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Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle Rauchlose Tabakprodukte: Jede Form von Tabak ist gesundheitsschädlich Band 6 Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg
Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle Band 6: Rauchlose Tabakprodukte: Jede Form von Tabak ist gesundheitsschädlich © 2006, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg 1. Auflage: 2000 Zitierweise: Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Rauchlose Tabakprodukte: Jede Form von Tabak ist gesundheitsschädlich Heidelberg, 2006 Umschlagfoto: Martin Neudörfer, fine-art-fotostudio.de Gestaltung, Layout und Satz: komplus GmbH, Heidelberg Verantwortlich für den Inhalt: Deutsches Krebsforschungszentrum Stabsstelle Krebsprävention und WHO Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle Leiterin: Dr. med. Martina Pötschke-Langer Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg Telefon: 06221 - 42 30 07 Telefax: 06221 - 42 30 20 E-Mail: who-cc@dkfz.de Internet: http://www.tabakkontrolle.de
Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle Band 6 Rauchlose Tabakprodukte: Jede Form von Tabak ist gesundheitsschädlich Autoren (in alphabetischer Reihenfolge): Dr. Barbara Bertram, Heidelberg Cornelia Haid, Aurora, Colorado, USA Dr. Martina Pötschke-Langer, Heidelberg Dr. Katrin Schaller, Heidelberg PD Dr. Kurt Straif, MPH, PhD, Lyon, Frankreich Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg
Inhalt Kernaussagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Rauchlose Tabakprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2 Verbreitung rauchloser Tabakprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.3 Gesundheitsgefährdende Inhaltsstoffe rauchloser Tabakprodukte . . . . . 13 2.4 Zusatzstoffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3 Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabakprodukte. . . . . . . . . . . . . . . 17 3.1 Krebs der Mundhöhle und im Kopf- und Halsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.2 Krebs der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.3 Herz-Kreislauferkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.4 Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.5 Zahnfleisch und Zähne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.6 Diabetes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 4 Marketingstrategien der Hersteller rauchloser Tabakprodukte . . . . . . . . . . 23 4.1 Verkaufstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4.2 Rauchloser Tabak als Alternative zu Rauchwaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 5 Hilfsmittel bei der Rauchentwöhnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 6 Gesetzesinitiativen zur Regulierung rauchloser Tabakprodukte . . . . . . . . . . 31 6.1 USA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 6.2 Europäische Union und ihre Mitgliedsländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 7 Konsequenzen für die Tabakkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Inhalt 3
„Es gibt keine Parallele zu der Bedrohung, die der Tabak für die Gesundheit der Bevölkerungen weltweit darstellt. Der Tabak bringt jährlich etwa 4,2 Millionen Menschen um und ist damit weltweit die größte Einzeltodesursache.“ Prof. Dr. Gro Harlem Brundtland, 2002 Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation 98 „Tabak ist eindeutig das größte Desaster der öffentlichen Gesundheit im zwanzigsten Jahrhundert.“ Prof. Dr. Peter Boyle, 2004 Direktor der International Agency for Research on Cancer (IARC) der Weltgesundheitsorganisation 79 Kernaussagen Rauchlose Tabakwaren – also Kau-, Lutsch- und Schnupftabak – werden als we- niger gesundheitsschädliche Alternative zu Rauchwaren diskutiert. Sie enthal- ten aber gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe und das in ihnen enthaltene Nikotin macht süchtig. Die Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabakprodukte ist zwar geringer als durch Rauchtabak, diese Produkte sind aber keineswegs harmlos: Sie verur- sachen Krebs im Mundbereich, erhöhen das Risiko für Bauchspeicheldrüsen- krebs und Herz-Kreislauferkrankungen, gefährden die Schwangerschaft und das Ungeborene und schädigen Zahnfleisch und Zähne. Die Hersteller umwerben in den Ländern, in denen rauchlose Tabakwaren zuge- lassen sind, besonders intensiv Jugendliche und bieten insbesondere für diese Zielgruppe stark aromatisierte und sehr süße Einsteigerprodukte an. Weltweit konsumieren immer mehr Jugendliche rauchlose Tabakwaren. Die Produzenten preisen rauchlosen Tabak als gesündere Alternative zu Rauch- tabak und als Ausstiegshilfe für Raucher an. Tatsächlich ist es aber umstritten, ob rauchloser Tabak als Hilfe bei einem Rauchstopp geeignet ist. Vielmehr gibt es Hinweise dafür, dass der Konsum von rauchlosem Tabak die Wahrscheinlich- keit erhöht, mit dem Rauchen anzufangen. Zudem verstärkt der Konsum von rauchlosem Tabak die Nikotinabhängigkeit. Rauchloser Tabak sollte daher nicht als Hilfe bei einem Rauchstopp empfohlen werden. Das Verkaufsverbot von rauchlosem Tabak in der Europäischen Union sollte – insbesondere zum Schutz der Jugend – keinesfalls gelockert werden. Kernaussagen 5
1 Hintergrund Gerauchter Tabak ist in Deutschland vor legt, dass Zigarettenrauchen abhängig allem in Form von Zigarettenrauchen macht, wobei das Nikotin der für die die führende Ursache frühzeitiger Sterb- Entwicklung der Tabakabhängigkeit ent- lichkeit und er ist der bedeutendste ein- scheidende psychopharmakologisch zelne Risikofaktor für eine Reihe von wirksame Inhaltsstoff des Tabakrauchs zum Teil weit verbreiteten Krankheiten, ist 61,93,121. Zigaretten liefern eine Dosis darunter Herz-Kreislauferkrankungen, Nikotin direkt in die Mundschleimhaut Schlaganfall, chronisch-obstruktive Lun- und in die Lunge des Rauchers, wo es generkrankungen sowie Krebserkran- resorbiert wird und bereits innerhalb kungen in der Lunge, im Mund-, Nasen- von sieben bis zehn Sekunden über den und Rachenraum, in Kehlkopf, Speise- Blutkreislauf in das Gehirn gelangt. Dort röhre, Magen, Bauchspeicheldrüse, Le- stimuliert es Nikotinrezeptoren, die dar- ber, Niere, Harnblase und Gebärmutter- aufhin über chemische Reaktionen einen hals sowie bestimmte Formen der Leu- Nikotin-Kick erzeugen 61. kämie 36,72,78,124,126. Auch auf die Ent- Wie die meisten Abhängigkeiten ent- stehung von Brustkrebs scheint das steht die Tabakabhängigkeit multifakto- Zigarettenrauchen einen Einfluss zu riell. So sind neben der Wirkung des haben 49,90. Nikotins auch lernpsychologische und Weltweit starben im zwanzigsten Jahr- soziale Faktoren für die Entstehung einer hundert über 100 Millionen Menschen Sucht verantwortlich 8,11,15, die zusam- vorzeitig an den Folgen des Tabakkon- men mit den psychopharmakologischen sums und jährlich kommen etwa fünf Wirkungen des Nikotins eine starke Ge- Millionen neue Tabakopfer hinzu 44. In wöhnung des Rauchenden an die Ziga- der EU sind jedes Jahr etwa 650 000 rette bewirken. Erste Anzeichen einer Tabaktote zu beklagen 113 und allein in Tabakabhängigkeit können bereits inner- der Bundesrepublik versterben jährlich halb weniger Wochen nach Beginn eines schätzungsweise 110 000 bis 140 000 nur gelegentlichen Zigarettenkonsums Menschen an tabakbedingten Krankhei- auftreten 32. Wird über einen längeren ten 36,85,101,137. Zeitraum nicht geraucht, treten Entzugs- Raucher gefährden aber nicht nur ihre symptome wie Schlafstörungen, Kon- eigene Gesundheit, sondern auch die ih- zentrationsschwäche, Nervosität und rer nichtrauchenden Mitmenschen, die Unruhe auf 105. ungewollt Tabakrauch einatmen müs- Im Jahr 1991 wurde die Tabakabhängig- sen 31. An den Folgen des Passivrau- keit als Krankheit in die internationale chens sterben in Deutschland jedes Jahr Liste von chronischen Krankheiten (ICD- über 3300 Nichtraucher. Zusätzlich erkran- 10) aufgenommen 34. Bei Zugrunde- ken jedes Jahr viele Menschen infolge legung der Abhängigkeitskriterien der der Passivrauchbelastung an Herz-Kreis- ICD-10 muss davon ausgegangen wer- lauferkrankungen, chronisch-obstrukti- den, dass 70 bis 80 Prozent aller Raucher ven Lungenerkrankungen und Lungen- in Deutschland tabakabhängig sind 12. krebs 31. Die Nikotinsucht ist damit der entschei- Besonders problematisch ist das hohe dende Grund für die langfristige Auf- Suchtpotential, das Tabak birgt. Eine rechterhaltung des Tabakkonsums und Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten be- für die niedrigen Erfolgsquoten bei Aus- Hintergrund 7
stiegsversuchen 13,32. Das Abhängigkeits- Als eine weniger gesundheitsschädliche potenzial des Nikotins lässt Raucher trotz Alternative zu Rauchwaren stehen in der Aussicht auf schwerste Erkrankun- letzter Zeit verstärkt rauchlose Tabak- gen und Einschränkungen der Lebens- produkte in der Diskussion, da bei ihrem qualität weiter rauchen. Gebrauch – anders als bei Rauchwaren – Neben Nikotin enthält die Tabakpflanze nicht durch die Verbrennung des Tabaks krebserregende Nitrosamine. Zigaretten zusätzliche Giftstoffe entstehen. Rauch- enthalten zudem eine Vielzahl zellgiftiger lose Tabakwaren enthalten aber – genau- und krebserregender Substanzen, die so wie zum Rauchen bestimmter Tabak – zum Großteil erst bei der Verbrennung Nikotin sowie andere gesundheitsschäd- des Tabaks beim Rauchen entstehen. liche Inhaltsstoffe der Tabakpflanze. Sie Über 70 der mehr als 4800 Substanzen bergen ein hohes Suchtpotential, kön- im Tabakrauch 35,60,65,68 sind nachge- nen gefährliche Krankheiten auslösen wiesenermaßen krebserregend oder sie und sind daher sehr kritisch zu bewer- stehen im Verdacht, Krebs zu erzeu- ten. gen 60,71,139. 8 Hintergrund
2 Rauchlose Tabakprodukte 2.1 Definition Erzeugnisse, die ganz oder teilweise aus Aus der Tabakpflanze (Nicotiana taba- Tabak bestehen, sei es in Form eines cum) werden durch Trocknen und Fer- Pulvers oder feinkörnigen Granulats mentieren der Blätter verschiedene Ta- oder einer Kombination dieser Formen, bakwaren hergestellt. In Deutschland insbesondere in Portionsbeuteln bzw. dürfen dem Tabak die durch die Tabak- porösen Beuteln, oder in einer Form, die verordnung vom 20. Dezember 1977, zu- an ein Lebensmittel erinnert, mit Aus- letzt geändert am 22. Februar 2006 22, nahme von Erzeugnissen, die zum Rau- zugelassenen Stoffe zugesetzt werden chen oder Kauen bestimmt sind.“ Artikel sowie alle Stoffe, die im Tabak auch 8 der Richtlinie verbietet „das Inverkehr- natürlicherweise vorkommen. bringen von Tabak zum oralen Ge- Tabakerzeugnisse sind entsprechend brauch“ 42. Artikel 2 der EU-Richtlinie 2001/37/EG, Eine Übersicht über die nicht zum Rau- Amtsblatt EG Nr. L 194 vom 18.07.2001 chen bestimmten Tabakprodukte gibt „… Erzeugnisse, die zum Rauchen, Abbildung 1. Der Begriff „Snuff“ kann Schnupfen, Lutschen oder Kauen be- für Verwirrung sorgen, da er uneinheit- stimmt sind, sofern sie ganz oder teil- lich gebraucht wird: In Europa bezeich- weise aus Tabak bestehen, und zwar net er Schnupftabak, in den USA hinge- unabhängig davon, ob der Tabak gen- gen oralen Tabak. technisch verändert ist oder nicht.“ Darunter fallen neben den weit verbrei- Schnupftabak teten Rauchwaren (Zigaretten, Zigarren, Schnupftabak ist ein rauchloses Tabak- Zigarillos, Pfeifentabak, Feinschnitt) produkt, das in einer Prisengröße von 30 auch die seltener konsumierten, nicht bis 50 Milligramm in die Nase eingezo- zum Rauchen bestimmten Produkte wie gen („geschnupft“) und nach kurzer Zeit Kau-, Lutsch- und Schnupftabak. durch Schneuzen wieder entfernt wird. Schnupftabak ist ein feines Pulver, das In Bayern ist diese Form des Schnupf- speziell zum Einsaugen in die Nase pro- tabaks als Schmalzler bekannt, in Groß- duziert wird. Kau- und Lutschtabak wer- britannien wird er als Snuff bezeichnet. den oral verwendet, wobei die EU- Während im Schmalzler überwiegend Richtlinie 2001/37/EG in Artikel 2, Absatz dunkle nikotinreiche Brasiltabake ver- 4 Lutschtabak gesondert definiert: „Im wendet werden, kommt im Snuff auch Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Orienttabak zur Verwendung. Beiden Ausdruck ‚Tabak zum oralen Gebrauch‘ werden verschiedene Zusatzstoffe bei- alle zum oralen Gebrauch bestimmten gefügt. Dazu gehören verschiedene Aro- Abbildung 1: Überblick über die verschie- denen rauchlosen Tabakpro- Schnupftabak Lutschtabak Kautabak dukte, Quelle: Pöschl Tabak, „Schmalzler“ fermentiert (Bayern) Trocken „Dry Snuff“ * (USA) Platten „plug“ 2006 102 und US Department Snuff* (Mitteleuropa) fermentiert Feucht „Moist Snuff”* (USA) Loseblatt „loose leaf“ of Health and Human Schnupftabak alter Art Feucht, unfermentiert „Snus“ gedreht oder gerollt „twist“, Services, 1981 121, Bearbei- fermentiert oder unfermentiert (Schweden) „roll“ tung: Deutsches Krebsfor- schungszentrum, Stabsstelle * „Snuff“ in Europa ist Schnupftabak, „Snuff“ in den USA ist Lutschtabak. Krebsprävention 2006. Rauchlose Tabakprodukte 9
men wie Menthol oder Pfefferminzöl, bleibt. Die Snuffsorten sind unterschied- sowie Kräuter, getrocknete Früchte, Pa- lich zusammengesetzt: In Europa wird raffin- und Salzlösung. In Deutschland hauptsächlich gebeizter, mit Aromastof- regelt die Tabakverordnung diese Bei- fen versetzter Tabak eingesetzt. In Indien mischung 22. Der Feuchtigkeitsgehalt und Saudi Arabien wird sonnengetrock- des Produkts liegt bei 20 Prozent. neter Tabak mit pulverisiertem gelösch- Verbreitet ist Snuff vor allem unter tem Kalk verwendet und in Afrika lutscht Männern in Mitteleuropa. Hauptabsatz- man mit Pflanzenasche gelöschten gebiete sind Deutschland, England, Tabak. Frankreich, Italien, Österreich, Schweiz, Polen und die Tschechische Republik. Snus Eine besondere Form des Lutschtabaks Kautabak ist der schwedische „Snus“, der wie die Kautabak wird, wie der Name bereits anderen Lutschtabake in einer Backen- sagt, gekaut. Vor allem in skandinavi- tasche deponiert wird. Snus gibt es in schen Ländern werden die gesponnenen Schweden bereits seit 200 Jahren. Die Tabakblätter stark soßiert, also mit be- schwedische Regierung hat sich mit sonderen Flüssigkeiten behandelt, die Erfolg dem 1992 ausgesprochenen Aroma-, Farb- und Konservierungs- Verbot von Snus in der EU (Artikel 2.4 stoffe, Mittel zur Fermentation, Kochsalz der Direktive 92/41/EEC) widersetzt: und Soda enthalten. Die Aromaträger Schweden ist das einzige Land der EU, sind Auszüge aus Pflaumen, Rosinen, in dem dieser Tabaktyp verkauft werden Feigen, Datteln, Zitronen, Ananas und darf. anderen Früchten. Verwendet werden Snus ist ein gemahlenes, feuchtes Ta- außerdem Nelken, Zimt, Lorbeerblätter, bakprodukt auf der Grundlage von luft- Anis, Wacholder und Pfefferminz, Bie- getrocknetem Tabak mit einem Feuchtig- nenhonig, Kandissirup, Traubenzucker, keitsgehalt von 30 bis 60 Prozent, das Bonbonsirup, Lakritze, Jamaica-Rum, mit Salzen wie Natriumcarbonat und Madeira- und Samosweine 9. In den Natriumchlorid sowie mit Aromastoffen USA bestehen Kautabakprodukte übli- versetzt wird (45 bis 60 Prozent Was- cherweise aus losen, stark angefeuchte- ser, 1,5 bis 3,5 Prozent Natriumchlorid, ten Tabakblättern oder gepressten Plat- 1,5 bis 3,5 Prozent Feuchthaltemittel, ten. 1,2 bis 3,5 Prozent Natriumbicarbonat 1938 betrug die Kautabakproduktion und weniger als ein Prozent Aroma- 125 Millionen Packungen. In den achtzi- stoffe 47). Der Gehalt an freiem Nikotin ger Jahren des letzten Jahrhunderts variiert sehr stark: In Abhängigkeit vom wurden jährlich 1,4 bis 4 Millionen pH-Gehalt des Tabaks liegt er zwischen Packungen bei etwa 100 000 Priemen 0,23 Prozent und 68 Prozent (Abb. 2). abgesetzt. Heute spielt diese Variante Der niedrige Nikotingehalt einiger dieser des rauchlosen Tabaks nur noch eine Produkte kommt jugendlichen Einstei- untergeordnete Rolle. gern entgegen, da ein niedriger Nikotin- gehalt weniger Übelkeit und Schwindel Lutschtabak auslöst. Stark nikotinhaltige Produkte Lutschtabak, der auch als „Oral Snuff“ dagegen werden eher von älteren bezeichnet wird, gibt es in trockener und Gewohnheitskonsumenten konsumiert. feuchter Form. Die feuchten „Moist Snus-Konsumenten nehmen im Durch- Snuffs“ haben einen Feuchtigkeitsgehalt schnitt etwa 50 bis 75 Milligramm von 20 bis 50 Prozent, während der Nikotin am Tag auf, was circa 30 bis trockenere „Dry Snuff“ nur vier bis 40 Zigaretten entspricht 57. sechs Prozent Feuchtigkeit enthält 21. Snus wird vor allem im skandinavischen Lutschtabak wird zwischen Unterlippe Raum, insbesondere Schweden (20 Pro- und Zahnfleisch oder zwischen Zahn- zent Männer und zwei Prozent Frauen), fleisch und Mundschleimhaut ge- aber auch in den Vereinigten Staaten klemmt, wo er bis zu 30 Minuten ver- konsumiert. 10 Rauchlose Tabakprodukte
pH-Wert Feuchtigkeit mittlerer Gehalt an freies Nikotin Abbildung 2: in Prozent Nikotin in Prozent in Prozent pH-Wert, Feuchtigkeitsge- Copenhagen Snuff 8,2 54 2,30 58,70 halt, Gehalt an gebundenem Skoal Bandits Straight 5,5 49 1,55 0,31 und freiem Nikotin in ver- Skoal Bandits Wintergreen 6,7 50 1,42 6,37 schiedenen Handelssorten Skoal Long Cut Wintergreen 7,8 54 2,41 37,30 von Snus, Quelle: US Kodiak Wintergreen 8,4 53 1,83 68,10 Department of Health and Hawken Wintergreen 5,2 25 0,45 0,23 Human Services, 1999 127, Bearbeitung: Deutsches Krebsforschungszentrum, Stabsstelle Krebsprävention 2.2 Verbreitung rauchloser unter Jugendlichen. Konsumierten 1970 2006. Tabakprodukte vor allem ältere Männer (über 55 Jahre) diesen Tabak, waren 1985 die Haupt- Verbreitung von Moist Snuff und Snus konsumenten jünger als 19 Jahre. innerhalb der USA Im Jahr 1970 konsumierten lediglich Bis zum Ende des neunzehnten Jahr- 0,3 Prozent der Jugendlichen Moist hunderts war rauchloser Tabak die ge- Snuff, im Jahr 1985 waren es bereits bräuchliche Form des Tabakkonsums – 2,9 Prozent 122. Entsprechend einer inzwischen verdrängte das Zigaretten- Befragung von Jugendlichen in den rauchen diesen fast vollständig. Daran USA zu ihren Erfahrungen mit rauchlo- waren drei Ursachen maßgeblich be- sem Tabak 99 an der Middle School teiligt: (13 bis 14 Jahre) und der High School 1. die Anti-Spuck-Gesetze zur Eindäm- (15 bis 18 Jahre) hatten demnach be- mung der Tuberkulose (Kautabak führt reits 9,5 Prozent der Schüler an der zu einer starken Produktion von Spei- Middle School und 18 Prozent der chel, dessen man sich sehr sorglos Schüler an der High School erste prak- durch Spucken auf den Fußboden ent- tische Erfahrungen mit rauchlosem ledigte), Tabak gemacht, wobei sie oft schon im 2. die maschinelle Fertigung von Ziga- Kindesalter mit dem Konsum angefan- retten (Verbilligung der Zigaretten), gen haben. Vor dem elften Lebensjahr 3. die kostenlose Verteilung von Ziga- probierten 3,7 Prozent der Schüler an retten an Soldaten insbesondere wäh- der Middle School und 2,9 Prozent rend der Weltkriege. derer an der High School rauchlosen Tabak. Vor allem Jungen versuchten Zu Ende der 1960er Jahre waren daher rauchlosen Tabak, Mädchen viel selte- nur noch fünf Prozent der in den USA ner. An der High School probierten verkauften Tabakwaren rauchloser Ta- etwa doppelt so viele Jungen rauchlose bak. Einige Hersteller wollen dies mit Tabakprodukte wie an der Middle Hilfe massiver Werbekampagnen wie- School (29 Prozent zu 14,8 Prozent), bei der ändern – und sie haben dabei Er- den Mädchen ist die gleiche Tendenz zu folg: Der Verkauf von Oraltabak stieg von beobachten, allerdings etwas weniger 1978 bis 1984 um 55 Prozent an: von ausgeprägt (6,8 Prozent zu 4,3 Prozent). 23,7 Millionen Pfund im Jahr 1978 auf Mehr als doppelt so viele Jungen 37,1 Millionen Pfund im Jahr 1984 28. Im konsumieren häufig rauchlosen Tabak Jahr 2004 konsumierten in den Vereinig- (3,8 Prozent in der High School und ten Staaten von Amerika 70,3 Millionen 1,7 Prozent in der Middle School), bei Menschen (29,2 Prozent der über 12-Jäh- den Mädchen liegen die Prozentzahlen rigen) Tabak in irgendeiner Form 111, bei 0,2 Prozent in der High School und 7,2 Millionen Amerikaner (3 Prozent der 0,4 Prozent in der Middle School über 12-Jährigen) verwendeten rauch- (Abb. 3). losen Tabak 111. Auch im Erwachsenenalter konsumie- Sehr bedenklich ist dabei die zuneh- ren in den USA mehr Männer (5,1 Pro- mende Verbreitung von Moist Snuff zent) als Frauen (0,3 Prozent) rauchlo- Rauchlose Tabakprodukte 11
sen Tabak 123,125. Die ungleiche Verbrei- Oklahoma, Tennessee, West Virginia) tung von Moist Snuff und ähnlichen und in mehreren Staaten des Mittleren Produkten in der Bevölkerung liegt zu Westens (Nord- und Süddakota, Mon- einem großen Teil daran, dass derzeit tana, Nebraska) sowie in Wyoming und ausschließlich Männer im Visier der Alaska konsumieren über zehn Prozent Werbung für rauchlose Tabakprodukte der High-School-Schüler rauchlose stehen. Tabakprodukte, in den anderen Staaten Auffällig sind auch starke regionale liegt dieser Prozentsatz deutlich darun- Unterschiede im Tabakverzehr: In eini- ter 52 (Abb. 4). gen Südstaaten (Alabama, Kentucky, Abbildung 3: Konsum rauchloser Tabak- produkte von Jugendlichen in den USA im Alter von 13 bis 18 Jahren oben: Prozentzahl der Jugendlichen in der Middle- und Highschool, die rauch- lose Tabakprodukte probiert haben, differenziert nach Geschlecht Mitte: Prozentzahl der Jugendlichen in der Middle- und Highschool, die bereits vor dem elften Lebensjahr rauchlose Tabakprodukte probiert haben, differenziert nach Geschlecht unten: Prozentzahl der Jugendlichen in der Middle- und Highschool, die häufig (an mehr als 20 der letzten 30 Tage) rauchlose Tabak- produkte konsumieren, dif- ferenziert nach Geschlecht, Quelle: Office on Smoking and Health, Youth Tobacco Surveillance, 2001 99, Be- arbeitung: Deutsches Krebs- forschungszentrum, Stabs- stelle Krebsprävention 2006. 12 Rauchlose Tabakprodukte
Verbreitung von Moist Snuff und mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Entste- Snus innerhalb Europas hung von Krebserkrankungen im Mund-, Empirische Daten über den Konsum Nasen- und Rachenraum führt 140. In- von rauchlosem Tabak in Europa liegen zwischen sind zahlreiche Erkenntnisse nur für die Länder Österreich, Däne- über die gesundheitsschädlichen Wir- mark, Finnland, Frankreich, Island, Ir- kungen hinzugekommen. Eine interna- land, Italien, Norwegen, Schweden und tionale Gutachtergruppe der Interna- Großbritannien vor 43. Abgesehen von tional Agency for Research on Cancer den skandinavischen Ländern, insbe- (IARC) stellt derzeit eine umfassende sondere Schweden, ist der Konsum von Arbeit zum Thema orale Tabakprodukte rauchlosem Tabak innerhalb Europas zusammen, die kurz vor ihrer Voll- derzeit verschwindend gering. Auffällig endung steht 81. sind jedoch die sprunghaft gestiegenen Hauptverantwortlich für die gesund- Prävalenzwerte bei Kindern und Ju- heitsgefährdenden Wirkungen des Ta- gendlichen 43. bakkonsums ist das Nikotin: Zum einen macht es abhängig, zum anderen ist es 2.3 Gesundheitsgefährdende Ausgangspunkt für die Bildung der Inhaltsstoffe rauchloser Tabak- tabakspezifischen Nitrosamine (TSNA), produkte die verschiedene Krankheiten auslösen, Bereits vor fast 50 Jahren wurde darauf vor allem bösartige Geschwülste 60. hingewiesen, dass rauchloser Tabak In der Tabakpflanze, die einen leicht Bundesstaat weiblich männlich gesamt Alabama 0,7 19,7 10,5 Alaska 6,2 15,6 11,2 Arizona 1,3 8,4 4,8 Delaware 0,9 5,8 3,4 Florida 1,3 8,1 4,8 Georgia 1,3 13,9 7,6 Idaho 2,0 9,0 5,7 Indiana 1,2 13,1 7,2 Kentucky 3,4 23,5 13,7 Maine 0,9 7,4 4,3 Massachusetts 1,7 6,4 4,1 Michigan 2,9 10,0 6,5 Mississippi 1,0 15,5 8,2 Missouri 0,9 10,3 5,7 Montana 5,3 20,4 13,2 Nebraska 2,8 17,0 10,1 Nevada 1,1 6,1 3,6 New Hampshire 1,1 7,3 4,3 Abbildung 4: New York 1,6 6,7 4,2 Prozentsatz der Jugend- North Dakota 4,1 15,9 10,3 lichen in der Highschool Ohio 3,0 12,8 8,0 (Klassenstufe 6 bis 12) im Oklahoma 1,7 23,0 12,7 Jahr 2003 in den USA, die Rhode Island 2,0 7,0 4,6 rauchlose Tabakprodukte South Dakota 6,7 23,5 15,3 konsumieren; differenziert Tennessee 2,7 21,4 12,1 nach Geschlecht und Texas 1,6 11,6 6,8 Bundesstaat, Quelle: Utah 1,2 4,9 3,1 Grunbaum et al., 2004 52, Vermont 1,3 8,7 5,2 Bearbeitung: Deutsches West Virginia 3,3 23,3 13,6 Krebsforschungszentrum, Wisconsin 2,4 13,1 7,9 Wyoming 5,0 21,1 13,3 Stabsstelle Krebsprävention 2006. Rauchlose Tabakprodukte 13
sauren pH-Wert aufweist (circa 6,5), Entstehung tabakspezifischer Nitrosami- liegt die Pflanzenbase Nikotin haupt- ne lässt sich durch Sterilisation der Ta- sächlich als Salz vor (Abb. 5). In dieser bakblätter verringern. Die wichtigsten Form wird es vom Körper nicht resor- tabakspezifischen Nitrosamine sind N- biert. Je höher der pH-Wert des Tabaks Nitrosonornikotin (NNN); 4-(Methyl-Ni- liegt (über pH 7), desto größer wird der trosamino)-1-(3-Pyridyl)-1-Butanon (NNK); Anteil des freien Nikotins, das in dieser N-Nitrosoanatabin (NAT) (Abb. 6). Form leicht und schnell vom Körper Die tabakspezifischen Nitrosamine wer- aufgenommen wird und über das Blut den im Körper verstoffwechselt und ins Gehirn gelangt. Da das Suchtpoten- können dann – falls sie nicht entgiftet zial des Tabakprodukts steigt, je schnel- werden – mit der Erbsubstanz DNA und ler das Nikotin aufgenommen wird, mit dem Hämoglobin des Blutes in macht sich die Tabakindustrie diese Wechselwirkung treten. Dabei entste- chemische Reaktion zwischen Nikotin- hen so genannte DNA-Addukte 50,60, salz und freiem Nikotin zunutze und also DNA Bausteine, die infolge der Re- setzt dem Tabak Substanzen zu, die sei- aktion mit den Nitrosaminen ein An- nen pH-Wert erhöhen und das Nikotin hängsel tragen und dadurch in ihrer in die freie, leicht verfügbare Form Funktion beeinträchtigt sind. Der überführen. Körper kann diese Addukte zwar repa- So beschreibt die Swedish Tobacco rieren, indem er die Anhängsel wieder Company ihren Produktionsprozess fol- abspaltet. Versagen aber sowohl die gendermaßen: „Um das Nikotin aus Entgiftung der verstoffwechselten Ni- dem Tabak freizusetzen, wird der Snuff trosamine als auch die Reparatur der leicht alkalisch gemacht – während des DNA-Addukte, können die DNA-Adduk- Produktionsprozesses wird Natrium- te zu genetischen Veränderungen (Mu- karbonat, das sich in Bikarbonat um- tationen) der Zelle führen und letztlich wandelt, zugesetzt.“ Und: „Natriumbi- eine Krebszelle entstehen lassen. karbonat (NaHCO3), das den pH-Wert Tabakspezifische Nitrosamine verursa- erhöht, führt dazu, dass das Nikotin chen bei Versuchstieren gutartige und leichter aus dem Tabak freigesetzt wird bösartige Geschwülste der Nase, der und anschließend begünstigt es die Lunge, der Luftröhre, der Leber und der Aufnahme des Nikotins durch die Speiseröhre. Zudem werden sie mit Mundschleimhaut“ 27. Tumorerkrankungen von Rauchern und Das Nikotin und verwandte Tabak- von Konsumenten von rauchlosem Ta- inhaltsstoffe können zudem mit Nitrit, bak in Verbindung gebracht 59. das aus dem natürlich in der Pflanze Einen besonders hohen Gehalt an vorkommenden Nitrat entsteht, eine tabakspezifischen Nitrosaminen hat der chemische Reaktion eingehen (Nitrosie- im Sudan beliebte „Toombak“, ein dem rung). Dabei entstehen die krebserzeu- schwedischen Snus eng verwandtes genden tabakspezifischen Nitrosamine. Produkt. Diese Tabaksorte, bei der eine Sie kommen im grünen Tabak nicht vor, andere Tabakart (Nicotiana rustica) ver- sondern treten erst infolge der Fermen- arbeitet wird 70 als bei den anderen tation oder Weiterverarbeitung auf. Die Oraltabaksorten, ist ein durch Mischen Abbildung 5: Freisetzung von Nikotin aus seiner Salzform durch Ein- wirkung basischer Substan- Reaktion mit Pflanzensäuren Nikotin, Nikotin - Salze zen und Bildung von Niko- Freie Base ionisiert Reaktion mit basischen Verbindungen tinsalzen durch Reaktion (z.B. Ammoniak) von Nikotin mit Säuren, Salze entstehen bei der Reaktion von Basen mit Säuren. Quelle: Eigene Darstellung, In der Tabakpflanze liegt Nikotin sowohl in freier Form als Base als auch in ionisierter Form als Salz vor. Deutsches Krebsforschungs- Basische Verbindungen, wie z.B. Ammoniak, setzen die Base Nikotin aus der ionisierten (Salz-)Form frei. zentrum, Stabsstelle Krebs- Freies Nikotin wird vom Körper schneller aufgenommen als Nikotinsalz. prävention 2006. 14 Rauchlose Tabakprodukte
mit einer wässrigen Natriumbikarbo- natlösung sehr feuchtes und stark alka- lisches Produkt: Sein Feuchtigkeits- gehalt liegt zwischen 6 und 60 Prozent, sein pH-Wert zwischen acht und elf 70. Abbildung 6: Durch den hohen pH-Wert des Toom- Nitrosierung von Nikotin in bak, der zur schnelleren Freisetzung Tabak, Quelle: Hoffmann von Nikotin aus seinen Salzen führt et al., 1997 67, Bearbeitung: (Abb. 5), ist auch der Nikotingehalt die- Deutsches Krebsforschungs- ser Kautabaksorte hoch (8 bis 102 Milli- zentrum, Stabsstelle Krebs- gramm pro Gramm Trockengewicht). prävention 2006. Ein hoher Nikotingehalt wiederum führt zu höheren Werten tabakspezifischer Lorbeerblätter, Anis, Wacholder und Nitrosamine. In Toombak liegt der Pfefferminz sowie zuckerhaltige Stoffe TSNA-Gehalt für NNN bei 420 bis wie Bienenhonig, Maissirup, Trauben- 1550 Mikrogramm pro Gramm Trocken- zucker und Karamel finden Verwen- gewicht, für NNK bei 620 bis 7870 Mi- dung 128. krogramm pro Gramm Trockengewicht In Deutschland sind die Substanzen, die und für NAT bei 20 bis 209 Mikro- als Zusatzstoffe von Tabak zugelassen gramm pro Gramm Trockengewicht 70 sind (immerhin einige Hundert), in der (Abb. 7). Tabakverordnung des Lebensmittel- und Ein hoher Gehalt an tabakspezifischen Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) Nitrosaminen im Tabak zieht ein größe- geregelt. In Anlage 1 der bundesdeut- res Risiko nach sich, an Mundhöhlen- schen Tabakverordnung sind folgende krebs zu erkranken. So liegt das relative Stoffe als Zusatzstoffe zu Tabak zuge- Erkrankungsrisiko für Mundhöhlen- lassen: Aromen, chemisch undefinierte krebs für Toombak-Konsumenten zwi- Gemische wie Früchte, Gewürze, Süß- schen 7,3 und 73, für Snus-Konsumen- holz, Lakritze, Kaffee, Tee, Kakao, Spiri- ten liegt es bei fünf bis sechs 70. tuosen, Wein, Honig, Melasse, Stärke. Außerdem dürfen Feuchthaltemittel, 2.4 Zusatzstoffe Klebe-, Haft- und Verdickungsmittel so- Neben den besonders gefährlichen wie für Zigarettenpapier und Filter ver- tabakspezifischen Nitrosaminen sind im schiedene Farb- und Konservierungs- Tabak noch zahlreiche weitere Sub- stoffe zugefügt werden. In Anlage 2 der stanzen enthalten, die der Gesundheit Verordnung sind die Stoffe aufgeführt, schaden können. Die Tabakindustrie die als Zusatz zu Tabak verboten sind. setzt ihren Produkten etliche Substan- In der EU steht eine solche Liste noch zen zu, um sie für die Konsumenten aus. „Bis zur Erstellung dieser Liste […] attraktiver zu gestalten (Abb. 8). können die Mitgliedstaaten das Verbot So erhöhen die zugesetzten Ge- der Verwendung von Inhaltsstoffen vor- schmackskorrigenzien den Anreiz für sehen, die die süchtig machende den Konsum rauchloser Tabakprodukte. Wirkung von Tabakerzeugnissen ver- Dazu gehören Vanille, Kirsche, Eukalyp- stärken…“ (Absatz 25 der Begründung tus, Lavendel, Zitrone, Fruchtauszüge der EU-Direktive). aus Pflaumen, Rosinen, Feigen, Datteln, Anders als bei gerauchten Tabakwaren Zitronen, Ananas, und Extrakte aus werden die Zusatzstoffe bei rauchlosem anderen Früchten. Auch Nelken, Zimt, Tabak nicht durch einen Verbrennungs- Abbildung 7: Vorkommen tabakspezifi- scher Nitrosamine in Toom- bak, Quelle: Idris et al., Tabakspezifische Nitrosamine in Toombak in µg/g 1998 70, Bearbeitung: N-Nitrosonornikotin (NNN) 420 – 1550 Deutsches Krebsforschungs- 4-(Methyl-Nitrosamino)-1-(3-Pyridyl)-1-Butanon (NNK) 620 – 7870 zentrum, Stabsstelle Krebs- N-Nitrosoanatabin (NAT) 20 – 209 prävention 2006. Rauchlose Tabakprodukte 15
prozess, der aus harmlosen Substanzen rischen Ölen und anderen Geschmacks- krankheitserregende Stoffe entstehen korrigenzien durchaus denkbar, die lässt, verändert. Dennoch sind Reak- unter Umständen zu giftigen Substan- tionen zwischen den Inhaltsstoffen des zen führen können. Tabaks und denen von Früchten, äthe- Zusatzstoffe Vorkommen Verwendung Ascorbinsäure Cerealien, Früchte, Säfte Benzoesäure Früchte Backwaren, Cerealien, Fette und Öle, Süßigkeiten Cognacöl Likör, Getränke, Backwaren, Kaugummi, Gewürze Dextrose Früchte, Säfte, Fleischprodukte, Würzmittel, Nussprodukte Essig Ketchup, Pickles Ethylalkohol Getränke, Ahornsirup, Süßigkeiten Eukalyptus Grapefruitsaft, Früchte Backwaren, gefrorene Milchdesserts, Kaugummi FD&C Rot No. 40 Backwaren, Cerealien, Früchte, Säfte, Getränke, Pudding FD&C Gelb No. 5 Backwaren, Cerealien, Pasta, Käse, Fleischprodukte Fructose Honig, Früchte Glyzerin Fleisch, Garnierung, Backwaren, gefrorene Milchprodukte, alkoholische Getränke Gummiarabikum Backwaren, Milchprodukte, Fette und Öle Honig Invertzucker Backwaren, gefrorene Milchdesserts, Getränke Kaffee-Extrakt Backwaren, gefrorene Milchdesserts, Süßigkeiten Kakaopulverextrakt Kakao, Backwaren, Konfekt, gefrorene Milchdesserts, Getränke Karamel Backwaren, Getränke, gefrorene Milchdesserts, Süßigkeiten Maissirup Backwaren, Cerealien, Getränke, Süßigkeiten, Soßen Malzextrakt Backwaren, Cerealien, Gewürze, Milchprodukte, Süßigkeiten Menthol Backwaren, Getränke, gefrorene Milchdesserts, Kaugummi, Pudding Mineralöl Kaugummi, Backwaren, Süßigkeiten, Essig, Wein Orangenöl Backwaren, gefrorene Milchdesserts, Frucht- und Wassereis, Süßigkeiten Pfefferminzöl Backwaren, gefrorene Milchdesserts, Fleischprodukte, Gelatine, Pudding, Getränke Phosphorsäure Backwaren, Fleischprodukte, Süßigkeiten, Gelatine, Pudding Portwein alkoholische Getränke Propionsäure gefrorene Milchdesserts, Gelatine, Pudding, Süßigkeiten Abbildung 8: Raucharoma Backwaren, Käse, Fleischprodukte, Gewürze, Soßen Auszug aus der Liste der Rum alkoholische Getränke 562 Zusatzstoffe, die zehn Schokoladenlikör Schokolade amerikanische Tabakfirmen Sherry-Konzentrat häufiges Aroma in Nahrungsmitteln ihren rauchlosen Tabak- Sorbinsäure Backwaren, Würze, Aromastoffe produkten zusetzen, Quelle: Tabakextrakt US House of Representa- Vanillin Backwaren, Zuckerguss, Süßigkeiten tives, 1994 128, Bearbeitung: Whiskey alkoholische Getränke Deutsches Krebsforschungs- Zimt Süßigkeiten, Getränke, Backwaren, Gelatine, Soße zentrum, Stabsstelle Zitronensäure Pasta, Fette und Öle, Fleisch, Gemüse, Backwaren, Krebsprävention 2006. Süßigkeiten 16 Rauchlose Tabakprodukte
3 Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabak- produkte Der Konsum rauchlosen Tabaks ist krebs- Rauchloser Tabak enthält mindestens erzeugend. Zu diesem Schluss kamen 20 bekannte Kanzerogene, darunter Ben- amerikanische Experten bereits in den zo[a]Pyren, Nitrosamine sowie das radio- 1980er Jahren 122. Im „Code against Can- aktive Isotop Polonium 210 43,64,66 cer and Scientific Justification” der Euro- (Abb. 9). päischen Union nehmen Experten zu Verantwortlich für die kanzerogene Wir- rauchlosem Tabak folgendermaßen Stel- kung des Oraltabaks sind in erster Linie lung: „Es gibt deutliche wissenschaftliche die tabakspezifischen Nitrosamine 59. Nachweise dafür, dass rauchloser Tabak Aber auch das im Tabak enthaltene auch mit einem erhöhten Krebsrisiko ein- süchtig machende Nikotin 61,93,121 hat hergeht, egal ob er gelutscht, gekaut oder vielfältige Wirkungen. Nikotin bindet an inhaliert wird“ 19. Nikotin-Acetylcholin-Rezeptoren, die im Substanz Konzentration [ng/g] Tabakart, in der die Substanzbestimmt wurde Benzo[a]pyren > 0.1–90 NT, MS, DS Cumarin 600 NT Ethylcarbamat (Urethan) 310–375 KT Flüchtige Aldehyde Formaldehyd 1600–7400 NT, MS, DS Acetaldehyd 1400–27400 NT, MS, DS Crotonaldehyd 200–2400 MS, DS Flüchtige N-Nitrosamine N-Nitrosodimethylamin ND–270 KT, MS N-Nitrosopyrrolidin ND–860 KT, MS N-Nitrosopiperidin ND–110 KT, MS N-Nitrosomorpholion ND–690 KT, MS N-Nitrosodiethanolamin 40–6800 KT, MS N-Nitrosaminsäuren N-Nitrososarcosin (NSAR) ND–6300 MS Tabakspezifische N-Nitrosamine (TSNA) N’-Nitrosonornikotin (NNN) 400–3085000 KT, MS Abbildung 9: 4-(Methylnitrosamino)-1-(3-Pyridyl)- Liste der kanzerogenen 1-Butanon (NNK) ND–7870000 KT, MS Substanzen in rauchlosem N’-Nitrosoanabasin vorhanden–2370000 RT, MS Tabak, Quellen: Brunne- Anorganische Substanzen mann et al. 20, International Arsen 500–900 NT Agency for Research on Nickel 180–2700 RT, MS Cancer 1987 83, 1990 84, Radioaktive Elemente [pCi/g] 1993 73, 1995 74, 1999 75, Polonium-210 0.16-1.22 NT, MS, DS 2000 76, 2001 77, 2006 80–82, Uranium-235 2.4 MS Bearbeitung: Deutsches Uranium-238 1.91 MS Krebsforschungszentrum, ND nicht nachweisbar; NT Natürlicher Tabak; RT Rauchtabak; MS Moist Snuff; DS Dry Snuff; KT Kautabak Stabsstelle Krebsprävention 2006. Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabakprodukte 17
Zentralnervensystem und in allen Orga- Auswirkungen rauchloser Tabakwaren nen zu finden sind. Auf diesem Weg durchgeführt. Erschwert wird die Aus- beeinflusst es zahlreiche autonome und wertung der vorliegenden Publikationen sensorische Funktionen und kann auch zudem durch die stark unterschiedliche verschiedene Krankheiten verursachen. Zusammensetzung der Produkte, insbe- Bisher wurden verhältnismäßig wenige sondere wegen ihres deutlich variieren- Studien speziell zu den gesundheitlichen den Gehalts an krebserregenden Nitro- Abbildung 10: Veränderungen der Mundschleimhaut durch den Gebrauch von rauch- losem Tabak, Quelle: US Department of Health and Human Services, 1986 122, Bearbeitung: Deutsches Krebsforschungszentrum, Stabsstelle Krebsprävention 2006. 18 Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabakprodukte
saminen. In Indien, wo die Prävalenz dort die Inzidenz von Mundhöhlenkrebs von Krebs im Mundbereich besonders verhältnismäßig niedrig ist 29, und es hoch ist, wird rauchlosem Tabak außer- erfordert Studien mit sehr großen Pro- dem zumeist Betel zugesetzt, der auch bandenzahlen, um zuverlässige Aus- für sich allein krebserregend sein kann. sagen zu erzielen. Aus der aktuellen Datenlage zeichnet Durch den Konsum von Snus entstehen sich aber ab, dass rauchlose Tabakpro- auf der Mundschleimhaut weiße Fle- dukte Krebs im Mundbereich, Pankreas- cken, so genannte Leukoplakien 43. Die- krebs und möglicherweise weitere se Schäden sind ein früher Hinweis auf Krebsarten verursachen. Darüber hinaus ein erhöhtes Risiko, an Mundhöhlen- wurden ungünstige Auswirkungen auf krebs zu erkranken 18. Abbildung 10 gibt das Herz-Kreislaufsystem, die Schwan- einen Überblick über die Veränderungen gerschaft und den Glukosestoffwechsel der Mundschleimhaut durch den Ge- beobachtet. brauch von rauchlosem Tabak 122. Wegen des sehr stark unterschiedlichen 3.1 Krebs der Mundhöhle und Nikotingehalts der verschiedenen Pro- im Kopf- und Halsbereich dukte variiert auch deren Gehalt an Tabakprodukte – auch nicht gerauchte – tabakspezifischen Nitrosaminen und sind wegen ihres Gehalts an tabakspezi- damit auch die krebserzeugende Wir- fischen Nitrosaminen (TSNA) krebserre- kung: So weisen 60 Prozent der Ver- gend. Diese Verbindungen, die in rauch- wender eines Produkts mit sehr hohem losem Tabak in unterschiedlicher Kon- TSNA-Gehalt („Kopenhagen“) Schleim- zentration enthalten sind, verursachen hautschäden auf, die zu Krebs führen Krebserkrankungen im Mundbereich. können, aber nur fünf Prozent der Kon- Studien aus Indien belegen eindeutig sumenten von „Hawken“, einem Pro- eine krebserregende Wirkung der dort dukt mit sehr viel niedrigeren TSNA- verwendeten rauchlosen Tabakproduk- Werten 127 (Abb. 11). te 29,33. Tabakkauen ist mit einem bis zu Zwei groß angelegte, in Schweden sechsfach erhöhten Risiko für Mundhöh- durchgeführte Studien zu einem mög- lenkrebs verbunden 33. Auch für Krebs lichen Zusammenhang zwischen rauch- der Zunge und des Zahnfleischs wurde losem Tabak und Mundhöhlen- und ein Zusammenhang mit Tabakkauen ge- Kehlkopfkrebs fanden ein für ehemalige funden 29. Zwischen dem im Sudan ver- Snus-Konsumenten deutlich erhöhtes wendeten Toombak, der einen beson- relatives Erkrankungsrisiko für Krebs im ders hohen Gehalt an Nitrosaminen hat, Mundbereich 89,106. und Krebs im Mundbereich besteht ein deutlicher Zusammenhang 29. Circa 3.2 Krebs der 80 Prozent der Patienten mit Mund- Bauchspeicheldrüse (Pankreas) höhlenkrebs im Sudan verwenden Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine Toombak 70. Mehrere amerikanische besonders heimtückische Krebsart, die Studien weisen auf einen Zusammen- sehr schnell zum Tod führt. Eine Ex- hang zwischen rauchlosem Tabak und pertengruppe der International Agency Mundhöhlenkrebs hin 25. Schwedische for Research on Cancer der Weltgesund- Studien liefern weniger eindeutige Er- heitsorganisation schloss im Jahr 2004 gebnisse. Das liegt zum Teil daran, dass aus verschiedenen Studien, es gebe Abbildung 11: Vorkommen tabakspezifi- scher Nitrosamine in Snus, Quelle: Idris et al., 1998 70, Tabakspezifische Nitrosamine in Snus in µg/g Bearbeitung: Deutsches N-Nitrosonornikotin (NNN) 5–9 Krebsforschungszentrum, 4-(Methyl-Nitrosamino)-1-(3-Pyridyl)-1-Butanon (NNK) 1–2 Stabsstelle Krebsprävention N-Nitrosoanatabin (NAT) 2–5 2006. Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabakprodukte 19
„ausreichend Hinweise, dass rauchloser Nikotin schädigt die Gefäße und ver- Tabak oralen Krebs und Bauchspeichel- stärkt durch seine Wirkung auf den drüsenkrebs beim Menschen verur- Fettstoffwechsel und die Blutgerinnung sacht“ 25. So zeigte sich in einer in arteriosklerotische Prozesse 88. Zum Ein- Norwegen an 10 136 Männern durchge- fluss des Gebrauchs von rauchlosem führten Studie für Snus-User nach Kon- Tabak auf das kardiovaskuläre System trolle der Rauchgewohnheiten ein er- gibt es bisher zwar nur wenige valide höhtes Risiko, an Pankreaskrebs zu er- Studien, aber es zeichnet sich ab, dass kranken 16,63. Eine andere Studie aus ein Zusammenhang zwischen rauchlo- verschiedenen Staaten der USA zeigte sem Tabak und kardiovaskulären ein 40 Prozent höheres Risiko bei Erkrankungen bestehen könnte 30. Das Verwendern rauchlosen Tabaks, an die- Risiko für ungünstige kardiovaskuläre ser Tumorart zu erkranken als bei Wirkungen scheint aber beim Konsum Nichtverwendern 2. rauchlosen Tabaks geringer zu sein als Ein Zusammenhang zwischen der Ver- beim Zigarettenrauchen 6. wendung von rauchlosem Tabak und Eine Studie an über 135 000 Männern in Krebs in anderen Organen – insbeson- Schweden zeigte bei Verwendern von dere Speiseröhrenkrebs – wird gegen- rauchlosem Tabak nur einen geringen, wärtig erforscht. allerdings statistisch signifikanten An- stieg an Herz-Kreislauferkrankungen (re- 3.3 Herz-Kreislauferkrankungen latives Risiko = 1,4) im Vergleich zu Nikotin gelangt nach dem Konsum von Männern, die keinen Tabak konsumiert Abbildung 12: rauchlosem Tabak zwar etwas langsa- hatten. Bei 35- bis 54-Jährigen waren Nikotingehalt im Blut nach mer und in etwas geringerem Ausmaß die Effekte stärker ausgeprägt, sie hat- dem Konsum von Zigaret- ins Blut als nach dem Rauchen einer ten ein relatives Risiko von 2,1 an Herz- ten, rauchlosem Tabak und Zigarette, die Nikotinkonzentration sinkt Kreislauferkrankungen zu erkranken. Ein Nikotinkaugummi, Quelle: jedoch nach dem Genuss von rauchlo- noch höheres Erkrankungsrisiko hatten Benowitz et al., 1988 14, sem Tabak langsamer ab; dadurch sind Raucher 17 (Abb. 13). Bearbeitung: Deutsches Konsumenten von rauchfreien Tabak- Zwei Krebspräventionsstudien in den Krebsforschungszentrum, produkten insgesamt einer höheren USA an über 12 Millionen Männern und Stabsstelle Krebsprävention Nikotinexposition ausgesetzt als Rau- Frauen, die eine mit 12 Jahren, die zwei- 2006. cher 14 (Abb. 12). te mit 18 Jahren Beobachtungszeit, ergaben für Männer, die Snuff oder Kau- tabak konsumierten, ein höheres Risiko, an kardiovaskulären Erkrankungen zu sterben 62. 3.4 Schwangerschaft Da Nikotin durch die Plazenta in den Blutkreislauf des Fetus gelangt, weisen die Feten tabakabhängiger Frauen hohe Nikotinwerte auf; auch das Stillen trägt zu einer erhöhten Nikotinkonzentration im Blut von Babys bei 4. Eine vorgeburt- liche Exposition gegenüber Nikotin kann sich negativ auf die Entwicklung des Un- geborenen auswirken, wie Tierversuche gezeigt haben 39. Nikotin bindet an Nikotin-Acetylcholin-Rezeptoren im Ge- hirn, was zahlreiche Wirkungen nach sich zieht 110. So kann es die Gehirn- struktur und die Neuroregulation verän- dern. Nikotinrezeptoren spielen auch bei der Steuerung der Atmung vor und nach 20 Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabakprodukte
Abbildung 13: Relatives Risiko (RR) von Rauchern und Nichrauchern im Alter von 35 bis 54 Jah- ren, an ischämischen Herz- erkrankungen zu sterben, 95 Prozent Konfidenzinter- vall, Quelle: Bolinder et al., 1994 17, Bearbeitung: Deutsches Krebsforschungs- zentrum, Stabsstelle Krebs- prävention 2006. der Geburt eine Rolle 56. Rauchen in der len könnte. Auch bei indischen Frauen, Schwangerschaft erhöht das Risiko für die rauchlosen Tabak konsumieren, ist Fehl-, Früh- und Totgeburten 3,23,55,87,103, das Risiko für eine Totgeburt ähnlich 108,109 und für die perinatale Sterblich- hoch wie bei rauchenden Frauen 54. keit 5. Außerdem sind Kinder rauchender Mütter oftmals kleiner und haben häufig 3.5 Zahnfleisch und Zähne ein geringes Geburtsgewicht 125,138. Der Gebrauch von rauchlosem Tabak hat Rauchloser Tabak hat ähnliche Wirkun- neben dem bereits erwähnten Krebs im gen auf das Ungeborene wie Rauchen. Mundbereich weitere negative Wirkun- Babys, deren Mütter während der gen auf die Mundgesundheit. So stellten Schwangerschaft rauchlosen Tabak kon- bereits in den 1980er Jahren mehrere sumiert hatten, wogen bei einer in Studien in den USA bei 25,6 bis 60 Pro- Schweden durchgeführten Studie im zent der jugendlichen Snuff-User einen Schnitt 40 Gramm weniger als Babys Rückgang des Zahnfleisches (Paro- von Nichtkonsumentinnen 38; indische dontose) fest 122. Die Parodontose Neugeborene von Müttern, die rauchlo- scheint irreversibel zu sein und ist beim sen Tabak konsumierten, wogen durch- Gebrauch loser Tabakblätter stärker aus- schnittlich 105 Gramm weniger als die geprägt als bei der Verwendung von Kinder von Nichtkonsumentinnen 53. Portionsbeuteln 7. Schädigungen des Rauchlose Tabakprodukte erhöhen au- Zahnfleischs treten bei regelmäßigen ßerdem das Risiko für Früh- und Tot- Konsumenten verstärkt in den Bereichen geburten: Schwedische Frauen, die des Mundes auf, in dem der Tabak depo- rauchlosen Tabak benutzen, haben ein niert wird 104. etwa doppelt so hohes Risiko für eine Auch die Zähne leiden unter dem Ge- Frühgeburt wie Frauen, die weder rau- brauch von rauchlosem Tabak. So haben chen noch rauchlosen Tabak konsumie- Konsumenten von rauchlosem Tabak ren; das Risiko für Frühgeburten ist bei häufiger Schäden durch Karies an den Konsumentinnen rauchlosen Tabaks Zähnen, wobei ein Zusammenhang zwi- etwa gleich hoch wie bei mäßigen bis schen der Tabakdosis und Karies be- starken Raucherinnen 38. Die Autoren steht: Je mehr Tabakpäckchen pro Wo- der schwedischen Studie vermuten, che konsumiert werden, umso höher ist dass das Nikotin bei dem erhöhten das Kariesrisiko 120. Verantwortlich für Risiko für Frühgeburten eine Rolle spie- das erhöhte Kariesrisiko unter Konsu- Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabakprodukte 21
menten von rauchlosem Tabak ist ver- an 3384 schwedischen Männern im Alter mutlich der zum Teil sehr hohe Zucker- von 25 bis 74 Jahren keinen signifikan- gehalt der Tabakprodukte. ten Einfluss von Snus auf das Diabe- tesrisiko 37. Einer anderen Untersuchung 3.6 Diabetes zufolge an 3128 über fünfunddreißigjäh- Die Wirkung rauchlosen Tabaks auf die rigen Männern, von denen die Hälfte Entstehung von Diabetes ist noch nicht eine familäre Vorgeschichte von Dia- eindeutig geklärt. Möglicherweise be- betes hatte, erhöht Snus hingegen das steht ein krankheitsfördernder Effekt nur Risiko fast um das Dreifache, an Dia- bei starken Konsumenten oder bei einer betes zu erkranken 100. Dieser Befund ist familiären Veranlagung zu Diabetes 47. von besonderer Bedeutung, da Diabe- Die wenigen Studien zur Wirkung rauch- tiker ein höheres Risiko haben, eine Viel- losen Tabaks auf das Risiko, an Diabetes zahl von Gefäßerkrankungen zu erlei- zu erkranken, brachten unterschiedliche den. Ergebnisse. So fand eine Untersuchung 22 Gesundheitsgefährdung durch rauchlose Tabakprodukte
4 Marketingstrategien der Hersteller rauchloser Tabak- produkte Die Tabakindustrie sieht ihre Absatz- 4.1 Verkaufsstrategien märkte gefährdet, da immer mehr Rau- Die Tabakindustrie verfolgte in den cher infolge erfolgreicher Tabakpräven- 1970er Jahren auf dem amerikanischen tionsmaßnahmen erwägen, mit dem Markt das Ziel, das negative Image des Rauchen aufzuhören. Daher versucht sie rauchlosen Tabaks – er galt als alt, pro- zum einen, neue Konsumenten zu ge- vinziell, unsauber und schmuddelig – winnen, wobei sie in erster Linie Kinder durch attraktive Attribute – maskulin, und Jugendliche umwirbt. Zum anderen cool, stark, abenteuerlustig, fit, erfolg- möchte sie mit rauchlosem Tabak einen reich – zu ersetzen. Umfassende Marke- fast verschwundenen Markt wieder bele- tingmaßnahmen wurden eingeleitet, um ben. Dabei behaupten die Hersteller, das Produkt in allen sozialen Schichten rauchloser Tabak sei weniger gesund- und Regionen gesellschaftsfähig zu heitsgefährdend als gerauchter Tabak. machen 41. So warb beispielsweise US Smokeless In den USA haben sich die Werbe- Tobacco im Jahr 1984 für „Skoal ausgaben für Moist Snuff von 1990 auf Bandits“: „Nimm einen Beutel anstatt 2001 vervierfacht, dagegen kommen die einen Zug“, der suggeriert, dieser Tabak Werbeaufwendungen der Tabakindustrie sei gesünder als Rauchtabak. Daher ver- für Kau- und Schnupftabak zusammen bot der Staatsanwalt des Staates New auf einen Anteil von unter einem Pro- York im Juni 1984 diesen Werbespruch zent der Werbeaufwendungen 45. Im mit dem Hinweis: „Der Slogan beinhal- gleichen Zeitraum stieg der Absatz von tet, wenn er ohne weitere Einschrän- Moist Snuff deutlich an, der Absatz kung gebraucht wird, das Produkt sei anderer rauchloser Tabakprodukte hin- eine sichere Alternative zum Zigaretten- gegen blieb unverändert oder sank rauchen, obwohl es das nicht ist“ 40. sogar noch ab 45 (Abb. 14). Jahr Verkauf in Pfund Verkauf in US-Dollar Werbeausgaben in US-Dollar 1985 121 449 115 730 618 970 80 068 229 1986 118 778 334 797 777 885 76 676 706 1987 116 540 281 852 717 347 67 777 044 1988 114 433 782 901 654 382 68 223 671 1989 116 440 365 981 637 304 81 200 611 1990 117 415 326 1 091 170 201 90 101 327 1991 120 110 686 1 237 961 670 104 004 040 Abbildung 14: 1992 118 372 693 1 361 360 729 115 346 708 Verkauf von rauchlosem 1993 115 888 785 1 475 460 518 119 230 826 1994 115 495 201 1 612 098 989 125 972 408 Tabak und Werbeausgaben 1995 116 387 464 1 735 840 489 127 323 282 für rauchlosen Tabak in den 1996 116 404 222 1 790 406 160 123 877 458 USA von 1985 bis 2001, 1997 113 975 148 1 817 508 055 150 426 310 Quelle: Federal Trade Com- 1998 110 036 380 1 886 328 217 145 486 899 mission, 2003 45, Bearbei- 1999 109 401 055 1 940 736 017 170 213 761 tung: Deutsches Krebsfor- 2000 111 741 335 1 988 875 535 224 582 757 schungszentrum, Stabsstelle 2001 112 193 550 2 127 520 387 236 676 917 Krebsprävention 2006. Marketingstrategien der Hersteller rauchloser Tabakprodukte 23
Zielgruppe Jugendliche bevor sie sich überhaupt an die Wirkung Um Jugendliche zu erreichen und das des Nikotins gewöhnen konnten. Zudem neue Image zu vermitteln, bediente sich wird bei den Einsteigerprodukten der die Tabakindustrie vorwiegend des bittere Tabakgeschmack durch den Zu- Sports 26. Seit den 1970er Jahren konnte satz verschiedener Aromastoffe und viel sie Profisportler aus allen populären Zucker überdeckt. Angeboten werden Sportarten als Werbefiguren gewin- die Geschmacksrichtungen Lychee, Va- nen 86. Das ist besonders fatal, da die nille, Zitrone, Eukalyptus und andere populären Sportler Vorbilder für Fitness, mehr 26. Wenn sich Einsteiger erst ein- Erfolg, Stärke und Anerkennung sind. mal an den Tabak gewöhnt haben, sol- Bis zum Abschluss des Smokeless len sie dann im Laufe der Zeit zu Tobacco Master Settlement im Jahr Produkten mit höherem Nikotingehalt 1998, einer freiwilligen Vereinbarung wechseln 27. zwischen der Tabakindustrie und den Die US Tobacco Company verfolgt seit amerikanischen Bundesstaaten, die Ta- den frühen 1980er Jahren gezielt eine bakwerbung einzuschränken, verteilten Gewöhnungsstrategie („graduation stra- die Hersteller in den USA bevorzugt bei tegy“), was in folgendem Dokument der großen Sportveranstaltungen, sozialen Tabakindustrie zum Ausdruck kommt: und kulturellen Events oder bei Konzer- „Neue Konsumenten von rauchlosem ten Probepackungen rauchloser Tabak- Tabak – die sich aus verschiedenen produkte in großem Stil 26. Zudem wur- Gründen für die Produktkategorie inter- den kostenlose Proben auf dem Campus essieren – beginnen wahrscheinlich mit von Schulen und Universitäten verteilt. Produkten, die milder schmecken, stär- Diese Strategie zielte vor allem auf ker aromatisiert sind und/oder leichter junge Menschen ab: Der soziale Druck im Mund zu handhaben sind. Nach einer auf Jugendliche, die überreichten Pro- gewissen Zeit wechseln sie in einem duktproben an Ort und Stelle auszupro- natürlichen Prozess zu geschmacksin- bieren, ist groß, da sie vor Freunden tensiveren und weniger aromatisierten nicht als Feiglinge erscheinen wollen. Marken, die einen stärker konzentrierten Gerade junge Männer sprechen gut auf Tabakgeschmack haben als die Ein- maskuline Attribute an. Um rauchlose stiegsmarke“ 91. Tabakprodukte mit Maskulinität in Ver- Die Produkte werden entsprechend be- bindung zu bringen, zeigte die Werbung worben. So warb US Tobacco Company Cowboys im harten Alltagsleben oder für sein leichtes Einsteigerprodukt Skoal andere durchtrainierte Männer in ge- Bandits mit dem Slogan: „Wir stellen fährlichen, kraftzehrenden Situationen Skoal Bandits Straight vor. Es war nie (Abb. 15). Das runde Design der Moist- leichter, rauchlosen Tabak zu genießen.“ Snuff-Dosen, das sich durch das fort- Das starke Produkt Copenhagen mit währende Tragen im Laufe der Zeit als einem um ein Vielfaches höheren Niko- weißer Kreis auf der hinteren Hosen- tingehalt wurde hingegen folgenderma- tasche der Blue Jeans abzeichnete, galt ßen angepriesen: „Früher oder später ist schon bald als Symbol für Männlichkeit. es Copenhagen.“ 27 Die Gewöhnungs- strategie funktioniert wie vorgesehen: Gewöhnungsstrategie Die Konsumenten wechseln tatsächlich Um den Einstieg in den Konsum von mit zunehmender Nikotinabhängigkeit rauchfreiem Tabak zu erleichtern, ent- von leichten Einsteigerprodukten auf zu- wickelten die Produzenten spezielle Ein- nehmend stärkere Produkte 116. steigerprodukte mit niedrigem Nikotin- gehalt, da ein hoher Nikotingehalt Sponsoring Schwindelgefühle und Übelkeit verursa- Eine weitere Strategie der Tabakindus- chen kann. Dieser Effekt könnte poten- trie, ihre Produkte bekannter und attrak- tielle Einsteiger beim Gebrauch zu star- tiver zu machen, ist das Sponsoring 26. ker Produkte möglicherweise gleich wie- Das Sponsoring verknüpft Produktattri- der vom weiteren Konsum abhalten, bute mit Lebensstil und Veranstaltun- 24 Marketingstrategien der Hersteller rauchloser Tabakprodukte
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