DROGENKURIER - Ein verlorenes Jahrzehnt für Harm Reduktion ? - magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband

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DROGENKURIER - Ein verlorenes Jahrzehnt für Harm Reduktion ? - magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
DROGENKURIERmagazin des jes-bundesverbands
feb. 2019
  nr. 117

        Ein verlorenes
           Jahrzehnt für
        Harm Reduktion ?
DROGENKURIER - Ein verlorenes Jahrzehnt für Harm Reduktion ? - magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
editorial       DROGENKURIER

                                                Liebe Leserinnen und Leser,
IMPRESSUM
                                                Förderinnen und Förderer
Nr. 117, Februar 2019
Herausgeber des
                                                des DROGENKURIER ,
DROGENKURIER :
JES*-Bundesverband e.V.
                                                liebe Freundinnen und Freunde
Wilhelmstr. 138 | 10963 Berlin
Tel.: 030/69 00 87-56
                                                des JES-Bundesverbands,
Fax: 030/69 00 87-42
Mail: vorstand@jes-bundesverband.de
www.jes-bundesverband.de
                                                Das Jahr 2018 war überaus ereignisreich und hat uns als JES-Bundesverband sehr
                                                ­gefordert. Es bleibt zu hoffen, dass die auch durch JES errungenen Veränderungen im
DAH-Bestellnummer: 102117
                                                 Bereich der Substitution sowie der Prävention von Drogentodesfällen, positive Auswir-
ISSN: 2512-4609
                                                 kungen für Drogen gebrauchende Menschen haben werden.
Auflage: 4.500 Exemplare

                                                Stillstand bei der Förderung von Harm Reduktion Angeboten
Redaktion: JES-Bundesvorstand,
                                                Im Mittelpunkt dieser Ausgabe steht ein Überblick zum „GLOBAL HARM REDUCTION
Dirk Schäffer
                                                REPORT“ der 2018 bereits zum sechsten Mal erschien. Der Bericht macht deutlich, dass
                                                es in Kernbereichen der Schadensminderung einen Stillstand oder sogar Rückschritte
                                                zu verzeichnen gibt. Beispielhaft richten wir den Fokus auf Projekte zum Spritzentausch,
                                                Drogenkonsumräume und die Substitutionsbehandlung.
                                                Besonders dramatisch ist, dass insbesondere in Ländern Asiens und Osteuropas, die
                                                eine ausgesprochen hohe Prävalenz von HIV und Hepatitis C Infektionen aufweisen,
                                                Angebote der Schadensminderung über keine ausreichende Finanzierung verfügen.
                                                ➞ Seite 3

                                                Regulieren statt Kriminalisieren
                                                Zum Jahreswechsel sorgten Politiker_innen aus der Schweiz für Aufsehen, die eine sehr
                                                ernstgemeinte Diskussion zur regulierten Vergabe auch von Kokain und anderen illegalen
                                                Substanzen vorschlugen. Wir haben dieses Thema für diese Ausgabe des DROGENKU-
                                                RIER aufgenommen. Ein Kommentar von Dirk Schäffer (Deutsche Aidshilfe) setzt sich mit
                                                diesen Forderungen auseinander und betrachtet die Situation in Sachen „Regulierung“ in
Titelgrafik: metamorworks/
                                                Deutschland. ➞ Seite 7
iStockphoto.com
Layout, Satz: Carmen Janiesch
                                                Ein Behandlungsvertrag für Substituierte
Druck: Wir-machen-Druck.de
                                                Wenn man einen Ausblick auf Themen werfen will, die im Jahr 2019 für die Arbeit des
                                                JES-Bundesverbands eine große Rolle spielen werden, muss die Arbeit für einen ein-
Der DROGENKURIER wird
                                                heitlichen und qualitativ hochwertigen Behandlungsvertrag zwischen Ärztin/Arzt und
unterstützt durch:
                                                Patient*in genannt werden. In unserem Beitrag informieren wir über unsere Ziele und den
(Nennung in alphabetischer Reihenfolge)
                                                aktuellen Stand in Sachen „Behandlungsvertrag“. ➞ Seite 24
Deutsche Aidshilfe e.V.,
GL Pharma, Hexal, INDIVIOR,
Mundipharma, Sanofi Aventis                       JES wird 30 Jahre alt
                                                  JES gehört weltweit zu den ältesten Drogenselbsthilfen. Kaum jemand hätte uns
                                                  1989 zugetraut, dass es uns 30 Jahre später immer noch gibt. Das 30-jährige
* Junkies, Ehemalige, Substituierte               Jubiläum des JES-Netzwerks sowie das 15 jährige Bestehen des JES-Landes­
                                                  verbands NRW werden wir in diesem Jahr mit einem großen Fachtag sowie einer
Die Nennung von Produktnamen
                                                  Jubiläumspublikation begehen.
bedeutet keine Werbung

                                                                                                                    Das Redaktionsteam

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DROGENKURIER - Ein verlorenes Jahrzehnt für Harm Reduktion ? - magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
www.jes-bundesverband.de                    topthema

                                          Ein verlorenes
                                         Jahrzehnt für die
                                      Schadensminimierung ?
                                                                  Harm Reduktion International (HRI) legt den sechsten
                                                                           Welt Harm Reduktion Report vor

               Vor einem Jahrzehnt begann Harm                                                                                                                                      Unter den weltweit
               Reduktion International zum ersten
                                                                                                                                                                                    15,6 Millionen Men-
                                                                                              GLOBAL STATE OF HARM REDUCTION 2018

               Mal mit der Erstellung einer welt-
               weiten Übersicht zu Entwicklungen                                                                                                                                    schen, die intravenös
               im Bereich Harm Reduktion „Global                                                                                                                                    Drogen konsumieren,
               State of Harm Reduction“. Während                                                                                                                                    ist jeder sechste
                                                                                                                                    THE GLOBAL STATE
               dieser Zeit, hat sicher der Bericht wei-                                                                             OF HARM REDUCTION 2018
               terentwickelt und diversifiziert. Lei-                                                                               6TH EDITION
                                                                                                                                                                                    Konsument von HIV
               der ist diese Form der weltweiten                                                                                                                                    betroffen und jeder
               Weiterentwicklung von Maßnah-                                                                                                                                        zweite von Hepatitis C.
               men der Schadensminderung (Harm
               Reduktion) nicht erfolgt.
                  Uns ist es an dieser Stelle natür-                                                                So stagniert die Anzahl der Länder,
               lich nur möglich einen sehr kleinen                                                                  die Angebote wie der Spritzentausch
               Einblick in die weltweite und euro-                                                                  (NSP) oder eine Substitutionsbe-
               päische Entwicklung von Maßnah-
Harm Reduction International is a leading NGO dedicated to
                                                                                                                    handlung (OST) anbieten seit meh-
               men der Schadensminderung zu ge-                                                                     reren Jahren. Nur 86 Länder setzen
reducing the negative health, social and legal impacts of drug
                                                                             INTERNATIONAL
                                                                             HARM REDUCTION

use and drug policy. We promote the rights of people who use
drugs and their communities through research and advocacy to

               ben.                                                                                                 NSP in unterschiedlichem Maße um.
help achieve a world where drug policies and laws contribute to
healthier, safer societies.
                                                                                              Harm Reduction International

If you would like to find out more about Harm Reduction International,
please contact us at:
                                                                                                                    Dies ist eine Reduzierung um vier
               ▶ Daher empfehlen wir den
Harm Reduction International
61 Mansell Street,
London, E1 8AN,
                                                                                                                    Länder seit 2016. Teilweise dramati-
                                                                                                                    sche, politische Veränderungen mit
United Kingdom

               Download des Gesamtberichts
Phone: +44 (0) 20 7324 3535
Email: office@hri.global
Web: www.hri.global
                                                                                                                                                             HARM REDUCTION

               oder von Teilberichten unter                                                        www.hri.global
                                                                                                                    menschenunwürdigen Maßnahmen             INTERNATIONAL

               https://bit.ly/2QHEena                                                                               der Verfolgung und Exekution, führ-
                                                            Das Cover des neuen Harm Reduktion Reports              ten dazu, dass in Bulgarien, Laos und
               Nach einer im Jahr 2017 erfolgten                                                                    den Philippinen NSP-Angebote ein-
               systematischen Überprüfung im Lancet findet in 179 von 206               gestellt wurden. Demgegenüber haben mit Mali, Mosambik und
               Ländern der Welt injizierender Drogenkonsum statt. Die Durch-            Uganda drei Länder südlich der Sahara Spritzentauschprogram-
               schnittliche Prävalenz von HIV-Infektionen liegt bei 17,8 % und          me in ihre nationalen Strategien aufgenommen und umgesetzt.
               die HCV-Prävalenz liegt bei 52,3 %. Trotz dieser dramatischen Zah-          Die Existenz von NSP-Standorten in einem Land ist nicht mit
               len und der Kenntnis, dass Maßnahmen der Schadensminderung               einem universellen und niedrigschwelligen Zugang gleichzuset-
               mit entsprechenden Reichweiten Infektionen reduzieren könn-              zen. Drakonische Strafen für Drogenbesitz und Konsum sowie
               ten, fehlt es insbesondere in Low und Middle Income Countries an         ein hohes Maß an Stigmatisierung führen dazu, dass viele Men-
               Angeboten mit einer entsprechenden Reichweite.                           schen diese Projekte nicht aufsuchen.

                                                                                                                                                                              3
DROGENKURIER - Ein verlorenes Jahrzehnt für Harm Reduktion ? - magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
topthema               DROGENKURIER

                                                                    Quelle: Global HR Report 2018

Virushepatitis und HIV                                                 Anteil der männlichen Gefangenen um 18 % und der Anteil von
Es wird geschätzt, dass unter Menschen, die Drogen injizieren,         weiblichen Gefangenen um unglaubliche 50 %. Weltweit wer-
die Prävalenz von Hepatitis C Antikörpern bei 52,3 % liegt. Die        den 83 % aller Strafanzeigen für den bloßen Besitz von Betäu-
Prävalenz von HIV liegt bei 17,8 %. Es liegen Hinweise vor, dass       bungsmitteln ausgesprochen. Nur eine sehr geringe Anzahl von
auch ein nichtinjizierender Drogenkonsum, insbesondere die In-         Ländern hat auf die Wirkungslosigkeit der Prohibition reagiert
halation von Crack mit größeren Risiken des Erwerbs von Hepa-          und ein Modell der Entkriminalisierung implementiert. In an-
titis und HIV-Infektion in Verbindung steht.                           deren Ländern wie Kirgistan, Tunesien und Ghana besteht die
    Es wird zudem deutlich, dass die frühzeitige Implementierung       Möglichkeit Gefängnisstrafen in Strafzahlungen umzuwandeln.
umfassender Maßnahmen zur Schadensreduzierung (wie NSPs                Diese Modelle müssen kritisch begleitet werden. In Kirgistan z. B.
und OST) einen großen Anteil an dauerhaft niedrigen HIV-Prä-           beträgt der Mindestbetrag einer Strafzahlung zur Vermeidung
valenzen zugeschrieben wird. Beispiele hierfür sind u.a. Aust-         einer Haftstrafe 18 Monatsgehälter.
ralien und die Schweiz. Aber auch in Deutschland, wo erst 1992            Gefängnisse an sich sind ein Ort mit erhöhten Infektionsri-
die Spritzenvergabe legalisiert wurde und die Zahl substituierter      siken und HIV- und HCV-Prävalenzen. Bedingt durch die Über-
Frauen und Männer erst um die Jahrtausendwende deutlich an-            belegung vieler Haftanstalten steigt dieses Risiko überpropor-
stieg, gelang es mit einer breiten Palette schadensminimierender       tional. In nur 10 Ländern wird in mindestens einer Haftanstalt
Maßnahmen die HIV-Prävalenz unter Drogengebaucher*innen                eine Spritzenvergabe angeboten. Dies sind Armenien, Kanada,
auf einem geringen Niveau zu halten.                                   Deutschland, Kyrgyzstan, Luxembourg, Mazedonien, Moldawi-
                                                                       en, Spanien, Schweiz und Tajikistan. Dies bedeutet einen An-
Medizin und soziale Arbeit gemeinsam denken                            stieg von zwei Ländern zum Jahr 2016.
Es liegen Hinweise dafür vor, dass Angebote der HIV- und HCV-             In 54 Ländern wird eine Form der Substitution in Haft ange-
Beratung und Testung in Einrichtungen der Drogenhilfe mit An-          boten. Fünf Ländern (Afghanistan, Zypern, Palästina, die Seychel-
geboten der Schadensminderung den Zugang zur Testung und               len und die Ukraine) führten diese Angebote seit 2016 neu ein.
Behandlung erleichtern können. In Deutschland wurde
mit dem Projekt TEST IT bereits früh die Machbarkeit
bewiesen und das Projekt „DAS CHECK ICH“ versucht
gerade den nächsten Schritt zu gehen und die Potenti-
ale der neuen HCV-Medikamente zu nutzen. Während
in Westeuropa und Ozeanien diese Art integrierter An-
gebote bereits in vielen Städten vorhanden ist, ist die
Integration der Testung und Behandlung in NGOs in
­Lateinamerika, Eurasien und Subsahara Afrika kaum
 vorhanden.

Frauen in Haft – ein Anstieg von
50 Prozent
Seit dem Jahr 2000 stieg die Gesamtzahl von Menschen
in Haft um 20 %. Während dieses Zeitraums stieg der

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                Quelle: Global HR Report 2018                                                               Quelle: Global HR Report 2018

Substitutionsbehandlung                                             Der Anstieg von Drogentodesfällen und die Rolle
Die Anzahl der Länder, in denen OST verfügbar ist, ist seit 2016    von Naloxon
von 80 auf 86 gestiegen. Die Länder, die OST seit 2016 eingeführt   In vielen Regionen der Welt, wurde in den letzten Jahren ein An-
oder wieder eingeführt haben sind die Elfenbeinküste und San-       stieg von Todesfällen infolge von Überdosierungen verzeichnet.
sibar. Ebenso steht Opioidkonsumen*innen in Bahrain, Kuwait         Die vereinigten Staaten verzeichnen aktuell den schnellsten
und Palästina sowie in Argentinien und Costa Rica nun das An-       und höchsten Anstieg von Drogentodesfällen von 21,4 % in 2015
gebot der Substitution zur Verfügung. Leider bleibt OST in einer    auf 2016. Auch in Kanada gibt es dramatische Entwicklungen in
Reihe von Ländern nicht verfügbar. Besonders dramatisch ent-        Bezug auf Opioid bedingte Todesfälle. So standen 81 % aller Dro-
wickelt sich die Situation seit Jahren in Russland wo OST gesetz-   gentodesfälle in Verbindung mit dem Konsum von Fentanyl.
lich verboten ist.
   Dort, wo OST verfügbar ist, ist Methadon weiterhin die am             Nach Angaben der WHO verstarben
häufigsten verschriebene Substanz, gefolgt von Buprenorphin. In
Ozeanien und Westeuropa verzeichnen Kombinationspräparate                im Jahr 2016 weltweit 452.000 Men-
von Buprenorphine-Naloxon eine Zunahme. Die heroingestütz-               schen aufgrund des Drogengebrauchs
te Behandlung ist trotz außergewöhnlicher Behandlungsergeb-              bzw. durch Folgen der Prohibition.
nisse derzeit nur in sieben Ländern verfügbar. Dies sind Belgien,
Kanada, Dänemark, Deutschland, die Niederlande, Schweiz und
Großbritannien.                                                          76 % von 167.750 Todesfällen, die als
                                                                         direkte Folge des Drogenkonsums
Drogenkonsumräume – nur in drei Regionen                                 gewertet werden, sind Opioid bedingt.
verfügbar
Die Wirksamkeit von Drogenkonsumräumen als Angebot zur
Vermeidung von HIV- und Hepatitis-Infektionen sowie von Dro-
gentodesfällen ist wissenschaftlich unbestritten. Mittlerweile
gibt es Drogenkonsumräume in elf Ländern der Welt. Belgien
hat 2018 seine erste Einrichtung eingerichtet. Australien, Ka-
nada, Frankreich, Spanien, die Schweiz und Norwegen haben
seit 2016 auch neue Standorte eröffnet, wobei voraussichtlich
mindestens drei weitere Länder (Irland, Mexiko und Portugal)
im Jahr 2019 neue DKR eröffnen werden. Zum Zeitpunkt der
­Berichterstellung waren 117 Standorte in Betrieb, verglichen
 mit 90 im Jahr 2016. Der Anstieg seit 2016 ist hauptsächlich
 auf die Eröffnung von 24 neuen Standorten in Kanada zurück-
 zuführen. Während DKR über viele Jahre durch den intravenö-
 sen Konsum dominiert wurden, gibt es in Deutschland und den
 Niederlanden Einrichtungen in denen vorrangig inhalativ kon-
                                                                                                          Quelle: World Drug Report 2018
 sumiert wird.

                                                                                       5
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                                                                        en. Take-home Naloxon Programme sind in Deutschland, Frank-
                                                                        reich, Irland und Spanien vorhanden.

                                                                        Große Lücken in der Finanzierung für Harm
                                                                        Reduktion Maßnahmen
                                                                        Eine Untersuchung von HRI im Jahr 2018 ergab, dass sich ins­
                                                                        besondere die Finanzierung von HR Maßnahmen in Ländern
                                                                        mit geringem oder mittlerem Einkommen in einer starken Krise
                                                                        ­befindet. Also dort, wo die HIV- und HCV-Prävalenzen am höchs-
                                                                         ten sind und die Länder selbst ihre Finanzmittel anders einset-
                                                                         zen oder keine ausreichenden Staatsfinanzen zur Verfügung
                                        Quelle: Global HR Report 2018    stehen.
                                                                            Im Jahr 2016 wurden 188 Millionen US-Dollar für Harm Re-
                                                                         duktion Programme bereitgestellt. Dies ist dieselbe Summe
   Naloxon als hochwirksames Medikament gegen Opioid be-                 wie 10 Jahre zuvor. UNAIDS schätzt, dass dies nur 13 Prozent
dingte Überdosierungen ist dort besonders wirksam, wo der Zu-            der ca. 1,5 Milliarden Dollar sind, die jährlich bis 2020 zur Ver-
gang einfach ist und sogenannte Take Home Programme imple-               fügung stehen müssten, um die Prävalenz von HIV in der Grup-
mentiert wurden. Wissenschaftler publizierten Daten, wonach              pe der intravenös Drogen konsumierenden nachhaltig zu re-
in 83 % bis 100 % der Fälle, sich die Gabe von Naloxon als lebens-       duzieren.
rettend erwies. Hierbei wurde deutlich, dass die Anwendung                   Aber auch die Nationalstaaten müssen die Ausgaben im Be-
durch medizinische Laien wie andere Drogengebraucher*innen,              reich Drogen kritisch evaluieren. Eine Modellrechnung für das
Verwandte, Freunde überaus effektiv war.                                 Jahr 2016 ergab, dass eine Reduktion der Mittel für Verfolgung
   Auch in Westeuropa stieg die Anzahl von Drogentodesfällen.            und Kriminalisierung um 10 % zugunsten von Maßnahmen der
In 84 % aller Drogentodesfälle spielen Opioide eine Rolle.               Schadensminderung, zu einer Verringerung der HIV-Neuinfekti-
   Leider sind Deutschland, Großbritannien und die Türkei für            onen von 94 % unter i.v. Drogenkonsument*innen bis 2030 füh-
insgesamt 2/3 aller Opioid bedingten Todesfälle in Europa ver-           ren würde.
antwortlich.                                                                Für den Fall einer Fortführung dieser Unterfinanzierung von
   So war in Großbritannien zwischen 2012 und 2017 ein 101 %iger         Maßnahmen im Bereich Harm Reduktion, wird das Ziel der WHO
Anstieg von Opioid bedingten Todesfällen zu verzeichnen. Ein             „End AIDS by 2030“ in der Gruppe der Drogenkonsument*innen
trauriger Rekord. Peer gestützte Naloxon Programme findet man            deutlich verfehlt. ■
aktuell nur in Dänemark, Italien, Norwegen und Großbritanni-                                                                   Dirk Schäffer

kurz notiert
                  Neue Webseite von Correlation,
            dem europäischen Harm Reduktion Netzwerk
   Correlation, das Europäisches                                                              tungen aus ganz Europa. Als
   Netzwerk für soziale Einglie-                                                              Netzwerk arbeitet Correlation
   derung und Gesundheit, wurde                                                               mit Partnern und politischen
   2004 in Amsterdam (Niederlan-                                                              Entscheidungsträgern auf loka-
   de) als europäisches Netzwerk                                                              ler, nationaler und europäischer
   der Zivilgesellschaft und Kom-                                                             Ebene zusammen.
   petenzzentrum für Drogenmiss-                                                              In Deutschland bilden die Deut-
   brauch, Schadensminderung und soziale Eingliederung                  sche Aidshilfe und Fixpunkt die beiden Focal Points.
   gegründet. Seitdem hat sich Correlation zu einem
   Netzwerk aus Praxis, Forschung und Politik entwickelt.               ▶ Unter http://www.correlation-net.org/ findet ihr die
   Ihre Arbeit verbindet Einrichtungen zur Schadensmi-                  neue Webseite von Correlation. Schaut euch die Ziele
   nimierung, Basisorganisationen, gemeindebasierte                     von Correlation an und werdet als Person oder Orga-
   Dienste, Forschungsinstitute und Gesundheitseinrich-                 nisation Mitglied. Diese Mitgliedschaft ist kostenlos.

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Zürcher FDP will
harte und weiche
Drogen legalisieren
 „Kokain können wir auch in der Schweiz anbauen“

Kokain aus der Drogerie: Die Zürcher FDP folgt den Basler Freisinnigen und fordert eine
„zeitgemäße Drogenpolitik“. Die Repression sei gescheitert, jetzt müsse die Wirtschaft
Produktion und Handel in die Hand nehmen – und der Staat kontrolliert.

Die Jungfreisinnigen um Präsident Thomas Juch fordern eben-                            seit Jahren persönlich davon überzeugt, dass die Schweiz Koka-
so einen Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik. FDP-Bundes-                           in legalisieren sollte. Jetzt machen seine Zürcher Parteikollegen
rat Ignazio Cassis (57) ist persönlich davon überzeugt, dass die                       ernst: „Wir müssen die regulierte Legalisierung von Cannabis,
regulierte Legalisierung von Drogen der richtige Weg wäre. Der                         aber auch harter Drogen wie Kokain und Heroin vorantreiben“,
Arzt arbeitete als Student am Platzspitz in Zürich mit Drogenab-                       sagt Severin Pflüger (40), Präsident der Stadtzürcher FDP.
hängigen. Mit Kokain werden auf dem Schwarzmarkt weltweit                                 Die heutige Drogenpolitik der Repression sei gescheitert.
Milliarden umgesetzt. Wenn es nach der FDP ginge, soll dies der                        Man werde der Drogen nicht Herr, indem man sie verbiete. „Wir
Schweiz künftig Steuern in die Kasse spülen. Durch die Legalisie-                      kämpfen gegen Windmühlen, geben Unsummen für Polizisten,
rung werde der Schwarzmarkt ausgetrocknet. Ignazio Cassis ist                          Staatsanwälte und Gefängnisse aus“, ist Pflüger überzeugt.
                                       Foto: wikipedia.org

                                                                                                          Foto http://www.severinpflueger.ch/

                                                                                                                                                    52 Fingerlinge fanden die Walliser Behörden
                                                                                                                                                    2017 im Magen einer Schmugglerin (21). Das Ko-
                                                                                                                                                    kain wog 734 Gramm, das entspricht einem Stra-
                                                                                                                                                    ßenwert von 70.000 Franken

Ignazio Cassis, FDP-Bundesrat                                Severin Pflüger, Präsident der Zürcher FDP

                                                                                                                                                7
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Auch Basler FDP fordert legales Kokain                            Kommentar von Dirk Schäffer
Zudem würden Konsumenten durch gestrecktes Kokain,
hochgezüchtetes Cannabis oder verunreinigtes Heroin ihre          Deutsche Aidshilfe
Gesundheit schädigen. „Und das finanzieren wir am Ende,
wenn die Leute schon krank sind, mit unserem Gesundheits-           „Ich sehe Kopfschütteln und spüre allgemeine Ablehnung“
system.“                                                            Als ich von der Initiative einiger Schweizer Politiker*innen erfuhr,
   Pflüger arbeitet in einer Arbeitsgruppe Szenarien der Le-        war ich überrascht und erfreut. Wie so oft ist uns die Schweiz mal
galisierung aus. Und er ist nicht allein: Auch die Basler FDP       wieder eine Nasenlänge voraus. Dies ist nicht neu. Fantastisch, wie
forderte bereits legales Koks. „Ich kann mir gut vorstellen,        nüchtern und fachlich die Schweizer Politiker*innen die Diskussi-
Drogen rezeptfrei in Drogerien zu verkaufen“, so Pflüger.           on um eine grundlegend veränderte Drogenpolitik angehen. Keine
Dort habe es die nötigen Strukturen, um – wie bei Alkohol           Spur von Moralin, sondern eine glasklare Analyse der schädlichen
oder Tabak – den Jugendschutz sicherzustellen. „Zudem er-           Folgen der Prohibition. Natürlich wird eine Forderung nach einer
reicht man dadurch Konsumenten direkt und kann auch                 regulierten Vergabe von Heroin und Kokain neben Cannabis für
durch Prävention verhindern, dass aus gelegentlichen Kon-           viel Unverständnis oder Kopfschütteln sorgen, aber es gilt auch in
sumenten Süchtige werden.“                                          Deutschland mit klaren Argumenten eine Versachlichung der De-
                                                                    batte herbeizuführen.
Schweizer Bauern sollen Kokablätter                                 „Eine staatliche Vergabe, das einzige Mittel gegen Schwarz-
kultivieren                                                         markt und Drogentod“
Doch woher soll der Rohstoff für legale Drogen wie Kokain           Demgegenüber sehen wir uns in Deutschland bereits bei der Dis-
stammen? Schließlich ist die Herstellung in Mittelamerika           kussion um eine Legalisierung von Cannabis durch eine regulierte
von Drogenkartellen beherrscht, die den Staat unterwandern          staatliche Vergabe fortwährend mit den immer gleichen und fal-
und für riesiges Leid sorgen. Pflüger ist überzeugt: „Kokablät-     schen Argumenten konfrontiert.
ter können wir auch in der Schweiz anbauen und das Kokain           Noch bei der Vorstellung ihres Drogenberichts hat Frau Mortler
hier produzieren. Die klimatischen Bedingungen lassen sich          wieder energisch vor Legalisierung und Verharmlosung des Can-
im Gewächshaus simulieren.“ Zudem gebe es die Möglich-              nabiskonsums gewarnt. Sie erklärte, dass das Kiffen wegen des ge-
keit, Kokain synthetisch herzustellen.                              stiegenen Wirkstoffgehalts viel gefährlicher geworden ist, als noch
   Die Kokablätter anbauen sollen die Schweizer Bauern, ver-        vor zwei Jahrzehnten.
kaufen sollen den Stoff die Schweizer Apotheker. „Der Staat         „Frau Mortler will, kann oder darf das Prinzip der Legalisie-
muss dann die Herstellung und den Verkauf regulieren und            rung nicht verstehen.“
beaufsichtigen“, sagt Pflüger. Konsumiert würden Drogen             Deutschland versucht seit den 70er Jahren durch ein Totalverbot den
sowieso. „So trocknen wir den Schwarzmarkt aus und spa-             Konsum von psychoaktiven Substanzen zu verbieten, dies ohne jeg-
ren viele Steuerfranken.“                                           lichen Erfolg. Der Schwarzmarkt blüht, die Konsument*innenzahlen
                                                                    verringern sich nicht und dies trotz Geld- und Gefängnisstrafen.
Die Jungfreisinnigen wollen allgemeine                              Die Anzahl der psychoaktiven Substanzen nimmt stetig zu und die
Drogenlegalisierung                                                 Zahl drogenbedingter Todesfälle ist in den letzten Jahren stark an-
„Als Familienvater habe ich keine Angst, dass Drogen von er-        gestiegen.
wachsenen Menschen konsumiert werden. Ich habe Angst                Ich will einmal den Versuch wagen, mich mit dem Argument der
vor den Dealern und allem, was der Schwarzmarkt mit sich            Drogenbeauftragten gegen eine Cannabislegalisierung auseinan-
bringt.“ Doch verkaufe die Drogerie im Quartier Kokain, wäre        derzusetzen. Sie sagt, das Kiffen sei wegen des gestiegenen Wirk-
diese Angst unberechtigt.                                           stoffgehalts viel gefährlicher geworden. Sie hat nicht ganz unrecht.
   Pflügers Ziel: Die FDP Schweiz vom Zürcher- und Basler           Der THC Gehalt in illegal hergestelltem Cannabis hat stark zuge-
Kurs überzeugen. Die Legalisierung soll dereinst ins Par-           nommen. Sie zieht aber die völlig falschen Schlüsse. Einzig ein
teiprogramm aufgenommen werden. Das fordern auch die                regulierter und legaler Anbau auf vom Staat lizensierten und kon-
Jungfreisinnigen um Präsident Thomas Juch.                          trollierten Anbauflächen in Deutschland bietet die Möglichkeit
   Und wie steht Petra Gössi (42), Parteipräsidentin der FDP        Züchtungen zu ermöglichen, in denen der THC, CBN und CBD Ge-
Schweiz, zum Thema? „Ich bin offen für Maßnahmen, die               halt in einem anderen Verhältnis stehen.
nachweislich das Drogen-Elend lindern können. Aber ich bin          „Nur durch die Übernahme staatlicher Verantwortung jenseits
gegen eine unkontrollierte Liberalisierung von harten Dro-          der Prohibition werden wir die negativen Auswirkungen des
gen“, so die Schwyzerin. ■                                          Schwarzmarkts zurückdrängen.“
                                                                    Stattdessen setzt Frau Mortler weiter auf bewährte und erfolg-
                                     Blick, Schweiz 12.01.2019      lose Strategien des Drogenverbots, der Strafandrohung und des
                          Cinzia Venafro, Politik-Redakteurin

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Schwarzmarkts. Niemand wird in Abrede stellen, dass der seit den          Man könnte über eine besondere Beratung von Erstkonsument*innen
70ger Jahren verfolgte Weg in eine Sackgasse geführt hat und kei-         nachdenken- natürlich mit Mengen- bzw. Wirkstoffbegrenzungen.
nes der Ziele erreicht wurde. Es ist vielleicht etwas gewagt, die         Ähnlich wie bei der Diamorphinbehandlung könnte man dafür
Strategien in der Drogenpolitik mit denen der freien Wirtschaft zu        Sorge tragen, dass bei Erstkonsument*innen der Konsumvorgang
vergleichen. Ich will dies hier dennoch einmal tun. Würde ein Un-         im DRUG STORE in dafür vorgesehenen Räumen stattfinden kann.
ternehmen der Wirtschaft über viele Jahre mit so wenig Erfolg und         Die Einnahmen aus dem Verkauf könnten wiederum für den Anbau,
fehlenden positiven Entwicklungen planen, wäre dieses Unterneh-           die Ausbildung von Fachverkäufer*innen und die Prävention einge-
men bereits nach kurzer Zeit insolvent und die Manager*innen wür-         setzt werden.
den ausgewechselt. Einzig und allein in der Drogenpolitik scheint es      „Um Menschen ein Leben mit legalen Räuschen zu ermögli-
möglich über viele Jahrzehnte an völlig erfolglosen Strategien fest-      chen“
zuhalten und ein einfaches „weiter so“ zu propagieren.                    Viele werden nun denken „warum dies alles, sollten wir nicht viel-
„Auch in der Drogenarbeit gibt es viele Skeptiker*innen“                  mehr dafür sorgen, dass Menschen ohne Drogen leben können?“
Selbstverständlich profitiert die Politik davon, dass es auch inner-      Meine einfache Antwort auf die Frage ist, dass es immer Millionen
halb der Drogenhilfe viele Mitarbeiter*innen gibt, die einem wirk-        Menschen geben wird, die in ihrem Leben Rausch erleben wollen
lichen Kurswechsel skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.               und auf die angenehme Wirkung von Opioiden, Kokain, Cannabis
Vielleicht liegt dies an uns selbst, dass wir unsere Vorstellungen        und vielen anderen Substanzen nicht verzichten wollen. Der einzig
einer grundlegend veränderten Drogenpolitik nicht klar genug              aber elementare Unterschied wäre, dass sie diesen Wunsch unter
kommuniziert haben.                                                       legalen und sicheren Bedingungen realisieren könnten.
„Unsere Legalisierung geht mit einer Vielzahl von Regulari-               „Drogenhilfe wird es weiter geben“
en einher“                                                                Das aktuell größte Problem ist sicherlich, dass die verschiedenen
Vielleicht haben wir zu lange von „Legalisierung“ gesprochen und          Akteure in der Drogenhilfe nicht an einem Strang ziehen, sondern
nicht deutlich genug gemacht, dass es eigentlich um die Übernah-          das Fortbestehen bzw. den Ausbau ihrer Angebote im Blick haben.
me staatlicher Verantwortung geht. Verantwortung in Bezug auf             Dies ist nicht verwerflich, aber diese Haltung macht es den verant-
Anbauflächen, Herstellung, Verkauf und Jugendschutz. Es soll kei-         wortlichen Politiker*innen sehr einfach. Sie lehnen sich zurück und
nesfalls so sein, dass Drogen überall erhältlich sind. Denn dies ist ja   denken, die sind sich ja selbst nicht einig über den einzuschlagen-
aktuell unter den Bedingungen der Prohibition der Fall.                   den Weg. Im Sinne der Betroffenen müssen wir Eigeninteressen in
Selbstverständlich wird der von uns vorgeschlagene Weg nicht alle         den Hintergrund stellen, denn ich bin der festen Überzeugung, dass
vorhandenen Probleme lösen. Es wird auch weiterhin Menschen               es auch nach einem Kurswechsel in Richtung Legalisierung Ange-
geben, die abhängige Konsummuster aufweisen, die andere Ap-               bote wie Drogenberatung, Prävention, Entgiftungen und Reha be-
plikationsformen als empfohlen wählen, die sich zudem über den            darf. Denn auch mit einem Kurswechsel in Richtung eines legalen
Schwarzmarkt bedienen und die an Überdosierungen versterben.              aber regulierten Zugangs zu potenten psychoaktiven Substanzen
Der von JES, Akzept und der Deutschen AIDS Hilfe vorgeschlagene           wird es weiter Abhängigkeitserkrankungen geben und das heute
Weg würde aber den Versuch starten, den heute völlig unregulier-          existente Hilfesystem wird in dieser Form fortbestehen.
ten Markt in geordnete Bahnen zu lenken.                                  „Das Problem der Cannabislegalisierung“
„Regulierte Legalisierung – ein Ideenpool“                                JES und viele andere unterstützen die Hanfparade und andere
Jeder Konsument wüsste über den Wirkstoffgehalt der erworbenen            Events, um auf die Notwendigkeit eines Kurswechsels aufmerksam
Substanzen bescheid. Niemand müsste mehr Angst vor schädlichen            zu machen. Leider beruht diese Unterstützung nicht auf Gegensei-
Streckstoffen haben. Der Kauf von Heroin oder Kokain würde über           tigkeit, denn viele Cannabisuser distanzieren sich von Heroin- und
ausgebildete Fachverkäufer*innen ablaufen, die Kund*innen über            Kokainkonsumenten und stehen auch Forderungen einer Legalisie-
Wirkung und Konsumformen beraten könnten. Der Zugang zu sol-              rung z. B. im Rahmen der Hanfparade ablehnend gegenüber. Durch
chen Drug Stores wäre nur für Erwachsene möglich. Beim Erwerb             die Fokussierung einzig auf die Legalisierung von Cannabis rückt
von Cannabis könnte man über ein Alter von 16 Jahren nachdenken.          meiner Ansicht nach, eine Legalisierung von anderen Substanzen
Selbstverständlich würde es Cannabis, Heroin und Kokain nicht um-         in immer weitere Ferne. Stattdessen sollten sich Konsument*innen
sonst geben. Allerdings lägen die Preise auf einem anderen Niveau         von heute illegalen Substanzen für einen umfassenden Kurswech-
als heute. So wäre es möglich, die Beschaffungskriminalität deut-         sel einsetzen- egal um welche Substanz es geht oder ob man selbst
lich einzudämmen. Man könnte über Mengenbegrenzungen pro                  diese oder jene Substanz konsumiert. Wir sollten über eine Großde-
Tag sprechen, um Überdosierungen zu reduzieren. Natürlich wäre            mo nachdenken, die die Legalisierung aller Substanzen zum Ziel hat.
es mit einem anonymen Zugang vorbei, denn es müsste einen bun-            Eine solche Veranstaltung mit einigen tausend Teilnehmer*innen
desweites Datenpool geben, damit der/die Fachverkäufer*in auch            würde für ein entsprechendes Medienecho sorgen und ein Signal
über Dosis und Art der Substanz informiert ist.                           der Einheit setzen!

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leben mit drogen                       DROGENKURIER

KV Bayerns schafft neue
Fördermöglichkeiten für
Methadonsubstitution
    Die Kassenärztliche Verei-

                                                                                                                                        Foto: privat
    nigung Bayerns (KVB) hat
   ein Konzept erarbeitet, um
    mehr Ärzte für die verant-
  wortungsvolle Tätigkeit der
 Substitutionstherapie zu ge-
  winnen. Ärzte, die eine me-
thadongestützte Behandlung
  opioidabhängiger Patienten
  übernehmen, sollen beson-
       ders gefördert werden.                 Substitution muss auch hier möglich sein

„Oftmals wird es suchtkranken Menschen        Opioidabhängiger auszurichten. Mithil-          JES-Kommentar
erst durch die Substitutionsbehandlung        fe eines finanziellen Zuschusses können
wieder ermöglicht, ein geregeltes Leben       damit beispielsweise die entsprechende           Dies ist eine wunderbare Lösung, dass die
zu führen. Die Behandlung kommt damit         Praxisausstattung angeschafft oder ei-           KV Bayern bereit ist Mediziner*innen, die
                                                                                               sich erstmals oder wieder für die Opioid-
nicht nur den Patienten selbst, sondern       gene Methadon-Sprechstunden angebo-
                                                                                               substitution interessieren einen kleinen
auch der Gesellschaft insgesamt zugute“,      ten werden.
                                                                                               finanziellen Anreiz bieten. Fakt ist, dass
betonte der Vorstand der KVB, Wolfgang           Dafür erhalten Ärzte, die die substitu-
                                                                                               gerade in Bayern, ausserhalb Münchens
Krombholz, Pedro Schmelz und Claudia          tionsgestützte Behandlung Suchtkran-             bzw. ausserhalb der größeren Orte, die Zahl
Ritter-Rupp.                                  ker durchführen, einmalig 2.500 Euro im          der substituierenden Ärzte dramatisch ge-
   Die Vertreterversammlung der KVB           Rahmen einer Basisförderung. Aber auch           ring ist. Viele substituierte Patient*innen
hatte bereits im November zusätzliche         für die entsprechende Behandlungsleis-           nehmen weite Weg in Kauf, um zu ihren
Fördermöglichkeiten beschlossen, um           tung im Konsiliarverfahren ist ein Zu-           Ärzten zu kommen. Daher ist insbesondere
Ärzte zu motivieren, die Behandlung           schuss von einmalig 1.000 Euro möglich.          die Ansiedlung von Mediziner*innen aus-
suchtkranker Patienten zu übernehmen.         Profitieren können nicht nur Ärzte, die          serhalb der Großstädte erforderlich.
Bislang bezuschusst die KVB bereits die       neu an der substitutionsgestützten Be-              Wie dramatisch die Situation sein kann,
Zusatzweiter­bildung „Suchtmedizinische       handlung teilnehmen möchten, sondern            zeigt auch der Beitrag von Benedict Werm-
Grundversorgung“, die Voraussetzung           auch Wiedereinsteiger. ■                        ter, der soeben im magazin.hiv veröffent-
für die eigenständige Durchführung ei-                                                        licht wurde. Wermter zeigt Beispiele, bei
ner Substitutionstherapie ist, mit einma-                            Ärzteblatt, 17.12.2018   denen es durch die Schließung von Substi-
                                                                                              tutionspraxen zu Drogentodesfällen kam,
lig bis zu 1.500 Euro. Künftig unterstützt
                                                                                              da Patient*innen auf Fentanyl umgestie-
die KVB ihre Mitglieder nun auch dabei,       ▶ Den ersten Teil des Beitrags findet
                                                                                              gen sind.
ihre Praxis speziell auf die Behandlung       ihr hier: https://bit.ly/2U5LcjZ

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   DEINE THERAPIE IST
   EINSTELLUNGSSACHE

    Sprich mit deinem
     Arzt über deine
   Dosierung, bevor der
      Suchtdruck zu
        stark wird.

Mit der richtigen Einstellung leben.
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leben mit drogen                       DROGENKURIER

Die Kosten der Cannabis-
Prohibition in Deutschland
Eine Studie im Auftrag des Deutschen Hanfverbands

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Global Marijuana March 2016

                                                  Durch eine Prohibition
Cannabis ist die mit Abstand am wei-                   sind keine                             lich sind und somit auch kein Einfluss
testen verbreitete illegale Substanz in            Qualitätskontrollen                        auf einen möglichst wenig gesundheits-
Deutschland. Weltweit ist ein zuneh-                                                          schädlichen Konsum genommen werden
mender Trend hin zur Legalisierung von                   möglich                              kann.
Cannabis und einer streng regulierten                                                             Der zunehmende Trend hin zur Le-
Abgabe zu beobachten. Kanada hat als              nerhalb der Politik ein kontrovers disku-   galisierung sowie die verstärkte politi-
erste Industrienation zum 17.10.2018 den          tiertes Thema dar. Befürworter sehen ein    sche Aufmerksamkeit für dieses Thema
Anbau, Handel und Konsum für Genuss-              Hauptargument für eine Legalisierung        verdeutlicht, dass nach Alternativen zur
zwecke legalisiert. In den USA wurde              darin, dass die gegenwärtig in den meis-    Prohibitionspolitik gesucht wird. Zurück-
Cannabis in bereits neun Bundesstaaten            ten Ländern praktizierte Prohibition kos-   zuführen ist dies sicherlich auf die Er-
legalisiert. Uruguay und die Niederlande          tenintensiv und wenig effektiv ist und      kenntnis, dass die Prohibitionspolitik we-
sind weitere Beispiele für zumindest teil-        das damit beabsichtigte Ziel der Eindäm-    nig effektiv ist, obwohl sie auf staatlicher
weise legalisierte Cannabismärkte.                mung des Konsums nicht erreicht.            Seite erhebliche Kosten verursacht. Eine
   Die Legalisierung von Cannabis stellt             Hinzu kommt, dass durch eine Prohi-      Legalisierung von Cannabis führt auf Sei-
sowohl in der Öffentlichkeit als auch in-         bition keinerlei Qualitätskontrollen mög-   te des Staates nicht nur zu einer Einspa-

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rung dieser Kosten, sondern eröffnet dem     rung des Cannabismarktes neue, legale                       und Sozialversicherungsbeiträgen führt,
Staat eine neue Quelle für Steuereinnah-     Arbeitsplätze entstehen, was wiederum                       wie sich an bereits legalisierten Staaten
men. So führt eine regulierte legale Abga-   zu zusätzlichen Lohnsteuereinnahmen                         in den USA oder auch an den Niederlan-
be von Cannabis beispielsweise zu einem                                                                  den zeigt. Auch die im Zusammenhang
zusätzlichen Umsatzsteueraufkommen.                                                                      mit der Drogenkriminalität verursach-
Eine auf den Konsum zu entrichtende                Legalisierung                                         ten Kosten können weitgehend vermie-
Cannabissteuer, kann weitere Haushalts-          eröffnet dem Staat                                      den werden. Die zusätzlichen Einnahmen
mittel einbringen. Außerdem ist davon                                                                    und eingesparten Kosten, die durch eine
auszugehen, dass durch die Legalisie-           eine neue Quelle für                                     Legalisierung von Cannabis realisiert
                                                 Steuereinnahmen

kurz notiert
                                                                                                    brechen und für eine Öffnung der Can-

                                                                                   Foto wikipedia
                                                                                                    nabis-Politik stimmen, könnte sich,
   SPD zögert in                                                                                    ähnlich wie bei Debatte um die Ehe für
                                                                                                    alle, auch eine Mehrheit an der Union
   Cannabisdebatte                                                                                  vorbei ergeben. Ob die SPD für das
                                                                                                    Thema Cannabis-Legalisierung die Ko-
   Eigentlich sollte es ein Weihnachtsge-                                                           alitionstreue bricht und somit einen
   schenk für Legalisierungsbefürworter                                                             Konflikt mit der Union hervorruft, ist je-
   werden: Die SPD-Bundestagsfraktion                                                               doch fraglich.
   wollte bis Ende Dezember 2018 einen
   Beschluss zu Cannabis fassen.                                                         Wie entscheidet sich die SPD?
                                                                                         Die AG Gesundheit der SPD-Bundes-
   Zuvor hatte sich die AG Gesundheit der
                                                                                         tagsfraktion hatte sich Anfang No-
   SPD-Bundestagsfraktion für Cannabis-
                                                                   vember 2018 für Modellprojekte ausgesprochen. Außerdem
   Modellprojekte ausgesprochen. Doch die Beschlussfassung
                                                                   schlugen die Gesundheitspolitiker vor, den Besitz kleiner
   auf Fraktionsebene hat sich verschoben – auf wann ist der-
                                                                   Mengen Cannabis künftig nicht mehr strafrechtlich zu verfol-
   zeit unklar. Die Sozialdemokraten könnten bei einer Abstim-
                                                                   gen, sondern als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Da Can-
   mung über die Cannabisfrage den Ausschlag geben.
                                                                   nabis-Modellprojekte Gegenstand des FDP-Antrags sind,
   Ein Jahr ist vergangen, seitdem die Oppositionsfraktionen       gehören diese – sollte es zu einer Lockerung der Cannabis-
   Grüne, Linke und FDP ihre Anträge zur Lockerung der Can-        Prohibition kommen – zu den wahrscheinlichsten Szenarien.
   nabis-Prohibition in den Bundestag eingebracht haben.
   Die drei Parteien verfolgen dabei unterschiedliche Ansätze.     Haltung der Fraktionsspitze unklar
   Grüne und Linke signalisierten im Falle einer Abstimmung al-    Eigentlich wurde eine Positionierung auf Fraktionsebene
   lerdings, den Vorschlägen der anderen Fraktionen zuzustim-      schon vor Weihnachten 2018 erwartet. Der drogenpolitische
   men.                                                            Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Heidenblut,
                                                                   hatte dies auf der Konferenz des Deutschen Hanfverbandes
   Bei der FDP, die ihrerseits für wissenschaftliche Modellpro-
                                                                   zwar angekündigt. Doch nach Informationen von DAZ. On-
   jekte zur kontrollierten Abgabe plädiert, scheint dies nach
                                                                   line hat sich die Beschlussfassung verschoben – ein neuer
   Informationen von DAZ. Online nicht der Fall zu sein. Die Li-
                                                                   Termin ist derzeit nicht bekannt.
   beralen halten derzeit weder das Cannabiskontrollgesetz der
   Grünen noch den Vorschlag zur Entkriminalisierung der Lin-      Woran liegt dies? Auffällig ist, dass sich bislang zwar die
   ken für den geeigneten Weg. Union und AfD standen einer         Fachpolitiker, jedoch noch nicht die SPD-Fraktionsspitze öf-
   Legalisierung – bis auf vereinzelte Signale der Öffnung bei     fentlich zu Cannabis geäußert hat. Der frühere Parteivorsit-
   der Union – bislang ablehnend gegenüber.                        zende Martin Schulz war aus persönlichen Gründen zwar
                                                                   gegen die Cannabis-Legalisierung, hatte sich im Wahlkampf
                                                                   jedoch für eine Abstimmung ohne Fraktionszwang ausge-
   SPD als Zünglein an der Waage
                                                                   sprochen.
   Eine entscheidende Rolle könnte daher die Haltung der So-
   zialdemokraten spielen. Würde die SPD ihre Koalitionstreue                                       DAZ Online 19.01.2019 Dr. Bettina Jung,

                                                                                                    13
leben mit drogen                 DROGENKURIER

kurz notiert                              Steuerart                                                            Einnahmen/
                                                                                                      Einsparungen in Euro

 JES-NRW                                  Cannabis-Steuer                                                        650.000.000

 mit neuem                                Umsatzsteuer

                                          Gewerbesteuer
                                                                                                                 403.750.000

                                                                                                                   25.673.390
 Flyer und                                Körperschaftssteuer                                                      87.391.500

 neuem Logo                               Lohnsteuer                                                             145.182.755

                                          Sozialversicherungsaufkommen                                           279.535.699

                                          Eingesparte Polizeikosten                                            1.077.070.230

                                          Justiz (Gerichte, Staatsanwaltschaften,                          Keine Berechnung
                                          Justizvollzug)                                                             möglich

                                          Gesamt                                                               2.668.603.574

                                         werden, könnten wiederum sinnvoll in         sich insgesamt auf rund 1,3 Mrd. Euro be-
                                         eine verstärkte Aufklärung und Sucht-        laufen. Das Steueraufkommen teilt sich
                                         prävention investiert werden.                auf eine Cannabis-Steuer (650 Mio. Euro),
                                            Steuereinnahmen durch Legalisierung       ähnlich einer Alkohol- oder Tabaksteuer,
                                         ermitteln und Kosten der Prohibition auf-    eine Umsatzsteuer (403,7 Mio. Euro), Ge-
                                         zuzeigen                                     werbe- und Körperschaftsteuer (113 Mio.
                                            Für Deutschland gibt es bisher kei-       Euro) sowie eine Lohnsteuer (145,2 Mio.
                                         ne Schätzungen über das Steuerauf-           Euro) auf. Zusätzlich wurde das Sozialver-
                                         kommen, wie die Antwort der Bundes-          sicherungsaufkommen (279,5 Mio. Euro)
                                         regierung auf eine kleine Anfrage im         geschätzt. Im Rahmen der Rechtsdurch-
                                         Bundestag 2017 gezeigt hat. Laut Bun-        setzung lässt sich lediglich eine Grö-
                                         desregierung liegen weder Informatio-        ßenordnung für die bei der Polizei durch
                                         nen über die Kosten für Bund und Länder      eine Legalisierung eingesparten Kosten
                                         vor, die in den Jahren 2015 bis 2017 durch   ermitteln (1,1 Mrd. Euro). Richtigerwei-
                                         die Verfolgung von Straftaten im Zusam-      se müssten zur Beurteilung der gesam-
                                         menhang mit Cannabisdelikten entstan-        ten Rechtsdurchsetzungskosten noch die
                                         den sind, noch über die Größenordnung        Kosten der Staatsanwaltschaft und der
                                         von Steuereinnahmen und Gebühren im          Gerichte hinzugerechnet werden. Dies ist
                                         Falle einer Legalisierung von Cannabis.      aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit
 JES-NRW unser Landesver-
                                         Ziel der Studie ist es deshalb, die mögli-   belastbarer Daten jedoch nicht möglich.
 band zeigt sich im neuen
                                         chen Steuereinnahmen zu ermitteln, die       Die ermittelten 1,1 Mrd. Euro an einge-
 ­Gewand. Neben einem neuen
                                         durch eine Legalisierung realisiert wer-     sparten Kosten im Rahmen der Rechts-
  Logo, hat JES-NRW auch einen
                                         den könnten und diese zu quantifizieren      durchsetzung spiegeln damit nur eine
  neuen Flyer erarbeitet, der die
                                         sowie die Kosten der Prohibition aufzu-      konservative Untergrenze wider.
  Arbeit von JES-NRW kurz und
  prägnant vorstellt.                    zeigen und zu quantifizieren.                   Insgesamt ergibt sich ein Betrag von
                                                                                      2,66 Mrd. Euro, der durch eine Legalisie-
 Alles weitere zu JES-NRW                Zahlen, Daten Fakten                         rung von Cannabis eingenommen wer-
 erfahrt ihr auf der Homepage            Hierzu wurde in der vorliegenden Studie      den kann, einerseits durch Steuereinnah-
 www.jes-nrw.de                          zunächst ein anzunehmender Gesamt-           men und andererseits durch eingesparte
                                         bedarf an Cannabis für Deutschland von       Ausgaben. ■
                                         250 Tonnen für das Jahr 2016 geschätzt.                    Quelle: DHV, November 2018
                                         Auf Basis dieses Gesamtbedarfs wur-
                                         den Steuereinnahmen für einzelne Steu-       ▶ Die gesamte Studie findet ihr
                                         eraufkommensarten berechnet, welche          unter https://bit.ly/2r3xb9N

                                    14
www.jes-bundesverband.de        leben mit drogen

                                      Suchtmedizin Hexal

                                   Vielfältig.
                                  Persönlich.
                                    Für Sie.

www.hexal.de                              15
leben mit drogen                       DROGENKURIER

CheckPoint-C –
Die Crystal-App
Die Crystal App soll Crystal-Konsumierende in ihrem Konsumalltag
begleiten, ohne sie aus ihrer Anonymität zu zwingen

Das kann die App:                                    tätsbezug und helfen, einen besseren
•	CheckPoint-C ist eine Navigationshilfe            Blick auf sich selbst zu bekommen.
   für den Konsumalltag mit Crystal Meth.         •	Die Substanzinformationen und das
   Die App bietet die Möglichkeit, den               Lexikon halten einen umfangreicher
   Konsumalltag zu planen und einzu-                 Fundus an Inhalten bereit, rund um
   schätzen sowie das eigene Konsumver-              die Substanz Crystal, deren Wirkungs-
   halten zu reflektieren. Darüber hinaus            weise, Konsumformen, – gründe,
   enthält sie viele Informationen für An-           möglichen Kurz- und Langzeitneben-
   gehörige und Interessierte, um sich zu            wirkungen, vielen Tipps zu Safer-Use
   Konsum und Substanz vorurteilsfrei                und dem Umgang mit Risikofaktoren
   und qualifiziert weiterzubilden.                  (Risikomanagement).
•	In der App enthalten sind ein Konsum-          •	Darüber hinaus bietet die App hilfrei-
   tagebuch, welches dabei helfen kann,              che Tipps zur Kontrolle des eigenen
   das eigene, individuelle Konsummus-               Konsums und unterstützt eine wert-
   ter zu reflektieren. Weiterhin bietet             neutrale Aufklärung von Konsumen-        verhindert, dass ungewollt Informatio-
   ein Teil der App die nötigen Erste-Hil-           tInnen und deren Angehörigen.            nen eingesehen werden können. Wei-
   fe-Grundlagen, um in einem Drogen-                                                         terhin erhebt, speichert und verarbeitet
   notfall adäquat reagieren zu können.           Ein Wort zur Datensicherheit                die App nur die Daten, die im Konsumta-
•	Die Selbsttests bilden die Basis für           Wir legen großen Wert darauf, dass bei      gebuch selbst angegeben werden. Diese
   eine Reflexion über das eigene Selbst-         der Nutzung der App die Privatsphäre        müssen gespeichert werden, um zu spä-
   wertgefühl, der Selbstkontrolle, die           stets gewahrt bleibt. Die App bietet die    teren Zeitpunkten die Konsumereignisse
   Selbstrealisierung, sowie den Reali-           Möglichkeit eines Passwortschutzes, der     anzeigen und die passenden Informati-
                                                                                              onen darstellen zu können. Die Speiche-
                                                                                              rung und Verarbeitung der Daten erfolgt
                                                                                              innerhalb der App auf dem Gerät selbst,
                                                                                              es werden keine Daten durch die App ver-
                                                                                              sendet. Eine Anbindung der App an exter-
                                                                                              ne Systeme innerhalb und außerhalb des
                                                                                              Smartphones existiert nicht.
                                                                                                 Die App wurde an der Hochschule
                                                                                              Merseburg entwickelt. Die Leitung des
                                                                                              Projektes hatte Prof. Gundula Barsch,
                                                                                              welche hierfür mit einem Team aus So­
                                                                                              zialarbeiter*innen, Gra­fik­designer*in­nen
                                                                                              und Program­mierer*innen zusammenar-
                                                                                              beitete. ■

                                                                                              ▶ https://checkpoint-c.de/

                                             16
www.jes-bundesverband.de                            leben mit drogen

Weniger Beikonsum
von Alkohol mit
retardiertem Morphin
Wenn es eine Substanz gibt, die auch         im Rahmen einer von Mundipharma un-                    Ferner wurden noch nicht publizier-
unter substituierten Frauen und Män-         terstützten Veranstaltung klar. „Das pri-           te Ergebnisse einer noch nicht öffenli-
nern für Besorgnis sogt, dann ist dies der   märe Behandlungsziel sei heute nicht                chen Studie zu SROM (Slow Release Orale
hohe Anteil von Substituierten, die Alko-    mehr die Abstinenz. Im Vordergrund                  Morphine) diskutiert. Die Ergebnisse sol-
hol konsumieren. Auch unser Ziel als JES-    stehe die Sicherstellung des Überlebens,            len zeigen, dass der Alkoholkonsum nach
Bundesverband ist es, den Konsum der         die Besserung des Gesundheitszustan-                Umstellung auf retardiertes Morphin bei
täglich getrunkenen Menge an Alkohol         des sowie die Reduktion des Gebrauchs               vielen Patienten zurückgeht. Zudem soll
zu reduzieren. Dies nicht, weil wir Alko-    weiterer Suchtmittel – vor allem von Al-            auch der Konsum von Heroin reduziert
hol nicht mögen, sondern ausschließlich,     kohol.“                                             oder gar ganz eingestellt werden.
weil Alkohol und Opioide zusammen zu            Seiner Meinung nach sei das Trinkver-               Wir als JES-Bundesverband freuen uns
großen Problemen führen können.Nun           halten anders und das Craving schwä-                auf die Ergebnisse dieser Studie. Nach all
gibt es erste Hinweise darauf, dass unter    cher, wenn die Substitution statt mit               dem, was uns Patient*innen berichten,
einer Opioidsubstitution mit retardier-      Methadon mit retardiertem Morphin                   die mit retardiertem Morphin behandelt
tem Morphin Alkohol weitaus weniger          (Substitol®) durchgeführt werde. Von                werden bzw. auf Morphin umgestellt
konsumiert wird, als dies bei anderen        den Patienten, die retardiertes Morphin             wurden profitieren sie mehr als zuvor
Substituten der Fall ist                     erhalten, trinken etwa 80 Prozent wenig             von der Substitution. ■
   Norbert Lyonn, ein niedergelassener       oder gar nichts, nur 9 Prozent trinken hef-
Suchtmediziner in Berlin, stellt das Ziel    tig, berichtet Herr Lyonn.                                                JES-Bundesverband

kurz notiert

           Heroin auf Rezept – Sonst wäre ich tot (Video)
  Heroin auf Rezept gibt es in Deutschland an ins-
  gesamt zehn Standorten, unter anderem in Köln.
  In der Nähe des Neumarkt liegt die Kölner Subs-
  titutionsambulanz vom Gesundheitsamt Köln und
  der Kölner Drogenhilfe. Ben hat sie für diesen
  Film besucht und zwei Patienten bei ihrer Dia-
  morphinvergabe begleitet und sich über das Pro-
  gramm informiert.

  Das Video ist im Internet unter folgendem
  Link verfügbar: https://www.youtube.com/
  watch?v=FHIhFyFUlpM

  Quelle: forum-substitutionspraxis 19.01.2019                Filmszene aus dem Videofilm

                                                                                            17
internationales                      DROGENKURIER

„Frau Mortler for Brussels“
Drogenbeauftragte kandidiert für EU-Parlament auf einem
aussichtsreichen sechsten Listenplatz

Wir wussten schon immer, dass die ei-                                                                              sundheit hat und sich voll und ganz mit

                                                                                           Foto: Tagesspiegel.de
gentliche Fachkompetenz der aktuel-                                                                                dieser verantwortungsvollen Aufgabe
len Drogenbeauftragten eher im Bereich                                                                             und Position identifiziert?
der Landwirtschaft liegt. Viele Beobach-
ter der Drogen- und Suchtpolitik waren                                                                             Hoffnung auf eine neue
erstaunt, als bekannt wurde, dass Frau                                                                             Drogenpolitik?
­Mortler Bereitschaft signalisierte, für                                                                           Ach ja, natürlich nährt diese Entwick-
 eine zweite Amtszeit als Drogenbeauf-                                                                             lung den Funken Hoffnung vieler Milli-
 tragte zur Verfügung zu stehen. Ihre Kan-                                                                         onen Menschen in Deutschland, die der
 didatur für das EU-Parlament, kommt                                                                               Meinung sind, dass das seit mehr als 40
 daher doch etwas überraschend. Für                                                                                Jahren praktizierte Modell der Prohibiti-
 ­Außenstehende ist die Kandidatur mit-                                                                            on dringend eines Richtungswechsels be-
  ten in ihrer zweiten Amtszeit, ein In-               Soll man verärgert sein, dass eine                          darf.
  diz wo die tatsächlichen Prioritäten von          Frau, die das höchste Amt in Sachen Dro-                          Realistisch scheint ein solcher Rich-
  Frau Mortler liegen. Sie muss sich sicher         gen und Sucht in einem der wichtigs-                           tungswechsel unter der aktuellen politi-
  die Frage g
            ­ efallen lassen, warum sie nach        ten Länder in Europa einnimmt, ihre tat-                       schen Konstellation allerdings nicht.
  der ersten Legislaturperiode nochmals             sächlichen Interessen so deutlich zum                             Es stellt sich nur die Frage, was Frau
  für das Amt der Drogenbeauftragten                Ausdruck bringt? Oder ist es im Interes-                       Mortler macht, wenn es trotz eines gu-
  bereitstand. Nun wird Frau Mortler mit            se Drogen gebrauchender Menschen in                            ten Listenplatzes nicht für das EU-Par-
  dem Satz zitiert „Unsere heimische Agrar-         Deutschland, dass es nun eine Chance                           lament reicht. Einfach weiter so als Dro-
  und Ernährungswirtschaft braucht auch             gibt, diese wichtige Position mit einem                        genbeauftragte? Das dürfte wohl kaum
  ­in Zukunft eine starke Stimme in Eu­             Politiker bzw. einer Politikerin zu beset-                     möglich sein, oder doch? ■
   ropa.“                                           zen, die ihre Kompetenzen im Bereich Ge-                                                    Dirk Schäffer

kurz notiert
                                                    Weltkarte der Entkriminalisierung
  Wolltet ihr schon immer mal wissen
  wie es mit der Entkriminalisierung in
  Bolivien oder Südkorea ausschaut?
  Dann solltet ihr euch die interessan-
  te Weltkarte von Avinash Tharoor an-
  schauen. Ihr werdet erstaunt sein in
  wie vielen Ländern bereits Prozesse
  der Entkriminalisierung des Besitz-
  se durch die Politik initiiert wurden.
  Also nichts wie hin, zu:

  https://www.talkingdrugs.org/
  decriminalisation

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www.jes-bundesverband.de        leben mit drogen

                           19
internationales                      DROGENKURIER

Mehr Drogentote als
Verkehrsopfer in den USA
Wir haben in der Vergangen-                        for Disease Control and Prevention (CDC)      Die meisten Zunahmen in
                                                   sterben täglich 130 Menschen infolge          Nebraska und North Carolina
heit bereits über die Opioid-
                                                   einer Überdosis durch Opioide.                38 von 50 Bundesstaaten verzeichneten
Krise in den USA in den USA                                                                      einen Anstieg der Drogentoten. Die meis-
berichtet. Nun gibt es neue                        Risiko einer Opioidüberdosis                  ten Opfer in absoluten Zahlen gab es in
                                                   höher als verstorbene durch                   Florida, Kalifornien, Pennsylvania und
Schätzungen über die Zahl                          Verkehrsunfälle                               Ohio. Prozentual den stärksten Anstieg
der Menschen, die an einer                         Die US-Behörden schätzen das Risiko           gab es in Nebraska (plus 33,3 Prozent)
Opioidüberdosis verstarben.                        für einen opioidbedingten Tod mit 1 : 96      und North Carolina (plus 22,5 Prozent).
                                                   erstmals größer als durch einen Ver-          Die Überdosis-Krise begann zu Beginn
                                                   kehrsunfall (1 : 103). Die Zahl der Opioid-   der 10er Jahre, vielfach wegen im Über-
Täglich 130 Opioidtote                             Abhängigen in den USA wird auf über           maß verschriebener starker Schmerzmit-
Die Anzahl der Drogentoten ist von                 zwei Millionen Menschen geschätzt. Wie        tel wie Oxycodon.
63.600 im Jahr 2016 auf etwa 70.200 vor            berichtet, sind aktuell verschriebene Me-        Vier von fünf Heroin-Nutzern geben
zwei Jahren angestiegen. Hierbei waren             dikamente für viele Abhängige zu teuer        an, zuvor verschreibungspflichtige Opi-
opioidhaltige Medikamente bzw. illegale            und sie weichen auf Heroin oder illegal       oidhaltige Schmerzmittel genommen zu
Opioide für 2/3 der Todesfälle 2017 verant-        hergestellte synthetische Drogen wie          haben. ■
wortlich. Nach Angaben des US-Centers              Fentanyl aus.                                                             Dirk Schäffer

 Drogentote in den USA zwischen 1999 und 2017

                                                                                                                              Quelle: taz

                                              20
www.jes-bundesverband.de        internationales

                 Durch engagierte Aufklärungsarbeit
                 in einem stigmatisierten Therapiegebiet
                 Durch partnerschaftliche Zusammenarbeit
                 mit Fachkreisen und Betroffenen
                 Durch einen umfassenden Praxisservice
                 und interdisziplinäre Fortbildung

               40 Jahre Erfahrung in der Suchttherapie
                                                           1901_LPL_B – SADE.POAN.18.12.3643

                             www.substitutionsportal.de

                           21
aus den regionen                                                        DROGENKURIER

Wir substituieren
jetzt mit Tablette
Posteraktion für Aids- und Drogenhilfen zur Aufklärung zur
Substitutions­behandlung des JES-Bundesverbands und Hexal

                                                                                                       Die Haltung des JES-Bundesverbands war immer, dass wir die
                                                                                                    Zulassung weiterer Wirkstoffe unterstützen, denn mit einer brei-
                                                                                                    ten Palette an verschiedenen Wirkstoffen und Darreichsformen
                                                                                                    können Patient*innen individueller behandelt werden. Aktuell
                                                                                                    ist Deutschland eines der Länder, das in Europa über die größ-
                                                                                                    te Bandbreite von Wirkstoffen für die Substitutionsbehandlung
                                                                                                    verfügt.

                 Ich substituiere                                                                    Die Wirkstoffe in alphabetischer Reihenfolge:

     jetzt mit Tablette.                                                                             Buprenorphin
                                                                                                     Buprenorphin+ Naloxon Kombination
                                                                                                     Codein
                                                                                                     Diamorphin
                                   „Für mich war die                                                 Dihydrocodein
                              Substitution der Weg zurück
                            ins Leben. Ich lerne wieder, mich
                              mehr und mehr zu fühlen und                                            Levomethadon
                                 am Alltag teilzunehmen.
                                                                                                     Methadon
                               Die diskrete Einnahme einer
                                  Tablette ist dabei ein
                                   weiterer Schritt zur                                              Morphin
                                       Normalität.“

                                                                                                    Gleicher Wirkstoff aber viele neue Namen
                                                                                                    Viele Substitutionspatient*innen berichten, dass sie plötzlich
  Eine Initiative von Hexal in Zusammenarbeit mit JES.                                              ein Medikament mit gleichem Wirkstoff aber einem anderen
                         Inside Substitution   Hier erfahren Sie mehr zur Substitution:             Namen erhalten. Tatsächlich sind in den letzten Jahren viele so-
„Die diskrete Einnahme einer
                         Ein Film des JES-
                         Bundesverband e. V.
                                               www.hexal.de/patienten/ratgeber/suchtmedizin
                                               www.mytreatmentmychoice.eu/row/de/                   genannte generische oder patentfreie Medikamente nach Ab-
                                                                                                    lauf des Patentschutzes auf den Markt gekommen. Erst nach
Tablette ist dabei ein weiterer
  www.hexal.de
                                                                                                    dem Ende des Patentschutzes darf ein anderes Unternehmen
Schritt zur Normalität.“                                                                            dieses Medikament herstellen. Wichtig zu wissen ist, dass bei
                                                                                                    generischen oder patentfreien Medikamenten der Wirkstoff
Substitutionspatient*innen sehen sich mit einer immer größeren                                      genauso schnell und in gleicher Menge am Wirkungsort sein
Vielfalt und Anzahl an Medikamenten zur Substitutionsbehand-                                        muss wie beim Original. Bisweilen erweitern generische Prä-
lung konfrontiert. Unser Anliegen als Interessenvertretung von                                      parate durch die Einführung weiterer Wirkstärken und Darrei-
Drogengebraucher*innen und Substitutionspatient*innen ist es,                                       chungsformen das Spektrum an Substitutionsmitteln. Auch
dass Patient*innen möglichst individuell behandelt werden und                                       Produktverbesserungen wie Teilbarkeit von Tabletten ermög-
sie jene Informationen erhalten, um eine informierte Entschei-                                      lichen eine noch individuellere Anpassung der Behandlung an
dung treffen zu können.                                                                             die Bedürfnisse des Patienten.

                                                                             22
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