"EYES ON DARKNESS" - EIN BUCH ÜBER DIE VERGANGENHEIT

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"EYES ON DARKNESS" - EIN BUCH ÜBER DIE VERGANGENHEIT
Das 2010 veröffentlichte Buch entstand während verschiedener
                                                                                                    Kunstworkshops von Youth for Peace in Zusammenarbeit mit
                                                                                                    der Ausstellungsmacherin Kerstin Kastenholz. Youth for Peace
                                                                                                    interviewte die Teilnehmenden der Workshops und wählte 38 Bilder
                                                                                                    und Berichte für „Eyes on Darkness“ aus. Vier Berichte von Über-
                                                                                                    lebenden und Jugendlichen geben im Folgenden exemplarisch
                                                                                                    einen Einblick.

                                                                                                    „Eyes on Darkness“ motivierte nicht nur die Beteiligten dazu,
                                                                                                    über die Vergangenheit zu reflektieren und offen miteinander zu
                                                                                                    sprechen. Das Buch wird in der Bildungsarbeit eingesetzt und
                                                                                                    regt so auch andere Menschen dazu an, sich zu erinnern und
© Kerstin Kastenholz
                                                                                                    mit der jüngeren Vergangenheit Kambodschas auseinanderzusetzen.
         Mitarbeiter von Youth for Peace lesen Ieng Oeun ihren Zeitzeugenbericht
         für das Buch „Eyes on Darkness“ vor und überprüfen ihn auf Richtigkeit.

                                                                                                    „Wenn ich zusammen mit meinen Freunden auf die Büffel
                                                                                                    aufpasse, werde ich dieses Buch mitnehmen und ihnen jede
                                                                                                    Geschichte vorlesen.”
                   „EYES ON DARKNESS“ – EIN BUCH                                                    Ean Chanly, 16 Jahre
                      ÜBER DIE VERGANGENHEIT
                       Das Buch „Eyes on Darkness – Paintings of Memory“ trägt
                       dazu bei, das Schweigen über die Verbrechen der Roten Khmer
                       zu brechen. Es ist das erste Kunstbuch, in dem Überlebende
                       des Rote-Khmer-Regimes anhand selbstgemalter Bilder ihre
                       Erinnerungen darstellen und mithilfe der Kunst einen generati-
                       onsübergreifenden Dialog fördern. Auch Jugendliche kommen in
                       „Eyes on Darkness“ zu Wort; ihre Bilder und Geschichten zeigen,
                       was sie über die Zeit der Diktatur wissen und wie sie darüber
                       denken.

                                                                                         Das aufgeschlagene Buch
                                                                                              „Eyes on Darkness“
                                                                                                                     © Kerstin Kastenholz
"EYES ON DARKNESS" - EIN BUCH ÜBER DIE VERGANGENHEIT
Chili gestohlen zu haben und führten ihn mit zwei anderen aus
                                                                                                            dem Dorf ab. Einer der drei Männer konnte fliehen und überlebte.
                                                                                                            Leider hatte mein Vater keine Chance zu fliehen.

                                                                                                            1978 nahmen die Roten Khmer meine Mutter gefangen. Ich be-
                                                                                                            stand darauf, dass sie mich mitnehmen und nicht meine Mutter.
                                                                                                            Sie willigten ein und dachten sich, dass sie meine Mutter noch
                                                                                                            an einem anderen Tag abholen könnten. Die Roten Khmer hielten
                                                                                                            mich drei Tage lang in ihrer Unterkunft fest und warteten auf
                                                                                                            den Befehl, mich zu töten. Zum Glück kamen vietnamesische
                                                                                                            Soldaten, um das Land zu befreien. Das rettete mir das Leben.“
                                                      MEIN
© Kerstin Kastenholz
                                                      UNGLÜCKLICHER
                                                         VATER
                       Ung Chantoo, 50 Jahre, Provinz Kampot

                       „Das Bild erzählt meine Geschichte. Die Frau links mit den Körben
                       bin ich selbst. Als ich am Koh-Sla-Damm in der Provinz Kampot
                       arbeitete, war ich sehr müde und musste mich für einen Moment
                       hinsetzen. Ein Soldat der Roten Khmer kam und fragte: ‚Warum
                       arbeitest du nicht? Es ist Arbeitszeit!‘ Ich stand auf und machte
                       weiter. Ich war traurig und wütend auf ihn, weil ich den ganzen
                       Tag hart gearbeitet hatte und nicht einmal eine kurze Pause
                       machen durfte. Auf dem Bild ist zu sehen, wie der Soldat vor
                       mir steht und mit dem Stock auf mich zeigt.

                       In der Mitte des Bildes ist ein Kreuz mit einem Totenkopf. Es
                       symbolisiert meinen Vater, der unter dem Regime der Roten Khmer
                       starb. Ich sah meinen Vater, als ihn die Soldaten der Roten
                       Khmer abholten. Sie banden seine Hände hinterm Rücken zu-
                       sammen und folterten ihn. Die Roten Khmer beschuldigten ihn,

                                                                                           © Kerstin Kastenholz
"EYES ON DARKNESS" - EIN BUCH ÜBER DIE VERGANGENHEIT
Am frühen Morgen des 6. Januar 1979 hörten wir Schüsse. Das
                                                                                                            vietnamesische Militär kam näher. Die Soldaten wollten unsere
                                                                                                            Kleidung, sonst wären sie direkt getötet worden. Sie warfen ihre
                                                                                                            Waffen und alles andere weg und gingen. Wir liefen wieder nach
                                                                                                            Hause. Nicht über Straßen, sondern durch ein Reisfeld, das einen
                                                                                                            Kilometer von der Straße entfernt war. Wir hatten Angst, noch
                                                                                                            mehr Roten Khmer zu begegnen. Als wir unser Dorf erreichten,
                                                                                                            waren die Roten Khmer weg.

                                                                                                            Ich fühle mich befreit. Das Bild ist nicht nur für mich bedeutsam,
                                                                                                            sondern auch für die jüngere Generation, so können sie verstehen,
                                                       ICH                                                  wie sehr die Menschen gelitten haben. Meine Eltern, mein Bruder
© Kerstin Kastenholz
                                                       HATTE NUR                                            und seine ganze Familie wurden getötet. Ich suchte sie kurz nach
                                                                                                            dem Ende der Diktatur, aber ich sah nur die Knochen und Schädel
                                                           EIN RECHT                                        im Feld.“

                       Touch Hoeun, 60 Jahre, Provinz Prey Veng

                       „Mein Bild zeigt den Moment am 5. Januar 1979, als wir unsere
                       Häuser verlassen mussten. Ein Soldat der Roten Khmer auf der
                       linken Seite des Bildes führt die Leute an. Auf der rechten Seite
                       ist nur ein Soldat zu sehen, aber in Wirklichkeit standen dort
                       zehn. Sie waren alle bewaffnet. Im Hintergrund ist ein Haus,
                       das alle verlassenen Häuser repräsentiert. Wir trugen schwarze
                       Kleidung, alle bunten Kleidungsstücke mussten wir schwarz
                       färben. Hinter der Frau und dem Kind kannst du mich sehen, ich
                       halte den Ochsenkarren. Damals standen dort Hunderte von
                       Menschen. Das einzige Recht, das ich in der Rote-Khmer-Zeit
                       hatte, war, meine eigenen Sandalen aus Autoreifen herzustellen.
                       In dem Bild siehst du, dass alle Sandalen tragen, nur die Kinder
                       nicht.

                                                                                           © Kerstin Kastenholz
"EYES ON DARKNESS" - EIN BUCH ÜBER DIE VERGANGENHEIT
zum Mittag- und Abendessen und erhielten keine medizinische
                                                                                                           Versorgung. Der dritte Totenkopf symbolisiert die Menschen, die
                                                                                                           den Roten Khmer nichts nützten. Wenn du nicht zu ihnen hieltest,
                                                                                                           wurdest du auch getötet. Die vier traurigen Gesichter sind die
                                                                                                           Überlebenden der Rote-Khmer-Zeit, sie sind traumatisiert.

                                                                                                           Die rechte Seite des Bildes zeigt die moderne Gesellschaft. Es
                                                                                                           gibt viele Gebäude, die die Entwicklung des Landes darstellen.
                                                                                                           Ich kann auf dem Markt einkaufen, zur Schule gehen und ins
                                                                                                           Krankenhaus, wenn ich krank bin. Die Sonne scheint und sym-
                                                                                                           bolisiert Hoffnung.
                                                      IM SPIEGEL
© Kerstin Kastenholz
                                                      DER                                                  Ich bin ein Kind der Khmer, ich bin neugierig und möchte wissen,
                                                                                                           was in der Vergangenheit Schreckliches passiert ist. Ich schaue
                                                         GENERATIONEN                                      in eine friedliche Zukunft, weil ich von der Vergangenheit lerne.“

                       Ot Kosal, 20 Jahre, Provinz Battambang

                       „Das Bild zeigt die Unterschiede zwischen der Rote-Khmer-Zeit
                       und der heutigen Gesellschaft. Die Jahreszahl 1975, links oben,
                       ist der Beginn des Rote-Khmer-Regimes und des Leidens der
                       kambodschanischen Bevölkerung. Ich wurde elf Jahre nach Ende
                       der Diktatur geboren. Aber ich kann mir vorstellen, wie die Men-
                       schen damals umgebracht wurden, weil ich Bücher gelesen und
                       den Erzählungen der Überlebenden zugehört habe.

                       In meinem Bild habe ich die Opfer der Roten Khmer in drei
                       Gruppen eingeteilt, sie sind mit Totenköpfen symbolisiert. Die
                       erste Gruppe sind hochrangige Beamte des vorhergehenden
                       Regimes unter General Lon Nol. Sie mussten ihre Identität ver-
                       bergen, um nicht getötet zu werden. Der zweite Totenkopf steht
                       für Menschen, die durch Hunger, zu viel Arbeit und Krankheiten
                       starben. Sie arbeiteten hart, aßen nur eine kleine Schale Reis

                                                                                          © Kerstin Kastenholz
"EYES ON DARKNESS" - EIN BUCH ÜBER DIE VERGANGENHEIT
verwest. Im oberen Teil des Bildes ist ein Haus, von wo die
                                                                                                               Befehlshaber der Roten Khmer die Szene beobachten.

                                                                                                               In der Mitte des Bildes sind Landminen, die damals fast überall
                                                                                                               im Land verteilt lagen. Diese Minen explodieren, wenn jemand
                                                                                                               auf sie tritt oder sie berührt.
                                                                                                               Links oben im Bild sind Berge zu sehen, die Roten Khmer haben
                                                                                                               jedoch keine Augen für die schöne Landschaft. Über den Bergen
                                                                                                               scheint die Sonne; sie ist nicht zufrieden mit dem, was in Kam-
                                                                                                               bodscha passiert.

                                                       DIE BLUTIGE GRUBE                                       Ich bin nach der Rote-Khmer-Zeit geboren und habe nicht erlebt,
© Kerstin Kastenholz
                                                       MEINER                                                  was damals passierte. Aber ich habe Mitleid, wenn ich höre, wie
                                                                                                               die Menschen gelitten haben und getötet wurden.“
                                                          GROSSELTERN
                       Duong Ratanak, 19 Jahre, Provinz Svay Rieng

                       „Wenn ich an die Rote-Khmer-Zeit denke, fallen mir meine
                       Großeltern ein. Meine Mutter erzählte mir, dass die Roten Khmer
                       sie gefangen nahmen und zu einem Hinrichtungsort brachten.
                       Mein Bild zeigt, wie ich mir die Ermordung meiner Großeltern
                       vorstelle. Den Opfern wurden die Augen verbunden. In einer langen
                       Menschenkette brachten Soldaten sie zum Hinrichtungsort. Unter
                       den Opfern sind meine Großeltern, in der Mitte der Menschen-
                       kette sind auch buddhistische Mönche zu sehen.

                       Die zwei lächelnden Personen mit Stock und Gewehr sind die
                       Roten Khmer. Einer ist dafür verantwortlich, die Opfer zur Grube
                       zu führen, und der andere dafür, sie zu töten. Im unteren Teil
                       des Bildes ist die blutige Grube zu sehen, in der die toten Menschen
                       liegen. Einige können noch identifiziert werden, andere sind bereits

                                                                                              © Kerstin Kastenholz
"EYES ON DARKNESS" - EIN BUCH ÜBER DIE VERGANGENHEIT
Meisten schweigen sich nach wie vor darüber aus. Um eine
                                                                                           gesellschaftliche Aussöhnung zu erlangen, müssen auch sie
                                                                                           eine Stimme bekommen.

                                                                                           Youth for Peace spricht die ehemaligen Roten Khmer zum Beispiel
                                                                                           über das Radio an. Das Radioprogramm „Du hast auch eine
                                                                                           Chance“ regt zu einem intensiveren Dialog mit ehemaligen Roten
                                                                                           Khmer in der Öffentlichkeit an. Im Jahre 2011 publizierte Youth
                                                                                           for Peace außerdem das Buch „Behind the Darkness“ mit Zeit-
                                                                                           zeugenberichten von ehemaligen Roten Khmer. Auch mit dem
                                                                                           Dokumentarfilm „Your Chance“ wagt sich Youth for Peace an
                                                                                           die Auseinandersetzung mit dem Thema Täterschaft. Der Haupt-
© Felix Koltermann
                                                                                           darsteller Arn Chorn Pond, der heute als Sänger Karriere
        Long Khet, Direktor von Youth for Peace, der ehemalige Kindersoldat Arn Chorn      macht, berichtet im Film von seinem Leben als Kindersoldat.
        Pond und Künstler Vann Nath (von links nach rechts) bei der Filmvorstellung        Bei öffentlichen Vorführungen und eingebettet in Diskussions-
        von „Your Chance“                                                                  veranstaltungen unterstützt der Film dabei, das Schweigen in
                                                                                           Kambodscha zu brechen.

                     „BEHIND THE DARKNESS“ – DIE STIMME
                        DER EHEMALIGEN ROTEN KHMER                                         „Ich fühlte mich, als würde ich durch die Wüste laufen, ohne Wasser,
                       Nachdem in der Vergangenheitsarbeit lange Zeit vor allem die        und dann kam ein Mönch und gab mir Wasser, half mir, einen Weg
                       Opfer der Gewaltherrschaft im Mittelpunkt standen, fragen junge     zu finden, wie ich mit meiner Vergangenheit umgehen kann.“
                       Menschen heute zunehmend nach der Rolle der Roten Khmer.            Ehemaliger Roter Khmer
                       Vermutlich leben noch mehrere Tausend Personen, die als Rote
                       Khmer gemordet, gefoltert oder vergewaltigt haben. Die Täterinnen
                       und Täter waren aus verschiedenen Gründen und in unterschied-
                       lichen Funktionen aktiv an den Verbrechen beteiligt – doch die
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