Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch Maturaarbeit im Fach Wirtschaft + Recht, 2011
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Maturaarbeit im Fach Wirtschaft + Recht, 2011 Die ordentliche Einbürgerung Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch Autorin: Betreuerin: Cathy Hutchings, 6D Ulrike Gerhardt Holzacherstr. 12 Seemattstr. 30 6210 Sursee 6330 Cham
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnins ....................................................................................................................................2 1 Summary .................................................................................................................................................4 2 Einleitung .................................................................................................................................................5 3 Das Scheizer Bürgerrecht und die ordentliche Einbürgerung ................................................................6 3.1 Das Schweizer Bürgerrecht .............................................................................................................6 3.2 Die ordentliche Einbürgerung auf Bundesebene ............................................................................7 3.3 Der Ablauf der ordentlichen Einbürgerung im Kanton Luzern........................................................7 4 Die Entwicklung im Bereich der ordetntlichen Einbürgerung auf Bundesebene von 2003 bis heute ....8 4.1 Die zwei Bundesgerichtsentscheide vom 9. Juli 2003 .....................................................................8 4.1.1 Die Grundrechte und mögliche Konflikte zwischen Grundrechten und politischen Rechten....................................................................................................................................8 4.1.2 Die Vorgeschichte zu den Entscheiden des Bundesgerichts vom 9. Juli 2003 ......................11 4.1.3 Die wichtigsten Erwägungen des Bundesgerichtes in den beiden Entscheiden ...................12 4.1.4 Die Auswirkungen auf die Rechtsnatur und Reaktionen auf die Entscheide ........................14 4.2 Die Revision des Bürgerrechtsgesetzes vom 3. Oktober 2003......................................................15 4.2.1 Das Zustandekommen und Inhalt der Revision ....................................................................15 4.2.2 Die Einführung kostendeckender Gebühren.........................................................................15 4.1.3 Die Auswirkungen der Revision.............................................................................................16 4.3 Die Volksabstimmung vom 26. September 2004 zum Bürgerrecht der zweiten und dritten Ausländergeneration ........................................................................................................16 4.3.1 Das Zustandekommen der Abstimmung...............................................................................16 4.3.2 Die Abstimmungsvorlage ......................................................................................................16 4.3.3 Die Abstimmungsergebnisse und deren Auswirkungen auf die ordentliche Einbürgerung ................................................................................................17 4.4 Die Gegenreaktion zu den Bundesgerichtentscheiden vom Juli 2003 auf kantonaler Ebene am Beispiel des Kantons Schwyz...................................................................................................17 4.4.1 Der Bundesgerichtsentscheid vom 12. Mai 2004 zur Übergangsreglung betreffend die Zulässigkeit von Entscheiden über die Einbürgerung an Gemeindeversammlungen ....18 4.4.2 Die Standesinitiative Schwyz „geheime Wahlen und Abstimmungen an Bezirksgemeinden und Gemeindeversammlungen“ ........................................................18 4.5 Die Initiative Pfisterer- eine Kompromisslösung ...........................................................................19 4.5.1 Das Zustandekommen des Gesetzentwurfes........................................................................19 4.5.2 Der Inhalt der einzelnen Bestimmungen und deren Auswirkungen auf den Rechtscharakter der ordentlichen Einbürgerung ..................................................................19 4.6 Die Volksabstimmung vom 1. Juni 2008 über die Initiative „für demokratische Einbürgerungen“ der SVP..............................................................................................................21 4.6.1 Die Ausgangslage ..................................................................................................................21 2
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch 4.6.2 Der Inhalt...............................................................................................................................22 4.6.3 Die Abstimmungsresultate ....................................................................................................22 4.6.4 Die Folgerungen ....................................................................................................................23 4.7 Der Vorschlag des Bundesrates vom 11. März 2011 zur Totalrevision des Bundesgesetze über das Schweizer Bürgerrecht ...................................................................................................23 4.7.1 Die Ausgangslage ..................................................................................................................23 4.7.2 Der wichtigsten Änderungen ................................................................................................23 5 Die Auswirkungen der Veränderungen auf Bundesebene im Zeitraum von 2003 bis heute auf die Gemeinden im Kanton Luzern-eine Verrechtlicung der ordentlichen EInbürgerung ..............25 5.1 Das Verfahren................................................................................................................................25 5.1.1 Das Verfahren mit Entscheidungskompetenz der Gemeindeversammlung bzw. des Gemeindeparlaments .....................................................................................................25 5.1.2 Das Verfahren mit vorbereitender oder abschliessender Kompetenz der Bürgerrechtskommission ...............................................................................................26 5.1.3 Das Verfahren mit abschliessender Kompetenz des Gemeinderats ....................................26 5.2 Die Auswirkungen auf die Zuständigkeit und Entscheidungskompetenz .....................................26 5.3 Die Auswirkungen auf die Prüfung der Erfüllung der Bedingungen der Gesuchsteller ................27 5.1.1 Die Integrationsprüfung ........................................................................................................27 5.1.2 Die Sprachprüfung ................................................................................................................28 5.1.3 Das Vorstrafenregister/Betreibungsregister ........................................................................29 5.1.4 Weitere relevante Eignungskriterien ...................................................................................29 5.4 Die Auswirkungen auf die Verfahrensdauer .................................................................................30 5.5 Die Auswirkungen auf die Gebühren ............................................................................................31 5.6 Die Auswirkungen auf die gesetzliche Verankerung des Verfahren in den Gemeinden ..............31 5.7 Der Wunsch nach Vereinheitlichung .............................................................................................32 6 Fazit .......................................................................................................................................................33 7 Reflexion ................................................................................................................................................35 8 Dank .......................................................................................................................................................36 9 Deklaration ............................................................................................................................................36 Anhang .....................................................................................................................................................37 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................38 Internetquellen ...................................................................................................................................39 Abbildungsverzeichnis .........................................................................................................................40 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................................40 Interview mit den Gemeinden ............................................................................................................41 Übersicht über die Verfahren im Kanton Luzern heute ......................................................................47 3
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch 1 Summary Ausgegend von den beiden Bundesgerichtsentscheiden vom 9. Juli 2003 wird in der Maturaarbeit die Entwicklung der ordentlichen Einbürgerung auf Bundesebene bis heute aufgezeigt. Auch werden die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Gemeinden im Kanton Luzern dargelegt. Die Bundesgerichtsentscheide veränderten den Rechtscharakter der Einbürgerung massgebend. Das Bundesgericht erklärte Urnenabstimmungen über Einbürgerungsgesuche als rechtswidrig, da die Be- gründungspflicht nicht erfüllt und auch die Privatsphäre der Gesuchsteller nicht ausreichend geschützt wird. Es erklärte auch, dass die Einbürgerung kein rein politischer Akt ist, sondern vielmehr ein Recht- sanwendungs- bzw. Verwaltungsakt. Aufgrund der Begründungspflicht wurde das Verfahren verrecht- licht, da Entscheide über eine Einbürgerung nicht mehr diskriminieren dürfen und zu begründen sind. Die Bundesgerichtentscheide hatten viele Reaktionen zur Folge. Ein Teil der in der Maturaarbeit auf- gezeigten Änderungen unterstützte eine Verrechtlichung und trieb diese noch weiter, sodass bei- spielsweise auch ein Beschwerderecht an kantonale Gerichte möglich wurde. Dadurch entsteht für den Gesuchsteller ein schwacher Rechtsanspruch auf ordentliche Einbürgerung. Jedoch gab es auch Widerstand gegen diese Verrechtlichung , so beispielweise im Kanton Schwyz, der vor den beiden Bundesgerichtsentscheiden über Einbürgerungen traditionell an der Urne entschieden hatte. In der Schwyzer Kantonsverfassung wurde mittels einer Initiative sichergestellt, dass Entscheide an der Gemeindeversammlung immer noch möglich sind. Auch auf Bundesebene wehrte sich insbe- sondere die SVP gegen diese Verrechtlichung und wollte, dass die Einbürgerung ein politischer Akt bleibt. Daher wurde eine Initiative eingereicht, mit der die Einbürgerungsentscheide an der Urne wie- der eingeführt werden sollten. Das Volk lehnte diese Initiative jedoch ab und unterstützte damit die Bundesgerichtsentscheide vom 9. Juli 2003. Auch in den Gemeinden im Kanton Luzern ist die Tendenz zur Verrechtlichung zu erkennen. Viele Lu- zerner Gemeinden hatten vor den beiden Bundesgerichtsentscheiden den Entscheid über eine Einbür- gerung an der Gemeindeversammlung gefällt. Heute entscheidet in über der Hälfte der Gemeinden eine Bürgerrechtskomission über Einbürgerungsgesuche. Auch die Überprüfung der Eignung des Ge- suchstellers für eine ordentliche Einbürgerung wird genauer vorgenommen und die Gemeinden haben klarere Kriterien aufgestellt, die der Gesuchsteller erfüllen muss. Daher wird für den Gesuchsteller das Verfahren transparenter und es entsteht ein gewisser Rechtsanspruch, wenn der Gesuchsteller die gegebenen Kriterien erfüllt. Diese Kriterien werden in den Gemeinden in einer Verordnung festgehal- ten, was früher nicht der Fall war. So entsteht auf für die Gemeinden eine grössere Rechtssicherheit. Insgesamt betrachtet kann man von einer Verrechtlichung des Verfahrens der ordentlichen Einbürge- rung sprechen, da die Kriterien, die ein Gesuchsteller erfüllen muss, heute klarer definiert sind. Weil mit der Verrechtlichung das Verfahren etwas einheitlicher geworden ist und weil die Einbürgerung als Rechtsanwendungsakt angesehen wird, in dem eine Willkür- und diskriminierungsfreie Begründung und der Schutz der Privatsphäre der Gesuchsteller gewährleistet sein müssen, entsteht für den Ge- suchsteller ein gewisser Rechtsanspruch. Man kann aber (noch) nicht von einem zwingenden Rechts- anspruch sprechen, da die Gemeinden auch heute noch einen gewissen Entscheidungsspielraum ha- ben. 4
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch 2 Einleitung Die Fragen, die sich rund um das Thema Einbürgerung stellen, haben mich schon immer interessiert, zumal sich mein Vater vor einiger Zeit eingebürgert hat. Auch habe ich die Auseinandersetzung in den Medien verfolgt. Die Maturaarbeit ist ein geeigneter Anlass, sich mit dem Thema genauer zu befassen. Wie der Titel der Arbeit sagt, behandelt meine Arbeit die Frage, ob die ordentliche Einbürgerung im Zeitraum vom 2003 bis heute eine Veränderung vom reinen Ermessensentscheid hin zu einem Rechts- anspruch erfahren hat. Es ist zu fragen, wie sich das Verfahren und der Rechtscharakter der ordentli- chen Einbürgerung verändert haben. Hauptsächlich wird untersucht, ob man aus diesen Veränderun- gen auf eine Verrechtlichung schliessen kann und ob dadurch ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung entsteht. Wie es zur Frage nach einer Verrechtlichung kommen konnte, wird im Folgenden kurz aufge- zeigt. Die Erteilung des Gemeindebürgerrechts an einen Ausländer, die immer Voraussetzung für die Ertei- lung des Kantons- und auch des Schweizerbürgerrechts ist1, wird seit langem als eine der wichtigsten Zuständigkeiten der Gemeindeversammlung betrachtet. Die Vorstellung, dass sich in der Gemeinde- versammlung die Gesamtheit der Stimmbürger versammelt, um dort über die Anträge von Ausländern um Aufnahme ins Gemeindebürgerrecht ausführlich für jeden einzelnen Kandidaten zu diskutieren und dann abzustimmen, ist in der Vorstellung vieler Schweizer ein wichtiges Element der direkten Demokratie. Diese "urdemokratische" Vorstellung über den Prozess der Aufnahme von Ausländern ins Bürgerrecht spiegelte sich denn auch lange Zeit in der juristischen Literatur. Es bestand Einigkeit dar- über, dass die "Einbürgerung unter allen Umständen einen politischen Akt darstellt, welcher aufgrund der Staatssouveränität vollzogen wird. Gemeinden und Kantone sollen absolut frei sein, einen Ge- suchsteller ins Bürgerrecht aufzunehmen oder nicht".2 Diese "Doktrin des politischen Aktes" hatte praktische Auswirkungen vor allem darin, dass nach einhelliger Meinung kein Anspruch auf (ordentli- che) Einbürgerung bestand3 und dass die Erteilung des Bürgerrechts im freien Ermessen der zuständi- gen Behörde stand.4 Der Weiterzug ablehnender Bürgerrechtsentscheide an ein Gericht war dement- sprechend aussichtslos. Abgesehen davon, dass in vielen Kantone gar keine Weiterzugsmöglichkeit an ein Gericht bestand, war auch ein Gang ans Bundesgericht regelmässig zum Scheitern verurteilt, weil das Bundesgericht auf entsprechende Beschwerden gar nicht eintrat, d.h. es ablehnte, diese über- haupt zu behandeln.5 Dies hat sich mit zwei Urteilen, die das Bundesgericht am 9. Juli 2003 gefällt hat, entscheidend geändert. In den beiden genannten Urteilen ist das Bundesgericht erstmals auf Be- schwerden abgelehnter Bürgerrechtsbewerber (teilweise) eingetreten und hat diese sogar gutgeheis- sen. Die beiden Urteile wurden sowohl in der Bevölkerung als auch in Juristenkreisen als eigentlicher "Paukenschlag" empfunden und haben sehr unterschiedliche Aufnahme gefunden: Während die Urtei- le zum Teil geradezu enthusiastisch begrüsst wurden, sahen viele Vertreter traditioneller Kreise darin eine Bedrohung "urschweizerischer" Grundwerte. Ausgehend von einer Erläuterung der Rechtsgrundlagen werden im Hauptteil der Maturaarbeit die beiden erwähnten Urteile des Bundesgerichts vom 9. Juli 2003 und die darauffolgenden Reaktionen, sowohl in der Rechtsprechung des Bundesgerichts wie auch in der Gesetzgebung, erläutert und die Tendenz zu Verrechtlichung der Einbürgerung aufgezeigt. Anschliessend wird am Beispiel des Kantons Luzern dargelegt, welche Auswirkungen die Änderungen auf Bundesebene für die Gemeinden hatten. Untersucht werden hauptsächlich Faktoren, bei denen es Veränderungen gegeben hat, die den Spielraum bezüglich der Verfahrensart und der Überprüfung des Gesuchs auf Eignung des Gesuchstellers betreffen. Der Einfachheit halber wird in der Arbeit nur jeweils die männliche Form genannt, es sind jedoch im- mer beide Geschlechter gemeint. 1 Vgl. zu dieser sogenannten Dreistufigkeit des Schweizer Bürgerrechts Kapitel 3.1 2 Werner Baumann, S. 558. 3 vgl. statt vieler Fleiner/Giacometti, S. 190; Etienne Grisel, in: Kommentar aBV, N 57 zu Art. 44 aBV. 4 vgl. wiederum Fleiner/Giacometti, S. 190; Etienne Grisel, in: Kommentar aBV, N 57 zu Art. 44 aBV. 5 vgl. zur Begründung dieser Rechtsprechung Kapitel 4.1.1 und 4.1.2 5
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch 3 Das Schweizer Bürgerrecht und die ordentliche Einbürgerung Um die Fragen zu verstehen, die sich im Rahmen der These einer Verrechtlichung der ordentlichen Einbürgerung stellen, werden im folgenden Kapitel grundsätzliche Aspekte rund um das Schweizer Bürgerrecht aufgezeigt. Ergänzend werden wichtige Aspekte, die sich auf die ordentliche Einbürgerung beziehen, kurz dargelegt. Zusätzlich wird der genaue Verlauf einer Einbürgerung, von der Einreichung des Gesuchs bis zum definitiven Erwerbs des Schweizer Bürgerrechts, am Beispiel des Kantons Luzern beschrieben. 3.1 Das Schweizer Bürgerrecht Beim Erwerb des Schweizer Bürgerrechts wird in der Schweiz vom Grundsatz des ius sanguinis ausge- gangen, also von der Abstammung oder anders ausgedrückt der Blutsverwandtschaft.6 Man kann das Schweizer Bürgerrecht so von Gesetzes wegen, d.h. durch die Abstammung oder Adoption, erlangen. Neben diesem Erwerb kann das Bürgerrecht auch durch Einbürgerung erlangt werden. Es gibt drei unterschiedliche Einbürgerungsarten: Liegen keine speziellen Voraussetzungen vor, muss der Bewer- ber ein Gesuch um ordentliche Einbürgerung stellen. Daneben gibt es die Wiedereinbürgerung, also die Einbürgerung von Bürgern, die das Schweizerbürgerecht bereits besassen, und die erleichterte Einbürgerung, die hauptsächlich für Ehegatten von Schweizern oder Schweizerinnen gilt. 7 Thema der vorliegenden Arbeit ist allein die ordentliche Einbürgerung. Eine Eigenart des Schweizer Bürgerrechts besteht darin, dass es in das Gemeindebürgerrecht, das Kan- tonsbürgerrecht und in das Schweizer Bürgerrecht zerfällt: Jeder Schweizer gehört drei Gemeinwesen an: der Gemeinde, dem Kanton und dem Bund. Die drei Bürgerrechte sind untrennbar miteinander verbunden8, d.h. der Erwerb des Schweizer Bürgerrechts ist nur zusammen mit dem Erwerb des Ge- meinde- und Kantonsbürgerrechts möglich. Das Verfahren zur Erlangung des Schweizerbürgerrechts ist in den Kantonen unterschiedlich geregelt. Gemeinsam ist all diesen Regelungen, dass zunächst das Gemeindebürgerrecht zugesichert oder erteilt werden muss. Anschliessend holt die jeweils zuständige kantonale Behörde die Bundesbewilligung ein. Diese stellt eine blosse Rahmenbewilligung dar, welche bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen9 ohne weiteres erteilt wird. Erst wenn die Zusicherung der Gemeinde und die Bundesbewilligung vorliegen, kann die Aufnahme ins Kantonsbürgerrecht erfol- gen. Dieser Entscheid obliegt je nach Kanton entweder einer Verwaltungsbehörde10 oder dem Kan- tonsparlament.11 Erst mit dem Entscheid über die Erteilung des Kantonsbürgerrechts verfügt der Bür- gerrechtsbewerber über das volle "dreiteilige" Schweizerbürgerrecht. Mit dem Erwerb des Bürgerrechtes erhält der Gesuchsteller Rechte, aber auch Pflichten, die er erfül- len muss. Zu den wichtigsten Rechten gehören die Niederlassungsfreiheit, das Verbot, aus der Schweiz ausgewiesen zu werden, und das Stimm- und Wahlrecht. Zu den Pflichten gehört beispielsweise die Militärpflicht der Männer. Auch Ausländer haben Rechte, wenn auch nicht die mit der Rechtsstellung als Schweizerbürger ver- bundenen besonderen Rechte. Dabei sind im Rahmen der Fragestellung der Arbeit namentlich die Grundrechte gemäss der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101.0; BV) wie z.B. Menschenwürde, Rechtsgleichheit, Recht auf Ehe und Familie, Glaubens- und Gewissensfreiheit etc. zu nennen, die nicht nur den Schweizern, sondern grundsätzlich auch allen Ausländern zustehen, die in der Schweiz leben. Im Zusammenhang mit der Einbürgerung von beson- derer Bedeutung sind dabei das Diskriminierungsverbot gemäss Art 8 Abs. 2 BV und die allgemeinen Garantien für Verfahren vor Behörden und Gerichten gemäss Art. 29 BV. 6 Häfelin/Haller/Keller, S. 384. 7 Häfelin /Haller /Keller, S. 385. 8 Art. 37 Abs. 1 BV: "Schweizerbürgerin oder Schweizerbürger ist, wer das Bürgerrecht der Gemeinde und das Bürgerrecht des Kantons besitzt". 9 Vgl. dazu Art. 14 f. BüG sowie unten 3.2. 10 So im Kanton Luzern; vgl. unten 3.3. 11 So etwa im Kanton Aargau und im Kanton Basel-Landschaft. 6
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch 3.2 Die ordentliche Einbürgerung auf Bundesebene Auf Bundesebene sind im Bundesgesetz vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (SR 141.0; BüG) für die ordentliche Einbürgerung einige Mindestvorschriften festgehalten. Dazu gehört die „Eignung“ nach Art. 14 BüG. Der Gesuchsteller muss in die schweizeri- schen Verhältnisse eingegliedert sein, mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Ge- bräuchen vertraut sein, die schweizerische Rechtsordnung beachten und er darf die innere oder äus- sere Sicherheit der Schweiz nicht gefährden.12 Zu dieser Eingliederung werden in der Praxis überall auch die Kenntnisse einer Landessprache, in der Regel der Sprache des Wohnsitzes, gezählt, da zur Integration gewisse Kenntnisse einer Landessprache notwendig sind. Des Weiteren muss ein Ausländer eine bestimmte Zeit in der Schweiz gelebt haben, bevor er ein Ge- such stellen kann. Dieses Wohnsitzerfordernis ist in Art. 15 BüG geregelt. Das Wichtigste für die or- dentliche Einbürgerung ist, dass der Gesuchsteller während insgesamt zwölf Jahren in der Schweiz gewohnt haben muss, wovon drei in den letzten fünf Jahren vor Einreichung des Gesuches; die Jahre zwischen dem vollendeten zehnten und zwanzigsten Lebensjahr werden doppelt gezählt.13 Neben diesen Bedingungen auf Bundesebene kann jeder Kanton noch eigene Bedingungen aufstellen, wie das der Kanton Luzern zum Beispiel in § 12a des Bürgerrechtsgesetzes des Kantons Luzern vom 21. November 1994 (BüG-LU; SRL 2) getan hat. Danach muss der Bürgerrechtsbewerber, um überhaupt ein Gesuch stellen zu können, in den fünf Jahren vor dem Einreichen des Gesuchs mindesten drei Jah- re in der Einbürgerungsgemeinde gewohnt haben. 3.3 Der Ablauf der ordentlichen Einbürgerung im Kanton Luzern Da das Verfahren von Kanton zu Kanton unterschiedlich ist, wird der Verfahrensablauf am Beispiel des Kantons Luzern aufgezeigt. Ein Ausländer muss sein Gesuch mit allen Unterlagen auf der Wohnsitzgemeinde einreichen. Der Ge- meinderat14 prüft dann, ob die Anforderungen der Gemeinde, des Kantons und des Bundes erfüllt sind. Erachtet der Gemeinderat die Anforderungen als erfüllt, erstellt er einen Einbürgerungsbericht15 und beantragt der Gemeindeversammlung, in grösseren Gemeinden dem Gemeindeparlament oder einer durch die Gemeinde geschaffenen Einbürgerungskommission16, dem Bewerber das Gemeinde- bürgerrecht zuzusichern. Erachtet der Gemeinderat die Voraussetzungen als nicht erfüllt, wird dem Bewerber in der Regel nahe gelegt, sein Gesuch zurückzuziehen. Besteht der Bewerber auf der Be- handlung, stellt der Gemeinderat dem zuständigen Gemeindeorgan (Gemeindeversammlung, Ge- meindeparlament oder Einbürgerungskommission) Antrag auf Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs. Erteilt die Wohnsitzgemeinde das Gemeindebürgerrecht, werden die Unterlagen dem Justiz- und Si- cherheitsdepartement mit allen Gesuchsunterlagen zugestellt.17 Das innerhalb des Justiz- und Sicher- heitsdepartements für die Behandlung von Bürgerrechtsangelegenheiten zuständige Amt für Gemein- den prüft das Gesuch nochmals. Fällt der Entscheid zur Erteilung des Kantonsbürgerrechts positiv aus, beantragt das Amt für Gemeinden die Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung beim dafür zuständigen Bundesamt für Migration. Liegt auch die Bundesbewilligung vor, erteilt das Amt für Gemeinden das Kantonsbürgerrecht. Der Gesuchsteller erhält im Kanton Luzern also zuerst das Ge- meindebürgerrecht, dann das Bundesbürgerrecht und schliesslich das Kantonsbürgerrecht.18 12 Art. 14 lit. a – d BüG. 13 Art. 15 Abs. 1 und 2 BüG. 14 Vgl. § 1 der Verordnung vom 9. Mai 1995 zum Bürgerrechtsgesetz (VO-BüG-LU). Die Bestimmung steht unter dem Vorbe- halt, dass die Gemeinde dies nicht anders regelt. Vgl. dazu hinten 5.1. 15 Vgl. § 3 Abs. 1 BüG-LU. 16 Vgl. § 30 Abs. 1 lit. a sowie Abs. 2 BüG-LU. Die Möglichkeit, die Zuständigkeit zur Einbürgerung an eine Einbürgerungskom- mission zu übertragen, wurde neu mit der Revision des Gesetzes vom 28. April 2008 (in Kraft seit 1. August 2008 geschaf- fen.) Siehe dazu Kapitel 5.1. 17 Vgl. § 4 Abs. 3 BüG-LU. 18 Vgl. § 10 BüG-LU. 7
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch 4 Die Entwicklung im Bereich der ordentlichen Einbürgerung auf Bundesebene von 2003 bis heute Im anschliessenden Kapitel wird die Entwicklung im Bereich der ordentlichen Einbürgerung aufgezeigt. Da sich mit und seit den beiden Bundesgerichtsentscheiden vom 9. Juli 200319 vieles verändert hat, wird ab diesen zwei Entscheiden die Entwicklung dargelegt. Die erläuterten Veränderungen beziehen sich hauptsächlich auf die Bundesebene. Dabei werden Bemühungen der Legislative sowie der Exeku- tive aufgezeigt und erklärt, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf den Rechtscharakter der ordentlichen Einbürgerung hatten. 4.1 Die zwei Bundesgerichtsentscheide vom 9. Juli 2003 Da sich seit den beiden Bundesgerichtsentscheiden vom 9. Juli 2003 vieles geändert hat, werden diese im Folgenden erläutert und es wird erklärt, wieso diese für die Weiterentwicklung im Bereich des Schweizer Bürgerrechtes enorm bedeutungsvoll waren. In den beiden Entscheiden ging es hauptsäch- lich um die Frage, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, über Einbürgerungsgesuche an der Urne ab- stimmen zu lassen. Das Bundesgericht prüfte, ob die Grundrechte der Bürgerrechtsbewerber bei dem Entscheid an der Urne verletzt werden, aber auch, wie der Anspruch der Stimmbürger auf Wahrneh- mung ihrer politischen Rechte mit den Rechten der Bürgerrechtsbewerber vereinbart werden kann. Die beiden Bundesgerichtsentscheide waren zwar sehr zentral und hatten auch grosse Auswirkungen, jedoch war die Veränderung, die durch sie angestossen wurde, eine langsame. Die beiden Entscheide vom Juli 2003 stellten keinen Bruch in der Praxis des Bundesgerichtes dar, sondern eine folgerichtige Weiterentwicklung. Deshalb wird auch kurz die Vorgeschichte erläutert. In den beiden Entscheiden vom 9. Juli 2003 spielen einige in der Bundesverfassung verankerte Grund- rechte eine zentrale Rolle. Von besonderer Bedeutung ist auch der Konflikt dieser Grundrechte mit politischen Rechten der Stimmbürger. Zunächst werden daher die betroffenen Grundrechte erläutert. Anschliessend wird darauf eingegangen, inwiefern diese Grundrechte in Konflikt mit politischen Rech- ten geraten können (unten 4.1.1). An diese Ausführungen schliesst sich eine kurze Vorgeschichte zu den beiden Entscheiden (unten 4.1.2), bevor diese selbst dann erläutert werden (4.1.3). 4.1.1 Die Grundrechte und mögliche Konflikte zwischen Grundrechten und politischen Rechten a) Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) Gemäss Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psy- chischen Behinderung. Um das Grundrecht des Diskriminierungsverbots zu verstehen, muss man sich zuerst darüber im Kla- ren sein, was man überhaupt unter Diskriminierung versteht und wann sie vorliegt. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person in einer vergleichbaren Situation ungleich behandelt wird und dadurch für die betroffene Person eine Benachteiligung entsteht20 oder aber wenn eine Per- son ungleich behandelt wird auf Grund einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die historisch und in der gegenwärtigen Wirklichkeit oft ausgegrenzt oder minderwertig behandelt wird.21 Der Schutz vor Diskriminierung ist in der Schweiz in der Bundesverfassung als Grundrecht verankert und gilt daher nicht nur für Schweizer Bürger, sondern auch für Ausländer in einem Einbürgerungsver- fahren. In Art. 8 Abs. 2 BV werden verschiedene Kriterien aufgelistet, weswegen nicht diskriminiert werden darf, nämlich: Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter, Sprache, soziale Stellung, Lebensform, reli- giöse, weltanschauliche oder politische Überzeugung sowie eine körperliche, geistige oder psychische 19 BGE 129 I 217 (Einbürgerungsentscheide Emmen) und BGE 129 I 232 (SVP-Volksinitiative Zürich). 20 Rainer J. Schweizer, in: Kommentar BV, Art. 8 N 46. 21 BGE 129 I 217 E. 2.1 S. 223. 8
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch Behinderung.22 Diese Liste ist, wie in der Verwendung des Wortes „namentlich“ zum Ausdruck kommt, nicht abschliessend, sondern offen. Wenn jemand aufgrund eines Merkmals, das nicht in der Liste enthalten ist, diskriminiert wird, ist das auch unzulässig. Es muss aber nicht notwendigerweise eine Diskriminierung vorliegen, wenn eine Differenzierung auf Grund eines der genannten Kriterien oder eines anderen Kriteriums vorgenommen wird. Solche Ungleichbehandlungen vor dem Gesetz unterlie- gen jedoch einer besonderen qualifizierten Begründungspflicht.23 Man kann daher Diskriminierung auch als eine starke Benachteiligung einer Person ohne eine sachliche und rechtfertigende Begrün- dung definieren.24 Unzulässige Diskriminierungen sind auch in der Form der sogenannten indirekten Diskriminierung denkbar und verfassungsrechtlich unzulässig. Eine indirekte Diskriminierung zeichnet sich dadurch aus, dass auf den ersten Blick gar keine Diskriminierung vorliegt, indem eine Bestimmung neutral gefasst wird, sodass es so aussieht, als ob sie für alle gleich wirken würde. Die Bestimmung wirkt sich aber praktisch nur für bestimmte Menschen aus und wirkt auf diese Weise - trotz des neutralen Wortlauts, der an kein besonderes Merkmal eines Menschen anknüpft - diskriminierend.25 Gegen Diskriminierungen durch kommunale oder kantonale Behörden, wie sie beim Einbürgerungs- verfahren vorkommen können, kann Beschwerde an das Bundesgericht eingereicht werden.26 b) Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) Nach Art. 29 Abs. 2 BV hat jeder Anspruch auf rechtliches Gehör. Das bedeutet, dass jeder, der in ei- nem gerichtlichen Verfahren ist, das Recht hat, sich ausreichend zu informieren bzw. ausreichend über den Gegenstand und den Verlauf des Verfahrens orientiert zu werden. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör gehört - wie schon der Name sagt - insbesondere aber auch das Recht, sich vor einem Entscheid zur Sache äussern und Anträge zum Verfahren und zur Sache stellen zu können. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör zählt auch das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakten.27 Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung ausserdem wiederholt festgehalten, dass aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör auch die Begründungspflicht hervorgeht.28 Erst durch eine Begrün- dung wird ein behördlicher oder gerichtlicher Entscheid für den Bürger nachvollziehbar. Ausserdem ist die Begründung sehr wichtig, wenn man einen Entscheid anfechten will. Erst die Begründung macht es möglich, sich in einer Beschwerde mit dem Entscheid auseinanderzusetzen, indem man versucht zu zeigen, warum er falsch ist.29 c) Willkürverbot ( Art. 9 BV) „Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden“ (Art. 9 BV). Nach dem Bundesgericht ist ein Entscheid dann willkürlich, wenn er "grob unrichtig ist", sich „nicht auf ernsthafte, sachliche Gründe stützen lässt oder sinn- und zwecklos ist“.30 Ein Entscheid ist nicht schon dann willkürlich, wenn die Begründung willkürlich ist. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Entscheid vielmehr erst dann willkürlich, wenn er im Ergebnis unhaltbar ist.31 Das Bundesgericht 22 Art 8 Abs. 2 BV. 23 Rainer J. Schweizer, in: Kommentar BV, Art. 8 N 44. 24 vgl. BGE 129 I 217 E. 2.1 S. 224. 25 Rainer J. Schweizer, in: Kommentar BV, Art. 8 N 46. Als Beispiel kann etwa die Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftig- ten gegenüber Vollzeitbeschäftigten genannt werden. Da auch heute noch überwiegend Frauen eine Teilzeitbeschäftigung ausüben, wirkt sich eine unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten vor allem zu Lasten der Frauen aus, obwohl das verwendete Kriterium (Teilzeitbeschäftigung) an sich neutral ist. 26 BGE 129 I 217 E. 1.1 S. 220. 27 Gerold Steinmann, in: Kommentar BV, Art. 29 N 24 f. 28 BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236 f.; Gerold Steinman, in: Kommentar BV, Art. 29 N 27. 29 Gerold Steinmann, in: Kommentar BV, Art. 29 N 27. 30 Christoph Rohner, in: Kommentar BV, Art. 9 N 4 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung. 31 Christoph Rohner, in: Kommentar BV Art. 9 N 5. 9
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch überprüft auf Beschwerde hin daher nicht nur, ob die Begründung, mit welcher entschieden wurde, willkürlich ist. Selbst wenn dies der Fall ist, der Entscheid aber willkürfrei begründet werden kann, hebt das Bundesgericht den Entscheid nicht auf, sondern lässt ihn bestehen. Zu einer Aufhebung kommt es nur, wenn sich die willkürliche Begründung nicht durch eine willkürfreie Begründung erset- zen lässt, der angefochtene Entscheid somit im Ergebnis willkürlich ist. Den Schutz vor Willkür kann man als „Auffanggrundrecht“ bezeichnen, das dann greift, wenn ein rechtliches Interesse nicht mit einem spezifischen Grundrecht abgedeckt wird.32 Da Art. 9 BV grund- sätzlich alle Sachgebiete abdeckt, ist das Willkürverbot daher „nicht sachhaltig“ sondern „rechts- und gerechtigkeitshaltig“.33 Beim Willkürverbot besteht in verfahrensrechtlicher Hinsicht mit Bezug auf die Geltendmachung einer Verletzung dieses Grundrechts vor Bundesgericht eine – für die Betroffenen schwerwiegende – ver- fahrensrechtliche Besonderheit: Anders als bei anderen Grundrechten, deren Verletzung immer beim Bundesgericht mit Beschwerde gerügt werden kann, kann nach der bundesgerichtlichen Rechtspre- chung eine Verletzung des Willkürverbots nicht allein gerügt werden. Damit das Bundesgericht eine entsprechende Rüge bzw. Beschwerde behandelt, muss das Gesetz, dessen willkürliche Anwendung gerügt wird, dem Bürger einen Rechtsanspruch einräumen, d. h. den Schutz seiner Interessen bezwe- cken. Mit anderen Worten: Besteht kein Anspruch auf Gewährung eines bestimmten Rechts, kann der Bürger sich nicht beim Bundesgericht darüber beschweren, wenn ihm eine Behörde das betreffende Recht mit einer willkürlichen Begründung verweigert. Besteht hingegen ein Rechtsanspruch und wur- de das Gesetz willkürlich angewendet, kann man sich dagegen mit Beschwerde ans Bundesgericht zur Wehr setzen. 34, 35 Das Bundesgericht wurde bezüglich dieser Einschränkung des Beschwerderechts oft von verschiede- nen Seiten kritisiert. Dabei wurde vorgebracht, es sollte möglich sein, stets eine Verletzung des Will- kürverbots gelten zu machen, d. h. auch dann, wenn der Bürger keinen spezifischen Rechtsanspruch hat, sonst würden Wortlaut und Grundrechtscharakter von Art. 9 BV verkannt.36 Am 20. März 2007 hat das Plenum des Bundesgerichts, d.h. die Vollversammlung aller Bundesrichter darüber beraten, ob die restriktive Rechtsprechung geändert werden soll. Eine Änderung der Rechtsprechung wurde mit 20 zu 19 Stimmen abgelehnt, sodass das Bundesgericht auch heute noch an seiner restriktiven Praxis in Be- zug auf die Geltendmachung von Verletzungen des Willkürverbots festhält.37 d) Konflikt zwischen den politischen Rechten der Stimmbürger und den Grundrechten der Ge- suchsteller Wenn die Stimmberechtigten den Entscheid über eine Einbürgerung an der Urne treffen, kann ein Konflikt zwischen den politischen Rechten der Abstimmenden und den Grundrechten der Gesuchstel- ler entstehen. Nach Art. 34 BV haben die Stimmberechtigten das Recht auf freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe, die durch die Gewährleistung der politischen Rechte gegeben sind.38 Die politischen Rechte gewährleisten damit, wenn es um Abstimmungen über Einbürgerungsgesuche geht, dass jeder nach seinem freien Willen über das Gesuch abstimmt. Dementsprechend muss auch niemand Rechenschaft darüber ablegen, welche Gründe und Motive ihn zu seiner Entscheidung ge- führt haben. Auf der anderen Seite haben aber die Personen, die sich einbürgern lassen wollen, An- spruch darauf, dass ihre Grundrechte beim Entscheid über ihr Einbürgerungsgesuch geachtet werden, 32 Christoph Rohner, in: Kommentar BV Art. 9 N 15. 33 Christoph Rohner, in: Kommentar BV, Art. 9 N 13. 34 BGE 129 I 217 E. 1.3 S. 221. 35 Felix Uhlmann bezeichnete das Willkürverbot als eine „Verweisnorm auf die geltende Rechtsordnung“ (vgl. Uhlmann, Rz 531 ff.). 36 Christoph Rohner, in: Kommentar BV, Art. 9 N 25. 37 BGE 133 I 185; vgl. dazu Christoph Rohner, in: Kommentar BV, Art. 9 N 29. 38 „Die politischen Rechte sind gewährleistet. Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe“ (Art. 34 Abs. 1 und 2 BV). 10
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch namentlich der Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung sowie der Anspruch auf rechtliches Gehör und die damit verbundene Begründungspflicht.39 e) Konflikt zwischen politischem Recht der Stimmbürger bzw. der Informationspflicht und dem Recht auf Privatsphäre der Gesuchsteller Die Stimmbürger haben das Recht auf freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe und müssen daher im Vorfeld Zugang zu Informationen haben, um ihre eigene Meinung zu bilden. In klei- nen Gemeinden, wo man sich gegenseitig kennt, kann man sich persönlich ein Bild von den Ge- suchstellern machen, doch in grossen Gemeinden müsste die Behörde ein detailliertes Persönlich- keitsprofil abgeben40, damit sich jeder Stimmbürger ein Bild über den Bürgerrechtsbewerber machen kann. Dies würde jedoch die Privatsphäre der betroffenen Gesuchsteller verletzen. Nach Art. 13 BV hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-Post- und Fernmeldeverkehrs und Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.41 Man könnte also nur Daten veröffentlichen, die diese Privatsphäre nicht verletzen. Das würde aber wiederum für die Menschen, die abstimmen, nicht genügen, um sich ein konkretes Bild von der Person zu machen, und die Gefahr, dass sie willkürlich oder diskriminierend entscheiden, wäre sehr gross.42 4.1.2 Die Vorgeschichte zu den Entscheiden des Bundesgerichts vom 9. Juli 2003 Früher wurde der Entscheid über die Einbürgerung eines Bürgerrechtsbewerbers grundsätzlich als politischer Akt43 angesehen, den die Stimmbürger - wie den Entscheid über irgendein anderes politi- sches Geschäft44- fällen. Immerhin sahen einige Autoren, dass es dabei nicht um einen Beschluss über ein Gesetz (das grundsätzlich für eine unbegrenzte Menge von Personen und Fällen gilt) ging, sondern um einen Entscheid in einem Einzelfall.45 Man war sich aber einig, dass die Bürger nach freiem Ermes- sen über Einbürgerungsgesuche entscheiden können. Dieser Auffassung der Einbürgerung als politi- schem Akt entsprach es, dass man davon ausging, ablehnende Entscheide über Einbürgerungsgesuche könnten nicht vor Gericht angefochten werden. 1988 präzisierte das Bundesgericht seine Praxis zum Willkürverbot. In einem Entscheid, der mit Ein- bürgerungen nichts zu tun hatte46, stellte das Bundesgericht fest: Wer keinen Rechtsanspruch in der Sache hat, kann sich nicht über eine willkürliche Behandlung beschweren. Insofern wurde nichts geän- dert. Aber: Wenn jemand - auch wenn er keinen Anspruch hat - an einem Verfahren teilnimmt, dann kann er sich zum einen darüber beschweren, dass Verfahrensrechte, die ihm zustehen - so insbeson- dere der Anspruch auf rechtliches Gehör - verletzt worden seien. Ausserdem kann er zwar keine Ver- letzung des Willkürverbots geltend machen, er kann aber geltend machen, andere Grundrechte, die ihm zustehen - so insbesondere das Diskriminierungsverbot oder auch der Anspruch auf Achtung der Privatsphäre - seien im Verfahren verletzt worden. Damit waren eigentlich zwei Dinge klar: Der Entscheid über die Einbürgerung ist zwar ein politischer Entscheid, aber doch (auch) ein Verwaltungsakt, mit dem über eine Einzelperson entschieden wird. Ob ein solcher Entscheid bei einem Gericht angefochten werden kann, war damit noch nicht sicher. Falls 39 BGE 129 I 217 E. 2.2.1 und 2.2.2 S. 225. 40 BGE 129 I 232 E. 4.3.2 S. 246. 41 : „Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten“ (Art. 13 Abs. 1 und 2 BV). 42 BGE 129 I 232 E. 4.4.1 S. 247. 43 so ausdrücklich noch Baumann, S. 558. 44 z.B. Entscheid über den Neubau eines Schulhauses, Entscheid über den Kredit für den Bau einer neuen Strasse, Entscheid über ein Feuerwehrreglement, ein neues Baureglement etc. 45 So nennen Fleiner/Giacometti, S. 190, und Grisel, N 57 zu Art. 44 aBV, den Entscheid ausdrücklich einen Verwaltungsakt. 46 Konkret ging es um die Beschränkung von Aufenthaltsbewilligungen von Tänzerinnen im Sexgewerbe (vgl. BGE 114 Ia 307). 11
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch das möglich sein sollte, könnte ein abgewiesener Bürgerrechtsbewerber zwar nicht geltend machen, er sei willkürlich behandelt worden (weil er ja keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung hat). Er könnte aber geltend machen, sein Verfahrens(grund)recht auf rechtliches Gehör sei verletzt worden. Ausser- dem könnte er sich auch darüber beschweren, er sei diskriminiert worden und/oder sein Recht auf Privatsphäre sei verletzt worden. 4.1.3 Die wichtigsten Erwägungen des Bundesgerichtes in den beiden Entscheiden a) Bundesgerichtsentscheid zur SVP Zürich Initiative (BGE 129 I 232) Am 5. Oktober 1999 reichte die SVP der Stadt Zürich ihre Volksinitiative „Einbürgerung vors Volk!“ ein. Damit wollte sie erreichen, dass in Zukunft über alle Einbürgerungsgesuche in der Stadt Zürich eine Volksabstimmung durchgeführt werden muss.47 Der Gemeinderat von Zürich erklärte die Initiative am 17. Januar 2001 für ungültig. Daraufhin erhob die SVP der Stadt Zürich Beschwerde an den Bezirksrat Zürich. Die Beschwerde hatte Erfolg. Der Bezirksrat wies den Stadtrat und den Gemeinderat an, die Initiative vor das Volk zu bringen. Gegen diesen Entscheid erhob der Gemeinderat Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Dieser hiess die Beschwerde am 13. November 2002 gut, woraufhin die SVP der Stadt Zürich gegen diesen Beschluss Stimmrechtsbeschwerde an das Bundesgericht ein- reichte und forderte, dass die Initiative vors Volk komme.48 Das Bundesgericht führte in seinem Entscheid zunächst aus, dass man früher der Ansicht gewesen sei, die Einbürgerung sei ein rein politischer Akt und es bestehe auch kein Rechtsanspruch auf Einbürge- rung, somit auch kein Recht auf eine Begründung.49 Heute sei man jedoch vermehrt der Ansicht, dass bei der Einbürgerung ein Anspruch auf eine Begründung bestehe, wenn der Entscheid negativ ausfalle. Jedoch sei nicht klar, wie diese Begründung auszusehen habe. Einige fänden, man könne eine Begrün- dung nachträglich durch eine Behörde abgeben. Andere wiederum seien der Ansicht, dass bei der Urnenentscheidung über eine Einbürgerung generell eine Begründung nicht möglich sei und daher Urnenentscheide nicht zulässig seien. Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, dass die Einbürgerung heute kein Entscheid mehr in einem rechtsfreien Raum ist. Auch wenn kein Anspruch auf Einbürge- rung besteht, wird doch in solchen Verfahren über den rechtlichen Status von Einzelpersonen ent- schieden. Es handelt sich somit um ein Verfahren, bei dem die Einzelperson, die ein Gesuch gestellt hat, auch hinreichend geschützt sein muss. Das Persönlichkeitsrecht, unter anderem im Bereich der persönlichen Daten, aber auch der Schutz vor Diskriminierung und Willkür müssen aufrecht erhalten werden. Für das Bundesgericht ist die Einbürgerung ein Akt der Rechtsanwendung. Ein ablehnender Entscheid ist anfechtbar und es gelten die allgemeinen Verfahrensgarantien nach Art. 29 BV und die übrigen Grundrechte.50 Da der Entscheidungsfreiraum in den Gemeinden relativ gross ist, ist das Bundesgericht der Ansicht, dass die Ansprüche an Begründungen relativ hoch sein müssen, damit die abgelehnte Person die Ent- scheidung nachvollziehen und auch sachgemäss anfechten kann.51 Eine Begründung ist also notwendig. Die Frage ist nun, wie diese gegeben werden kann und ob dies bei Urnenabstimmungen möglich ist. 1. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Begründung nach der Urnenabstimmung von einem separaten Organ, wie z.B. einem Büro oder einer Dienststelle gegeben wird. Diese stützt sich auf Informationen vor dem allgemeinen Entscheid, wie eine Diskussion oder Flugblätter oder Leserbriefe. In einer so grossen Gemeinde wie Zürich ist eine öffentliche Diskussion unmög- lich. Auch die Leserbriefe oder dergleichen können nicht ausreichen, da sie nicht die Meinung von alle Stimmenden vertreten, vor allem weil es ganz unterschiedliche Gründe für die Ableh- 47 Für ordentliche Einbürgerungen ist in der Stadt Zürich der Gemeinderat, das Stadtparlament, zuständig. Die SVP wollte also eine Verschiebung vom Parlament zu einer Urnenabstimmung, an der alle Stimmberechtigten teilnehmen. 48 BGE 129 I 232 S. 233 f. 49 Besonders deutlich die vom Bundesgericht angeführte Meinung von Burckhardt, S. 218. 50 BGE 129 I 232 E. 3.3 S. 237 f. 51 BGE 129 I 232 E. 3.3. S. 239. 12
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch nung geben kann. Aus diesen Gründen müsste das zuständige Organ die Gründe mehr erraten. An die Stelle der von der Verfassung geforderten Begründung würde damit "ein Begründungs- surrogat treten, das lediglich die möglichen Gründe darlegt", die "mutmasslich zur Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs geführt haben".52 Eine solche Begründung taugt nicht als sachliche Begründung gemäss Art. 29 Abs. 2 BV.53 2. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, eine Diskriminierung zu verunmöglichen, sodass man auch keine Begründung braucht: Man gibt also in den Abstimmungsunterlagen keine In- formationen, die zu einer diskriminierenden Entscheidung führen können. Daher könnte man den sozialen Stand, die Herkunft, ja theoretisch sogar den Namen nicht nennen. Doch so könnte der Stimmbürger sich keine eigene Meinung bilden und nicht richtig abstimmen, was wieder nur Willkür wäre.54 Aufgrund dieser Überlegungen gelangte das Bundesgericht zum Ergebnis, dass Begründungen an Ur- nenabstimmungen nicht möglich seien. Anders verhält es sich jedoch gemäss dem Bundesgericht bei Gemeindeversammlungen. Wenn dort vor dem Entscheid eine heftige Diskussion stattfinde, könne der Gesuchsteller aus den Voten und auch aus dem Antrag des Gemeinderats die Gründe für seine Abweisung entnehmen. Bei dieser Art von Verfahren sei es somit - im Gegensatz zur Urnenabstim- mung - durchaus möglich, die verfassungsmässigen Garantien einzuhalten. Aufgrund der Verletzung der Begründungspflicht und dem Konflikt zwischen politischem Recht der Stimmbürger bzw. der Informationspflicht der Behörden und dem Recht auf Privatsphäre bzw. dem Schutz der Personendaten der Gesuchsteller erwies sich daher die Volksinitiative der SVP der Stadt Zürich als rechtswidrig. Die direkte Demokratie hat also Grenzen, wenn es um den Schutz der Rechte Einzelner geht.55 b) Bundesgerichtentscheid Fall Emmen (BGE 129 I 217) In der Gemeinde Emmen wurde am 12. März 2000 über 23 Einbürgerungsgesuche an der Urne abge- stimmt. Die acht Gesuchsteller aus Italien wurden alle angenommen, die restlichen Gesuchsteller, hauptsächlich aus dem ehemaligen Jugoslawien, wurden alle abgelehnt. Daraufhin erhoben fünf Ge- suchsteller am 11. April 2000 Gemeindebeschwerde an den Regierungsrat des Kantons Luzerns. Dieser trat auf die Beschwerde nicht ein, weil die Beschwerdefrist von 10 Tagen nicht eingehalten worden sei. Daraufhin erhoben die Gesuchsteller Beschwerde ans Bundesgericht. Dieses gelangte zum Schluss, die Beschwerde sei fristgemäss. Der Regierungsrat musste die Beschwerde also in der Sache behan- deln. In seinem zweiten Entscheid vom am 19. März 2002 tat er das, wies die Beschwerde aber als unbegründet ab. Daraufhin erhoben die Gesuchsteller am 23. April 2002 erneut Beschwerde ans Bun- desgericht.56 Das Bundesgericht stellte fest, dass kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung besteht. Dementsprechend trat es auf die Beschwerde nicht ein, soweit die Beschwerdeführer geltend gemacht hatten, die Ab- lehnung ihrer Einbürgerungsgesuche sei willkürlich.57 Das Bundesgericht behandelte die Beschwerde jedoch, soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des Diskriminierungsverbots geltend gemacht hatten. Ausserdem behandelte es die Beschwerde, so- weit die Beschwerdeführer geltend gemacht hatten, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt. Aus den Erwägungen des Bundesgerichtes: Bei Urnenabstimmungen ist zwar schwer zu ermitteln, ob eine Diskriminierung vorliegt, weil geheim abgestimmt wird und weil jeder Stimmbürger andere Gründe hat.58 In Emmen liegen aber klare Anzei- 52 BGE 129 I 232 E. 3.5 S. 241 f. 53 BGE 129 I 232 E. 3.5 S.241 f. 54 BGE 129 I 232 E. 3.6 S.242 f. 55 BGE 129 I 232 E. 5 S. 248. 56 BGE 129 I 217 S. 218f 57 BGE 129 I 217 E. 1.3 S. 221 f. 13
Maturaarbeit Die ordentliche Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch chen dafür vor, dass die Stimmbürger eine bestimmte Gruppe von Bürgerrechtsbewerbern diskrimi- nierten. Bereits die pauschale Ablehnung aller Gesuche von Bewerbern aus dem ehemaligen Jugosla- wien ist eine starkes Indiz dafür, dass die Herkunft der Personen für den Entscheid ausschlaggebend war. Dies war die einzige Gemeinsamkeit der Abgelehnten, denn es waren Personen mit unterschiedli- chen Berufen, Einkommen, Alter, Freizeitbeschäftigungen, Zivilstand etc..59 Stellt man dem Ergebnis der Bewerber aus dem ehemaligen Jugoslawien dasjenige der Bewerber aus Italien gegenüber, die alle eingebürgert wurden, so "lässt das Abstimmungsergebnis keinen anderen Schluss zu, als dass die Her- kunft der Bewerber das ausschlaggebende Kriterium für ihre Einbürgerung oder Nichteinbürgerung darstellte, und damit an ein nach Art. 8 Abs. 2 BV verpöntes Unterscheidungsmerkmal angeknüpft wurde".60 Ausserdem gelangte das Bundesgericht zum Ergebnis, mit der Urnenabstimmung über die Einbürge- rungsgesuche sei auch - systembedingt - das Erfordernis der Begründungspflicht und damit der An- spruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV der Beschwerdeführer verletzt. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der abgelehnten Gesuchsteller aus diesen Gründen (Verlet- zung des Diskriminierungsverbots, Verletzung der Begründungspflicht) gut und erklärte die Urnenab- stimmung als rechtswidrig. 4.1.3 Die Auswirkungen auf die Rechtsnatur und Reaktionen auf die Entscheide In den beiden Bundesgerichtsentscheiden kam das Bundesgericht zum Schluss, dass Urnenabstim- mungen rechtswidrig sind, da man sie nicht begründen kann. Man kann daher auch nicht prüfen, ob das Willkür- und Diskriminierungsverbot verletzt wurde, da die Abstimmung geheim abläuft und jeder Abstimmende eine andere Meinung haben könnte. Das Bundesgericht erklärte auch, dass die Einbür- gerung ein Verfahren ist und kein politischer Akt. Die Stimmbürger übernehmen eine Verwaltungs- funktion und müssen somit das geltende Recht vertreten und dazu beitragen, dass die Grundrechte verwirklicht werden. Die beiden Entscheide waren wichtig, weil das Bundesgericht der direkten Demokratie Grenzen ge- setzt hat, aber auch klar Schranken für die Kantone und Gemeinden bezüglich des Einbürgerungsver- fahrens. Auch hat das Bundesgericht den Rechtscharakter der Einbürgerung klar festgelegt, nämlich dass die Einbürgerung ein Rechtsanwendungsakt ist. Durch die Begründungspflicht wird die Einbürgerung verrechtlicht. Willkürliche und diskriminierende Entscheide sind zwar immer noch möglich, jedoch müssen sie sachgerecht begründet werden, was bei einem willkürlichen Entscheid schwierig werden könnte. Ausserdem weiss nun der Gesuchsteller, wie- so er abgelehnt worden ist, und kann den Entscheid auch sachlich anfechten. Die beiden Entscheide vom 9. Juli 2003 hatten viele Reaktionen zur Folge, vor allem in den Kantonen, die Entscheide über die Einbürgerung traditionell an der Urne vornahmen. Es wurden daher von eini- gen Kantonen Standesinitiativen eingereicht, die diese Entscheide rückgängig machen wollten. Auch die SVP reichte erneut eine Initiative für Einbürgerungen an der Urne ein. Auch auf Seiten der Legisla- tive kam einiges in Gang. In den anschliessenden Unterkapiteln werden einige der wichtigsten Reaktionen beschrieben und es wird erklärt, welche weiteren Auswirkungen diese hatten, auch auf den Rechtscharakter der Einbürge- rung. 58 BGE 129 I 217 S. 226 59 BGE 129 I 217 E. 2.3.1 S. 227 f. 60 BGE 129 I 217 E. 2.3.1 S. 228. 14
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