Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nachhaltigen Handels - Kurs setzen für eine grüne Zukunft

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Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nachhaltigen Handels - Kurs setzen für eine grüne Zukunft
Financial Institutions: Partnership meets expertise

Einblicke: Szenarien für die
Zukunft eines nachhaltigen
Handels
Kurs setzen für eine grüne Zukunft

In Zusammenarbeit mit
Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nachhaltigen Handels - Kurs setzen für eine grüne Zukunft
Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nachhaltigen Handels - Kurs setzen für eine grüne Zukunft
Inhalt

6		   Vorwort der Commerzbank

8		   Vorwort von Oxford Analytica

10	Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen
11    1. Einführung
14    2. Entwicklung der Szenarien
15    3. Ausprägungen der fünf Treiber

20    Szenario 1: eine weltweit nachhaltige Zukunft
21    1. Einführung
23    2. Wirtschaft: Fortschritte in Richtung auf ein neues Modell
      2.1. Einführung
      2.2. Kreislaufwirtschaft und Cradle-to-Cradle
      2.3. Produkt-Service-Systeme und Sharing Economy
      2.4. Neue Messgrößen jenseits des BIP

30    3. Handel: Globalisierung gedeiht
      3.1. Einführung
      3.2. Neue Abkommen fördern einen nachhaltigen Handel
      3.3. Nachhaltigkeitsauflagen für den Handel

33    4. Technologie: beschleunigter Wandel
      4.1. Einführung
      4.2. Additive Fertigung
      4.3. Robotik
      4.4. Digitalisierung
      4.5. Wassermanagement und Wassertechnologie
      4.6. Nachhaltige Technologiecluster

38    5. Der Privatsektor: Strategien werden nachhaltiger
      5.1. Einführung
      5.2. Kooperationswettbewerb
      5.3. Resilienz in den Lieferketten
      5.4. Informierte und proaktive Verbraucher
      5.5. Innovative Finanzwirtschaft: Crowdsourcing und Crowdfunding
      5.6. Investitionen in nachhaltige Technologien

43    6. Politik: Stakeholder finden zusammen
      6.1. Einführung
      6.2. Klimaabkommen und Bepreisung von CO2
      6.3. Verbesserte Zusammenarbeit von öffentlichem und privatem Sektor
      6.4. Verbraucherkampagnen lenken die Politik

                                                                             Inhalt   3
Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nachhaltigen Handels - Kurs setzen für eine grüne Zukunft
48	Szenario 2: ein Teufelskreis aus Stagnation
                 und Protektionismus
             49    1. Einführung
             51    2. Die Wirtschaft: Im Griff der Abwärtsspirale
                   2.1. Einführung
                   2.2. Risikominimierung bietet nur bedingt Unterstützung
                   2.3. Potenzielle Auslöser einer Wirtschaftskrise
                   2.4.Die Preise für fossile Brennstoffe bleiben dauerhaft niedrig

             56    3. Welthandel: Beteiligte Länder kapseln sich ab
                   3.1. Einführung
                   3.2. Handel mit Waren und Dienstleistungen ist gleichermaßen betroffen
                   3.3. Stillstand des WTO-Systems
                   3.4. Grüner Protektionismus setzt sich durch
                   3.5. Greenwashing unterläuft die Bemühungen zu nachhaltigem Handel
                   3.6. Nicht nachhaltige Landwirtschaft

             63    4. Technologie: Innovationskraft und Produktivität lassen nach
                   4.1. Einführung
                   4.2. Die Konjunkturschwäche verlangsamt den technischen Fortschritt
                   4.3. Arbeitsmärkte werden prekärer

             66    5. Privatwirtschaft: gescheiterte Führungsrolle
                   5.1. Einführung
                   5.2. Nachhaltigkeit in den Lieferketten gerät ins Stocken
                   5.3. Die Bankenbranche überdenkt ihr Engagement

             69    6. Politik: keine Lösungen in Sicht
                   6.1. Einführung
                   6.2. Nationaler Ressourcenbedarf versus Nachhaltigkeit
                   6.3. Die EU in der politischen Krise
                   6.4. Zunahme extremer Parteien verstärkt Protektionismus
                   6.5. Scheitern des globalen Klimaabkommens
                   6.6. Der Verbraucherdruck für nachhaltigen Handel sinkt

4   Inhalt
Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nachhaltigen Handels - Kurs setzen für eine grüne Zukunft
74	Schlussfolgerung
		 1. Voraussichtliche Entwicklung der fünf Schlüsseltreiber
		      2. Empfehlungen

85	Abkürzungsverzeichnis

                                                               Inhalt   5
Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nachhaltigen Handels - Kurs setzen für eine grüne Zukunft
Vorwort der Commerzbank

    Liebe Leserinnen, liebe Leser,

    wir wissen um die zentrale Bedeutung von Nachhaltigkeit im Handel – das
    haben wir in unserem zuletzt erschienenen Bericht „Einblicke: Die fünf
    Treiber für einen nachhaltigen Handel“ verdeutlicht. Dieser beleuchtet,
    wie das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit in sozialer, ökologischer und politi-
    scher Hinsicht künftig nur dann stärker werden wird, wenn knappe Res-
    sourcen den Handel gefährden und die Öffentlichkeit zunehmend Fort-
    schritte in Bereichen wie erneuerbare Energien und verantwortungsvolle
    Finanzwirtschaft einfordert. Angesichts zunehmender Regulierung, Glo-
    balisierung und Wettbewerbsintensität bei gleichzeitig nachlassendem
    Wirtschaftswachstum wird es Nachhaltigkeit im Bankensektor mehr denn
    je brauchen.

    Bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1870 durch einen Hamburger Kauf-
    mann, der Handel mit Ländern in Lateinamerika betrieb, engagiert sich die
    Commerzbank im internationalen Handelsgeschäft. Wenn wir auch in
    150 Jahren noch in diesem Geschäft sein wollen, ist es unabdingbar, dass
    wir eine langfristig tragfähige und wettbewerbsorientierte Strategie des
    nachhaltigen Handels und Geschäftsgebarens verfolgen. In die Entwick-
    lung einer solchen Strategie haben wir viel Zeit und Mühe investiert.

    Natürlich sind wir nicht allein in unserem Streben nach Nachhaltigkeit –
    und sollten es auch nicht sein. Wir sind eine Bank, die von Natur aus in
    vielfältigen Beziehungen zu anderen steht, und haben daher das große
    Ganze im Fokus: die Entwicklung von Handelsnormen, Methoden und
    Lösungen, die dem gemeinsamen Nutzen aller Beteiligten dienen. Dem-
    entsprechend vertreten wir den Standpunkt, dass nur ein gemeinsames
    Vorgehen von Unternehmen, Banken und Regierungen die globale Wirt-
    schaft in ein nachhaltiges Model verwandeln kann.

    Allerdings müssen wir akzeptieren, dass das Konzept des nachhaltigen
    Handels derart komplex, vielschichtig und nicht zuletzt wandelbar ist,
    dass es schwierig sein wird, eine entsprechende Bündelung zu erreichen
    und langfristige Strategien zu entwickeln. Daher muss sich unsere
    Branche realistisch mit den vordringlichen Themen der Welt von heute
    auseinandersetzen, indem sie sich auf die Probleme – und auch auf die
    Chancen – vorbereitet, die in den kommenden 10 bis 15 Jahren und darü-
    ber hinaus relevant werden.

    Doch was für ein Umfeld erwartet uns in Zukunft? Vorausschauende Pla-
    nung ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir das mit dem nachhalti-
    gen Handel verbundene Potenzial ausschöpfen wollen. Deshalb freuen wir
    uns, Ihnen nach dem Erfolg unseres ersten Berichts eine weitere Studie
    präsentieren zu können: „Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nach-
    haltigen Handels“.

6   Vorwort
Einblicke: Szenarien für die Zukunft eines nachhaltigen Handels - Kurs setzen für eine grüne Zukunft
In Zusammenarbeit mit Experten von Oxford Analytica haben wir zwei
mögliche Nachhaltigkeitsszenarien entwickelt. Sie beschreiben den „Best
Case“ und den „Worst Case“ im Hinblick auf die Entwicklung von Nachhal-
tigkeit im Welthandel: Kann die Weltwirtschaft bei weiterhin florierendem
Handel wachsen? Oder könnte eine verlangsamte wirtschaftliche Entwick-
lung in Zeiten abnehmender Chancen für Handelsströme mit Protektionis-
mus einhergehen? Die beiden Szenarien sind fest in den bereits in unse-
rem ersten Bericht analysierten fünf Treibern für einen nachhaltigen
Handel verankert. Jeder einzelne von ihnen verfügt über weitreichende
Implikationen für Nachhaltigkeit.

In Anbetracht dieser Szenarien geben wir in einem nächsten Schritt einen
Ausblick auf eine wahrscheinliche Zukunft, indem wir Empfehlungen aus-
sprechen und Fallstudien präsentieren – eine ausgewogene Prognose zwi-
schen den beiden Extremszenarien. Auf dieser Grundlage können wir die
Potenziale des Handels unter Berücksichtigung einer nachhaltigen Ent-
wicklung für die kommenden 10 bis 15 Jahre einschätzen.

Wir beabsichtigen darüber hinaus, den Wert des nachhaltigen Handels
mit einer Klarheit zu beschreiben, wie die Finanzbranche sie dringend
benötigt: Wir glauben, dass Banken dabei eine Schlüsselrolle spielen soll-
ten. Die Commerzbank ist nicht nur vom Nutzen eines nachhaltigen Han-
dels überzeugt, sondern auch von der Notwendigkeit, diesen öffentlich
zu kommunizieren – gegenüber Kapitalgebern und Unternehmen, Regie-           Dr. Bernd Laber
rungen, NGOs und den Medien –, damit sie unsere Arbeit wahrnehmen            Bereichsvorstand
und uns bei der Verwirklichung unserer Vision unterstützen können. Wir       Commerzbank Transaction Services
möchten die öffentliche Diskussion zu diesem zentralen Thema voranbrin-      und Financial Institutions
gen. In der Hoffnung, dass der vorliegende Bericht interessante Denkan-
stöße bietet, freuen wir uns auf anregende Diskussionen mit Ihnen.

Dr. Bernd Laber
Bereichsvorstand
Commerzbank Transaction Services
und Financial Institutions

                                                                                                                Vorwort   7
Vorwort von Oxford Analytica

    Die Commerzbank und Oxford Analytica haben sich bereits zum zweiten
    Mal zusammengeschlossen, um einen zukunftsweisenden Bericht zum
    Thema „nachhaltiger Handel“ zu erstellen. Oxford Analytica ist ein global
    agierendes Analyse- und Beratungsunternehmen, das seine Kunden mit-
    hilfe eines weltweiten Expertennetzwerks in den Bereichen Strategie und
    Performance berät. Unsere Einblicke und Analysen zu globalen Themen
    verhelfen unseren Kunden zum Erfolg in komplexen Märkten, in denen die
    Verknüpfung von Politik und Wirtschaft, Staat und Unternehmen von ent-
    scheidender Bedeutung ist.

    Niemand kann die Zukunft eines nachhaltigen Handels mit Sicherheit vor-
    hersagen. Allerdings wird sie zweifelsohne eng mit den globalen wirt-
    schaftspolitischen Entwicklungen verbunden sein, wie wir im vorliegen-
    den Bericht detailliert ausführen. Die von uns beschriebenen Best-Case-
    und Worst-Case-­Szenarien sind allesamt von den fünf Schlüsseltreibern
    untermauert, die wir im ersten gemeinsamen Bericht von Commerzbank
    und Oxford Analytica analysiert haben. Er wurde im März 2015 unter dem
    Titel „Einblicke: Die fünf Treiber für einen nachhaltigen Handel“ veröffent-
    licht. Bei diesen Treibern handelt es sich um:

    •   Regulatorischen Wettbewerb und Protektionismus
    •   Änderungen im weltweiten Nachfrageverhalten
    •   Trends in den Lieferketten
    •   Strategische Allianzen
    •   Standards und Labels
    •   Innovative Finanzwirtschaft
    •   Die Rolle der Banken

    Darüber hinaus wird die weitere Entwicklung des nachhaltigen Handels in
    den kommenden 10 bis 15 Jahren von den Maßnahmen abhängen, die
    Unternehmen, Finanzinstitute, politische Entscheidungsträger, NGOs und
    Privatpersonen ergreifen. Der vorliegende Bericht verdeutlicht die mögli-
    chen positiven oder negativen Auswirkungen dieser Maßnahmen, und wir
    hoffen, dass er alle Anspruchsgruppen ermutigt, in einer Weise zu agie-
    ren, die den nachhaltigen Handel langfristig fördert.

8   Vorwort
Der Bericht enthält Beiträge ausgewählter Mitglieder unseres Experten-
netzwerks. Die meisten von ihnen sind an führenden Universitäten in der
ganzen Welt tätig, andere sind ehemalige Topmanager oder hochrangige
Amtsträger im öffentlichen Sektor. Darüber hinaus haben wir Interviews
mit fünf anerkannten Vordenkern auf dem Gebiet des nachhaltigen Han-
dels geführt: Georg Kell (ausgeschiedener geschäftsführender Direktor
des UN Global Compact), Prof. Dr. Michael Braungart (Gründer und
wissenschaftlicher Vorstand der EPEA Internationale Umweltforschung
GmbH, einem internationalen Institut für Umweltforschung und Bera-
tung), Sabrina Borlini (Global Manager, Handels- und Rohstofffinanzie-
rung, Financial Institution Group, International Finance Corporation),
Prof. Simon Evenett (Akademischer Direktor des MBA-Programms und
Professor für internationalen Handel und wirtschaftliche Entwicklung an
der Universität St. Gallen), Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages,
Bündnis 90/Die Grünen). Für die Zeit, die sie uns im Rahmen der Inter-
views zur Verfügung gestellt haben, und für die wertvollen Beiträge
bedanken wir uns ausdrücklich.

Wir freuen uns darauf, die Commerzbank auch weiterhin bei der
Gestaltung der Debatte um die Zukunft des nachhaltigen Handels zu
unterstützen.

                                                                            Graham Hutchings
                                                                            Chairman of the Board of Directors,
                                                                            Oxford Analytica

Graham Hutchings
Chairman of the Board of Directors, Oxford Analytica

                                                                                                                  Vorwort   9
Die fünf Treiber:
Wo wir heute stehen
1. Einführung

In unserem ersten Bericht „Einblicke: Die fünf Treiber für einen nachhaltigen
Handel“ vom März 2015 haben wir fünf Schlüsseltreiber identifiziert und
analysiert, die den nachhaltigen Handel in den nächsten 10 bis 15 Jahren
prägen werden (vgl. Abbildung 1). Im vorliegenden zweiten Bericht unter-
suchen wir die Perspektiven für einen nachhaltigen Handel anhand von
zwei klar ausgeprägten Übersichtsszenarien mit sehr unterschiedlichen
Auswirkungen auf den Handel in den kommenden 10 bis 15 Jahren.

Abbildung 1: die fünf Treiber für einen nachhaltigen Handel in den nächsten 10–15 Jahren

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                                                Strategische Allianzen,
                                                 Standards und Labels

Best- und Worst-Case-Szenario der nächsten 10–15 Jahre

Das Best-Case-Szenario basiert auf einer weiteren Öffnung und Entwick-
lung der Weltwirtschaft sowie einem florierenden Welthandel. Daraus
erwachsen deutliche Fortschritte für viele der 25 Ausprägungen der fünf
Schlüsseltreiber, auf die wir im weiteren Verlauf dieses Kapitels – im drit-
ten Teil – näher eingehen.

                                                                                                  Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen   11
Der nachhaltige Handel       Das Worst-Case-Szenario fußt auf den Annahmen eines geringen Wachs-
      verändert sich rasant. Es    tums der Weltwirtschaft und eines zunehmenden protektionistischen Ver-
      fehlt eine allgemein aner-   haltens. Infolgedessen würden viele der möglichen Ausprägungen der
      kannte Definition für        Schlüsseltreiber in ihrer Entwicklung stagnieren oder sich auf eine Art und
      einen nachhaltigen Han-      Weise entfalten, die einen nachhaltigen Handel wenig bis überhaupt nicht
      del, und es herrscht         ermöglicht.
      Unsicherheit über rele-
      vante Trends – zugleich
                                   Beide Zukunftsszenarien konzentrieren sich vornehmlich auf die Weltwirt-
      definieren zahlreiche
                                   schaft, den globalen Handel sowie die in diesem Kontext existierenden
      Unternehmen ihre Rolle in
      der Gesellschaft neu.
                                   Regulierungen. Potenzielle Trends und Entwicklungen in anderen wichti-
                                   gen und oftmals damit verbundenen Bereichen wie Geopolitik, gewalt-
                                   same Konflikte, Migration, Armut und Ungleichheit, Gesundheitswesen
                                   oder Klimawandel fließen nicht in die Szenarioanalysen ein.

                                   Die Meinungen im Hinblick auf die vielen Tendenzen und Strömungen
                                   rund um einen nachhaltig geprägten Handel stimmen heutzutage (leider)
                                   wenig überein und zeichnen sich durch Unklarheiten und Ungewissheit
                                   aus. Für diesen Bericht definieren wir einen nachhaltigen Handel daher
                                   wie folgt:

                                   Geschäftstätigkeiten und Aktivitäten des Kaufens und Verkaufens von
                                   Rohstoffen, Gütern und Dienstleistungen, die ökologischen, sozialen und
                                   ökonomischen Kriterien dergestalt entsprechen, dass sie allen involvier-
                                   ten Akteuren zum Nutzen sind und eine globale nachhaltige Entwicklung
                                   unterstützen.

                                   Bei Betrachtungen eines nachhaltig ausgerichteten Handels gilt es zu
                                   berücksichtigen, dass dieser seit einiger Zeit deutlichen Veränderungen
                                   unterliegt, während die beteiligten Unternehmen eine neue Rolle in der
                                   Gesellschaft – oftmals im Zusammenwirken mit anderen Anspruchsgrup-
                                   pen – einnehmen.

12   Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen
„Unternehmen durch­         In einer aktuellen Studie, die wir gemeinsam mit
                         leben aktuell einen        der MIT Sloan Management Review und der
                        Wandel ihrer Rolle –        Boston Consulting Group2 durchgeführt haben,
                         weg von reinen Pro-        wurde deutlich, dass sich Kooperationen mit
                         duktionsbetrieben hin      Nachhaltigkeitsbezug in den letzten drei Jahren
                        zu verantwortungs­          verdoppelt haben und dass ein Großteil der
                         bewussten Akteuren         Kooperationsinitiativen an die Branchenver-
                         in der Gesellschaft, die   bände herangetragen wurde. Diese Verbände
Georg Kell,              sich mit entscheiden-      werden heute verstärkt als Drehscheibe für Part-
Ausgeschiedener          den Zukunftsthemen         nerschaften angesehen, die ihre Mitglieder
geschäftsführender       wie Bildung oder           dabei unterstützen, wesentliche nachhaltigkeits-
Direktor UN Global       Gesundheit auseinan-       bezogene Themen zu managen.
Compact                  dersetzen.
                                                    Die große Frage ist, ob der politische Wille zur
Während ausländische Direktinvestitionen (ADI)1     Öffnung der Märkte bestehen bleibt oder ob in
früher vor allem getätigt wurden, um Zugang zu      der fragmentierten Welt von heute Protektionis-
billigen Ressourcen zu erhalten, werden sie         mus und Selbstbezogenheit die Oberhand
heutzutage vorwiegend zum Aufbau von neuen          gewinnen werden. Falls die Antwort lautet, dass
Märkten eingesetzt, nachdem sich das Wirt-          wir wieder in eine protektionistische Welt
schaftswachstum längst nach Osten und Süden         zurückfallen, werden Überlegungen zu nachhal-
verschoben hat. Unternehmen wollen langfristig      tigem Handel und Kooperationen an Bedeutung
existieren und gehen daher Kooperationen ein,       verlieren. Sie werden nur noch als Zugabe, kaum
um gemeinsame Wachstumsbarrieren zu über-           aber als entscheidendes Kriterium gelten. In
winden.                                             einem Best-Case-Szenario hingegen wird es ein
                                                    offenes Rennen an die Spitze geben, wo es im
Im Bereich des nachhaltigen Handels und der         Wettbewerb zunehmend auch auf eine nachhal-
Nachhaltigkeit im weiteren Sinne entsteht eine      tige Handelsleistung ankommt und gute Perfor-
Vielzahl neuer Kooperationsformen. Immer mehr       mance belohnt wird.”
Unternehmen erkennen, dass sie in ihren Koope-
rationsbemühungen weit über die klassischen
Eins-zu-eins-Partnerschaftsmodelle hinausge-
hen müssen, um anstehende Herausforderungen
                                                                                                            usländische Direktinvestitionen
                                                                                                           A
und Wachstumsbarrieren zu bewältigen. Sie
                                                                                                       1

                                                                                                           (ADI) sind grenzüberschreitende
benötigen strategische Allianzen über Branchen                                                             Investitionen, durch die der
                                                                                                           Investor wesentlichen Einfluss
und Lieferketten hinweg, auch mit Wettbewer-                                                               und Kontrolle über die Geschäfts-
                                                                                                           tätigkeit des Unternehmens
bern und Partnerorganisationen. Sogar Markt-                                                               gewinnt, in das er investiert.
führer erkennen, dass sie die nötigen Wirkungen                                                        2   „ Joining forces: Collaboration
nicht im Alleingang erzielen können. In diesem                                                              and leadership for sustainability“,
                                                                                                            UN Global Compact, MIT Sloan
Zusammenhang durchlaufen Branchenverbände                                                                   Management Review und Boston
eine kleine, stille Revolution.                                                                             Consulting Group, 12. Januar
                                                                                                            2015. http://sloanreview.mit.
                                                                                                            edu/projects/joining-forces/.

                                                                                              Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen               13
2. Entwicklung der
                                   Szenarien

      Für die Szenario-            Um die Szenarien konstruieren zu können,            Ausgewählte Makrokräfte: „Globalisie-
      entwicklung wurden           haben wir mehrere Workshops durchgeführt            rung/Integration“ und „Innovation“
      „Globalisierung/             und dabei in Brainstormings die wichtigsten
      Integration“ und             Makrokräfte mit den größten Auswirkungen            Folgende zwei Makrokräfte beinhalten viele
      „Innovation“ als             auf die zwei unterschiedlichen Szenarien in den     Aspekte unserer gesammelten Antworten auf
      die stärksten Makro­         kommenden 10 bis 15 Jahre bestimmt. Neben           oben genannte Fragen. Die erste Makrokraft
      kräfte für einen             den Makrokräften mit der größten Wirkung auf        „Globalisierung/Integration“ steht für Fragen
      nachhaltigen Handel          einen nachhaltigen Handel haben wir zudem           wie: Werden die am Welthandel beteiligten Län-
      identifiziert.               die mit hoher Ungewissheit verbundenen Kräfte,      der sich für eine beschleunigte Globalisierung
                                   welche in dem genannten Zeitraum ein sehr           entscheiden oder protektionistische Abschot-
                                   breites Spektrum an möglichen Entwicklungen         tungsmaßnahmen ergreifen? Die zweite Makro-
                                   aufweisen, in die Betrachtungen einbezogen.         kraft „Innovation“ spiegelt Fragen wider wie:
                                   Diskutiert wurden unter anderem folgende            Werden Innovationen – vorwiegend im techno-
                                   Fragen:                                             logischen, aber auch im politischen Bereich –
                                                                                       einen starken Schub erfahren oder wird ein sol-
                                   •    elche Trends oder Ungewissheiten
                                       W                                               cher eher schwach bzw. stagnierend ausfallen?
                                       (politischer, wirtschaftlicher, gesellschaft­   Entlang der verschiedenen Kombinationen der
                                       licher, technologischer Art) beunruhigen        beiden Makrokräfte „Globalisierung/Integration“
                                       Sie am meisten, wenn Sie an einen nach­         und „Innovation“ ergeben sich unterschiedliche
                                       haltigen Handel im Jahr 2030 denken?            Zukunftsperspektiven, die sich in unseren zwei
                                   •   Welche machen Ihnen die größte Hoffnung?        Szenarien widerspiegeln.
                                   •   Was wäre der stärkste Hebel für die
                                        Entwicklung eines nachhaltigen Handels
                                        in den nächsten 10 bis 15 Jahren, egal wie
                                        unwahrscheinlich er erscheinen mag?
                                   •    Welche Entwicklung könnte die größt­
                                         mögliche Störung herbeiführen?
                                   •     Wenn Sie eine beliebige Frage zu nach­
                                          haltigem Handel in den nächsten 10 bis
                                          15 Jahren stellen dürften, was würden
                                          Sie wissen wollen?

14   Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen
3. Ausprägungen der
fünf Treiber

Die nachfolgenden Tabellen 1 bis 5 verdeutlichen, wo wir heute mit jedem der fünf Treiber stehen
und wo wir im besten Fall stehen könnten. Hierzu werden die Treiber in verschiedene Ausprägungen
unterteilt und einzeln bewertet.

Wesentliche Unterschiede zwischen OECD- und Nicht-OECD-Ländern sind eigens gekennzeichnet.

Tabelle 1: aktueller Stand der Ausprägungen von Treiber 1

 Stark                   Schwach                                                             Schwach                            Stark
                                          Wie förderlich für nachhaltigen Handel?

                                                  Grad der Regulierung zu
                                   OECD                                         Nicht-OECD
                                                   nachhaltigem Handel

                                               Durchsetzung von Belangen
                                   OECD      des nachhaltigen Handels durch     Nicht-OECD
                                                       Behörden

                                              Gesetzliche Anforderungen an
                                   OECD        die Nachhaltigkeitsberichts­     Nicht-OECD
                                             erstattung und deren Umsetzung

                                               Bedeutung von Regierungs­
                                   OECD        stellen für die Förderung des    Nicht-OECD
                                                   nachhaltigen Handels

                                              Verfolgen nachhaltiger Ziele in
                                   OECD                                         Nicht-OECD
                                              multi- und bilateralem Handel

Treiber 1: regulatorischer Wettbewerb                Die EU hat geeignete Systeme entwickelt, um
                                                                                                                    Auf regulatorischer Ebene
und Protektionismus                                  Unternehmen – insbesondere kleine und mittel-
                                                                                                                    treiben vor allem die neue
                                                     ständische Unternehmen (KMU) – dabei zu                        EU-­Richtlinie zur nicht
Bestehende EU-Verordnungen zu Nachhaltig-            unterstützen, die Richtlinien zu Nachhaltigkeit                finanziellen Bericht­
keitsaspekten gelten oft als Best Practice und       und Berichterstattung anhand von Best-                         erstattung sowie die
werden teilweise von Regierungen aus anderen         Practice-­Beispielen kostengünstig zu erfüllen.                OECD-­Bestimmungen zur
Teilen der Welt übernommen. Die EU (und allge-       Gleichzeitig haben Studien belegt, dass Unter-                 Vergabe von Export­­
meiner gesagt die meisten der OECD-Länder)           nehmen, die sich in dieser Hinsicht engagieren,                krediten den nachhalti-
haben Nachhaltigkeitsziele auf multi-, bi- oder      einen Innovationsschub erfahren können.3                       gen Handel weltweit an.
unilateraler Ebene in ihre Handelspolitik inte­                                                                     Zu­gleich geben bislang
                                                                                                                    Initiativen seitens des
griert.                                              Trotz ihrer vielfältigen Initiativen fehlt in der EU
                                                                                                                    privaten Sektors, NGOs
                                                     bislang eine klare Vision für nachhaltigen Handel
                                                                                                                    und anderer multilate­
Die neue EU-Richtlinie zur nicht finanziellen        im eigentlichen Sinne.4 Die Regulierung durch                  raler Organisationen das
Berichterstattung wird aller Voraussicht nach        die EU (und allgemein durch die OECD) hat in                   Tempo vor.
dazu beitragen, das Reporting zu unternehmeri-       vielen Bereichen mit den Initiativen zu nachhalti-
scher Nachhaltigkeit weiter zu etablieren und        gem Handel kaum Schritt halten können, die der             3   „ Einsichten: Fünf Treiber für
zu standardisieren. Zudem spielen die OECD-          private Sektor, NGOs und andere multilaterale                   einen nachhaltigen Handel“,
                                                                                                                     Commerzbank in Kooperation mit
Bestimmungen zur Vergabe von Exportkrediten          Organisationen ins Leben gerufen haben.                         Oxford Analytica, März 2015.
eine wichtige Rolle für die weitere Förderung                                                                   4   http://ec.europa.eu/environ-
des nachhaltigen Handels weltweit.                                                                                   ment/integration/trade_en.htm

                                                                                                       Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen          15
Tabelle 2: aktueller Stand der Ausprägungen von Treiber 2

      Stark                        Schwach                                                            Schwach   Stark
                                                  Wie förderlich für nachhaltigen Handel?

                                                         Nachfragedruck seitens der
                                              OECD       Verbraucher nach nachhaltig     Nicht-OECD
                                                           gehandelten Produkten

                                             Weltweit      Nachhaltiger Lebensstil

                                                              Nachhaltigkeit in
                                             Weltweit
                                                              Ballungszentren

                                                            Kooperation zwischen
                                             Weltweit     Verbrauchern/NGOs und
                                                        privatem öffentlichem Sektor

                                                          Einsatz neuer nachhaltiger
                                                         Technologien und Verfahren,
                                             Weltweit
                                                         z. B. Kreislaufwirtschaft und
                                                                Cradle-to-Cradle

      Vor allem Verbraucher in     Treiber 2: Änderungen im weltweiten Nachfrageverhalten
      OECD-Staaten treiben
      den nachhaltigen Handel      Derzeit sind Verbraucher innerhalb der OECD-aktiver als jene in Nicht-
      an. Im Gegensatz dazu        OECD-Ländern, wenn es darum geht, Initiativen zu nachhaltigem Handel
      geht es Konsumenten in       voranzutreiben. Sie tun dies einerseits, indem sie Handelstätigkeiten
      Nicht-OECD-Staaten vor-
                                   beobachten und hinterfragen (zunehmend auch unter Nutzung von
      rangig um die Erfüllung
                                   Online-Medien und Social-Media-Kanälen) und andererseits durch die
      grundlegender Bedürf-
      nisse und um preiswerte
                                   bewusste Wahl von Produkten und Dienstleistungen. Das Bewusstsein
      Angebote.                    und die Betroffenheit der Bürger bezüglich nachhaltigem Handel ist in
                                   Nicht-OECD-Ländern allgemein geringer ausgeprägt. Dort legen Verbrau-
                                   cher mehr Wert auf die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse und den
                                   Kauf von preiswerten Produkten.

16   Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen
Tabelle 3: aktueller Stand der Ausprägungen von Treiber 3

Stark                    Schwach                                                              Schwach                       Stark
                                         Wie förderlich für nachhaltigen Handel?

                                                   Resilienz von Lieferketten
                                     OECD                 ggü. Umwelt-           Nicht-OECD
                                                    und sozialen Problemen

                                                Kooperation in Lieferketten
                                    Weltweit        (zw. Käufern und
                                                      Lieferanten)

                                                   Nachhaltiges Lieferketten-
                                    Weltweit
                                                        management

                                                     Unternehmensplanung
                                    Weltweit       gleicht wirtschaftliche und
                                                      nachhaltige Ziele ab

                                                       Kooperation unter
                                    Weltweit
                                                        Wettbewerbern

Treiber 3: Trends in den Lieferketten                 Zahlreiche führende Unternehmen suchen einen                 Nachhaltige Lieferketten
                                                      langfristigen strategischen Ansatz, um diese                 werden in Konzernen als
Die meisten Konzerne weisen nachhaltigkeitsbe-        Herausforderungen zu managen. Allerdings ent-                wichtiges Thema erkannt
zogene Risiken oder Schwächen in ihren welt-          stehen im zunehmenden Wettbewerb auf dem                     und adressiert, sind oft
weiten Lieferketten auf und zwar vorwiegend in        globalen Markt Spannungen zwischen einer sol-                jedoch noch ein weit ent-
                                                                                                                   ferntes Ziel. Der Grund:
folgenden Bereichen:                                  chen strategisch-nachhaltigen Ausrichtung und
                                                                                                                   Strategische Nachhaltig-
                                                      dem kurzfristigen Fokus auf das unternehmeri-
                                                                                                                   keit und kurzfristige
•   Menschenrechte                                    sche Überleben und auf Gewinne. Diese Span-                  Gewinne stehen oft noch
•   Arbeitsbedingungen                                nungen sind oft noch ungelöst, und im Ergebnis               im Widerspruch.
•   Korruption                                        bleibt bis zur Nachhaltigkeit von Lieferketten
•   Umweltverschmutzung                               noch ein langer Weg.
•   Energieverschwendung und ineffizienter Ein-
     satz von Rohstoffen

                                                                                                        Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen   17
Tabelle 4: aktueller Stand der Ausprägungen von Treiber 4

         Stark                               Schwach                                                           Schwach   Stark
                                                            Wie förderlich für nachhaltigen Handel?

                                                                    Partnerschaften zwischen
                                                       Weltweit    öffentlichem, privatem und/
                                                                      oder Zivilgesellschaft

                                                                   Integration der Nachhaltig-
                                                        OECD       keitsberichterstattung und     Nicht-OECD
                                                                    Einhaltung von Standards

                                                                        Funktionierendes
                                                                   Ratingsystem auf der Basis
                                                        OECD                                      Nicht-OECD
                                                                  anerkannter Nachhaltigkeits­
                                                                          indikatoren

                                                                  Relevanz des Zertifizierungs­
                                                       Weltweit
                                                                           prozesses

                                                                     Anerkannte Labels, die
                                                       Weltweit
                                                                      Vertrauen schaffen

         Offene Kooperationen                Treiber 4: strategische Allianzen, Standards und Labels
         sind ein probates Mittel
         für Unternehmen, um                 Unternehmen pflegen auf vielen Ebenen offene Kooperationen mit NGOs,
         Ideen für einen nachhal­            Lieferanten und Verbrauchern, um Ideen zur Verbesserung der Nachhal-
         tigen Handel zu entwick-            tigkeitsleistungen des Handels zu entwickeln. So gab es beispielsweise
         eln. Unternehmen
                                             2013 über 110 nationale und internationale durch Unternehmen initiierte
         schmie­den strategische
                                             Nachhaltigkeitspartnerschaften sowie mehrere hundert branchen- und
         Allianzen mit anderen
         Anspruchsgruppen.
                                             themenspezifische Zusammenschlüsse.5
         Daneben erfordern
         je­doch die Herausforde­            Allerdings sind nur wenige Beispiele dokumentiert, in denen offene
         rungen durch zunehmend              Kooperationen in den Funktionsbereichen Forschung und Entwicklung
         knappe Ressourcen künf­             (F&E) oder Marketing eingesetzt wurden. Vielfach antizipieren Unterneh-
         tig eine engere Koopera-            men zwar die politische Regulierung zu Fragen des nachhaltigen Handels,
         tionen von Unternehmen              indem sie sich im Zuge strategischer Allianzen mit anderen Anspruchs-
         und öffentlichem Sektor.            gruppen faktisch selbst regulieren. Daneben sind jedoch Kooperationen
                                             zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor dringend erforderlich,
                                             um Lösungen für die Herausforderungen durch zunehmend knappe Res-
     5
      David Grayson and Jane Nelson,        sourcen wie Energie, Rohstoffe, Wasser, Nahrung und saubere Luft zu
     „Corporate responsibility coali-
       tions: the past, present and
                                             finden.
       future of alliances for sustainable
       capitalism“, Stanford University
       Press, 2013.

18   Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen
Tabelle 5: aktueller Stand der Ausprägungen von Treiber 5

   Stark                   Schwach
                                                   Wie förderlich für nachhaltigen Handel?

                                                                Einbeziehung von Nach-
                                           Weltweit            haltigkeitsaspekten in das
                                                                operative Bankgeschäft

                                                                  Standardisierung von
                                           Weltweit           freiwilligen Regelungen und
                                                                        Kennzahlen

                                                              Innovative Finanzprodukte,
                                           Weltweit             die nachhaltigen Handel
                                                                        fördern

                                                                Kooperation zwischen
                                           Weltweit            Banken und öffentlichen/
                                                                multilateralen Sektoren

                                                                Förderung nachhaltiger
                                           Weltweit
                                                                     Investitionen

Treiber 5: innovative Finanzwirtschaft                einen tragen die Treiber dazu bei, jedes Szenario
und die Rolle der Banken                              zu formen, und zugleich verändern sie sich im
                                                      Zuge der Entwicklung der Szenarien.
Schon heute fordert das Risikomanagement der
meisten führenden Banken und Versicherungen,          Im letzten Kapitel dieses Berichts leiten wir an-
dass Unternehmen im Zuge ihrer Geschäftstä-           hand der fünf Treiber einen realistischen Aus-
tigkeit geeignete Strategien zum Management           blick für den nachhaltigen Handel in den nächs-
von Nachhaltigkeitsrisiken vorlegen. Entschei-        ten 10 bis 15 Jahren ab, wobei wir uns auf
dungen im Bankwesen basieren zwar vorwie-             Aspekte aus beiden Szenarien stützen.
gend auf wirtschaftlichen Überlegungen im
Rahmen von Risiko- und Chanceneinschätzun-            Dieses Kapitel liefert ebenfalls eine Reihe von
gen, dennoch fließen Nachhaltigkeitsaspekte           Handlungsempfehlungen für Entscheidungs­
zunehmend in diese Bewertungen ein.                   träger aus Politik, Unternehmen, dem Banken-
                                                      sektor und der Zivilgesellschaft (NGOs und Ver-
Wie die vorangegangenen Tabellen zeigen, hat          braucher). Es wird deutlich, dass der nach­-
jeder der fünf Treiber einen gewissen Einfluss        haltige Handel künftig mehr Aufmerksamkeit
auf den nachhaltigen Handel. In den nachfol-          und darüber hinaus mehr öffentliche Fördermit-
genden Ausführungen zu den zwei Szenarien             tel und private Investitionen erhalten sollte.
werden wir immer wieder auf diese Treiber             Dafür wollen wir mit diesem Bericht die nötige
Bezug nehmen.                                         Aufmerksamkeit schaffen.

Auf diese Weise kann der Leser die Bedeutung
des jeweiligen Treibers im konkreten Fall nach-
vollziehen. Die Treiber und die Szenarien stehen
in wechselseitiger Beziehung zueinander: Zum

                                                                                                  Die fünf Treiber: Wo wir heute stehen   19
Szenario 1:
eine weltweit
nachhaltige Zukunft
1. Einführung

Im Best-Case-Szenario gehen wir von einem                     Aus der Perspektive des Wirtschaftswachstums          Das Best-Case-Szenario
robusten weltweiten Wirtschaftswachstum aus,                  betrachtet, steht das Best-Case-Szenario für die      steht für die Rückkehr zu
das eine ganze Reihe positiver Entwicklungen in               Rückkehr zu den „Goldenen Wachstumsjahren“            den „Goldenen Wachs-
Gang setzt: Die verfügbaren finanziellen Mittel               von vor zehn Jahren, als die Globalisierung an        tumsjahren“ von vor zehn
                                                                                                                    Jahren.
und der Wille zur Zusammenarbeit beleben die                  Fahrtwind aufnahm und der Lebensstandard in
Auslandsgeschäfte, wodurch die Beschäftigung                  den Nicht-OECD-Ländern rasch anstieg. Die
(und damit die soziale Eingliederung) sowie das               jährlichen Wachstumsraten des weltweiten BIP
Know-how der Arbeitskräfte zunehmen und                       lagen bei 4-5 %, wobei der Welthandel sogar
mehr Gelder für Forschung und Entwicklung                     doppelt so hohe Wachstumsraten erzielte. Im
(F&E) zur Verfügung stehen. Die Rückkehr zu                   Vergleich dazu liegt das heutige Wachstum bei
hohen Wachstumsraten erfordert und befördert                  mageren 3 % pro Jahr (vgl. Abbildung 1). Etwa
zugleich Innovationen auf unterschiedlichsten                 50-60 % dieses BIP-Wachstums lässt sich mit
Ebenen und regt Investitionen, so unter ande-                 großer Wahrscheinlichkeit auf technischen Fort-
rem in Humankapital, an. Vor diesem Hinter-                   schritt zurückführen, der auf einer Kombination
grund ziehen nachhaltige Entwicklung und                      aus qualifizierten Mitarbeitern und innovativen
nachhaltiger Handel viele Befürworter auf ihre                Verfahren und Produkten fußt.
Seite und verankern sich fest.

Abbildung 1: Wachstum von BIP und Handelsvolumen zwischen 2001
und 2007 (in %)

    12
    10
     8
     6
     4
     2
     0
                    2001   2002   2003   2004   2005   2006      2007

              BIP
              Handelsvolumen

Quelle: IWF

Trotz der Ähnlichkeiten bei den hohen Expan­                  ten. Unternehmen suchen nach engen Bezie-
sionsraten der Weltwirtschaft gibt es einige                  hungen zu ihren Mitspielern und Kunden, und
wichtige Unterschiede im neuen Szenario eines                 das nicht nur aus einem Interesse an niedrigeren
„Goldenen Zeitalters“: Die heutige Weltbevölke-               Kosten und höheren Verkäufen. In dieser Welt
rung ist wohlhabender, aber auch informierter.                von morgen sind die Treiber für unternehmeri-
In den kommenden 10 bis 15 Jahren werden wir                  schen Erfolg eng mit den Treibern einer nach-
eine Bevölkerung sehen, die besser ausgebildet                haltigen Entwicklung und eines nachhaltigen
ist und neben dem Wahlrecht über die Macht                    Handels verflochten, wodurch letzterer sich
verfügt, unternehmerische Entscheidungen zu                   rasch entwickeln kann.
beeinflussen und ihre eigene Zukunft zu gestal-

                                                                                                 Szenario 1: eine weltweit nachhaltige Zukunft   21
Nicht-OECD-Länder holen      Sofern die in unserem Szenario vorausgesagte       Geld) infolge der Regulierung nachhaltigen Han-
      bezüglich nachhaltiger       rasche Expansion von Wachstum und Handel           dels zu überwinden. Eine solche Zusammenar-
      Handelspolitik deutlich      eintritt, wird die Welt in 10 bis 15 Jahren noch   beit, z. B. in Form von Public-Private-Partner­
      auf, verglichen mit ihren    globalisierter und integrierter sein als heute.    ships, macht es möglich, dass sich wegweisende
      Pendants aus der OECD.       Innovationen in den Bereichen Technologie,         Technologien in Bereichen wie der Additiven
                                   Politik und Finanzen werden zu steigenden          Fertigung (3D-Druck), Servicerobotik und Was-
                                   Lebensstandards und einer nachhaltigeren           sertechnologie schnell durchsetzen. Auf den
                                   Weltwirtschaft beitragen. In diesem Best-Ca-       Energiemärkten machen die EU, China und
                                   se-Szenario holen die Nicht-OECD-Länder im         andere Länder beträchtliche Fortschritte bei der
                                   Vergleich zu ihren Pendants aus der OECD deut-     Entwicklung funktionsfähiger Emissionshandels-
                                   lich bei der Förderung und Durchsetzung einer      systeme, und gegen Ende unseres 10- bis
                                   nachhaltigen Handelspolitik auf. In dem Maße,      15-jährigen Betrachtungszeitraums steht die
                                   wie sich der Zugang zu und die Nutzung von         Verabschiedung eines weltweit gültigen Markt-
                                   neuen Technologien und innovativen Produkten       preises für CO2- Emissionen – die Grundlage
                                   beschleunigt, können weltweite Best Practices      einer kohärenten globalen Energiepolitik – kurz
                                   einfacher und schneller übernommen werden:         bevor.
                                   Neues Wissen zur Anwendung nachhaltiger
                                   Handelspraktiken und zum Erwerb nachhaltig         Unterdessen sind Verbraucher weltweit nicht nur
                                   gefertigter und gehandelter Produkte und           wohlhabender und einflussreicher als je zuvor
                                   Dienstleistungen breitet sich aus. Freihandels-    geworden, sondern sie wirken im Vergleich zu
                                   abkommen auf sowohl bilateraler als auch regio-    heute auch viel aktiver als gestaltende Kraft für
                                   naler Ebene entstehen. Die Mehrzahl der neuen      Veränderungen. Der Verbraucherdruck auf
                                   Freihandelsabkommen umfasst detaillierte Vor-      Regierungen und Unternehmen basiert auf
                                   schriften zur Nachhaltigkeit.                      einem höheren Informationsgrad und wirkt
                                                                                      direkter als bisher. Er wird durch die Verbreitung
                                  Zunehmender Druck durch fortschreitende Glo-        neuer Technologien gefördert und drückt sich
                                  balisierung, rasante Innovationsgeschwindigkeit     zum Teil in Form von Investitions- und Desinves-
                                  und Bemühungen um nachhaltigen Handel ver-          titionsentscheidungen aus.
                                  ändern das Wirtschaftsmodell. Die starke Eigen-
                                  dynamik von Kreislaufwirtschaft, Cradle-to-         Im Laufe der kommenden 10 bis 15 Jahren wer-
                                  Cradle, Produkt-Service-Systemen und Sharing        den alle fünf Treiber in diesem Szenario viel ein-
                                  Economy scheint unumkehrbar zu sein. Die EU         flussreicher sein als heute. Die Makrokräfte von
                                  und andere führende OECD-Länder ergänzen            Globalisierung/Integration und Innovation
                                  auf nationaler Ebene das BIP um neue Messgrö-       haben dazu beigetragen, die Auswirkungen die-
                                  ßen, um zu einem ganzheitlicheren Verständnis       ser Treiber auf ein höheres Niveau zu heben. In
                                  von Wohlstand zu gelangen. Auch Bürger              den nachfolgenden Abschnitten skizzieren wir,
                                  bewerten Leistung zunehmend auf Grundlage           wie sich das Best-Case-Szenario in den kom-
                                  dieser weiter gefassten Maßstäbe.                   menden 10 bis 15 Jahren ausgestalten wird, und
                                                                                      analysieren dabei jene Entwicklungen, die die
                                   Regierungen und Firmen arbeiten zusammen,          Rolle der fünf Treiber besonders hervorheben
                                   um die Hürde von Compliance-Kosten (Zeit und       oder prägen.

22   Szenario 1: eine weltweit nachhaltige Zukunft
2. Wirtschaft: Fortschritte in
Richtung auf ein neues Modell

2.1. Einführung                                    •    ntwicklung von Standards und Richtlinien
                                                       E                                                                                   Deutliche Fortschritte in
                                                       für das öffentliche Beschaffungswesen,                                              Hinblick auf ein neues,
Im Best-Case-Szenario werden deutliche Fort-           um den Markt für recycelte Rohmaterialien                                           nachhaltiges Wirtschafts-
schritte in Hinblick auf ein neues, nachhaltiges       aufbauen zu helfen                                                                  modell werden durch eine
Wirtschaftsmodell erzielt. Das Modell sieht die    •   Einführung von Ökodesign für leichtere                                             Kombination von
Kombination von Kreislaufwirtschaft, Cradle-to-         Wartung, Reparatur, Nachrüstung,                                                   Ansätzen wie Kreislauf-
Cradle, Produkt-Service-Systemen und Sharing            Wiederaufbereitung und Recycelbarkeit                                              wirtschaft, Cradle-to-
                                                                                                                                           Cradle, Produkt-Ser-
Economy vor. Diese Ansätze basieren im Ver-             von Produkten
                                                                                                                                           vice-Systemen und Shar-
gleich zum heutigen Produktionssystem auf          •    Aufbau von Wartungs- und Reparatur­
                                                                                                                                           ing Economy erzielt.
einer veränderten Denkweise und einem Kultur-            dienstleistungen, um die Akzeptanz von
wandel, sowohl aus der Sicht der Verbraucher             Ökodesign-Produkten zu steigern
als auch der Unternehmen. Die neuen Ansätze        •     Schaffung von Sammelsystemen, um
sind grundsätzlich kooperativer und partizipati-          Recyclingkosten zu senken und die Wieder-
ver Natur. (Treiber 2: Änderungen im weltwei-             verwendung von Produkten zu fördern
ten Nachfrageverhalten)

2.2. Kreislaufwirtschaft und Cradle-to-
Cradle
                                                   Abbildung 2: die Kreislaufwirtschaft
Das Konzept der Kreislaufwirtschaft zielt auf
eine vollständige Abfallvermeidung und Reduk-
tion des Rohstoffverbrauchs in der Produktion –
                                                                                            Design / Ferti
und zwar gemäß eines systematischen Ansatzes                                                                 g un
                                                                                                                    g
und nicht durch schrittweise Effizienzgewinne
(vgl. Abbildung 2). Zentrale Strategien der                                    e
                                                                          ch

Kreis­laufwirtschaft sind:
                                                                       an
                                                                     br

• Leichtbau (Reduktion der in Produkten ent-
                                                                   ling
                                                                     c

    haltenen Materialien)
                                                                 Recy

• Erhöhung der Lebensdauer (Verlängerung
                                                                                                                                           H a nde l

    der Zeitspanne, in der ein Produkt seine                                           Kreislauf-
    Funktion erfüllt)                                                                  wirtschaft
• Effizientere Energie- und Materialnutzung
    bei Herstellung und Verwendung von
                                                                Wie at ur/
                                                                Rep

    Produkten
                                                                   de
                                                                    ar

• Reduktion von gefährlichen und schwer
                                                                      r ve R e c
                                                                          rw y

    recycelbaren Stoffen bei Design und
                                                                                                                                      en
                                                                            er

                                                                                  n
                                                                                                                                  un

                                                                          cl
                                                                               tu

    Fertigung                                                                  in g                                               m
                                                                                                                                      m
                                                                                 g                                           Ko
                                                                                                                   lt   e/
                                                                                        Verbraucher/Hau       s ha

                                                   Quelle: www.waste-management-world.com

                                                                                                    Szenario 1: eine weltweit nachhaltige Zukunft                      23
Die Niederlande sind               Auf dem Jahrestreffen des Weltwirtschaftsfo-        Dies impliziert, dass Recycling, Upcycling (Prin-
          ein früher Anwender                rums (World Economic Forum – WEF) 2014 in           zip der stofflichen Aufwertung) sowie die Wie-
          des Cradle-to-Cradle-              Davos wurde das sogenannte Mainstream-Pro-          derverwendung (durchweg ohne Qualitätsver-
          Ansatzes.                          jekt ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel ist es, in   luste) zum Einsatz kommen, ebenso wie die
                                             den kommenden 20 Jahren ein geschlossenes           Kompostierung oder der Verbrauch aller einge-
                                             Kreislaufsystem für Verpackungen über zahlrei-      setzten und ausgestoßenen Materialien.8 Dies
                                             che Branchen hinweg zu schaffen. Die Unter-         erfordert, dass die gesamte Liefer- und Distribu-
                                             nehmensberatung McKinsey, die das Projekt in        tionskette aufeinander abgestimmt ist. Hun-
                                             Partnerschaft mit dem WEF vorantreibt, schätzt,     derte von Unternehmen orientieren sich in ihrer
                                             dass bis zum Jahr 2025 Materialeinsparungen im      Produktentwicklung bereits an Cradle-to-Crad-
                                             Wert von einer Billion US-Dollar und 100 Millio-    le-Ansätzen, und einige Ländern treiben eine auf
                                             nen Tonnen vermiedener Abfall pro Jahr mög-         diesem Modell basierende Politik voran.
                                             lich sind.6                                         (Treiber 3: Trends in den Lieferketten)

                                             Die Europäische Kommission hat am 28. Mai           In den Niederlanden wurde der Cradle-to-Crad-
                                             2015 ein ehrgeiziges Kreislaufwirtschaftspaket      le-Ansatz bereits frühzeitig angewendet. So hat
                                             zur Steigerung der Ressourceneffizienz in die       die Stadt Venlo beispielsweise als erste Kom-
                                             öffentliche Konsultation gegeben. Die Ergeb-        mune der Welt die Prinzipien von Cradle-to-
                                             nisse wurden zeitgleich zur 21. UN-Klimakonfe-      Cradle in großem Maßstab umgesetzt. Die Stadt
                                             renz in Paris im Dezember 2015 veröffentlicht.7     verfügt über ein eigenes Trainingszentrum zur
                                             Dieser neue Vorstoß geht weit über die Vor-         Zertifizierung von Produkten, die nach Crad-
                                             schläge der Kommission von Juli 2014 hinaus.        le-to-Cradle-Prinzipien gefertigt wurden, und
                                             Während jene fast ausschließlich die Reduktion      hat mit dem C2C ExpoLAB9 eine Beratungs­-
                                             von Abfall im Blick hatten, bezieht der neue Vor-   stelle zu Cradle-to-Cradle eingerichtet. Darüber
                                             schlag die gesamte Wertschöpfungskette ein-         hinaus wurden mehrere Initiativen ins Leben
                                             schließlich Beschaffung, Design und Fertigung       gerufen, um das Cradle-to-Cradle-Konzept zu
                                             mit ein, inklusive geänderter Standards für das     testen, z. B. für Gebäudedesign und Schulungs-
                                             öffentliche Beschaffungswesen. Der Vorschlag        aktivitäten zur Kreislaufwirtschaft. Ebenfalls in
                                             der Kommission stellt die bislang bedeutendste      den Niederlanden haben Delta Development,
                                             Bestätigung des Kreislaufwirtschaftskonzepts        der Schiphol Trade Park und die Ellen MacArthur
                                             durch öffentliche Institutionen dar. (Treiber 1:    Foundation kürzlich „The Valley“ eröffnet, ein
                                             regulatorischer Wettbewerb und Protektio­           Innovationsareal am Flughafen Amsterdam zur
                                             nismus)                                             Verbreitung der Kreislaufwirtschaft: Hier werden
                                                                                                 Design und Prozesse gemäß Cradle-to-Cradle
                                             In der optimalen Ausprägung umfasst die Kreis-      der Öffentlichkeit präsentiert.10
                                             laufwirtschaft eine Fertigung nach dem Crad-
                                             le-to-Cradle-Ansatz, d.h. eine effiziente und im
     6   www.weforum.org/reports/           Wesentlichen abfallfreie Produktentwicklung,
          project-mainstream-global-
          collaboration-accelerate-transi-   bei der alle eingesetzten Materialien in einem
          tion-towards-circular-economy
                                             giftfreien geschlossen Kreislauf wiederverwertet
     7   www.ec.europa.eu/smart-            werden können.
          regulation/impact/planned_ia/
          docs/2015_env_065_env+_
          032_circular_economy_en.pdf
     8   www.sustainabilitydictionary.
          com/cradle-to-cradle
     9   www.c2cexpolab.eu/en
     10   www.schipholtradepark.com/
           sub

24   Szenario 1: eine weltweit nachhaltige Zukunft
„Der Cradle-to-Cradle-Ansatz fußt auf der Erkenntnis, dass die Art und
Weise, wie wir heute unsere Gesellschaft organisieren und natürliche Res-
sourcen verbrauchen, nicht nachhaltig ist. Gegenwärtig zielen die Nach-
haltigkeitsbemühungen eher auf die Minimierung von Schäden als auf ein
aktives Vorgehen zur Lösung ökologischer und sozialer Probleme.

Mittlerweile gibt es über 7.000 Cradle-to-Cradle-Produkte am Markt, die
meisten davon in OECD-Ländern. Cradle-to-Cradle verkörpert ein neues
Modell, und es braucht Zeit, bis es zum dominanten Produktionsmodell
werden wird. Allerdings vollzieht sich seine Marktdurchdringung mit einer
viel höheren Geschwindigkeit, als es beispielsweise bei der Einführung
neuer Technologien wie bei Internet oder bei Mobilfunk der Fall war.

Innerhalb der OECD liegt die größte Herausforderung für den Cradle­-to-                                       Prof. Dr. Michael Braungart
Cradle-Ansatz in der Geschwindigkeit, mit der die Industrieproduktion                                         Gründer und wissenschaftlicher
sich in Ländern außerhalb der OECD bewegt. Beispielsweise ist die                                             Vorstand von EPEA
(Leder)-Gerbereibranche in der OECD in den letzten Jahren bedeutend                                           Internationale Umwelt­forschung
nachhaltiger geworden, zugleich hat sich die Branche jedoch verstärkt in                                      GmbH, einem internationalen
Nicht-OECD-Länder verlagert. Mit anderen Worten: Der entwicklungsfä-                                          Umweltforschungs- und Beratungs­-
hige Markt für Cradle-to-Cradle innerhalb der OECD schrumpft – vielleicht                                     institut mit Sitz in Hamburg.
sogar schneller, als der Ansatz eingeführt werden kann. Die Entwicklung                                       Braungart ist Mitbegründer und
des Cradle-to-Cradle-Ansatzes vollzieht sich also in einem Rennen gegen                                       wissenschaftlicher Leiter der Firma
die Zeit.                                                                                                     McDonough Braungart Design
                                                                                                              Chemistry (MBDC) in Charlottes-
Eine zunehmende Anzahl von Ländern, wie Taiwan und die Niederlande,                                           ville, Virginia (USA), Mitbegründer
streben danach, ihre Produktionssysteme in Richtung Cradle-to-Cradle                                          und wissenschaftlicher Leiter des
neu auszurichten. Das bislang erfolgreichste Land bei der Anwendung von                                       Hamburger Umweltinstituts e. V.
Cradle-to-Cradle ist Japan. Das ist darauf zurück­zuführen, dass Cradle-to-                                   (HUI) sowie Leiter von Braungart
Cradle in Japan als ein Aspekt des Total Quality Managements etabliert                                        Consulting in Hamburg. Er ist Pro-
ist11. Im Unterschied hierzu ist Cradle-to-Cradle in Europa und den Verei-                                    fessor für Verfahrenstechnik an der
nigten Staaten vorwiegend Gegenstand ethischer oder ökologischer                                              Leuphana Universität Lüneburg
Betrachtungen. In Zeiten hohen wirtschaftlichen Drucks ist eher anzuneh-                                      und hat dort den Lehrstuhl für
men, dass Qualitätserwägungen relevant bleiben, während ethische oder                                         Cradle-to-Cradle® & Öko-Effektivi-
ökologische Anliegen ins Hintertreffen geraten könnten.”                                                      tät inne.

11
     T
      otal Quality Management ist ein Managementansatz mit dem Fokus auf kontinuierlicher Verbesserung von
     Produkten und Dienstleistungen über die gesamte Organisation hinweg.

                                                                                                                        Szenario 1: eine weltweit nachhaltige Zukunft   25
Neue technologische                  Neue technologische Durchbrüche werden der          zierter Cradle-to-Cradle-Produkte. Sie stellten
          Durchbrüche ebnen                    Verbreitung des Cradle-to-Cradle-Ansatzes aller     fest, dass die Gesamtumsätze des Unterneh-
          der Verbreitung des                  Wahrscheinlichkeit nach in den kommenden            mens im ersten Jahr nach der Zertifizierung
          Cradle-to-Cradle-Ansatz-             Jahren den Weg ebnen. Einen enormen Auftrieb        6 Prozent und die Absätze mit den zertifizierten
          es den Weg – die umfas-              könnte das Prinzip beispielsweise durch die         Produkten 21 Prozent über dem Branchen-
          sende gesellschaftliche              Wiederverwertung von CO2 für die Produktion         durchschnitt lagen.16 (Treiber 4: strategische
          Akzeptanz und Anwen­                 von synthetischem Benzin und Diesel erfahren.       Allianzen, Standards und Labels)
          dung wird jedoch mehr
                                               Das deutsche Unternehmen Sunfire ist einer der
          als 10 bis 15 Jahre in
                                               führenden Anbieter in diesem Bereich und leis-      Selbst in einem Best-Case-Szenario wird die
          Anspruch nehmen.
                                               tet Pionierarbeit, die von der Bundesregierung      umfassende gesellschaftliche Integration des
                                               sowie Konzernen wie Total, EDF und Bilfinger        Cradle-to-Cradle-Ansatzes noch mehr als 10 bis
                                               gefördert wird.12 Weitere Forschungsansätze         15 Jahre in Anspruch nehmen, da er neue Denk-
                                               zur Wiederverwertung von CO2 zielen beispiels-      weisen bei allen Akteuren der Liefer- und Distri-
                                               weise auf den Einsatz von CO2 in der Produktion     butionskette erfordert. Zudem müssen diverse
                                               von Kohlenstofffasern ab.13                         Hindernisse schrittweise überwunden werden,
                                                                                                   wie etwa die Frage einer angemessenen Roh-
                                               Inzwischen entstehen neue Unternehmen, die          materialbeschaffung. Technologische Durch­
                                               Nischen bei der Transformation von Produkten        brüche wie die Wiederverwertung von CO2 (vgl.
                                               oder Branchen gemäß dem Cradle-to-Cradle-           Abschnitt 2.2) oder die jüngst von dem japani-
                                               Ansatz besetzen. Ein Beispiel dafür ist das deut-   schen Startup Power Japan Plus entwickelte
                                               sche Unternehmen Teqport, das vorwiegend            Kohlenstoff-Batterie, die keine seltenen Metalle,
                                               Anbieter aus der Informations- und Kommunika-       seltenen Erden und Schwermetalle enthält und
                                               tionstechnologie zu Recycling und Wiederver-        zu 100 Prozent recycelbar ist, legen im Best-Ca-
                                               marktung ihrer Produkte berät.14 (Treiber 3:        se-Szenario ein wichtiges Fundament für die
                                               Trends in den Lieferketten)                         Vermarktung abfallfreier Produkte.
                                                                                                   (Treiber 3: Trends in den Lieferketten)
     12   www.sunfire.de
                                               Das Cradle to Cradle Products Innovation Insti-
                                               tute – eine gemeinnützige Organisation, die den     Staatliche Programme zur Etablierung einer
     13    in Forschungsteam an der
          E
          George Washington Universität        Produktstandard „Cradle to Cradle Certified™“       Kreislaufproduktion nehmen an Fahrt auf und
          unter der Leitung von Professor
          Stuart Licht leistet Pionierarbeit   verwaltet15 – hat einen unabhängigen Standard       stoßen in immer mehr Unternehmen Verände-
          auf diesem Gebiet: http://home.      zur externen Zertifizierung von Produkten ent-      rungen an. Beispielsweise sieht das LIFE+-Pro-
          gwu.edu/~slicht/.
                                               wickelt. Die Zertifizierung fußt auf fünf Quali-    gramm der EU eine zunehmende Unterstützung
     14
          www.teqport.com
                                               tätskategorien:                                     von Projekten vor, die dem neuen Vorschlag der
     15
          www.c2ccertified.org                                                                     Europäischen Kommission zur Förderung der
     16
          „ Impacts of the cradle to cradle   1. Materialzustand                                  Kreislaufwirtschaft entsprechen (vgl. Abschnitt
           certified products program“,
           Cradle to Cradle Products Inno-     2. Wiederverwendung von Materialien                 2.2). Durch die Mitfinanzierung von Projekten
           vation Institute and Trucost Plc,   3.	Management von erneuerbaren Energien            soll das LIFE+-Programm die Umsetzung, Aktu-
           2014. Technical report:
           http://s3.amazonaws.com/                und CO2                                         alisierung und Weiterentwicklung der EU-
           c2c-website/resources/impact_
           study_technical_report.pdf.         4. Verantwortungsvoller Umgang mit Wasser           Umwelt- und Klimapolitik sowie entsprechender
     17
           IFE wurde 1992 ins Leben
          L
                                               5. Soziale Gerechtigkeit                            Rechtsvorschriften vorantreiben.17 Insgesamt
          gerufen; seither konnten vier                                                            wird sich die Kreislaufwirtschaft dank der
          Programmphasen erfolgreich
          abgeschlossen werden (LIFE I:        In einer Studie von 2014 untersuchte das Institut   EU-Verordnungen im Lauf der kommenden 10
          1992–1995, LIFE II: 1996–1999,
          LIFE III: 2000–2006 and LIFE+:       gemeinsam mit Trucost, einer internationalen        bis 15 Jahre verfestigen. (Treiber 1: regulatori-
          2007–2013). In dieser Zeit wur­      Nachhaltigkeitsberatung, eine Auswahl zertifi-      scher Wettbewerb und Protektionismus)
          den im Rahmen von LIFE über
          4.000 Projekte mitfinanziert,
          dabei wurden Finanzmittel im
          Gesamtwert von 3,4 Milliarden
          Euro bereitgestellt. http://ec.
          europa.eu/environment/life/
          about/index.htm.

26   Szenario 1: eine weltweit nachhaltige Zukunft
2.3. Produkt-Service-Systeme und                                 In Bereichen wie der Nutzung von Fahrzeugen,                          Neue Geschäftsmodelle
Sharing Economy                                                  Geräten oder Wohnraum, Lieferservice-Ange­                            auf Grundlage von Pro-
                                                                 boten und Home-Shopping sowie bei Peer-to-                            dukt-Service-Systemen
Produkt-Service-Systeme (auch Functional                         Peer-basierten Finanzdienstleistungen (P2P)                           und der Sharing Economy
                                                                                                                                       stehen für die Überwin­
Service Economy oder Performance Economy                         und Personal-Dienstleistungen haben internet-
                                                                                                                                       dung traditioneller Eigen-
genannt) basieren auf dem Verkauf der zeit­                      basierte Unternehmen der Sharing Economy
                                                                                                                                       tumsverhältnisse und
lichen Nutzung von Produkten anstatt auf der                     eine beträchtliche Marktpräsenz etabliert.
                                                                                                                                       Konsumeinstellungen.
Veräußerung der Produkte selbst. Das Modell                      Zudem konnten Firmen wie Uber, Airbnb, Task­
steht für die Überwindung traditioneller Eigen-                  Rabbit, Funding Circle und WeWork beacht­
tumsverhältnisse und Konsumeinstellungen und                     liches Kapital einsammeln, um ihre Dienste
zielt auf die Entkopplung des Abfallaufkommens                   bereitzustellen. Die Verfechter der Sharing Eco-
vom wachsenden Konsum. Zu solchen Service-                       nomy betonen, dass Unternehmen erst durch
leistungen gehören Carsharing, die Vermietung                    die Nutzung der Netzwerkeffekte im Internet
von Geräten und Produkten, Wartungsleistun-                      ihren Kunden derart flexible Dienstleistungen
gen, Nachrüstungen und Trainings. Unterneh-                      anbieten können. Allerdings nehmen einige
men konkurrieren um die beste Serviceleistung,                   euro­päische Länder, unter anderem Deutsch-
anstatt sich auf die reine Absatzsteigerung von                  land, bisher noch eine abweisende Haltung
Produkten zu konzentrieren. Demzufolge steigt                    gegen­über manchen dieser Anbieter ein.
die Profitabilität der Unternehmen mit zuneh-
mender Benutzerfreundlichkeit der Produkte.                      Dies wird sich voraussichtlich im Laufe der kom-
(Treiber 2: Änderungen im weltweiten Nach­                       menden 10 bis 15 Jahre ändern. Die deregulie-
frageverhalten)                                                  renden Auswirkungen der Sharing Economy ste-
                                                                 hen im Einklang mit den verbraucherorientierten
Das Konzept der Sharing Economy funktioniert                     Zielsetzungen der EU auf dem europäischen
ähnlich wie das der Produkt-Service-Systeme,                     Binnen­markt. Erste Anzeichen eines Wohlwol-
es ist in seiner aktuellen Form jedoch vorwie-                   lens der Europäischen Kommission gegenüber
gend auf die Vermietung von Gütern ausgerich-                    dem Modell der Sharing Economy sind bereits
tet. Die Vermarktung erfolgt meist über hoch                     erkennbar. (Treiber 1: regulatorischer Wett­
entwickelte digitale Plattformen. In der EU und                  bewerb und Protektionismus)
den Vereinigten Staaten sind Unternehmen der
Sharing Economy aufgrund des deutlichen Kun-
dennutzens und der wirtschaftlichen Vorteile
ihrer Dienstleistungen im Aufwind.

 Die gemeinsame Nutzung von Produkten                            Die internetbasierte Sharing Economy ist in OECD-Märkten
 In einer weltweiten Befragung der Nielsen Marktforschung        bereits weit verbreitet. Unternehmen wie Erento aus
 signalisierten im Jahr 2014 68 Prozent der Teilnehmer die       Deutschland, Zilok aus Belgien und Hire Things aus Neusee-
 Bereitschaft, ihre persönlichen Gegenstände (z. B. elektroni-   land bieten ihren Mitgliedern eine Online-Plattform, auf der
 sche Geräte, Elektrowerkzeuge, Fahrräder, Bekleidung und        diese ihre persönlichen Besitzgegenstände an andere ver­
 Sportausrüstung) mit anderen zu teilen oder zu vermieten.       mieten können und dabei nicht nur Gewinne erzielen, son-
 Befragte aus dem asiatisch-pazifischen Raum zeigten eine        dern auch negative Umweltauswirkungen reduzieren.
                                                                                                                                  18
                                                                                                                                    www.nielsen.com/lb/en/press-
 tendenziell höhere Bereitschaft, Gegenstände von anderen                                                                         room/2014/global- consum-
 zu mieten.18                                                                                                                     ers-embrace-the- share-economy.
                                                                                                                                  html

                                                                                                                Szenario 1: eine weltweit nachhaltige Zukunft       27
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