Nach dem Klimagipfel in Kattowitz - Einleitung
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NR. 15 MÄRZ 2019 Einleitung Nach dem Klimagipfel in Kattowitz Wichtige Elemente der EU-Klimaagenda 2019 Susanne Dröge / Vijeta Rattani Bei der 24. Konferenz der Vertragsstaaten (COP24) der VN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), die im Dezember 2018 im polnischen Kattowitz stattfand, verabschiedeten die Teilnehmer ein Regelbuch für die Umsetzung des Pariser Abkommens. Dies war notwendig, damit das neue Klimaregime ab 2020 implementiert werden kann. Die COP befasste sich auch mit den vor 2020 zu ergreifenden Klimaschutzmaßnahmen, die Gegenstand des ein Jahr lang geführten Talanoa-Dialogs waren, eines Plattform- dialogs, an der sich auch Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligen konnten. Die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten gehören zu den wenigen globalen Akteuren, die über die Mittel und die Entschlossenheit verfügen, die inter- nationale Klimaagenda weiterhin zu unterstützen. Im Vorfeld des vom Generalsekre- tär der Vereinten Nationen, António Guterres, einberufenen Klimagipfels im Septem- ber 2019 muss die EU unter Beweis stellen, dass sie angesichts der Ziele des Pariser Abkommens ihre Emissionen künftig schneller senken will, als sie das bisher angekün- digt hat. Dazu gehört vor allem, dass sie ihre kurz- und langfristigen Klimaziele an- passt. Außerdem gilt es, die armen Länder politisch und finanziell zu unterstützen. Die vom Klimawandel besonders betroffenen Entwicklungsländer zählen auf die EU und ihre Mitgliedstaaten als verlässliche Partner und Vorbilder. Auch angesichts der bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament und dem Wechsel in der EU- Kommission wird sich die EU schwertun, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Un- geachtet dessen muss die EU die Zusammenarbeit mit den Schwellenländern weiter vertiefen und die Klimapolitik quer durch alle Politikbereiche vorantreiben. Das Regelbuch legt die Regeln und Ver- schließend festzuschreiben. Zu Beginn der fahren fest, mit denen die Bestimmungen Konferenz herrschte jedoch Skepsis, ob sich des Pariser Abkommens (2015) umgesetzt dieses Ziel erreichen ließe. Dabei betonten werden sollen. Dabei geht es um Klima- viele Länder, dass ein vollständiges und aus- schutz, Anpassung an den Klimawandel, gewogenes Regelwerk notwendig sei. In der Finanzierungshilfen, Transparenz und kurzen Zeitspanne von vierzehn Tagen war regelmäßige Bestandsaufnahmen der glo- eine Vielzahl von Details zu diskutieren balen und nationalen Aktivitäten. Ziel der und zu vereinbaren. Die polnische COP- COP24 in Polen war es, diese Regeln ab- Präsidentschaft hatte die Fäden zudem sehr
Grafik 1
Die UN-Klimaagenda – nächste Schritte und Ergebnisse
spät aufgenommen und schien vor allem auf eine Zweiteilung in Industrie- und Ent-
damit beschäftigt zu sein, innenpolitische wicklungsländer zurück. Die Industrie-
Prioritäten geltend zu machen, etwa die länder haben demnach eine größere Ver-
Stärkung der Elektromobilität, eine gerechte antwortung für den Klimawandel, dagegen
Transformation im Energiesektor sowie die sind vor allem Entwicklungsländer von den
Berücksichtigung der Wälder als Kohlen- Auswirkungen betroffen, ohne in der Ver-
stoffsenken. gangenheit zum Klimawandel beigetragen
Über zwei Punkte und eine Reihe weite- zu haben.
rer Details konnten sich die Verhandlerin- Diese Zweiteilung wurde in der UNFCCC
nen und Verhandler während der COP24 (1994) und dem Kyoto-Protokoll (1997) ein-
jedoch nicht vollständig einigen. Dazu geführt, weil sich damit das Prinzip der
gehören Beschlüsse zu den Regeln für gemeinsamen, aber differenzierten Verant-
Marktinstrumente wie den Emissions- wortung umsetzen ließ (common but dif-
handel und den »Clean Development«- ferentiated responsibilities and respective
Mechanismus, die in Artikel 6 des Pariser capabilities [CBDR&RC]; UNFCCC Artikel 3).
Abkommens vereinbart wurden. Über sie Angesichts des wirtschaftlichen Aufstiegs
soll 2019 entschieden werden. Ein Prozess wichtiger Entwicklungsländer ist diese
zur Bestimmung der jährlichen Finanz- Teilung jedoch nicht mehr zeitgemäß. Mit
mittel, die den Entwicklungsländern zur dem Pariser Abkommen wurde sie dann
Verfügung gestellt werden sollen, wird erst überwunden, indem es Schwellenländer
im November 2020 beginnen. wie China, Brasilien und Indien einlädt, auf
freiwilliger Basis in allen klimapolitischen
Dimensionen einen Beitrag zu leisten.
Regeln zur gegenseitigen Die erneut von den Entwicklungsländern
Information und Transparenz erhobene und von China unterstützte For-
derung, die Verpflichtungen nach dem
Differenzierung – eine unendliche CBDR&RC-Prinzip zu differenzieren, zielte
Geschichte darauf ab, Gerechtigkeit herzustellen, und
schloss auch den Umgang mit Verlusten
Eine entscheidende Aufgabe in den Ver- und Schäden ein, die der Klimawandel ver-
handlungen über das Regelbuch bestand ursacht.
darin, der Forderung nach Differenzierung Die Differenzierungsdebatte bei der
der Anforderungen an die Vertragsparteien COP24 konzentrierte sich vor allem auf die
gerecht zu werden. Dieses Anliegen geht Frage, wie die Regeln für die Emissions-
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2bilanzierung und -berichterstattung gestal- gere Regeln für die Industrieländer, wenn
tet werden sollten, da diese erhebliche tech- sie ihrer Pflicht nachkommen, finanzielle
nische und bürokratische Kapazitäten Zusagen und ehrgeizigere NDCs zu kommu-
erfordern. Die Maßgabe einer einheitlichen nizieren. Auf diese Weise sollen die Indus-
Berichterstattung ist Teil der Transparenz- trieländer transparent machen, wie es um
anforderungen (Artikel 13 Pariser Abkom- ihre Bereitschaft steht, Verantwortung und
men) an die Staaten. In den 2018 geführten finanzielle Belastungen zu übernehmen.
Vorverhandlungen äußerten einige Länder
den Wunsch, in Anbetracht ihrer begrenz- Informationen über
ten Möglichkeiten von einheitlichen Stan- Emissionsminderungen
dards entbunden zu werden. Diesem
Wunsch wird mit dem »erweiterten Trans- In Kattowitz einigten sich die Vertrags-
parenzrahmen« des Regelbuchs entspro- staaten darauf, wie im Rahmen der künf-
chen: Für diejenigen Länder, die nicht in tigen NDCs Informationen bereitgestellt
der Lage sind, termingerecht alle Informa- werden sollen, die für Klarheit, Transparenz
tionen und Berichte zu liefern, wie bei- und Verständnis von Emissionsminde-
spielsweise die am wenigsten entwickelten rungen notwendig sind. Die Länder können
Länder (LDCs), wird es eine Ausnahme- selbst bestimmen, welche Informationen
regelung geben (»selective flexibility«). Um- ihren NDCs angemessen sind, da die Klima-
fang, Häufigkeit und Einzelheiten ihrer ziele in den NDCs sehr unterschiedlich
Emissionsberichterstattung werden weniger formuliert werden können und nationale
strengen Vorgaben unterliegen. Bedingungen variieren. Die grundlegenden
Der ab 2024 fällige Emissionsbericht der Richtlinien für die technische Erfassung
Staaten, der sich an ihren national fest- sind nun vorgegeben. Künftig müssen die
gelegten Beiträgen orientiert (nationally Staaten erläutern, auf welcher methodi-
determined contributions, NDCs), muss schen Grundlage sie ihre Emissionen mes-
weitere Informationen liefern, anhand sen; das gilt sowohl für die Emissions-
derer sich verfolgen lässt, was sie in ihrer quellen als auch für die -senken. Diese
nationalen Klimapolitik tatsächlich erreicht klaren Maßgaben waren auch deshalb
haben. In der Vorlaufphase bis 2024 sind notwendig, weil sich im Zuge der Verab-
zwei weitere Überprüfungsrunden vor- schiedung des Pariser Abkommens auch
gesehen, bei denen Experten die nationalen Länder wie China verpflichtet haben, ihre
Maßnahmen beurteilen sollen: eine tech- Emissionen zu reduzieren. Für sie gab es
nische Überprüfung und eine Peer Review. bisher keine Vorgaben, während für die
Auch für die Ausgestaltung der globalen Industrieländer bereits Standards unter
Bestandsaufnahme (Global Stocktake [GST], dem Kyoto-Protokoll existierten. Als Richt-
siehe unten, S. 4) wurde eine Differenzie- linien für die Berichterstattung gelten jene
rung der Pflichten eingefordert. Laut Pariser des Intergovernmental Panel on Climate
Abkommen soll die globale Bestands- Change (IPCC).
aufnahme für alle Vertragsparteien gerecht Auch im Kontext der globalen Bestands-
erfolgen. Das Regelbuch gibt jedoch bisher aufnahme wurde die Frage der Differenzie-
keine Hinweise darauf, wie bei der Durch- rung erörtert (siehe oben, S. 2). Einheitliche
führung der Bestandsaufnahme Gerechtig- Metriken wurden in Frage gestellt, über sie
keitsaspekte einbezogen werden sollen oder wurde hart verhandelt (»eine Tonne ist eine
wie diese in den Inhalt und das Gesamt- Tonne«), ebenso wie über die methodischen
ergebnis einfließen könnten. Es bleibt nun Ansätze bei der Berichterstattung – beide
den abschließenden Verhandlungen über sind entscheidend für die Kohärenz der na-
den GST vorbehalten, diese Aspekte zu tionalen Berichte und die globale Bestands-
reflektieren und zu operationalisieren. aufnahme der Klimaschutzmaßnahmen.
Nicht zuletzt forderten die Entwicklungs- Die 2015 vorgelegten NDCs umfassen
länder im Sinne der Differenzierung stren- ein breites Spektrum an Zeiträumen, in
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3denen Klimaschutzziele erreicht werden Ministerebene soll ebenfalls alle zwei Jahre
sollen. So hat sich beispielsweise die EU ein ein Dialog über die Klimafinanzierung
Ziel für 2030 gesetzt, Australien für 2025. stattfinden. Ein neues langfristiges Ziel
Zudem haben Länder unterschiedliche wurde jedoch nicht vereinbart. Im Novem-
Basisjahre gewählt. Die Entscheidung über ber 2020 sollen Gespräche über ein Finanz-
einen gemeinsamen Zeitrahmen für die ziel aufgenommen werden, dessen Volu-
NDC-Berichterstattung wurde auf 2031 ver- men größer sein soll als 100 Milliarden US-
schoben, Bis dahin kann jedes Land weiter- Dollar pro Jahr.
hin frei entscheiden, für welchen Zeitraum Die Globale Bestandsaufnahme (Global
es Klimaziele in den neuen NDCs setzt. Stocktake [GST], Artikel 14 Pariser Abkom-
men) ist das zentrale »top-down«-Instru-
Klimaanpassung, Finanzierung ment im Gefüge des Pariser Abkommens,
und Bestandsaufnahmen das ansonsten von nationalen Selbstver-
pflichtungen dominiert wird. Im Rahmen
Das Regelbuch legt auch fest, wie Anpas- der globalen Bestandsaufnahme werden alle
sungsmaßnahmen an das UNFCCC-Sekre- fünf Jahre sämtliche angekündigten NDCs
tariat kommuniziert werden sollen. Dies überprüft (sieh Grafik 1, S. 2), um abzuglei-
zielt darauf ab, Entwicklungsländer zu chen, ob die im Pariser Abkommen verein-
unterstützen. Die Länder können wählen, barten globalen Ziele erreicht werden kön-
ob sie ihre Prioritäten, Pläne, Maßnahmen nen. Zu diesen Zielen gehören die Begren-
und Unterstützungsbedarfe in ihren NDCs zung der globalen Mitteltemperatur auf
in Form einer nationalen Eingabe oder als deutlich unter 2°C, anzustreben sind mög-
Teil ihrer nationalen Anpassungspläne lichst 1,5°C, die Anpassungsmaßnahmen
übermitteln wollen. Dem Thema »Verluste sowie finanzielle und andere Formen der
und Schäden« (loss and damage) – dessen Unterstützung für die Entwicklungsländer.
Behandlung kleine Inselstaaten eingefor- Der GST ist ein wichtiges Instrument, um
dert haben und über das seit 2013 im Rah- die Staaten über die gemeinsamen Fort-
men des Warsaw International Mechanism schritte zu informieren. Dabei ist er darauf
Verhandlungen geführt werden – wird in angewiesen, dass die Staaten die für trans-
keinem Abschnitt des Regelwerks Rech- parente Berichterstattung geltenden Regeln
nung getragen. Stattdessen werden die Län- einhalten (siehe Grafik 2). Für den GST sind
der aufgefordert, über Verluste und Schä- nun sogenannte »sources of input« festgelegt
den in den Abschnitten zu Anpassung, worden, jene Quellen, mittels derer die
Transparenz und globaler Inventur zu Bestandsaufnahme erfolgen kann – hinzu
berichten. Dies stellt in den Augen der Ent- kommen die Informationen, die beispiels-
wicklungsländer einen Rückschritt dar. weise der IPCC bereitstellt. Dazu gehören
Die Industrieländer sind verpflichtet, alle auch Eingaben von Interessengruppen, die
zwei Jahre darzulegen, wie sie die Entwick- keine Vertragsstaaten sind. Ebenfalls ver-
lungsländer finanziell unterstützen. Dabei einbart wurden die Zuständigkeiten für die
müssen sie zum einen Informationen über Vorbereitung des GST und die Durchfüh-
die genauen klimabezogenen Effekte der rung unter der UNFCCC.
bereitgestellten Mittel liefern, was ein
»Greenwashing« – eine Umwidmung statt
einer Erhöhung – der bestehenden Ent- Bewertungen der
wicklungsfinanzierung verhindern soll. COP24-Ergebnisse
Zum anderen müssen sie darlegen, welche
weiteren Anstrengungen sie unternehmen Nach dem Urteil der meisten Industrie-
wollen, um mehr Mittel insbesondere aus länder ist das Regelbuch ausgewogen. Sie
öffentlichen Quellen bereitzustellen. Ab begrüßen vor allem, dass es doch noch
2021 wird das Sekretariat der UNFCCC die rechtzeitig verabschiedet wurde. Die Ent-
relevanten Informationen sammeln. Auf wicklungsländer – einschließlich der LDCs
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4Grafik 2
Kernelemente und Berichtspflichten des Regelbuchs zur Umsetzung des Pariser Abkommens (PA)
und der kleinen Inselstaaten – beklagen 2018) verdeutlicht worden, dem zufolge
hingegen, dass die Industrieländer vor diese Temperaturgrenze nur einzuhalten
allem mit ihrem Bemühen Erfolg hatten, ist, wenn die Länder in den nächsten zwölf
Druck auszuüben, um ihre Forderungen Jahren entschlossen handeln. Ein weiterer
nach bestimmten Regeln durchzusetzen. Bericht des Umweltprogramms der
Die Entwicklungsländer bewerten das Vereinten Nationen über die aktuelle Lücke
Gesamtergebnis als »mitigation-centric«, bei den Klimaschutzanstrengungen (UNEP
als zu stark orientiert am Ziel des Klima- Emission Gap Report) legt dar, dass die der-
schutzes. In der Folge seien für sie wichtige zeitigen globalen Anstrengungen um das
Aspekte verwässert worden, darunter eine Fünffache verstärkt werden müssten, soll
verlässlichere finanzielle Unterstützung dieses Ziel erreicht werden. Die Debatte,
und das Thema Gerechtigkeit. Eine gerechte die bei der COP24 über den IPCC-1,5-Grad-
Lastenverteilung vermissen sie mit Blick Bericht geführt wurde, zeigte zudem deut-
auf die Risiken des Klimawandels: Die LDCs lich, dass es ambitionierte Länder gibt und
und Inselstaaten befürchten, dass sie mit solche, die blockieren wollen; Kuwait, Russ-
der Bewältigung der Klimaschäden allein land, Saudi-Arabien und die USA lehnten es
gelassen werden, vor allem weil keine kon- ab, den Bericht willkommen zu heißen.
kreten finanziellen Mittel in Sicht seien. Die verschiedenen Bewertungen des
Diese Wahrnehmung wird noch durch die Regelbuchs beruhen auf sehr unterschied-
Tatsache verstärkt, dass die Industrieländer lichen Erwartungen. Das Regelbuch ist das
kaum kurzfristige Klimaschutzmaßnahmen Rückgrat des Pariser Abkommens, da es Ein-
ergreifen. Die kleinen Inselstaaten, die afri- zelheiten seiner Anwendung festlegt. Es ist
kanischen Länder, die Vertreter der Zivil- somit ein wichtiger Markstein auf dem Weg
gesellschaft und Jugendgruppen vermissen zu einem funktionierenden Klimaregime.
im Regelbuch einen Aktionsplan, um die Allerdings kann ein Regelbuch keine Am-
Klimaambitionen umgehend zu steigern. bitionen erzeugen, Emissionen schneller
Die Dringlichkeit dieses Anliegens war mit zu senken. Denn das zugrundeliegende
dem 1,5-Grad-Bericht des IPCC (Oktober Regime sieht keine verbindlichen Minde-
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5rungsmechanismen oder Sanktionen vor, derbelebt, die 2015 wesentlich zu dem
um die Einhaltung der Regeln durch- Verhandlungserfolg in Paris beigetragen
zusetzen. Stattdessen werden die Anstren- haben. In diesem Zusammenhang erklärte
gungen, sowohl den Klimaschutz zu ver- die EU, dass sie bis 2020 Möglichkeiten
stärken als auch die finanzielle Unterstüt- zusätzlicher Klimaschutzmaßnahmen
zung zu steigern, den politischen Prozessen prüfen werde.
im In- und Ausland und nichtstaatlichen
Akteuren überlassen. Die Durchsetzung
bleibt letztlich Sache der proaktiven Länder Ist die EU der Entwicklung
und ihrer diplomatischen Fähigkeiten. noch voraus?
Die EU während der COP24 Kurz vor dem Gipfel in Kattowitz hat der
Europäische Rat in einem Beschluss vom
Die EU war entscheidend bei den Bemühun- November 2018 hervorgehoben, dass ein
gen, die Klimaverhandlungen voranzutrei- ehrgeiziges und solides Regelbuch ebenso
ben und die polnische Präsidentschaft bei notwendig sei wie eine Intensivierung der
der Ausarbeitung des Regelwerks zu unter- Klimaschutzmaßnahmen. Die Europäische
stützen. Ihr größter Erfolg war, dass sie mit Kommission hatte zudem eine Strategie für
den Industrieländern zusammengearbeitet ein bis 2050 zu realisierendes klimaneutra-
hat und China überzeugen konnte, stren- les Europa entworfen (»A Clean Planet for
gen und einheitlichen Berichtspflichten all«). Die 2050-Strategie wird 2019 Gegen-
zuzustimmen. Die EU-Verhandler haben stand weiterer Debatten sein und soll als
auch den Forderungen der Entwicklungs- Grundlage für die Langfriststrategie dienen,
länder entsprochen, die Modalitäten für die die EU ebenso wie alle anderen Ver-
die vorläufigen Finanzbestimmungen zu tragsparteien im kommenden Jahr bei der
erörtern. Außerdem haben sie zugestimmt, UNFCCC einreichen soll (siehe Grafik 1, S. 2).
dass die Bereitstellung von Geldern im Rah- In dieser Strategie verfolgt die EU das Kon-
men eines transparenten Prozesses bewertet zept der Klimaneutralität, die im Pariser
und überprüft wird. Abkommen als Ziel für die zweite Hälfte
Hingegen konnten sie wenig zur Konkre- dieses Jahrhunderts verankert wurde. Die
tisierung von Gerechtigkeitsaspekten und 2050-Szenarien der Europäischen Kommis-
zu deren Einbindung in den GST beitragen, sion umfassen ein breites Spektrum von
die von den Entwicklungsländern gefordert EU-Politikbereichen und Optionen zur Be-
wurden. Die armen Länder und die Vertre- kämpfung der Treibhausgasemissionen. Mit
ter der Zivilgesellschaft waren unzufrieden der Veröffentlichung dieser Strategie gibt
mit dem unverbindlichen Ansatz, den die die EU wieder einmal eine Richtung vor
EU bei der Anpassungsfinanzierung sowie und könnte anderen Ländern als Beispiel
bei Verlusten und Schäden als Folgen des dienen – auch wenn nicht klar ist, ob der
Klimawandels verfolgten. Insbesondere zeig- Europäische Rat diese Vision bei nächster
ten sie sich einmal mehr enttäuscht dar- Gelegenheit unterstützen wird.
über, dass die EU nicht in der Lage ist, ihre Ein kritischeres Thema ist das kurz- bis
kurzfristigen Klimaziele höher zu stecken. mittelfristige Engagement der EU bei der
Ungeachtet dessen drängte die EU dar- nächsten Runde der NDCs, die 2020 für die
auf, das 1,5-Grad-Ziel im Talanoa-Dialog COP26 geplant ist (siehe Grafik 1, S. 2). Ein
sprachlich deutlicher zu verankern – erster Versuch der Kommission, eine An-
einem Forum, das 2017 unter der fidschia- hebung des bis 2030 zu erreichenden Emis-
nischen COP-Präsidentschaft eingesetzt sionsminderungsziels von 40 Prozent auf
wurde. Der Talanoa-Dialog wurde in Katto- 45 Prozent vorzuschlagen, scheiterte im
witz mit einem »Talanoa Call for Action« Sommer 2018. Im Februar 2019 schlug der
beendet. Dafür wurde die »High Ambition Umweltausschuss des Europäischen Parla-
Coalition« jener Staaten noch einmal wie- ments als Ziel vor, die Emissionen gegen-
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6über dem Stand von 1990 um 55 Prozent zu werden Chile und Costa Rica die COP25
senken. Würde die EU das für 2030 geltende bzw. das Pre-COP-Treffen ausrichten.
Ziel höher stecken und somit auch einen Dies wird den Interessen vieler latein-
ambitionierteren NDC liefern, könnte sie amerikanischer Länder und ihrer mög-
ihre Glaubwürdigkeit steigern. Die EU könn- lichen Rolle in der Klimadiplomatie mehr
te damit wohl auch davon ablenken, dass Aufmerksamkeit verschaffen. So kann
sie vor dem Jahr 2020 keine zusätzlichen die EU beispielsweise mit den proaktiven
Klimaschutzmaßnahmen umsetzen wird. AILAC-Ländern (Independent Association
of Latin America and the Caribbean) zusam-
menarbeiten – einer Gruppe von acht Län-
EU-Partnerschaften – Beziehun- dern, darunter Chile, Peru und Kolumbien
gen müssen intensiviert werden –, um die noch offenen Details des Regel-
buchs (siehe Grafik 2, S. 5) zu vereinbaren
Das Pariser Abkommen sollte für eine und getroffene Absprachen umzusetzen.
regelmäßige Steigerung der nationalen Am- Sowohl in der Kooperation mit Indien
bitionen sorgen und Überprüfungsprozesse als auch mit China ist es wichtig, dass sich
sicherstellen. Um das Abkommen zu unter- die EU weiterhin für klare und transparente
stützen, hat sich die EU bemüht, Verbündete Berichterstattung engagiert, die nötig ist,
zu finden. Insbesondere seitdem sich die um das Regelbuch anwenden zu können.
USA 2017 von der multilateralen klima- Im Hinblick auf Indien hat dies an Dring-
politischen Agenda abgekehrt haben, ist lichkeit gewonnen, da die Vereinten Natio-
dies zu einer der großen Herausforderun- nen kürzlich Daten zur Bewaldung, die
gen der Klimadiplomatie geworden. Bemü- Neu-Delhi für die Bereitstellung von Gel-
hungen, den Schulterschluss mit Staaten dern vorgelegt hatte, aus Mangel an Trans-
wie China, Kanada und Mexiko zu suchen, parenz in Zweifel gezogen haben. Beide
wurden in den letzten zwei Jahren er- asiatischen Riesen zeigen regelmäßig auf,
schwert von Konflikten in den internatio- wie sie erneuerbare Energien, Energie-
nalen Handelsbeziehungen zwischen den effizienz, nachhaltige Städte und grünes
USA und China sowie von internen Aus- Wachstum vorantreiben wollen. Doch üben
einandersetzungen der EU über den Brexit. sie Zurückhaltung, wenn es darum geht,
Vor den Europawahlen im Frühjahr werden ihre NDCs zu erhöhen. Insbesondere Indien
die Staats- und Regierungschefs der EU- ist in eigenen Augen beispielhaft in puncto
Mitglieder im Mai 2019 in der rumänischen installierter Kapazität erneuerbarer Ener-
Stadt Sibiu darüber beraten, wie sie die gien. Das Land wendet sich immer wieder
größten Herausforderungen meistern an die EU, um die Zusammenarbeit bei ent-
wollen. Darüber hinaus müssen die EU- sprechenden Technologien auszuweiten.
Akteure sicherstellen, dass die neue Euro- Der Zugang zu erschwinglichen, klima-
päische Kommission, die Ende 2019 an- freundlichen und nachhaltigen Techno-
treten wird, die offenen Fragen und Stra- logien sollte weiterhin ein Leitgedanke für
tegieprozesse nahtlos weiterbearbeitet. eine regelmäßige Zusammenarbeit zwi-
Die Bildung klimapolitischer Koalitionen schen der EU und ihren Partnern in Asien
ist noch schwieriger geworden, weil sich sein. Die EU erklärte in Kattowitz ihr Inter-
auch Brasilien, bisher ein wichtiger Unter- esse an technologischer Zusammenarbeit
stützer des Pariser Abkommens, nicht mehr auch bei Bioenergien in Kombination mit
an der internationalen Kooperation in der der Abscheidung und Speicherung von CO2
Klimapolitik beteiligen will. Nachdem Jair sowie bei der Kreislaufwirtschaft. Diese
Bolsonaro zum Staatspräsidenten gewählt Themen böten sich für eine künftige
worden ist, hat sich Brasilien der Gruppe Zusammenarbeit und die Förderung von
der Blockierer angeschlossen. Da Brasilien Investitionen an.
erklärt hat, als Gastgeber der nächsten COP Die am stärksten vom Klimawandel
nicht mehr zur Verfügung zu stehen, bedrohten Länder verlassen sich darauf,
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7dass die EU größere Anstrengungen zum bewerb um die Aufstockung ihrer NDCs
Schutz des Klimas unternimmt und sie eintreten, wäre das ein wichtiges Signal für
politisch und finanziell unterstützt. Die EU diesen Gipfel. Der UN-Generalsekretär will
und ihre Mitgliedstaaten werden den Ent- den UNFCCC-Prozess mit verschiedenen
wicklungsländern bei der nächsten Einrei- Regierungsebenen (Regionen, Städte), der
chung von NDCs und den damit verbun- Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft
denen konzeptionellen und verfahrens- verknüpfen, und das über Schlüsselberei-
technischen Herausforderungen ebenso che der Klimapolitik hinweg. Dies kann
helfen müssen wie bei der Befolgung der auch dazu dienen, die Zusammenarbeit
neuen Bilanzierungs- und Berichtsvorschrif- mit subnationalen Akteuren und der Zivil-
© Stiftung Wissenschaft ten des Regelbuchs. Da ein Großteil der gesellschaft in den USA aufrechtzuerhalten,
und Politik, 2019 Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungs- um den USA im Klimaregime einen Platz
Alle Rechte vorbehalten ländern auf verlässliche und nachhaltige zuzuweisen – auch wenn völlig offen ist,
Finanzquellen angewiesen ist, bleibt dies ob es eine erneute Kehrtwende in der US-
Das Aktuell gibt die Auf-
ein sensibles Thema. Klimapolitik geben wird.
fassung der Autorinnen
wieder. Im Jahr 2020 wird ein Prozess beginnen, Die Liste an Aufgaben, die sich aus dem
um die Summe von 100 Milliarden US-Dol- Regelbuch ergeben, ist lang. Angesichts
In der Online-Version dieser lar, die pro Jahr als Finanzierung zugesagt dessen bedarf es in diesem Jahr einer geziel-
Publikation sind Verweise wurden, von 2025 an zu erhöhen (siehe ten EU-Klimaaußenpolitik, die vorhandene
auf SWP-Schriften und
Grafik 1, S. 2). Dies betrifft sowohl Minde- Beziehungen stärkt und die Zusammen-
wichtige Quellen anklickbar.
rungs- als auch Anpassungsfinanzierungen. arbeit vertieft. Die Anstrengungen sollten
SWP-Aktuells werden intern Ein nachhaltiges Engagement ist vor allem sich nicht auf die COP25 und den Gipfel
einem Begutachtungsverfah- für den relativ kleinen, aber bewährten von New York beschränken. Vielmehr gilt
ren, einem Faktencheck und Anpassungsfonds wichtig, der gegenwärtig es, Unterstützung für die internationale
einem Lektorat unterzogen. nur ad hoc aufgefüllt wird. Ebenso wichtig Klimapolitik auch in anderen Politikfeldern
Weitere Informationen
ist es, dass die EU sich für Fortschritte bei anzustreben. Ein Beispiel ist der Umgang
zur Qualitätssicherung der
SWP finden Sie auf der SWP- der Operationalisierbarkeit von Finanz- mit den Klimarisiken, die bereits mehrfach
Website unter https://www. mitteln einsetzt, die dazu dienen, mit Ver- im UN-Sicherheitsrat mit Blick auf ihre
swp-berlin.org/ueber-uns/ lusten und Schäden umzugehen, die der Folgen für Frieden und Sicherheit diskutiert
qualitaetssicherung/ Klimawandel verursacht. worden sind. Die letzte Debatte fand am
25. Januar 2019 unter dem Vorsitz der
SWP
Stiftung Wissenschaft und
Dominikanischen Republik statt. 2019 sind
Politik Klimagipfel des UN-General- fünf europäische Staaten (Belgien, Deutsch-
Deutsches Institut für sekretärs im September land, Frankreich, Polen, Vereinigtes König-
Internationale Politik und reich) Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. Aus
Sicherheit Angesichts des fortschreitenden Klima- dieser Position heraus kann die EU die An-
wandels hat UN-Generalsekretär António liegen der kleinen Inselstaaten und weiterer
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin Guterres für den 23. September zu einem betroffener Länder stärken, indem sie dafür
Telefon +49 30 880 07-0 Klimagipfel eingeladen. Der Gipfel in New sorgt, dass den Klimarisiken und ihren
Fax +49 30 880 07-100 York steht unter dem Motto »A Race We möglichen Folgen für die Sicherheitspolitik
www.swp-berlin.org Can Win. A Race We Must Win«. Bei dieser mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird.
swp@swp-berlin.org
Gelegenheit könnten nicht nur die EU,
ISSN 1611-6364
sondern auch Indien und China ihren poli-
doi: 10.18449/2019A15 tischen Willen zeigen, eine ehrgeizige
nationale Klimastrategie zu verfolgen und
(Deutsche Übersetzung von weitere Aktionspläne zur Bekämpfung der
SWP Comment 9/2019) Folgen des Klimawandels zu verabschieden.
Würden die großen Akteure in einen Wett-
Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dr. Vijeta Rattani forscht in Neu-Delhi zur internationalen Klimapolitik.
SWP-Aktuell 15
März 2019
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