, den täglichen Flächenverbrauch zu texte, die eine Nutzungsmischung und die Materialien animieren. reduzieren. Seit der letzten Anpassung im Erhöhung der baulichen Dichte verhin- Bei einer „Modernisierungsoffensive“ ist Jahr 2016 heißt das Ziel „unter 30 Hektar dern, müssen zugunsten von kompakten darauf zu achten, dass der Artenschutz pro Tag bis 2030“. Siedlungen angepasst werden. Das kom- am Gebäude nicht vernachlässigt wird. Zwar konnte der Flächenverbrauch von munale Vorkaufsrecht muss ausgebaut Wir müssen weitere Dimensionen einbe- rund 130 Hektar im Jahr 2000 bereits werden, um bezahlbaren Wohnraum ziehen. So sind zur Erhöhung des Grün halbiert werden. Mit 56 Hektar ist er immer herstellen zu können. Auch Bodenspekula- anteils verpflichtende Fassaden- und noch doppelt so hoch, wie die Nachhaltig- tionen können hierdurch und durch die Dachbegrünungen einzuführen, die neben keitsstrategie zum gegenwärtigen Zeit- Aussprache von Baugeboten, also eine ökologischen Gunstwirkungen für Biodi- punkt vorsieht. Das Grundrezept, um den verpflichtende Bebauung nach Erlangung versität und Luftreinhaltung auch ökono- „Flächenfraß“ aufzuhalten, liefert das der Baugenehmigung, unterbunden mische Vorteile bieten. Denn Gebäudegrün Prinzip „Innen- vor Außenentwicklung“. werden. führt als „natürliche Klimaanlage“ zu einer Dieses findet sich schon im ersten Para- Reduktion von Heiz- und Kühlkosten und grafen des Baugesetzbuchs, der einen Wir brauchen mehr Grünflächen erhöht die Lebensdauer von Gebäuden, sparsamen Umgang mit Grund und Boden Zur Erhöhung der Klimaresilienz unserer indem es vor Verwitterung schützt. sowie die Nutzung von Möglichkeiten der Siedlungen brauchen wir ein Netz von Nachverdichtung fordert, zudem Flächen Grünflächen, die auch im Sinne sozialer Synergien nutzen des Außenbereichs unter besonderen Gerechtigkeit für alle schnell erreichbar Wir brauchen die gesellschaftliche Debat- Schutz stellt und von einer Bebauung sind. Deren gesamtgesellschaftliche te jetzt, um unsere aktuelle Inanspruch- freihalten soll. Es fehlen bis heute aber Bedeutung wurde uns in den vergangenen nahme von Flächen zu hinterfragen. Wenn die Modelle für eine bedarfsorientierte Monaten der COVID-19-Pandemie deutlich wir es schaffen, ein Umdenken zu errei- Verteilung auf regionaler und auf Länder- vor Augen geführt. Damit künftig weniger chen, unseren bereits beanspruchten Platz ebene. Die Ratlosigkeit wird auch im Klima- Treibhausgas emittiert wird, müssen besser zu nutzen und im Einklang mit schutzplan der Bundesregierung deutlich: unsere Gebäude energieeffizient moder- Grün- und Freiflächen zu planen, können Erst bis zum Jahr 2050 soll erreicht sein, nisiert und unser Energieverbrauch gene- viele Synergien genutzt werden, um die dass keine neuen Flächen mehr verbraucht rell reduziert werden. geschilderten Herausforderungen bewäl- werden. Für den NABU ist klar: Das Problem Unabhängig davon, ob Neubau oder Mo- tigen zu können. Wenn uns das gelingt, darf nicht weiter in die Zukunft geschoben dernisierung: Der gesamte Lebenszyklus ist unsere Vision lebenswerter Städte werden – die „Netto-Null“ muss bereits eines Gebäudes muss bedacht werden – und Gemeinden für Mensch und Natur viel früher, idealerweise bis 2030, erreicht von der Planung, Nutzung und Erneuerung möglich. werden. bis zum Ab- bzw. Rückbau. Nur so können In der Praxis bedeutet diese „Netto-Null“, ein nachhaltiger Ressourceneinsatz und dass neue Bebauungen nur noch auf be- CO 2 -Neutralität gesichert werden. Es reits baulich genutzten Flächen im Innen- sollten verstärkt umweltfreundlich recy- bereich stattfinden und der Außenbereich celte Materialien und nachwachsende nur im absoluten Ausnahmefall und in Rohstoffe zum Einsatz kommen, da sie Verbindung mit einer gleichzeitigen Ent- während ihrer Wachstumsphase der siegelung an anderer Stelle in Anspruch Atmosphäre CO 2 entziehen und es bis Wohnfläche pro Person nach Haushaltsgröße genommen werden darf. Diese „doppelte zum Ende ihrer Lebenszyklen speichern. Innenentwicklung“ schafft auf bereits versiegelten Flächen weitere Kapazitäten 30,6 m² 48,0 m² 66,7 m² für Wohnen oder Gewerbe und schont die verbliebenen Grünflächen im Siedlungs- bereich, die einen enormen Beitrag zur Lärm- und Schadstofffilterung und Abküh- lung leisten. Die Potenziale sind riesig: Eine Studie der TU Darmstadt kommt zum Schluss, dass mit einer effektiven Nach- verdichtung allein durch Gebäudeauf stockungen, die Umnutzung von Büro- und Gewerberäumen und die Aktivierung von Leerstand 2,3 bis 2,7 Mio. Wohnungen geschaffen werden können. Je mehr Personen in einem Haushalt leben, desto weniger Wohnfläche pro Person nehmen sie in Anspruch. Der Grund dafür ist, dass Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) 28
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