IV. Die Rententheorie von Ricardo
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IV. Die Rententheorie von Ricardo Wir werden hier nicht in eine detaillierte Analyse der Rententheorie im Allgemeinen einsteigen: Wir streifen die Theorie der Rente von Ricardo nur soweit, wie sie als Element in seine allgemeine Werttheorie einfließt (deshalb werden wir z.B. die Frage darüber, inwieweit die historische Reihenfolge der Nutzung von Böden unterschiedlicher Qualität für die Theorie der Bodenren- te Ricardos wesentlich ist, oder darüber, ob tatsächlich mit einer Bevölke- rungserhöhung die Rente unvermeidlich einen immer größeren Teil des produzierten Erzeugnisses verzehrt, nicht berühren: Man muss die Theorie Ricardos überhaupt nicht verstehen, um sich vorstellen zu können, dass sie mit dieser oder jenen Reihenfolge der Bodennutzung verbunden ist (vgl. McKean, K., Manual of Social Science, being a condensation of the „Prin- ciples of Social Science“ of H. C. Carey, Philadelphia 18641)). Obwohl Ricardo selbst nur die Gesetze, welche die Rente bestimmen, für einen Spezialfall des Entstehens dieser Einnahmeart klärt〈a〉 (und zwar für die Boden- und die Bergwerksrente, vgl. Ricardo, op.cit., Kap. II, III), hindert dies jedoch seine Lehre nicht daran, allgemeine Bedeutung für alle möglichen Fälle der Entstehung rentenähnlicher Einnahmen zu haben.2 1 „Die gesamte Theorie Ricardos“ – bemerkt Carey – „beruht auf jenem vorgefassten Fakt, dass am Anfang, als die Bevölkerung gering und der Boden folglich im Überfluss vorhanden war, man nur fruchtbaren Boden bestellte. Ist das richtig oder falsch? Wenn diese Tatsache falsch ist, dann bricht das gesamte System von alleine zusammen“. 〈Dmitriev verwendet eine russische Übersetzung von Careys Werk. Das Zitat steht dort auf S. 103. Im Buch von McKean findet sich diese Aussage sinngemäß auf S. 402 f.〉 〈a〉 In der englischen Übersetzung steht hier: „does not himself clarify“. Dies ist offensichtlich ein Übersetzungsfehler (vgl. S. 83). 2 Die Behauptung A. Miklaševskijs (in seiner Dissertation „Den′gi. Opyt izučenija osnovnych položenij ėkonomičeskoj teorii klassičeskoj školy v svjasi s istoriej denežnago voprosa“ 〈Geld. Ein Versuch der Erforschung der Hauptthesen ökonomischer Theorie der klassischen Schule in Verbindung mit der Geschichte der Geldfrage〉, Moskva 1895), dass „das Gesetz der Rente auf Kapital, das in der verarbeitenden
Die Rententheorie von Ricardo 69 „Die wesentliche Bedingung des Entstehens von Rente stellt nach der The- orie 〈Seite 52〉 Ricardos“ – meint J. Žukovskij3 – „überhaupt nicht der richtige Übergang der Bearbeitung von einem Grundstück zum anderen dar, sondern das allgemeine Gesetz der Gleichheit der Profite. Nach diesem Gesetz können ein und dasselbe Kapital und ein und dieselbe Arbeit in ein und derselben Produktion nicht zu unterschiedlichen Gewinnen führen, denn wenn sie auftreten könnten, dann eilte die Konkurrenz heran, um diese Profite einzuebnen. Wenn dieses Gesetz selbst nicht für verschiedene Produktionen richtig ist, sondern für ein und dieselbe Produktion, dann sollte seine unvermeidliche Folge im Abzug aller Profitdifferenzen zu Gunsten des Monopolisten der billigen Methode liegen, und im Spezialfall des Grundbesitzers ist es das, was auch eine Rente bildet.“ Ricardo selbst war sich dessen gut bewusst, indem er meinte, dass “wenn Luft, Wasser, die Dampfkraft und der atmosphärische Druck von verschiede- ner Qualität wären, wenn sie angeeignet werden könnten und jede Qualität existierte nur in beschränktem Umfang, dann würden sie gleich dem Boden eine Rente abwerfen“, die durch dieselben Gesetze gelenkt würde, wie auch die Bodenrente.4 Wir werden die allgemein bekannte Theorie Ricardos über die Rente nicht wiederholen, sondern direkt zu ihrer näheren Analyse übergehen (eine ausgezeichnete Analyse befindet sich in der schon erwähnten Arbeit Žu- kovskijs), wobei wir in unserer Analyse die Darstellungen von Auspitz und Lieben benutzen werden (Auspitz und Lieben befassten sich nicht speziell mit der Rente, aber nichtsdestoweniger liefern uns ihre Ausführungen Industrie verwendet wurde, sich grundsätzlich vom allgemeinen Rentengesetz unter- scheidet“ (siehe S. 246), beweist nur, dass der Autor der genannten Arbeit sich den Begriff des wissenschaftlichen „Gesetzes“ nicht ausreichend klargemacht hat (indem er das Gesetz mit jenen Bedingungen, unter denen seine Wirkung zutage tritt, durcheinan- der bringt). 〈Der Nebensatz des Zitates sowie die Kursivschreibungen wurden durch Dmitriev hinzugefügt.〉 3 Žukovskij, J. G., Istorija političeskoj literatury XIX-go stoletija 〈Geschichte der politischen Literatur des 19. Jahrhunderts〉, Bd. I, St. Peterburg 1871, S. 318 〈Vgl. auch die Fn. 1 und 15 des II. Kapitels dieses Essays I.〉 4 Ricardo, op.cit., Kap. II, S. 64. Völlig richtig bemerkt Buchanan in der Besprechung des Werkes A. Smiths, dass ein Erlösüberschuss, der vom Besitzer irgendeines Geheimnisses in der verarbeitenden Industrie erhalten wird, im Grunde genommen eine Rente ist, die von denselben Gesetzen geleitet wird, wie auch die Boden- sowie jede andere Rente. 〈Vgl. Buchanan, D., Observations on the subjects treated of in Dr. Smith’s inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, Edinburgh 1814, S. 39-41.〉
70 Die Werttheorie von D. Ricardo hervorragendes Material für die Analyse dieser Erscheinung, dadurch dass sie willkürlich und völlig irrtümlich in einer allgemeinen Analyse des Wertphä- nomens eine Produktionskostenkurve derart angeben, welche nur in Produk- tionszweigen gilt, in denen Rente entsteht; diese willkürliche Annahme, die ihren eigenen Schlussfolgerungen bezüglich der Wertfrage jedwede Allge- meinheit entzieht, ermöglicht uns, ihre Darstellungen zur Analyse der Rentenerscheinungen anzuwenden). „Konstruiren wir nun ein Koordinatensystem (Fig. 2 〈Abb. 1.3〉), dessen Abszissen Mengen des Artikels A und dessen Ordinaten Geldbeträge be- deuten. Tragen wir dann die verschiedenen, möglichen Jahresproduktmen- gen horizontal und die entsprechenden Herstellungskosten vertikal auf, so erhalten wir eine Reihe von Punkten, die verbunden, eine Kurve 0A darstel- len, welche wir die Kurve der gesammten Herstellungskosten oder die Gesammtk ostenkurve nennen“ (Auspitz, R. / Lieben, R., Untersuchun- gen über die Theorie des Preises, Leipzig 1889, S. 6). A A′ A R′ SRT 0 M 0 Q Abb. 1.3 Abb. 1.4 〈Seite 53〉 Diese Kurve 0A wird von folgenden Merkmalen charakterisiert: 1) Ausgangspunkt ist der Koordinatenursprung, 2) sie hat eine aufsteigende Richtung, 3) sie besitzt eine Asymptote parallel zur Ordinatenachse (diese letzte Behauptung ist gleichbedeutend mit jener, dass jede Produktion eine Grenze hat, über die hinaus sie nicht ausgedehnt werden kann, ungeachtet der Kosten), 4) die Kurve ist über den ganzen Verlauf konvex, d.h. jede folgende Tangente ist weniger zur Abszissenachse geneigt, als alle vorherge- henden. Folglich verursacht eine Erhöhung der Produktmenge einen um so größeren Kostenzuwachs, je größer die jährliche Produktpro- duktion ist, zu der die erwähnte Erhöhung hinzugefügt wird.
Die Rententheorie von Ricardo 71 Es sei 0A (Fig. 3 〈Abb. 1.4〉) die „Kostenkurve“ des Produktes A; 0Q〈b〉 – „die in einem Jahre thatsächlich erzeugte und umgesetzte Menge des betrachteten Artikels A, so können wir uns dieselbe in eine Anzahl kleiner, gleicher Theile zerlegt denken. Jedes dieser kleinen Theilchen wird, da die ganze Menge zu einem und demselben Preise verkauft wird, auch den gleichen Erlös bringen. Die Herstellungskosten sind aber verschieden; denn jedes weitere Theilchen verursacht grössere Herstellungskosten als das vorhergehende. Wenn die Produzenten sich veranlasst sehen sollen, die ganze Menge 0Q zu erzeugen, so muss der Erlös des letzten Theilchens, das wir mit ST bezeichnen, mindestens so gross sein als die Mehrkosten, welche durch die Erzeugung dieses letzten Theilchens verursacht werden; sonst unterbliebe nothwendiger Weise dessen Herstellung. Wäre dagegen der Erlös dieses Theilchens grösser als die Kosten, die es verursacht, so würden die Produzenten durch die zwischen ihnen herrschende, freie Kon- kurrenz dahin geführt werden, ihre Erzeugung noch weiter zu vermehren. Da wir nun angenommen haben, dass der Zustand ein stabiler sei, und 0Q die angemessene Jahresmenge darstelle, so müssen die Kosten TR, die zur Herstellung des letzten, wirklich produzirten Theilchens ST erforderlich sind, dem Erlöse desselben genau gleich sein. Die Länge TR stellt somit den Erlös des letzten Produkttheilchens ST dar. Da aber nur Ein Preis be- steht, der für die ganze Jahresmenge 0Q, ebenso wie für deren letztes Theilchen ST gilt, so muss sich die Jahresproduktmenge zu ihrem Gesammterlöse verhalten wie ST zu TR. Ziehen wir nun durch den Nullpunkt eine Parallele zu dem Kurvenstü- cke SR, welches wir als geradlinig betrachten können, wenn wir die Theil- chen, in welche die Jahresmenge zerfällt, klein genug gewählt haben, und das uns dann die Tangentialrichtung der Kostenkurve im Punkte R angibt. Diese Parallele schneidet die verlängerte Ordinate des Punktes R in R′, und die Länge QR′ gibt uns den Gesammterlös, der obiger Proportion ent- spricht, 〈Seite 54〉 und den die Produzenten erreichen müssen, damit sie sich veranlasst sehen, die Menge 0Q zu erzeugen. Führen wir dann dieselbe Konstruktion für jede andere Jahresmenge, von der kleinsten bis zur gröss- ten, durch, so erhalten wir eine Reihe von Punkten, die eine neue Kurve 0A′ darstellen …“ „… Die Ordinaten dieser Kurve bezeichnen die Geldbeträge, gegen welche die durch die Abszissen angegebenen Jahresproduktmengen wirk- lich angeboten werden. Wir nennen daher diese Kurve die Gesammtan- gebotskurve“ (Auspitz / Lieben, op.cit., S. 12-14). 〈b〉 Die englische Übersetzung verwendet hier irrtümlicherweise 0A′ (vgl. S. 85).
72 Die Werttheorie von D. Ricardo Die Ordinaten dieser neuen Kurve geben also die Summe an, welche die Konsumenten zahlen müssen, um auf dem Markt eine Produktmenge (jährlich oder allgemein pro Zeiteinheit) hervorzurufen, die der gegebenen Abszisse entspricht. Die Summe, die die Konsumenten bereit sind zu zahlen, wird ihrerseits von der von ihnen gekauften Produktmenge abhängen; wenn wir die gekauften Mengen als Abszissen und die Summe, die die Konsumen- ten für diese Menge einverstanden sind zu zahlen, als Ordinaten annehmen, erhalten wir eine Kurve der Gesamtnachfrage, die wir schon in der vorherge- henden Analyse benutzten. (Auspitz und Lieben konstruieren diese Kurve anders, indem sie sie als Ableitung einer Kurve des Gesamtnutzens ermitteln, aber die Form, welche sie für diese letztere Kurve annehmen, ist völlig falsch und besitzt keine Datenfundierung (vgl. Auspitz / Lieben, op.cit., S. 14-16).) Y A′ A D βm c c2 c1 N b αm N 0 ϑ am a X Abb. 1.5 Nach der Lehre Ricardos muss sich bei Vorherrschen freier Konkurrenz das Produktionsvolumen auf dem Niveau 0a einstellen (siehe Fig. 4 〈Abb.1.5〉), bei welchem, wie die Zeichnung zeigt, der auf dem Markt für eine Produkt- einheit bezahlte Preis (dieser Preis wird offensichtlich gleich dem Tangens des Winkels ϑ sein) gleich den Produktionskosten der zuletzt hergestellten Produkteinheit wird (d.h. der mit den höchsten Kosten hergestellten Einheit; diese Kosten, wie aus der Zeichnung ersichtlich, werden auch gleich dem Tangens des Winkels ϑ sein). Die Richtung der Linie 0D (Preislinie) wird vom Schnitt der Kurven 0A′ und 0N bestimmt, weshalb der Produktpreis (gleich dem Tangens des von der Linie 0D mit der Abszissenachse gebildeten Winkels) auch von der Form beider Kurven abhängt und demzufolge für seine Bestimmung die Produk- tionsbedingungen allein nicht ausreichend sein können, wie das Ricardo behauptet.
Die Rententheorie von Ricardo 73 Ricardo gibt uns also eine einwandfreie Analyse des Gesetzes, das den Wert von Produkten bestimmt, deren einzelne Bestandteile mit verschiedenen Produktionskosten hergestellt werden (insbesondere in den Fällen, in denen die Produktionskosten auf Arbeit allein, mit unterschiedlichen Arbeitsauf- wendungen, zurückgeführt werden können), aber diese Analyse beweist keineswegs, wie Ricardo annimmt, dass der Wert solcher Produkte letzten Endes nicht 〈Seite 55〉 von den Bedingungen der Nachfrage und des Ange- bots abhängt, indem er danach strebt, sich auf einem Niveau einzustellen, welches ausschließlich von den Produktionsbedingungen abhängt. Im Gegenteil sahen wir, dass jede Veränderung in den Nachfrage- und Ange- botsbedingungen (die sich letztendlich auf Veränderungen im Konsumbe- reich zurückführen lässt, wie wir im dritten Essay bei der Analyse der Nachfragekurve sehen werden) unvermeidlich zu einer Änderung des Produktpreises führt (gleich dem Wert ausgedrückt in irgendeinem Produkt, dessen eigener Wert als konstant angenommen wird), sogar wenn alle Produktionsbedingungen (die nicht von der Wirtschaftsrechnung, sondern nur vom Stand der Technik und vom Vorhandensein verschiedener natürlicher Produktionsfaktoren abhängen) unverändert blieben. Alles, was von uns weiter oben bezüglich des Wertgesetzes von Ricardo für Produkte, deren einzelne Bestandteile mit verschiedenen Produktionskos- ten hergestellt werden, gesagt wurde, ist auch vollständig auf die Lehre anwendbar, die behauptet, dass der Wert von Produkten durch die Menge gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die zu seiner Produktion verbraucht worden ist, bestimmt wird: Indem sie den Wert in eine Abhängigkeit von der Menge gesellschaftlich notwendiger Arbeit stellt, macht diese Theorie in Wahrheit den Wert dadurch von Nachfrage- und Angebotsbedingungen abhängig5 (letzten Endes von den Konsumbedingungen). Um die Bestimmung der „gesellschaftlich notwendigen“ Arbeit von den Bedingungen der Nachfrage und des Angebots unabhängig zu machen, versuchen einige Anhänger dieser „entwickelten“ Form der Arbeitswertlehre die Menge der gesellschaftlich notwendigen Arbeit mit der durchschnittlichen Menge, die in der Produktion des gegebenen Produktes verbraucht wurde, für 5 Weil nichts anderes als die Nachfrage- und Angebotsbedingungen gerade die Arbeitsmenge bestimmen, welche in jedem gegebenen Fall „gesellschaftlich notwendig“ ist.
74 Die Werttheorie von D. Ricardo identisch zu erklären. Dies zu behaupten, bedeutet jedoch alles zu negieren, was Ricardo zur Aufklärung der den Wert von Produkten bestimmenden Gesetze beitrug, deren Bestandteile mit verschiedenen Produktionskosten hergestellt werden. Die Analyse Ricardos lässt keinen Zweifel daran, dass der Wert eines Produktes von der Arbeitsmenge bestimmt wird, die für die Herstellung des gegebenen Produktes nicht bei durchschnittlichen, sondern bei den ungünstigsten Bedingungen seiner Produktion, aufgewandt wurde. Anmerkung: Die Menge gesellschaftlich notwendiger Arbeit könnte nur in jenem speziellen Ausnahmefall der durchschnittlichen Menge entsprechen, in dem die Summe der positiven Rente im gegebenen Zweig genau gleich der Summe der negativen Rente wäre (eine negative 〈Seite 56〉 Rente kann nur in Ausnahmefällen entstehen, wenn infolge dieser oder jener Hindernisse beim freien Übergang der Unternehmer aus schlechter entlohnten Industriezweigen in besser entlohnte Bereiche der Produktionsumfang über jene Grenze hinaus ausgedehnt wird, bei der die am ungünstigsten platzierten Unternehmer im Preis des Produktes die gesamten Produktionskosten erhalten; Ricardo geht auf die Analyse dieses Falls nicht ein, weil er überall vollständige (juristische und faktische) Freiheit des Übergangs der Unternehmer aus einer Branche in eine andere unterstellt. Unsere Darstellung und die entsprechende Analyse enthält alle Voraussetzungen zur Erklärung der Erscheinung einer negativen Rente). Wir nehmen an, dass alle Produktionsbedingungen und demzufolge die Form der Kurven 0A und der Abgeleiteten 0A′ unverändert bleiben, und werden verschiedene Lagen einer punktiert gezeichneten, von den Produktionsbedin- gungen unabhängigen Kurve 0N angeben. Dann wird der Schnittpunkt beider Kurven verschiedene Lagen c1, c2, c3, … annehmen, und indem wir diese Punkte mit 0 verbinden, erhalten wir eine Reihe von Linien 0c1, 0c2, 0c3, … Der Tangens der von ihnen mit der Abszissenachse gebildeten Winkel wird den Preis bezeichnen, der sich auf dem Markt unter dem Einfluss freier Konkurrenz bei gegebenen Nachfragebedingungen einstellt. Es ist nicht schwer zu sehen, dass, wenn wir die Form der Kurve 0N willkürlich verän- dern, wir auch den Preis des Produktes willkürlich ändern können, und deshalb basiert die Behauptung, dass dieser Preis von den Produktionsbedin- gungen determiniert wird, lediglich auf einem Missverständnis; auf den Preis des Produktes werden alle die Form der Gesamtnachfragefunktion beeinflus-
Die Rententheorie von Ricardo 75 senden Bedingungen einwirken. Deshalb wird jede Veränderung im Kon- sumbereich〈c〉 den sich letztendlich auf dem Markt einstellenden Preis beeinflussen, indem sie auf die Bewertung des gegebenen Gutes durch die Konsumenten und demzufolge auf die Summe einwirkt, die sie für seine An- schaffung bereit sind zu zahlen. Dieser Preis wird nur in dem Fall bestimmt sein, wenn die Gleichung der Kurve 0N gegeben ist: Y = F(D) = D f (D)〈d〉, für die die Funktion f, welche die Abhängigkeit zwischen Preis und Absatzmen- ge ausdrückt, bekannt sein muss. Folglich kann in diesem Fall, genauso wie bei Bestimmung des Preises durch einen Monopolisten, der Preis nicht unabhängig von der Gestalt des Ausdrucks f für den Preis als Funktion der abgesetzten Menge, p = f (D), determiniert werden. Wir sahen, dass bei Annahme beider Kurven als stetig sich eine Produk- tion so einstellen wird, dass der auf dem Markt für eine Produkteinheit entrichtete Preis gleich den Produktionskosten der zuletzt hergestellten Einheit sein wird. Anders wird es, wenn (wie das in der Realität vorkommt) die Linie 0A, die die Erhöhung 〈Seite 57〉 der Produktionskosten bei An- wachsen der gesamten produzierten Menge angibt, (zumindest an einigen Punkten) gebrochen sein wird, d.h. die Tangenten an zwei unendlich gering voneinander entfernten Punkten dieser Linie einen Winkel endlicher Größe bilden; dann wird die Kurve 0A′, kraft der Bedingungen ihrer Konstruktion, unvermeidlich unstetig sein, wobei die Sprungstellen der Kurve 0 A ′ den Sprungstellen der Ursprungskurve 0A (Fig. 5 〈Abb. 1.6〉) entsprechen. Y A′ a3 P A N a2 N α 0 a1 X Abb. 1.6 〈c〉 In der englischen Übersetzung steht hier „sphere of supply“ (vgl. S. 88). 〈d〉 Im Original und der Abb. 1.6 steht „y“, wegen der Erläuterungen auf S. 50 meint Dmitriev wohl eher „Y“.
76 Die Werttheorie von D. Ricardo Es sei z.B. bei einem Preis gleich dem Tangens des Winkels a10a2 die produzierte Menge gleich 0a1. Damit auf dem Markt jetzt eine größere Menge auftritt, die sich von der Menge 0a1 um eine unendlich kleine Größe unterscheidet, solle der Preis sich sofort um eine endliche Größe erhöhen. Dann wird die Ordinate, die zur Abszisse des um eine unendlich kleine Größe größeren 0a1 korrespondiert, um eine endliche Größe größer als die Ordinate a1a2, so dass die Kurve 0A′ die Form 0a2a3A′ annimmt. Die Produktion kann unter diesen Bedingungen offensichtlich nicht über 0a1 hinaus ausgedehnt werden, weil in diesem Fall die Kosten der zuletzt produzierten (über die Menge 0a1 hinaus) Einheit größer als der für eine Produkteinheit auf dem Markt entrichtete Preis wären. Bei einer Produktionshöhe gleich 0a1 wird, wie aus der Zeichnung ersichtlich, der auf dem Markt zu zahlende Preis größer als die Kosten der zuletzt hergestellten Einheit, und zwar um so viel, wie a1P größer a1a2 ist (da der Marktpreis einer Produkteinheit gleich dem Tangens des Winkels a10P und die Produktionskosten der zuletzt hergestell- ten Einheit gleich dem Tangens des Winkels a10a2 sein werden). Folglich hat das Gesetz selbst, welches behauptet, dass der Preis des Produktes, dessen einzelne Einheiten mit unterschiedlichen Produktionskosten hergestellt wird, gleich den Produktionskosten des Teils des Produktes, welches man unter ungünstigsten Bedingungen produziert, sein wird, nur in solchen Fällen Gültigkeit, in denen φ (Q ) , das die Produktionskosten der zuletzt hergestell- ten Produkteinheiten als Funktion der gesamten produzierten Menge ausdrückt, eine kontinuierliche Funktion ist (d.h. dass jedem unendlich kleinen Mengenzuwachs auch ein unendlich kleiner Zuwachs der Produk- tionskosten der zuletzt hergestellten Einheit entspricht). Anmerkung: In der Wirklichkeit treffen wir sowohl im Bereich der Landwirt- schaft als auch dem der verarbeitenden Industrie auf Fälle der Unstetigkeit von φ ( Q) . Dies gilt besonders in der verarbeitenden Industrie: Hier kann man nur in seltenen Fällen eine allmähliche Abstufung einer immer weniger leistenden Produktionsweise beobachten. Nur in den Fällen, in denen die Rente einzig das Resultat einer unterschiedlichen Entfernung der Produk- tionsstätte vom Markt ist (ein Fall, der detailliert 〈Seite 58〉 von Thünen untersucht wird), kann die Kurve 0A′ tatsächlich als kontinuierlich, und demzufolge das Ricardianische Preisgesetz von Produkten, die Rente abwerfen, als völlig gerechtfertigt angenommen werden.
Die Rententheorie von Ricardo 77 Wir wenden uns wieder unserer anfänglichen Darstellung (Fig. 4 〈Abb. 1.5〉) zu. Der Abschnitt cb wird die Gesamtsumme der Rente ausdrücken, die sich aus 0a Produkteinheiten ergibt; die Aufteilung dieser Summe selbst unter den verschiedenen Produzenten ist für die Höhe der Rente völlig unwichtig. Wesentliches Moment ist nur, ob sich die Produktion des gegebenen Pro- duktes unter Einfluss freier Konkurrenz oder bei Monopolbesitz einer Person vollzieht. Im letzten Fall bestimmt sich der Produktionsumfang (überein- stimmend mit den Prinzipien des vorhergehenden Paragraphen) durch die Abszisse 0αm, für die wir parallele Tangenten an die Kurven 0N und 0A in den Punkten βm und αm haben und folglich der Abstand zwischen diesen Kurven (die den Bruttoerlös und die tatsächliche Kostensumme zur Produk- tion von 0a m Einheiten ausdrücken) am größten ist. Es ist nicht schwer zu sehen, dass die Größe 0am immer kleiner als 0a sein wird. Offensichtlich ist auch, dass βmαm immer größer als cb ist, d.h. dass die Summe, die von den Konsumenten über die tatsächlichen Produktionskosten hinaus bezahlt wird, im Fall des Monopols größer sein wird als im Fall der Produktproduktion unter dem Einfluss freier Konkurrenz. Die Größe cb, wie die Zeichnung zeigt, wird um so kleiner, je kleiner die Krümmung der Kurve 0A ist. Wenn die Kurve 0A schließlich zu einer Geraden wird, dann wird auch die Kurve 0 A ′ eine Gerade, wegen der Bedingungen ihrer Konstruktion aus der ursprünglichen Kurve 0A, und sie fällt mit 0A zusammen. Das wird dann sein, wenn die Produktionskosten proportional der Menge werden, d.h. alle Produkteinheiten mit gleichen Kosten hergestellt werden. In diesem Fall wird die Rente Null (weil der vertikale Abstand zwischen den Kurven 0A und 0A′ gleich Null wird). Die Untersuchung dieses Falles bildet den Inhalt des nächsten Kapitels. Wir zeigten soeben, dass für ein Produkt, in dessen Preis eine Rente eingeht, die Produktionskosten nicht als einziger Wertregulator angesehen werden können, dass jede Veränderung im Nachfragebereich (unabhängig von den Produktionsbedingungen) seinen Preis ändert, selbst wenn in den Produk- tionsbedingungen keine Änderungen erfolgten. Dieser Einwand gegen die Theorie der Produktionskosten gilt nicht bezüglich des Falles, in dem die Kurve der Produktionskosten zu einer Geraden wird. In der Tat sei ange- nommen, dass die Gerade 0A die Linie der Produktionskosten ist; die Kurve 0N ist wie vorher die Nachfragekurve. Dann wird sich, wie Ricardo behaup- tet, bei Vorherrschen freier Konkurrenz die Produktion solange ausdehnen,
78 Die Werttheorie von D. Ricardo bis der auf dem Markt erhaltene Preis gerade zur 〈Seite 59〉 Deckung der notwendigen Produktionskosten ausreicht. Demzufolge wird die produzierte Menge gleich 0a (Fig. 6 〈Abb.1.7〉). Der Preis einer Produkteinheit wird gleich ac : 0a , d.h. gleich dem Tangens des Winkels ϑ. Wir werden jetzt der Kurve 0N verschiedene Lagen geben, welche punk- tiert gezeichnet sind. Es ist nicht schwer zu sehen, dass dabei der Preis unverändert gleich dem Tangens des Winkels ϑ bleibt, d.h. keine Verände- rung in den Nachfragebedingungen kann den Preis beeinflussen, solange keine Änderung in den Produktionsbedingungen eintritt, d.h. solange die Gerade 0A ihre Lage nicht verändert. Folglich wird der Preis in diesem Fall anscheinend tatsächlich ausschließlich von den Produktionskosten be- stimmt.6 6 Sowohl hier als auch anderswo, wenn wir die Lehre Ricardos über den Wert darlegen, sprechen wir überall von Kosten der Produktion und nicht der Reproduktion, weil wir zur Vereinfachung der Analyse überall annehmen, dass vom Zeitpunkt der Herstellung eines Produktes bis zum Zeitpunkt seiner Realisation unter den technischen Bedingun- gen des gegebenen Industriezweiges keine Veränderungen vor sich gehen. Aber dies bedeutet keineswegs, dass Ricardo in seiner Lehre den Einfluss des technischen Fortschritts auf den Wert früher produzierter, aber noch nicht realisierter Bestände nicht anerkannte und nicht berücksichtigte. Im Gegenteil, man müsste die Arbeiten Ricardos völlig verkennen, um zu glauben, dass Carey tatsächlich in diesem Punkt eine wesentliche Verbesserung zur Werttheorie Ricardos einbrachte (vgl. die Bemerkung Zaleskijs, op.cit., Otdel I, Vypusk II, 1893, S. 244: „Der Hinweis auf die Bedeutung der Reproduktionskosten stellt ein unbestritten hohes und von allen anerkanntes Verdienst Careys dar.“). Es lohnt, sich nur auf Kapitel XX des Werkes von Ricardo zu berufen, wo er direkt darauf hinweist, dass jede technische Verbesserung, die die Arbeitsproduktivi- tät im gegebenen Zweig erhöht, notwendigerweise auch Einfluss auf den Teil der Waren hat, die vor Einführung der Verbesserung hergestellt aber noch nicht verbraucht wurden. „Der Wert dieser Waren wird verringert, insofern sie nämlich Stück für Stück auf das Niveau der mit allen Vorteilen der Verbesserung produzierten Waren sinken, und die Gesellschaft wird trotz der vergrößerten Warenmenge, trotz ihres vermehrten Reichtums und ihrer vermehrten Mittel zum Genuß eine geringere Summe an Wert besitzen. Durch die beständige Erhöhung der Leichtigkeit der Produktion wird der Wert verschiedener bereits früher produzierter Waren fortgesetzt vermindert …“ (Ricardo, op.cit., S. 232 der deutschen Ausgabe; siehe auch verschiedene Stellen im Kapitel VI “Über den Profit“) 〈Kursivschreibung durch Dmitriev hinzugefügt.〉
Die Rententheorie von Ricardo 79 Y A c c3 N c2 c1 N N 3 N1 N2 ϑ 0 a X Abb. 1.7 Und dies wäre so, wenn die von uns weiter oben kursiv gekennzeichnete Behauptung Ricardos tatsächlich richtig wäre.
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