ERFAHRUNGSBERICHT über einen Semesteraufenthalt an der Aix-Marseille Université
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Maria Felicia Ollesch c/o Sophie Gomez 298 Avenue du Prado F-13008 Marseille FRANCE maria.ollesch@googlemail.com ERFAHRUNGSBERICHT über einen Semesteraufenthalt an der Aix-Marseille Université im Rahmen des ERASMUS+-Programms im akademischen Jahr 2014/15 1. Land und Landestypisches Nachdem ich nach meinem Abitur die Chance hatte, ein freiwilliges soziales Jahr in Paris zu absolvieren und im Zuge dessen bereits in intensiven sprachlichen und kulturellen Kontakt mit unserem Nachbarland Frankreich zu treten, war für mich schnell klar, dass ich während meines Studiums gerne nach Frankreich zurückkehren und meine Erfahrungen und Eindrücke auch auf akademischem Gebiet erweitern würde. Ich entschied mich für die Aix-Marseille Université (AMU), deren Angebot mich bei ersten Recherchen überzeugte, und bekam glücklicherweise eine Zusage durch das International Office der Phil.Fak.II. Die AMU wurde erst vor wenigen Jahren aus den drei Universitäten der Region Provence zusammengelegt und zählt somit nun zu den größten Universitäten Frankreichs. Da die Universität weiterhin in den Gebäuden der Vorgängerunis residiert, erstreckt sie sich über mehrere Campus in den Städten Aix-en Provence und Marseille. Obwohl die geisteswissenschaftliche Fakultät im beschaulichen und sehr studentischen (aber auch ebenfalls sehr teuren) Aix liegt, entschloss ich mich früh, dennoch in Marseille leben zu wollen. Schon von früheren Besuchen hatte ich von Marseille den Eindruck gewonnen, dass dies eine sehr vielfältige und lebendige Stadt ist. Besonders in Frankreich gilt sie vielerorts noch als verrufene Hafenstadt mit hoher Kriminalitätsrate, doch erlebe ich sie täglich als sehr bunt und äußerst engagiert in ihrem Bemühen, die sehr hohe Zuwanderungsdichte als zukunftsgestaltende Chance für eine offene und friedliche Gesellschaft zu begreifen. Vor dem Aufenthalt im Ausland ist es meines Erachtens sehr hilfreich, sich soweit möglich schon einmal über die akademischen Strukturen im Gastland kundig zu machen. Das französische Universitätssystem ist leider in großem Teilen sehr verschult und auf Frontalunterricht ausgerichtet, was bei den ausländischen Studierenden für Unmut sorgen kann. Weiterhin ist es gerade bei dem engen und teuren Wohnungsmarkt in Frankreich ratsam, sich bereits im Voraus nach Wohnmöglichkeiten umzuschauen oder die Bewerbung für ein Studentenwohnheim fristgerecht einzureichen. Bei der AMU ist die Bewerbung für einen Wohnheimsplatz fakultativer Bestandteil des administrativen Anmeldeprozesses an der Universität. Ferner sollte man sich bei seiner Krankenversicherung erkundigen, wie deren angebotener Auslandsschutz für Frankreich aussieht, da es sonst zu unangenehmen Überraschungen kommen kann. Bei einem Arztbesuch müssen in der Regel die oft nicht unerheblichen Kosten vorgestreckt werden, weshalb die Rückerstattungsmodalitäten vorher unbedingt geregelt sein sollten. Erst einmal in der Provence angekommen, überwog mich dann jedoch die pure Freude, in einer solch landschaftlich und kulturell vielfältigen Region sechs Monate verbringen zu können. Die Provence zeichnet sich nicht zuletzt durch die vielen kleinen und traumhaft schönen Städtchen wie Avignon, Arles oder Cassis, sowie großartige Naturschauplätze die Gorges du Verdon aus, welche gerade für Studierende preiswert zu erreichen sind und sich hervorragend für Tagesausflüge eignen. 2. Fachliche Beratung Da das Semester in Frankreich bereits Mitte September beginnt und laut den Ankündigungen des dortigen Büros für Internationales die Woche vor offiziellem Semester Start bereits eine Einführungswoche für die ! 1
Programmstudierenden stattfinden sollte, reiste ich Anfang September nach Marseille. Leider bestand jene Einführungswoche lediglich aus der formalen Immatrikulation und einer einstündigen Informationsveranstaltung am Freitag vor Unibeginn. Positiv ist jedoch die Betreuung durch die örtliche Tutorin, die verantwortlich für die deutschsprachigen Programmstudierenden war, hervorzuheben. Neben einer ersten gemeinsamen Runde in der ersten Uniwoche, war sie auch jederzeit per Mail erreichbar und ging auf Fragen und Probleme verständig ein. In Berlin studiere ich Kulturwissenschaft und Deutsch im Kombi-BA und verbrachte nun mein 5. Fachsemester an der AMU. Da ich über das International Office der Phil. Fak. II der HU nach Frankreich ging und zudem das Fach Kulturwissenschaft in Frankreich so nicht existiert, wollte ich in Marseille vor allem Germanistik studieren und einen Eindruck gewinnen, wie Deutsch im Ausland als nichtmuttersprachliches Studienfach unterrichtet wird. Auch wenn die Internetseite der AMU nicht sehr übersichtlich ist und meist erst auf den letzten Drücker aktualisiert wird, gelang es mir vor der Abreise, ein vorläufiges Learning Agreement mit 30 ECTS zu erstellen. Die Kursbeschreibungen waren nur sehr allgemein gehalten, so dass der Kursinhalt sich erst im Laufe der ersten Studienwochen erschloss. Neben Kursen im Fach Deutsch belegte ich auch zwei Kurse außerhalb der Germanistik, die mein Interesse geweckt hatten und deren Anerkennung ich im Vorhinein mit dem Institut für Kulturwissenschaft der HU abgestimmt hatte. Bis auf einen Kurs, der nicht im Wintersemester angeboten wurde, konnte ich mein Learning Agreement auch praktisch umsetzen. Anstelle des entfallenen Bachelor-Kurses "Linguistik" konnte ich einen Masterkurs belegen. Neben Zwischenklausuren plus einer Hausarbeit oder eines Referats gibt es in jedem Fach eine Abschlussklausur. Nur selten werden mündliche Prüfungen oder gar Hausarbeiten angeboten. Die Klausuren zielen im wesentlichen darauf ab, den vermittelten Lernstoff detailliert und wortgetreu abzufragen. Sie finden in einem festen Prüfungszeitraum am Ende des Semesters statt. Bei der Organisation der Prüfungstermine herrschte relatives Chaos, so dass auch mal drei Klausuren auf einen Tag fallen konnten. Dennoch muss ich sagen, dass auch wenn mir die sehr steife und wenig kreative Form und Abfrage der Lehrveranstaltungen oft nicht ganz zufriedenstellend erschienen, ich immer wieder inhaltlich Neues mitnehmen konnte und die gewonnen Eindrücke des universitären Lebens in Frankreich nicht missen möchte. 3. Sprachkompetenz Bereits an der HU hatte ich im Semester vor meiner Abreise einen eigens für das Studium in Frankreich konzipierten Vorbereitungssprachkurs am Sprachenzentrum besucht, der Sprachliches auffrischte und noch einige wertvolle Informationen lieferte. Auch an der AMU werden vor und während des Semesters zahlreiche Sprachkurse in verschiedenen Niveaus angeboten. Meine regulären Kurse fanden zu etwa zwei Dritteln auf Französisch statt, da großenteils auch die Germanistikseminare wegen noch nicht ganz ausgeprägter Deutschkenntnisse der französischen Studierenden auf Französisch gehalten wurden. Da ich in Paris vor allem den mündlichen Sprachgebrauch erlernt hatte, bin ich froh durch meine Zeit hier an der Uni nun auch deutliche Fortschritte in der schriftlichen Sprachverwendung verzeichnen zu können. Oft wurden deutsche und französische Sprachphänomene vergleichend betrachtet, so dass ich aus meinem Germanistikstudium auch großen Nutzen für meine Französischkenntnisse ziehen konnte. 4. Weiterempfehlung Insgesamt muss man sich meines Erachtens nach vor einem Studienaufenthalt in Frankreich vor allem fragen, ob man sich vorstellen kann, sich mit dem Studiensystem und der Art der Lehre dort zumindest zu arrangieren, denn die verschulten Grundstrukturen sind meiner Kenntnis nach in allen (staatlichen) Universitäten in Frankreich vergleichbar. Was konkret die AMU angeht, so kann ich sie für einen Studienaufenthalt durchaus empfehlen, auch wenn dies nicht uneingeschränkt und natürlich nur aus meinen subjektiven Erfahrungen heraus geschehen kann: Leider ist das Gebäude der geisteswissenschaftlichen Fakultät in unglaublich schlechtem Zustand und unrenoviertem Zustand. Es werden allerdings im Moment zahlreiche Neubauten ! 2
begonnen, so dass in Zukunft im Bezug auf die Studienbedingungen hoffentlich Besserung eintritt. Insgesamt sieht man dieser jungen Universität an, dass viele organisatorische Abläufe noch nicht geregelt vonstatten gehen, was sich oft zum Nachteil der Studierenden auswirken kann. Weiterempfehlen möchte ich die AMU jedoch dennoch, da ich in großen Teilen auf sehr offene, hilfsbereite und freundliche Mitstudierende getroffen bin, die mich sehr freundschaftlich empfangen haben. Ebenfalls die Lehrkräfte habe ich hauptsächlich als sehr kompetent auf ihrem Gebiet erlebt. Wünschenswert bleibt jedoch allemal eine Möglichkeit zur freieren Gestaltung von Studienverlauf und Lehrveranstaltungen unter einer Mehrbeteiligung der Studierenden. 5. Verpflegung an der Hochschule Der Campus der AMU in Aix verfügt über eine große Mensa und zahlreiche Cafeterien. Die Mensa bietet zum Festpreis von rund 3,15€ in der Mittagszeit ein sehr hochwertiges Menü mit frei wählbaren Komponenten an. Gerade im Vergleich mit den in der Region sehr hohen Gastronomiepreisen kann man hier günstig und qualitativ hochwertig essen. Die Cafeterien bieten vor allem kleinere Speisen, Kaffee und Getränke an. Für 2,80€ gibt es ein warmes Sandwich, das aber gerade im Vergleich zur Qualität des Mensaessens für mich nur eine Ausweichmöglichkeit für kurze Pausen darstellte. 6. Öffentliche Verkehrsmittel Aus Marseille nahm ich jeden Morgen vom Hauptbahnhof einen der zahlreichen Shuttlebusse nach Aix- en Provence. Bei diesen Bussen handelt es um komfortable Reisebusse mit WLAN-Zugange, die zur Hauptverkehrszeit alle fünf Minuten verkehren und bei günstiger Verkehrslage nur 25 Minuten bis zur uninahen Haltestelle benötigen. Mit 2€ für ein 24h-Ticket für Studenten unter 25 Jahren ist der Bus dazu sehr erschwinglich. Für mich stellte das Pendeln zwischen den beiden Städten aufgrund des gut organisierten und preiswerten Busservices kein Problem dar. Da ich auch innerhalb Marseilles die öffentlichen Verkehrsmittel häufig nutzte, schloss ich ein Jahresabonnement ab, das mit rund 220€ für Jugendliche und Studenten ebenfalls sehr fair und erschwinglich ist. Vor allem, weil auch ein Jahresabo für die Stadtfahrräder in Marseille gratis enthalten ist. In Aix- en Provence bewegte ich mich ausschließlich zu Fuß, da von der Uni aus die Innenstadt auf diesem Wege problemlos zu erreichen und zu durchlaufen ist. 7. Wohnen Bezüglich des Wohnens hatte ich großes Glück, da ich über eine Freundin aus Paris von einem Zimmer zur Untermiete in Marseille erfuhr, das direkt an einer Metrostation und in der Nähe des Strandes gelegen ist. Preislich ist das Zimmer für hiesige Wohnkosten absolut bezahlbar. Durch diesen glücklichen Umstand konnte ich eine schweißtreibende Wohnungssuche vermeiden, die gerade im teuren und von Studierenden überlaufenen Aix sehr nervenaufreibend sein kann. Gerade deshalb empfiehlt sich, wenn man nicht im uninahen und verhältnismäßig billigen Studentenwohnheim leben möchte, eine frühzeitige Suche. Auch ein Besuch für eine Suche vor Ort im Vorlauf zum Auslandsaufenthalt kann sinnvoll sein, da gerade bei der Fernsuche via Internet viele Betrugsfälle auftreten. Eine gute Möglichkeit die anfallenden Mietkosten etwas zu mindern bietet das auch für ausländische Studierende zugängliche staatliche Wohngeld "CAF": Es orientiert sich an Einkünften und individueller Wohnsituation. Leider sind ortsabhängig die behördlichen Bearbeitungszeiten sehr lang, so dass ich auch fünf Monate nach Antragsstellung noch keine Zahlung erhalten habe. Insgesamt ist festzuhalten, dass privates Wohnen im Schnitt in Marseille deutlich billiger als in Aix ist. 8. Kultur und Freizeit Nachdem Marseille im Jahr 2013 Kulturhauptstadt Europas war, hat sich in dieser Hinsicht vieles in der Region bewegt. Es gibt zahlreiche neue Museen, unter denen sich auch das "MUCEM" befindet, welches sich in meist gelungener Weise mit der Kunst des Mittelmeerraumes aus einer möglich wenig ! 3
eurozentristischen Perspektive zu befassen sucht. Die gesamte Region bietet viele kulturelle Möglichkeiten: Die meisten Museen ermöglichen für unter 26jährige EU-BürgerInnen starke Vergünstigungen oder sogar kostenfreie Eintritte. Als StudentIn der AMU kann man ferner für einmalig fünf Euro die "carte culturelle" erwerben, welche bei zahlreichen kulturellen Partnerinstitutionen nochmals Vergünstigungen bringt. Abseits von staatlich finanzierten kulturellen Einrichtungen erlebe ich gerade in Marseille die junge Kunstszene als sehr im Wandel begriffen. Es werden an vielen Off-Schauplätzen verschiedene Kunstdarbietungen angeboten, welche mit der Stadt in meinen Augen eine unglaublich spannende und schöne Symbiose eingehen. Neben der kulturellen Vielfalt bietet die Region auch für Sportbegeisterte alle Möglichkeiten: Das Meer lockt Surfer und die wunderschöne Steilküstenlandschaft "Calanques" Kletterer und Wanderer an. Als absolut herausragend habe ich das Sportangebot an der AMU empfunden: Nachdem man sich zu Beginn des Semesters eine Sportkarte für zwei Euro hat ausstellen lassen, darf man zwei Sportkurse besuchen, an denen die Teilnahme (auch im Falle von Tennis und ähnlichen Sportarten) kostenlos ist. Ferner kann man mit dieser Sportkarte den Fitnessraum frei nutzen. Als deutlich kostenintensiver als das Nutzen sportlicher und kultureller Freizeitangebote schlägt jedoch das außerhäusliche Essen und Trinken in der Provence zu Buche. Restaurantbesuche und alkoholische Getränke sind - bis auf das Regionalgetränk Pastis - meist sehr teuer. Wenn man doch gerne die französische Küche genießen will, empfehlen sich die von den meisten Restaurants angebotenen wechselnden Mittagsmenüs, die meist Vor- und Hauptspeise sowie ein Dessert beinhalten und im Vergleich zu abendlichen Restaurantbesuchen durchaus bezahlbar sind. Doch gerade in Marseille hat man auch immer wieder die Chance kleine Bars und Brasserien zu finden, die sich etwas abseits der bekannteren Ausgehviertel befinden und die neben deutlic geringeren Preisen auch eine sehr viel authentischere Atmosphäre zu bieten haben. 9. Auslandsfinanzierung Insgesamt ist das Leben in Frankreich leider nicht billig. Mietkosten und höhere Lebenserhaltungskosten als etwa in Berlin sorgen dafür, dass mein Budget, das ich sonst in Berlin im Alltag ausgab, keinesfalls ausreichte. Das ERASMUS-Geld bietet in jedem Falle eine sehr hilfreiche Unterstützung, ist für sich stehend jedoch nur ein kleinerer Beitrag zu den benötigten finanziellen Mitteln. Wünschenswert wäre es in meinen Augen, wenn die finanzielle Unterstützung für deutsche Programmstudierende aus Deutschland in Frankreich einheitlich und nicht von Universität zu Universität variierend geregelt würde. 10. Sind Sie mit der Veröffentlichung Ihres Sachberichts auf dem HU-Portal einverstanden? Nein. ! ! 4
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