Einführung in die Erkenntnistheorie - Prof. Dr. Martin Kusch

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Einführung in die Erkenntnistheorie - Prof. Dr. Martin Kusch
Einführung in die Erkenntnistheorie

          Prof. Dr. Martin Kusch

                                      1
Einführung in die Erkenntnistheorie - Prof. Dr. Martin Kusch
Reader in der Facultas Buchhandlung

PowerPoint Folien und Tonbandaufnahmen:

http://homepage.univie.ac.at/martin.kusch/index.html

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Themen

(I)      Die Definition des Wissens und der Skeptizismus
(II)     Antworten auf den Skeptizismus
(III)    Fundamentalismus, Köhärenztheorie, Internalismus versus Externalismus
(IV)     Naturalisierte Erkenntnistheorie, Erkenntnistheorie der Tugenden
(V)      Definitionen, Fallstudien und der Relativismus in der Wissenschaftstheorie
(VI)     Relativismus und die Wissenschaftssoziologie
(VII)    Relativismus und Pragmatismus
(VIII)   Kritik des Relativismus I: Zirkularität und Nicht-Absolutheit
(IX)     Kritik des Relativismus II: Probleme mit dem Pluralismus
(X)      Kritik des Relativismus III: Das Problem und Argument des Kriteriums
(XI)     Kritik des Relativismus IV: Selbstwiderlegung und Unterbestimmtheit
(XII)    Kritik des Relativismus V: Semantische Fragen

In der letzten Woche Prüfung                                                          3
Einführung in die Erkenntnistheorie - Prof. Dr. Martin Kusch
(A) Galileo, Bellarmin, Priestley, Lavoisier

(B) Was ist Relativismus?

(C) Kuhns Revolutionen

(D) Feyerabend über Propaganda

(E)   Rorty zu Bellarmin

(F)   van Fraassen über Bekehrung

                                               4
Einführung in die Erkenntnistheorie - Prof. Dr. Martin Kusch
(A) Galileo, Bellarmin, Priestley, Lavoisier

(B) Was ist Relativismus?

(C) Kuhns Revolutionen

(D) Feyerabend über Propaganda

(E)   Rorty zu Bellarmin

(F)   van Fraassen über Bekehrung

                                               5
Einführung in die Erkenntnistheorie - Prof. Dr. Martin Kusch
Kardinal Roberto Bellarmin   Nikolaus Kopernicus   Galileo Galilei
        (1542-1621)              (1473–1543)       (1564-1642)

                                                                     6
Einführung in die Erkenntnistheorie - Prof. Dr. Martin Kusch
Geozentrismus   Heliozentrismus

                                  7
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Galileos Fernrohr und seine Zeich-
nungen der Mondoberfläche            8
Einführung in die Erkenntnistheorie - Prof. Dr. Martin Kusch
Epistemische Systeme und Prinzipien (Boghossian 2006)

   „Epistemische Systeme” bestehen aus „ep. Prinzipien”
                                                                 Paul Boghossian (1957- )

   Galileos Fernrohr ist ein zuverlässiges Instrument um über
    entfernte Gegenstände wahre Ü-en zu formen.

   Die New York Times ist eine zuverlässige Quelle über US-
    amerikanische Politik.

   Was Fridolin berichtet, ist in der Regel wahr.

                                                                                       9
 „Beobachtung“:

   „Für jede Beobachtungsproposition p gilt: Wenn S den visuellen Eindruck hat,
   dass p, und die Begleitumstände D bestehen, dann ist S prima facie berechtigt
   zu glauben, dass p.“

 „Deduktion”:
   „Wenn S gerechtfertigt ist, p zu glauben, und q recht offensichtlich aus p folgt,
   dann ist S gerechtigt zu glauben, dass q.”

 „Offenbarung“:

   „Bei bestimmten Propositionen p, einschließlich solcher über den Himmel, ist
   die Ü, dass p, prima facie gerechtfertigt, wenn p das offenbarte Wort Gottes ist,
   so wie es in der Bibel steht.“

                                                                                       10
Bellarmins ep. System                                                 Galileos ep. System

                                             Abgeleitete Prinzipien
Beobachtung

                                                                         Beobachtung
                          Offenbarung

                                            Fundamentale Prinzipien
              Deduktion

                                                                                       Deduktion
                                        …

                                                                                                   …
                                                                                                       11
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                12
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                13
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                14
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                15
Phlogiston

   Von “φλογιστός” – brennbar. Phlogiston ist das Prin-
    zip des Feuers.

                                                           Georg Ernst Stahl
   Verbrennung und Rosten sind Prozesse, in denen ein     (1659-1734)
    Metall seinen Phlogistongehalt verliert.

   Rosten ist langsames Verbrennen. Der umgekehrte Pro-
    zess ist möglich für Metalle und ihre „Kalksteine“:

             „Wiederbelebung” des Metalls.

                                                                       16
Verbrennung, Rosten

               Phlogiston

Metall
                                         Kalkstein

                     Wiederbelegung

                                                 Phlogiston

                                                              Metall
         Kalkstein
                      +     Phlogiston

                                                                       17
Marie-Anne
                   Lavoisier     Antoine-Laurent
                   (1758-1836)   Lavoisier (1743-
                                 1794)

Joseph Priestley
(1734-1804)

                                           18
Phlogiston

                                                     Metall
Kalk-
                      Holzkohle =
stein             +   Phlogiston    =

        Gewicht                     >    Gewicht

                                                              19
reine Luft

Kalk-                                                   reine Luft
                                         Metall                       fixierte
stein                                                  air
                                                        Gas von der   Luft
                     +   Holzkohle   =             +   Holzkohle

         Gewicht                     >   Gewicht

                                                                       20
 1785 Lavoisier präsentierte eine öffentl. Demonstration, um seine Ansicht zu
  belegen und zu zeigen, dass Präzisionsmessungen (mit neuen, komplizierten)
  Messinstrumenten einen genauen Vergleich der Gewichte ermöglichen.

 Der Analyseteil …
Ein entscheidendes Experiment?

                                                                       brennbare Luft
         Wasser-
         dampf
                                stark-erhitzter Gewehr-                Wasser
                                lauf mit Eisenspähnen

                                                          Sauerstoff

           Sauerstoff                                                  Kalkstein
Wasser
                                   Metall                  Metall
           Wasserst.        +                   =                      +     Wasserst.

            Gewicht     +        Gewicht            =      Gewicht     +       Gewicht
                                                                                         22
brennbare Luft
Wasser-
dampf
                    stark-erhitzter Gewehr-            Wasser
                    lauf mit Eisenspähnen

 1 Pfund Wasser:   0.86866273 Pfund Sauerstoff plus
                    0.13133727 Pfund Wasserstoff

                                                                        23
Erklärungen der Chemischen Revolution: „Kompositionismus”

    Kompositionismus:

        Chemische Substanzen sind „Elemente“ und „Verbindungen“;

        Verbindungen lassen sich mit Hilfe der Waage bestimmen.

    Prinziplismus:

        (imponderable) fundamentale „aktive Prinzipien” & „passive Substanzen“

  Wie entscheiden? Sie beruhen nicht auf Beweismaterial, sondern machen es
   möglich. Der Erfolg des einen spricht nicht direkt gegen den anderen.

                                                                           24
Die Aufteilung der Problemfelder in der Chem. Revolution

      Probleme wichtig für         ... nur wichtig für die     ... nur wichtig für die An-
      beide Seiten                 Phlogistonisten             hänger von Lavoisier

     Verstehen von Verbren-    Die Erklärung des Eigenschaf-
                                                               Theorie der Wärme und
     nung, Rosten, Wiederbe-   ten der Verbindung aufgrund
                                                               Zustandsveränderungen
     lebung, Atmung            der Bestandteile

      Theorie der Säuren         Mineralogie; Geologie              Chemie der Salze

                                      Meteorologie
       Struktur versch.
       Substanzen
                                   Ernährung; Ökologie

       „… man hatte gute Lösungen für die Probleme, die man für wichtig hielt.”
                                                                  (Chang, 2014)
25
   Lavoisiers Chemie offerierte französischen Chemikern eine neue
    Identität, getrennt von Pharmazie und gleichauf mit der Physik.

   Nicht ganz abzuweisen, dass dies half, um sich durchzusetzen.

   In England war die Chemie vor allem ein Hobby von Amateuren
    und Apothekern, ohne Verankerung an den Universitäten.

                                                                      26
(A) Galileo, Bellarmin, Priestley, Lavoisier

(B) Was ist Relativismus?

(C) Kuhns Revolutionen

(D) Feyerabend über Propaganda

(E)   Rorty zu Bellarmin

(F)   van Fraassen über Bekehrung

                                               27
Definitionsfragen

    Der Begriff „Relativismus” ist vage und vieldeutig – wie andere „Ismen“.

    X ist relativ auf Y

    X: Moralische / epistemische / ästhetische / metaphysische … Ü-en,
     Prinzipien, Werte

    Y: Individuum / Gruppe / Standpunkt / wiss. Gemeinschaft / Kultur …

                                                                                28
   Gemeinsames Element: das Bestreiten von Absolutheiten, abs. Wahrheiten

       ABS-en als Platonische oder religiöse Wahrheiten – „there anyway“

        -   Wie erreichen wir sie?
        -   Wie passen sie in ein naturalistisches Weltbild?

       ABS-en als was jede/r akzeptiert … oder akzeptieren sollte

        -   Aber was akzeptiert denn jede/r? Ist das nicht zufällig?
        -   Wenn „sollte“ ... woher kommen die Standards?

       ABS-en als die Ergebnisse der Wissenschaft

        -   Aber was ist mit wissenschaftlichen Revolutionen?
        -   Ist nicht Theoriewahl von kontingenten Faktoren beeinflusst?

                                                                             29
(1) Abhängigkeit: Eine Ü hat einen epistemischen Status nur relativ auf:

     (a) ein System epistemischer Prinzipien (=S), oder

     (b) ein Bündel von Präzedenzfällen (=B).

(2) Pluralismus: Es gibt, gab oder könnte geben, mehr als ein S bzw. B.

(3) Non-Absolutismus: Keines dieser S oder B ist absolut richtig.

                                                                           30
(4) Ausschließung: Für manche dieser S oder B gilt, dass sie einander aus-
    schließen, und zwar entweder:

     (a) weil sie auf gleiche Fragen (bzgl. des epistemischen Status einer be-
         stimmten Ü) einander widersprechende Antworten geben; oder

     (b) weil sie inkommensurable Handlungsformen involvieren.

                                                                                 31
(5) Bekehrung: Für manche dieser S / B gilt, dass sich der Wechsel von einem
    S / B zu einem anderen durch epistemische Argumente allein nicht erzwin-
    gen oder auch nur plausibilisieren lässt.

                                                                               32
(6) Symmetrie: Verschiedenen S oder B sind insofern symmetrisch
    zueinander:

    (a)   als sie alle ausschließlich auf lokalen Ursachen der Glaubwürdigkeit
          beruhen; und/oder

    (b) als es keine neutrale Methode gibt, sie sämtlich zu reihen; und/oder

    (c)   als sie alle gleichermaßen gültig sind; und/oder

    (a)   als sich für epistemische Subjekte die Frage der Beurteilung anderer
          als ihrer eigenen S oder B nicht sinnvollerweise stellt.

                                                                                 33
Absolutismus

                        Absolu-
                                            Normative epist. Wahr-
                        tes ES
                                            heiten – unabhängig da-
                                            von, ob es Menschen gibt.

                Bewertung    Anleitung      Platonisch?

                                            Für alle möglichen erken-
                                            nende Wesen gleich?
               Handlungen / Überzeugungen

                                            Oder spezifisch? Dann
                                            aber abgeleitet?

                                                               34
Absoluter Relativismus / Pragmatische Beeinträchtigung

                         Absolu-
                         tes ES
                                                         Stanley:
                           +
              Wert A     Wert B    Wert C
                                                         Es gibt keine epi-
                                                         stem. Systeme.

                                                         Dennoch nennt er sich ei-
                                                         nen epistem. Relativisten.

              H 1 / Ü1   H2 / Ü2   H3 / Ü3

                                                                              35
Absoluter Relativismus / à la Goldman

                                                   Goldman:
                      Absolu-
                      tes ES
                                                   Reale ES antizipieren
                                                   das absolute.

      Reales          Reales            Reales     Die Orientierung an ESi
        ES1             ES2               ES3      kann im Lichte des abs.
                                                   ES geboten sein.

                                                   Letztendliche epistem.
                                                   Rechtfertigung im Lich-
                                                   te des abs. Systems.

      H1 / Ü1          H 2 / Ü2         H 3 / Ü3                       36
Absoluter Relativismus / à la Boghossian              Boghossian: „Wenn in Rom ...“

                                                      Das absol. Prinzip könnte z.B. die
                                                      Bayesianische Formel sein.
                       Absolut.
                       Prinzip
                                                      ----------------------------------------

                                                      Boghossians Kritik:

      Reales           Reales              Reales
                                                      Wenn es ein absol. Prinzip gibt,
        ES1              ES2                 ES3
                                                      warum nicht auch viele?

                                                      Hier gibt der ER seine besten
                                                      Karten aus der Hand: wie pas-
                                                      sen absol. Normen in die phy-
                                                      sikalische Welt und wie kön-
                                                      nen wir sie wissen? (392-95)

      H1 / Ü1          H 2 / Ü2            H 3 / Ü3                                    37
Kompromissloser Relativismus / à la Barnes
und Bloor, Stich, Rorty, Feyerabend               Es gibt keine absoluten
                                                  Prinzipien oder Systeme.

                                                  Bei der Wahl des ES sind /
                                                  sollten sein / die prakti-
                                                  schen Ziele zentral (Stich,
                                                  Rorty, Feyerabend).

      Reales          Reales           Reales
                                                  Aber diese sind nicht un-
        ES1             ES2              ES3
                                                  bedingt bewusst. Auch
                                                  politische Interessen. (SSK)

                                                  Gemeinsamkeiten der ES
                                                  möglich. Aber diese sind
                                                  keine Absolutheiten; son-
                                                  dern kontingente Überein-
                                                  stimmungen.
      H1 / Ü1          H 2 / Ü2        H 3 / Ü3                         38
(A) Galileo, Bellarmin, Priestley, Lavoisier

(B) Was ist Relativismus?

(C) Kuhns Revolutionen

(D) Feyerabend über Propaganda

(E)   Rorty zu Bellarmine

(F)   van Fraassen über Bekehrung

                                               39
Thomas Kuhn
               (1922-1996)
                                       The Structure of Scientific Revolutions (1962)

 Normale               Krise                Revolu-                 Normale
 Wissen-                                    tion                    Wissen-
 schaft                                                             schaft

Paradigma1
                               „Vorbildhafte Leistung“ ... basaler als Regeln

                               Auch: „Matrix einer Disziplin“: geteilte Fest-
Artikulation                   legungen, Werte, Vorbilde ...
Puzzle-Lösen

Akkumulation

                                                                                 40
Normale      Krise        Revolu-   Normale
 Wissen-                   tion      Wissen-
 schaft                              schaft

Paradigma1   wichtige
             Anomalien

             Debatten um
             Grundsätze

             Entdeckung
             & Verlust
                                               41
Normale                    Krise         Revolu-       Normale
    Wissen-                                  tion          Wissen-
    schaft                                                 schaft

 Paradigma1                  wichtige        Paradigmen-   Paradigma2
                             Anomalien       wechsel

                                             Gestalt-
neue Institutionen, Rhetorik, unvereinba-    wechsel
re Lebensformen, „Inkommensurabilität“,
Geschichte wird ungeschrieben; die Wahl
beruht auf „nicht artikulierbaren ästheti-
                                              Zuwachs &
schen Gesichtspunkten“; knappe Entschei-
                                              Verlust
                                                                        42
dungen
Consider …the men who called Copernicus mad because he proclaimed that
the earth moved.

They were not either just wrong or quite wrong. Part of what they meant by
'earth' was fixed position. Their earth, at least, could not be moved.

Correspondingly, Copernicus' innovation was not simply to move the earth.

… it was a whole new way of regarding the problems of physics and astrono-
my, one that necessarily changed the meaning of both 'earth' and 'motion.'

Without those changes the concept of a moving earth was mad.”

                                                                             43
GESTALT-SWITCH

                 44
Gerald Doppelt, “Kuhn’s Epistemological Relativism” (1976)

    Der Kern: Spätere wissenschaftliche Theorien sind nicht rationaler,
     adäquater, umfassender und tiefer als ihre Vorgänger.

    Wiss. Rationalität entscheidet nicht eindeutig für / gegen Paradigmen.

    Die Standards sind Paradigma-intern. Jedes Paradigma definiert sich selbst
     aufgrund von Standards, die seine Leistungen favorisieren.

                                                                                  45
   Es braucht eine „Bekehrung“ zu einer neuen normativen Ansicht von den
    Zielen, Standards und Problemen der Disziplin.

   Die Wahl beruht auf Gründen, aber das Paradigma bestimmt ihr Gewicht.

   Menschen gleicher Vernünftigkeit können eine schuldlose Uneinigkeit haben.

                                                                                 46
   Kuhn zeigt, dass viele WissenschaftlerInnen das neue Paradigma auch schon
    unterstützen, während es weniger erklären kann, als das alte.

   Der Wechsel erfolgt, bevor zwingende Gründe vorliegen. Wir brauchen die
    Soziologie, um dies zu verstehen.

                                                                                47
(A) Galileo, Bellarmin, Priestley, Lavoisier

(B) Was ist Relativismus?

(C) Kuhns Revolutionen

(D) Feyerabend über Propaganda

(E)   Rorty zu Bellarmine

(F)   van Fraassen über Bekehrung

                                               48
Paul Feyerabend, Against Method (1976)

                                                       Feyerabend
                                                       (1924-1994)

    „Anything goes!” Keine „universalen Standards“.

                                                            49
   Durchsetzung der Kopernikanischen Hypothese verlangte eine Revision
    von vielen Theorien: Meteorologie, Optik, Theorie der Bewegung.

   Vor allem aber der Kognitionstheorie, welche eine einfache Beziehung
    zwischen Wahrnehmungen und physikalischen Objekten postulierte.

   Diese Theorien waren mit der Beobachtungssprache verschweißt. Dies
    ist der „historico-physiologische Charakter des Beweismaterials“.

                                                                           50
   Zum „Turm Argument”: Galileo identifiziert die „natürlichen Interpretationen“,
    die ihm zugrunde liegen: d.h. „Erscheinung plus Aussage“.

   Für Kopernikus macht der Stein eine „gemischte gerade-und-kreisförmige“ Be-
    wegung. Der Bezugsrahmen der Bewegung ist das Sonnensystem.

                                                                                 51
   Für das Gegenargument ist die Bewegung relativ auf das Bezugssystem des
    Wahrnehmenden. „Zwei verschiedene Begriffe von Bewegung ...“

   Der Kritiker setzt scheinbare und wirkliche Bewegung gleich – zumindest in
    paradigmatischen Fällen, wie dem Steinfall vom Turm.

                                                                                 52
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                53
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                54
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                55
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                56
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                57
Das Turm-Argument gegen die Bewegung der Erde

                                                58
   Galileo führt eine neue, hochabstrakte Beobachtungssprache ein. Und
    damit die „Relativität aller Bewegung“.

   Er benutzt dabei „Propaganda“, „psychologische Tricks“. Er „erfindet“
    eine neue „Erfahrung“.

   Das Beispiel des Zeichners auf dem Schiff. Die Bewegung seines Stifts
    lässt sich auf zwei Weisen, in zwei Bezugsrahmen, fassen.

   Damit sucht Galileo zu zeigen, dass schon der gesunde Menschenver-
    stand die Relativität der Bewegung akzeptiert. „Anamnese“!

                                                                            59
   Erfahrung kann uns nicht zwingen, Galileos Ansicht zu akzeptieren.

   Der Aristotelismus hatte seine eigene Wahrnehmungstheorie: keine
    Diskrepanz zwischen Beobachtungen und den beobachteten Dingen.

   Das Relativitätsprinzip wird auf zwei Weisen gestützt:

       Es harmoniert mit Kopernikus‘ Theorie: das ist ad hoc.

       Es entspricht dem Common Sense. Das ist Propaganda.

                                                                         60
Galileos Fernrohr und seine Zeich-
nungen der Mondoberfläche            61
   Fernrohr? Der Aristotelismus hatte gute Gründe gegen die Zuverlässigkeit
    des Auges unter solchen Bedingungen. Galileo fehlte die optische Theorie.

   Vgl. Galileos Zeichnungen des Mondes: die dort angeführten Berge und
    Täler gibt es gar nicht. Oder der glatte Rand des Mondes!

                                                                                62
   Wichtig war der Aufstieg einer neuen „sekulären Klasse“. Sie verachtete den
    Aristotelianismus und für sie war Kopernikanismus der Fortschritts.

   Manchmal sind Klassenvorurteile, Leidenschaft, persönliche Zufälligkeiten,
    Stil und Irrtum notwendig damit sich unser Wissen verbessert.

   Der erste Schritt ist immer ein Schritt zurück: anscheinend relevantes Be-
    weismaterial wird durch ad-hoc Verbindungen beiseite geschoben.

   „... propaganda ist of the essence.“ Denn es muss Interesse erzeugt werden,
    obwohl die neue Theorie vorerst fast alle Gründe gegen sich hat.

                                                                                  63
(A) Galileo, Bellarmin, Priestley, Lavoisier

(B) Was ist Relativismus?

(C) Kuhns Revolutionen

(D) Feyerabend über Propaganda

(E)   Rorty zu Bellarmin

(F)   van Fraassen über Bekehrung

                                               64
Rochard Rorty
                                                       (1931-2007)

   Kuhn hat gezeigt, dass es keinen Algorithmus gibt, für die
    Wahl zwischen Paradigmen.

   Die Wahl ist „von gleicher Art“ wie die Wahl zwischen Lenin und Kerenski.

   War Bellarmin „unlogisch und unwissenschaftlich“? Nein. B. akzeptierte
    nur ein instrumentalistische Lesart von Kopernikus.

   Andere begrenzten lieber die Domäne der Bibel.

                                                                                65
   Es gab noch nicht das „Netz“ von Ü-en, aufgrund derer wir sagen „Galileo hat-
    te Recht“. Es brauchte „300 Jahre Rhetorik“. Das Netz wurde nicht „entdeckt“.

   Es gibt nicht die neutrale Position, von der aus GG absolut im Recht war.

   Es macht also keinen Sinn zu sagen, GG habe „rational“ gehandelt, als er neue
    Rationalitätsprinzipien erfunden hat.

                                                                                    66
   „Kopernikus hatte Recht, wo der Geozentrismus Unrecht hatte.“

   Das heißt nur: die Ansichten des Kopernikus lassen uns unsere Zwecke besser
    erreichen, als die Ansichten des Ptolemäus.

   Natürlich machen wir Fortschritt – aber nur gemäß unseren (sich wandelnden)
    Kriterien.

                                                                                  67
(A) Galileo, Bellarmin, Priestley, Lavoisier

(B) Was ist Relativismus?

(C) Kuhns Revolutionen

(D) Feyerabend über Propaganda

(E)   Rorty zu Bellarmin

(F)   van Fraassen über Bekehrung

                                               68
Haltungen (Stances)

   Eine philosophische Position ist nicht bloß eine Sum-
    me von Überzeugungen, sondern eine „Haltung“.

   Eine Summe von Ü-en, Einstellungen, Bindungen, Vor-
    gehensweisen, Werten, Zielen, Motivationen

   Oder eine Kombination von versch. Haltungen

   Auch der Wissenschaft sind bestimmte Haltungen wesentlich.
                                                                 69
   Zu einer Haltung wird man „bekehrt“ wie zu einer Religion oder einem
    politischen Programm. Haltungen macht man sich zu eigen.

   Die Einheit einer Haltung? Es ist pragmatisch (wenn auch nicht logisch)
    inkonsistent eines der Elemente zu verneinen.

   Enden wir dann nicht im Relativismus oder Irrationalismus? Können
    dann Differenzen noch rational ausgeräumt werden?

   Meinungen, Thesen, Theorien, Argumente sind immer noch wichtig.
    Aber sie können nicht endgültig und allein entscheidend sein.
                                                                              70
Wissenschaftliche Revolutionen und Bekehrung

 Es gibt die revolutionären Veränderungen (Feyerabend, Kuhn).

 Problem/Paradox:

   Aus der Sicht der Position nach der Revolution ist die Position vor
    der Revolution verständlich und die Veränderung plausibel.

   Aus der Sicht der Position vor der Revolution ist die Position nach
    der Revolution absurd und die Veränderung nicht zu rechtfertigen.

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Kann die Erkenntnistheorie helfen?

 „Objektivierende“ Erkenntnistheorie (meint er Kornblith?!):

     Eine Erkenntnistheorie auf rein faktischer Ebene, die unser kognitives
      Funktionieren beschreibt, und keine Werturteile enthält.

     Das erkenntnistheoretische Problem der Bekehrung kann von objek-
      tivierenden Erkenntnistheorien nicht gelöst werden.

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Problem der objektivierenden Erkenntnistheorie

     (a) Eine objektivierende Erkenntnistheorie ist eine (wissenschaftliche)
         Theorie über unsere Kognition.

     (b) Eine solche Theorie ist eng mit unseren gegenwärtigen Theorien
         über die Welt verflochten.

     (c) Problem: Dann muss jede Revolution bzgl. der Theorien über die
         Welt aus der Sicht der Theorie unserer Kognition irrational sein.

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„Voluntaristische“ Erkenntnistheorie

    ... macht Willen und Entscheidungen zentral.

    Voluntarismus ist die Ansicht, dass unsere Haltungen durch die Prinzi-
     pien der Rationalität unterbestimmt sind.

    Die Prinzipien der Rationalität sind beschränkt auf die Forderungen
     von logischer Konsistenz und probabilistischer Kohärenz.

    „Rationalität ist gezügelte Irrationalität.“

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   W. James: Wir wollen Wahrheiten glauben und
    Fehler vermeiden.
                                                         William James
                                                         (1842-1910)

   Diese beiden Ziele sind in Spannung. Es gibt nicht
    die eine Lösung.

   Wie wir sie gewichten ist abhängig von Kontext,
    Interessen und Werten.

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Bekehrung und Emotionen

 Wie kann eine absurde Alternative zur echten Alter-
  native werden?
                                                            Jean-Paul Sartre
                                                            (1905-1980)
 Wie ändern sich die grundlegenden enscheidungsre-
  levanten Parameter unserer Problemsituation?

 Durch Änderung der Emotionen!

 Andere Emotionen, andere Wahrscheinlichkeiten. Der
  Glückliche erwartet Gutes; der Unglückliche Schlechtes.

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   Die revolutionären Veränderungen sind nicht einfach nur Fälle der
    Emotionen. Aber das Pattern ist gemeinsam.

   Die Veränderung macht etwas verständlich, was vorher nicht ver-
    ständlich war. Und die Änderung der Einstellung ist hier zentral.

   Emotionen spielen in dieser subjektiven Transformation eine Rolle:
    aber dies sind in der Wissenschaft wichtige Emotionen.

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