Ein Valet dem New Public Management - oder warum Bayern München (fast) immer Meister wird
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Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag Ein Valet dem New Public Management – oder warum Bayern München (fast) immer Meister wird Dirk Obermann „Die Geschichte des Fußballs ist eine traurige Reise von der Lust zur Pflicht. In dem Maße, wie dieser Sport zur Industrie geworden ist, hat er immer mehr die Schönheit verbannt, die aus der reinen Freude am Spiel entsteht. In dieser Welt am Ende des Jahrhun- derts verdammt der Profifußball alles, was nutzlos ist, und nutzlos ist, was nicht rentabel ist. [….] Das Spiel ist zum Schauspiel geworden, mit wenigen Hauptdar- stellern [….] und das Schauspiel ist zu einem der bes- ten Geschäfte der Welt geworden, das nicht stattfindet, damit gespielt wird, sondern um zu verhindern, dass gespielt wird“ (Galeano, 2006, S.10). 1. Einleitung Was haben der Profifußball, die aktuelle Hochschulreform, die zuneh- mende Urbanisierung oder weitflächige Gebietsreformen gemeinsam? In der Regel wird von den für einschneidende Veränderungen in den genannten Bereichen Verantwortlichen das Diktat eines imaginären öko- nomischen Prinzips herangezogen. Aus betriebswirtschaftlichen Grün- den von Effizienz und Effektivität sei es beispielsweise erforderlich, um- fassende Zusammenlegungen von Verwaltungseinheiten zu forcieren. Maßnahmen im Profifußball wurden und werden damit begründet, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Beide Argumente wer- den für die umfassende Reform der Hochschulen herangezogen. Diese kleine Denkschrift soll zur Überlegung anregen, ob aus wohl- fahrtsökonomischer Betrachtung tatsächlich jeweils eine verbesserte Si- 396
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag tuation eingetreten ist oder aber ob unter dem Deckmantel reiner Wirt- schafts- und Machtinteressen einzelner Akteure funktionierende und vor allem pareto-optimale Strukturen nachhaltig und damit zum Schaden der Volkswirtschaft zerschlagen wurden. Es kann nicht im Interesse des Profifußballs sein, wenn man dem Spiel aufgrund zunehmender fehlen- der Konkurrenz das Lebenselixier nimmt, nämlich die Frage wie ein Spiel ausgeht oder wer letztlich Meister wird? Es ist volkswirtschaftlich ebenso Unsinn, dass eine Gebietskörperschaft Kosten durch geringere Mietzahlungen einspart, dafür aber fast alle Bürger erhebliche Transak- tionskosten auf sich nehmen müssen, um einem Verwaltungsakt nach zu kommen. Schließlich hat die Gesellschaft dauerhaft höhere Kosten (Mo- bilität, Quasimonopole, geringerer Service) durch die Inanspruchnahme kurzfristig niedrigere Preise im Handel. Geiz ist eben aus volkswirt- schaftlicher Sicht nicht geil. Und ob ein auf Eliten basierendes Staatssys- tem dauerhaft erfolgreicher und damit beständiger ist als ein der Mehr- heit seiner Mitglieder dauerhaft angemessenes Wohlstandsniveau zu ga- rantieren, hat eigentlich der historische Ablauf schon längst bewiesen. 2. Die Situation im Profifußball Im Jahr 1963 gab es im deutschen Profifußball (damals Vertragsligen ge- nannt) exakt 104 Vereine, die nach der Einführung der Bundesliga und den fünf Regionalligen an den Start gingen. Im Verlauf von mehr als vier Dekaden ging die Zahl der deutschen Profivereine dann sukzessive zu- rück. Unterbrochen wurde dieser Trend lediglich durch die vereini- gungsbedingten Auswirkungen, um die ehemaligen Vereine der DDR zu integrieren. Heute gibt es insgesamt offiziell noch 36 Profivereine, die sich den Großteil der Sponsoring- und Fernseheinnahmen aufteilen. 397
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag Tabelle 1: Entwicklung der Zahl der Profifußballvereine in der Bundesrepublik Deutsch- land von 1963 bis 2006 Jahr 1.Bundesliga 2.Bundesliga/Regionalliga Vereine Gesamt 1963 16 88 104 1974 18 40 58 1982 18 20 38 1992 20 24 44 2006 18 18 36 Durchschnitt 18 38 56 Quelle: Kicker Almanach, „1970-2006“; Eigene Berechnungen Diese Entwicklung wurde mit Einführung der Bundesliga vom Deut- schen Fußball Bund (DFB) ganz gezielt in Angriff genommen, um die vermeintlich nicht mehr vorhandene Konkurrenzfähigkeit des deutschen Fußballs wieder herzustellen, weil in fast allen anderen europäischen Ländern zum Teil schon sehr viel früher eine Landes umfassende Liga etabliert worden war. Dieser bewusst herbeigeführte Konzentrationsprozess führte allerdings sehr schnell zu einer völligen Veränderung der Fußballlandkarte Deutschlands. Gab es in den ersten Jahren der Bundesliga noch sieben verschiedene Meister, setzte mit Beginn der siebziger Jahre ein immenser Konzentrationsprozess im deutschen Profifußball ein. Begleitet wurde diese Entwicklung von einer zunehmenden Wettbewerbsunfähigkeit von Vereinen, die eher aus kleineren oder mittleren Städten stammten. So- fern nicht ein Super-Mäzen (wie jetzt in Hoffenheim) die Wettbewerbs- nachteile ausgleicht, ist es schlechterdings nicht vorstellbar, dass Vereine wie Borussia Neunkirchen oder FC Homburg/Saar im Profifußball, ge- schweige denn in der Bundesliga spielen oder dass Alemannia Aachen oder Eintracht Braunschweig ernsthaft um die Deutsche Meisterschaft kämpfen können. Selbst der letzte „Ausreißer“, der 1.FC Kaiserslautern 398
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag (immerhin im Jahr 1998 noch Deutscher Meister) ist aufgrund der struk- turellen Gegebenheiten in der Stadt und trotz eines modernen WM- Stadions letztlich nicht mehr konkurrenzfähig. Tabelle 2: Entwicklung der Zahl der unterschiedlichen Meister der Fußball-Bundesliga und der jeweilige Anteil von Bayern München daran Dekade Anzahl unterschiedlich. Meister davon Meister Bay. Bayern München München (absolut) (in Prozent) 1960-1969 8 1 10 1970-1979 4 3 30 1980-1989 4 6 60 1990-1999 5 4 40 2000-2006 3 5 70 Durchschnitt 4,8 3,8 42 Quelle: Kicker-Almanach, „1970-2006“; Eigene Berechnungen Es ist zu erkennen, dass mit Ausnahme der 90iger Jahre eine stetige Zu- nahme der Zahl der Meisterschaften nur eines Vereins festzustellen ist (in den neunziger Jahren gab es durch die vereinigungsbedingten „Tur- bulenzen“ die Möglichkeit für andere Vereine kostengünstig gute Spieler zu erwerben und so temporär konkurrenzfähig gegenüber Bayern Mün- chen zu sein). Der Aufstieg von Bayern München als Serienmeister begann im Jahre 1972 mit der Fertigstellung des damals modernsten und vor allem größ- ten Fußballstadions in Deutschland – dem Münchener Olympiastadion. (Das Berliner Olympiastadion fasste zwar noch mehr Zuschauer, war aber zu diesem Zeitpunkt in einem eher maroden Zustand und generier- te bei Weitem nicht die Einnahmen der modernen Münchener Arena). In Kombination mit dem damals überragenden Team um Franz Becken- bauer sicherte sich der FC Bayern Wettbewerbsvorteile durch die vor- handenen economies of scale. Das zweite herausragende Team der sieb- 399
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag ziger Jahre, Borussia Mönchengladbach, war aufgrund des kleinen Sta- dions und des Umfeldes der Stadt dauerhaft nicht in der Lage, konkur- renzfähig zu bleiben und wurden letztmalig 1977 Deutscher Meister. Mit Ausnahme vom bereits erwähnten 1.FC Kaiserslautern hat es seitdem keinen Deutschen Meister mehr gegeben, der nicht aus einer Großstadt mit mehr als 500.000 Einwohnern kam und ein konkurrenzfähiges Stadi- on besaß. Ähnlich der Entwicklung in anderen europäischen Ligen hat Bayern München jedoch seine einmal erlangte Vormachtstellung nie wieder ab- geben müssen. Im Gegenteil, die Ungleichverteilung an Fernseh- und Sponsorengeldern ist in den letzten Jahren dramatisch angestiegen. Al- lein die Deutsche Telekom zahlt den Münchener Bayern 20 Mio. € pro Saison, was allein in etwa den gesamten Etats von Klubs wie Energie Cottbus oder FSV Mainz 05 ausmacht. Es hat sich quasi ein Verselbst- ständigungsprozess vollzogen, weil natürlich jeder Sponsor einen mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreichen Verein unterstützen möchte. So wird seit Jahren, unabhängig vom jeweiligen Gegner, jedes Spiel von Bayern München im DFB-Pokal live übertragen, was den FC Bayern je- des Mal nicht unerheblich an den ausgelobten zusätzlichen Fernsehein- nahmen partizipieren lässt und ihn gleichzeitig natürlich wiederum für potenzielle Sponsoren interessant macht. Diese für den Fußball auf lange Sicht ungesunde und damit letztendlich auch volkswirtschaftlich be- trachtet negative Entwicklung ist überall in Europa zu beobachten. In Frankreich gewann der vorher nicht sonderlich erfolgreiche Verein Olympique Lyon durch das Engagement eines Finanzinvestors und der sich daran anschließenden, ständigen Teilnahme an der Champions- League sechs Meistertitel in Folge. Seit Einführung der Premier League in England im Jahre 1996 hat es dort nur noch drei verschiedene Meister 400
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag gegeben: Die gut situierten Vereine Manchester United und Arsenal London sowie die durch russische Ölmilliarden gesponserte Mannschaft von Chelsea London. Da auch in Spanien und Italien letztlich nur noch drei, vier Vereine um den Titel spielen können und ohne richtigen Wett- bewerb innerhalb der eigenen nationalen Liga zu wenig Geld zu verdie- nen ist und um das einmal in Gang gesetzte Rad der Vormachtstellung auch halten zu können, war die Einführung der Champions League durch den Europäischen Fußballverband (UEFA) im Jahre 1992 zwin- gende Konsequenz. Nur durch die exorbitanten Fernsehgelder waren die etablierten Vereine in der Lage, ihre jeweilige Vormachtstellung in den nationalen Verbänden dauerhaft aufrecht zu erhalten. Damit dieses Sys- tem auch langfristig funktioniert, wurde gleichzeitig dafür gesorgt, dass aus den führenden europäischen Verbänden bis zu vier, mindestens aber drei Mannschaften an dem jährlichen Wettbewerb teilnehmen konnten. Damit diese Statuten in keiner Weise ausgehebelt werden können, hat sich sozusagen als Gegenmacht eine Institution mit dem Namen G-14 gebildet. Dieser gehören nahezu alle renommierten Vereine aus den fünf besten europäischen Ligen an. Nur wer mindestens einen Europapokal gewonnen hat und in den letzten fünf Jahren dreimal nationaler Titelträ- ger war, findet jetzt noch auf Antrag möglicherweise Aufnahme in die- ses erlauchte Kartell. Bedenklich für alle nationalen Verbände und nicht im Kartell befindli- chen Vereine muss die Aussage von Stefan Ludwig, Verantwortlicher der deutschen Sportbusiness Gruppe der internationalen Wirtschaftsprü- fungsgesellschaft Deloitte klingen: „Fußball bleibt europaweit ein Wach- stumsmarkt, insbesondere auf Topniveau [!]. Der erneut starke Anstieg der Einnahmen beruht auf dem anhaltend hohen Interesse der Medien, Sponsoren und Fans. Für die Klubs [….] gewinnt in Zukunft die Interna- 401
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag tionalisierung [!] beim weiteren Ausbau ihrer Erfolgsquellen an Bedeu- tung.“ Betrachtet man die Umsatzzahlen der TOP20-Klubs in Europa wird die zunehmende Konzentration im Vereinsfußball mehr als deut- lich: Tabelle 3: Die Deloitte „Football Money League“ 2004/05 (in Euro) Position (Position im Verein Einnahmen (in Mio. €) vergangenen Jahr) 1. (2) Real Madrid 275,7 2. (1) Manchester United 246,4 3. (3) AC Mailand 234,0 4. (5) Juventus Turin 229,4 5. (4) Chelsea London 220,8 6. (7) C.F. Barcelona 207,9 7. (9) FC Bayern München 189,5 8. (10) F.C. Liverpool 181,2 9. (8) Inter Mailand 177,2 10. (6) Arsenal London 171,3 11. (12) AS Rom 131,8 12. (11) Newcastle United 128,9 13. (14) Tottenham Hotspur 104,5 14. (17) FC Schalke 04 97,4 15. (--) Olympique Lyon 92,9 16. (13) Celtic Glasgow 92,7 17. (16) Manchester City 90,1 18. (--) F.C. Everton 88,8 19. (--) F.C. Valencia 84,6 20. (15) SS Lazio Rom 83,1 Quelle: Deloitte & Touche GmbH, 2006, S. 2 Die in der Tabelle 3 aufgeführten Top5-Vereine machen mindestens doppelt, wenn nicht dreimal soviel Umsatz wie die nächsten folgenden zehn Vereine. Auf die nationalen Ligen bezogen ist der Umsatz der Gro- 402
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag ßen gar bis zu zehnmal höher als die Umsatzerlöse der kleinen Vereine. Die Polarisierung der Einnahmen und den eingeschränkten Wettbewerb in den europäischen so genannten „Big Five“-Ligen verdeutlicht die Tabelle 4: Tabelle 4: Polarisierung der Einnahmen sowie Darstellung des sportlichen Erfolgs in den europäischen „Big Five“-Ligen zum Zeitpunkt 2004/05: Einnahmen Einnahmen Einnahmen Zahl der Titel Gesamt (Mio. €) Top5 (Mio. €) Top5 (Prozent) Top5 (i.10 Jahr.) England 1.974 937 47% 10 Italien 1.336 857 64% 10 Deutschland 1.236 655 53% 8 Spanien 1.029 688 67% 9 Frankreich 696 310 44% 7 Quelle: Deloitte, 2006, S. 16 Das weitere Szenario ist damit absehbar. Wie in Italien bereits vollzogen, werden auf Dauer die Zuschauerzahlen in den nationalen Ligen auf- grund der immer geringeren Wettbewerbsfähigkeit fast aller Vereine und der damit einhergehenden Langeweile zurückgehen. Dieses sieht auch Deloitte so: „Es gibt einen magischen Kreis im Top-Fußball. Die Ge- fahr besteht, dass die Schere zwischen den Klubs, die sich in dem Kreis bewegen, und den Clubs außerhalb, so groß wird, dass das Wichtigste des Fußballs Schaden nimmt – die Unvorsehbarkeit des Spielausgangs“ (Deloitte, 2006, S. 17). Die Auswirkungen des aufgezeigten Konzentrationsprozesses sind in den deutschen Fußballligen auch unterhalb der zweiten Spielklassen be- reits seit Jahren zu beobachten. Derzeit viertklassige Traditionsmann- schaften wie Tennis Borussia Berlin oder Wormatia Worms spielen vor weniger als 500 Zuschauern. So ist trotz des vermeintlichen Booms der Zuschauerzahlen in der Bundesliga die Gesamtzahl der sich am Wo- 403
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag chenende ein Spiel live ansehenden Zuschauer bundesweit seit den fünf- ziger und sechziger Jahren kontinuierlich und damit erheblich zurück- gegangen. Letztlich wird es eine Europaliga mit zwanzig internationalen Vereinen geben (ohne Auf- und Abstieg versteht sich), die alle als einget- ragene Kapitalunternehmen an der Börse notiert sein werden. Der Rest der Vereine wird sich mit Ausbildungszwecken und gemeinnützigen Be- langen begnügen müssen. Eine vergleichbare Entwicklung hat es sozu- sagen als Vorreiter in den USA schon längst mit der Einführung der Na- tional Football League gegeben. Ob dieses Szenario letztlich volkswirtschaftlich wünschenswert ist, darf bezweifelt werden, selbst wenn man allein pekuniäre Aspekte einbe- zieht. Unabhängig von einer jeden selbst überlassenen Bewertung der aufgezeigten Entwicklung würde man den einmal in Gang gesetzten Konzentrationsprozess ohnehin nur durch eine neuerliche ordnungspoli- tische Reglementierung aufhalten können. Gilt doch für den Profifußball dasselbe wie für alle Industriebranchen, in denen die Gesetze der freien Marktwirtschaft einigermaßen ungebremst zur Geltung kommen. Es gibt in keiner entwickelten Volkswirtschaft eine Branche, die ab einem ge- wissen Lebenszyklus nicht hochgradig konzentriert ist. Als Beispiele sei- en hier die auffälligsten und größten benannt: Automobil- und Luftfahrt- industrie, Chemie- und Pharmaindustrie, Bergbau, Energie, Textil- und Schuhindustrie, Schiffsbau, Raffinerien, Halbleiterindustrie und der Handel. Letztgenannte Branche sei beispielhaft erörtert – es werden eini- ge vergleichbare Gegebenheiten mit dem Profifußball deutlich werden. 3. Die Konzentration im Handel und die urbanen Folgen Bis Mitte der achtziger Jahre, in manchen Regionen Deutschlands teil- weise auch noch bis in die neunziger Jahre hinein, gab es auch in den ländlichen Räumen eine gewachsene Struktur an Einzelhandelsbetrieben 404
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag verschiedener fachlicher Ausrichtungen. Durch die zunehmende Kon- zentration im Handel (Discounter-Effekt) seit den siebziger Jahren wur- de diese kleinflächige Geschäftsstruktur zunehmend obsolet. Der Trend ging hin zu großen Supermärkten, Bau- und Fachmärkte wurden errich- tet und es entstanden immer mehr große Möbelhäuser an den Rändern der urbanen Mittel- und Oberzentren. Dem dadurch bewirkten Preis- wettbewerb konnten und wollten viele Einzelhändler und Handwerks- betriebe mit angebundenen Ladenverkaufsflächen nicht mehr standhal- ten. Diese Entwicklung hat zum Einen sicherlich zu Einsparungseffekten in preislicher als auch zeitlicher Hinsicht bei den Konsumenten geführt, andererseits in ländlichen Regionen genau gegenteilige Effekte verur- sacht und insgesamt zu einem erheblichen Verfall an Produkt- und Ser- vicequalität geführt. Es gibt mittlerweile viele Regionen in Deutschland, in denen die ansässige Bevölkerung ohne die Inanspruchnahme eines eigenen Kraftfahrzeuges schlichtweg verhungern müsste. Dieser Tatbes- tand ist um so Besorgnis erregender, führt man sich die demographische Entwicklung in Deutschland bei gleichzeitiger Berücksichtigung des wei- ter voranschreitenden Abbaus der öffentlichen Nahverkehrsangebote vor Augen. Auch das Internet bietet hier selbst unter Vernachlässigung des Aspekts, dass gerade die ältere Bevölkerung eher nicht auf online- Kauftransaktionen fixiert ist, nur in bestimmten Verkaufssegmenten eine Alternative. Schließlich kommt hinzu, dass teuer sanierte Dorfkerne und Stadtzentren durch den Wegfall vieler Geschäfte zunehmend veröden und damit ebenfalls Gastronomie und andere Freizeiteinrichtungen wie Kinos, Theater, Hallen- und Schwimmbäder, usw. negativ von dem Konzentrationstrend im Handel betroffen sind, was den aufgezeigten Effekt nochmals verstärkt. Ein willkürlich gewähltes, aber konkretes Bei- spiel soll den Sachverhalt untermauern: 405
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag Die nordrhein-westfälische Kleinstadt Spenge, zwischen dem Oberzent- rum Bielefeld und Herford in Ostwestfalen gelegen, bestand bis zur Ge- meindereform im Jahre 1969 aus fünf einzelnen selbstständigen Ge- meinden. Was viele damalige Kritiker der Gebietsreform bereits voraus- gesagt hatten, trat im Laufe der nächsten zwei Dekaden ein. Von urs- prünglich 63 Gewerbetreibenden im jetzigen Stadtteil Lenzinghausen sind bis zum Jahr 2006 nur noch 13 übrig geblieben, was einem Rück- gang von 79,5% ausmacht. Gleichzeitig ging die Zahl der Selbstständigen um 77% von ehedem 109 auf 25 zurück (vgl. Arbeitsgemeinschaften der Vereine Lenzinghausen, 2006, S. 149ff). Dieser jeweilige Rückgang ist umso beachtlicher, stieg die Einwohnerzahl sowohl der einzelnen Stadt- teile als auch der Gesamtstadt im selben Zeitraum um mehr als 30% an. Selbst das Kleinzentrum Spenge ist schon nicht mehr für jeden ohne wei- teres zu erreichen. Der oben aufgezeigte Trend im Handel mit Beginn der neunziger Jahre hat jedoch dazu geführt, dass selbst die durch nicht unerhebliche öffentliche Finanzmittel entstandene zentrale Einkaufszone und der sanierte Stadtkern der Stadt Spenge zunehmend an Einzelhan- delsgeschäften verliert, weil die umliegenden Oberzentren mit der dort etablierten großteiligen Fachmarktstruktur verstärkt mobile Käufer- schichten abziehen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist diese Entwick- lung, die bundesweit überall zu beobachten ist, mehr als bedenklich. Da auch Banken, Reisebüros und die Postdienstleister sich letztlich dort an- siedeln, wo die Majorität der Bevölkerung sich im Dienstleistungssektor tatsächlich aufhält, droht den Kernen kleinerer Städte und damit auch den jeweiligen Stadtfinanzen der Kollaps. Es fallen nicht nur erhebliche Gewerbesteuereinnahmen, sondern auch die Einkommensteuer der nicht mehr beschäftigten Mitarbeiter weg und zudem bleiben die Städte auf den Kosten der noch nicht einmal vollständig getilgten Infrastrukturin- 406
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag vestitionen sitzen. Gleichzeitig wird durch diese Entwicklung ein Verlas- sen der ländlichen Räume gerade für die junge, Beschäftigung suchende, Bevölkerung induziert mit entsprechenden negativen Folgen für das Angebot von Kinderbetreuungs- und Schuleinrichtungen. In vielen Re- gionen der Bundesrepublik Deutschland werden zudem durch die wei- tere Konzentration auch im verarbeitenden Gewerbe im Ort traditionell ansässige Betriebe geschlossen, was die aufgezeigten Effekte noch einmal in ihren negativen Auswirkungen beschleunigt. 4. Die Situation der öffentlichen Hand – das New Public Management Wie bereits weiter oben konstatiert, soll hier keinerlei Bewertung be- triebswirtschaftlicher Notwendigkeiten einzelner Betriebe oder Unter- nehmungen vorgenommen werden. Ausgelöst wurden jedoch die aus Sicht des Verfassers in vielerlei Hinsicht dauerhaft volkswirtschaftlich negativ zu betrachtenden Entwicklungen sowohl im Profifußball als auch in der Entwicklung der ländlichen Regionen durch Maßnahmen der öffentlichen Hand oder die öffentliche Hand vertretenden, gemein- nützigen Institutionen (hier dem Deutschen Fußball Bund) durch die Ausrichtung der Rahmenbedingungen auf mehr ökonomische Effizienz oder mit dem Argument auf vermeintlich mehr Wettbewerbsfähigkeit. Diese Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip, das sowohl die „Väter“ des Grundgesetzes als ursprünglich auch die Begründer der Europäische Union nicht ohne Grund als hehres Ziel festgeschrieben hatten, ist eine in öffentlichen Verwaltungen in vielen Bereichen bereits seit Jahrzehnten sich abzeichnende Entwicklung. (Das Subsidiaritätsprinzip besagt ver- kürzt formuliert, dass die kleinste Gebietskörperschaft oder Institution, welche bereits über die notwendigen Ressourcen verfügt, eine bestimmte Aufgabe erfüllen sollte.) Zu Beginn einer jeden Maßnahme im öffentli- 407
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag chen Sektor wurde bereits vor Einführung des so genannten New Public Management mit der notwendigen Kosteneffizienz und der per Verfas- sung auferlegten Haushaltssparsamkeit argumentiert (vgl. Schuppert, 2000, S. 917ff). Dieses ist per se mit dem Subsidiaritätsprinzip nur dann zu vereinbaren, wenn man dieses rein betriebswirtschaftlich auffasst. Dieses ist aber aus Sicht des Verfassers ein volkswirtschaftlicher Irrglau- be, der konsequent genug umgesetzt, langfristig sämtliche funktionie- renden wirtschaftlichen, sozialpolitischen und auch umweltpolitisch sinnvollen Strukturen aushebeln kann und damit auch international ge- sehen zu einer deutlich verringerten Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands oder gar Europas im Globalisierungsprozess führen würde. In den letzten Dekaden hat es eine Vielzahl von Gebietsreformen in der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Aufgrund der Entwicklung der Bevölkerungszahlen und des medialen Drucks auf die notwendige Effi- zienz bei öffentlichen Ausgaben gibt es in fast jedem Flächenbundesland in Deutschland die Tendenz zu immer größer werdenden Gebietskör- perschaften. Mag die Zusammenlegung kleinster Gemeinden und Ämter zu Kleinstädten in der Tat sowohl finanziell als auch strukturell und damit dem föderalen Prinzip unserer Bundesrepublik entsprechen, ist die Tendenz zu immer größeren Landkreisen in jeder Beziehung wider- sinnig. So besteht das relativ große Flächenland Mecklenburg- Vorpommern mittlerweile nur noch aus sechs Landkreisen plus zwei kreisfreien Städte. Im Landkreis Nordwestmecklenburg müssen viele Bewohner mittlerweile siebzig Kilometer fahren, um einen Behörden- stempel zu erlangen. Das kann nicht effizient sein, ist ökologisch mehr als bedenklich und fördert zudem die Tendenz, am lokalen Bürger vor- bei Kommunalpolitik zu betreiben - mit den negativen Auswirkungen 408
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag einer immer mehr abnehmenden Wahlbeteiligung und der Hinwendung zu extremen politischen Positionen. Der gleiche Effekt tritt ein, wenn Bundeswehrstandorte, Schulen, Gerichte oder Behörden wie Materialprüfungsämter, Zulassungsbehörden entweder geschlossen oder über hunderte Kilometer entfernt zusammen gelegt werden. Ähnlich wie beim Fußball interessiert sich der einzelne weniger für seinen Verein oder hier seine Stadt oder seinen Kreis. Die staatlichen Institutionen gehen einen bedenklichen Weg, wenn sie sich ausschließlich auf verwaltungsinterne, betriebswirtschaftliche Effizienzkriterien einlassen. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten dieser Maßnahmen sind um ein Vielfaches höher. Ein weiteres Beispiel soll diesen Zusammenhang verdeutlichen. Ginge es nach rein betriebswirtschaftlichen Überlegungen, so müsste der Gesetzgeber unmittelbar das Instrument einer kleinen Anfrage eines Kreis- oder Landtagsabgeordneten oder die Petitionsmöglichkeit von einzelnen Bürgern abschaffen. Eine Kostenabschätzung einer kleinen Anfrage eines Abgeordneten in einem Landesparlament soll dieses verdeutlichen: Als Muster für das Beispiel der Tabelle 5 diente hier eine kleine Anfrage zum Bau eines weiteren Grenzüberganges an der Oder im Brandenbur- ger Landtag in Potsdam (der ersten Anfrage folgten noch weitere sieben zu diesem Thema mit zum Teil sehr kontrovers geführten Diskussionen zwischen den einzelnen involvierten Behörden). Betriebswirtschaftlich betrachtet sind diese Anfragen nicht zu rechtferti- gen. Da die Mehrheitsverhältnisse in den Parlamenten in aller Regel während einer Legislaturperiode eindeutig sind, ist der scheinbare Nut- zen dieser parlamentarischen Anfragen eher gering. Es gibt ganze Refe- rate und Stabsabteilungen in den oberen Landesbehörden, die sich 409
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag hauptsächlich mit der Beantwortung großer und kleiner Anfragen sowie der Beantwortung von Petitionen beschäftigen. Tabelle 5: Berechnung der Kosten einer kleinen parlamentarischen Anfrage (die mehrere Unterfragen umfasst und mindestens vier Ressorts betrifft): --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Erarbeitung/Abstimmung der Anfrage (Abgeordneter mit Referent) 300 € Druck und Verteilung/Veröffentlichung (300 Exemplare) 50 € Abstimmung wer zuständig (zwischen den Ressorts/ innerhalb eines Ressorts) 100 € Informationsanforderung von nachgeordneter Behörde 300 € 1. Entwurf der Beantwortung 200 € Besprechung auf AL- Ebene (ressortintern) 100 € Abstimmung auf Arbeitsebene (mehrere Ressorts) 300 € 2. Entwurf der Beantwortung 100 € Mitzeichnung auf Arbeitsebene 150 € Besprechung auf StS-Ebene (ressortintern) 100 € Einarbeiten von Änderungen 50 € Offizielles Mitzeichnungsverfahren (ressortübergreifend) 200 € Besprechung auf ACK-Konferenz (strittig) 500 € Arbeitssitzung auf AL-Ebene (ressortübergreifend) 300 € Neuentwurf, erneutes Mitzeichnungsverfahren (ressortübergreifend) 200 € Besprechung auf ACK-Konferenz (Einvernehmen) 200 € Einbringung in die Kabinettsitzung 200 € Abstimmung mit den Regierungsfraktionen 500 € Drucklegung und Verteilung der Antwort (einschließlich PM) 100 € Nachfragen der Presse 300 € --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Summe: 4.250 € ========================================================================= Quelle: Obermann, 2006 410
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag Das bedeutet, eine Abschaffung dieses demokratischen Elements würde den Steuerzahler um Millionen Euro jährlich entlasten (allein in Bran- denburg gibt es pro Legislaturperiode mehr als 3.000 kleine und ca. 100 große Anfragen). Reduzierte der Staat Beteiligungs- und Mitsprache- rechte von Bürgern konsequent, würde er Klagemöglichkeiten ein- schränken und die Rechte von Abgeordneten drastisch limitieren, könn- ten zusätzlich zu den Einsparungen der genannten Gebiets- und Organi- sationsreformen nochmals erhebliche öffentliche Ausgaben eingespart werden. Allerdings würde man sich zunehmend dem auf das Subsidiari- tätsprinzip aufgebauten föderalen System entziehen und mehr und mehr zentralistische Strukturen einführen (was der tendenziellen Entwicklung des Einflusses der Europäischen Kommission entspricht und letztlich auch dem Verfahren der UEFA gegenüber den nationalen Fußballver- bänden gleichkommt). Konsequent zu Ende gedacht ist die preiswerteste Staatsform aus be- triebswirtschaftlicher Sicht der Zentralstaat (genauso wie die Volkswirte wissen, dass der so genannte „weise“ Diktator eine theoretisch durchaus optimale Staatsform darstellen kann). Die volkswirtschaftliche Realität sieht allerdings wie alle historischen Erfahrungen zeigen, anders aus. Zentral ausgerichtete Staaten sind grundsätzlich mit einer systemimma- nenten Ineffizienz ausgestattet und werden im Zeitablauf zunehmend politisch instabil. Beides führt zu erheblichen Folgekosten, die zumindest historisch gesehen immer höher waren, als kurzfristig durch Reformen zu erzielende Einsparungen. 411
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag 5. Die aktuelle Hochschulreform – wer braucht Elite-Universitäten? Als letzter Bereich der Entwicklung vom Public Management hin zum New Public Management und den damit jeweils einhergehenden Kon- zentrationsprozessen soll die Situation im Hochschulsektor in Deutsch- land beleuchtet werden. Unabhängig von der allgemein anerkannten Einsicht, dass die zukünfti- gen wirtschaftlichen Determinanten Deutschlands nicht unerheblich da- von abhängen, inwieweit wir den gegenüber vielen anderen Staaten ge- haltenen Wissensvorsprung zumindest konservieren können, hat sich das Hochschulwesen wie alle anderen öffentlichen Sektoren dem Diktat knapper Kassen beugen müssen und unterzieht sich seit Jahren den In- strumentarien des New Public Managements. Solange es darum geht, veraltete Strukturen wie Prüfungsordnungen den europäischen Gege- benheiten anzupassen und die universitätsinternen Verwaltungsabläufe zu modernisieren ist dagegen nichts einzuwenden. Auch soll hier gar nicht bewertet werden inwieweit Studiengebühren sozial gerecht und Ziel führend auf den Erfolg von Hochschulen Einfluss haben. Dieses Thema ist mittlerweile ohnehin zu einer „Glaubensfrage“ geworden. Was aber mit Sorge zu betrachten ist und in den Kontext dieses Aufsat- zes passt, ist die politische Vorgabe nach der Notwendigkeit von Eliten- bildungen auch an den Hochschulen. Unabhängig von der hier auch nicht zu beantwortenden Sinnfrage, ob die Bildungspolitiker der siebzi- ger Jahre oder die von heute Recht haben, wird der staatlicherseits einge- forderte und geförderte Wettbewerb zwischen den Hochschulen zu ge- nau den gleichen Konzentrationsprozessen und negativen Auswirkun- gen führen wie die Stellung der Rahmenbedingungen bei Gebietsrefor- men oder der Reform des Fußballbereiches. Indem in einem rein staatli- 412
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag chen oder öffentlichen Sektor Wettbewerbselemente zugelassen werden, entstehen nach dem gleichen Prinzip einer Industriebranche Konzentra- tionen durch Zusammenschlüsse. Da die großen Hochschulen ohnehin über Economies of Scale und Economies of Scope verfügen (insbesonde- re im Drittmittelbereich) und traditionell in für Studenten attraktiven Städten angesiedelt sind, wird auch im Hochschulsektor eine Tendenz verstärkt werden, die der im Profisportbereich nicht unähnlich ist. Im Vorgriff auf den politisch geschalteten Elite-Wettbewerb ist es bereits zu nicht unerheblichen Zusammenlegungen von Hochschulen gekom- men. In Berlin beispielsweise wurden die Fachhochschule für Wirtschaft, die Hochschule für Verwaltung & Rechtspflege sowie die Berufsakade- mie zusammengelegt. Dabei entstanden nicht nur erhebliche Investiti- onskosten, sondern auch organisatorische und lehrinhaltliche Dishar- monien, die einer durchaus vorhandenen schlankeren Verwaltungs- struktur entgegenstehen, welche allerdings aufgrund der arbeitsrechtli- chen Gegebenheiten frühestens mittelfristig auch Kosten entlastend wir- ken kann. Trotz der Reform dieser vormals drei Hochschulen hatte die neue Institution keine Möglichkeit in die Liste der besonders zu fördern- den Eliteuniversitäten aufgenommen zu werden, weil es sich um eine Fachhochschule handelt. Nichtsdestotrotz hat die in Gang gesetzte Dis- kussion um Elitenförderung den Druck der Politik und der Medien auf alle Hochschuleinrichtungen erhöht, sich neu zu strukturieren und bes- ser zu vermarkten, um vermeintlich überhaupt noch die Chance zu be- sitzen, auch zukünftig überragende Studenten und vor allem auch adä- quates Lehrpersonal akquirieren zu können. In einer ersten Vorschlags- liste des Wissenschaftsrates und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wurden ausschließlich ohnehin schon sehr renommierte Hoch- schulen aufgenommen. Mit dieser Vorschlagsliste war die grobe Linie 413
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag der weiteren politischen Vorgehensweise bereits im Jahr 2004 vorge- zeichnet: Tabelle 6: Vorschlagsliste der Elite-Hochschulen des Wissenschaftsrates 2004 =================================================================== Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Eberhard Karl Universität Tübingen Universität Karlsruhe Universität Stuttgart Ludwig Maximilian-Universität München Technische Universität München Humboldt Universität Berlin Universität Bremen Rheinisch Westfälisch Technische Hochschule Aachen Technische Universität Dresden =================================================================== Quelle: Wissenschaftsrat, 2004 Mit der gemeinsamen Entscheidung des Wissenschaftsrates und der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 20. Januar 2006 wurden letz- tlich von knapp 300 eingereichten Antragsskizzen 90 für drei verschie- dene Exzellenzinitiativen für die zweite Runde des Wettbewerbs ausge- wählt. Bei den 39 zu fördernden Graduiertenschulen ist mit der Techni- schen Universität Dresden lediglich eine und bei den 41 ausgewählten Hochschulen im Bereich Förderlinie Exzellenzcluster mit der Universität Leipzig ebenfalls nur eine aus den neuen deutschen Bundesländern auf- geführt. Bei den zehn berufenen Universitäten um den wichtigen Bereich Förderlinie Zukunftskonzepte ist gar keine ostdeutsche Hochschule ver- treten (nicht einmal die Humboldt Universität in Berlin). Stattdessen wurde die „West“-Berliner Freie Universität berufen. Von den in Tabelle 6 genannten Hochschulen wurde zudem lediglich die Universität Stutt- 414
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag gart durch die in Würzburg ersetzt und die Technische Universität Dresden gestrichen (vgl. WR, DFG, 2006, S.1-3). Es wird auf den ersten Blick die räumliche Disharmonie der ausgewähl- ten Hochschulen deutlich. Die bestehende Tendenz der wachsenden Hochschulen im Süden und Südwesten in Deutschland wird mit dieser Vorauswahl weiter verstärkt. Die letztlich benannten Universitäten wer- den für einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt mit einem zusätzli- chen Fördervolumen von 1,9 Milliarden Euro bedacht. Neben der sich dadurch weiter verbessernden Ausbildungssituation dürfen sich die Hochschulen als Elite-Universitäten bezeichnen und können sich de- mentsprechend auch besser im Wettbewerb um die besten Absolventen eines Jahrgangs bemühen. Es liegt auf der Hand, dass auch sehr gute Lehrkräfte sich eher einer dieser Institutionen anschließen. Ebenso wird es den ausgewählten Hochschulen wesentlich effektiver gelingen, Dritt- mittel aus der Industrie einzuwerben. Bereits bestehende Abwande- rungstendenzen junger, sehr gut ausgebildeter Menschen aus den in- frastrukturell ohnehin schon benachteiligten Regionen werden zusätz- lich verstärkt. Große Universitäten werden größer, kleinere schrumpfen. Die Ungleichheit bei der Zahl der angemeldeten Patente wird wachsen, mit entsprechenden Auswirkungen auf Existenzgründungszahlen und den damit verbundenen Arbeitsplätzen. Viele der eher ländlichen Rand- regionen verlieren einmal mehr an Attraktivität und realen Zukunfts- chancen. Die endgültige Entscheidung des Wissenschaftsrates und der DFG vom 13. Oktober 2006 hat die bereits einseitige Vorauswahl noch einmal über- troffen. Die Universität München, die TU München sowie die Karlsruher Universität wurden als Elite-Universitäten benannt, die sich den Förder- kuchen weitestgehend aufteilen können. Es mag Zufall sein, dass es nur 415
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag süddeutsche Hochschulen getroffen hat, aber das gerade die Universitä- ten mit den besten Beziehungen zu den größten Drittmittelquellen (Sie- mens, EADS, MTU in München und Fraunhofer in Karlsruhe) ausge- wählt wurden, hinterlässt zumindest einen gewissen faden Beige- schmack dieser Entscheidung. Es liegt der Verdacht nahe, dass diese einseitige Eliteförderung unab- hängig von ihrer ohnehin nicht beweisbaren Notwendigkeit (vgl. von Münch, 2005 oder auch Weiler, 2004) nur Partikularinteressen dient und wirtschaftspolitisch unsinnig ist. Unter dem Deckmantel des New Public Management werden hier Strukturentscheidungen getroffen, die letz- tlich gerade nicht dem Ziel entsprechen, das Humankapital insgesamt in Deutschland zu erhöhen. Schon aufgrund der finanziell unterschiedli- chen Möglichkeiten der Bevölkerung zwischen Süd- und Südwest- deutschland auf der einen und Nord- und Ostdeutschland auf der ande- ren Seite, werden Jugendliche aus bestimmten Regionen wesentlich schlechtere Chance haben, einen adäquaten Hochschulabschluss zu er- langen. Einem durchschnittlich bezahlten Arbeitnehmer aus Stuttgart ist es eher möglich, seinen Kindern ein Studium (Lebenshaltungskosten und Studiengebühren) in München zu finanzieren als einem vergleich- baren Arbeitnehmer aus Magdeburg oder Rostock, weil die Durch- schnittseinkommen letzterer Städte erheblich unter denen des süddeut- schen Durchschnitts liegen. Neben dem Subsidiaritätsprinzip hat man sich im Bereich der Hoch- schulstrukturreform von Seiten der zuständigen Politik sukzessive und nebenbei auch von der Umsetzung des Paragraphen 91a, Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (in dem die Zielstellung der Einheit- lichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland manifestiert ist) durch die Hintertür verabschiedet. Mit dem beschlossenen Auslaufen des Soli- 416
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag darpakts II im Jahre 2013 hat sich der Gesetzgeber dann endgültig von diesem Grundsatz abgewendet. 6. Fazit Es ist überhaupt nicht absehbar, welche Folgekosten auf den Staat zu- kommen, wenn neben der dargestellten systemimmanenten Ineffizienz durch zunehmend zentralistische Strukturen innerhalb der Europäischen Union sowie im Verhältnis von Bundes- und Landeszuständigkeiten auch noch räumlich differenzierend wirkende politische Maßnahmen greifen. Nichts gegen den schlanken Staat, bitte sehr, aber warum diese räumli- che Konzentration? Wenn es nur noch Bayern München, Städten wie Köln, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und München, und einer Hand voll von Eliteuniversitäten gut geht, ist das volkswirtschaftlich betrachtet mit Sicherheit kein pareto-optimaler Zustand, weil es den Eliten zumindest in demokratischen Staaten nicht schlechter, eher besser geht, wenn ein Großteil der Bevölkerung an Bildung und Einkommen partizipieren kann. Wettbewerb führt immer (spätestens seit Schumpeter wissen wir es) zu so genannter „schöpferischer Zerstörung“ (vgl. Schumpeter, 1942). Das mag in wachsenden Industriesektoren trotz aller dadurch bedingten jeweiligen strukturellen Umstrukturierungsprozesse adäquat und ange- messen sein, ist aber mit Sicherheit nicht auf die Bereiche Sport, Demo- kratie und Verfassung anzuwenden. Nicht weil dem konträre politische Ansichten entgegenstehen, sondern weil das jeweilige Segment, sei es Sport, Demokratie oder die Verfassung nur bei Ausgewogenheit dauer- haft funktioniert. Stimmen hier die Rahmenbedingungen nicht mehr, führt das unweigerlich zu erheblichen Disparitäten. Wenn nur noch Bayern München zu Meisterschaftsehren kommt, wird es auf Dauer kei- nen Profifußball mehr in Deutschland geben. Das mag der eine oder an- 417
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag dere ja noch nicht einmal als sonderlichen Verlust ansehen. Wenn sich aber aufgrund mangelnder Partizipationsmöglichkeiten immer größere Anteile dem demokratischen Willenbildungsprozess entziehen und gan- ze Regionen in einem forcierten Wettbewerb nicht mehr mithalten kön- nen, werden dadurch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im gan- zen Land so nachhaltig negativ beeinflusst, dass die Folgekosten aller durch New Public Management ausgelösten kurzfristigen Einspareffekte in ihr Gegenteil verkehrt werden. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn sich alle verantwortlichen Per- sonen in Politik, Sport und Verwaltung daran erinnern würden, dass es neben dem Ziel der Gewinnmaximierung auch andere zu verfolgende Oberziele gibt. Nur eine Ausgewogenheit unterschiedlicher Interessen sichert auf Dauer ein funktionierendes Staatswesen und die dazu gehö- rige Volkswirtschaft. Auch hier waren die „Väter“ des Grundgesetzes schlauer, auch weil die meisten von ihnen die extremen Nachteile einer einseitigen, Konzentration fördernden, zentralistischen Politik des Staa- tes noch eindeutig vor Augen hatten. Ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ein Fußballverein mit Namen Schalke 04 absolut dominant wurde und 80% der Titel bis zum Beginn des Untergangs des Dritten Reiches errang? Wie ein Großteil der elf Meisterschaften in Folge des BFC Dynamo in der DDR zustande gekommen sind, ist ja hinlänglich bekannt – ebenso wie die Entwicklung des dazugehörigen Staatsapparates. 418
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag Literaturverzeichnis Arbeitsgemeinschaft der Vereine Lenzinghausen (2006): 950 Jahre Lenzinghausen, Spenge. Deloitte GmbH (2006): Annual Rewiev of Football Finance, London. Deloitte & Touche GmbH (2006): Press Release vom 16.02.2006, London. Galeano, Eduardo (2006): Der Ball ist rund, Unionsverlag Zürich. Kicker Almanach, Jahrgänge 1970-2006, Olympia-Verlag Nürnberg, div. Jg. Obermann, Dirk (2006): Skriptum Public Management, FHW Berlin. Schumpeter, Joseph A. (1942): Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie, London. Schuppert, Gunnar Folke (2000): Verwaltungswissenschaft, Nomos, Baden-Baden. von Münch, Ingo (2005): Elite-Universitäten: Leuchttürme oder Windräder?, Hamburg. Weiler, Jan. N.(2004): Das Märchen von den Elite-Universitäten in Deutschland, Berlin. Wissenschaftsrat (2004): Pressemitteilung, Hamburg. Wissenschaftsrat (2006): Deutsche Forschungsgemeinschaft, Gem. Pressmitteilung Nr.3, 20.01.2006. 419
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