Eine Frage der Gerechtigkeit: Naturschutzkommunikation und Verteilung von Verantwortung - Priv.-Doz. Dr. Markus M. Müller Nürnberg
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Eine Frage der Gerechtigkeit: Naturschutzkommunikation und Verteilung von Verantwortung Priv.-Doz. Dr. Markus M. Müller Nürnberg Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 1
(Foto Rémi Fraisse) http://www.liberation.fr/economie/2014/10/31/d ans-l-ecosysteme-zadiste_1133752 Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 2
Übersicht • Psychologie und Gerechtigkeit • Psychologie der Umweltgerechtigkeit • Gerechtigkeit und Umwelt- und Naturschutzkonflikte: Von der Ursache zur Lösung Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 3
Psychologie und Gerechtigkeit Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 4
Warum Psychologie der Gerechtigkeit? Soziale Verhältnisse werden dann als gerecht angesehen, wenn alle bekommen, was ihnen gebührt aufgrund dessen, wer sie sind, und/oder aufgrund dessen, was sie getan haben (Lerner, 1980). Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 5
Warum Psychologie der Gerechtigkeit? Zentrale Fragen der Gerechtigkeitspsychologie: Wann erleben Menschen Ereignisse, Verteilungen, Verfahren, usw. als subjektiv gerecht oder ungerecht? Was beeinflusst das Gerechtigkeitserleben? Und wie reagieren sie auf diese erlebte (Un-) Gerechtigkeit? Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 6
...oder knapp gesagt: „Justice is in the eye of the beholder“ („Gerechtigkeit liegt im Auge des Betrachters“) (Elaine Hatfield, 2002) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 7
Montada (2012) Gerechtigkeit ist ein universelles Anliegen (= alle Menschen haben ein Bedürfnis nach Gerechtigkeit) Gerechtigkeit ist nur tugendhaft, wenn sie (durch Erfahrung, Expertise, Intelligenz und Weisheit) kultiviert wird Es herrscht eine große Vielfalt an unterschiedlichen Überzeugungen darüber, was gerecht und ungerecht ist Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 8
Konflikte und Gerechtigkeit (Mikula & Wenzel, 2000) 1. Auslöserfunktion Divergierende Wahrnehmungen und Gerechtigkeitsurteile 2. Argumentationsfunktion Gerechtigkeitsargumente werden genutzt, um die eigene Position zu rechtfertigen 3. Lösungsfunktion Gerechtigkeitsregeln können zur Konfliktlösung beitragen 4. Akzeptanzfunktion Als „gerecht“ benannte Lösungen können die Akzeptanz fördern Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 9
Psychologie und Umweltgerechtigkeit Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 10
Naturschutz und Gerechtigkeit: Eine besondere Herausforderung Klassische psychologische Gerechtigkeitsforschung: Auf Verteilungen in und zwischen Gruppen bezogen Thema Natur: Gerechtigkeit und Rechte bezogen auf die natürliche Umwelt (…Mitwelt) Auch hier große Vielfalt von subjektiven Urteilen und Gerechtigkeitsgefühlen Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 11
Warum Umweltgerechtigkeit? Drei Beobachtungen (Clayton, 2000; Syme, 2012): - Umweltprobleme gehen mit ethischen Fragen einher - Nutzen und Belastungen durch Umweltprobleme sind ungleich verteilt - Menschen unterscheiden sich darin, was sie als fair und gerecht ansehen. Identitäten spielen hierbei eine wichtige Rolle Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 12
...oder knapp gesagt: „Externalisierte Kosten“ oder „Should trees have standing?“ (Stone, 1972) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 13
Gerechtigkeit und Umwelthandeln Gerechtigkeit ist bedeutsam für Menschen • z.B. Kals & Russell (2001): Ungerechtigkeitserleben hat einen positiven Einfluss auf klimaschützende Bereitschaften Hohe Varianz dessen, was als gerecht bewertet wird • z.B. Opotow (1994): Engagement für Tierschutz abhängig davon, ob Tieren Rechte zugestanden werden („scope of justice“ bzw. „Moralische Inklusion“) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 14
Baier & Müller (in Vorb.): Beispielitems zur moralischen Inklusion von Tieren Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 15
Beispiel aus der Forschung: Verschiedene subjektive Gerechtigkeitsmodelle (Clayton, 2000) Position „pro-Umwelt“: Gleichheit und Verantwortung; eher auf Basis von Prinzipien der Makrogerechtigkeit (Gemeinschaft) Position „contra-Umwelt“: Marktgerechtigkeit; eher auf Basis von Prinzipien der Mikrogerechtigkeit (Individuum) Beide Seiten: Rechte und Verfahrensgerechtigkeit (allerdings unterschiedlich interpretiert) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 16
Klimawandel als Gerechtigkeitsproblem Ungleiche Verteilungen von • Nutzen aus potenziell klimaschädigendem Verhalten und... • wirtschaftlichen und psychologischen Kosten der globalen Erwärmung (Ali, 2009) Subjektive Bewertungen: Ist diese Ungleichheit verdient oder unverdient? (Ittner & Montada, 2009) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 17
Gerechtigkeit als Thema in Klimaverhandlungen (Ringius et al., 2002, p. 5) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 18
Gerechtigkeit = Eigennutz? Lange et al. (2007): 230 Personen, die in Klimapolitik involviert sind Gleichheitsprinzip vs. Ungleichheitsprinzipien Ergebnisse: Akteure aus Ländern mit höherem BIP bewerten gleiche Verteilungen als gerechter Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 19
Gerechtigkeitsprinzipien in einer deutschen Stichprobe A (Müller & Hiendl, 2012) Höhere Akzeptanz für das Gerechtigkeitsprinzip Proportionalität (M = 4.75; SD = 0.80) Gerechtigkeitsprinzip Gleichheit wird eher abgelehnt (M = 2.20; SD = 0.95) (N = 591; Skalierung: 1 = „trifft überhaupt nicht zu“, 6 = „trifft völlig zu“) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 20
Gerechtigkeitsprinzipien in einer deutschen Stichprobe B (Baier, 2014) Zahlungsfähigkeitsprinzip (M = 4.14; SD = 1.38) Bedürfnisprinzip (M = 3.92; SD = 1.33) Verursacherprinzip (M = 5.27; SD = 0.94) Beitragsprinzip (M = 4.39; SD = 1.29) (N = 312; Skalierung: 1 = „trifft überhaupt nicht zu“, 6 = „trifft völlig zu“) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 21
Beispiel aus der Forschung: Gerechtigkeit und Emotionen • Emotionen sind Indikatoren persönlicher Betroffenheit z.B. Empörung, Ärger, Stolz, Scham, Schuld… • Emotionen in Umweltkonflikten Empörung über die Verletzung von Fairnessnormen Ärger über die Verletzung von legitimen Eigeninteressen (Müller, 2003) • Emotionale Bindung an die Natur hängt eng mit Wertorientierungen zusammen (Müller, Maier & Kals, 2013) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 22
Naturbindung und Wertorientierungen (Müller, Maier & Kals, 2013) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 23
Beispiel aus der Forschung: Gerechtigkeit von Verfahren • Trotz divergierender Vorstellungen von gerechter Verteilung ist Konsens über die Gerechtigkeit des Verfahrens möglich (Montada & Kals, 2010) • Das Einhalten von Fairness-Standards fördert die Kooperation (Müller, Kals, & Maes, 2007) • Vorsicht: Werden Verfahren transparenter, können u.U. Eigeninteressen als bedroht erlebt werden (Müller & Falk, 2013) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 24
Gerechtigkeit und die Lösung von Umweltkonflikten Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 25
Gerechtigkeit als Grundlage von Kommunikation von Naturschutz • Artikulation von (Un)Gerechtigkeiten • Emotionen als Chance, um Zugang zu den subjektiven Gerechtigkeitsüberzeugungen zu schaffen • Pluralismus der Gerechtigkeitsurteile • Erkennen der Funktionen von Gerechtigkeit • Fairness von Verfahren • Naturbindung als Grundlage der Werteentwicklung (Clayton & Opotow, 2003; Müller, Kals, & Pansa, 2009) Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 26
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! mail@dr-markus-mueller.de Müller, M. M. (2012). Justice as a framework for the solution of environmental conflicts. In Kals, E. & Maes, J. (Eds.), Justice and conflicts: Theoretical and empirical contributions (pp. 239-250). New York: Springer. Müller, M.M. & Falk, S. (2014). Verfahrensgerechtigkeit in Konflikten: Chancen und Grenzen. Konfliktdynamik Müller, M. M., Hemmer, I., & Trappe, M. (Hrsg.) (2014). Rio +20: Beiträge der jungen Wissenschaft. München: oekom. Müller, M. M., Ittner, H. & Becker, R. (Hrsg.) (2012). Schwerpunkt: Umweltgerechtigkeit. Umweltpsychologie, 12(2). Müller, M. M. Vilm, 4.11.2014, 27
PD Dr. Markus Müller: Gerechtigkeit und Naturschutzkommunikation Zitierte Literatur Ali, S. H. (2009). Treasures of the earth: Need, greed, and a sustainable future. New Haven, CT: Yale University Press. Baier, M. (2014). Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit: Gerechtigkeitsurteile und ihr Einfluss auf private und politische Handlungsbereitschaften am Beispiel der Energieproblematik. Eichstätt: Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt. Baier, M. & Müller, M. M. (in Vorbereitung). Moral inclusion of nonhuman animals: Evidence and operationalization of a scope of justice related to animals. Clayton, S. (2000). Models of justice in the environmental debate. Journal of Social Issues, 56(3), 459–474. Hatfield, E. (2002). Vortrag auf der IXth International Social Justice Conference, 17.-20. Juni 2002 in Skövde (Schweden). Ittner, H., & Montada, L. (2009). Gerechtigkeit und Umweltpolitik. Umweltpsychologie, 13, 35– 51. Kals, E. & Russell, Y. (2001). Individual conceptions of justice and their potential for explaining proenvironmental decision making. Social Justice Research, 14, 367-385. Lange, A., Vogt, C., & Ziegler, A. (2007). On the importance of equity in international climate policy: An empirical analysis. Energy Economics, 29, 545–562. Lerner, M. J. (1980). The belief in a just world: A fundamental delusion. New York: Plenum Press. Mikula, G., & Wenzel, M. (2000). Justice and social conflict. International Journal of Psychology, 35(2), 126–135. Montada, L. (2012). The normative impact of empirical justice research. In E. Kals & J. Maes (Eds.), Justice and conflicts. Theoretical and empirical contributions (pp. 3–20). Heidelberg: Springer. Montada, L. & Kals, E. (2010). Umweltmediation. In V. Linneweber, E.-D. Lantermann & E. Kals (Hrsg.), Spezifische Umwelten und umweltbezogenes Handeln (S. 735-760). Göttingen: Hogrefe. Müller, M. M. (2003). Bedingungen der Konfliktlösung: Eine gerechtigkeitspsychologische Untersuchung am Beispiel eines lokalen Umweltkonflikts. Hamburg: Verlag Dr. Kovac. Müller, M. M., & Falk, S. (2014). Verfahrensgerechtigkeit in Konflikten: Chancen und Grenzen. Konfliktdynamik, 2014(1), 18–25. Müller, M. M., & Hiendl, B. (2012). Wahrgenommene Gerechtigkeit von Verteilungen der Kosten des Klimawandels und ihre Bedeutung für Handlungsbereitschaften zum Klimaschutz. Umweltpsychologie, 16(2), 29–45. Müller, M. M., Kals, E., & Maes, J. (2008). Fairness, self-interest, and cooperation in a real-life conflict. Journal of Applied Social Psychology, 38(3), 684–704. Müller, M. M., Maier, K., & Kals, E. (2013). Klimaschützendes Handeln im Haushalt: Die Rolle von emotionaler Bindung an die Natur. Umweltpsychologie, 17(1), 60–73. Opotow, S. (1994). Predicting protection: Scope of justice and the natural world. Journal of Social Issues, 50(3), 49–63. Ringius, L., Torvanger, A., & Underdal, A. (2002). Burden sharing and fairness principles in international climate policy. International Environmental Agreements: Politics, Law, and Economics, 2, 1–22. Stone, C. D. (1972). Should trees have standing? Towards legal rights for natural objects. Southern California Law Review, 1972, 450-501. Syme, G. J. (2012). Justice and environmental decision making. In E. Kals & J. Maes (Eds.), Justice and conflicts. Theoretical and empirical contributions (pp. 283–295). Heidelberg: Springer.
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