WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN

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WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
WIE WIR HEUTE
F Ü R D I E W E LT VO N M O R G E N
BAUEN
                      b & o gruppe
WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
ökologisch , l anglebig , schön b & o gruppe

                                WIE WIR HEUTE
                                F Ü R D I E W E LT V O N M O R G E N
                                BAUEN
WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
B&O plant, baut und bewirtschaftet W  ­ ohnungen für die bestandshaltende Wohnungs-
wirtschaft. Rund 2.200 Mitar­beiter erbringen an dreißig Standorten eine Jahresleistung
von etwa 480 Mio. Euro (2019). Schlüssel zum Erfolg ist die Kombination aus hoher
Qualität, Nach­haltigkeit und Wirtschaftlichkeit: Hier arbeiten Handwerker, Architekten,
Bauplaner und Programmierer Hand in Hand und auf Augenhöhe, um nach­haltig orien-
tiertes Wirtschaften, Digitalisierung und soziale Verantwortung in Einklang zu bringen
und neue Impulse für die Branche zu setzen. Mehr unter: www.bo-gruppe.de
WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
über diesen bericht
7       Vorwort
        Ernst Böhm und Peter Münn

essay
8–9     Klimawandel und nachhaltige
        Baukultur
        Hans Joachim Schellnhuber
        und Marc Weissgerber über die
        Notwendigkeit einer Bauwende

                                        einfach bauen
                                        11 – 13   Forschungshäuser
                                                  Drillinge aus Beton, Holz und Ziegel
                                        14 – 15    Wir sollten unsere Ansprüche zurückschrauben
                                                  Gespräch mit Architekt Florian Nagler
                                        16 – 17   Es geht auch ohne Tiefgarage
                                                  Mut zur Veränderung fordert
                                                  Haustechnikexperte Gerhard Hausladen

                                        bauen mit hol z
                                        19        Bauen mit Holz schützt das Klima
                                                  Holz ist nachwachsender Rohstoff und
                                                  Kohlenstoffspeicher zugleich
                                        20 – 21    Wir brauchen mehr Wohlfühlorte
                                                  Gespräch mit Architekt Hermann Kaufmann
                                        22 – 25   Ein ganzes Quartier aus Holz
                                                  Wohnen im Prinz-Eugen-Park in München

                                        nachverdicht en
                                        27 – 29    Wir müssen unseren Flächenverbrauch reduzieren
                                                  NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger über nachhaltige
                                                  Siedlungsentwicklung
                                        30 – 33   Bauen über Parkplätzen
                                                  Wohnen am Dantebad

                                        sanieren und energie sparen
                                        35 – 37    Rund drei Millionen Wohnungen könnten zügig saniert werden
                                                  Gespräch mit Andreas Kuhlmann, Deutsche Energie-Agentur
                                        38 – 41    Mit jedem Bau probieren wir etwas Neues aus
                                                  Rundgang mit B&O Gesellschafter Ernst Böhm
WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
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WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
Sehr geehrte Damen und Herren,

die Situation, die wir derzeit im Zuge der COVID-19-Pandemie durchleben, könnte dem
ähneln, was uns in einigen Jahren aufgrund des Klimawandels droht. Die Gemeinsam-
keiten: Weder COVID-19 noch die Klimaerwärmung kümmern sich um Grenzen oder
Nationalitäten, Ärmere sind stärker betroffen als Reichere und der internationale
­Zusammenhalt bei der Bekämpfung scheint verbesserungswürdig. Der Unterschied:
 Die Corona-Krise geht (hoffentlich) vorüber, während der Klimawandel fortschreitet.

Es gibt auch einen direkten Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen:
Die CO 2 -Emissionen sind aufgrund der Maßnahmen gegen eine Weiterverbreitung
von COVID-19 gesunken, es könnten weltweit im Jahr 2020 rund 8 Prozent weniger
werden als im Vorjahr. Man kann aber davon ausgehen, dass diese Senkung ein
vor­übergehendes Phänomen ist. Dabei bestünde genau jetzt die Chance, vieles zu
überdenken und Grundsätzliches zu ändern in Richtung mehr Klimaschutz – auch und
vor allem in Architektur und Bauindustrie. Denn 40 Prozent sämtlicher Treibhausgas-
emissionen stammen aus der gebauten Umwelt.

Am nachhaltigsten wäre es, gar nicht mehr zu bauen. Realistisch ist dies natürlich nicht,
denn es ist eine Tatsache, dass die Bevölkerung wächst und die Urbanisierung voran-
schreitet. Zudem ist Wohnen ein Urbedürfnis des Menschen. Wir müssen uns also auf
andere Wege besinnen, wie wir Wohnraum schaffen können, ohne die Zukunft unserer
Nachkommen zu verspielen. Diese Broschüre soll hierzu Anstöße geben und anhand
von Beispielen zeigen, dass es geht: Wenn wir beispielsweise mit Holz bauen, bestehen-
de, bereits versiegelte Flächen nutzen und ein wenig enger zusammenrücken, dann
sind wir zumindest auf dem richtigen Weg.

Unser Dank gilt den Experten, die mit ihren Beiträgen diesen Bericht ermöglicht haben.

Ernst Böhm und Peter Münn

                                                                                        7
WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
essay    –   k lim awandel und nachhaltige baukult ur
Hans Joachim Schellnhuber und Marc Weissgerber
über die Notwendigkeit einer Bauwende

Trotz zahlreicher lokaler, nationaler und internationaler Bemühungen erwärmt sich
unser Planet ständig – die globale Mitteltemperatur ist bereits um 1,1 °C gegenüber
der vorindustriellen Zeit gestiegen. Umfassende und miteinander verbundene Lösun­-
gen auf allen Ebenen und in allen Sektoren von Wirtschaft und Gesellschaft sind
notwendig – und möglich –, um die Pariser Klimaziele noch zu erreichen, das heißt,
die Erhöhung der globalen Mitteltemperatur auf maximal 1,5 bis 2 °C zu begrenzen.
Das Bauwesen muss bei diesen Bemühungen eine entscheidende Rolle spielen.

Wenn man den gesamten Lebenszyklus               Ein zentraler Bestandteil einer solchen       Material- und fertigungstechnische Fort-
von Bau-, Nutzungs- und Abbauphase               Bauwende ist der Wechsel von mineralisch     schritte bei der Verwendung von Holzma-
betrachtet, emittiert die gebaute Umwelt         basierten Baumaterialien wie Zement und      terialien führen darüber hinaus zu stark
40 Prozent des gesamten CO 2 -Ausstoßes          Stahl zu bio-basierten, vor allem zu Holz.   verbesserten Eigenschaften von Holz­
und verursacht mehr als 40 Prozent des           Über Jahrhunderte wurde in Gebäuden          gebäuden: Stabilere, bessere und höhere
gesamten Müllaufkommens. In diesem               Holz verbaut. Im Rahmen der Industriali-     Bauten sind möglich. Mehr Forschung,
Sinne ist ein Umdenken im Bauwesen der           sierung kamen dann jedoch zunehmend          mehr praktische Erfahrungen und mehr
wichtigste Faktor im Kampf gegen den             Zement, Stahl und andere mineralbasierte     Innovationen bezüglich Materialien,
Klimawandel, dennoch spielt es in den            Materialien zum Einsatz. Der sehr hohe       ­F ertigungstechniken und neuer Wert-
öffentlichen Debatten kaum eine Rolle            fossile Energieverbrauch sowie die gro-       schöpfungsketten sind notwendig, um
oder konzentriert sich lediglich auf isolierte   ßen CO 2 -Emissionen infolge notwendiger      den Holzbau weiterzuentwickeln.
Aspekte wie die Energieeffizienz von             chemischer Reaktionen bei der Herstellung
Gebäuden. Eine koordinierte „Bauwende“           von Zement und Stahl stellen in der heuti-
ist aber das Gebot der Stunde und muss           gen Zeit eines der größten Probleme bei
einen ähnlichen, wenn nicht sogar höheren        der Umstellung auf eine klimaverträgliche
Stellenwert erhalten als die E­ nergie- und      Volkswirtschaft dar.
Verkehrswende.                                   Der massive Einsatz von Holz im Wohn-
                                                 und Gewerbebau hat demgegenüber
                                                 einen doppelt positiven klimatischen
                                                 Effekt: Die emissionsintensive Produktion
                                                 von Materialien wie Zement wird ersetzt
                                                 und das Pflanzenwachstum entzieht
                                                 mittels Photosynthese der Atmosphäre
                                                 CO 2 , wodurch der Kohlenstoff langfristig
                                                 gebunden wird. So entstehen gleichsam
                                                 „gebaute Wälder“.

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WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
Schließlich gilt es, die Digitalisierung auch
                                                                                              für das Bauwesen viel umfassender zu
                                                                                              nutzen, als dies derzeit der Fall ist. Digitali­
                                                                                              sierung ist aber kein Selbstzweck.
                                                                                              Smart-Home-Konzepte zum Beispiel, die
                                                                                              mit großen privaten Investitionen und
                                                                                              öffentlichen Geldern gefördert werden,
                                                                                              müssen sich die Frage stellen, inwiefern sie
                                                                                              wirklich zur Verbesserung der Lebensper­
                                                                                              spektiven des Menschen beitragen. Wichtig
                                                                                              ist daher, die Möglichkeiten einer nachhal-
                                                                                              tigen Digitalisierung des Bauwesens zu
                                                                                              erkunden – von digitalen Fertigungskon-
                                                                                              zepten über die bessere Nachvollziehbar-
                                                                                              keit von Stoffströmen bis hin zu digitalen
                                                                                              Optionen zur Verbesserung der (gesamt-
                                                                                              haften) Ökoeffizienz von Gebäuden. Auch
                                                                                              die enormen Möglichkeiten, die Künstliche
                                    So entstehen                                              Intelligenz bietet, sollten fruchtbar ge-
                                     gleichsam                                                macht werden.
                                  „gebaute Wälder“.

                                                                                              Bauhaus der Erde
                                                                                              Vor fast genau hundert Jahren wurde der
                                                                                              Versuch unternommen, das Bauen neu zu
                                                                                              erfinden. Walter Gropius versammelte 1919
                                                                                              im Staatlichen Bauhaus von Weimar eine
                                                                                              Gruppe von Avantgardekünstlern und
Städte, die aus biobasierten Materialien wie Holz gebaut werden, können als Kohlen-           Denkern um sich, um Architektur und De­-
stoffsenken dienen. Die Verwendung von Holz ist aber nicht der einzige Bestandteil            sign im 20. Jahrhundert zu revolutionieren.
eines neuen, nachhaltigen Bauwesens für das 21. Jahrhundert. Weitere Elemente sind:           Heute geht es um eine ähnlich radikale
                                                                                              Aufgabe, aber in völlig anderem Kontext:
1. Baukastenprinzip und Kreislaufwirt-        4. Nachhaltiges Wassermanagement:               Architektur neu denken in Zeiten von
schaft: Die Bauteile werden von vornherein    Dieses umfasst alle lokal sinnvollen            Klimakrise und wachsenden globalen
so produziert und dann zusammengefügt,        Rezy­k lierungsmaßnahmen inklusive der          Spannungen auf einem Planeten, der schon
dass sie so vollständig wie möglich direkt    Regenwasser-Rückgewinnung sowie die             bald mehr als neun Milliarden M  ­ enschen
wiederverwendet werden können (Re-use).       Energie­extraktion aus dem Brauchwasser.        beherbergen muss. Es braucht ein neues
Damit werden am Ende des Lebenszyklus         Gefiltertes Wasser kann direkt als trinkbares   Bauhaus, um diese Ideen zu entwickeln,
Häuser wieder in Häuser verwandelt und        Kalt- und Warmwasser genutzt werden,            ein „Bauhaus der Erde“.
nicht in Sondermüll zulasten künftiger        Grauwasser zur Bewässerung der Grün­            Daher versammelte sich im Dezember
Generationen.                                 flächen.                                        2019 eine kleine Gruppe von Wissenschaft-
2. Passive Bauweise: Das Design des Ge-       5. Flächenausgleich: Als Kompensation           lern, Architekten, Künstlern, Unternehmern
bäudes erfolgt so, dass der Bedarf an         für den konstruktionsbedingten Flächen-         und Politikern bei Potsdam, um dieses neue
Strom, Wärme und Kühlung minimiert ist.       verbrauch wird ein mindestens gleich            „Bauhaus der Erde“ zu gründen. Es gilt, eine
                                              großes Areal renaturiert oder ökologisch        neue Vision für eine Baukultur zu entwi-
3. Dezentrale Bereitstellung von erneuer-                                                     ckeln, die ihre Kraft aus einer neuen Allianz
                                              entwickelt.
barer Energie (auf Gebäude- oder Quar-                                                        zwischen Mensch und Natur schöpft.
tierebene): Die besten Optionen dafür sind    6. Förderung der Biodiversität: Dies ist
solare und geothermische Anlagen. Das         bei allen Vorhaben im Hoch- und Tiefbau
Gebäude ist idealerweise Netto-Energie-­      grundsätzlich zu berücksichtigen und            Hans Joachim Schellnhuber
Quelle und potenziell in ein Internet-­of-    müsste eine mit dem Brandschutz ver-            Direktor Emeritus des Potsdam-Instituts für Klima-
Things integriert.                            gleichbare regulatorische Bedeutung             folgenforschung, das er im Jahr 1992 gründete. Er ist
                                                                                              Professor für Theoretische Physik an der Universität
                                              erlangen.
                                                                                              Potsdam, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats
                                              7. Flexible Raum- und Nutzungsgestaltung:       der Bundesregierung für Globale Umweltveränderun-
                                                                                              gen und Initiator des „Bauhauses der Erde“.
                                              Diese sichern die optimale Verwendung
                                              bei verändertem Bedarf und minimieren           Marc Weissgerber
                                              die direkten und indirekten Kosten von          Mit-Initiator des „Bauhauses der Erde“, ehemaliger
                                              Leerstand.                                      Vorstand der EU-Initiative für Klimainnovationen,
                                                                                              Climate KIC, und Deutschland-Geschäftsführer eines
                                                                                              führenden internationalen Umweltdienstleisters in
                                                                                              den Bereichen Kreislaufwirtschaft, Wasser und Ener­-
                                                                                              gie. Er studierte in Frankfurt am Main und Cambridge.

                                                                                                                                                  9
WIE WIR HEUTE FÜR DIE WELT VON MORGEN
e i n f a c h b au e n

Die Kirche aus der Gotik, das Wohnhaus aus dem Barock und das Gründerzeithaus
sind robuste Bauwerke – sie haben hundert und mehr Jahre gut überstanden. Im
Gegensatz dazu bauen wir heute viel komplizierter und fehleranfälliger. Die gestie-
genen Anforderungen an Komfort und Energieeffizienz, die vielschichtigen Bau-
teilaufbauten und engen Verbindungen von Technik und Baukonstruktion ­f ühren
zu hochkomplexen Gebäuden. Das macht eine Sanierung meist unmöglich oder
zumindest teurer als einen Abriss und Neubau. Diese Bauten kennzeichnet statt
Langlebigkeit ein hoher Ressourcenverbrauch zulasten der Umwelt. Es ist an der
Zeit, wieder zurück zu den Wurzeln zu finden und sich zu fragen: Wie können wir
einfacher bauen?

10
f orschungshäuser
Drillinge aus Beton, Holz und Ziegel

Auf dem südlichen Teil des B&O Parkgeländes in Bad Aibling stehen drei identische
Häuser mit Satteldach und einem niedrigen Anbau. Nur auf den ersten Blick sehen
sie gleich aus, auf den zweiten erkennt man, dass die Häuser sich sehr wohl unter-
scheiden: in ihrer Materialität und ihrem Fassadenbild. Sie wurden in jeweils mono-
materieller Bauweise aus Beton, Holz und Mauerwerk errichtet und dienen als
Gegenentwurf zu den immer komplexer werdenden Bauweisen.

Forschungsvorhaben „Einfach Bauen“                Robust und klimagerecht bauen                Die Haustechnik wurde ebenfalls so ein-
Dem Bau dieser drei Forschungshäuser war          Die Bauweise der drei Wohnhäuser ist         fach wie möglich gehalten. Auch für den
ein Forschungsprojekt an der TU München           monomateriell – beim ersten aus Dämm-        Bauherrn soll der Betrieb dieser Häuser mit
vorausgegangen. Die daran beteiligten             beton, beim zweiten aus Massivholz mit       möglichst wenig Aufwand verbunden sein.
Architekten und Ingenieure erarbeiteten           Lufteinschlüssen und beim dritten aus        Weggelassen wurde alles nicht unbedingt
die Grundlagen zu den Prinzipien des              Hochlochziegeln. Die einschaligen Wand-      Notwendige. Auf Fußbodenheizung, Klima­
einfachen Bauens. Ihre Hypothese lautete,         aufbauten erzielen eine ähnliche Dämm-       anlage und elektrische Klingeln an den
dass Wohngebäude mit einer hochwerti-             leistung wie hochkomplexe Wandaufbau-        Wohnungs­türen wurde verzichtet. Übrig
gen und zugleich suffizienten Architektur,        ten durch ein einfaches, althergebrachtes    bleiben Wasser-, Elektro- und Glasfaser­
einer robusten Baukonstruktion und einer          Prinzip: die Einkapselung von Luft. Um die   leitungen, die alle in einem leicht zugäng-
reduzierten Gebäudetechnik über einen             Umwelt­auswirkungen der Häuser – über        lichen Schacht zusammengefasst sind.
Lebenszeitraum von hundert Jahren hin-            hundert Jahre betrachtet – so gering wie     Sobald die Häuser bezogen sind, werden
sichtlich Ökobilanz und Lebenszykluskos-          möglich zu halten, wurde das Augenmerk       in einem Monitoringverfahren die Ver-
ten der Standardbauweise überlegen sind.          auf die Langlebigkeit der verwendeten        bräuche und der Raumkomfort in den drei
Beim Bau der drei Wohnhäuser auf dem              Materialien und damit auf einen geringen     Häusern gemessen und ausgewertet.
B&O Gelände setzte Architekt Florian              Ressourcenverbrauch gelegt. Auf Hilfs-
Nagler diese Strategien des einfachen             stoffe und materialfremde Sonderbauteile
Bauens konsequent um.                             konnte weitestgehend verzichtet werden.

Die Fassadenmodelle im Maßstab 1:1
stehen auch heute noch auf dem B&O Parkgelände.

                                                                                                                           Einfach bauen 11
Vergleich des ökologischen Fußabdrucks
Treibhauspotenzial (GWP) der Gebäude,
angegeben in CO 2 -Äquivalenten
(kgCO 2 äq)

Berechnung                               Leichtbeton                           Holz massiv                          Mauerwerk
Nur in Bezug auf die Herstellung 1       163.154                               -137.718                             109.625
Über den gesamten Lebenszyklus 2         250.292                               35.269                               198.156

                                         1
                                           beinhaltet die Herstellung von Außenwänden,
                                         Innenwänden, Decken, Bodenplatte, Dach, Fenstern        Quelle: Forschungsbericht: Einfach Bauen.
                                         und Türen                                               Ganzheitliche Strategien für energieeffizientes, ein-
                                         2
                                           beinhaltet die Herstellung, Instandhaltung und Ent-   faches Bauen – Untersuchung der Wechselwirkung
                                         sorgung von Außenwänden, Innenwänden, Decken,           von Raum, Technik, Material und Konstruktion,
                                         Bodenplatte, Dach, Fenstern und Türen                   www.einfach-bauen.net

                                         Die Anforderungen an die Häuser sind groß: Sie sollen robust und langlebig sein, wenig
                                         Energie verbrauchen und zugleich einen geringeren Wärmeeintrag haben, um einer
                                         Überhitzung vorzubeugen.
                                         Nur die Gesamtheit der räumlichen, materiellen und konstruktiven Überlegungen führte
                                         zum Ziel. Dazu zählen die monomateriellen, einschichtigen Wand- und Deckenkonstruk-
                                         tionen, die konsequente Trennung von Baukon­struktion und Techniksystemen sowie die
                                         Fenstergröße und Raumhöhe. Um dieses komplexe Gefüge an Zusammenhängen und
                                         Konsequenzen beurteilen zu können, wurden an der TU München im Vorfeld zahlreiche
                                         Berechnungen und Simulationen durchgeführt.
                                         B&O möchte neben diesen Forschungshäusern noch weitere errichten, zum Beispiel
                                         eines aus Sandstein und eines aus Lehm.

12
Einfach bauen 13
wir sollt en unsere ansprüche zurück schr auben
Gespräch mit Architekt Florian Nagler

Mehrere Jahre bemühte sich Architekt und TU-Professor Florian Nagler in München
um eine Baugenehmigung für die Forschungshäuser. Er wollte die Erkenntnisse,
die er und seine Kollegen aus dem Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ gewonnen
hatten, in drei vergleichbare Gebäude einfließen lassen. Auf dem Gelände von B&O
und mit B&O als Bauherr ­bekam er die Gelegenheit dazu. Wir sprachen mit Florian
Nagler über die Praxistauglichkeit und Relevanz dieser Bauweisen.

                                                                                               Sie sagen, man müsse die Ansprüche
Was verstehen Sie darunter, einfach zu                                                         reduzieren, woher kommen dann die
bauen?                                                                                         mehr als drei Meter hohen Räume in den
Eigentlich verstehe ich jeden Tag etwas        Trotzdem haben Sie sich auf die Suche           Forschungshäusern?
anderes darunter. Die Initialzündung für       nach einer einfachen, reduzierten Lösung        Das ist ein Ergebnis der Simulationen,
unser Forschungsprojekt war ja, dass die       gemacht. Wie schaut die aus?                    die wir im Zuge des Forschungsprojekts
Gebäude immer komplexer werden in              Da spielt ganz viel hinein: Es ist ja auch      gemacht haben. Bei einer Raumhöhe von
ihren Anforderungen an die Haustechnik         eine Suche nach einer Lösung, bei der man       drei Metern steht mehr Wandfläche pro
und Bautechnik. Das sind hochgezüchtete        so wenig Kunststoff wie möglich verbaut,        Raum zur Verfügung und damit auch mehr
Häuser, die sehr fehleranfällig sind. Wir      bei der man Produkte mit einer guten            Speicherfläche. Es gibt weniger Übertem-
haben einen Punkt erreicht, an dem wir uns     grauen Energiebilanz einsetzt. Zugleich         peraturgradstunden und einen geringeren
fragen müssen: Wie kann man einfacher          wollten wir auch mit einem Minimum an           Heizwärmebedarf. Man muss nicht so oft
bauen?                                         Technik auskommen.                              lüften. Das ist ein komplexes Gefüge aus
Um dies herauszufinden, haben wir an           Es gibt so viele Sachen, die wir eigentlich     einfachen Zusammenhängen.
der TU München das Forschungsprojekt           nicht brauchen. Ich glaube, wir müssen
„Einfach Bauen“ gestartet. Der Ansatz          unsere Ansprüche zurückschrauben.               Werden die Bewohner das spüren?
war, einschalig mit den gängigen Bau­          Brauchen wir wirklich in allen Räumen           Ist es ein anderes Wohnen?
materialien Beton, Holz und Ziegel zu          21 Grad Raumtemperatur oder reicht es,          Auch das werden wir analysieren. Das
bauen.                                         wenn das Schlafzimmer kühler ist? Auf           Ziel ist, dass sie in solchen Häusern ganz
Die Frage „Was ist einfach bauen?“ ist         wie vielen Quadratmetern wollen wir             normal leben können. Wir haben hier
nicht einfach zu beantworten. Jeder hat        leben? Die Räume und Fenster müssen             keinen Niedrigenergiestandard realisiert.
einen anderen Blickwinkel darauf. Meine        nicht zu groß und die Räume nicht kom-          Wir halten die Energiesparverordnung,
­Mitarbeiter im Büro würden jetzt sagen:       plett verglast sein. Sonst wird zu viel Ener-   die EnEV ein, tun aber nichts darüber
 „Es ist viel einfacher, statt einer monoma-   gie in den Raum transportiert, die man          hinaus. Und wir können dennoch nach­
 teriellen Innenwand eine Trockenbauwand       dann wieder mit einer Kühlung hinaus­           weisen, dass diese Häuser über hundert
 zu bauen. Dafür gibt es alle Zulassungen,     bekommen muss. Es geht darum, überall           Jahre betrachtet eine bessere CO 2 -Bilanz
 da ist alles geregelt.“                       zu angemessenen Lösungen zu kommen.             haben als ein Niedrigenergiehaus.

14
Welche Chance geben Sie den einzelnen         Der Bogen hat ja formal wieder Konjunktur       wände sind aus Betonstein, Holz und Ziegel.
Bauweisen? Können diese zum Standard          in der Architektur. Das ist aber hier keine     Das muss man natürlich in dieser Radikali-
werden?                                       lustige Geste, darin steckt etwas Wesent-       tät nicht machen, das ist den Forschungs-
Der Dämmbeton ist noch zu experimentell       liches. Für meine Arbeit finde ich es sehr      häusern geschuldet. Mit den Erfahrungen,
und damit sehr teuer. Aber das Mauer-         interessant und es macht Spaß, so zu            die wir hier gemacht haben, kann man
werk bietet sich hervorragend für eine        konstruieren und zu denken.                     beim nächsten Bauvorhaben das Beste aus
Standardbauweise an. Damit bauen auch         Die Häuser haben etwas Ursprüngliches.          den drei Bauweisen kombinieren.
jetzt schon viele.                            Das ist auch die Ansage: Wir bauen Häuser
Die Massivholzplatte mit den Luftein-         mit geneigten Dächern, die haben sich über      Gibt es ein Folgeprojekt?
schlüssen halte ich für ein gutes Produkt.    Jahrhunderte bewährt. Wir müssen wieder         Wir bauen in Garching auf dem Gelände
Mit 30 cm Wanddicke ist sie sogar etwas       mehr auf das setzen, was die Architektur        der TU München 200 Studentenwohnun-
überdimensioniert im Hinblick auf die         kann, und nicht versuchen, Defizite mit         gen. Auch hier bauen wir wieder mit den
Anforderungen der EnEV. Dieses Produkt        Technik zu kompensieren. Deswegen sitzen        drei Materialien Beton, Holz und Ziegel.
ist schon sehr konkurrenzfähig, da es einen   die Fenster tief in der Laibung. Das ist auch   Wir versuchen dabei, den Anteil an
geringen Flächenbedarf hat und einen          vom Isothermenverlauf die beste Position.       Zement zu reduzieren und die Gebäude
Wärmedämmwert erreicht, den in dieser         Durch die tiefe Laibung ergibt sich eine        primärenergetisch neutral hinzubekom-
Wandstärke keine Ziegelwand und auch          Verschattung und man kann auf den tech-         men. Zudem bauen wir in der nächst­
kein Wärmedämm-Verbundsystem hat.             nischen Sonnenschutz verzichten. Das ist        höheren Gebäudeklasse 4.
                                              das, was wir unter Robustheit verstehen.
Welche Rolle spielt die Architektur, wenn
man einfach bauen will? Läuft man nicht       Sie sagen, es macht Spaß, so zu entwerfen.
Gefahr dabei, auf räumliche und gestalte-     Aber bewegt man sich dabei nicht in einem
rische Qualität verzichten zu müssen?         engen Korsett?
Ich glaube, dass wir aus den Problemen        Ich empfinde das gar nicht so. Ich empfinde
unserer Zeit eine eigene Architekturspra-     es eher als befreiend. Man muss sich nicht
che ableiten können – im Hinblick auf         mehr mit so vielen Sachen herumärgern.
Nachhaltigkeit, Einsatz von Materialien       Natürlich sind die Spielregeln etwas anders
und so weiter. Der Ausdruck der Architek-     und man muss seine Sprache finden. Wie
tur ist dann ein anderer: Es gibt keine       kann man monolithisch aus dem Material
vollverglasten Fassaden mehr, sondern         heraus ohne Verwendung von Stahl diese
wieder geschlossenere Wände.                  Öffnungen herstellen? Beim Beton ist das        Florian Nagler
Die Fenster haben eine spezielle Form,        einfach, beim Mauerwerk ist der Bogen           ist Architekt und Professor für Architektur an der
                                                                                              TU München und Mitglied im Forschungsverbund
die aus der Konstruktion abgeleitet ist.      mit den großformatigen Steinen hingegen         „Einfach Bauen“. Er hat die drei Forschungshäuser auf
Daraus ergibt sich ein Fassadenbild, das      schwerer herzustellen. Wir haben hier ja        dem B&O Parkgelände geplant und den Bau begleitet.
auch architektonisch interessant ist.         auch sortenrein gebaut: Auch die Innen-         www.einfach-bauen.net

Optimale Fenstergröße
Der Glasanteil ist so bemessen, dass ein
ausgewogenes Verhältnis aus Tageslicht-
einfall, solarem Eintrag und Wärmever­
lusten besteht.

                                                                                                                                 Einfach bauen 15
es geht auch ohne tief gar agen
Mut zur Veränderung fordert Haustechnikexperte Gerhard Hausladen

Warum bauen wir noch immer Tiefgaragen? Dabei wissen wir doch, dass das
unterirdische Bauen ressourcenintensiv ist und dass viele Städter aufgrund neuer
Mobilitätskonzepte kein eigenes Auto mehr haben. Bauklimatik- und Haustechnik-
experte Gerhard Hausladen erklärt, warum wir unsere gewohnten Denk- und Bau­
weisen verlassen müssen, um zu einem umweltverträglichen Bauen zu kommen.

Die ganzheitliche Betrachtung der Bau-       Ressource sehr überlegt erfolgen sollte.     bestehenden Gebäuden mit Photovoltaik-­
werke von der Erstellung über den Lebens-    Die Praxis zeichnet jedoch ein anderes       Dächern. Ebenso sind Strukturen vorstell-
zyklus bis zur Wiederverwert­barkeit wird    Bild. Während verdichtete Städte neue        bar, die am Ende des Lebenszyklus oder
zukünftig im Bauwesen einen entscheiden­     Mobilitätskonzepte erarbeiten, die öffent-   im Zuge der Umsetzung rein autofreier
den Faktor darstellen, damit die notwendi-   lichen Verkehrsmittel ausgebaut werden       Städte abgebrochen werden können und
gen Klimaziele erreicht werden können.       und das „Teilen“ in Form von „Sharing-­      dem Kreislauf zurückgegeben werden.
Vor diesem Hintergrund gilt es, sowohl den   Konzepten“ in der Gesellschaft eine hohe     Damit entstünden in der Stadt Flächen,
Planungsprozess als auch jede Maßnahme       Akzeptanz erfährt, baut die Bauwirtschaft    die Platz bieten für Lösungen aktueller
und Entscheidung in der Umsetzung,           weiterhin auf mehrgeschossige Unter­         gesellschaftlicher Fragestellungen. Die
die aktuell selbstverständlich scheint, zu   geschosse. Diese dienen meist lediglich      Möglich­keiten sind vielfältig und bedürfen
hinterfragen.                                der Unterbringung von Autos, die Möglich-    mutiger Schritte und einer guten Gestal-
                                             keiten der Umnutzung sind eingeschränkt      tung. Letztlich sind ein bewusstes Handeln
Wir müssen neu denken                        oder gar unmöglich. Oberirdisch ist eine     im Städtebau und der Architektur und
Ohne eine Änderung unserer gewohnten         hohe Menge an Holzbau notwendig, um          der Mut zu Veränderung notwendig, um
Prozesse und Denkweisen werden wir           die im Erdreich verbaute Masse und das       lebenswerte und dauerhafte Lebens­
zu keiner Lösung finden. Die Ansätze sind    darin enthaltende CO 2 auszugleichen         räume zu schaffen.
vielfältig, und nur in Summe werden wir,     und so eine klimaneutrale Erstellung des
einhergehend mit einem Paradigmen-           Gebäudes zu erlangen. Daher sind die
wechsel in der Gesellschaft, die notwendi-   wertvollen Ressourcen so einzusetzen,
gen Ziele erreichen. Die Einbindung rege-    dass sie dauerhaft zu nutzen sind, und die
nerativer Energien für den Betrieb spielt    Strukturen so zu planen, dass am Ende
eine ebenso entscheidende Rolle wie die      der Bestimmung als Garage eine Nutzungs-     Gerhard Hausladen
Materialien, die Resilienz der gebauten      vielfalt gegeben ist.                        ist ein international anerkannter Experte im Bereich
Strukturen, die Suffizienz und unser zu-                                                  des energieeffizienten und nachhaltigen Bauens.
künftiges Handeln.                           So sehen Parkgaragen in Zukunft aus          In diesem Themenkomplex lehrt und forscht er seit
                                                                                          über zwanzig Jahren. Er ist Autor mehrerer Bücher zu
                                             Am Beispiel der Tiefgaragen lassen sich      Strategien ganzheitlichen Planens und Bauens in der
Die Umnutzung von Tiefgaragen ist            unterschiedliche Möglichkeiten betrachten:   Verknüpfung von Architektur, innovativer Gebäude-
schwierig bis unmöglich                      „Back to Back“-Bebauungen, in deren Kern     technik und erneuerbarer Energieversorgung.
Am Beispiel der Zementindustrie mit          Garagen als Regale vorgesehen werden,        Von 2001 bis 2013 war er Ordinarius für Bauklimatik
                                                                                          und Haustechnik an der Fakultät für Architektur.
einem Anteil von rund 8 Prozent der          Quartiergaragen, die durch heute schon       ­Bereits zu Beginn dieser Tätigkeit an der TU München
­gesamten globalen CO 2 -Emissionen zeigt    vorgesehene Höhen andere Nutzungen            entwickelte er den Begriff „ClimaDesign“.
 sich, dass der Einsatz dieser wertvollen    beherbergen können, oder Parkdecks auf        www.ibhausladen.de

16
Wohnbau ohne Tiefgarage – in Bad Aibling baute B&O einen ersten Prototypen für das Bauen über Parkplätzen.

                                                                                                             Einfach bauen 17
b au e n m it h o l z

Der Bausektor ist für einen Großteil unserer Treibhausgasemissionen und unseres
Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Wer mit Holz baut, kann wesentlich dazu
beitragen, diese Emissionen langfristig zu senken und das Klima zu schützen.

                                                            Der Wald in Deutschland wächst stetig.
                                                            Holzvorrat Deutschland
                                                               3,7 Milliarden m 3 Holzvorrat (2012)

                                                            + 121,6 Mio. m 3 jährlicher Zuwachs
                                                             – 76,0 Mio. m 3 Erntefestmeter

18
Holzkreislauf
                                                                  Wird Holz stofflich genutzt, bleibt der Kohlenstoff im Holz gespeichert.
                                                                  Wird Holz energetisch genutzt, wird der im Holz gespeicherte Kohlenstoff
                                                                  wieder als CO 2 an die Atmosphäre abgegeben. Deshalb ist es für den
                                                                  Klimaschutz am besten, Holz so lange wie möglich stofflich zu nutzen.

                                    CO 2
               Rohstoff
               Holz

                                                                   Nachhaltige
                                                                   Waldbewirtschaftung

                           Recycling
                           Rückgewinnung

                    Holzindustrie

                                           Nutzung                          CO 2

                                                                     Energetische
                                                                     Nutzung

bauen mit hol z schü t z t da s k lim a
Holz ist nachwachsender Rohstoff und Kohlenstoffspeicher zugleich

Klimaneutral bauen – Umwelt schützen            endlichen Rohstoffen wie Kunststoffen,            Bauen, eine hohe Qualitätssicherung und
Holz bezeichnet man im Hinblick auf die         Metallen oder mineralischen Baustoffen.           eine kürzere Bauzeit.
Treibhausgasemissionen als klimaneutral,                                                          Des Weiteren gilt es, die zu erwartenden
weil die Bäume im Wald der Atmosphäre           Im Wald wächst das Holz – ohne Ende               Lebenszykluskosten eines Gebäudes
CO2 entziehen und den Kohlenstoff im            Die Wälder in Europa werden schon seit            nicht nur auf den Betrieb und die Her­
Holz speichern. Wird das Holz danach            Hunderten von Jahren nachhaltig bewirt-           stellungs- und Errichtungskosten zu
genutzt – beispielsweise im Bau – so bleibt     schaftet. Dabei darf immer nur so viel            ­b erechnen, sondern auch die Entsorgung
der Kohlenstoff dauerhaft im Holz gespei-       Holz geerntet werden wie nachwächst.               miteinzubeziehen. Hier bietet das Bau­
chert. Ein Gebäude aus Holz fungiert            Und da in Deutschlands Wäldern mehr                produkt Holz durch die Möglichkeit des
damit wie der Wald als Kohlenstoffsenke.        Holz nachwächst, als geerntet wird, steigt         Recycling und der Wiederverwertung
Erst wenn das Holz im Wald zersetzt oder        der Holzvorrat stetig an.                          weitere Vorteile.
energetisch genutzt wird, wird der Kohlen­
stoff wieder freigegeben und es entsteht        Wirtschaftliche Vorteile                          Hohe Qualität – und schön!
erneut CO2 . Holz wirkt also, solange es        Wer mit Holz baut, kann auch wirtschaft-          Neben einer guten Ökobilanz bietet
stofflich genutzt wird, klimaentlastend.        lich profitieren. Oft wird angebracht, dass       der moderne Holzbau eine besondere
Im Gegensatz zu anderen Baustoffen wie          der Holzbau in der Errichtung noch bis zu         Ästhetik, eine hohe Ausführungsqualität
Ziegel oder Beton, die mit hohem ener­          10 Prozent teurer ist als ein kostenopti-         und, wenn das Holz sichtbar bleibt,
getischen Aufwand und entsprechend              mierter konventioneller Bau. Diese Mehr-          einen hohen Wohlfühlfaktor: Holz sieht
hohen CO2-Emissionen hergestellt werden,        kosten relativieren sich aber, wenn die           schön aus, fühlt sich gut an und riecht
übernimmt beim Holz diesen energeti-            Möglichkeiten der Vorfertigung und die            angenehm. Der moderne Holzbau hat
schen Aufwand die Kraft der Sonne.              damit verbundene Termin- und Kalkula-             sich längst in der zeitgenössischen Archi-
Gerade im Hinblick auf die knapper wer-         tionssicherheit mit in Betracht gezogen           tektur etabliert und bietet eine große
denden Ressourcen unserer Erde liefert          werden. Im Holzbau werden Wände und               Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten.
Holz eine nachhaltige Antwort. Wer mit          Decken in der Werkhalle vorfabriziert. Das        Das zeigen viele gebaute Beispiele im
Holz baut, vermeidet die Nutzung von            ermöglicht ein witterungsunabhängiges             In- und Ausland.

                                                                                                                                    Bauen mit Holz 19
wir br auchen mehr wohlfühlor t e
Gespräch mit Architekt Hermann Kaufmann

Für den Vorarlberger Architekten und TU-Professor Hermann
Kaufmann ist das Bauen mit Holz eine Selbstverständlichkeit.
Dass der Holzbau zunehmend auch in Deutschland an Bedeu-
tung gewinnt, ist unter anderem ihm und seinen Kollegen an der
TU München zu verdanken. Ein Gespräch über die Qualitäten
des Holzbaus und sein Zukunftspotenzial.

Warum sollen wir mit Holz bauen?              Wie sieht das konkret aus?
Als Architekt antworte ich: Holz ist ein      Wir haben schon einige Bauten mit Holz
wunderschönes Material. Das Material          gebaut und damit die gewohnte sterile
animiert zu vielfältiger Gestaltung und       Materialwelt der Moderne mit ihren glän-
ermöglicht durch seine Haptik, Optik und      zenden – oft auch sehr kalten, hellen –
Olfaktorik die Erzeugung ganz besonderer      Materialien überwunden. Wir brauchen
Atmosphären. Zu diesen Materialqualitäten     wieder mehr Wohlfühlorte. Das hat primär
kommen die ökologischen Aspekte hinzu.        mit Raumqualität zu tun, aber auch mit
Wir bauen mit einem Material, das von der     den verwendeten Materialien und den
Sonne erzeugt wird, und das ist im Hinblick   damit erzeugten Stimmungen. Wohlfühl­
auf die Ressourcenfrage relevant. Zudem       orte zu schaffen, gelingt auch ohne Holz,
ist es eine Tatsache, dass Holz in relativ    doch Holz hat zu diesem Thema spezielle
großer Menge vorkommt. Statt es zu            Qualitäten und Antworten parat. Wir ver­­
verbrennen, sollten wir es zuerst stofflich   suchen, unsere Bauten auch konstruktiv
verwenden. Das sind für mich zwei wesent-     in Holz umzusetzen. Solche Gebäude sind
liche Argumente für das Bauen mit Holz.       glaubwürdiger – im Gegensatz zu Häu-
                                              sern, bei denen die Holzoberflächen nur
Sie sprechen von der Atmosphäre in            appliziert sind. Gerade im Wohnbau stelle
Holzbauten. Wir alle kennen alte Bauern-      ich mit Bedauern fest, dass er von „Plastik“
häuser und wissen sofort, welche atmo-        dominiert ist. Das fängt bei der Fassade
sphärischen Qualitäten gemeint sind.          an, geht weiter über die Eingangstüre,
Aber kann auch der moderne Holzbau            die Treppenbeläge und zieht sich bis in die
diese erzeugen?                               Wohnung mit ihren Kunststofffenstern
Auch der moderne Holzbau ist in der Lage,     und kunststoffmodifizierten Anstrichen.
diese ganz besonderen Atmosphären zu          Wir müssen uns wieder auf die Ursprüng-
liefern. Das ist eine Frage der gekonnten     lichkeit von Materialien zurückbesinnen.       Hermann Kaufmann baut derzeit auf
Gestaltung. Immer mehr Menschen ent-                                                         dem B&O Parkgelände. Diese von ihm
                                                                                             entworfenen Wohnbauten erweitern
decken diese Architektur derzeit nicht nur    Sie haben bisher vor allem über Innenräume
                                                                                             die City of Wood gen Osten.
für Wohnen und Freizeit, sondern auch         gesprochen. Muss ein Haus aus Holz denn
für qualitativ hochwertige Arbeitsräume.      auch von außen als solches erkennbar
                                              sein?
                                              Für Holz gilt das Gleiche wie für alle ande-
                                              ren Materialien. Ein Gebäude zeigt in der
                                              Regel nicht, aus welchen Materialien es
                                              gebaut ist. So hat ein Haus, das konstruktiv
                                              aus Beton besteht, in der Regel auch keine
                                              Sichtbetonfassade oder ein Ziegelbau

20
keine Sichtziegelfassade. Die Forderung,       Die Nachfrage nach Holzbau ist da, das
dass ein Holzhaus immer eine Holzfassade       Wachstum wird stattfinden, das haben wir
haben muss, ist somit nicht nachvollzieh-      ja angestoßen. Die Pflanze ist gepflanzt,
bar. Es gibt Umgebungen, in denen natur-       hat sich in der Jugend gut ent­wickelt und
belassenes Holz als Haut die einzige richti-   hat jetzt ein großes Potenzial, erwachsen
ge Antwort ist, und es gibt solche, in die     zu werden.
das nicht passt. Dafür gibt es viele Gestal-
tungsmöglichkeiten. Eine Fassade aus           Das ist ein schönes Bild. Was braucht es
Holz kann auch mit einem Farbanstrich          denn vonseiten der Politik, damit mehr mit
behandelt sein, wie wir das aus vielen         nachwachsenden Rohstoffen gebaut wird?
Ländern kennen. Oder man wählt ein             Ich glaube, die Politik hat ihre Schuldigkeit
ganz anderes Kleid, ein farbbeständiges        fast getan. Sie ist auf den Zug aufgesprun-
Material für das Gebäude wie Metall und        gen. Die Aufgaben, die noch zu bewältigen
so weiter. Das ist immer eine Frage der        sind, sind einmal die Forcierung der Aus-
Einbettung der Architektur in den Ort.         bildungsmöglichkeiten entlang der ganzen
                                               Wertschöpfungskette Holz und die Schaf-
In Österreich, speziell in Vorarlberg, gibt    fung holzbaufreundlicher Rahmenbedin-
es eine jahrhundertealte Holzbautradi-         gungen im Bereich der Vergabe und des
tion. Inzwischen wird auch in Deutschland      Planungsprozesses, der seine Grundlage
mehr mit Holz gebaut. Kann man den             im herkömmlichen Bauen hat. Im Holzbau
Holzbau so ohne Weiteres exportieren           wird sehr viel vorgefertigt, da braucht es
oder braucht es vor Ort ein bestimmtes         andere Planungsprozesse, frühzeitigere
Verständnis und die Experten dazu?             Planungsentscheidungen. Vor allem bei
Ich würde sagen, wir sind in dieser Ent-       öffentlichen Bauten muss es möglich sein,
wicklung Vorreiter und ein paar Jahre          das gesamte Planungsteam sowie das
vo­raus. Auch in Vorarlberg war das Wissen     Holzbauwissen rechtzeitig einzubinden.
um den Holzbau vor dreißig Jahren genau-       Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aus-
so verkümmert wie anderswo. Wir haben          bildung. Und natürlich müssen in bestimm-
über viele Jahre den Holzbau in die Gesell-    ten Regionen die gesetzlichen Grundlagen
schaft getragen über ein geschlossenes         vereinfacht und standardisiert werden. Die
Netzwerk aus guten Architekten und             derzeitige Unübersichtlichkeit bei gesetz-
Handwerkern, aufgeschlossenen Bauher-          lichen Regeln und Normen ist nicht zweck-
ren und politischen Vertretern. Die gleiche    dienlich. In Österreich kann dataholz.eu,
Entwicklung findet heute in vielen Ländern     ein bauphysikalisch und ökologisch
statt – auch in Deutschland, und nicht         ­geprüfter Bauteilkatalog, als Grundlage
nur dort, wo es schon eine Holzbautra­          für die Nachweisführung gegenüber
dition gab. Holz wird wiederentdeckt.           Baubehörden herangezogen werden.
Expertentum wird entstehen, die Nach­           Das ist auch für Deutschland durch die
frage regelt das Angebot. Aber es braucht       TU München in Bearbeitung.
seine Zeit. Die Übergangsphase wird             Doch ich möchte noch einmal auf Ihre
herausfordernd, aber zu meistern sein.          erste Frage zurückkommen: Warum Holz-
                                                bau? Eine Chance für den Holzbau ist auch
Welche Chance hat denn der moderne              der moderne Bauprozess. Alles, was in der
Holzbau in Deutschland, sich als gleich-        Werkstatt gefertigt wird, ermöglicht hohe
wertiges Baumaterial zu etablieren?             Bauqualitäten durch Qualitätssicherung
Die Chance ist reichlich vorhanden. Die         und ein wesentlich friktionsfreieres Bauen,
Ressourcenfrage sowie der Zwang zu              als wir es derzeit auf den Baustellen erle-
klimaneutralem Verhalten ist gerade in          ben. Und für diejenigen Menschen, die nicht
Deutschland ein Zukunftsthema gewor-            auf die Baustelle wollen, gibt es wieder
den. Zahlreiche Referenzprojekte belegen,       mehr Möglichkeiten, im Handwerk oder in
dass es möglich ist, auch im großen Maß-        der Produktion beschäftigt zu sein.
stab in Holz zu bauen. Es gibt Firmen,
die sich auf den neuen Markt vorbereiten.
Diese Etablierung geht nicht von heute
                                               Hermann Kaufmann
auf morgen, es braucht andere Firmen-          stammt aus Vorarlberg. Er führt sein eigenes Archi-
konstellationen und eine Initiative, um        tekturbüro in Schwarzach und ist Professor an der
Fachkräfte in allen Bereichen auszubilden.     TU München für Entwerfen und Holzbau. Er setzt
Das Know-how muss mitwachsen. Ich              sich beständig für die technologische und architek-
                                               tonische Weiterentwicklung der modernen Holzbau-
vergleiche das gerne mit einem Baum.           architektur ein, ebenso wie für ihre Bedeutung und
Dieser wächst auch nicht in ein paar Tagen     Akzeptanz in Politik und Gesellschaft.
in den Himmel, er braucht seine Zeit.          www.hkarchitekten.at

                                                                                Bauen mit Holz 21
ein ganzes quar tier aus hol z
Wohnen im Prinz-Eugen-Park in München

Auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne in München
steht die größte zusammenhängende Holzbausiedlung Deutschlands.
Der Wohnbau auf dem Baufeld WA 13, den B&O als Generalunter-
nehmer für die städtische Wohnbaugesellschaft GEWOFAG errichtet
hat, ist mit seinen 181 Wohneinheiten und der zugehörigen Kinderta-
gesstätte das größte Bauwerk der ökologischen Siedlung. Er zeichnet
sich durch eine flexibel adaptierbare Grundrissstruktur und die
Bauweise als Holz-Hybridbau aus.

Der Städtebau                                         Brandschutzmaßnahmen aufwendiger
Die Stadt München will auf dem Gelände                sind) mit bis zu 2 Euro pro Kilogramm.
der Prinz-Eugen-Kaserne in München                    Zudem gab es die Auflage, dass das Holz
neue Maßstäbe in der nachhaltigen                     aus nachhaltiger Bewirtschaftung stam-
Stadtentwicklung setzen und hat für den               men muss, nicht weiter als 400 Kilometer
südlichen Bereich des Geländes die Auf-               von der Mustersiedlung entfernt geerntet
lage an die Grundstücksvergabe gebunden,              wurde und dass mindestens 50 Kilogramm
mit Holz zu bauen. Um die dadurch entste-             nachwachsende Rohstoffe pro Quadrat-
henden Mehraufwendungen zu kompen-                    meter Wohnfläche verbaut werden. Inzwi-
sieren, bezuschusst sie die Verwendung                schen sind alle acht Holzbauprojekte mit
von nachwachsenden Rohstoffen: bei                    insgesamt 566 Wohnungen der Muster-
Gebäuden mit bis zu drei Geschossen mit               siedlung fertiggestellt.
70 Cent pro Kilogramm, bei Projekten im
Geschoss­wohnungsbau (da hier die

Bauherr GEWOFAG Wohnen GmbH, München
Generalunternehmer B&O Gruppe, Bad Aibling
Generalplanung AIC Ingenieurgesellschaft, Dresden
Architektur Pakula & Fischer Architekten GmbH, Stuttgart
Brandschutz PHIplan, München
BGF oberirdisch 19.468,3 m 2
Anzahl Wohnungseinheiten 181
Öffentliche Einrichtung Kindertagesstätte
Gemeinschaftseinrichtungen Gemeinschaftsraum

22
Bauen mit Holz 23
Die Architektur
     Der Wohnbau an der südwestlichen Ecke
     des Areals ist mit seinen 181 Wohnein­
     heiten das mit Abstand größte Projekt
     der Mustersiedlung. Es ist ein fünfge-
     schossiger, teilweise höhengestaffelter
     Wohnbau mit Loggien und einer vorver-
     grauten Lärchenholzfassade. Dieser be-
     steht aus einem L- und einem U-förmigen
     Baukörper, die städtebaulich wie eine
     Blockrandbebauung angeordnet sind,
     wobei der Baukörper mit der öffentlichen
     Kindertagesstätte sich durch eine niedri-
     gere Gebäudehöhe deutlich vom Wohnbau
     abhebt. Die Grundrisse sind so gestaltet,
     dass sie flexibel adaptierbar sind. Die
     Bewohner sollen zukünftig ihre Wohn­
     fläche an die jeweilige Lebens­situation
     anpassen können, sie verkleinern oder
     durch Zusammenschluss zweier Einheiten
     vergrößern können. Um diese Flexibilität
     in der Grundrissgestaltung zu ermögli-
     chen, ist das statische Tragsystem einem
     Raster von 3,5 Metern untergeordnet,
     das auch in der Fassadenaufteilung und
     Fassadenverkleidung ablesbar ist.

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Kernzone             Wohnzone       Nebenzone
                                                                                       mit Treppenhaus      inkl. Küchen   inkl. Bädern
                                                                                                            und Loggien

                                                                                 Die Wohnungsgrößen sind veränderbar:
                                                                                 von der Ein- bis zur Vierzimmerwohnung

Die Konstruktion                              Der Bauprozess                                 der Installateur dann nur mehr die bereits
Über einer Tiefgarage aus Stahlbeton          Die Kombination aus Stahlbeton und             vorinstallierten Ver- und Entsorgungslei-
erhebt sich der Holz-Hybridbau. Um die        Holz­bau bot für dieses Bauvorhaben eine       tungen an das Hausnetz anschließen. Nach
gewünschte hohe Grundrissflexibilität         ideale Lösung für die wirtschaftlichen         den Bädern wurden die 11.000 Quadrat-
wirtschaftlich umsetzen zu können, wurde      und technischen Anforderungen vor allem        meter Außenwandflächen montiert. Die
ein Stahlbetonskelett mit Außenwänden         im Hinblick auf Schallschutz und Brand-        bis zu 12 Meter langen und geschoss­
in Holzbauweise kombiniert. Die nicht         schutz. Das Gebäude war in einzelne            hohen Fassaden­elemente waren inklusive
tragenden Außenwände sind hochge-             ­Bauabschnitte eingeteilt: Während beim        Fenstern, Türen und Holzfassade vorge-
dämmte Holztafelbauelemente. Diese             letzten Bauabschnitt noch die Rohbau-         fertigt. So konnte die Baustelle so schnell
                                               arbeiten durchgeführt wurden, wurden          wie möglich vor Witterung geschützt und
wurden geschossweise vorgefertigt und
                                               im mittleren Bauabschnitt die Fertig­bäder    die Belästigung der Anrainer so gering
an Decken und Stützen befestigt. Um
                                               eingehoben und im ersten Bau­abschnitt        wie möglich gehalten werden.
eine Fassade aus Holz bei einem mehr­
                                               bereits die Fassaden montiert.
geschossigen Wohnbau realisieren zu
                                               Dabei nutzte man die Vorteile der Vorfer-
können, braucht es zwischen den einzel-        tigung vor allem bei den Außenwänden
nen Geschossen Brandsperren, die die           aus Holz und den Fertigbädern.
Brandweiterleitung über die Fassade            Alle 181 Bäder wurden in einem Werk der
begrenzen können. Die baurechtlich             B&O Tochterfirma vorgefertigt und als
­erforderliche Konstruktion ist ein auskra-    Boxen über die noch offenen Fassaden in
 gendes Stahlblech, das in Brüstungshöhe       den Rohbau eingehoben. Die Bade­zim­mer
 eingebaut und zu einem gestaltprägenden,      waren bereits verfliest und komplett
 horizontal umlaufenden Band wurde.            feinmontiert. An Ort und Stelle musste

                                                                                                                           Bauen mit Holz 25
nachverdichten

Auf Kosten von Natur und Umwelt nehmen die Menschen immer mehr Fläche
für sich in Anspruch. Statt jeden Tag neue Flächen für Gebäude und Verkehr zu
­versiegeln, sollten wir der Zersiedelung der Landschaft Einhalt gebieten. Nur so
 gelingt es uns, einen dem Klimawandel angepassten, attraktiven Lebensraum
 für Mensch, Flora und Fauna zu schaffen. Gerade in der Nachverdichtung von
 bestehenden Siedlungen liegt dabei ein großes Potenzial.

                                                     Flächenverbrauch in Deutschland
                                                     Jeden Tag werden 56 Hektar Fläche
                                                     versiegelt, pro Jahr entspricht dies der
                                                     Fläche von Frankfurt am Main.

26
wir müssen unseren fl ächenverbr auch reduzieren
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger über nachhaltige Siedlungsentwicklung

Der NABU – Naturschutzbund Deutschland e. V. setzt sich für eine nachhaltige Sied-
lungsentwicklung ein, die eine Koexistenz von Mensch und Natur erlaubt. Diese ist
nur möglich, wenn der tägliche Flächenverbrauch reduziert wird und unbebauter
Boden als Kohlenstoffspeicher erhalten bleibt. Jörg-Andreas Krüger, Präsident des
NABU, beschreibt, wie ein nachhaltiges Bauen für Mensch und Natur aussehen kann.

Wohnfläche pro Person                                   In Deutschland verbrauchen wir immer                   Das trägt zur Grundwasserneubildung
Die Menschen in Deutschland nehmen immer mehr           noch mehr als 56 Hektar Fläche für Sied-              bei und mindert das Hochwasserrisiko.
Wohnfläche für sich in Anspruch. Dies liegt daran,
                                                        lungs- und Verkehrsflächen – jeden Tag.               Auf versiegelten Flächen anfallendes,
dass immer größere Wohnungen gebaut werden,
dass die Zahl der Single-Haushalte steigt, und ebenso   In Summe ergibt das pro Jahr eine Fläche,             knapper werdendes Regenwasser wird
an dem Umstand, dass ältere Menschen nach Auszug        die etwa so groß ist wie Frankfurt am                 hingegen teuer in der Kanalisation ent-
der Kinder oder dem Tod des Partners in der großen      Main. Es ist offensichtlich, dass dies eine           sorgt und diesem Kreislauf entzogen.
Wohnung wohnen bleiben.
                                                        schlechte, nicht zukunftsfähige Entwick-              Die starke Aufheizung versiegelter Flächen
Quelle: Statistisches Bundesamt
                                                        lung ist. Die ökologischen, ökonomischen              begünstigt vor allem in Ballungsräumen
                                                        und sozialen bzw. kulturellen Folgen des              die Hitzebelastung. Die Materialien spei-
                                                        Flächenverbrauchs für Mensch und Natur                chern auch nachts die Wärme und geben
                                                        sind gravierend. Unbebauter Boden ist                 sie nur langsam an ihre Umgebung ab.
                                                        der größte terrestrische Kohlenstoffspei-             Diese sich stauende Hitze wird im Zuge
     1991                    2018                       cher der Erde, sein Erhalt ist somit klima-           des Klima- und demografischen Wandels
    34,9 m2                 46,7 m2                     relevant. Wenn Boden versiegelt wird,                 zu weit mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen
                                                        verschwindet zunächst seine Funktion als              führen als bisher.
                                                        Lebensraum für Pflanzen und somit auch                Durch die Erschließung neuer Flächen
                                                        als Träger der Biodiversität. Sich in die             steigen des Weiteren die Ausgaben für
Anteil an Single-Haushalten in Deutschland              Landschaft ausbreitende Siedlungen und                Infrastruktur und die weiter werdenden
                                                        Straßen zerschneiden und isolieren Bio-               Wege führen zu einem erschwerten
                                                        tope und führen zur Verinselung von                   ­Anschluss für den ÖPNV und Radverkehr.
                                                        ­Artenvorkommen und somit zu einer Ver­-               Wenn Agrarflächen an Ortsrändern mit
                     40 %                                armung der genetischen Vielfalt.                      Neubaugebieten überzogen werden,
                                                         Zudem geht der Boden als wichtiger Teil               gehen einerseits die Flächen zur landwirt-
                                                         des Wasserkreislaufs verloren. Im Boden               schaftlichen Bewirtschaftung verloren,
                                                         versickert Regenwasser, Starkregen­                   andererseits führt das zum Aussterben der
                                                         ereignisse können gepuffert an tiefer                 Dorfkerne. Durch diesen „Donut-Effekt“
                                                         liegende Schichten abgegeben werden.                  gehen jahrhundertelang gewachsene
                                                                                                               ländliche Räume für immer verloren und
                                                                                                               das Landschaftsbild, wie wir es kennen,
                                                                                                               verändert sich nachhaltig.
Jörg-Andreas Krüger
ist Präsident des NABU – Naturschutzbund Deutsch-       und demografischen Wandel, müssen heute mit gut
land e. V., des ältesten und mit mehr als 770.000       überlegten Entscheidungen die Weichen für eine
Mitgliedern und Förderern mitgliederstärksten           gute Zukunft gestellt werden. Das Ziel dafür sind
Umweltverbandes in Deutschland.                         kompakte und intakte Siedlungen mit einer hohen
Der NABU steht mit seinem Motto „Für Mensch und         Qualität und Quantität an Grünflächen, kurzen
Natur“ für nachhaltige Siedlungen, die einen attrak-    ­Versorgungswegen, starkem ÖPNV und Radverkehr
tiven, an den Klimawandel angepassten Lebensraum         sowie einer Flächenkreislaufwirtschaft, in der die
für Menschen, Flora und Fauna bieten. Mit Blick auf      Außenentwicklung, also die immer weiter zuneh-
die großen Herausforderungen, wie Klimawandel,          mende Bebauung von Flächen der freien Landschaft,
Artensterben, Verkehrswende, Ressourcenknappheit        der absolute Ausnahmefall ist.

                                                                                                                                         Nachverdichten 27
Den täglichen Flächenverbrauch                   Auch die Politik ist gefordert                    Die öffentliche Hand sollte bei eigenen
reduzieren                                       Um diese Potenziale zu nutzen, ist zunächst       Projekten vorbildhaft agieren und darüber
In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie        eine Vielzahl gesetzlicher und politischer        hinaus private Investoren mit finanziellen
ist daher seit über 15 Jahren das Ziel for-      Änderungen nötig. Veraltete Gesetzes­             Anreizen zur Verwendung ökologischer
muliert, den täglichen Flächenverbrauch zu       texte, die eine Nutzungsmischung und die          Materialien animieren.
reduzieren. Seit der letzten Anpassung im        Erhöhung der baulichen Dichte verhin-             Bei einer „Modernisierungsoffensive“ ist
Jahr 2016 heißt das Ziel „unter 30 Hektar       dern, müssen zugunsten von kompakten               darauf zu achten, dass der Artenschutz
pro Tag bis 2030“.                              Siedlungen angepasst werden. Das kom-              am Gebäude nicht vernachlässigt wird.
Zwar konnte der Flächenverbrauch von            munale Vorkaufsrecht muss ausgebaut                Wir müssen weitere Dimensionen einbe-
rund 130 Hektar im Jahr 2000 bereits            werden, um bezahlbaren Wohnraum                    ziehen. So sind zur Erhöhung des Grün­
halbiert werden. Mit 56 Hektar ist er immer     ­herstellen zu können. Auch Bodenspekula-          anteils verpflichtende Fassaden- und
noch doppelt so hoch, wie die Nachhaltig-        tionen können hierdurch und durch die             Dachbegrünungen einzuführen, die neben
keitsstrategie zum gegenwärtigen Zeit-           Aussprache von Baugeboten, also eine              ökologischen Gunstwirkungen für Biodi-
punkt vorsieht. Das Grundrezept, um den          verpflichtende Bebauung nach Erlangung            versität und Luftreinhaltung auch ökono-
„Flächenfraß“ aufzuhalten, liefert das           der Baugenehmigung, unterbunden                   mische Vorteile bieten. Denn Gebäudegrün
Prinzip „Innen- vor Außenentwicklung“.         ­werden.                                            führt als „natürliche Klimaanlage“ zu einer
Dieses findet sich schon im ersten Para-                                                           Reduktion von Heiz- und Kühlkosten und
grafen des Baugesetzbuchs, der einen            Wir brauchen mehr Grünflächen                      erhöht die Lebensdauer von Gebäuden,
sparsamen Umgang mit Grund und Boden            Zur Erhöhung der Klimaresilienz unserer            indem es vor Verwitterung schützt.
sowie die Nutzung von Möglich­keiten der        Siedlungen brauchen wir ein Netz von
Nachverdichtung fordert, zudem Flächen          Grünflächen, die auch im Sinne sozialer            Synergien nutzen
des Außenbereichs unter besonderen              Gerechtigkeit für alle schnell erreichbar          Wir brauchen die gesellschaftliche Debat-
Schutz stellt und von einer Bebauung            sind. Deren gesamtgesellschaftliche                te jetzt, um unsere aktuelle Inanspruch-
freihalten soll. Es fehlen bis heute aber       ­Bedeutung wurde uns in den vergangenen            nahme von Flächen zu hinterfragen. Wenn
die Modelle für eine bedarfsorientierte          Monaten der COVID-19-Pandemie deutlich            wir es schaffen, ein Umdenken zu errei-
Verteilung auf regionaler und auf Länder-        vor Augen geführt. Damit künftig weniger          chen, unseren bereits beanspruchten Platz
ebene. Die Ratlosigkeit wird auch im Klima-      Treibhausgas emittiert wird, müssen               besser zu nutzen und im Einklang mit
schutzplan der Bundes­regierung deutlich:        unsere Gebäude energieeffizient moder-            Grün- und Freiflächen zu planen, können
Erst bis zum Jahr 2050 soll erreicht sein,       nisiert und unser Energieverbrauch gene-          viele Synergien genutzt werden, um die
dass keine neuen Flächen mehr verbraucht         rell reduziert werden.                            geschilderten Herausforderungen bewäl-
werden. Für den NABU ist klar: Das Problem       Unabhängig davon, ob Neubau oder Mo-              tigen zu können. Wenn uns das gelingt,
darf nicht weiter in die Zukunft geschoben       dernisierung: Der gesamte Lebenszyklus            ist unsere Vision lebenswerter Städte
werden – die „Netto-Null“ muss bereits           eines Gebäudes muss bedacht werden –              und Gemeinden für Mensch und Natur
viel früher, idealerweise bis 2030, erreicht     von der Planung, Nutzung und Erneuerung           möglich.
werden.                                          bis zum Ab- bzw. Rückbau. Nur so können
In der Praxis bedeutet diese „Netto-Null“,       ein nachhaltiger Ressourceneinsatz und
dass neue Bebauungen nur noch auf be-            CO 2 -Neutralität gesichert werden. Es
reits baulich genutzten Flächen im Innen-        sollten verstärkt umweltfreundlich recy-
bereich stattfinden und der Außenbereich         celte Materialien und nachwachsende
nur im absoluten Ausnahmefall und in             Rohstoffe zum Einsatz kommen, da sie
Verbindung mit einer gleichzeitigen Ent-         während ihrer Wachstumsphase der
siegelung an anderer Stelle in Anspruch        ­Atmosphäre CO 2 entziehen und es bis               Wohnfläche pro Person nach Haushaltsgröße
genommen werden darf. Diese „doppelte            zum Ende ihrer Lebenszyklen speichern.
Innenentwicklung“ schafft auf bereits
­versiegelten Flächen weitere Kapazitäten                                                          30,6 m²   48,0 m² 66,7 m²
 für Wohnen oder Gewerbe und schont die
 verbliebenen Grünflächen im Siedlungs-
 bereich, die einen enormen Beitrag zur
 Lärm- und Schadstofffilterung und Abküh-
 lung leisten. Die Potenziale sind riesig:
 Eine Studie der TU Darmstadt kommt zum
 Schluss, dass mit einer effektiven Nach-
 verdichtung allein durch Gebäudeauf­
 stockungen, die Umnutzung von Büro-
 und Gewerberäumen und die Aktivierung
 von Leerstand 2,3 bis 2,7 Mio. Wohnungen
 geschaffen werden können.

                                                                 Je mehr Personen in einem Haushalt leben, desto weniger Wohnfläche pro Person nehmen
                                                                 sie in Anspruch. Der Grund dafür ist, dass Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden.
                                                                 Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)

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