Einfach reisen Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen aus der dritten Regionalkonferenz der InitiativeSozialraumInklusiv (ISI)

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Einfach reisen Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen aus der dritten Regionalkonferenz der InitiativeSozialraumInklusiv (ISI)
Dokumentation

Einfach reisen
Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen
aus der dritten Regionalkonferenz der
InitiativeSozialraumInklusiv (ISI)
Rostock, September 2020
Einfach reisen Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen aus der dritten Regionalkonferenz der InitiativeSozialraumInklusiv (ISI)
Inhaltsverzeichnis

Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          4

Einführung in die Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . .      6

IMPULSVORTRAG
Wie müssen die touristischen Angebote der Zukunft aussehen? . .   9

IMPULSVORTRAG
Best Practice aus Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . 14

Podiumsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

BLOCK 1
Gute Beispiele: Einfach reisen in Mecklenburg-Vorpommern –
ein Blick auf die Destinationsebene . . . . . . . . . . . . . 25

BLOCK 2
Strategie: Barrierefreie Erschließung eines touristischen
Segments anhand des Beispiels Wassertourismus . . . . . . . 29

BLOCK 3
Denkfabrik: Wohin geht die Reise? – Ein Realitätscheck . . . . . 32

Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Handlungsempfehlungen    . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

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Liebe Leserinnen und liebe Leser, sehr geehrte
Konferenzteilnehmerinnen und Konferenzteilnehmer,

am 29. September 2020 haben wir zur dritten Regionalkonferenz
der InitiativeSozialraumInklusiv (ISI) zum Thema „Einfach reisen“
nach Rostock eingeladen. Wir sind froh, dass diese Konferenz
überhaupt stattfinden konnte. Sie musste durch die mit COVID-19
einhergehenden Kontakt- und Reisebeschränkungen zunächst
von April auf September verschoben werden und fand schließlich
in einem hybriden Format statt. Wir möchten uns an dieser Stelle
herzlich bei allen vor Ort oder per Livestream Teilnehmenden für die
engagierte Diskussion und die wertvollen Anregungen bedanken.

Die InitiativeSozialraumInklusiv hat sich zum Ziel gesetzt, die lokal
und regional Handelnden zusammenzubringen, gute Beispiele zu
präsentieren und den Austausch untereinander zu fördern. Denn
ein inklusiver Sozialraum kann nicht von oben verordnet werden,
sondern muss sich vor Ort entwickeln. Wie vielleicht kein anderes
Thema ist das Reisen als Querschnittsthema prädestiniert dafür,
Sozialräume als Ganzes zu betrachten. Denn nur durch das Zu-
sammenwirken vieler Akteurinnen und Akteure entwickelt sich ein
Angebot, das die Bedürfnisse und Vorlieben aller Menschen, mit
oder ohne Behinderung, berücksichtigt.

Mecklenburg-Vorpommern hat als Reiseland mit seinen vielfältigen
Urlaubsregionen und touristischen Segmenten seit jeher ein großes
Interesse, die vorhandenen Angebote barrierefrei zu gestalten
und neue zu erschließen. Gleichzeitig setzt das Land auf eine
detaillierte und differenzierte Informationsvermittlung für Reisende,
die aufgrund einer Einschränkung besondere Anforderungen an
ihre Unterkunft oder ihr Reiseziel haben, indem es sich dem Kenn-
zeichnungssystem „Reisen für alle“ angeschlossen hat. Denn nicht
zuletzt trägt eine zuverlässige Vorabinformation dazu bei, dass
sich die Gäste wohlfühlen und hoffentlich wiederkommen.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Dr. Volker Sieger    Gerd Lange                               Tobias Woitendorf

Leiter               Leiter Referat „Tourismus“ im            Geschäftsführer
Bundesfachstelle     Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und   Tourismusverband
Barrierefreiheit     Gesundheit Mecklenburg-Vorpommern        Mecklenburg-Vorpommern e. V.

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Gerd Lange – meine Vision:
„Wenn bei der Planung von Projekten
Inklusion im Kopf und nicht bei den
einzuhaltenden Vorschriften beginnt,
ist viel gewonnen.“

                         Grußwort
                         Die dritte Regionalkonferenz der InitiativeSozialraum-
                         Inklusiv (ISI) zum Thema „Einfach reisen“ in Rostock
                         begann mit einem Grußwort von Gerd Lange, Leiter
                         des Referats Tourismus im Ministerium für Wirtschaft,
                         Arbeit und Gesundheit Mecklenburg-Vorpommern.

Einfach reisen in Meck-                         Gerade deshalb bin ich sehr froh, dass es
lenburg-Vorpommern                              gelungen ist, diese Veranstaltung umzuset-
                                                zen und auch als Präsenzveranstaltung zu
                                                organisieren. Das ist ein Schritt nicht nur in
Ganz herzlich willkommen in Rostock! Als        die Normalität, sondern auch dahin, wo wir
wir uns Ende des letzten Jahres das erste       als Urlaubsland gerne schneller gewesen
Mal mit dem Thema „Einfach reisen“ im           wären.
Rahmen der InitiativeSozialraumInklusiv
beschäftigt haben, war das Reisen für           Mecklenburg-Vorpommern ist in den
Menschen mit Einschränkung schon nicht          vergangenen Monaten das Bundesland
ganz einfach. Es ist durch Corona nicht         mit den niedrigsten Infektionsraten, mit der
gerade einfacher geworden.                      geringsten Zahl an Infizierten und mit der

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geringsten Belegung von Betten auf Inten-       der Menschen in der Bundesrepublik älter
sivstationen gewesen. Das ist nicht nur der     als 66 Jahre, und leider werden in den nicht
Arbeit der Landesregierung geschuldet,          mehr ganz so jungen Bundesländern schon
sondern liegt auch daran, dass bei uns auf      2030 ein Drittel der Einwohner über 64
einer relativ großen Fläche relativ wenige      Jahre alt sein.
Menschen leben. Auch deshalb haben wir
in diesem Sommer trotz allem wieder einen       Auch auf mich trifft das zu. Insofern freue
großen Zuspruch erfahren. Die Buchungs-         ich mich auf die Zeit und hoffe darauf,
stände für den Herbst sind extrem zufrieden-    dass die Leute, die sich dann mit unserem
stellend, und wenn die Sonne weiter so gut      Thema beschäftigen, auf einer Grundlage
mitspielt, werden wir für die Branche auf       arbeiten können, die wir hoffentlich schon
einen Herbst zusteuern, der deutlich an das     gelegt haben – dass nämlich Reisen für
heranreicht, was wir in den vergangenen         alle möglich sein wird.
Rekordjahren an Gästen hatten.
                                                Schon für heute gilt: Wir wollen Reisende
Das spricht für unser touristisches Angebot     gerne vollständig begleiten. Dabei geht es
in allen Segmenten, heißt aber noch lange       nicht nur um Türen, die sich öffnen, wenn
nicht, dass wir alles richtig und gut machen    man davor steht. Zu einer gelungenen
– gerade im Hinblick auf unser heutiges         Reise gehören auch Informationen über
Thema.                                          das Reiseziel, die direkt und verständlich
                                                sein müssen, oder vor Ort über möglichst
Konfuzius sagt: Auch die längste Reise          barrierefreie Angebote, die die Urlauber
beginnt mit kleinen Schritten. Für mich         erwarten, bis hin zur Betreuung nach dem
ist diese Regionalkonferenz einer dieser        Urlaub. Denn für uns ist der richtige Gast
Schritte, um unser touristisches Angebot        derjenige, der wiederkommt – denn dann
weiter zu verbessern – für Menschen mit         haben wir alles richtig gemacht.
Einschränkungen, aber auch für ältere
Menschen oder ganz normale Familien.            Ich freue mich sehr auf diesen Tag, dass
                                                es so viele geschafft haben, hierher zu
Zu den Aufgaben des Bereichs Tourismus          kommen und dass zum Beispiel die simul-
im Ministerium gehört es auch, das Angebot      tane Übersetzung in Gebärdensprache und
der Zukunft zu gestalten. In der Landestou-     auch die Übertragung ins Netz das Angebot
rismuskonzeption, die vor zwei Jahren von       deutlich erweitern und das Informationsvo-
der Landesregierung verabschiedet wurde         lumen vergrößern.
und die kontinuierlich an aktuelle Entwick-
lungen und Fragestellungen angepasst            Ich glaube, dass wir alle heute nach der
wird, haben wir uns vorgenommen, bezüg-         Konferenz schlauer nach Hause gehen, als
lich Infrastruktur und Mobilität viel besser,   wir vorher waren. Insofern wünsche ich der
also auch ärmer an Barrieren zu werden.         Tagung einen sehr erfolgreichen und leben-
                                                digen Verlauf.
Damit tragen wir der demografischen Ent-
wicklung Rechnung: 2040 sind ein Viertel        Dankeschön!

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Dr. Volker Sieger – meine Vision:
„Um einen barrierefreien Tourismus in
Kommunen und Regionen und in unter-
schiedlichen Segmenten zu fördern und
sein inklusives Potenzial zu erschließen,
bedarf es einer Gesamtstrategie und
eines ganzen Maßnahmenbündels.“

                            Einführung in die Thematik
                            Per Video führte Dr. Volker Sieger, Leiter der
                            Bundesfachstelle Barrierefreiheit, in die Thematik
                            „Einfach reisen“ ein.

                                                 Beeinträchtigungen, die eine mindestens
Ich bin dann mal weg …                           einwöchige Urlaubsreise pro Jahr unterneh-
                                                 men, ist um rund 40 Prozent kleiner als die
Hinter dem Thema unserer heutigen Konfe-         Anzahl derjenigen, die keine Beeinträchti-
renz, „Einfach reisen“, hätte auch ein Fra-      gung haben. Auch für kurze Ausflüge und
gezeichen stehen können. Ist es für Men-         Wochenendtrips ergibt sich ein ähnliches
schen mit Beeinträchtigungen grundsätzlich       Bild.
möglich, einfach mal eben zu verreisen?
– nach dem Motto: Ich bin dann mal weg.          Selbst wenn das Reisen durch die Co-
                                                 rona-Pandemie derzeit eingeschränkt ist
Schaut man sich die Statistiken an, offen-       – Reisen ist und bleibt ein wichtiges Be-
sichtlich nicht. Zwei Erhebungen aus den         dürfnis der Menschen. Und das gilt für alle
letzten Jahren kommen zu ähnlichen               Menschen, ob alt oder jung, ob mit Beein-
Ergebnissen. Die Zahl der Menschen mit           trächtigung oder ohne. Wie aber kommen

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Wunsch und Wirklichkeit zusammen?               Einzelhandels oder der sonstigen Grund-
– Das ist die zentrale Fragestellung unserer    versorgung.
heutigen Konferenz.
                                                Wichtige Querschnittsaufgabe
Viel Bewegung, wenig Angebote
                                                Der Tourismus bietet viel Potenzial – wenn
Auf der einen Seite steht nach wie vor die im   er denn als Querschnittsaufgabe verstanden
Vergleich zu allen touristischen Angeboten      wird, an der man gemeinsam arbeiten
in Deutschland verschwindend geringe            muss. Er stärkt die örtliche Wirtschaft,
Anzahl barrierefreier Angebote. Auf der         schafft Arbeitsplätze und kann – insbeson-
anderen Seite versammeln sich hier und          dere in ländlichen, oft auch strukturschwa-
heute zahlreiche Akteurinnen und Akteure,       chen Regionen – dazu beitragen, für die
die bereits einiges bewegt haben. Und           einheimische Bevölkerung beispielsweise
auch die Anzahl der Einreichungen zum           die medizinische Grundversorgung zu
diesjährigen Bundesteilhabepreis, der das       sichern, den Einzelhandel aufrechtzuerhal-
Thema „Barrierefrei reisen in Deutschland“      ten oder auch den öffentlichen Personen-
hat, lässt aufhorchen. Trotz der schwieri-      verkehr zu entwickeln bzw. zu stabilisieren.
gen Situation, in der sich der Tourismus        Damit ist der Tourismus wie vielleicht kein
coronabedingt aktuell befindet, hat es 56       anderes Handlungsfeld geeignet dafür,
Einreichungen gegeben.                          Sozialräume inklusiv zu gestalten.

Warum bewegt sich also auf der einen Seite      Das funktioniert aber nicht von selbst. Auch
so viel, und warum bleiben auf der anderen      wenn das Potenzial vorhanden ist, braucht
Seite immer noch so viele Menschen von          es konzeptionelle Klarheit, zielgerichtete
touristischen Angeboten ausgeschlossen?         Aktivitäten, Zusammenarbeit und schluss-
                                                endlich auch die entsprechenden Rahmen-
Vielleicht liegt es mit daran, dass der         bedingungen.
Tourismus kein homogenes Handlungs-
feld ist. Neben der Entwicklung einzelner,      Aufgaben für Anbieter und Politik
auch auf die Bedürfnisse von Menschen
mit verschiedenen Beeinträchtigungen            Einerseits sind die Anbieter in der Pflicht.
zugeschnittenen Angebote erfordert er fast      Sie müssen ihre Dienstleistungen für
immer das Zusammenwirken verschiedener          Menschen mit unterschiedlichen Beein-
Akteurinnen und Akteure. Das einzelne An-       trächtigungen in die Gesamtpalette ihrer
gebot verliert an Strahlkraft, wenn es nicht    Angebote inklusiv einbetten. Das fängt
eingebettet ist in eine ganze Reihe von         schon beim ansprechenden Design eines
anderen Angeboten und Dienstleistungen.         barrierefreien Badezimmers an und hört
Mehr noch als für andere Menschen ist für       beim selbstverständlichen Service mit der
Reisende mit Behinderung die gesamte            Speisekarte in Braille noch lange nicht auf.
touristische Servicekette von Bedeutung.        Sie müssen die touristische Servicekette im
Denn naturgemäß möchte man sich im              Blick haben, was die Kommunikation und
Urlaub nicht nur an einem Ort aufhalten,        Abstimmung mit angrenzenden Dienstleis-
sondern die Vielfalt seines Reiseziels ge-      tern und kommunalen Institutionen beinhal-
nießen – einschließlich der dazugehörigen       tet. Und schließlich hängt der Erfolg eines
Gastronomie, der Sehenswürdigkeiten,            Angebotes auch davon ab, wie exakt es
der kulturellen Angebote, aber auch des         beschrieben und beworben wird. Ich will als

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Kunde genau wissen, was mich erwartet.               Elektroautos auf dem Markt sind, dann ist
Bunte Bilder und nicht eingehaltene Ver-             die Politik gefordert. Ähnlich verhält es sich
sprechungen führen gerade bei Reisenden              mit barrierefreien touristischen Angeboten.
mit spezifischen Bedürfnissen dazu, dass             Wenn allein schon die Anreise an den
die Reise zur Tortur werden kann. Es gibt            Urlaubsort an entsprechenden barriere-
nichts Schlimmeres als eine enttäuschte              freien Mobilitätsangeboten scheitert, dann
Vorstellung, vor allem wenn wir über den             offenbart sich hieran schon ein System-
Urlaub als schönste aller Jahreszeiten               fehler.
reden.
                                                     Gefragt: Gesamtstrategie und
Die Politik muss darüber hinaus Rahmen-              Maßnahmenbündel
bedingungen schaffen, innerhalb derer sich
inklusive und barrierefreie Angebote entwi-          Dabei ist es nicht ausreichend, wenn der
ckeln und entfalten können. Dass dabei die           Staat nur punktuell unterstützend wirkt. Um
Kompetenz der Menschen mit Behinderung               einen barrierefreien Tourismus in Kommu-
einzubeziehen ist, versteht sich fast von            nen und Regionen und in unterschiedlichen
selbst.                                              Segmenten zu fördern und sein inklusives
                                                     Potenzial zu erschließen, bedarf es einer
Nur zur Verdeutlichung: Wenn weniger                 Gesamtstrategie und eines ganzen Maß-
Elektroautos gekauft werden als gewünscht,           nahmenbündels. Denn nur, wenn die Rah-
weil es keine flächendeckenden Lademög-              menbedingungen stimmen und förderlich
lichkeiten gibt, die Aufsteller von Ladesäulen       sind, erhalten die Akteurinnen und Akteure
ein flächendeckendes Angebot aber erst               vor Ort den Schub, den sie verdienen und
dann realisieren wollen, wenn ausreichend            den unsere Gesellschaft dringend benötigt.

   Präsenz- und Online-Konferenz in einem:
   Über 50 Teilnehmende waren nach Rostock gekommen,
   mehr als 130 Personen verfolgten die Konferenz online.

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Iris Gleicke – meine Vision:
„Die Herstellung von Barrierefreiheit
ist gar nicht so einfach: Mit einem
Rollator ist man von genau den kleinen
Absätzen genervt, für die Blinde
dankbar sind. Gute Lösungen müssen
her, denn Inklusion ist gut für alle. Mit
steigendem Alter kann es schließlich
jeden und jede erwischen.“

                            IMPULSVORTRAG
                            Wie müssen die touristi-
                            schen Angebote der Zukunft
                            aussehen?
                            Iris Gleicke, Parlamentarische Staatsekretärin a. D.
                            beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Woh-
                            nungswesen und beim Bundesministerium für Wirt-
                            schaft und Energie, ging in ihrem Vortrag der Frage
                            auf den Grund, wie die touristischen Angebote der
                            Zukunft aussehen sollten. Die ehemalige Beauftrag-
                            te der Bundesregierung für die neuen Bundesländer
                            sowie für Mittelstand und Tourismus setzt sich seit
                            Langem für den Ausbau barrierefreier touristischer
                            Angebote sowie die Etablierung des Kennzeich-
                            nungssystems „Reisen für Alle“ ein.

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Was bedeutet Barrierefreiheit eigentlich         der Betroffenen an der Gesamtbevölkerung
genau? – Barrierefreiheit ist eine höchst        herauszufinden. Trotzdem sind die Zahlen
individuelle Angelegenheit. Sie bedeutet für     interessant: Die Anzahl der schwerbehin-
einen Menschen mit einer Gehbehinderung          derten Personen ist von 2017 bis 2019 um
etwas anderes als für jemanden, der nicht        136.000 gestiegen; 44 Prozent der Schwer-
gut hören kann. Während sich Menschen            behinderten waren zwischen 55 und 74
mit Stock, Rollator oder Rollstuhl über          Jahre alt; 89 Prozent der Behinderungen
glatte Untergründe freuen, haben blinde          werden durch eine Krankheit verursacht.
Menschen gerne kleine Absätze und raue           Der Anteil der Älteren an der Gesamt-
Flächen, um das Ende des Bürgersteigs            bevölkerung steigt ebenso wie der Anteil
oder den Beginn der Straße identifizieren        an Menschen mit Einschränkungen. – Es
zu können. Hörbehinderte Menschen wie-           wird klar: Es kann jeden von uns in jedem
derum brauchen Lichtsignale, die blinden         Alter treffen, und mit jedem Jahr steigt das
Menschen nicht weiterhelfen.                     Risiko.

Aus diesen scheinbaren Widersprüchen             Barrierefreiheit spielt nur eine
darf aber kein Attentismus entstehen –           kleine Rolle
nach dem Motto, wer nichts macht, macht
auch nichts falsch. Für eine moderne             Diese Zahlen beschäftigen uns seit Jahren,
inklusive Gesellschaft muss Barrierefreiheit     wenn es um Rente oder Pflege, um die
bei aller Individualität im Einzelnen ein all-   Sicherung der Fachkräfte, um den Erhalt
gemeiner Grundsatz des Zusammenlebens            der öffentlichen Daseinsvorsorge oder den
sein bzw. werden. Auch viele Menschen            ÖPNV geht. Aber wenn es um den Touris-
ohne anerkannte Behinderung freuen sich          mus geht, spielt dieses Thema noch immer
über abgesenkte Bürgersteige und barrie-         eine untergeordnete Rolle. Im Bericht
refreie Zugänge. Für uns ist das Komfort.        „Tourismus 2030“ des Kompetenzzentrums
                                                 des Bundes für Tourismus taucht das The-
Es kann jeden treffen                            ma „Barrierefreiheit“ kaum auf, obwohl der
                                                 Bund das Projekt „Reisen für Alle“ fördert.
Das Statistische Bundesamt gibt an, dass         Auch die Tourismusstrategie der Bundes-
2019 in Deutschland 7,9 Millionen schwer-        regierung benennt Barrierefreiheit nur in
behinderte Menschen lebten. Das sind 9,5         Bezug auf Verkehr.
Prozent der Gesamtbevölkerung, denen
ein Versorgungsamt einen Grad der Behin-         Als gutwilliger Mensch möchte man glauben,
derung von 50 Prozent zuerkannt hat. Die         dass sich unter Begriffen wie „Qualitätstou-
Auswertung des Mikrozensus 2017 ergab,           rismus“, „Lebensqualität“ oder „wirtschaft-
dass 10,2 Millionen Menschen in Privat-          liche Potenziale“ ein kleiner Abschnitt mit
haushalten in Deutschland (13 Prozent der        barrierefreien touristischen Angeboten
Gesamtbevölkerung) einen Behinderungs-           beschäftigen könnte – aber nicht einmal
grad von 20 bis 100 Prozent hatten. Davon        ein Hinweis auf das Portal „Reisen für Alle“
waren 10,5 Millionen schwerbehindert.            ist vorhanden. Das Zukunftsinstitut hat ein
                                                 Papier zum „Tourismus der Zukunft“ vorge-
Schon an diesen beiden Datensätzen aus           legt, in dem die Barrierefreiheit keine Rolle
ein und derselben Quelle kann man erken-         spielt. Und auch die 36. Deutsche Touris-
nen, dass es nicht einfach ist, den Anteil       musanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen

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kommt – ebenso wie andere Publikationen        es geht gar nicht ums Geld. 86 Prozent der
der Trendforschung – ohne den Begriff          Reisenden mit Behinderung sagen, dass sie
„Barrierefreiheit“ aus.                        sogar mehr bezahlen würden, wenn sie sich
                                               auf das angegebene, gebuchte Angebot
Das Thema „Barrierefreiheit beim Reisen“       verlassen könnten.
ist ein ebensolches Querschnittsthema
wie der Tourismus selber. Der Abbau von        Eine Schande für Land und
Barrieren muss in jedem Teilbereich mit-       Tourismusbranche
gedacht werden: Von der An- oder Abreise
über die Beherbergung bis hin zum Zugang       Das alles erklärt, warum 37 Prozent der
zu kulturellen, sportlichen, kulinarischen     Menschen mit Behinderungen schon
und sonstigen Angeboten entlang der ge-        einmal auf eine Reise verzichtet haben.
samten touristischen Reisekette. – Leider      48 Prozent geben an, dass sie gerne öfter
ist das nicht so selbstverständlich.           verreisen würden. Es erklärt auch, warum
                                               zwar 80 Prozent der Deutschen, aber nur 45
Ein abschreckendes Beispiel                    Prozent der Menschen mit Behinderungen
                                               reisen. Das ist eine Schande für unser
Mein 2015 erkrankter Mann und ich waren        Land und für unsere Tourismusbranche!
zu einer größeren Familienfeier eingeladen
– barrierefreie Teilnahme inklusive. Es hat    Es gibt ca. 50.700 Beherbergungsunterneh-
auch einiges geklappt: Anreise, Gaststätte,    men in Deutschland. Bisher sind nur gut 600
Transport zum Hotel. Dort empfing uns ein      von ihnen bei „Reisen für Alle“ zertifiziert.
junger Mann und freute sich, uns mitzu-        Knapp 2.700 touristische Angebote entlang
teilen, dass wir ein Upgrade bekämen und       der Reisekette sind auf dem Portal abrufbar.
„eine Suite bewohnen dürften“. Das Roll-       Da gibt es noch viel Luft nach oben. Denn
stuhlzimmer stand nicht zur Verfügung. In      die Teilhabe muss als Ziel selbstverständlich
der Suite reichten die Bewegungsflächen        sein und immer mitgedacht werden, wenn
für den Rollstuhl nicht aus. Ich habe mei-     es um die Verbesserung der Rahmen-
nen Mann nachts über das Fußende des           bedingungen im Tourismus geht. Dazu
Bettes ins selbige bugsiert und morgens        braucht es eine verlässliche, differenzierte
so wieder heraus. Die Toilette mussten wir     Kennzeichnung – und solche Tagungen wie
im anliegenden Konferenzzentrum nutzen         diese hier.
– nachdem ich den Schuhputz- und den
Zigarettenautomaten weggeschoben hatte.        Mehr Serviceleistung

Für uns war das eine schreckliche Ge-          Es kommt eben nicht nur darauf an, die
schichte. Für einen allein reisenden Men-      gesetzliche Mindestvorschrift eines barriere-
schen wäre es in einer Katastrophe geen-       freien Zimmers in einem Hotel einzuhalten
det. Solche oder ähnliche Beispiele können     oder eine rollstuhlgerechte Toilette in einem
leider alle Menschen mit Behinderungen in      Kongresszentrum zu haben. Selbst wenn
unterschiedlichsten Varianten erzählen.        das alles vorhanden ist, kann es im Zwei-
Das alles trug sich im Januar 2018 in einem    felsfall daran scheitern, dass die Sensibilität
Hotel in Düsseldorf zu, das ich nach Besuch    für das Thema fehlt. Es reicht nicht aus,
der Internetseite „Düsseldorf barrierefrei“    damit zu werben, dass der Weg zum Strand
gebucht hatte. Bevor wir wieder zu Hause       nur fünf Minuten beträgt und barrierefrei ist.
waren, hatten wir unser Geld zurück. Aber      Betroffene wissen, dass sie da durchaus

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im Rollstuhl oder mit dem Kinderwagen im         Aus diesen Zahlen lässt sich ablesen, dass
Sand stecken bleiben können. Das Kind            man mit barrierefreien Angeboten auch im
kann ich aus dem Wagen nehmen und                Tourismus richtig Geld verdienen könnte.
tragen. Für den Rollstuhlfahrer ist die Reise    Dabei sind die finanziellen Aufwendungen,
zu Ende.                                         um ein Angebot barrierefrei zu gestalten,
                                                 häufig gar nicht so hoch. Oft geht es nur
Es fehlt an der Serviceleistung für Men-         um farbliche oder haptische Markierungen
schen mit einem bestimmten Servicebedarf.        oder darum, den Zigarettenautomaten oder
Solange das bei den Leistungserbringern,         die Wickelkommode nicht in die Bewe-
den Planern und den Werbern noch immer           gungsflächen für einen Rollstuhl zu stellen.
nicht in Ausbildung und Berufsausübung           Auch die paar Euro für die Zertifizierung
selbstverständlich ist, muss in jeder Publi-     bei „Reisen für Alle“ machen das berühmte
kation zum Thema „Tourismus“ die „Barrie-        Kraut nicht fett.
refreiheit der Servicekette“ als Einzelpunkt
explizit genannt werden.                         Es gibt einen Markt für Hilfsmittel wie Sport-
                                                 rollstühle, Augensteuerungen für Computer,
Dabei ist Empathie nur die eine Seite der        Treppenlifte, höhenverstellbare Waschti-
Medaille. Es geht auch um die Ökonomie.          sche und Toiletten. Auch ein mobiler Lift für
Tourismus ist ein bedeutender Wirtschafts-       den Einstieg ins Bett darf vorhanden sein.
faktor, das Potenzial des barrierefreien         Solche Dinge sehen auch nicht mehr wie
Tourismus ist riesig.                            im Krankenhaus aus, wie gute Beispiele
                                                 zeigen. Es gibt mobile, also wegräumbare
Großes wirtschaftliches                          Hilfen, die Kompromisse möglich machen.
Potenzial                                        All das ist gar nicht so teuer, aber es gibt
                                                 viel zu verdienen.
Die folgenden, nicht ganz neuen Zahlen
stammen aus einem Artikel der Plattform          Denn es gibt einen Markt für barrierefreie
www.nullbarriere.de, eine ganz hervor-           Tourismusangebote. Menschen mit Ein-
ragende Plattform, wenn es um Planen,            schränkungen verdienen Geld, sie stehen
Bauen, Wohnen und viele hilfreiche Tipps         im Berufsleben ihre Frau und ihren Mann.
rund um Barrierefreiheit und Pflege geht:        Sie bekommen eine gute Rente oder wer-
Der Personenkreis der schwerbehinderten          den sie bekommen. Sie können sich Urlaub
Menschen in Deutschland verreist ca.             leisten – und sie haben ein Recht darauf,
13,5 Tage im Jahr. Dabei wählen sie bei          an Urlaub und Freizeit teilzuhaben.
42 Prozent der Reisen und 86 Prozent
der Kurzurlaube Deutschland als Ziel aus.        Eine neue Dynamik
Der Nettoumsatz liegt bei ca. 2,5 Milliarden
Euro pro Jahr. Dazu kommen 2,3 Milliarden        Wir werden alle älter. Seit 2008 werden
für die Begleitpersonen. Das sind die            jährlich mehr Rollatoren als Kinderfahrräder
Zahlen der 45 Prozent der Menschen mit           verkauft. Diese Erkenntnis könnte eine
Behinderungen, die überhaupt reisen. Und         neue Dynamik in das Thema bringen, denn
der Personenkreis der Senioren hat in            es geht nicht mehr allein darum, aktuell
den letzten 30 Jahren seine Reiseaktivität       Betroffenen Teilhabe zu ermöglichen. Es
um 84 Prozent gesteigert. Das entspricht         geht auch darum, für den Fall der eigenen
einem Umsatzvolumen von 15 Milliarden            Betroffenheit vorzubeugen.
Euro.

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Auch deswegen muss es unser Ziel sein,
die Teilhabe von Menschen mit Behinde-
rungen als Selbstverständlichkeit in allen
Bereichen des Lebens durchzusetzen.
Jeden Tag. Überall. Auch beim Reisen.

                                    Iris Gleicke, Parlamentarische Staatssekretärin a. D.
                                    „Die Teilhabe muss als Ziel selbstverständlich sein und
                                    immer mitgedacht werden, wenn es um die Verbesserung
                                    der Rahmenbedingungen im Tourismus geht.“

                                             13 / 46
Annette Rösler – meine Vision:
„Nur wenn bestehende Berührungsängste
abgeschafft werden, kann ein von gegen-
seitigem Respekt geprägter Umgang zur
Lebenskultur werden. Meine Vision für
einen inklusiven Sozialraum: wertschät-
zende Kommunikation, Offenheit und ein
tolerantes Miteinander.“

                         IMPULSVORTRAG
                         Best Practice aus
                         Mecklenburg-Vorpommern
                         Im zweiten Impulsvortrag des Tages sprach Annette
                         Rösler, Geschäftsführerin des Bäderverbands Meck-
                         lenburg-Vorpommern e. V., über gute Beispiele zum
                         Thema „Einfach reisen“ aus Mecklenburg-Vorpom-
                         mern. Im Rahmen ihrer vorherigen Tätigkeit beim
                         Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern war
                         sie für den barrierefreien Tourismus zuständig.

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Für Menschen mit Behinderung ist es nicht       mit Behinderung einfach wissen, was ihn
so einfach, mit der Deutschen Bahn nach         erwartet – sonst gibt es eine Katastrophe
Mecklenburg-Vorpommern zu reisen – und          und er kommt nie wieder. Immerhin sind
über das Thema Flugzeuge können wir in          in vielen Hotels die barrierefreien Zimmer
zehn Jahren noch einmal reden. Am Ende          bereits schöner ausgestattet als die üb-
läuft es darauf hinaus, mit dem eigenen         lichen Zimmer in einem Krankenhaus oder
Pkw anzureisen und zu hoffen, ausreichend       einer Rehaklinik. Der eine oder andere hat
Behinderten-Parkplätze zu finden.               durchaus schon verstanden, dass barriere-
Eine solche Reise fängt aber noch viel          frei auch schick geht, dass auch Menschen
komplizierter an: Eine betroffene Freundin      mit Behinderungen Stil und Geschmack
hat mir erzählt, sie benötige im Schnitt drei   haben.
Tage, um eine Übernachtung in einer Stadt
zu finden. Es gibt diese Informationen, die     Erfolgsmodelle
so relevant für die Reiseentscheidung von
Menschen mit Behinderungen sind, zwar,          Ich habe in meiner Arbeit immer den An-
aber sie sind einfach schwer zu finden.         spruch gehabt, ein Produkt darzustellen,
                                                das auch Menschen mit Behinderungen
Gesunden Menschenverstand                       ermöglicht, eine Woche tollen Urlaub zu
nutzen                                          machen. Diese wollen nicht nur irgendwo
                                                ankommen, barrierefrei schlafen und auf
Gibt es überhaupt barrierefreie Zimmer in       den Rest verzichten. Schließlich wollen
einem Hotel und ließe sich das Problem          auch sie einmal essen oder shoppen ge-
nicht über die Landesbauordnung regeln?         hen, Handbike fahren oder ein Museum
– Nein. Ich kann einen Investor über eine       besuchen – und schon sind wir bei der viel
gesetzliche Vorschrift theoretisch dazu         zitierten touristischen Servicekette.
zwingen, etwas umzusetzen. Aber dann
habe ich ihn immer noch nicht am Herzen         Für ein Flächenland wie Mecklenburg-Vor-
getroffen. Barrierefreiheit ist nicht allein    pommern ist es nicht einfach, eine solche
die Umsetzung von Vorschriften, Halte-          Servicekette lückenlos darzustellen. Auf die
griffen oder Türbreiten, sie fängt vielmehr     Anreise muss ich gar nicht weiter eingehen,
im Herzen an. Deshalb lautet mein Credo:        denn gestrichene Bahnfahrten treffen alle,
Fangt einfach an, euer Produkt mit gesun-       nicht nur Menschen mit Behinderung. Aber
dem Menschenverstand zu beurteilen und          vor Ort haben wir durchaus bereits viele
schaut dann, ob es funktioniert. Ein Para-      Touristen-Informationen, die in der Regel
debeispiel sind öffentliche WC-Anlagen. Den     barrierefrei zugänglich sind und gut ausge-
Lippenstift kann man nur nachziehen, wenn       stattete WC-Anlagen besitzen.
der Spiegel auch im Sitzen einsehbar ist.
                                                Beispiel Wismar
Ganz wichtig ist es auch, dass die Informa-
tionen, die an den Gast mit Behinderung         Mein Lieblingsbeispiel ist Wismar: In der
herausgegeben werden, stimmen. Ich bin          Hansestadt gibt es sehr viel Kopfstein-
ein großer Verfechter des Kennzeichnungs-       pflaster. Das ist für Menschen im Rollstuhl
systems „Reisen für Alle“, weil dort aus-       schwierig zu bewältigen. Aber dort hat
gebildete und unabhängige Erheber die Ist-      ein cleverer Mensch einen Rolli-Stadtplan
Situation aufnehmen. Denn um eine Reise         entwickelt, auf dem beschrieben ist, wo
antreten zu können, muss ein Mensch             das Rollstuhlfahren funktioniert und welche

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Geschäfte mit dem Rollstuhl aufgesucht                 machen, zum Beispiel in der Ferienanlage
werden können. Das erspart viele deprimie-             Dröse.
rende Erlebnisse.
                                                  • Familie Trinkus aus Altwarp, einem klei-
Die Stadtführungen für Menschen mit                 nen Dorf im Stettiner Haff, investiert in
Behinderungen sind ebenfalls gut auf-               ein bundesweit einmaliges Projekt. Dort
gestellt. Hier wird in der Regel Rücksicht          entsteht ein barrierefreies Ressort mit
auf Mobilitätseinschränkungen genommen              Wellnessbereich, Anspruch und Stil. Die
und darauf geachtet, dass genügend Sitz-            wunderbaren Ferienhäuser zeigen, dass
möglichkeiten vorhanden sind. Die Nutzung           barrierefrei und schick durchaus zusam-
von Audioguides ist mittlerweile fast eine          menpasst. Die Gegend ist ein Traum,
Selbstverständlichkeit geworden. Es gibt            aber man muss natürlich ein bisschen
Städte, die sogar Stadtführungen für Men-           Reisezeit investieren.
schen mit Sehbehinderungen anbieten.
                                                  Krönung der Inklusion
Ferienwohnungen:
Drei gute Beispiele                               Ein Best-Practice-Beispiel habe ich noch:
                                                  Das Staatliche Museum in Schwerin ist
Hotelurlaub kann funktionieren, muss es           barrierefrei zugänglich und mit Audioge-
aber nicht. Aber auch Menschen mit einer          räten ausgestattet. Die Geräte haben ein
Behinderung wollen gerne einmal im Bade-          Programm, über das die „schwere“ Kunst,
mantel morgens um 11 Uhr frühstücken,             die im Museum hängt, in einfacher Sprache
das heißt, sie brauchen eine Ferienwoh-           beschrieben wird. Die Beschreibung war
nung. Die Suche nach einer barrierefreien         so gut, dass selbst ich als Kunstbanause
Ferienwohnung gleicht der Suche nach der          verstanden habe, was der Künstler gemeint
Nadel im Heuhaufen. Große Anbieter wie            hat. Denn barrierefrei heißt durchaus auch
Novasol haben das inzwischen erkannt              einfach „komfortabel“.
und Barrierefreiheit als Filterkriterium auf-
genommen. Eigentlich wären barrierefreie          In Schwerin ist man dann noch einen
Ferienwohnungen problemlos möglich, wie           Schritt weitergegangen, sozusagen die Krö-
folgende Beispiele zeigen:                        nung der Inklusion: Menschen mit einer Be-
                                                  hinderung wurden zu Museumsführerinnen
                                                  und -führern ausgebildet. Im Staatlichen
• In Mecklenburg-Vorpommern gibt es nicht         Museum in Schwerin gibt es die Möglich-
  nur die Küste, sondern auch einen großen        keit, Kunstführungen erleben zu dürfen, die
  ländlichen Raum, der nicht weniger schön        Menschen mit Behinderungen durchführen.
  ist, mit vielen alten, schützenswerten          Das ist einmalig. Wenn Sie die Chance
  Bauernhäusern. In Alt Bukow hat es das          haben, dorthin zu gehen, nutzen Sie sie.
  Unternehmen nordlichter.de geschafft,
  alte Bauernhäuser barrierefrei wieder           Barrierefrei auf dem Wasser
  herzurichten. Um dort hinzukommen,
  benötigt man allerdings ein Auto.               Mecklenburg-Vorpommern hat viel Wald
                                                  und vor allem auch viel Wasser. Menschen
• Kühlungsborn ist vielen ein Begriff. Der        mit Behinderungen können bei uns ein
  Ort ist für Menschen mit Behinderung            Hausboot nutzen, in Plau am See Segeln
  bestens geeignet, um dort Urlaub zu             lernen und sich an zahlreichen Stationen

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Kanus und Kajaks mieten. Und für diejeni-        haben! Sagen Sie, dass Sie diese Angebo-
gen, die nicht hören oder sehen können,          te haben, denn ein barrierefreies Angebot
gibt es entsprechende Guides. So etwas           ist aktuell – leider Gottes – noch immer ein
funktioniert bei uns schon.                      Alleinstellungsmerkmal.

Noch einiges zu tun                              Ein Hotelier hat mir einmal gesagt: Be-
                                                 hinderte kommen nicht zu mir. – Natürlich
Bei allem Positiven darf ich aber auch noch      kommen sie nicht, wenn sie nicht wissen,
einiges kritisch ansprechen: Unsere be-          dass es ein barrierefreies Zimmer gibt.
liebten Urlaubsorte an der Küste sind gut        Dann ist es auch sehr müßig über Teilhabe
nachgefragt – vor Corona, während Corona         zu reden und Menschen mit Behinderun-
und auch nach Corona. Aufgrund der guten         gen zu motivieren, auf Reisen zu gehen.
Auslastung haben viele noch nicht gemerkt,
dass sie das Thema „Barrierefreiheit“            Auch das Thema „politische Verantwortung“
bedienen müssen. Ich glaube, dass sich           spielt eine Rolle, denn Rahmenbedin-
dieses Blatt wenden wird und Unternehmen         gungen können durchaus motivieren und
zwingend umdenken sollten. Denn spätes-          animieren. Aber am Ende des Tages sind
tens in zehn Jahren wird es schwierig für        es die Menschen, die die Barrierefreiheit
Gastronomen oder Hoteliers, ihr Angebot          umsetzen. Es ist wichtig, auf Augenhöhe
an die Kunden zu bringen. Denn auf immer         mit den Gästen umzugehen, ihnen zu
mehr Familienfeiern werden Mitglieder mit        sagen, dass wir uns freuen, dass sie da
einem Rollstuhl oder Rollator unterwegs          sind, und alles Mögliche dafür zu tun, dass
sein. Was passiert dann, wenn die Oma            sie gerne Gäste bleiben. Das setzt eines
mit ihrem Rollstuhl nicht in das Restaurant      voraus: Versprechen Sie nichts, was Sie
kommt oder ein WC aufsuchen kann?                nicht halten können. Das Schlimmste ist,
                                                 barrierefreie Angebote zu versprechen und
Barrierefreie WCs in Gaststätten und             diese nicht zu erfüllen.
Restaurants sind leider nicht nur in Meck-
lenburg-Vorpommern keine Selbstver-              Reisen für Alle
ständlichkeit. Wieso brauche ich ein WC für
Herren, ein WC für Damen und ein barrie-         Die Prüfberichte auf dem Portal „Reisen
refreies WC? Warum kann ich nicht einfach        für alle“ sind in diesem Sinne das Nonplus-
ein Herren- und ein Damen-WC bauen und           ultra, weil ich auf diese Weise vor der Reise
beide sind barrierefrei?                         erfahre, was mich erwartet. Jeder Mensch
                                                 mit einer Behinderung hat andere Ansprü-
Inklusion machen –                               che und Bedürfnisse. Was für den einen
und darüber reden                                funktioniert, funktioniert für den anderen
                                                 nicht. Aber Sie müssen Ihrem Gast die
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass           Möglichkeit überlassen, selbst zu entschei-
es noch immer schwierig ist, an die not-         den, ob es für ihn oder für sie funktioniert.
wendigen Informationen heranzukommen.            Ich möchte alle motivieren, nach Mecklen-
Ich möchte allen Anbieterinnen und Anbie-        burg-Vorpommern zu kommen – hier funk-
tern sagen: Seien Sie stolz auf die Angebo-      tioniert schon viel.
te, die Sie für Menschen mit Behinderung

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Podiumsgespräch „Einfach reisen –
eine Bestandsaufnahme“ zum Abschluss
des ersten Konferenzteils
Gerd Lange: „Wir im Wirtschaftsministerium
unterstützen den Versuch, ein Bewusstsein
in der Branche zu verankern.“

                         Podiumsgespräch
                         Zum Abschluss des ersten Konferenzteils diskutierte
                         Moderatorin Margit Glasow mit ihren Gästen über die
                         gegenwärtige Situation für reisende Menschen mit
                         Behinderungen. Auf der Bühne waren
                         • Gerd Lange, Leiter des Referats Tourismus im
                           Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit
                           Mecklenburg-Vorpommern
                         • Steffen Bockhahn, Senator für Jugend und Soziales,
                           Gesundheit, Schule und Sport in Rostock
                         • Kerstin Lehmann, TMB Tourismus-Marketing Bran-
                           denburg GmbH, Referentin für barrierefreies Reisen
                           und Markenmanagement
                         • Jürgen Becher, Ehrenpräsident des Verbands
                           für Behinderten- und Rehabilitationssport e. V.
                           Mecklenburg-Vorpommern

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Kerstin Lehmann – meine Vision:
                                          „In meiner Vision werden in ein paar Jahren nicht mehr
                                          einzelne Produkte und Dienstleistungen als barrierefrei
                                          zertifiziert, sondern es wird auf die wenigen Ausnahmen,
                                          die sich nicht an alle richten, erläuternd eingegangen.“

                                          Steffen Bockhahn – meine Vision:
                                          „Inklusion ist für mich, wenn es normal ist, anders zu sein.
                                          Ein inklusiver Sozialraum bietet Beteiligungsmöglichkeiten
                                          für alle durch die Überwindung von Barrieren aller Art. Nicht
                                          die Defizite sind relevant, sondern der Weg zur Teilhabe.“

                                          Jürgen Becher – meine Vision:
                                          „Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der jeder die ihm
                                          gebührende Achtung und Anerkennung findet, in der
                                          Menschen anders und doch gleich sind, in der sich die In-
                                          klusion nicht mehr im Kreis dreht und gemeinsam in festen
                                          Zeitfenstern zielführend gearbeitet wird.“

Status quo:
Einfach reisen – eine Bestandsaufnahme

 Margit Glasow: Ich möchte mit einem             Leute, die das nicht können. Aber man
 Zitat von Herrn Becher starten: „Wenn           darf die Neugier nicht verlieren und muss
 du grönländisches Bier und schottischen         mutig sein, Dinge anzugehen und aus-
 Whisky trinkst und dabei die Eisberge im        zuprobieren. Natürlich braucht man das
 Sonnenuntergang beobachten kannst,              entsprechende Umfeld, ich habe das über
 bist du ganz dicht am Garten Eden.“ –           eine Agentur in Schottland machen können.
 Ist das als Rollstuhlfahrer nicht ein biss-     Man muss auch immer damit rechnen,
 chen weit aus dem Fenster gelehnt?              vor Barrieren zu stehen. Aber wenn man
                                                 ein bisschen Mut hat und auch mit einer
Jürgen Becher: Das ist so aus mir heraus-        Niederlage leben kann, dann sollte man
geplatzt, als ich in Grönland war. Ich hatte     das Leben genießen und solche Dinge
mir vorgenommen, das so zu machen,               angehen.
und ich habe das Glück, dass ich noch
relativ beweglich bin – es gibt genügend

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Margit Glasow: Frau Lehmann, Sie sind           müsste. Lasst uns einfach nichts mehr
 seit vielen Jahren im barrierefreien Touris-    machen, was nicht inklusiv ist. – Das ist
 mus unterwegs. Wo stehen Sie in Bran-           scheinbar leicht, aber das wäre eine sehr
 denburg auf einer Skala von 1 bis 10?           wesentliche Veränderung. Natürlich ist die
                                                 Landesbauordnung verbindlich, und eigent-
Kerstin Lehmann: Zwischen 5 und 8. Wir           lich ist es unerklärlich, dass immer noch
sind seit über 20 Jahren an dem Thema            Dinge gebaut werden, die nicht barrierefrei
dran und können auf das, was wir bisher          sind. Man kann verlangen, dass ausrei-
erreicht haben, auch stolz sein: Wir haben       chend breite Türen gebaut werden, was im
ein schönes Magazin, das Lust macht, nach        Übrigen gar nicht mehr kostet. Bei Altbau-
Brandenburg zu kommen, und das über die          sanierungen beispielsweise muss man
Barrierefreiheit vor Ort informiert. Wir haben   natürlich sehen, wie man das hinbekommt.
ein System mit verlässlichen Informationen
von inzwischen immerhin 950 Anbietern.           In der Summe können wir für Rostock sagen,
Das ist keine separate Datenbank, sondern        dass wir gut vorwärtsgekommen sind. Wir ha-
in unser landesweites Content-Netzwerk           ben sogar einen für Rollstühle zugänglichen
integriert. Wir bieten im Bereich B2B gute       Strand. Es gibt auch kulturelle Angebote,
Informationen als Starthilfe: Was muss ich       die barrierefrei sind. Ein kleines Programm-
bedenken? Welche Ansprechpartner gibt es?        kino bietet zum Beispiel Hörschleifen an, und
– Wir machen Workshops und Seminare und          es gibt Vorführungen, bei denen bewusst
arbeiten zum Beispiel mit Mecklenburg-Vor-       darauf geachtet wird, dass Sinnesbeein-
pommern auch grenzüberschreitend zusam-          trächtigungen eine Rolle spielen können. Die
men. Es passiert schon eine ganze Menge,         Kunsthalle wird nach der Sanierung barriere-
aber wir sind noch lange nicht am Ziel.          frei sein. Es gibt andere, die sind vielleicht
                                                 weiter, aber verstecken müssen wir uns nicht.
 Margit Glasow: Herr Bockhahn,
 wir haben in Rostock eine Menge                      Margit Glasow: Herr Lange, wie
 zu bieten, aber inwieweit sind die                   sieht es denn mit Unterstützung
 Angebote auch barrierefrei?                          von politischer Seite aus?

Steffen Bockhahn: Rostock ist noch nicht         Gerd Lange: Das Problem fängt beim
da, wo es hin muss, aber wir sind verdammt       Denken an. Dort die Knoten zu lösen, ist
weit vorne bei ganz vielem – etwa beim           die ganz große Aufgabe. Danach kann man
ÖPNV. Bei uns sind alle Straßenbahnhalte-        das Ganze viel leichter in die Gesetzge-
stellen barrierefrei, wenn sie nicht gerade      bungsverfahren mit einfließen lassen. Wir
saniert werden. Bei den Bushaltestellen sind     im Wirtschaftsministerium unterstützen den
es ungefähr 80 Prozent. Der Fahrzeugpark         Versuch, ein Bewusstsein in der Branche
ist ausschließlich mit Niederflurbussen und      zu verankern. Inklusion, Behinderungen,
-bahnen ausgestattet. Rostock ist zudem          Einschränkungen und Tourismus sind
eine von fünf Modellkommunen des Projekts        Querschnittsaufgaben. Unser Weg, für
„Kommune Inklusiv“ der Aktion Mensch.            die qualitativ hochwertigen touristischen
                                                 Angebote in der Branche, bei den Unter-
Ich glaube, wir brauchen einen Paradig-          nehmen und in der Verwaltung zu werben,
menwechsel im Denken. Lasst uns auf-             ist manchmal leider sehr mühsam.
hören, darüber nachzudenken, was man             Wir haben uns auf den Weg gemacht,
im Bereich Inklusion zusätzlich machen           um in der Branche dafür zu werben, dass

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Sensibilisierung zu
barrierearme Angebote schick und auch
                                                      reden, Frau Lehmann?
marktfähig sein können. Nur meine Erfah-
rung ist, dass es sehr schwierig ist, bei den    Kerstin Lehmann: Man muss da von allen
Anbietern breite Unterstützung zu finden,        Seiten ran. Sie haben in Mecklenburg-Vor-
solange die öffentliche Hand der Branche         pommern tolle Leute, die mit Herz und Em-
und den Unternehmen nicht fördernd unter         pathie viel bewegen können. Denen muss
die Arme greift, auch was Zertifizierungen       man die Chance geben, das mit langer
etc. angeht. Denn zurzeit muss sich Meck-        Perspektive anzugehen. Man sollte nicht
lenburg-Vorpommern als ein attraktives           nur mit Bauverordnung und Förderkulissen
Urlaubsziel über Zulauf keine Gedanken           Druck aufbauen. Die Druckmittel braucht
machen. Das ist aber der falsche Ansatz.         man natürlich auch, aber bei den Anbietern
Wenn wir in einer alternden Gesellschaft         erreicht man mit intrinsischer Motivation
nicht in allen Segmenten besser werden,          und Charme mehr.
kann es schnell sein, dass wir beim
Urlaubsangebot bald nicht mehr vorne                  Margit Glasow: Wie sieht das mit der
mitspielen.                                           Projektförderung aus, Herr Lange?

Sie haben nach dem Stand der Dinge ge-           Gerd Lange: Die Projektförderung ist mit
fragt. Wir stehen wirklich noch am Anfang,       sehr viel bürokratischem Aufwand ver-
was diese Entwicklung angeht. Deswegen           bunden. Für einen gestellten Förderantrag
ist es auch erfreulich, dass wir das Thema       brauchen wir fast 14 Formulare – Be-
„Einfach reisen“ angehen, weil wir da noch       gleitung, Abrechnung, Verwendungsnach-
sehr viel erreichen können.                      weise, Prüfung etc. Das sind die Vorgaben
                                                 von Bund und EU. Wir sind noch dabei,
Steffen Bockhahn: Herr Lange, wir sind           das Thema zu institutionalisieren. Dazu
uns im Ziel und bei der Aussage, dass wir        brauchen wir auch die Unterstützung der
uns nicht auf dem Erreichten ausruhen dür-       gesamten Landesregierung.
fen, absolut einig. Ich habe aber einen nicht
unwesentlichen Widerspruch: Ich glaube           Ich sehe zu Herrn Bockhahn keinen Wider-
nicht daran, dass ausschließlich eine För-       spruch. Anbieter, die aktiv werden, sollen
derkulisse ausreichen wird. Wir müssen           auch unterstützt werden. Die Zeiten, in
deutlich machen, dass wir als Land und           denen wir dank üppiger Ausstattung mit
Kommunen eine Erwartungshaltung haben            Gießkannen hantieren konnten, sind vorbei.
und bestimmte Dinge nicht mehr akzeptie-         Das gilt für das Marketing genauso wie für
ren. Wer sich zuerst umstellt oder ein be-       Fortschritte bei barrierearmen Angeboten,
sonders gutes Konzept hat, dem helfen wir.       weil Barrierefreiheit zwar ein sehr hohes,
Aber 80-cm-Türrahmen als Beispiel wird           aber auch sehr kostspieliges Ziel ist.
es künftig einfach nicht mehr geben. Nur
einzuladen, wird nicht helfen. Wir müssen        Mir geht es darum, Angebots- und Quali-
auch deutlich Sanktionen androhen, sonst         tätsverbesserung möglichst für alle Gäste
kommen wir nicht in dem Maße voran, wie          anzustreben. Denn nur ein Gast, der sich
wir es müssen.                                   wohlgefühlt hat und der das bekommen
                                                 hat, was ihm versprochen wurde, will auch
 Margit Glasow: Daran möchte ich an-             wiederkommen. Das gilt für Gäste mit
 schließen. Ist es ausreichend,                  ebenso wie ohne Einschränkung.
 immer nur von Bewusstseinsbildung und

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Margit Glasow: Sie haben von                   Bundesförderung als auch aus Landes-
 hohen Kosten gesprochen. Ist das               mitteln, die bei Investitionssummen von
 noch ein Argument, was wir in der              5.000 Euro anfangen. Die Schaffung von
 Zukunft gelten lassen können?                  barrierearmen oder -freien Angeboten ist
                                                mit Kosten verbunden. Die Seebrücke in
Gerd Lange: Ich spreche aus der Sicht           Koserow auf Usedom wird jetzt behinder-
des fördernden Ministeriums. Uns steht ein      tengerecht ausgebaut. Wenn sie fertig ist,
gewisses Budget zur Verfügung, um be-           haben wir eine barrierefreie Möglichkeit
stimmte Projekte umzusetzen. Es ist aber        an der Ostsee, Seeluft zu schnuppern, in
nicht so, dass alles, was gewünscht ist,        einer Form, die für alle äußerst attraktiv ist.
auch finanzierbar ist, da die Mittel weniger    Allerdings reden wir dann auch von nicht
werden.                                         kleinen siebenstelligen Beträgen.

Wir müssen uns auf die richtigen Schwer-             Margit Glasow: Sie haben von Sank-
punkte konzentrieren: die Qualität stärken           tionen gesprochen, Herr Bockhahn.
und das Thema in der gesamten Branche                Richtet sich das an die Privatwirtschaft?
verstärkt verankern. Mit „Reisen für Alle“
zeigt die Branche, dass sie sich dem Thema      Steffen Bockhahn: Ausdrücklich. Ich
stellt. Bisher war es so, dass die Branche      bleibe bei dem Beispiel Seebrücke. Sie
zu wenig darauf achten musste, attraktive       ist ein Grund, nach Koserow zu fahren.
Angebote ohne Krankenhauscharme zu              90 Prozent der Urlauber kommen mit dem
schaffen bzw. weiterzuentwickeln. Mecklen-      Auto nach Mecklenburg-Vorpommern,
burg-Vorpommern ist in einer guten Aus-         weil man kaum eine Chance hat, nicht mit
gangsposition, etwa was den Naturraum           dem Auto herzukommen. Es gibt hier nicht
oder die Infrastruktur betrifft. Jetzt müssen   nur die Küste und die mecklenburgische
wir die richtigen Akzente setzen. Die Schaf-    Seenplatte, sondern viele andere erlebens-
fung von barrierearmen und barrierefreien       werte Orte. Damit diese überhaupt erreicht
Angeboten ist für mich eines der Ziele, die     werden können, ist natürlich die öffentliche
mit Förderung auch stärker in den Fokus         Hand gefordert. Aber mit der Seebrücke
gerückt werden müssen.                          schaffen wir ein touristisches Umfeld, in
                                                dem die Privatwirtschaft Geld verdienen
Kerstin Lehmann: Ich wünsche mir noch           kann und soll.
mehr Unterstützung für kleinere Bau- und
Modernisierungsvorhaben. Bei der Förde-         Wer sich heute entschließt, in Mecklen-
rung der gewerblichen Wirtschaft gibt es oft    burg-Vorpommern ein Hotel zu bauen, der
ein Mindestinvestitionsvolumen. Oft sind es     ist aus meiner Sicht der Dinge gut beraten,
aber auch kleinere Bauvorhaben, die ein         dieses von Beginn an barrierefrei, mindes-
wenig Unterstützung bräuchten. Sachsen          tens aber barrierearm zu machen. Wenn
hat das Projekt „Lieblingsplätze“, das nied-    ein Unternehmer oder eine Unternehmerin
rigschwellig und in der Fläche verteilt ist.    heute sagt, Barrierefreiheit und Inklusion
                                                seien kein Thema, dann muss ich das als
Gerd Lange: Da hat sich die Pandemie            öffentliche Hand nicht gut finden und kann
einmal ein bisschen denkbeschleunigend          beispielsweise Vergünstigungen und Sub-
ausgewirkt. Wir haben jetzt im Laufe dieses     ventionen streichen. Und beim nächsten
Jahres niedrigschwellige Förderprogramme        Bauantrag kann man dann vielleicht auch
geschaffen, sowohl als Ergänzung für die        sagen: Uns ist da etwas aufgefallen…

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Es geht nicht darum, zu drohen oder Angst       und Elektrorollstuhlfahrende können sich
zu machen. Natürlich sind Kooperation           eine neue Unterkunft suchen, die sie dann
und intrinsische Motivation besser. Aber        natürlich nicht finden.
wir sind auch bei der Frage, wie Gesell-
schaft funktionieren soll: miteinander oder          Online-Frage: Wie sieht es mit zukünf-
gegeneinander. Ich bin fürs Miteinander,             tigen Angeboten für pflegebedürftige
aber wenn das einer nicht versteht, dann             Menschen und deren Angehörige, die
entsteht automatisch ein Gegeneinander.              im Urlaub Pflege betreiben, aus?
Dann ist es die Aufgabe der Regierung, der
Kommunalverwaltung und von anderen,             Steffen Bockhahn: Wir haben mit dem
Denkanstöße zu geben.                           Bundesteilhabegesetz (BTHG) ein gutes
                                                Werkzeug bekommen, aber es gibt natürlich
 Margit Glasow: Herr Becher, im                 Anlaufschwierigkeiten. Theoretisch besteht
 neuen Landesbehindertengleichstel-             die Möglichkeit mit dem BTHG, dass ich im
 lungsgesetz wird die Privatwirtschaft          Vorfeld an meinem Urlaubsort einen Pflege-
 wahrscheinlich nicht dazu gezwungen            dienst suche und das über mein Budget ab-
 werden, sich barrierefrei auszustat-           rechnen könnte. Die praktische Umsetzung
 ten. Wie ist Ihre Haltung dazu?                bleibt aber eine spannende Frage.

Jürgen Becher: Zunächst einmal sind             Dazu kommt ein großes Problem: Ich muss
rollstuhlgerechte Strandkörbe natürlich gut,    einen Pflegedienst finden, der Ressourcen
aber warum hört es bei den Strandkörben         frei hat. In Rostock sind die Pflegedienste
auf? Wie kommt man ins Wasser? In Küh-          vollkommen ausgelastet und müssen Auf-
lungsborn haben wir Anfang der Neunziger-       träge ablehnen. Aber selbst wenn man
jahre den Steg so gebaut, dass man als          einen Pflegedienst findet, weiß man noch
Rollstuhlfahrer ins Wasser kann. Und 2020       lange nicht, ob der alles das kann, was der
darüber zu reden, dass eine Seebrücke           zu pflegende Reisende braucht. – Also:
barrierefrei ist, ist ein bisschen spät.        theoretisch möglich, praktisch schwierig.

Zur Frage: Ich finde es traurig, dass das       Jürgen Becher: Ich kenne zwei Einrich-
jeder entscheiden kann, wie er will. Ich wur-   tungen, die das anbieten: Zum einen ein
de von einem Gastwirt in seine Gaststätte       privates Altenheim in Rerik, und zum ande-
eingeladen, und ich habe ihm gesagt: Ich        ren ist im Landkreis Rostock vor ungefähr
würde gerne ein Bier bei dir trinken, kann      zwei Jahren eine Pension eröffnet worden,
das dann aber nirgendwo hinbringen. Also        in der Pflegebedürftige Urlaub mit ihren
komme ich nicht. – Ich weiß nicht, ob es        Angehörigen machen können.
eine Regelung geben wird, das wird schwie-
rig. Es ist trotzdem traurig, dass die Leute    Kerstin Lehmann: Ich kenne in Branden-
angestoßen werden müssen und dass das           burg ein paar leuchtende Beispiele für
nicht selbstverständlich ist.                   Urlaube für Menschen mit Pflegebedarf, die
                                                einen persönlichen Bezug haben oder an
Ganz wichtig ist auch, den einzelnen An-        Einrichtungen gekoppelt sind. Aber es ist
bietern nicht die Klassifizierung, was roll-    noch nicht so, dass man aus dem Vollen
stuhlgerecht und was nicht rollstuhlgerecht     schöpfen kann. Es gibt Bedarf und Nachfra-
ist, zu überlassen. Dann steht schon einmal     ge, aber Häuser, Kapazitäten und Personal
eine Waschmaschine neben der Dusche,

                                           23 / 46
ein Menschenrecht. Das betrifft auch
zu finden, bleibt schwierig. Ich glaube aber,
                                                      das Reisen. Mich stört auch, dass hier
dass der Markt wächst.
                                                      gesagt wird, dass Geld fehlt und dass
                                                      wir uns Inklusion nicht leisten können.
 Online-Frage: Sollte man Reisever-
                                                      Wieso haben wir keinen Inklusionsfond
 anstalter verpflichten können, barriere-
                                                      auf Bundes- oder Landesebene?
 freies Reisen generell anzubieten?

Steffen Bockhahn: Das ist eine Glaubens-
frage. Es gibt spezialisierte Reisebüros              In der Corona-Krise hat nur ein einziges
beispielsweise für Roadtrips durch die                Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern,
Mongolei. Das würde ich nicht im Reisebü-             Menschen mit Behinderungen und ihre
ro nebenan buchen. Ich würde mich des-                Familien mit 500 Euro Soforthilfe unter-
halb mit Quotenpflicht und Sanktionierung             stützt. Andere Bundesländer, die reicher
eher zurückhalten. Es ist eine Frage, ob              sind, konnten sich das nicht leisten. Wir
ich Gebäude so baue, dass sich Menschen               sprechen auch über die Bewusstseins-
darin zurechtfinden können. Das andere ist,           bildung nach Artikel 8 der UN-Behinder-
eine Reise zu planen. Wenn jemand nicht               tenrechtskonvention. Wieso machen wir
die Liebe und die Leidenschaft dafür hat,             keine Bewusstseinsbildung, dass Inklu-
Menschen mit speziellen Anforderungen                 sion einen Mehrwert für alle darstellt?
eine schöne Reise zu vermitteln, dann
würde ich sagen: Lassen wir das lieber.

Jürgen Becher: Reiseunternehmer zu               Steffen Bockhahn: Corona ist für uns eine
verpflichten, ist das gleiche wie Hotels zu      große Chance, zu verstehen, was es heißt,
verpflichten: Entweder ist es im Herzen drin     aufeinander Rücksicht zu nehmen – Ab-
oder nicht. Ich kenne ein kleines Reise-         stand, Maske, gegenseitige Rücksichtnah-
unternehmen in Schottland, das sich darauf       me. Und gelingende Inklusion braucht vor
spezialisiert hat, weil große Unternehmen        allem eines: gegenseitige Rücksichtnahme.
sich nicht dem Stress aussetzen wollen,          Wenn wir das als Ressource sehen, sind
sich mit den Beschwerden zu beschäftigen.        wir einen ganzen Schritt weiter. Wir haben
Denn auch auf barrierefreien Reisen gibt es      in Rostock mit Unterstützung der Aktion
immer wieder mal eine Stufe zu bewältigen.       Mensch in den letzten Monaten eine grö-
Viele Reisende ohne Einschränkungen wol-         ßere Plakatkampagne gefahren, um das
len auch gar keine barrierefreien Zimmer         Thema „Inklusion“ zu transportieren. Der
oder Toiletten buchen. Andererseits kann         Slogan heißt: „Da kann ja jeder kommen.“ –
ich auch die Veranstalter verstehen, weil es     Genau darum geht es, dass jeder kommen
mithin Menschen mit Beeinträchtigungen           kann. Deswegen: Dass dieser menschen-
gibt, die beim kleinsten Hindernis schimp-       rechtliche Ansatz uns treibt, ist für mich
fen. Es ist ein Geben und Nehmen.                eine Selbstverständlichkeit.

 Frage aus dem Publikum: Der men-                     Margit Glasow: Das war ein gutes
 schenrechtliche Ansatz kommt auf der                 Schlusswort. Herzlichen Dank!
 Veranstaltung bisher nicht vor. Darüber
 müssen wir reden, denn Inklusion ist

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