Einverleibung - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
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Ausgabe 16 · September 2020 Zeitung der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft Einverleibung Der Trump-Plan: Annexion, Vertreibung und Apartheid Siedlungen Appell Palästinas An die Völker und Staaten der Welt Deutsche und EU-Nahostpolitik EUGH: Waren aus Siedlungen müssen gekennzeichnet sein UN-Sonderberichterstatter warnen Bundesregierung
Palästina Journal Inhalt IMPRESSUM ISSN 1436-252X Herausgeber Palästina Journal · Ausgabe 16 · September 2020 Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V. (DPG) PF 1148, 49171 Hilter a.T.W dpg@dpg-netz.de, www.dpg-netz.de 20 04 Redaktion 19 Wiebke Diehl (Berlin) Hermann Dierkes (Duisburg) Jan-Günther Frenzel (Berlin) Detlef Griesche (Bremen) Ingrid Koschorreck (Berlin) 03 Nachrichten aus Palästina // Präsident Abbas kündigt Abkommen / UN-Sonderausschuss appelliert an Nazih Musharbash (Bad Iburg) Internationale Gemeinschaft / Gewalt gegen Fischer / Armeegewalt / Besuchserlaubnis / Einbruch bei Finanzen / Jürgen Sendler (Berlin) Gewalttätige Angriffe von Siedlern gestiegen / B-Gebiet soll C-Gebiet werden / Diskriminierung palästinen- Gisela Siebourg (Berlin) sischer Arbeiter*innen / Hauszerstörungen / Besatzungsmacht versprach 700 Wohnungen – und genehmigte Wiltrud Rösch-Metzler (Stuttgart) sechs / Besatzungswillkür / Internationaler Strafgerichtshof / Bevölkerung 2019 / Alptraumhafte Festnahme / verantwortliche Redakteurin Banksy spendet 2,5 Millionen Euro / Armut durch Corona / UN veröffentlicht Liste von Firmen, die von Besatzung profitieren. / Textilmanufaktur in Gaza / Gefängnisordnung nur auf Hebräisch Redaktionsanschrift redaktion@dpg-netz.de 07 Schwerpunkt: Einverleibung // Der Trump-Plan: Annexion, Vertreibung und Apartheid 08 Schwerpunkt: Einverleibung // Appell Palästinas an die Völker und Staaten der Welt Satz, Layout & Druck Druckhaus Köhler GmbH 09 Schwerpunkt: Einverleibung // Eine Hiobsbotschaft Siemensstraße 1–3, 31177 Harsum 10 Schwerpunkt: Einverleibung // Ein Staat Palästina und das Problem der „Siedlungen“ und „Siedler*innen“ www.druckhaus-koehler.de 12 Deutschland, EU und Nahost // Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entscheidet für Erscheinungsweise Meinungsfreiheit / Asselborn-Initiative gegen Israels Annexionspläne / UN-Experten warnen Bundesregierung / Das Palästina Journal erscheint DIE LINKE sagt Nein zur Annexion / EuGH: Waren aus Siedlungen müssen gekennzeichnet sein / Bundesregierung: im Jahr 2020 einmal. Internationaler Strafgerichtshof darf nicht zu Palästina urteilen / EU schließt israelische Siedlungen aus dem Hori- zon-Projekt aus / Deutsch-Palästinensischer Lenkungsausschuss / Deutsch-palästinensische Forschungsprojekte Preis Der Bezugspreis für das Palästina Journal 14 Schwerpunkt: Einverleibung // Völlige Unabhängigkeit oder völlige Gleichheit – ist im DPG-Mitgliedsbeitrag enthalten. Reaktionen in Palästina auf die drohende Annexion 16 Schwerpunkt: Einverleibung // Mitri Raheb, Betlehem: Palästinenser leiden doppelt unter Corona Abo Bitte wenden Sie sich an die DPG. 17 Aktivitäten // Auf ein Wort! / Spendenprojekt: Sahber – Limonade mit Kaktusfeige / Zum Abkommen der Vereinigten Arabischen Emirate mit Israel / DPG Beitrittserklärung Spenden 18 Aktivitäten // Neue Faktenblätter / Jahreshauptversammlung verschoben / Bonn musste Palästina-Gruppen Um dieses unabhängige Journal veröffentlichen zu für Fest „Vielfalt!“ zulassen / Kunst oder Zensur? / Brief an Auswärtigen Ausschuss / Offener Brief an Außen- können, ist die DPG auf Spenden angewiesen. minister Maas / DPG-Vizepräsidentin abgeschoben / Zum Tod von Norbert Blüm / Hilfspakete für Gaza / Neue Bitte spenden Sie an: DPG-Gruppe in Münster / Zur Stellungnahme des Rates der EKD zu BDS Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V. (DPG) 21 Schwerpunkt: Einverleibung // UN-Sicherheitsrat zu Israel/Palästina Sparda West e.G. 23 Weltweite Solidarität // DGB nimmt keine Stellung / KoPI-Erklärung / Kairos-Aktion vor Bischofssitzen / BIC: GENODED1SPK IBAN: DE37 3706 0590 0100 3392 10 Corona-Schutz für palästinensische Gefangene gefordert / Promis wollen Bann von Siedlungswaren /Studieren- denprotest / NOA protestiert gegen Vertreibung / Protest gegen Microsoft / AXA: Schluss mit der Finanzierung der israelischen Apartheid / Kirchen lehnen Trumps Nahost-Plan ab 25 Medienempfehlungen // Filme / Bücher 27 Brief // Mein Vater 28 Kunst // Forensic Architecture Titelbild Bil‘in: Demonstration in Bil‘in, Westjordanland, ge- Liebe Leser*innen, gen Mauer und Siedlung am 27. Februar 2015 an- lässlich von zehn Jahren Protest gegen die Mauer. seit dem 1. Juli ist Palästina durch Annexion bedroht. Annexion oder Einverleibung hat es zwar zuvor schon de facto gegeben und findet weiterhin statt, doch mit dem Rückhalt der US-Regierung FOTO // YOTAM RONEN / ACTIVESTILLS.ORG könnte Israel versuchen, Gebiete im Westjordanland auch de jure zu annektieren – alles gegen das Völkerrecht. Lesen Sie in dieser Ausgabe über Methoden und den Widerstand gegen die Annexion. Ihre Redaktion redaktion@dpg-netz.de 02 · Ausgabe 16 · September 2020
Nachrichten aus Palästina Nachrichten aus Palästina ABBAS KÜNDIGT ABKOMMEN UN-SONDERAUSSCHUSS P räsident Mahmoud Abbas hat am 20. Mai 2020 alle mit Israel und den USA unterzeichneten APPELLIERT AN INTER Abkommen und Vereinbarungen aufgekündigt. Wie die palästinensische Mission in Berlin infor- NATIONALE GEMEINSCHAFT mierte, machte er mit sofortiger Wirkung gegenüber der Internationalen Gemeinschaft Israel für I m 51. Report des Sonderausschusses zur das besetzte Palästina verantwortlich. Untersuchung israelischer Praktiken bezüglich „Die PLO und der Staat Palästina sind ab heute von allen Abkommen und Vereinba- der Menschenrechte der Palästinenser*innen rungen mit der amerikanischen und israelischen Regierung sowie von allen Verpflich- und anderer Araber*innen in den besetzten tungen befreit, die auf diesen (…) beruhen, einschließlich der Sicherheitsvereinbarun- Gebieten, der im September 2019 der UN Ge- gen“, sagte Präsident Abbas nach einem Dringlichkeitstreffen der palästinensischen Führung in neralversammlung vorgelegt wurde, wird von Ramallah. Maßnahmen seien bereits eingeleitet, internationalen Abkommen und Konventionen der internationalen Gemeinschaft gefordert: beizutreten, denen der Staat Palästina bisher noch nicht beigetreten ist. Auch bekräftigte Abbas das palästinensische Engagement für die UN-Resolutionen und ein- aa Israel aufzufordern, seine Besetzung des schlägigen arabischen, islamischen und regionalen Resolutionen sowie die Umsetzung der besetzten palästinensischen Gebiets, d.h. Zwei-Staaten-Lösung, die in Anwesenheit einer dritten Partei an der Grenze akzeptiert wird. des Westjordanlandes, einschließlich Ost Letztere setze Verhandlungen unter internationaler Schirmherrschaft und einer internationalen jerusalems und des Gazastreifens, sowie Friedenskonferenz, die auf internationaler Legitimität basiert, voraus. Er rief alle Länder auf, des besetzten syrischen Golan gemäß den Maßnahmen zu ergreifen und Sanktionen zu verhängen, damit Israel seine Annexions-Pläne Resolutionen 242 (1967) und 497 (1981) nicht umsetzen und nicht weiterhin die Rechte des palästinensischen Volkes verweigern kann. des Sicherheitsrates einzustellen; aa ihren Einfluss zu nutzen, um die Blockade FOTO // PA des Gazastreifens zu beenden und insbe- sondere, um die akute humanitäre Krise unverzüglich anzugehen; aa ihren Einfluss zu nutzen, um alle Sied- lungstätigkeiten im Westjordanland, ein- schließlich Ost-Jerusalem einzustellen; aa das Muster der Nichtzusammenarbeit Israels mit den Vereinten Nationen zu un- tersuchen; aa ihre rechtlichen Verpflichtungen, wie sie in dem Mauer-Gutachten des Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahr 2004 enthalten Präsident Mahmoud Abbas hat am 20. Mai 2020 alle mit Israel und den USA unterzeichneten Abkommen sind, zu erfüllen; und Vereinbarungen aufgekündigt. aa Überprüfung der nationalen Politiken, Rechtsvorschriften, Verordnungen und Durch setzungsmaßnahmen im Zusam- GEWALT GEGEN FISCHER menhang mit der Geschäftstätigkeit, um I m Jahr 2019 gab es 351 Übergriffe gegen Fischer in Gaza. Wie die Menschenrechtsorga- sicherzustellen, dass sie wirksam dazu nisation Al Mezan berichtete, wurden 16 Fischer verletzt und 15 Boote beschlagnahmt. Außer- beitragen, das erhöhte Risiko von Men- dem verhängte Israel Restriktionen für Fischer als Kollektivstrafe, nachdem Brandballons und schenrechtsverletzungen in den besetzten Raketen aus Gaza gestartet wurden. Al Mezan vermutet jedoch, dass das wirkliche Ziel die Gebieten zu verhindern und anzugehen; Zerstörung des gesamten Fischereisektors ist. Die Fischereiindustrie ist traditionell ein Eck- aa sicherzustellen, dass Unternehmen die pfeiler der Wirtschaft des Gazastreifens. In den letzten Jahren ist sie geschrumpft. Im Jahr Menschenrechte achten und keine kom- 2000 arbeiteten ca. 10.000 Palästinenser*innen im Fischereisektor, jetzt sind es noch 2.000, die merziellen Transaktionen mit Organisati- regelmäßig fischen. onen und Einrichtungen finanzieren oder abschließen, die an Siedlungen oder der Ausbeutung natürlicher Ressourcen im be- setzten palästinensischen Gebiet und im ARMEEGEWALT besetzten syrischen Golan beteiligt sind. Ü bermäßige Gewaltanwendung und Kollektivstrafe durch die israelische Armee hat das Paläs- tinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR) beklagt. Am 6. Februar erschoss das israelische Militär zwei Menschen, darunter einen palästinensischen Polizisten, während es in Jenin ein- drang und ein Haus eines Gefangenen zum zweiten Mal zerstörte. Ein dritter Palästinenser wurde am selben Tag von einem israelischen Scharfschützen bei einem Protest in Hebron getötet. 03
Palästina Journal · Nachrichten aus Palästina EINBRUCH BEI FINANZEN BEVÖLKERUNG 2019 D ie Weltbank rechnet mit einem Defizit der Palästinensischen Autonomiebehörde von einer Mil- I m Jahr 2019 lebten 2.986.714 Palästi nen liarde Dollar für 2020, die PA hält 1,4 Milliarden für wahrscheinlich. Die direkten Zuschüsse an die ser*innen in der West Bank, 1.989.970 im Gaza PA könnten auf 266 Millionen Dollar sinken, die niedrigste Auszahlung seit zehn Jahren. Bereits im streifen (Palästinensisches Statistikbüro) und vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft nur mäßig (0,9%). Die Weltbank führte das auf den Rück- 1.930.000 Palästinenser*innen in Israel (Israelisches gang von privatem und öffentlichem Konsum sowie Investitionen zurück. Statistikbüro). FOTO // URSULA MINDERMANN ALLTÄGLICHE SIEDLERGEWALT A m 6. Mai 2020 griffen zehn jüdische Siedler- Kolonisten, die aus der „aufgelösten“ Siedlerkolonie Homesh kamen, einen palästinensischen Hirten aus Beit Imrin an, der seine Herde zwischen Homesh und Burka weidete, und verwundeten ihn. Am 21. Mai 2020, drangen jüdische Siedler-Kolonisten in das palästinensische Dorf Yatma ein, griffen zwei junge Männer an, die vor ihrem Haus saßen und Wasser- pfeife rauchten, und verwundeten sie. Sie griffen ein Haus an, warfen Steine, schlugen zwei Fenster ein und rannten dann auf die Straße, wo zwei Fahrzeuge auf sie warteten. Vom 21. Mai bis 23. Mai, brach- ten jüdische Siedler-Kolonisten vom Außenposten Mitzpe Yair in den Hügeln von Süd-Hebron jeden Tag in den frühen Morgenstunden ihre Schafe in Getrei- defelder von Palästinenser*innen aus Qawawis und zerstörten die Ernten. Sie entkamen, bevor die Polizei ERSTRITTENE BESUCHSERLAUBNIS eintraf. Die alltäglichen Gewalttätigkeiten werden E rst nach einer Eingabe an den Obersten Gerichtshof durften drei Schwestern aus Israel ihren von einem israelischen Menschenrechtsaktivisten kranken Bruder in Gaza besuchen. Wie die israelische Menschenrechtsorganisation Hamoked mit- dokumentiert. teilte, hatten die drei Schwestern, die in Südisrael leben, ihren kranken Bruder im Gazastreifen www.icahd.de/sagt-nicht-ihr-haettet-es- besuchen wollen, der vor einer Herzoperation stand. nicht-gewusst-nr-694/ B-GEBIET SOLL C-GEBIET WERDEN GEWALTTÄTIGE ANGRIFFE D as palästinensische Außenministerium hat die israelische Beschlagnahmung palästinensischer VON SIEDLERN GESTIEGEN Ländereien in der Ortschaft Qaryout im Südwesten der Stadt Nablus verurteilt. Seit 1993 ist es das S eit der Corona-Krise haben israelische Sied erste Mal, dass Israel Land vom B-Gebiet, das unter palästinensischer Verwaltung steht, abtrennt ler*innen ihre Angriffe auf Palästinenser*innen und es in C-Gebiet mit vollständiger israelischer Kontrolle umdeklariert. verstärkt. Trotz Lockdowns haben die Angriffe nach Das Ministerium über den Besiedlungsplan, der die Annexion von mehr als 700 Dunam palästinensi- Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisa- schen Landes zum Ausbau der völkerrechtswidrigen Siedlung Eli vorsieht: „Wir haben immer vor tion B’tselem zugenommen. In den ersten drei April- dem kolonialen Siedlungsplan gewarnt, der auf das südwestliche Gebiet wochen waren es bereits so viele wie im gesamten von Nablus und die Errichtung eines riesigen Siedlungsblocks ab- März, 23 Fälle. Im Januar waren es 11. UN-Ocha hat zielt. Dieser soll mit dem Block im Distrikt Salfit und den im März 38 und im April 41 Gewalttätigkeiten gegen in Bezirk Qalqilia verbunden werden und sich bis auf das Palästinenser*innen und deren Eigentum registriert. Gebiet Israels erstrecken“, heißt es in der Pressemitteilung. Die Siedler tragen in manchen Fällen Waffen, greifen mit Elektroschockern und scharfen Hunden an. Sie greifen Häuser an, zerstören Autos, Olivenbäume und andere Pflanzen und stehlen Vieh, führt B’tselem aus. OBERSTER GERICHTSHOF: SIEDLUNGSGESETZ ILLEGAL D er Israelische Oberste Gerichtshof hat im Juni 2020 ein Gesetz aus dem Jahr 2017 für nichtig erklärt, das rückwirkend den Bau von tausenden Siedler- Häusern autorisiert hatte, die auf Land gebaut sind, FOTO // NAZIH MUSHARBASH das sich im Privatbesitz von Palästinenser*innen Land von Einwohner*innen der palästinensischen Gemeinde Nilin in der besetzten Westbank befindet. Dies hat der wurde für eine völkerrechtswidrige israelische Kolonie enteignet. Nachrichtenkanal „The New Arab“ berichtet. 04 · Ausgabe 16 · September 2020
Nachrichten aus Palästina PALÄSTINENSISCHE BESATZUNGSMACHT VERSPRACH 700 WOHNUNGEN – ARBEITER*INNEN OHNE SCHUTZ UND GENEHMIGTE SECHS V or dem Lockdown waren fast 130.000 palästi- I m Jahr 2019 hat die israelische Regierung Baugenehmigungen für 700 palästinensische Woh- nensische Arbeiterinnen und Arbeiter in der West nungen zugesagt, nachdem die von der israelischen Regierung veranlassten Hauszerstörungen in- Bank gezwungen, in Israel oder den illegalen Sied- ternational stark kritisiert wurden. Die israelische Friedensorganisation Peace Now hat nach einem lungen zu arbeiten, um zu überleben. Wie überall Jahr nachgefragt, wieviele Baugenehmigungen tatsächlich erteilt worden sind. Sie kam auf ganze in der Welt zeigt die Pandemie, dass diese ausge- sechs Wohnungen. In neun Sitzungen des Civil Administration Licensing Subcommittee der Besat- beuteten Arbeiter*innen eine Arbeit leisten, von zungsmacht ist ein Gebäude mit sechs Wohnungen im C-Gebiet der Westbank genehmigt worden. der die israelische Wirtschaft abhängig ist. Des- halb hat der israelische Staat trotz der aktuellen Gesundheitskrise 40.000 dieser Arbeiter*innen BESATZUNGS-WILLKÜR aufgefordert, weiterhin in Israel zu arbeiten, wäh- I m Februar 2019 veröffentlichte das Ministerium für strategische Angelegenheiten einen Be- rend die Israelis ihre Wohnungen nicht verlassen richt, in dem palästinensische Menschenrechtler*innen und Aktivist*innen der Kampagne Boykott, dürfen. Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) als „Terroristen in Anzügen“ bezeichnet wurden. Unter ih- Obwohl palästinensische Arbeiter*innen laut isra- nen befanden sich der Generaldirektor der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq, elischem Recht seit 1970 dieselben Rechte haben Shawan Jabarin, Raji Sourani, der Direktor des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte, wie die israelischen Arbeiter*innen und obwohl und Salah Hamouri, ein Jurist der Gefangenenhilfsorganisation Addameer. Am 19. September 2019 sie gemäß dem Oslo-Abkommen seit 1993 Bei- durchsuchten die israelische Armee das Büro von Addameer in Ramallah und beschlagnahmte PCs. träge an die israelische Gewerkschaft Histadrut Am 30. Juli 2020 verhaftete die Armee BDS-Koordinator Mahmoud Nawajaa. zahlen, sorgt diese Gewerkschaft nicht für ihren Schutz. In Folge der Einschränkungen hat die isra- elische Regierung der israelischen Arbeiterschaft INTERNATIONALER STRAFGERICHTSHOF: HINWEIS AUF KRIEGSVERBRECHEN Arbeitslosenunterstützung gewährt, davon aber A m 20. Dezember 2019 gab die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) die palästinensischen Arbeiter*innen ausge- bekannt, dass die Voruntersuchungen zur „Situation in Palästina“ Hinweise auf Kriegsverbrechen schlossen, obwohl sie Beiträge zahlen. ergeben hatten, die in den besetzten palästinensischen Gebieten begangen worden waren. Alle WAC-MAAN, Kav Laoved und der israelische gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für die Eröffnung eines Verfahrens wären somit erfüllt. Bürgerrechtsverband (Association for Civil Rights Bevor mit der Untersuchung fortgefahren werden kann, müssen die IStGH-Richter*innen der Chefan- in Israel) weisen außerdem darauf hin, dass die klägerin noch bestätigen, dass das Gebiet, für das der IStGH Recht sprechen soll, auch das West- israelische Regierung möglicherweise den Kran- jordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen einschließt. ken-Unterstützungsfonds (Sick Pay Fund) nutzt, in den die palästinensischen Arbeiter*innen in den vergangenen Jahrzehnten eingezahlt haben, ohne PALÄSTINENSER*INNEN IN DER KNESSET – dass sie im Krankheitsfall eine Lohnfortzahlung SCHWINDENDER HANDLUNGSSPIELRAUM beantragen konnten. E in neuer Amnesty Bericht „Gewählt, aber mit Einschränkungen – schwindender Handlungsspiel- raum für palästinensische Parlamentarier in der israelischen Knesset“ beschreibt im Detail, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung palästinensischer Knesset-Mitglieder durch diskriminierende HAUSZERSTÖRUNGEN Gesetzesänderungen, Gesetzesentwürfe und Knesset-Regeln gefährdet wird. Er beleuchtet auch die L aut Ir Amin Bericht, einer Jerusalemer Nichtre- hetzerische Rhetorik, die von Ministern der israelischen Regierung benutzt wird, um palästinensi- gierungsorganisation, zerstörten die israelischen sche Abgeordnete zu stigmatisieren und enthüllt, wie Gesetzesentwürfe, die von palästinensischen Behörden im Jahre 2019 104 palästinensische Parlamentarier*innen vorgestellt werden, auf unfaire und diskriminierende Weise in der Knesset gar Häuser und 117 Läden/Werkstätten in Ost-Jerusa- nicht erst zur Diskussion kommen. lem. 40 von ihnen mussten vom Eigentümer selbst zerstört werden. Am 9. Februar 2020, musste eine palästinensische Familie aus Jabal Al Mukaber, MISSHANDLUNG VON JERUSALEM-MINISTER einer Gemeinde, die an Jerusalem grenzt, ihr ei- D er Minister für Jerusalem-Angelegenheiten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Fadi genes Haus zerstören. Das geschah, nachdem das al-Hadami berichtet von seiner „alptraumhaften“ Festnahme und Misshandlung am 3. April in Jeru- Gericht entschieden hatte, dass andernfalls der salem. Er legte Beschwerde gegen israelische Polizeioffiziere ein, die ihn beschimpft und geschla- Staat das tun würde und sie die Kosten von 45 000 gen hätten und ihn zwangen, während seines Arrests eine dreckige und blutige Maske zu tragen. Schekel zu bezahlen hätten. Fünf Personen wurden Al-Hadami war auf den Verdacht hin verhaftet worden, dass er im Namen der PA die Reaktion auf obdachlos. Palästinenser*innen gelingt es fast nie, den Coronavirus in Ostjerusalem koordiniert habe, was unter israelischem Gesetz illegal ist. Israel eine Bauerlaubnis zu erhalten. www.icahd.de sieht jede Gegenwart der PA in Jerusalem als eine Verletzung des Oslo-Abkommens. UN VERÖFFENTLICHT LISTE VON FIRMEN, DIE VON BESATZUNG PROFITIEREN D er fortschreitende Ausbau der völkerrechtswidrigen Siedlungen im besetzten Westjordanland, in Ostjerusalem und in den annektierten Golanhöhen wird durch israelische und internationale Firmen begünstigt. Der Menschrechtsrat der Vereinten Nationen hat am 12. Februar 2020 eine Liste von Unter- nehmen veröffentlicht, die durch ihre Tätigkeit im besetzten Gebiet den Aufbau und das wirtschaftliche Fortbestehen der Siedlungen gewährleisten. Sie machen sich dadurch mitschuldig an Völker- und Menschenrechtsverletzungen durch Israel. Die Veröffentlichung folgt zunehmendem Druck, den Handel mit Produkten aus illegalen Siedlungen in besetztem Gebiet vollständig zu untersagen. Unter den Firmen sind u. a. booking.com und airbnb. 05
Palästina Journal · Nachrichten aus Palästina BANKSY- ANWENDUNG DES MILLIONEN FÜR ANTI-BOYKOTT-GESETZES WESTBANK- D as israelische Anti-Boykott-Gesetz wur- KLINIK de angewendet, wie Amnesty International D er britische Künst- in ihrem Jahresbericht 2019 berichtet, um ler Banksy hat ein gegen Aktivist*innen und Organisationen Bild versteigern las- vorzugehen, die sich kritisch zur Politik Isra- sen und spendet das els geäußert hatten. Im November 2019 be- Geld an eine Klinik im kräftigte das Oberste Israelische Gericht die Westjordanland. Wie Ausweisung von Omar Shakir, dem Direktor zahlreiche Medien be- von Human Rights Watch Israel und Palästi- FOTO // URSULA MINDERMANN Mauer in Betlehem richteten, brachte das na, die sich auf dieses Gesetz stützte. Im Juni Werk „Mediterranean 2019 berief sich das staatliche Energieunter- Sea View 2017“ auf einer Auktion von Sotheby‘s in London 2,47 Millionen Euro ein. Es besteht aus nehmen Energix auf das Gesetz und verklagte drei Ölgemälden, auf denen eine Küste am Mittelmeer mit angespülten Rettungswesten zu sehen Al-Marsad – Arabisches Menschenrechtszen- ist. Mit dem Geld soll ein Zentrum für akute Schlaganfälle aufgebaut werden und Hilfsmittel für die trum auf den Golanhöhen, nachdem die Nicht- Rehabilitation von Kindern beschafft werden. regierungsorganisation über ein umfangrei- ches Windenergie-Projekt auf Privatland, das syrischen Staatsangehörigen auf den besetz- ARMUT DURCH CORONA ten Golanhöhen gehört, berichtet hatte. D as palästinensische Ministerium für soziale Entwicklung (MoSD) schätzt, dass in den ersten bei- den Corona-Monaten mindestens 53.000 Familien aufgrund des Verlusts einer Einkommensquelle in Armut gestürzt sind. Dies zusätzlich zu jenen Familien, die aufgrund der ohnehin außerordentlich VERHINDERTE ABSCHIEBUNG hohen Arbeitslosenrate in Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem bereits unter der Armutsgrenze I n der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 2019 leben müssen. versuchten die israelischen Behörden, Musta- Am 5. März wurde Betlehem und der für die Arbeiter*innen und für den Tourismus so wichtige Checkpoint fa al-Kharouf nach Jordanien abzuschieben. 300 aufgrund von Covid-19 abgeriegelt, zehn Tage später folgte das gesamte Westjordanland. Zigtausen- Der palästinensische Fotojournalist besitzt de Palästinenser*innen verloren schlagartig ihre Arbeit. In den ersten Wochen sorgte noch der soziale weder die jordanische Staatsangehörigkeit und finanzielle Zusammenhalt der Familien sowie Ersparnisse dafür, dass die Menschen weiterhin Nah- noch eine Aufenthaltsgenehmigung für das rungsmittel und Dinge des täglichen Bedarfs kaufen konnten. Auch Kirchen und Moscheen versuchten, zu Land. Kurz zuvor hatte er Menschenrechtsver- helfen. Mittlerweile sind jedoch die lokalen Ressourcen erschöpft, die Ersparnisse der Familien, sofern letzungen der israelischen Sicherheitskräfte sie vorhanden waren, aufgebraucht. Hilfsorganisationen vor Ort, wie die Caritas Jerusalem, berichten in Ost-Jerusalem dokumentiert. Jordanien davon, immer mehr Nahrungsmittelhilfe und Hygienepakete an verarmte Familien ausliefern zu müssen. blockierte den Abschiebeversuch, der nach Einschätzung von Amnesty International einem Kriegsverbrechen gleichgekommen HEIDELBERGCEMENT PROFITIERT VON BESATZUNG wäre. Mustafa al-Kharouf war vom 22. Januar I n al-Zawiya und Rafat leidet die palästinensische Bevölkerung unter der Verschmutzung, die 2019 bis zu seiner Freilassung unter Auflagen durch das Zerkleinern von Kies im Steinbruch Nahal Raba entsteht. Die Verletzungen der palästinen- am 24. Oktober 2019 willkürlich inhaftiert. sischen Rechte durch das Unternehmen HeidelbergCement, das den Steinbruch betreibt, werden von der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq und SOMO*, Zentrum zur Untersu- FOTO // PALESTINE CHRONICLE chung multinationaler Unternehmen, Niederlande, dokumentiert. Der Steinbruch befindet sich auf dem Land von al-Zawiya. Es wurde Anfang der 1980er Jahre von den israelischen Besatzungstruppen beschlagnahmt. Die Bewohner*innen hatten das Land land- wirtschaftlich genutzt. Heute werden dort täglich ca. 4.000 Tonnen Kies produziert, mit dem Beton und Asphalt hergestellt wird. Da der Steinbruch bald ausgebeutet sein wird, beantragte das Un- ternehmen die Genehmigung für weitere 25 Hektar Land. Die Ausweitung umfasst auch Land des palästinensischen Dorfes Rafat. HeidelbergCement erklärte, es warte eine endgültige Entscheidung der israelischen Besatzungsbehörden ab. Das Unternehmen bestreitet, dass sein Steinbruch auf beschlagnahmtem palästinensischen Land liegt und beruft sich auf eine israelische Lizenz und auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2011. Dieses Urteil „legalisierte“ aber nur die Plünderung der palästinensischen Ressourcen nach israelischem Recht. Völkerrechtlich ist die Ausbeutung be- setzter Gebiete ein schweres Verbrechen. Textilmanufaktur in Gaza: 40 Näher hat das Unterneh- men Hasco angestellt, um Schutzmasken für Gaza und Europa zu nähen. Zwischen dem 14. Juli und 28. Juli stieg die Anzahl der mit Corona Infizierten in Palästina GEFÄNGNISORDNUNG NUR AUF HEBRÄISCH von 7.734 auf 13.938, 34 sind in diesen zwei Wochen D ie israelischen Justizvollzugsbehörden haben eine Anfrage der Vereinigung für Bürgerrech- gestorben. Die Zahlen veröffentlichte UN-Ocha. te in Israel (ACRI) verweigert, Gefängnisordnungen ins Arabische zu übersetzen. Die Behörden In Gaza wurden vier Personen mit Corona getestet. Seit Auftreten des Virus im März gab es dort 76 Fälle. argumentierten, dass das Nationalstaatsgesetz dies nicht vorsehe. Dieses Gesetz diskriminiert Ein Mensch ist gestorben. Palästinenser*innen auch durch die Herabstufung der arabischen Sprache. 06 · Ausgabe 16 · September 2020
Schwerpunkt // Einverleibung Trump-Plan: ZAHLEN QUELLE // PEACE NOW Annexion, Vertreibung und Apartheid Israelische Annexion der Westbank: 1.857.500 Dunam (30 % der Westbank) Palästinensische Orte in der Westbank: Der Trump-Plan negiert die palästinensische Staatlichkeit. 178 (107.070 Palästinenser*innen) Er baut auf abgetrennte Reservate und Ghettos für Palästinenser*innen, Palästinensische Viertel in Ostjerusalem: ein Element, das das Verbrechen der Apartheid kennzeichnet. 24 (220.000 Palästinenser*innen, geschätzt) Vorgesehener „Landtausch“ von Israel D an Palästina: 833.000 Dunams as Projekt verstößt gegen grundlegende strategischer geopolitischer Bedeutung, um Israel Israelische Palästinenser*innen: Prinzipien des Völkerrechts wie die Un- die De-facto-Souveränität über das gesamte ehe- 18 Orte, u.a. Umm al-Fahem zulässigkeit der gewaltsamen Annexion malige britische Mandatsgebiet Palästina und sei- (389.078 Palästinenser*innen) von Gebieten und das Selbstbestim- ne Ressourcen zu garantieren. Palästinenser*innen aus Ostjerusalem: mungsrecht. Die auf der Karte sichtbare Zersplit- Das israelische Regime und das gesamte Sied- 5 (120 000; geschätzt) terung der Palästinenser*innen ist eine Strategie lungsprojekt behandeln das von Israel besetzte der kolonialen Herrschaft. palästinensische Gebiet de facto als souveränes Die Karte zeigt das Ausmaß weiterer Landdiebstäh- Territorium Israels. Der Internationale Gerichtshof Das Transportsystem des Annexionsplans, le. Die meisten der annektierten Gebiete sind von (IStGH) hatte in seinem Mauergutachten von 2004 das auf Tunneln und Brücken basiert, um die bereits festgestellt, „dass der Bau der Mauer Palästinenser*innen getrennt zu halten, führt das KARTE // JAN DE JONG und das damit verbundene Regime eine ,voll- bestehende Apartheid-Straßensystem fort, das Israeli Annexation Zalafa in the West Bank endete Tatsache‘ schafft, die dauerhaft wer- das historische Straßensystem und die Geogra- Um al Fahm Mukeible Sandala (According to Ar’ara The Trump Vision Plan-2020) Barta’a Jenin den könnte; in diesem Fall und ungeachtet SHAKED Green (Armistice) Line - 1949 Palestinian Autonomous Oslo A & B Areas Baqa Gh. M.DOTAN phie Palästinas zerstört und auf palästinensisches Jatt Oslo Area C transferred to the Palestinian State Oslo Area C to be annexed by Israel Ibthan Bardala MEHOLA der formalen Charakterisierung der Mauer Land zugreift. Palästinenser, die von Ramallah durch Israel käme dies einer De-facto-Anne- nach Nablus reisen, werden neue lange Strecken Tulkarm Tubas Areas to be ceded by Israel Anabta Al Malih to the Palestinian State A.HEFEZ SHAVE SHOMRON Proposed Palestinian State West Bank Wall/Barrier Trajectory Major Palestinian Cities and Qalqilya SALIT KEDUMIM Hajja A Nablus E.MOREH HAMRA BEKAOT Hadidiya 90 xion gleich“. Die angekündigte Verabschiedung über Salfit (durch eine Unterführung) nehmen müs- BRAKHA eines Annexionsgesetzes wird die bestehende in- sen. Dasselbe gilt für die Verbindungen zwischen (selected) Villages K.SHOMRON Palestinian Villages Fr.B.Dajan within Annexed Areas YIZHAR ITAMAR Zbeidat (some clustered under one symbol) F.Jiftliq ternationale Verantwortung noch erhöhen. Nablus und Qalqilya/Tulkarm sowie zwischen He- Israeli Settlements and Bidya K.TAPPUAH A Outposts (A= Strategic Area) ARIEL JO ELKANA GITTIT 5 R 60 Major highways prominently Rafat M.EFRAIM DA used by Israeli settlers / Rd.Nr. SHILO ISRAEL Salfit Die Mauer ist und bleibt eine Maßnahme der An- bron und Zielen in der zentralen Westbank. Bruqin Alternative Settlement FAZAEL N Roadlink option (near B.ARIEH VA R oa d Ramallah, Jericho and Hebron) Rantis HALAMISH Fasayil LLE 60 Projected Settlement Rawabi A lo n Access Road nexion. Die vorgeschlagenen Grenzen der Anne- Die Annexion des Gebietes westlich der Siedler- Qibya ATARA A Jordan Rive Y Projected Palestinian K.HASHAHAR Thoroughfare / NILI TALMON OFRA B.EL YITAV Tunnel/Bridge Projected Palestinian Passage Rammun West Bank-Gaza MODI’IN Ramallah xion überschneiden sich mit dem Mauerverlauf, straßen Nr. 446 (Modiin-Ariel) und Nr. 45 (Modiin- r ILLIT 45 B.Ur Approximate Percentages of Annexed/Ceded Areas Beit G.ZEEV M.MIKHMAS proportional to West Bank Territory Liqya Gaza WEST BANK HAR ADAR RAMOT Jericho 90 was zeigt, dass die Mauer bereits die Realität der Jerusalem) zeigt, dass Israel entschlossen ist, M.ADUMIM 1 Annexion geschaffen hat. Dort, wo die Annexions- strategisch wichtige Landgebiete und Verkehrs Oslo C, Oslo A & B Jerusalem to Israel ALMOG 41% Al Quds 33% Abu 67% GILO Dis Khan Oslo C, pläne weiter in das Westjordanland hineinreichen linien zu erobern, trotz der großen palästinensi- Yunis to Pal. State WB: 4% Ubeidiya 26% BETAR Rafah GAZA Bethlehem GS: STRIP (siehe insbesondere die Dörfer im Nordwesten Je- schen Bevölkerung dort. 11% EFRAT To be ceded K.ETZION TEKOA by Israel, adjacent to: 60 K.ZUR M.AMOS rusalems, östlich von Jerusalem im Gebiet E1 und Rund 75 palästinensische Dörfer, Beduinen- und ASFAR M.SHALEM HALUTZA Sa’ir SANDS ADORA DEAD Hebron Q.ARBA (Al Khalil) SEA im westlichen Bezirk Ramallah), ist die Mauer ein Semi-Beduinen-Gemeinschaften mit etwa 118.000 Bani Dura Naim NEGOHOT PNE ISRAEL Gaza HAGAI HEVER grundlegendes Instrument, um größere palästi- Einwohnern und die fruchtbarsten landwirtschaft- B.ar Rush Yatta KARMEL EGYPT OTNIEL ESHKOLOT SUSYA MA’ON nensische Bevölkerungszentren in einem isolierten lichen Flächen befinden sich in den Gebieten, die TENE A M.YEHUDA 20 Km © stopthewall.org / Jan de Jong 0 10 20 Km „Niemandsland“ einzugrenzen und ihnen ihre Inte- nach dem Trump-Plan annektiert werden sollen. Nur 15% des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina gration in den israelischen Staat zu nehmen, auch Diese Menschen leiden bereits unter der Annexion. bleiben nach dem Trump-Plan den Palästinenser*innen, wenn er ihr Land annektiert. Letztlich soll die Be- 85% gehen an Israel. JAMAL JUMA, völkerung aus diesen Gebieten vertrieben werden. KOORDINATOR VON „STOPPT DIE MAUER“, RAMALLAH Militärherrschaft Während Israel seine Fläche von 78% auf 85% des Israel fährt fort, das gesamte Land militärisch zu Ein Punkt, der fehlte, weil er von Netanyahu und Landes ausdehnt, bleibt für die Palästinenser*innen beherrschen, während die Palästinenser*innen nicht von Trump genannt wurde: vor jedweden nur ein Bantustan: kein zusammenhängendes Ge- nicht nur keine bewaffneten Streitkräfte haben, Verhandlungen müssen die Palästinenser*innen biet, keine Grenze mit den arabischen Nachbarn, sondern ihnen auch das Recht sich zu wehren Israel als JÜDISCHEN Staat anerkennen, eine keine Kontrolle über das Wasser oder andere le- genommen wird, denn jede Opposition zur israe- Forderung, die über die bloße Anerkennung Israels benswichtige Ressourcen, Verlust von Jerusalem lischen Unterdrückung wird von Trump (darin folgt durch Arafat im Oslo-Prozess hinausgeht. Das be- als religiöses, kulturelles und politisches Zentrum, er Israel) als „Terrorismus“ gebrandmarkt. einträchtigt nicht nur die Bürgerrechte von 25-30% ganz zu schweigen vom Verlust Jerusalems als Trump drohte den Palästinenser*innen auch, dass, der Israelis, die nicht jüdisch sind, sondern zwingt touristische Sehenswürdigkeit – das sind wirt- falls sie seinen Plan nicht innerhalb von vier Jahren die Palästinenser*innen, die kolonialen jüdischen schaftlich nicht lebensfähige Landstreifen, egal ob annehmen sollten, er den Israelis erlauben würde Ansprüche auf ihr Land für legitim zu erklären. man sie Staat oder Gefängnis nennt. auch auf dem Land, das die Palästinenser*innen JEFF HALPER, bekommen sollen, Siedlungen zu errichten. ISRAELISCHES KOMITEE GEGEN HAUSZERSTÖRUNG 07
Palästina Journal · Aufruf Appell Palästinas WIR BITTEN AUSDRÜCKLICH DARUM, an die Völker und UNVERZÜGLICH MASSNAHMEN ZU ERGREIFEN: Staaten der Welt – 1. Die Annexion des besetzten palästinensischen Gebiets durch Israel ist eine schwerwiegende Verletzung der Grundsätze des Völkerrechts … Annexion verhindern 2. Alle Staaten der Welt sollten die einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, einschließlich der Resolution 2334 (2016), S einhalten und insbesondere keine Änderungen an den Grenzen von eit vielen Jahren ist Israel eine Besat- 1967 anerkennen ... zungsmacht, die das Territorium eines 3. Alle Staaten sollten notwendige Maßnahmen gegen Siedlungen, anderen Staates besetzt und sein Volk Siedler*innen und Siedlungsprodukte – einschließlich der Verhinde- kontrolliert … rung des Markteintritts solcher Produkte – ergreifen … Es ist ein Staat, der dem palästinensischen Volk 4. Politische Vereinigungen und zivilgesellschaftliche Organisationen sein Recht auf Selbstbestimmung und nationale sollten sich dem Versuch einiger Regierungen widersetzen, die oben Unabhängigkeit verweigert, ebenso die Rechte genannten Maßnahmen zu kriminalisieren … palästinensischer Flüchtlinge, einschließlich ihres 5. Alle Staaten, die Beziehungen zu oder Kooperationsabkommen mit Rechts auf Rückkehr, Eigentum und Entschädi- Israel haben, sollten Sanktionsmaßnahmen in Bezug auf diese Ab- gung … kommen ergreifen, falls Israel Schritte unternimmt, um die Annexion In letzter Zeit hat sich die Situation weiter erheblich umzusetzen. verschlechtert. Wir haben eine zunehmende Ent- 6. Jene Staaten, die dies noch nicht getan haben, sollten den Staat wicklung Israels hin zu Extremismus, Fundamenta- Palästina mit den Grenzen von 1967 und Ostjerusalem als Haupt- lismus und sogar Faschismus gesehen. Wir haben stadt anerkennen, wobei die Existenz von zwei Staaten und die Auf- auch eine völlige Verletzung von geschlossenen Ver- rechterhaltung einer politisch ausgehandelten Zwei-Staaten-Lösung einbarungen gesehen, sowie Versuche, den Siedler- anerkannt wird … kolonialismus noch weiter auszubauen. Offizielle 7. Sie sollten die Schritte des Staates Palästina und anderer Länder vor Vertreter*innen Israels haben Stellungnahmen dem Internationalen Strafgerichtshof und vor nationalen Gerichten, AUFRUF abgegeben, welche die Existenz und die nationalen die jene israelische Verantwortliche, die für Kriegsverbrechen und Rechte des palästinensischen Volkes ignorieren und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, inklusive Annexion, verant- die Absicht bestätigen, das gesamte palästinensi- wortlich sind, gerichtlich ahnden, unterstützen. sche Gebiet zu besetzen … 8. Sie sollten die palästinensischen, arabischen und internationalen Auch Trumps kürzlich herausgegebene, sogenann- Bemühungen im UN-Sicherheitsrat, in der Generalversammlung und te „Vision für Frieden, Wohlstand und eine in anderen internationalen Institutionen gegen jeden israelischen bessere Zukunft für Israel und das palästi- Schritt in Richtung Annexion unterstützen … nensische Volk“ ist in Wirklichkeit kein Frie- 9. Sie sollten die Opposition gegen die sogenannte Trump-Vision unterstüt- densplan, sondern vielmehr eine Adaptierung ei- zen und alle Positionen von Rechtsextremist*innen und Siedler*innen ner ungeheuerlichen Ideologie, die ein Groß-Israel in Israel und extrem religiösen Rechten in Amerika ablehnen … vorantreiben möchte. Diese leugnet die nationale 10. Sie sollten das palästinensische Volk, die palästinensische Befrei- Existenz der Palästinenser*innen und stellt den ungsorganisation und die palästinensische Autonomiebehörde in Versuch dar, mögliche Lösungen für „palästinensi- ihrem anhaltenden Kampf gegen die Annexion angesichts Trumps sche BewohnerInnen“ in voneinander getrennten Vision unterstützen, um die nationalen Ziele von Freiheit und Unab- Einheiten zu finden, die sie dann als Staat bezeich- hängigkeit zu erreichen. nen können. Allerdings nur dann, wenn sie vorab zahlreiche zusätzliche nicht erfüllbare Bedingun- Dieser Appell wurde vom Vorsitzenden der Yasser Arafat Stiftung, dem ehemaligen palästi- gen akzeptieren. nensischen UN-Botschafter, Minister und Neffen von Yasser Arafat, Nasser Alkidwa, initiiert Der Plan ebnet den Weg für Israel, große Teile des und bislang von rund 1000 palästinensischen Persönlichkeiten aus der ganzen Welt unter- stützt. In voller Länge: https://www.yaf.ps/page-1567-en.html Westjordanlandes zu annektieren, einschließlich Auszug aus der Unterschriftenliste: der Gebiete mit illegalen Siedlungen, des Jordan Abd El-Qader Husseini Faisal Husseini Foundation, Jerusalem; Abdul Rahman Beseiso ehem. tals und des nördlichen Toten Meeres sowie Ge- Botschafter, Zypern; Afif Safieh ehem. Botschafter, London; Ahmed Qurei‘ ehem. Ministerprä- biete westlich der Mauer … sident, Jerusalem; Ali Jarbawi ehem. Minister, Univ. Prof., Ramallah; Faisal Hourani Schrift- steller, Ramallah; Atallah Hana ehem. Erzbischof, Jerusalem; George Handal Parlamentsabge- Es ist die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, ordneter, El Salvador; Gustavo Rouhana Geschäftsmann, Argentinien; Hassan Awad Anwalt, ihrer Staaten, Völker und zivilgesellschaftlichen Montreal; Hind Khoury ehem. Ministerin, Jerusalem; Imad Rashdan Künstler, Schweden; Intissar Al Wazir ehem. Ministerin, Gaza; Jad Ishaq ARIJ, Betlehem; Johnny Mansour Histo- Organisationen, dem entgegenzutreten, dies zu riker, Haifa; Khaled Al-Hroub Historiker, Doha; Khalil Hindi Univ.Prof., Beirut; Khalil Shaheen verhindern und gegebenenfalls Sanktions- und Banker, Genf; Mahmoud Ma‘rouf Journalist, Marokko; Makram Alkhatib Anwalt, Beirut; May- Abschreckungsmaßnahmen zu ergreifen … sar Omar Univ.Prof. Brasilien; Michel Sabah ehem. Erzbischof, Jerusalem; Mitri Raheb Präs. Dar al-Kalima Univ., Betlehem; Mohammed Eid Ramadan Schrifsteller, Beirut; Munib Masri Es geht darum, das Ziel von Friedensverhandlun- Geschäftsmann, ehem. jordanischer Minister,Nablus; Mun‘im Abu Attaya Soziologe, Madrid; gen zu bewahren und eine sichere, lebensfähige Mustafa Barghouti Pal. Nat. Initiative, Ramallah; Nabeel Kassis ehem. Minister, Univ.Prof., Ramallah; Nabil Abdallah Khoury Unternehmer, Los Angeles; Nabil Anani Künstler, Jerusalem; Zukunft für die Menschen in der Region, ein- Nabil Rimlawi ehem. Botschafter, Genf; Nasser Alkidwa Yasser Arafat Foundation, Ramallah; schließlich des palästinensischen und israelischen Othman Abdul Rahman Chirurg, Madrid; Raja Shehadeh Anwalt, Schrifsteller, Ramallah; Ras- Volkes in ihrem jeweils unabhängigen Staat, zu hid Khalidi Univ.Prof. Columbia University USA; Salam Fayyad ehem. Ministerpräsident, Univ. Prof. Princeton University; Samir Huleileh ehem. Minister, Geschäftsmann, Ramallah; Sliman ermöglichen. Mansour Künstler, Jerusalem; Tayseer Barakat Künstler, Ramallah; Vera Tamari Künstlerin, Jerusalem; Yasser Abed Rabbo ehem. Minister, Ramallah; Zuheir Al Wazir ehem. Botschafter, 08 · Ausgabe 16 · September 2020 Ramallah; Zuheira Kamal ehem. Ministerin, Jerusalem https://www.yaf.ps/page-1567-en.html 30. Juni 2020
Schwerpunkt // Einverleibung Israelische Enteignungspraxis: Eine aktuelle Hiobsbotschaft K ommen Sie gut durch die Nacht! Mit FOTO // RÖM diesem Spruch pflegte der Tagesthemen- Kommentator seine Fernsehzuschauerin- nen zu verabschieden. Inzwischen hat sich der Gruß erweitert und lautet: „Kommen Sie gut durch den Tag!“ Eine Voraussetzung da- für ist das Wegschauen. Die Medien konfrontieren uns mit dem Elend der Welt, das wir ohnmächtig an uns vorbeiziehen lassen. Wegschauen ist der eingespielte Reflex, den wir ständig benötigen, um uns nicht den Mut nehmen zu lassen und weiter zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Aber es gelingt mir nicht, von einer Geschichte wegzu- schauen, die ich hier einfach weitergeben muss. Obwohl es noch nicht einmal Hoffnung gibt, dass das Weitererzählen dieser Geschichte irgendeine Wirkung haben wird. Hier ist nichts und niemand mehr zu retten. Dennoch: umso wichtiger, dass wir nicht wegschauen und wenigstens bekannt wird, was wir da gerade übersehen. Ein kleiner Auf- schrei gegen die Ohnmacht des Schweigens. DAS WOHNRECHT ENTZOGEN Ostjerusalem, Stadtteil Silwan. Im Vordergrund eine touristische Stätte der Siedlergruppe El Ad, Teil der „City of David“. Die Geschichte der Familie Sumarin erfuhr ich von David Shulman, einem berühmten Indologen an der Hebräischen Universität in Jerusalem und Empfän- stück dem Jüdischen Nationalfonds. Immerhin MEHR ZUM THEMA ger des „Israel-Preises“, aber auch Mitglied von wurde der Neffe des Großvaters, der bereits seit Dazu David Shulman in seinem Blog: „Heute kam Ta’ayush, einer engagierten Gruppe der israelischen langem mit Frau und Kindern in dem Haus wohn- die schlechte Nachricht vom Jerusalemer Ge- Zivilgesellschaft, die sich für das Recht der palästi- te und sich um den Onkel gekümmert hatte, noch richt, die den Einspruch der Sumarin-Familie nensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten als legitimer Bewohner anerkannt. Als aber dieser in Wadi Hilweh gegen ihre Ausweisung aus einsetzt. In seinem Blog erzählt er von seinem letz- Neffe 2015 starb, entzogen die israelischen Behör- ihrem Haus durch den Jüdischen National- ten Besuch bei der Familie Sumarin, die seit Gene- den seiner Witwe sowie den Kindern und Enkeln fonds abgewiesen hat. Seit vielen Jahren ha- rationen in Wadi Hilweh in Silwan, einem Stadtteil das Wohnrecht und ordneten die Evakuierung ben ich und meine Aktivisten-Freunde viel in Ostjerusalem, lebt. Hier soll sich die biblische an. Die Familie wehrte sich mit allen rechtlichen menschliche Bosheit in Aktion gesehen. Aber Geschichte von Hiob zugetragen haben. In Wadi Hil- Mitteln gegen diese Entscheidung. Im September in diesem bösartigen Akt erlebe ich etwas so weh wurde kürzlich ein Besucherzentrum der Sied- 2019 wurde das Urteil durch den Jerusalem Ma- schreiend Grausames, ja Unmenschliches, ler-Gruppe El’ad errichtet, in dem sie Schulkindern gistrate Court bestätigt; eine weitere Beschwerde dass es mich mehr schmerzt und erzürnt als und Touristen ihre nationalistische Geschichte über der Großfamilie wurde am 30. Juni abgewiesen. je zuvor. So weit sind wir also gekommen. Ein diesen Ort erzählt, den sie „die Stadt Davids“ ungerechtes Gesetz wird von der Regierung, nennt. Direkt neben dem Besucherzentrum steht den Siedlern und Gerichten gedreht und das stattliche Steinhaus der Sumarins. EIN BÖSARTIGER AKT manipuliert im Interesse eines rassistischen Israelische Menschenrechtsaktivisten haben nicht und fundamentalistischen Nationalismus. In David Shulman hat die arabische Großfamilie weggeschaut. Sie haben den Fall der Sumarins Trauer, David.“ oft dort besucht. Der Großvater hat das Haus in über Jahre verfolgt und taten, was sie konnten, Das nenne ich eine aktuelle Hiobsbotschaft! Was den fünfziger Jahren gebaut. Er starb 1982, nach um die Ausweisung der Familie zu verhindern. Sie die Familie Sumarin in diesem Fall zu verlieren hat, 1989 lebten seine drei Söhne außerhalb Israels haben viele Freunde im In- und Ausland mobilisiert, ist offensichtlich. Aber auch Israel hat etwas zu ver- und Palästinas. Diese Tatsache erlaubte es der um ihren Protest zu unterstützen. In diesem Zusam- lieren, und das ist sein guter Ruf als Rechtsstaat. Regierung, das Haus der Familie in die Hände ei- menhang habe auch ich meinen ersten Brief an den nes staatlich eingesetzten „Wächters verlassenen Jüdischen Nationalfonds in New York geschrieben. Eigentums“ zu geben, und zwar mit Hilfe eines no- Inzwischen sind dort viele Briefe eingegangen, aber Aleida Assmann ist Professorin für Anglistik und Allgemeine torischen Gesetzes, das immer wieder zur Enteig- es liegt auch die letzte Entscheidung der Behörde Literaturwissenschaften an der Universität Konstanz. Sie veröf- fentlichte zahlreiche Bücher u.a. zur Erinnerungskultur. Im Jahr nung palästinensischen Grundbesitzes eingesetzt vor: Die Sumarins haben den Jahrzehnte andauern- 2018 wurden Aleida und Jan Assmann mit dem Friedenspreis wird. Der Wächter übereignete Haus und Grund- den Kampf um ihr Haus und Eigentum verloren. des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. 09
Palästina Journal · Schwerpunkt // Einverleibung Palästina und das Problem der „Siedlungen“ und „Siedler*innen“ In der jahrzehntelangen Diskussion um die Schaffung eines eigenen Staates für die Palästinenser*innen dreht sich eine zentrale Frage um das Hindernis der zunehmenden Zahl von „Siedlungen“ in Jerusalem und dem West- jordanland. Diese Zersiedelung kann auf der Landkarte wie ein löchriger Schweizer Käse wahrgenommen wer- den: die „Löcher“ sind die palästinensischen Gemeinden, der „Käse“ die israelischen Siedlungen. W as sind eigentlich diese völker- erst fünf dünn besiedelte Siedlungen jenseits der Palästinenser*innen aus der Altstadt. Weltweit rechtwidrig entstandenen Dörfer Grünen Linie. Seitdem ist die Zahl der israelischen bekannt geworden ist der Protest um die heute für und Kleinstädte und warum nennt Siedlungen auf über 200 gestiegen und die Zahl Palästinenser unzugängliche „Shuhada Straße“. man sie „Siedlungen“? Folgt der Siedler im schon 1980 völkerrechtswidrig von Hebron ist ein Beispiel für tagtägliche vom Militär man Wikipedia, so liest man: „Unter Siedlern Israel annektierten Ostjerusalem und im Westjor- geduldete Schikanen der Siedler. In der nach dem (pluraliter) versteht man eine Gruppe von denland auf fast 700.000 angestiegen. Schon die Massaker in der Abraham-Moschee zweigeteil- Menschen, die versuchen ein Stück Land, ersten Siedlungen wurden mit dem ausdrücklichen ten Stadt leben heute auf etwa 80% der Fläche das zuvor allem Anschein nach noch von Ziel errichtet, eine jüdische Mehrheit in, aus Sicht etwa 160.000 Menschen unter palästinensischer niemandem land- oder forstwirtschaftlich der israelischen Besatzungsmacht, wichtigen stra- Verwaltung und im anderen Teil der Stadt unter is- genutzt und bebaut wurde, durch Rodung, tegischen Gebieten wie dem Tel Aviv-Jerusalem- raelischer Verwaltung etwa 40.000 Palästinenser Bepflanzung, Bewässerung und Bebauung Korridor zu sichern. und 800 radikale Siedler*innen. urbar zu machen, um es dauerhaft bewoh- nen zu können.“ Nach dem Duden ist ein Sied- Eine frühe Siedlungs-Gründung gab es 1970 in Unabhängig von einer grundsätzlichen Infragestel- ler „jemand, der gesiedelt hat, siedelt“. Als Hebron/Al-Khalil. Die dortige Abraham-Moschee lung des Begriffs „Siedlungen“ wird auch in Israel Beispiel werden „die jüdischen Siedler in den ist Muslimen, Christen und Juden heilig. Unter eine interessante Unterscheidung vorgenommen. von Israel besetzten Gebieten“ angeführt. Ein der Führung eines radikalen Rabbiners hatte sich Auf Hebräisch heißen Siedlungen außerhalb der Widerspruch! Handelte es sich doch bei letzterem dort anlässlich des jüdischen Pessach-Festes im Grünen Linie in den meisten Medien und im allge- keineswegs um unbebautes niemandem gehören- Jahr 1968 eine kleine Gruppe radikaler natio meinen Sprachgebrauch hitnachlujot, und „Sied- des Land, sondern um von Palästinenser*innen nalreligiöser „Siedler“ illegal festgesetzt und ler“ werden hitnachlut genannt. Die „Siedler“ genutztes und bewohntes Land. später erreicht, dass die Siedlung Kirjat Arba selbst und ihre rechtsradikalen Unterstützer*innen gegründet wurde. 1994 ermordete ein jüdischer hingegen verwenden die Begriffe Jischuwim und Bereits kurz nach Ende des Krieges von 1967 ent- Siedler aus Kirjat Arba 29 betende Muslime in Jischuw für „Siedlungen“ und „mitjaschwim“ stand die erste Siedlung auf besetztem Gebiet, der Abraham-Moschee in Hebron. Die danach und „mitjaschew“. Diese sollen verdeutlichen, auf den Golanhöhen der Kibbuz Merom Golan und von der Besatzungsmacht verhängten Ausgangs- dass die „Siedlungen“ dieselbe Bedeutung haben mit Kfar Etzion südwestlich von Betlehem die ers- sperren gegen die einheimische palästinensische wie im Kernland Israels. Palästinenser*innen und te Siedlung in der Westbank. Noch 1968 gab es Bevölkerung führten zu einer Vertreibung von andere Araber hingegen benutzen die Begriffe „Mustautanat“ für Siedlungen und „mustautinin“ für „Siedler“. Palästinensische Bet Sche'an Westjordanland 2015 Autonomiegebiete, Sperranlagen, fertiggestellt Westjordanland, 1995 Dschenin Sperranlagen, in Bau Sperranlagen, genehmigt Dschenin Wie präzise geplant, und gelegentlich auch mit oder zu genehmigen Mittel- Netanja Tulkarm Stadtgebiet v. Jerusalem innerisraelischem Streit verbunden, die sukzessi- meer A-Gebiete – Palästinensische Tulkarm Tubas ve Okkupation, Enteignung und Bebauung durch Nablus Selbstverwaltung und Verantwortung für innere Ordnung und Israelis vor sich geht, ist vielfach belegt. Eine Qalqiliya Sicherheit; Nablus 2018 erschienene Publikation des israelischen an Qalqiliya EN IEN 17 % des West- Jord jordanlandes Tel Aviv-Jaffa Kulturhistorikers Menachem Klein dokumentiert DANI B-Gebiete – AN WESTJORDANLAND Palästinensische Selbstverwaltung im Detail die sukzessive Vertreibung der palästi- RD Salfit JOR und Verantwortung nensischen Menschen aus Ostjerusalem unter der JO für innere Ordnung; Ramallah WESTJORDANLAND 24 % des West- Jericho jordanlandes Zielsetzung der „Judaisierung“. Noch aktueller ist C-Gebiete – Jerusalem eingeschränkte paläs- tinensische Selbstver- Ramallah der jahrzehntelange Prozess der stringenten isra- ISRAEL Bethlehem waltung, israelische Verantwortung Jericho elischen Enteignung und auch die politikinterne für innere Ord- Strategiediskussion der zionistischen Gruppen Jorda nung, Raumplanung Totes Meer und Sicherheit; Jerusalem anhand historischer Quellen faktenbasiert in Omri n 59 % des Westjordanlandes große Siedlungsblöcke Hebron Größere israel. Siedlung Grüne Linie Bethlehem Boehms neuem Buch „Israel – Eine Utopie“ auf- gearbeitet. Er kommt zu dem deutlichen Ergebnis, Staatsgebiet Israels Größere israel. Siedlung ISRAEL dass „die Entwicklung jüdischer Siedlungen Hebron A-Gebiete – Palästinensische Selbstverwaltung und Verantwortung für innere Ordnung und Sicherheit; 0 10 20 km Totes Meer nie darauf beschränkt war, ,lediglich‘ jüdi- 3 % des Westjordanlandes B-Gebiete – Palästinensische Selbstverwaltung sche Interessen zu begünstigen. Im anhalten- und Verantwortung für innere Ordnung; 27 % des Westjordanlandes C-Gebiete – eingeschränkte palästinensische Selbstverwaltung, israelische Verantwortung für innere Ordnung, Raumplanung und Sicherheit; den Konflikt um Territorium und Demogra- 70 % des Westjordanlandes fie wird sie vom Staat systematisch als Waffe Westjordanland mit Siedlungen im Jahr 1995 Westjordanland mit Siedlungen im Jahr 2015 eingesetzt, um Araber – sowohl in Israel als 10 · Ausgabe 16 · September 2020
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