Ein umfassendes Behandlungskonzept für die Parodontaltherapie - DG PARO
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ZM_06_2021_S00042.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:48; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien 42 | ZAHNMEDIZIN NEUE S3-LEITLINIE „DIE BEHANDLUNG VON PARODONTITIS STADIUM I BIS III“ – EINFÜHRUNG Ein umfassendes Behandlungskonzept für die Parodontaltherapie Moritz Kebschull, Søren Jepsen, Bettina Dannewitz Nach der neuen Klassifikation parodontaler Erkrankungen aus dem Jahr 2018 hat die European Federation of Periodontology (EFP) im vergangenen Jahr den nächsten großen Meilenstein gesetzt: eine Leitlinie zur Parodontitis- therapie der Stadien I-III. Damit liegt nun erstmals ein umfassendes Konzept für die gesamte Therapiestrecke der Erkrankung vor. Dieses Konzept ist im Februar 2021 in Deutschland als S3-Leitlinie veröffentlicht worden. Wir stellen Informationen zur neuen Leitlinie in fünf Autorenbeiträgen in diesem Heft und den folgenden Ausgaben vor. mals ein umfassendes Behandlungs- konzept für die gesamte Therapie- strecke der Parodontitis vor. DIE NEUE KLASSIFIKATION DER PARODONTALEN ERKRANKUNGEN Die neue S3-Leitlinie baut auf der zuvor international vereinbarten neuen Klassifikation parodontaler Erkrankungen auf. Ende 2017 hatte der World Workshop von EFP und Foto: EFP American Academy of Periodonto- logy (AAP) in Chicago mit wichtiger deutscher Beteiligung ein neues, sehr differenziert strukturiertes Klassifika- Abb. 1: Die Vorsitzenden und Ko-Vorsitzenden der EFP-Arbeitsgruppen auf dem EFP-Workshop vom November 2019 in Madrid (v.l.n.r.): David Herrera, Moritz Kebschull, Ina Kopp, Søren tionssystem erarbeitet, das einen Jepsen, Mariano Sanz, Iain Chapple, Tord Berglundh, Anton Sculean, Maurizio Tonetti Parodontitisfall in einer multidimen- sionalen Matrix nach Schweregrad, Komplexität, Ausdehnung, historischer D ie Deutsche Gesellschaft für Bisherige Leitlinien in der Parodon- Progressionsrate sowie den Risiko- und Parodontologie (DG PARO) hat tologie beschäftigten sich nur mit ei- Komplikationsfaktoren des Patienten in Zusammenarbeit mit 36 wis- nigen ausgewählten Aspekten der The- individuell beurteilt und die fast 20 senschaftlichen Fachgesellschaften, rapie – sie waren an klinischen Pro- Jahre gültige, aber unbefriedigende der Kassenzahnärztlichen Bundes- zeduren orientiert und nicht an einer Einteilung in chronische und aggres- vereinigung (KZBV), der Bundeszahn- Erkrankung oder einer Diagnose. Mit sive Parodontitis abgelöst hat. Durch ärztekammer (BZÄK) sowie Patienten- der neuen S3-Leitlinie liegt nun erst- dieses System werden die wesentlichen organisationen die umfassende euro- Faktoren für die pathophysiologisch päische S3-Leitlinie zur gesamten sinnvolle Einteilung eines Falles ab- Therapiestrecke der Parodontitis der gefragt und eine personalisierte Dia- Stadien I bis III an das deutsche gnose im Sinne der Präzisionsmedizin Gesundheitssystem angepasst und im ermöglicht (siehe zm 13/2018, zm 11, Februar 2021 veröffentlicht. Nach 12, 13, 14/2019). einem aufwendigen Konsensuspro- zess sind nun 62 klinische Schlüssel- DIE EUROPÄISCHE S3-LEITLINIE PROF. DR. MORITZ KEBSCHULL empfehlungen für alle Phasen der ZUR PAR-THERAPIE Parodontitistherapie publiziert wor- Chair of Restorative Dentistry Schon zum damaligen Zeitpunkt den, die Zahnärztinnen und Zahn- The School of Dentistry, hatte das Workshop Committee der ärzten hierzulande eine maßgebliche University of Birmingham EFP (Berglundh, Chapple, Jepsen, Orientierungshilfe bei der Therapie- 5 Mill Pool Way, Edgbaston Sanz, Tonetti) den Beschluss gefasst, entscheidung zur bestmöglichen Birmingham B5 7EG, England in einem nächsten Schritt an dieser Versorgung parodontal erkrankter moritz@kebschull.me Klassifikation und dem Schweregrad Patienten sein werden. Foto: privat beziehungsweise der Komplexität der zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (488)
ZM_06_2021_S00043.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:32; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ZAHNMEDIZIN | 43 Parodontitis ausgerichtete evidenz- Aspekte, wie beispielsweise der Ko- basierte Therapieempfehlungen und härenz der Evidenz, der klinischen einen therapeutischen Stufenplan zu Relevanz der Ergebnisse, einer Nut- entwickeln. Hier half die Vorarbeit zen-Schaden-Abwägung, ethischer, der DG PARO, die zur selben Zeit rechtlicher und wirtschaftlicher Er- schon vier Leitlinien auf dem höchs- wägungen, Patientenpräferenzen, An- ten S3-Qualitätsniveau nach AWMF- UNIV.-PROF. DR. MED. DENT. wendbarkeit und Praktikabilität des Verfahren erarbeitet hatte. Auf An- DR. MED. SØREN JEPSEN, M.S. Routineeinsatzes. regung der deutschen Seite im Work- Zentrum für Zahn-, Mund- und shop Committee beschloss die EFP, Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Bonn, Wie bei Leitlinien dieses Standards diesem Verfahren zu folgen. Anfang Direktor der Poliklinik für Parodontologie, üblich wurden mögliche Interessen- 2019 begann dieser aufwendige Pro- Zahnerhaltung und Präventive konflikte der einzelnen Teilnehmer Zahnheilkunde zess. Unterstützt wurden die EFP und abgefragt und in den Arbeitsgruppen die Ko-Vorsitzenden der vier Arbeits- Welschnonnenstr.17, 53111 Bonn offen diskutiert. Lagen diese vor – gruppen des Workshops dabei von sjepsen@uni-bonn.de zum Beispiel bei einer Tätigkeit für Prof. Dr. Ina Kopp, einer Expertin für Foto: privat eine Firma der Dentalindustrie oder Leitlinienentwicklung der Arbeits- bei eigenen Patenten – wurde eine gemeinschaft der Wissenschaftlichen Enthaltung bei der Abstimmung über Medizinischen Fachgesellschaften e. V. logie, Konservierende Zahnheilkunde die von diesen Interessen berührten (AWMF) mit großer internationaler und Prothetik) – unter Moderation Punkte vereinbart. Erfahrung (Abbildung 1). Die Exper- von Kopp die Evidenz in einem tise deutscher Autoren (Dannewitz, streng regulierten Protokoll nach THERAPIE NACH DEM Dommisch, Eickholz, Kitzmann, dem GRADE-Verfahren in Therapie- STUFENKONZEPT Jepsen, Wölber) floss dabei in vier der empfehlungen umsetzten und diese Begleitend wurde ein therapeutischer 15 systematischen Übersichten ein, dann im Konsensusverfahren ab- Stufenplan konzipiert, wobei die Stu- die den umfangreichen Evidenzhin- stimmten. fen 1 (Kontrolle des supragingivalen tergrund für die Konsensuskonferenz Biofilms und der Risikofaktoren) und lieferten. Die Teilnehmer des Workshops – da- 2 (subgingivale Instrumentierung) runter zahlreiche deutsche Experten – grundsätzlich alle Parodontitis- Im November 2019 fand dann der gewichteten nicht nur die Stärke Patienten durchlaufen. Die Stufe 3 Leitlinien-Workshop in Spanien statt, der Evidenz für die verschiedenen (chirurgische Therapie) wird bei den- auf dem 90 Experten aus 19 Ländern Behandlungen, sondern einigten sich jenigen Patienten relevant, die bei – darunter auch Vertreter europäischer auch auf ein Maß an Stärke für der Re-Evaluation noch residuale Fachgesellschaften aus anderen Berei- die Empfehlung dieser Interventio- pathologische Taschen, zum Beispiel chen der Zahnmedizin (Endodonto- nen unter Berücksichtigung anderer mit Vertikal- und Furkationsdefekten, Die Stufen der Parodontitisherapie in der S3-Leitlinie Abb. 2 Quelle: DG PARO zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (489)
ZM_06_2021_S00044.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:43; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien 44 | ZAHNMEDIZIN AN DER LEITLINIE BETEILIGTE FACHGESELLSCHAFTEN strukturiert und planmäßig auf dem höchsten derzeit verfügbaren Evidenz- UND INSTITUTIONEN niveau zu behandeln. Zudem erlaubt es die Kombination des neuen Klas- sifikationssystems mit der Leitlinie, Federführende Fachgesellschaften: die Patienten besser aufgrund des zu erwartenden Behandlungsaufwands Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO), Deutsche Gesellschaft für Zahn-, zu stratifizieren. Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) AWMF-Fachgesellschaften: Wie in Abbildung 2 dargestellt, be- ginnt bei jedem Patienten mit dia- Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie e. V. (DGHM), Deutsche Gesell- gnostizierter Parodontitis Stadium schaft für Implantologie (DGI), Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und I-III die Therapie mit der Stufe 1 – Kreislaufforschung e. V. (DGK), Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene e. V. hier werden lokale und systemische Risikofaktoren adressiert. Bei ent- (DGKH), Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG), sprechender Mitarbeit des Patienten Deutsche Gesellschaft für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien e. V. (DGPro), wird dann zur zweiten Stufe der The- Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) rapie übergegangen: die subgingivale Fachgesellschaften/Organisationen: Instrumentierung aller pathologisch vertieften Taschen. Interessant ist, Arbeitskreis Oralpathologie und Oralmedizin (AKOPOM), Arbeitskreis Psychologie wie kritisch die Rolle adjuvanter und Psychosomatik in der Zahnheilkunde der DGZMK (AKPP), Berliner Gesellschaft für Maßnahmen gesehen wird – insbe- Parodontologie e. V. (BG PARO), Berufsverband Deutscher DentalhygienikerInnen sondere von der unreflektierten An- wendung von Antibiotika wird stark (BDDH e. V.), BundesArbeitsGemeinschaft der PatientInnenstellen (BAGP), Bundesver- abgeraten. Bei Patienten, bei denen band der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa e. V. (BDIZ EDI), Berufsverband sich bei der Re-evaluation nach Stufe Deutscher Oralchirurgen e. V. (BDO), Bundeszahnärztekammer – Arbeitsgemeinschaft 2 herausstellt, dass der Endpunkt der der Deutschen Zahnärztekammern e. V. (BZÄK), Bundesverband der Zahnärztinnen aktiven Therapie noch nicht erreicht und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BZÖG), Deutsche Gesell- ist, schließt sich eine chirurgische Therapie (Stufe 3) an. Je nach Situa- schaft für Ästhetische Zahnmedizin e. V. (DGÄZ), Deutsche Gesellschaft für Alterszahn- tion wird diese als Zugangslappen, medizin e. V. (DGAZ), Deutsche Gesellschaft für Dentalhygieniker/Innen e. V. (DGDH), beziehungsweise als resektive oder re- Deutsche Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie e. V. in generative Maßnahme durchgeführt. der DGZ (DGET), Deutsche Gesellschaft für Laserzahnheilkunde e. V. (DGL), Deutsche Ist danach der gewünschte Endpunkt Gesellschaft für orale Epidemiologie und Versorgungsforschung (DGoEV) in der der Therapie erreicht, werden alle Pa- DGZMK, Deutsche Gesellschaft für Orale Implantologie e. V. (DGOI), Deutsche Gesell- tienten in ein strukturiertes Programm zur unterstützenden Parodontal- schaft für Präventivzahnmedizin e. V. (DGPZM), Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche therapie (UPT) überführt. Implantologie e. V. (DGZI), Freier Verband Deutscher Zahnärzte e. V. (FVDZ), Friedrich- Louis-Hesse Gesellschaft (FLH) für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Universität DIE DEUTSCHE VERSION DER Leipzig e. V., Gesellschaft für Präventive Zahnheilkunde e. V. (GPZ), Gesellschaft für S3-LEITLINE Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Dresden e. V. (GZMK), Kassenzahnärztliche Bundes- Die EFP-S3-Leitlinie ist trotz der wichtigen Rolle von Vertretern der vereinigung (KZBV) – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Neue Arbeitsgruppe Paro- DG PARO und der AWMF a priori dontologie e. V. (NAgP) – gemeinnützige Interessenvertretung für parodontologisch eine supranationale Ressource. Für interessierte Zahnärztinnen und Zahnärzte, Neue Gruppe (NG) – Wissenschaftliche eine Anwendung im deutschen Ge- Vereinigung von Zahnärzten, Verband Deutscher Dentalhygieniker (VDDH), Verband sundheitssystem musste daher eine Deutscher Zertifizierter Endodontologen e. V. (VDZE), Verband medizinischer Fach- Anpassung auf lokale Gegebenheiten berufe e. V. – Referat Zahnmedizinische/r Fachangestellte (VMF), Westfälische Gesell- erfolgen. Dieses Projekt wurde im Frühjahr 2020 initiiert und unter schaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e. V. (WG ZMK) der Regie des DG-PARO-Leitlinien- beauftragten Moritz Kebschull, der Präsidentin Bettina Dannewitz und aufweisen. Es wurden therapeutische rungstiefe von größer als 4 mm Søren Jepsen (EFP) durchgeführt. Auf Endpunkte definiert, die erreicht sein beziehungsweise keine Taschen mit Grundlage des aufwendig übersetzen sollten, bevor der Patient sodann in einer Sondierungstiefe von 4 mm und lektorierten Originaltextes arbei- Stufe 4 in die unterstützende PAR- und mit Blutung auf Sondierung teten die Projektleiter mit von der Therapie (UPT) übernommen wird. (BOP) mehr vorliegen. DG PARO nominierten Arbeitsgrup- Der Endpunkt der aktiven Parodontal- penleitern (Arweiler, Dörfer, Eickholz, therapie ist dann erreicht, wenn keine Das Stufenkonzept der neuen Leit- Jentsch, Jepsen, Kocher, Sälzer) unter Parodontaltaschen mit einer Sondie- linie ermöglicht es, einen Patienten bewährter Begleitung durch Ina Kopp zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (490)
ZM_06_2021_S00045.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:32; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ZAHNMEDIZIN | 45 die einzelnen Empfehlungen nach Leitlinie aufgegangen und wurden dem GRADE-ADOLOPMENT-Schema daher aus dem Register entfernt. durch. Dieses Regelwerk – eine Wort- neuschöpfung aus Adoption (Über- Das Thema der Prävention und nahme), Adaptation (Übernahme Therapie von Gingivitis bei einem mit Modifikation der Empfehlung) Patienten ohne Vorgeschichte einer und Development (einer De-Novo- Parodontitis behandelt die neue Leit- Foto: Dannewitz Entwicklung neuer Empfehlungen) – linie nicht – hier kann der Leser auf ermöglichte eine deutsche Version die bestehenden, gerade aktualisier- auf höchstem Qualitätsniveau, die ten DG-PARO-S3-Leitlinien zu diesem neben der wissenschaftlichen Evi- Thema zurückgreifen. Die Behand- denz auch die Anwendbarkeit in un- lung gingivaler Entzündungen bei serem System sicherstellt. Erfreulich einem Patienten mit Parodontitis, Abb. 3: Abstimmung in der Pandemie: Die Konsensus- ist, dass trotz (oder vielleicht wegen) zum Beispiel im Rahmen der unter- findung der deutschen Version der S3-Leitlinie wurde in der Corona-Pandemie-Situation im stützenden Parodontaltherapie, ist aber einer langen Serie von Videokonferenzen durchgeführt. Frühjahr/Sommer 2020 eine noch in der neuen Parodontitis-Leitlinie er- nie dagewesene Anzahl an Fachver- fasst. tretern von verschiedenen zahnmedi- WIE GEHT ES NUN WEITER? zinischen und medizinischen Grup- Die vorliegende Leitlinie beschäftigt pen diese Arbeit aus ihrer Perspektive sich ausdrücklich mit Parodontitis und mit ihrer jeweiligen Expertise der Stadien I bis III. Das Stadium IV unterstützten (Abbildung 3). Mit 36 der Parodontitis, gekennzeichnet beteiligten Fachgruppen sowie einer durch umfangreiche Zahnverluste, aktiven Mitarbeit der Patientenorga- mastikatorische Dysfunktion und/oder nisation steht diese „adolopierte“ pathologische Zahnwanderungen PROF. DR. BETTINA DANNEWITZ Leitlinie damit auf einem höchst wurde hier bewusst ausgespart. Das soliden Fundament. Die final abge- Gemeinschaftspraxis Dres. EFP-Workshop Committee arbeitet Dannewitz & Glass stimmte Version der deutschen Leit- derzeit aktiv an der Vorbereitung linie wurde im Februar auf den Seiten Langgasse 36-38, 35781 Weilburg einer Leitlinie nur für dieses Stadium der AWMF, der DG PARO und der und der Erkrankung, das in der Regel eine DGZMK veröffentlicht. Poliklinik für Parodontologie, sehr komplexe multidisziplinäre The- Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheil- rapie erfordert. Diese wird im Mittel- Die bisherigen DG-PARO-S3-Leit- kunde (Carolinum), Johann Wolfgang punkt des nächsten EFP-Perio-Work- Goethe Universität Frankfurt am Main linien zum Thema der Parodontitis- shops im Juli 2021 stehen. Schon jetzt therapie (subgingivale Instrumentie- Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt/Main wird in der Vorbereitung die Evidenz rung sowie adjuvante systemische dannewitz@med.uni-frankfurt.de hierzu in Zusammenarbeit mit inter- Antibiotikatherapie) sind in der neuen Foto: privat nationalen Experten unter anderem miele.de/aircontrol
ZM_06_2021_S00046.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 06:03:23; PDF-CMYK für Prinergy; L.N. Schaffrath DruckMedien 46 | ZAHNMEDIZIN aus Kieferorthopädie, Prothetik und LEITLINIEN – QUALITÄTSSTUFEN, EMPFEHLUNGSGRADE UND Implantologie erarbeitet. Diese euro- KONSENSSTÄRKE päische Leitlinie zur Stadium-IV- Parodontitis wird dann von der Leitlinien stellen eine Zusammenstellung von klinischen Empfehlungen – keineswegs aber mit DG PARO in ähnlicher Weise wie dem Charakter einer Verordnung oder Vorschrift – dar, die auf verschiedenen Qualitätsebenen die derzeit vorliegende Leitlinie für erstellt werden können. Die hier dargestellte Leitlinie wurde auf dem höchsten international die Stadien I bis III auf die Situation anerkannten Niveau – der Kombination von Literaturrecherche und dem klinischen Sach- in Deutschland „adolopiert“ werden. verstand einer repräsentativen Leitliniengruppe im S3-Format – erstellt. Zusammengefasst stellen die neue EFP-Leitlinie und die deutsche „ado- EBENE BESCHREIBUNG EIGENSCHAFTEN lopierte“ Bearbeitung einen großen Wurf dar – gemeinsam mit der S3 Evidenz- und Konsens- Systematische Literaturrecherche neuen, strukturierten und wissen- basierte Leitlinie – Selektion, Bewertung und schaftlich gut untermauerten Klassi- Synthese der verfügbaren Evidenz fikation soll eine deutlich indivi- und duellere und gezieltere Therapie auf Repräsentative Leitliniengruppe höchstem Evidenzniveau ermöglicht mit Vertretern aller betroffenen werden. Gruppierungen; formeller Konsens- prozess Ab dem 1. Juli 2021 wird voraus- sichtlich die neue Richtlinie des Ge- S2e Evidenz-basierte Leitlinie Systematische Literaturrecherche meinsamen Bundesausschusses zur – Selektion, systematischen Behandlung von Pa- Bewertung und Synthese der rodontitis und anderen Parodontal- verfügbaren Evidenz erkrankungen (PAR-Richtlinie) in S2k Konsensus-basierte Leitlinie Repräsentative Leitliniengruppe Kraft treten. Mit dieser Richtlinie mit Vertretern aller werden Inkonsistenzen der bisher betroffenen Gruppierungen; bestehenden Regelungen in der Be- formeller Konsensprozess handlungs-Richtlinie beseitigt. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei S1 Empfehlungen einer Gruppe Informeller Prozess und auf das zahnärztliche Gespräch ge- von Experten Konsensfindung legt, das unverzichtbar ist, wenn eine Verhaltensbeeinflussung der Patien- ten erreicht werden soll. Außerdem Die Leitliniengruppe analysiert bei einer S3-Leitlinie die vorhandene wissenschaftliche wurde am Übergang von der nicht- Literatur und erstellt auf ihrer Basis Empfehlungen. Die Empfehlungen folgen einer besonderen chirurgischen Therapie (Stufe 2) zur Nomenklatur: chirurgischen Therapie (Stufe 3) die Überprüfung des parodontalen Be- funds eingeführt – diese Überprüfung liefert die Entscheidungsgrundlage EMPFEHLUNGS- BESCHREIBUNG SYNTAX dafür, ob chirurgisch weitertherapiert GRAD werden muss. Schließlich wurde die A Starke Empfehlung soll ( ) / soll nicht ( ) Unterstützende Parodontitistherapie (UPT) – also das Element, das eine B Empfehlung sollte ( ) / sollte nicht ( ) langfristige Stabilität des Behand- 0 Offene Empfehlung kann erwogen werden / lungsergebnisses erst ermöglicht – kann verzichtet werden ( ) zumindest für zwei Jahre in die vertragszahnärztliche Versorgung ein- geführt. Die Häufigkeit der UPT- Sitzungen richtet sich nach der Pro- gressionsrate (Grad A, B, C) und führt Quelle: DG PARO so ein Element individualisierter Zahnmedizin in die vertragszahnärzt- liche Versorgung ein. So erlaubt die neue PAR-Richtlinie im Wesentlichen die Umsetzung parodontaler Thera- pie auf der Basis international aner- kannter wissenschaftlicher Standards und entsprechend dieser Leitlinie. ! zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (492)
ZM_06_2021_S00047.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:35; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ZAHNMEDIZIN | 47 Wie in der Abbildung unten aufgezeigt, gibt es hier zunächst einmal einen direkten Zusammenhang zwischen der Qualität der Evidenz (GRADE-Klassen – Klasse 1: Hochwertige randomisierte Studien (RCTs), Klasse 2: RCTs mit Mängeln, prospektive Kohortenstudien, Klasse 3: sonstige vergleichende Beobachtungsstudien, Klasse 4: Fallserien, Klasse 5: Falldarstellung, Expertenmeinung) und der klinischen Empfehlung. Allerdings können, basierend auf einer Abwägung der in der Grafik dargestellten Bewertungspunkte durch die repräsentative Leitliniengruppe, „Upgrades“ oder „Downgrades“, also Veränderungen der Stärke der Empfehlung, erfolgen. Dies war in der vorliegenden deutschen Version mehrfach der Fall. Quelle: AWMF Um darzustellen, wie stark die Einigkeit der vielen verschiedenen Vertreter der Leitlinien- gruppe im Bezug auf eine Empfehlung war, ist stets die Konsensstärke angegeben. Bei dieser wurden die Teilnehmer der Leitliniengruppe, die sich der Abstimmung aufgrund eines festgestellten potenziellen Interessenkonflikts enthalten haben, bereits herausgerechnet. Einstimmiger Konsens Zustimmung von 100 Prozent der Teilnehmenden Starker Konsens Zustimmung von > 95 Prozent der Teilnehmenden Konsens Zustimmung von 75–95 Prozent der Teilnehmenden Einfache Mehrheit Zustimmung von 50–74 Prozent der Teilnehmenden Kein Konsens Zustimmung von < 50 Prozent der Teilnehmenden Die deutsche Version der S3-Leitlinie Die der deutschen Version zugrunde- – Kebschull, M., Jepsen, S., Kocher, T., liegende EFP-S3-Leitlinie – Sanz, M., Sälzer, S., Arweiler, N., Dörfer, C., Herrera, D., Kebschull, M., Chapple,I., Eickholz, P., Jentsch, H., Dannewitz, B. Jepsen, S., Berglundh, T., Sculean, A., (2020): „Die Behandlung von Paro- Tonetti, M.S. and workshop participants dontitis Stadium I-III – Die deutsche (2020): „Treatment of stage I-III periodontitis Implementierung der S3-Leitlinie – The EFP S3 level clinical practice guide- „Treatment of Stage I-III Periodontitis“ line.“ J Clin Periodontol 47 Suppl 22: der European Federation of Periodon- 4–60 – kann unter folgendem Link kos- tology (EFP)“ – kann unter folgendem tenfrei abgerufen werden: https://online Link kostenfrei abgerufen werden: library.wiley.com/doi/toc/10.1111/ https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ (ISSN)1600–051x.Clinical-Guidelines- ll/083–043.html for-the-treatment-of-Periodontitis zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (493)
ZM_06_2021_S00048.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:44; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien 48 | ZAHNMEDIZIN S3-LEITLINIE „DIE BEHANDLUNG VON PARODONTITIS STADIUM I-III“ – TEIL 1 Voraussetzung angesehen wird (Ab- bildung 1). Es handelt sich um die Klinische Empfehlungen Motivation und Instruktion zum häus- lichen Biofilmmanagement (Mund- zur ersten Therapiestufe hygieneinstruktion, MHI), um die professionelle supragingivale Plaque- entfernung (professionelle mecha- nische Plaquereduktion – Professional Mechanical Plaque Removal, PMPR) Sonja Sälzer, Nicole B. Arweiler, Christof E. Dörfer in Verbindung mit der Beseitigung plaqueretentiver Faktoren / lokaler Der Erfolg einer Parodontaltherapie hängt über die gesamte Therapiestrecke Reizfaktoren sowie um die Kontrolle hinweg entscheidend von der Mitarbeit des Patienten ab. Das betrifft die von systemischen Risikofaktoren, in- klusive Interventionen zur Änderung Qualität der häuslichen Mundhygiene, die konsequente Wahrnehmung von des Gesundheitsverhaltens, um be- Behandlungs- und Kontrollterminen und die Reduktion von Risikofaktoren aus kannte Risikofaktoren für die Ent- der Lebensführung des Patienten. In der neuen Leitlinie werden Motivation stehung und Progression von Paro- und Training des Patienten gemeinsam mit der professionellen mechanischen dontitis zu eliminieren beziehungs- Plaquereduktion in der ersten Therapiestufe zusammengefasst. weise abzumildern. Diese erste Therapiestufe sollte unab- P arodontitis als komplexe Erkran- hängig vom Stadium der Erkrankung kung wird von vielen Faktoren bei allen Parodontitispatienten erfol- in ihrem Entstehen und Verlauf gen. Zudem sollte das Behandlungs- beeinflusst. Einige dieser Faktoren ergebnis regelmäßig reevaluiert wer- sind therapeutisch modifizierbar, den. Obwohl diese erste Stufe in der andere nicht. Ziel der Therapie ist es Behandlung eines Parodontitispatien- daher, die Risikolast zu reduzieren, DR. MED. DENT. ten nicht hinreichend im Sinne eines auf diesem Weg das Entzündungs- SONJA SÄLZER, PHD Therapieerfolgs ist, stellt sie die not- geschehen zu kontrollieren und die Zahnarztpraxis Poststraße wendige Basis für ein optimiertes An- Destruktion des Zahnhalteapparats Poststr. 17, 20354 Hamburg sprechen auf die Behandlung und für zu stoppen oder zumindest entschei- saelzer@zahn-post.de die Langzeitstabilität des Therapie- dend zu verlangsamen. Wie bei vielen ergebnisses dar. und chronischen Entzündungserkrankun- Klinik für Zahnerhaltungskunde gen werden daher die verschiedenen 1. INTERVENTION: und Parodontologie, gesicherten Risikofaktoren in der The- Universitätsklinikum Schleswig-Holstein HÄUSLICHES SUPRAGINGIVALES rapie adressiert. Einige davon können BIOFILMMANAGEMENT Arnold-Heller-Str. 3 (Haus 26), 24105 Kiel durch zahnärztliche Intervention be- Welche Mundhygienemaßnahmen Foto: Sebastian Engels Fotografie seitigt werden, die Mehrzahl erfordert sind bei Parodontitispatienten in jedoch eine aktive Beteiligung der be- den verschiedenen Therapiestufen troffenen Patienten. nahmen der Prävention und Gesund- angemessen? heitsförderung vertraut zu machen Die Aufnahmefähigkeit von Informa- Der Erfolg einer Parodontaltherapie und seine Adhärenz* bezüglich der tionen ist in der Regel begrenzt, wobei hängt somit entscheidend von der Therapie zu steigern (Tabelle 1). Des- große interindividuelle Unterschiede erfolgreichen Motivierung und einer halb stellt die Leitlinie [Sanz et al., bestehen. Daher gilt es, die manuel- kontinuierlichen Mitarbeit des Pa- 2020] im Rahmen der ersten Thera- len und kognitiven Fähigkeiten des tienten ab. Ziel der ersten Therapie- piestufe drei Interventionen in den individuellen Patienten zu berück- stufe ist es folgerichtig, den Parodon- Vordergrund, deren Umsetzung zum sichtigen und den Patienten nicht titispatienten mit adäquaten Maß- Erreichen der Ziele als notwendige mit einer Vielzahl an Vorschlägen zu Verhaltensänderungen zu überfordern. Stattdessen sollten Informationen ZIELE DER ERSTEN THERAPIESTUFE priorisiert und in aufeinander auf- bauenden Handlungsempfehlungen ▪ Aufbauen einer kontinuierlichen Adhärenz und Motivation auf die individuelle Situation abge- ▪ Möglichkeiten sondieren, mit denen Barrieren zur Verhaltensänderung überwunden stimmt vermittelt werden. werden können ▪ Verbesserung der Kompetenz zur Entfernung des dentalen Biofilms und, Evidenz zu Mundhygieneinstruktio- ▪ falls erforderlich, Modifikation der lokalen Situation z. B. durch die Entfernung von nen, die sich explizit auf die einzelnen Störfaktoren, ▪ Schaffung einer Basis für den Erfolg der nachfolgenden Therapiestufen *Der Begriff „Adhärenz“ hat den früheren Begriff der „Compliance“ im wissenschaftlichen Tab. 1, Quelle: Leitlinie, [DG PARO/DGZMK, 2021] Sprachgebrauch ersetzt. zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (494)
ZM_06_2021_S00049.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:30; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ZAHNMEDIZIN | 49 Die drei Interventionen in der ersten Therapiestufe Biofilmmanagement in der Präven- tion und Therapie der Gingivitis“ und „Häusliches chemisches Biofilm- management in der Prävention und Therapie der Gingivitis“ – AWMF-Re- gister Nr. 083–022 und Nr. 083–016, Versionen 2018, Amendment 2020). ! Es sollen professionelle Mund- hygieneinstruktionen (MHI) zur Biofilm- und Gingivitisreduktion durchgeführt werden. Wieder- holungen der MHI können zu einem weiteren Nutzen führen. ! Nach wie vor sind Hand- oder elektrische Zahnbürsten das primäre Mittel zur Biofilm- und Gingivitisreduktion. Die Vorteile Abb. 1, Quelle: Sonja Sälzer des Zähneputzens überwiegen etwaige potenzielle Risiken. ! Falls gingivale Entzündungen HÄUSLICHES SUPRAGINGIVALES Empfehlungs- vorhanden sind, soll der Patient BIOFILMMANAGMENT grad bezüglich der interdentalen Zahn- pflege, vorzugsweise mithilfe von Konsensusbasierte Empfehlung (1.1): Eine kontinuierliche Interdentalraumbürsten (IDB), pro- Anleitung bezüglich der häuslichen Mundhygienemaßnahmen fessionell instruiert werden. Alter- zur Kontrolle von gingivaler Entzündung soll im Verlauf aller nativ können andere Hilfsmittel Therapiestufen inklusive der unterstützenden Parodontaltherapie wie Zahnseide, Mundduschen oder (UPT) durchgeführt werden. Zahnhölzer empfohlen werden, Konsensstärke: starker Konsens wenn die Verwendung von IDB Konsensusbasierte Empfehlung (1.2): Die Bedeutung der nicht geeignet erscheint. Mundhygiene soll betont werden. Zudem sollen Parodontitis- ! In besonderen Fällen mit trotz patienten zur Verhaltensänderung motiviert werden, um die optimierter mechanischer Plaque- Mundhygiene zu verbessern. kontrolle anhaltender gingivaler Konsensstärke: einstimmiger Konsens Entzündung können Mundhygiene- produkte mit antimikrobiellen Evidenzbasierte Stellungnahme (1.3): Psychologische Methoden Wirkstoffen in verschiedenen Dar- zur Verbesserung der Adhärenz häuslicher Mundhygiene- reichungsformen wie Zahnpasten gewohnheiten wie die motivierende Gesprächsführung oder Mundspüllösungen empfohlen (Motivational Interviewing, MI) oder kognitive Verhaltens- werden (siehe Therapiestufe 4 in therapie konnten keinen signifikanten Einfluss zeigen. [Sanz et al., 2020]). Konsensstärke: starker Konsens ! Adjuvante Therapien bei gingivaler Entzündung werden innerhalb des Abschnitts zur unterstützenden Quelle: Leitlinie, [DG PARO/DGZMK, 2021] Parodontaltherapie Instrumentie- rung berücksichtigt und deshalb Therapiestufen beziehen, ist kaum ebenfalls in der vierten Therapie- vorhanden. Jedoch kann davon aus- stufe beurteilt. gegangen werden, dass Empfehlun- gen zur Mundhygiene universell an- Sind zusätzliche Strategien bei zuwenden sind. Somit basieren die der Motivation nützlich? Empfehlungen auf systematischen Mundhygieneinstruktionen und die Übersichtsarbeiten zur Prävention und Patientenmotivation stellen einen Therapie von Gingivitis [Chapple et PROF. DR. MED. DENT. integralen Bestandteil des Patienten- al., 2015; van der Weijden und Slot, NICOLE ARWEILER managements in allen Phasen der 2015]. Gezielte Empfehlungen zum Klinik für Parodontologie und Parodontaltherapie dar [Tonetti et al., häuslichen mechanischen und che- periimplantäre Erkrankungen, 2015]. Es ist daher naheliegend, das mischen Biofilmmanagement in der Universitätsklinikum Gießen und Marburg Ziel eines effektiven Biofilmmanage- Prävention und Therapie der Gingivitis GmbH, Standort Marburg ments und dessen Aufrechterhaltung finden sich in zwei separaten deutschen Georg-Voigt-Str. 3, 35039 Marburg über die Zeit mithilfe verschiedener Leitlinien („Häusliches mechanisches Foto: Silvia Kriens Verhaltensinterventionen, Kommu- zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (495)
ZM_06_2021_S00050.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:30; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien 50 | ZAHNMEDIZIN nikations- und Aufklärungsansätze zu erreichen [Sanz und Meyle, 2010; Carra et al., 2020]. Sind psychologische Ansätze für die Patientenmotivation zur Ver- besserung der Adhärenz bei häuslicher Mundhygiene effektiv? Foto: Sonja Sälzer Jeder psychologische Therapieansatz setzt ein spezielles Training voraus, um effektiv durchgeführt werden zu können. Dies könnte eine Erklärung sein, warum mit der vorhandenen Evidenz nicht gezeigt werden kann, dass bestimmte psychologische, auf Abb. 2: Durch die Anfärbung der Plaque (hier mit gelblichem, unter der Polymerisationslampe kognitiven Theorien, Verhaltensprin- fluoreszierendem Indikator) können Defizite sichtbar gemacht und dementsprechend individuelle zipien und der motivierenden Ge- Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt und trainiert werden. sprächsführung (Motivational Inter- viewing, MI) basierende Interventio- nen die Mundhygiene der Patienten, Faktoren (Reizfaktoren) – entweder [Broadbent et al., 2006; Demarco et gemessen an Biofilmreduktion und aufgrund der Zahnanatomie oder al., 2013; Lang et al., 1983]. Blutungsindizes, im Laufe der Zeit häufiger durch insuffiziente Restaura- verbessern [Carra et al., 2020]. Insge- tionsränder – oftmals mit gingivaler 3. INTERVENTION: KONTROLLE samt ist nur geringe Evidenz vorhan- Entzündung und/oder parodontalem VON RISIKOFAKTOREN den und weiterer Forschungsbedarf Verlust an klinischem Attachment- Wie effektiv ist die Kontrolle ist erforderlich, um valide Aussagen level (CAL) assoziiert ist, sollen diese von Risikofaktoren in der treffen zu können. Reizfaktoren vermieden oder entfernt Parodontaltherapie? werden, um deren Einfluss auf die Sowohl Rauchen als auch Diabetes 2. INTERVENTION: Gesundheit des Parodonts zu mini- sind zwei nachgewiesene Risiko- PROFESSIONELLE MECHANISCHE mieren [Needleman et al., 2015; faktoren für Parodontitis [Papapanou PLAQUEREDUKTION (PMPR) Trombelli et al., 2015] et al., 2018; Jepsen et al., 2018]. Wie ist die Effektivität von Deren Kontrolle soll daher integraler professioneller mechanischer Eine randomisierte Studie mit einer Bestandteil bei der Behandlung von Plaquereduktion und der Dauer von 140 Tagen bei 25 Teilneh- Parodontitispatienten sein. Interventio- Reduktion von Reizfaktoren in mern zeigte, dass eine der subgingiva- nen zur Kontrolle von Risikofaktoren der Parodontaltherapie? len Instrumentierung vorangehende zielen auf Aufklärung und Beratung Die Entfernung von supragingivalem supragingivale Reinigung den sub- von Patienten, um eine Verhaltens- dentalem Biofilm und kalzifizierten gingivalen Therapiebedarf reduziert änderung zu bewirken, die zu einer Ablagerungen (Zahnstein), die inter- und die parodontale Langzeitstabilität Reduktion der Risikofaktoren bei- national als professionelle mecha- verbessert [Gomes et al., 2014]. Zu- trägt. In einigen Fällen ist dazu eine nische Plaquereduktion (PMPR) be- sätzlich induzierte eine supragingivale angemessene allgemeinmedizinische zeichnet wird, gilt als wesentliche Reinigung im subgingivalen Mikro- Therapie erforderlich. Andere rele- Komponente der primären [Chapple biom [Ximenez-Fyvie et al., 2000], vante Faktoren, die mit einem gesun- et al., 2018] und sekundären [Sanz et ein Verteilungsmuster, das dem ge- den Lebensstil assoziiert sind (Stress- al., 2015] Prävention der Parodontitis sunder Kontrollpersonen entsprach. reduktion, Ernährungsberatung, Ge- sowie der Therapie von biofilm- Darüber hinaus wurde immer wieder wichtsreduktion oder erhöhte kör- induzierten Parodontopathien [van festgestellt, dass retentive Faktoren perliche Aktivität), können ebenso der Weijden und Slot, 2011]. Da das (Reizfaktoren) das Risiko der Pro- Bestandteil der Gesamtstrategie zur Vorhandensein von plaqueretentiven gression einer Parodontitis erhöhen Minimierung von Risikofaktoren sein, jedoch ist für eine evidenzbasierte Empfehlung weitere Forschung erfor- derlich. Neben dem Nutzen in der PROFESSIONELLE MECHANISCHE Empfehlungs- Parodontaltherapie zeigen alle Inter- PLAQUEREDUKTION (PMPR) grad ventionen positive Auswirkungen Konsensusbasierte Empfehlung (1.4): Professionelle mechanische auf die Allgemeingesundheit. Somit Plaquereduktion (PMPR) und die Reduktion retentiver Faktoren stehen zusätzliche Kosten im Zusam- (Reizfaktoren) sollen Teil der ersten Therapiestufe der Parodont- menhang mit der psychologischen altherapie sein. Intervention im Fall des Erfolgs gerin- Konsensstärke: einstimmiger Konsens geren Kosten für die Gesundheitsver- sorgung bei verschiedenen Komorbi- Quelle: Leitlinie, [DG PARO/DGZMK, 2021] ditäten gegenüber. zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (496)
ZM_06_2021_S00051.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:41; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ZAHNMEDIZIN | 51 Wie effektiv ist die Intervention der Raucherentwöhnung in der KONTROLLE VON RISIKOFAKTOREN Empfehlungs- Parodontaltherapie? grad Parodontitispatienten können von Evidenzbasierte Empfehlung (1.5): Die Kontrolle von Maßnahmen zur Raucherentwöhnung Risikofaktoren bei Parodontitispatienten soll Teil der ersten profitieren, um die Behandlungs- Therapiestufe der Parodontaltherapie sein. ergebnisse und die Stabilität der paro- Konsensstärke: starker Konsens dontalen Situation zu verbessern. Die Interventionen bestehen aus einer Evidenzbasierte Empfehlung (1.6): Interventionen zur kurzen Beratung und können eine Raucherentwöhnung sollen in die Parodontaltherapie Überweisung für tiefergehende Bera- implementiert sein. tungen und eine Pharmakotherapie Konsensstärke: einstimmiger Konsens beinhalten. Evidenzbasierte Empfehlung (1.7): Interventionen zur Diabeteskontrolle sollen in die Parodontaltherapie implementiert Mögliche Interventionen zu Raucher- werden. entwöhnung sind die Raucherent- Konsensstärke: Konsens wöhnungstherapie, die 5-A-Strategie (ask, advise, assess, assist and arran- Evidenzbasierte Stellungnahme (1.8 – 1.10): ge), die kognitive Verhaltenstherapie, Wir wissen nicht, ob gesteigerte körperliche Aktivität, das Motivational Interviewing, Kurz- Ernährungsberatung oder Interventionen mit dem Ziel der interventionen und Nikotinersatz- Gewichtsreduktion durch Änderung des Lebensstils positive therapien [Ramseier et al., 2020]. Die Auswirkungen auf die Parodontaltherapie haben. Erfolgsrate der Raucherentwöhnung Konsensstärke: Konsens ist in der Regel moderat (4–30 Prozent nach ein bis zwei Jahren). In zwei Quelle: Leitlinie, [DG PARO/DGZMK, 2021] Studien ließen sich Vorteile bei ehe- maligen Rauchern im Vergleich zu
ZM_06_2021_S00052.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 05:56:36; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien 52 | ZAHNMEDIZIN ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. Foto: Sonja Sälzer Wie effektiv ist eine Steigerung der körperlichen Aktivität in der Parodontaltherapie? Abb. 3: Anleitung des Patienten entsprechend seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten Insgesamt deutet die Evidenz der medizinischen Literatur darauf hin, dass durch die Unterstützung von Maßnahmen zur Förderung der kör- perlichen Betätigung sowohl die The- rapie als auch das Langzeitmanage- ment chronischer nichtübertragbarer Krankheiten verbessert werden. Bei Parodontitispatienten kann die För- derung aus Patientenaufklärung und -beratung bestehen, die speziell auf Foto: Sonja Sälzer das Alter und den allgemeinen Ge- sundheitszustand der Patienten aus- gerichtet ist. Die vorhandene Evidenz hierzu ist jedoch gering [Ramseier et al., 2020]. Zwei zwölfwöchige Studien zur Wirkung von Interventionen zur Beeinflussung der körperlichen Akti- Abb. 4: Durchführung des Blutzuckerschnelltests bei einem Parodontitispatienten in der zahnärztlichen Praxis zur Abklärung eines Diabetes vität (Yoga-Übungen, körperliche Ak- tivität) zeigten Verbesserungen der parodontalen Parameter, einschließ- Rauchern und denen, die nach Rauch- beteskontrolle profitieren [Ramseier lich Blutungsindex und Veränderun- stopp rückfällig wurden, bezüglich et al., 2020]. Die Interventionen be- gen der Sondierungstiefen. Bei den parodontaler Zielgrößen nachweisen. stehen aus Patienteninformation, Er- Studien blieb jedoch offen, ob die Allerdings gilt wie bei jeder Sucht- nährungsberatung und – in Fällen körperliche Aktivität unmittelbar oder entwöhnung, dass ein gescheiterter von Hyperglykämie – einer Überwei- nur mittelbar über den psychologisch Versuch den Erfolg nachfolgender sung zur glykämischen Kontrolle. damit einhergehenden Abbau von Anläufe erschwert. Daher sollte man Weitere Informationen finden sich in Stress Effekte erzielen konnte. selbst nur dann die Entwöhnungs- der Nationalen Versorgungsleitlinie therapie versuchen, wenn man in der „Typ-2 Diabetes: Therapie“ (AWMF- Wie effektiv ist eine Ernährungs- angewandten Methode geschult ist Register Nr. nvl-001g). beratung in der Parodontal- und sie gut beherrscht. therapie? Parodontitispatienten können von Weitere Details zu Raucherentwöh- Interventionen im Rahmen der Er- nung finden sich in der S3-Leitlinie nährungsberatung zur Verbesserung „Screening, Diagnostik und Behand- der Behandlungsergebnisse und zur lung des schädlichen und abhängi- Stabilisierung der parodontalen Situa- gen Tabakkonsums“ (AWMF-Register tion profitieren. Diese Interventionen Nr. 076–006). bestehen aus einer Patienteninforma- PROF. DR. MED. DENT. tion, einschließlich kurzer Ernährungs- Wie effektiv ist die Förderung CHRISTOF E. DÖRFER beratung, und in bestimmten Fällen von Maßnahmen zur Diabetes- Klinik für Zahnerhaltungskunde aus einer Überweisung zum Ernäh- kontrolle bei der Parodontal- und Parodontologie, rungsspezialisten. therapie? Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Parodontitispatienten können von Arnold-Heller-Str. 3 (Haus 26), 24105 Kiel Studien bezüglich des Einflusses der Interventionen im Rahmen der Dia- Foto: UKSH Ernährungsberatung (vor allem im zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (498)
ZM_06_2021_S00053.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 08.Mar 2021 06:03:27; PDF-CMYK für Prinergy; L.N. Schaffrath DruckMedien Flyer: essenZ - Dr. Heike Niemeier und Team Hinblick auf eine geringere Fett- aufnahme, eine geringe Zufuhr von freiem Zucker und Salz, eine Zu- nahme des Gemüse- und Obstver- Foto: Sonja Sälzer, zehrs) konnten teilweise signifikante Verbesserungen der parodontalen Pa- rameter nachweisen [Ramseier et al., 2020]. Das RCT mit dem längsten Follow-up konnte jedoch keine signi- fikanten Vorteile finden [Zare Javid et al., 2014]. Studien, die sich speziell Abb. 5: Die Ernährungsberatung im Zusammenhang mit der Parodontaltherapie ist aktuell mit den Auswirkungen der Ernäh- keine eindeutige Empfehlung, dennoch erscheint sie bei der Erkrankungstrias Adipositas, rungsberatung zur Reduktion der Diabetes mellitus und Parodontitis sinnvoll. Kohlenhydratzufuhr (freie Zucker) bei Gingivitis-/Parodontitispatienten befassten, konnten allgemein Ver- bessert werden können. Bei Parodon- drei Studien ließ sich eine Verbes- besserungen des Gingivaindex nach- titispatienten können diese Interven- serung der parodontalen Parameter weisen [Ramseier et al., 2020]. tionen in Informationen bestehen, feststellen; die übrigen beiden Stu- die speziell auf das Alter und den dien konnten keine Unterschiede Im Kontext der Erkrankungstrias allgemeinen Gesundheitszustand der nachweisen. ! Adipositas, Diabetes mellitus und Patienten ausgerichtet sind. Diese Parodontitis können Patienten zur sollten die positive Verhaltensände- Ernährungsberatung überwiesen wer- rung bezüglich gesünderer Ernährung den, wobei die Beratung von den ge- und einer Steigerung der körperlichen CME AUF ZM-ONLINE setzlichen Krankenkassen unterstützt Aktivität unterstützen. wird. S3-Leitlinie „Die Behandlung Die vorhandene Evidenz ist sehr von Parodontitis Stadium I-III“, Wie effektiv sind Änderungen heterogen [Ramseier et al., 2020]. Die Klinische Empfehlungen zur des Lebensstils mit dem Ziel Ernährungsberatungsinterventionen ersten Therapiestufe der Gewichtsreduktion in der reichten von einer kurzen Einführung Parodontaltherapie? (Briefing) mit anschließender Ernäh- Für eine erfolgreich Die verfügbare Evidenz suggeriert, rungsberatung bis hin zu einer acht- gelöste Fortbildung dass durch Interventionen zur Ge- wöchigen ballaststoffreichen, fett- erhalten Sie 2 CME- wichtsreduktion sowohl die Therapie armen Ernährung oder einem Pro- Punkte der BZÄK/ als auch die Langzeitergebnisse bei gramm zur Gewichtsreduktion mit DGZMK. der Behandlung von chronischen Ernährungsumstellung und sport- nichtübertragbaren Krankheiten ver- lichen Lebensstilmodifikationen. In
ZM_07_2021_S00048.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 24.Mar 2021 17:30:19; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien 48 | ZAHNMEDIZIN S3-LEITLINIE „DIE BEHANDLUNG VON PARODONTITIS STADIUM I-III“ – TEIL 2 Klinische Empfehlungen zur CME AUF ZM-ONLINE zweiten Therapiestufe – S3-Leitlinie „Die Behandlung von Parodontitis Stadium I-III“ – Teil 2 subgingivale Instrumentierung Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie zwei CME-Punkte der Søren Jepsen, Benjamin Ehmke, Thomas Kocher BZÄK/DGZMK. Nach der ersten Therapiestufe in der zm 6 folgt nun in der zweiten Stufe die subgingivale Instrumentierung, gegebenenfalls ergänzt um adjuvante Maßnahmen. Ziel ist die Reduktion beziehungsweise die Beseitigung der parodontalen Entzündung – klinisch erfasst durch den Rückgang der Taschensondierungstiefen und der Blutung auf Sondierung. rung“ für alle nicht-chirurgischen ! Einsatz von adjuvanten immun- Interventionen zu verwenden, die modulatorischen Mitteln (lokal entweder mit Küretten oder mit oder systemisch), maschinell betriebenen Instrumen- ! Einsatz von adjuvanten subgingival ten (Schall/Ultraschall) durchgeführt lokal applizierten, antimikrobiellen werden. Diese Instrumente wurden Substanzen, konzipiert, um den Zugang zur ! Einsatz von adjuvanten Wurzeloberfläche im subgingivalen systemischen Antibiotika. Bereich zu erleichtern und um effek- tiv subgingivalen Biofilm und sub- Als patientenrelevanter primärer End- gingivalen Zahnstein zu entfernen punkt wurde in den diesen Empfeh- (Abbildung 1). lungen zugrunde liegenden Systematic Quelle: Jepsen Reviews die Reduktion der Taschen- Diese zweite Therapiestufe erfordert sondierungstiefen nach sechs Mona- die erfolgreiche Implementierung der ten untersucht [Loos und Needleman, ersten Therapiestufe. Zusätzlich kann 2020]. die subgingivale Instrumentierung durch folgende Maßnahmen ergänzt 1. INTERVENTION: SUBGINGIVALE Abb. 1: Histologische Ansicht eines Zahnes mit einer parodontalen Tasche: Auf dem werden: INSTRUMENTIERUNG ! Einsatz von adjuvanten physika- In einer systematischen Übersichts- zervikalen Schmelz befindet sich Zahnstein, der von Biofilm bedeckt ist, der sich nach lischen oder chemischen Mitteln, arbeit für den European Workshop apikal und subgingival auf die Wurzel- haben Suvan et al. [2020] drei rele- oberfläche erstreckt. vante Fragen zur subgingivalen In- strumentierung adressiert: Hat die subgingivale Instrumen- D ie zweite Therapiestufe (auch tierung einen positiven Effekt als ursachengerichtete Therapie auf die Behandlung einer bekannt) zielt auf die Beseiti- Parodontitis? gung (Reduktion) von subgingivalem Die subgingivale Instrumentierung Biofilm sowie subgingivalem Zahn- UNIV.-PROF. DR. MED. DENT. hat zum Ziel, durch die Entfernung stein und kann mit der Entfernung DR. MED. SØREN JEPSEN, M.S. harter und weicher Beläge von der von Anteilen der Wurzeloberfläche Zentrum für Zahn-, Mund- und Wurzeloberfläche die Weichgewebs- (Wurzelzement) einhergehen. Diese Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Bonn, entzündung zu reduzieren. Eine Ziel- Intervention hat in der Literatur Direktor der Poliklinik für Parodontologie, größe der Behandlung ist „Pocket verschiedene Namen: subgingivales Zahnerhaltung und Präventive Closure“ (geschlossene Taschen), was Debridement, subgingivales Scaling, Zahnheilkunde als Taschensondierungstiefe (TST) Root Planing et cetera [Kieser, 1994]. Welschnonnenstr.17, 53111 Bonn ≤ 4 mm und Abwesenheit von Bluten In der Leitlinie wurde vereinbart, den sjepsen@uni-bonn.de auf Sondieren (BOP) definiert ist. Ein Begriff „subgingivale Instrumentie- Foto: privat RCT mit 169 Patienten mit einem zm 111, Nr. 7, 1.4.2021, (602)
ZM_07_2021_S00049.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 24.Mar 2021 17:30:29; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ZAHNMEDIZIN | 49 a b c Fotos: Ehmke d e f Abb. 2: a) Initialer Befund einer unbehandelten Parodontitis Stadium III, Grad B: Taschensondierungstiefen 5 mm mit Blutung und Suppuration. b) Die auf der Gingiva aufliegende Schallscalerspitze verdeutlicht, wie tief die Spitze in den subgingivalen Raum eingebracht werden muss, um subgingivalen Zahnstein und Biofilm adäquat zu entfernen. c) Nach Lokalanästhesie wird die Schallscalerspitze, genau wie zuvor die Parodontalsonde, 5 mm in die parodontale Tasche eingebracht. d) Die aktivierte Schallscalerspitze muss durch Wasser gekühlt werden. Hierdurch werden gelöster Biofilm und Zahnstein aus der parodontalen Tasche herausgespült. Das Behandlerteam muss wegen des ebenfalls entstehenden Aerosols Schutzmaßnahmen ergreifen. e) Klinisches Bild unmittelbar nach Abschluss der subgingivalen Instrumentierung. Dem Patienten wurden keine adjuvanten Antiseptika oder Antibiotika verordnet. f) Reevaluation: Nach acht Wochen wurde der Reevaluationsbefund erhoben. Das klinische Bild zeigt einen weitgehend entzündungsfreien Zustand. Die Taschensondierungstiefe ist auf 3 mm reduziert. Diese Reduktion ergibt sich aus etwa 1 mm klinischem Attachmentgewinn und 1 mm parodontaler Rezession. dreimonatigem Follow-up und weitere postoperative Reduktion der TST (pri- zeigte eine durchschnittliche Reduk- elf prospektive Studien (n = 258) mit märe Zielgröße) und der prozentuale tion der TST von 1,7 mm nach sechs einem sechsmonatigem Follow-up Anteil von geschlossenen Taschen Monaten, einen mittleren Anteil an wurden analysiert. Erfasst wurden die (sekundäre Zielgröße). Die Evidenz geschlossenen Taschen von 74 Pro- zent und eine durchschnittliche Reduktion des BOP um 63 Prozent. SUBGINGIVALE INSTRUMENTIERUNG Empfehlungs- Tiefere Taschen (> 6 mm) zeigten grad eine größere mittlere Reduktion der Evidenzbasierte Empfehlung (2.1): Taschensondierungstiefe von 2,6 mm Die subgingivale Instrumentierung soll eingesetzt werden, um (Abbildung 2). Parodontitis durch die Reduktion der Taschensondierungstiefe (TST), der gingivalen Entzündung und der Anzahl erkrankter Die Evidenz war in allen elf Studien, Bereiche/Stellen zu therapieren. die in die Prä- und Post-Behandlungs- Konsensstärke: einstimmiger Konsens Analyse eingeschlossen waren, kon- sistent und wurde deshalb als hoch Evidenzbasierte Empfehlung (2.2): bewertet. Die meisten Studien wur- Es konnten keine Unterschiede gezeigt werden. Die subgingivale den im gut kontrollierten wissen- Instrumentierung soll mit Hand- oder maschinell betriebenen schaftlichen Umfeld durchgeführt (Schall-/Ultraschall-) Instrumenten entweder allein oder in und schlossen nur Patienten ohne Kombination durchgeführt werden. systemische Erkrankungen ein. Ob- Konsensstärke: einstimmiger Konsens wohl Ergebnisse aus Studien mit sys- Evidenzbasierte Empfehlung (2.3): temisch erkrankten Patienten nicht Die subgingivale Instrumentierung sollte entweder traditionell in dieses systematische Review ein- quadrantenweise oder im Full-Mouth-Vorgehen (innerhalb geschlossen wurden, gibt es einen von 24 h) unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils Konsens, dass subgingivale Instru- des Patienten durchgeführt werden. mentierung auch in diesen Patienten- Konsensstärke: starker Konsens gruppen effektiv ist [Sanz et al, 2018; 2020], aber für die Bestimmung der Quelle: Leitlinie, [DG PARO/DGZMK 2021] Effektgröße bedarf es weiterer Studien. zm 111, Nr. 7, 1.4.2021, (603)
ZM_07_2021_S00050.pdf; s1; (207.00 x 280.00 mm); 24.Mar 2021 17:30:33; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien 50 | ZAHNMEDIZIN Die Anwendung aller Instrumenten- typen ist techniksensitiv und bedarf deshalb eines speziellen Trainings. Falls berichtet, wurden keine offen- sichtlichen Unterschiede zwischen manuellen und maschinellen Instru- menten in Bezug auf postoperative UNIV.-PROF. DR. MED. Sensitivität gefunden. Auch existiert DENT. BENJAMIN EHMKE keine Evidenz dafür, dass ein Instru- Direktor der Poliklinik für Parodontologie mententyp bezüglich der benötigten und Zahnerhaltung am Behandlungszeit überlegen ist. Die Universitätsklinikum Münster Patientenpräferenz in Bezug auf die Waldeyerstr. 30, 48149 Münster Wahl des Instrumentariums ist zu be- Foto: UKM (RS) rücksichtigen. Kosteneffektivität wur- de in diesen Studien nicht bewertet. Die meisten Studien wurden in gut Closure (sekundäre Endpunkte). Es kontrollierten Forschungsumfeldern wurden keine deutlichen Unterschiede an spezifisch ausgewählten Patienten- zwischen beiden Therapiemodalitäten gruppen und unter Lokalanästhesie festgestellt. Die Evidenz wurde als stark durchgeführt. und konsistent bewertet. Die Ergeb- nisse bestätigen eine aktuelle Cochrane- Die Behandler sollten sich darüber im Übersicht [Eberhard et al., 2015]. Klaren sein, dass neue Instrumente (zum Beispiel Mini-Instrumente) in Behandler sollten wissen, dass es Hin- den verfügbaren Studien nicht unter- weise für systemische Auswirkungen sucht wurden. Die Wahl des Instru- (zum Beispiel akute systemische Ent- ments sollte auf der Erfahrung, den zündungsreaktionen) bei Anwen- Fertigkeiten und den Präferenzen dung der Full-Mouth-Protokolle gibt des Behandlers zusammen mit der [Graziani et al., 2015]. Deshalb sollte Patientenpräferenz beruhen. solch einem Therapieansatz immer eine sorgfältige Beurteilung des all- Sind die Therapieergebnisse bei gemeinen Gesundheitszustands des Quelle: Jepsen quadrantenweisem Vorgehen Patienten vorausgehen [Sanz et al., über mehrere Termine oder im 2020]. Die Patientenpräferenz bezüg- Full-Mouth-Ansatz (innerhalb lich des therapeutischen Vorgehens von 24 Stunden) besser? ist zu berücksichtigen. Es liegt nur Die subgingivale Instrumentierung eine begrenzte Evidenz bezüglich der Abb. 3: Die subgingivale Instrumentierung kann mit wurde traditionell in mehreren Sit- Kosteneffektivität der verschiedenen Hand- oder Schall/Ultraschallinstrumenten erfolgen. zungen (das heißt quadrantenweise) Behandlungsansätze vor. durchgeführt. Alternativ wurden so- genannte „Full-Mouth“-Protokolle vor- 2. INTERVENTION: ADJUVANTE Sind die Therapieergebnisse gestellt. Diese beinhalteten ein- und PHYSIKALISCHE ANSÄTZE besser nach der Anwendung zweizeitige Therapien innerhalb von In einer systematischen Übersichts- von Handinstrumenten, von 24 Stunden. Diesem Ansatz liegt die arbeit haben Salvi et al. [2020] zwei maschinell betriebenen Instru- Überlegung zugrunde, dass bei einer relevante Fragen zu adjuvanten phy- menten (Schall/Ultraschall) oder zeitlich komprimierten Vorgehens- sikalischen Ansätzen bei der subgin- deren Kombination? weise das Risiko einer Reinfektion der givalen Instrumentierung adressiert: Es gibt eine Vielzahl an Instrumenten instrumentierten Taschen durch pa- für die subgingivale Instrumentierung rodontalpathogene Mikroorganismen Sind die Therapieergebnisse bei (Abbildung 3). Es wurden vier RCTs aus den noch nicht instrumentierten zusätzlicher Laserapplikation (n = 132) identifiziert. Die Ergebnisse Taschen vermindert werden könnte der alleinigen subgingivalen wurden nach 6/8 Monaten für TST- (Abbildung 4). Protokolle, die Anti- Instrumentierung überlegen? Reduktion (primärer Endpunkt) und septika beinhalteten (Full-Mouth-Dis- Gewinn an klinischem Attachment- infection), wurden in der Analyse von niveau (CAL, sekundärer Endpunkt) Suvan et al. [2020] nicht berücksich- ZM-LESERSERVICE bewertet. Die Evidenz zeigte keine kli- tigt. Eingeschlossen wurden acht RCTs nisch relevanten oder statistisch sig- (n = 212) mit einem Follow-up von Die Literaturliste kann auf nifikanten Unterschiede zwischen der ≥ 6 Monaten. Die Zielgrößen waren www.zm-online.de abgerufen Instrumentierung mit verschiedenen TST-Reduktion (primärer Endpunkt), oder in der Redaktion Instrumenten. Die Ergebnisse wurden Gewinn an klinischem Attachment angefordert werden. als stark und konsistent bewertet. (CAL), BOP-Reduktion und Pocket zm 111, Nr. 7, 1.4.2021, (604)
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