FÜR DIE MIETER*INNEN HAT NIEMAND GEKÄMPFT 12 / 2021
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STANDPUNKTE 12 / 2021 CAREN LAY UND ARMIN KUHN FÜR DIE MIETER*INNEN HAT NIEMAND GEKÄMPFT DIE NEUBAUFIXIERTE WOHNUNGSPOLITIK DER AMPEL LÖST DIE MIETENFRAGE NICHT Der Bundestagswahlkampf war auch ein Mietenwahlkampf. Kaum eine Partei, die nicht beteuerte, Wohnen sei die soziale Frage unserer Zeit. Olaf Scholz war angetreten, «Kanzler für bezahlbares Wohnen» zu werden. Entsprechend hoch waren die Erwartungen vieler Mieter*innen. Zwar verspricht die Ampel, «dafür zu sorgen, dass jede und jeder eine bezahlbare Wohnung findet», doch der Koalitionsvertrag löst dieses Versprechen nicht ein. SPD, Grüne und FDP haben ihre Prioritäten abgesichert: 400.000 neue Wohnungen, mehr Klimaschutz und ein Bündnis mit der privaten Wohnungswirtschaft. Für die Mieter*innen hat dagegen niemand gekämpft. Auch die Einrichtung eines eigenständigen Bauministeriums kann darü- ber nicht hinwegtäuschen, erst recht nicht, wenn die FDP mit dem Justizministerium das Mietrecht verantworten wird. Im Kern wird es damit ein «Weiter so» einer marktorientierten, auf den Neubau fixierten Wohnungspolitik geben. Eine Kehrt- wende hin zu einer Politik, die die Interessen der Mieter*innen zum Ausgangspunkt nimmt, ist auch nach zehn Jahren Mie- tenkrise nicht zu erkennen. NEUBAUFIXIERTE POLITIK, SOZIALE ne heben will, ist längst nicht so gut wie behauptet. Der seit AUSGEWOGENHEIT UNKLAR 2011 beschleunigte Wohnungsbau im sogenannten «Drittel- Die zentrale wohnungspolitische Botschaft des Koalitions- mix» (Sozialwohnungen, teure Mietwohnungen und Eigen- vertrags lautet: 400.000 neue Wohnungen sollen jährlich tumswohnungen zu jeweils gleichen Teilen) hat die Situa entstehen – davon 100.000 öffentlich gefördert. Damit reiht tion für Mieter*innen und Wohnungssuchende in Hamburg sich die Ampelkoalition in den von Immobilien- und Bauwirt- kaum verbessert. Die Mieten steigen weiter, die Wohnkos- schaft angestimmten Chor ein, dass allein das «Bauen, Bau- tenbelastung der Haushalte liegt dort mit 31 Prozent höher en, Bauen» Linderung auf angespannten Wohnungsmärkten als in München, Frankfurt am Main oder Berlin, und bei ei- ROSA LUXEMBURG STIFTUNG verschafft. Sie will die Vorgängerkoalition noch übertreffen, ner Lücke von fast drei Euro zwischen Angebots- und Be- die den Bau von 1,5 Millionen Wohnungen zugesagt hatte, standsmieten bleibt der Druck nachholender Mieterhöhun- am Ende allerdings mit unter 1,2 Millionen errichteten Woh- gen groß. nungen deutlich hinter ihrem Versprechen zurückblieb. Alle bisherigen Erfahrungen zeigen: Der Wohnungsbau al- Mit ihren Wohnungsbauversprechen, mit der Ankün- lein kann die Mietenkrise nicht lösen. Zwar wurden in den digung, ein breites «Bündnis bezahlbarer Wohnraum» zu vergangenen Jahren so viele Wohnungen gebaut wie lan- schließen und mit einem eigenständigen Bauministerium, ge nicht mehr. Trotzdem sind die Mieten weiter gestiegen – das mehr als 20 Jahre lang ein Dasein als Anhängsel von Ver- unter der letzten großen Koalition durchschnittlich um fünf kehrs-, Umwelt- und zuletzt Innenministerium fristete, ver- Prozent im Jahr. Ein weiteres Problem ergibt sich dadurch, sucht die Ampel, einen Aufbruch zu inszenieren, der im Kern dass die soziale Ausgewogenheit der Neubaupolitik nicht ga- in der Fortführung bestehender Instrumente mündet. Schon rantiert ist. Nur ein Viertel der 400.000 neu gebauten Woh- die beiden Vorgängerregierungen hatten mit dem 2014 ge- nungen soll «gefördert» werden und nicht alle «geförderten» gründeten «Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen» Wohnungen werden Sozialwohnungen sein. Die Ampel ver- und dem «Wohngipfel» im Jahr 2018 kaum nennenswerte spricht, «die finanzielle Unterstützung des Bundes für den Fortschritte erzielt. sozialen Wohnungsbau inklusive sozialer Eigenheimförde- Auch das – vor allem von der Immobilienwirtschaft – viel rung fort[zu]führen und die Mittel [zu] erhöhen».1 Wie sie gelobte «Hamburger Modell», das Olaf Scholz als Hambur- die Mittel aber auf die Eigenheimförderung und den sozia- ger Bürgermeister initiiert hat und nun auf die Bundesebe- len Mietwohnungsbau verteilen will, wird nicht näher aus-
geführt. Das lässt erahnen, dass mehr als drei Viertel der neu zigkeit ein längst fälliger Schritt. Um damit aber das Prob- entstehenden Wohnungen für Menschen mit geringen und lem der auslaufenden Sozialbindungen zu lösen und so den mittleren Einkommen voraussichtlich nicht bezahlbar sein Niedergang des sozialen Wohnungsbaus zu stoppen, müss- werden. Damit geht der Neubau am realen Bedarf an günsti- te die Koalition die Förderung auf die gemeinnützige Woh- gen Mietwohnungen in den Städten eindeutig vorbei. nungswirtschaft konzentrieren. Zuletzt wurden sogar nur etwa sieben Prozent aller neu Dies ist jedoch nicht vorgesehen, im Gegenteil. Im Koa- gebauten Wohnungen als Sozialwohnungen errichtet, et- litionsvertrag heißt es dazu: Die «etablierte Wohnungswirt- wa 25.000 im Jahr. Das ist eine geradezu grotesk niedrige schaft» soll durch die Wohnungsgemeinnützigkeit nicht Zahl angesichts des ungedeckten Bedarfs an Sozialwoh- benachteiligt werden.4 Doch eine freiwillige Wohnungsge- nungen, den das Pestel-Institut, ein Forschungsinstitut und meinnützigkeit ohne privilegierte Vergabe von Fördergeldern Dienstleister für Kommunen, Unternehmen und Verbände, oder von Grundstücken läuft Gefahr, zu einem Feigenblatt mit etwa fünf Millionen angibt.2 Durch das Prinzip der aus- oder einem bloßen Nischensegment zu werden. Insge- laufenden Sozialbindungen gibt es heute trotz Neubau um samt hält sich die Begeisterung der Wohnungswirtschaft die 160.000 Sozialwohnungen weniger als zu Beginn der über die Wiedereinführung einer Wohnungsgemeinnützig- letzten Legislatur – nur noch etwa 1,1 Millionen bundesweit. keit in Grenzen. Der GdW-Bundesverband deutscher Woh- Der Ampelkoalition wird es kaum gelingen, diesen Trend nungs- und Immobilienunternehmen zum Beispiel, in dem aufzuhalten, weil sie das Problem der auslaufenden Sozial- neben den großen Wohnungskonzernen auch die kommu- bindungen nicht grundsätzlich angeht – jedenfalls gibt der nale Wohnungswirtschaft und die großen Wohnungsgenos- Koalitionsvertrag keinen Hinweis darauf. Klar ist: Der soziale senschaften vertreten sind, hat diesen Vorschlag bekämpft. Wohnungsbau lässt sich nur mit einer deutlichen Erhöhung Ohne handfeste Vorteile werden sich die Mitgliedsunterneh- der Bundeszuschüsse und durch eine Umstellung auf dau- men schwertun, sich den Grundsätzen der Gemeinnützigkeit erhafte Sozialbindungen retten. Die bisherige Fördersum- zu unterwerfen. Welche Kommunen schließlich den Mut ha- me von gerade einmal einer Milliarde Euro im Jahr ist viel zu ben werden, ihre kommunalen Wohnungsunternehmen in wenig. die Gemeinnützigkeit zu zwingen, bleibt abzuwarten. Zu begrüßen ist: Die Bundesanstalt für Immobilienaufga- Der Koalitionsvertrag lässt außerdem offen, ob die frühe- ben (BImA), die zum Bundesministerium der Finanzen ge- ren Grundprinzipien der Wohnungsgemeinnützigkeit – De- hört, soll zukünftig auch selbst bauen und Schulden auf- ckelung der Mieten auf die Kostenmiete, eine Renditebe- nehmen können. Das wäre eine positive Entwicklung, grenzung und die Reinvestitionspflicht der Gewinne – auch schließlich baute der Bund in der letzten Legislaturperiode bei einer Neuauflage zur Anwendung kommen sollen. Dage- gerade einmal 50 Wohnungen selbst. Auch die Tatsache, gen spricht, dass die Grünen als treibende Kraft hinter die- dass die nach der Bahnprivatisierung im Bundeseisenbahn- ser Passage im Koalitionsvertrag in ihren eigenen Konzepten vermögen eingelagerten, für den Bahnbetrieb nicht als not- bereits vom Grundsatz der Kostenmiete abgerückt sind und wendig erachteten Grundstücke in die BImA eingegliedert die Renditebegrenzung als Renditegarantie angelegt haben.5 werden sollen, ist zu begrüßen. Doch auch hierzu sucht man Gerade die Höhe der Gewinndeckelung dürfte Gegenstand im Koalitionsvertrag vergeblich nach konkreten Zielvorga- harter Diskussionen werden, da der Koalitionsvertrag hierzu ben. Die Formulierung, die BImA solle zukünftig «mehr Frei- nichts festhält. Angaben dazu, welchen Anteil die gemein- heiten» haben, lässt zudem aufhorchen, gerade weil die Zu- nützige Wohnungswirtschaft am gesamten Wohnungs- ständigkeit mit dem Finanzministerium an die FDP gehen markt haben soll, fehlen vollständig. wird. Vermutlich muss auch in Zukunft um jedes Grundstück Mit einer Sozialwohnungsquote, die wohl weiter unter gekämpft werden. der Zielmarke von 25 Prozent der Neubauwohnungen blei- ben wird, und mit einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, NEUE WOHNUNGSGEMEINNÜTZIGKEIT: AUF- der ein Nischendasein droht, wird auch der rot-grün-gelbe BRUCH, FEIGENBLATT, NISCHENPRODUKT? Wohnungsbau deutlich am realen Bedarf vorbeigehen. Es ist Gerade vor dem Hintergrund des Niedergangs des sozialen den Plänen der neuen Regierung anzusehen, dass sie vor al- Wohnungsbaus ist die Einführung einer neuen Wohnungs- lem die Wohnungssorgen der Mittelschicht ernst nimmt. Die gemeinnützigkeit einer der wenigen Lichtblicke des Koa- Not von etwa der Hälfte der Bevölkerung zu lindern, die sich litionsvertrags im Bereich Wohnen. Denn eine neue Woh- in den meisten Städten kaum mehr eine Wohnung leisten nungsgemeinnützigkeit ist neben dem Erbbaurecht die kann, ist dagegen offenbar kein zentrales Ziel der Ampel. einzige Möglichkeit, dauerhafte Sozialbindungen zu garan- tieren. Die Ampel will durch eine neue Wohnungsgemein- DIE MIETEN DÜRFEN WEITER STEIGEN nützigkeit «mit steuerlicher Förderung und Investitionszula- Das zeigt sich auch beim Thema Regulierung der Mietpreise, gen […] eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte das weitgehend eine Leerstelle bleibt. Im Bundestagswahl- Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen». Wie die kampf hatte die SPD noch ein Mietenmoratorium für ange- Wohnungsgemeinnützigkeit konkret ausgestaltet werden spannte Wohnungsmärkte und das Schließen von Schlupf- soll, bleibt jedoch offen. löchern bei der Mietpreisbremse versprochen. Auch die Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit gilt vie- Grünen hatten mit der Nachschärfung der Mietpreisbremse len als ein Kardinalfehler der deutschen Wohnungspolitik. In sowie rechtssicheren Mietobergrenzen im Bestand gewor- den 1980er Jahren hielten 1.800 gemeinnützige Wohnungs- ben. unternehmen einen Bestand von etwa 3,3 Millionen Woh- Herausgekommen sind eine simple Verlängerung der nungen. In den Großstädten war etwa ein Drittel aller Woh- bestehenden Mietpreisbremse sowie eine Absenkung der nungen gemeinnützig bewirtschaftet, von diesen günstigen Kappungsgrenze im Bestand von 15 auf 11 Prozent in drei Wohnungen profitierten ca. acht Millionen Mieter*innen.3 In- Jahren. Das heißt, dass selbst dort, wo die Wohnungsmärk- sofern ist die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnüt- te offiziell als angespannt gelten, die Bestandsmieten immer 2
noch um fast vier Prozent im Jahr erhöht werden dürfen – Das Versäumnis, diese seit Jahren, teils seit Jahrzehnten anderswo sogar um fast sieben Prozent. Da weder Löhne bestehenden Lücken im Mietrecht zu schließen, rückt auch noch Renten im gleichen Umfang steigen dürften, ist eine das Bekenntnis im Koalitionsvertrag, durch einen «Nationa- weitere Umverteilung zulasten der Mieter*innen vorpro- len Aktionsplan» «bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit grammiert. Auch die angekündigte Verlängerung des Be- […] überwinden» zu wollen,6 in ein anderes Licht. Denn wie trachtungszeitraums beim Mietspiegel von sechs auf sieben will die Koalition verhindern, dass weiterhin wie in der Ver- Jahre sowie die Verpflichtung, in allen Großstädten einen gangenheit zwischen 30.000 und 50.000 Haushalte im Jahr Mietspiegel zu erstellen, werden am Prinzip eines «Mieter- zwangsgeräumt werden, wenn der Kündigungsschutz für höhungsspiegels» nichts ändern, da die meist günstigeren Mieter*innen nicht verbessert und der Niedergang des sozia- Altmieten auch weiterhin durch die in den Mietspiegel ein- len Wohnungsbaus nicht entschieden gestoppt wird? gehenden Mieterhöhungen und teureren Neuverträge nach Enttäuschend ist der Koalitionsvertrag auch in seinen Aus- oben angepasst werden. Von wenigen Korrekturen abgese- sagen zum Baugesetzbuch. Das kommunale Vorkaufsrecht hen wird beim Thema Mietpreisregulierung alles beim Alten in Milieuschutzgebieten zählt zu den letzten Instrumenten, bleiben – das heißt: Es wird keine wirkungsvolle Mietpreis- das den Städten bleibt, um gegen Spekulation und die Ver- regulierung geben. Das ist die größte Enttäuschung beim drängung einkommensarmer Mieter*innen aus den Innen- vorliegenden Koalitionsvertrag, ganz besonders für das brei- städten vorzugehen. Doch obwohl das Bundesverwaltungs- te Bündnis aus Mietervereinen, Gewerkschaften und loka- gericht dieses Mittel zuletzt dramatisch geschwächt hat, soll len Initiativen, die für einen bundesweiten Mietenstopp ge- ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf nur überprüft wer- worben hatten. den. Die außerdem notwendige strengere Preislimitierung Die Liste der weiteren Leerstellen ist lang: Eine soziale beim kommunalen Vorkauf wird gar nicht genannt, ebenso Ausgestaltung des Gewerbemietrechts etwa durch einen wenig eine Verschärfung des Umwandlungsverbotes – bei- Gewerbemietpreisspiegel fehlt völlig. Verstöße gegen die des wichtige Forderungen der Mietenbewegung. Unter dem Mietpreisbremse werden weiterhin nicht sanktioniert. Der Primat von Baulandmobilisierung und Planungsbeschleuni- Deutsche Mieterbund kritisiert zu Recht, dass deutlich über- gung droht, wie schon unter der Großen Koalition in den ver- höhte Mieten auch zukünftig nicht sanktioniert werden – gangenen Jahren, ein zäher Kampf, in dem bestehende kom- der derzeit wirkungslose § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes munale Eingriffsrechte in den Immobilienmarkt bestenfalls (WiStG) wird gar nicht erwähnt und dementsprechend auch gesichert, aber wohl kaum erweitert werden können. nicht reformiert. Die von den Berliner Grünen vorgeschlage- ne, wenn auch juristisch umstrittene Länderöffnungsklau- BODEN BLEIBT SPEKULATIONSOBJEKT sel für einen Landesmietendeckel ist ebenfalls vom Tisch. Die hohen Bodenpreise, die seit der Finanzkrise ab 2008 All das bedeutet die Missachtung von Mieterinteressen, geradezu explosionsartig steigen, sind das Grundproblem, denn die Preisregulierung muss Kernbestandteil einer sozia das eine soziale Wohnungspolitik lösen muss. Hohe Grund- len Mietenpolitik sein. Die Hoffnung, dass sich die Mieten stückspreise führen zu hohen Baukosten und erschweren über den Bau von neuen Wohnungen regulieren lassen, wird den Bau von bezahlbaren Wohnungen. Sie sind ein Brandbe- nicht aufgehen. schleuniger für soziale Ungleichheit, da die Mieten der Vielen in leistungslose Gewinne der Wenigen fließen. Sie sind das MIETER*INNEN WERDEN VOR VERDRÄNGUNG Produkt überschüssigen und nach Anlagemöglichkeiten su- NICHT GESCHÜTZT chenden Kapitals und zwingen den Kommunen überteuerte Auch der Schutz der Mieter*innen vor Kündigung und Ver- Preise auf, wenn sie etwa mit Vorkaufsrechten versuchen ge- drängung spielt im Koalitionsvertrag so gut wie keine Rol- genzusteuern. le. Dabei werden eigentümerfreundliche Regelungen und Gerade die SPD hatte in ihrem Wahlkampf immer wieder bestehende Gesetzeslücken von den Vermieter*innen oft behauptet, die «Spekulation mit Grund und Boden stoppen» schamlos ausgenutzt. Gerade die Eigenbedarfskündigung zu wollen.7 Da auf überteuertem Boden kein bezahlbarer hat sich – verbunden mit der zunehmenden Umwandlung Wohnraum entstünde, würde man sich dem Thema Boden- von Miet- in Eigentumswohnungen – zu einem Verdrän- politik deutlich mehr zuwenden müssen, so Kevin Kühnert gungsmotor entwickelt. Inzwischen gilt selbst die Absichts- auf dem «Wohnungsbautag» am 6. Mai 2021. Doch im Ko- bekundung, eine Eigentumswohnung als Zweitwohnung, alitionsvertrag findet sich davon nichts. Auf keine der zahl- als Arbeitszimmer oder für Au-pair-Kräfte nutzen zu wol- reichen Forderungen von Kommunen, Stadtplaner*innen len, als zulässiger Kündigungsgrund. Vorgetäuschter Ei- und Architekt*innen wurde eingegangen: keine zeitweise genbedarf wird nicht bestraft und «gekaufter Eigenbedarf», Deckelung der Bodenpreissteigerungen, wie es etwa das das heißt der Kauf einer bewohnten Mietwohnung, um sie Deutsche Institut für Urbanistik (DIfU) vorgeschlagen hat;8 dann für einen eigenen Bedarf zu beanspruchen, nicht unter- keine Abschöpfung leistungsloser Bodenwertgewinne etwa bunden. Hinzu kommt, dass selbst geringe Mietrückstände durch Planungswertausgleich oder die Einführung einer Bo- kaum wieder gutgemacht werden können, selbst dann nicht, denwertzuwachssteuer, wie es die SPD bereits in den 1970er wenn sie etwa vom Jobcenter verschuldet wurden. Keines Jahren forderte; kein Stopp der Privatisierung von öffentli- dieser Probleme wird im Koalitionsvertrag angegangen. Le- chen Grundstücken und kein Bundesbodenfonds, um die diglich eine Evaluierung des Mietrechts ist vorgesehen, um Kommunen bei einer aktiven Bodenpolitik zu unterstützen. die Ursachen von Obdachlosigkeit zu beseitigen. Doch die Noch nicht einmal eine Enquete-Kommission zur Bodenpoli- Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass Evaluierungen meist tik soll eingerichtet werden, obwohl auch das eine prominen- folgenlos bleiben oder Gegenstand von zähem Ringen sind. te Forderung der SPD im Wahlkampf war. Da das für Mietrecht zuständige Justizministerium dem- Stattdessen hat sich auch hier die Linie durchgesetzt, nächst von der FDP geführt werden wird, gilt dies umso höchstens die extremen, das heißt illegalen oder zumindest 3 mehr. halblegalen Auswüchse des Marktes zu adressieren, um auf
diese Weise die Profitinteressen von Eigentümer*innen und konzepten lässt zusätzliche Schlupflöcher. Zweitens wird es Konzernen auch gegen Kritik abzusichern. Auf diese Weise Wohnungseigentümer*innen weiterhin freigestellt, ob sie im haben einige erfolgreiche Ansätze bei der Bekämpfung von Bestand überhaupt sanieren. Ohne verbindliche Instrumen- Steuerverschiebungen, der Verschleierung von Eigentums- te, die Sanierungsquote mindestens zu verdoppeln, rücken verhältnissen und Geldwäsche den Weg in den Koalitions- die Klimaziele jedoch in weite Ferne. Und drittens können vertrag gefunden: Verknüpfte Register, ein Versteuerungs- die Vermieter*innen die Kosten für den Klimaschutz auch nachweis für im Ausland ansässige Eigentümer*innen und zu erheblichen Teilen auf die Mieter*innen abwälzen. Die- das Bargeldverbot beim Immobilienkauf könnten endlich se müssen den CO2 -Preis auf Wärme noch bis Mitte 2022 Licht ins Dunkel der intransparenten Immobilienmärkte brin- allein zahlen, und danach noch mindestens zur Hälfte, ob- gen, zudem könnte eine neue «Zinshöhenschranke» die bei wohl sie gar keinen Einfluss auf die Art des Heizens nehmen Immobiliengesellschaften beliebte Steuervermeidung über können. Gleichzeitig hat die FDP sich mit ihrer vagen und Gewinnverschiebung ins Ausland unterbinden.9 vollkommen unausgereiften Idee einer «Teilwarmmiete»10 Für eine wirksame Einschränkung der Spekulation mit gegen längst bestehende Konzepte durchgesetzt, die vorse- Wohnraum und Boden ist das jedoch zu wenig. Schon beim hen, Mieter*innen nur in dem Maße zusätzlich zu belasten, Umgang mit dem Thema Share Deals – also der Praxis, Im- wie sie an Heizkosten einsparen. Da auch hier die FDP mit mobilien als Firmenanteile zu verkaufen, um die Grunder- dem Justizministerium am längeren Hebel sitzt, wird es im werbssteuer zu umgehen – zeigt sich die ganze Halbherzig- Kern wohl bei der Modernisierungsumlage bleiben, die die keit der neuen Regierung. Offenbar musste man hier der FDP Mieter*innen alle Kosten allein tragen lässt und sich seit vie- entgegenkommen. Vorgesehen ist nun, zuerst mit Freibe- len Jahren als ein wesentlicher Motor der Verdrängung er- trägen bei der Grunderwerbssteuer für den Hauskauf neue wiesen hat. Steuererleichterungen einzuführen, bevor bei den Share Da die Ampel auch im Gebäudebereich Klimaschutz vor Deals nachgebessert wird. Selbst hier steckt der Teufel im allem als Wirtschaftsförderung begreift, wird nicht nur die Detail. Schon in der vergangenen Wahlperiode ist das Schlie- dringend nötige Wärmewende verschleppt. Die energe- ßen dieses Steuerschlupflochs am Widerstand der Union ge- tische Sanierung von Wohngebäuden droht zu einem der scheitert, die den Bundesrat nun in ihrer Oppositionsrolle größeren sozialen Konflikte bei der Bekämpfung des Klima- umso mehr nutzen wird, um wirksame Regelungen in die- wandels zu werden. Ein einmaliger Heizkostenzuschuss im sem Bereich zu unterbinden. Ob die SPD die Begrenzung der Winter oder eine Klimakomponente für das Wohngeld, die Share Deals engagierter verfolgen wird als in der Vergangen- Sanierungsmieterhöhungen durch zusätzliche Mietzuschüs- heit, bleibt abzuwarten. se auffangen soll, können die soziale Zeitbombe, die beim Klimaschutz im Gebäudebereich tickt, nicht entschärfen. Die KLIMASCHUTZ ALS SOZIALE ZEITBOMBE Frage, wie die energetische Gebäudesanierung sozial abge- Auch beim Klimaschutz zeigt sich, dass die Ampel vor al- federt werden soll, bleibt im Kern unbeantwortet. lem die Immobilienwirtschaft und weniger die Mieter*innen im Blick hat. Nach Jahren weitgehenden Stillstands – der FREIE FAHRT FÜR WOHNUNGSKONZERNE Wärmesektor ist der einzige, der in den vergangenen Jah- Die Wohnungskonzerne könnten als die großen Gewinner ren immer seine Klimaziele verfehlte – konnten die Grünen aus dem rot-grün-gelben «Fortschrittsbündnis» hervorge- hier erkennbar Akzente setzen: strengere Klimastandards hen. Von der «Investitionsoffensive» beim Wohnungsbau im Wohnungsneubau und bei Umbauten, die Umstellung und beim Klimaschutz werden Vonovia, LEG, Heimstaden der öffentlichen Sanierungsförderung auf die tatsächlichen und Co. besonders profitieren. Sie als große Unternehmen Treibhausgasemissionen, der Anfang vom Ausstieg aus dem mit in-gesourcten Bau- und Handwerksleistungen verfügen fossilen Heizen, eine Solarzellenpflicht auf neuen Gebäuden über die Kapazitäten und bei Nachverdichtung ihrer Bestän- (sofern sie nicht dem Wohnen dienen) und der Einstieg in ein de auch über die nötigen Grundstücke und Aufstockungs- klimafreundlicheres und ressourcenschonendes Bauen mit möglichkeiten. Gleichzeitig passt die Investitionsstrategie Gebäudeenergieausweis und -kataster, Ressourcenpass und der Ampel – die von den Konzernen am Runden Tisch mitent einer «verstärkten» Einbeziehung aller Kosten, die von Bau- schieden wird – zu ihrer Strategie, höhere Mieteinnahmen stoffgewinnung bis zum Abriss entstehen. (neuerdings) auch über teure Neubauten zu generieren. Ob Die verabredeten Fortschritte im Klimabereich sind nicht Mieterhöhung, Modernisierung oder Erfindung neuer Aus- überraschend, auch weil die Immobilienverbände und die gabeposten bei der Nebenkostenabrechnung – die bisheri- Bauwirtschaft nicht erst seit Fridays for Future ihre Lobbyin- gen Geschäftsmodelle der Konzerne bleiben unangetastet. teressen in ökologischen Farben malen. Ob Baustoffherstel- Daran werden auch neue Transparenzpflichten bei der Ne- ler oder die großen Wohnungsunternehmen: Die Bau- und benkostenabrechnung nichts ändern. Eine Instandhaltungs- Immobilienbranche hat längst erkannt, dass in der energeti- pflicht fehlt ebenso im Koalitionsvertrag – das Herunterwirt- schen Sanierung und im klimafreundlicheren Bauen die Zu- schaften von Beständen bleibt also unsanktioniert. Da auch kunft liegt. Entsprechend gering dürften hier auch die Wi- keine Verschärfungen im Kartellrecht gegen weitere Groß- derstände der FDP gewesen sein – solange die Gewinne der fusionen, keine Regulierung des Handels mit Immobilien Unternehmen stimmen. auf den Finanzmärkten und keine verbindlichen Minimal- Das scheint durch den Koalitionsvertrag gesichert: Ers- standards für die gewerbliche Bewirtschaftung von Wohn- tens werden die neuen Klimastandards die Unternehmen raum geplant sind, müssen Vonovia & Co. die Ampel nicht keineswegs überfordern. Die Vorgaben für Neubau, Sanie- fürchten. Dazu passt, dass die aggressiven Geschäftsprakti- rungen und Heizungseinbau sind keineswegs so weitrei- ken der Konzerne mit keinem Wort problematisiert werden. chend, dass sie Klimaneutralität gewährleisten – und sie sol- Für eine Wohnungspolitik im Interesse der Mieter*innen, die len auch erst 2024 bzw. 2025 kommen. Die Betonung von auch weiter Schwerpunkt von Linken in und außerhalb von Technologieoffenheit und nicht näher definierten Quartiers- Parlamenten sein muss, bietet das eine offene Flanke. 4
FAZIT UND AUSBLICK zum Teil Fassungslosigkeit und allerorts Enttäuschung hin- Gerade weil ein Vorstoß für die Vergesellschaftung großer terlassen. Jetzt heißt es aber nicht aufzugeben, sondern die Wohnungskonzerne nach dem Vorbild Berlins auf der Bun- gute Zusammenarbeit in breiten Bündnissen fortzusetzen, desebene aussichtslos scheint, müssen andere Instrumente die bereits in den vergangenen Jahren erfolgreich erheb- gegen die Dominanz von Wohnungskonzernen, Immobilien- lichen politischen Druck aufbauen konnten. Dieser Druck fonds und ihren Geschäftsmodellen im Vordergrund stehen. wird auch weiterhin nötig sein, um der Ampel zumindest Hierzu zählen aus unserer Sicht: minimale Fortschritte abringen zu können. Und wer weiß? – ein bundesweiter Mietendeckel und ein besserer Schutz Vielleicht werden sich nicht nur LINKE, sondern auch einige vor Verdrängung – auch für Kleingewerbe, Kultur und sozi- der vielen neuen jungen kritischen Bundestagsabgeordne- ale Einrichtungen; ten von SPD und Grünen für die Belange der Mieter*innen – ein Antispekulationsgesetz, das Share Deals verbietet, starkmachen? die Steuerfreiheit bei privaten Wohnungsverkäufen nach zehn Jahren abschafft, die Regeln auf den Finanzmärkten Caren Lay ist Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik verschärft und die Spekulation mit Leerständen unterbin- der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. det; Armin Kuhn ist wohnungs- und mietenpolitischer Referent am – ein Wohnungswirtschaftsgesetz, das private Wohnungs- Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. unternehmen auf Bewirtschaftungsstandards verpflichtet und sie demokratisiert; – eine neue Bodenpolitik, die die Bodenpreise deckelt, Pri- 1 Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koaliti- onsvertrag 2021–2025 zwischen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, 24.11.2021, vatisierungen stoppt, leistungslose Bodenwertgewinne unter: www.spd.de/koalitionsvertrag2021/, Zeile 2927. 2 Pestel-Institut: Bedarf an Sozi- abschöpft und den kommunalen Anteil am Bodeneigen- alwohnungen in Deutschland, Hannover 2012. 3 Bericht der Bund-Länder-Kommission «Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht» vom 14. Oktober 1983, in: Unabhängige Kommission tum deutlich ausbaut; 1985: Gutachten zur Prüfung der steuerlichen Regelungen für gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsunternehmen, Schriftenreihe des BMF, Heft 35. 4 Mehr Fortschritt wagen, – ein ambitioniertes Sanierungsprogramm ohne Mieterhö- Z. 2934. 5 Die grüne Bundestagsfraktion hat im Februar 2020 einen Gesetzentwurf ein- hungen, das Klimaneutralität bis 2035 garantiert und die gebracht, der die ortsübliche Vergleichsmiete, also die Marktmiete, zum Maßstab auch für gemeinnützige Wohnungen macht, die in ihrer Miete darunterliegen sollen. Als Rendite wer- Vermieter*innen an den Kosten beteiligt; den 3,5 Prozent festgesetzt, die jedes Jahr ausgeschüttet werden können, auch nachträg- – ein öffentliches Wohnungsbauprogramm mit einer neuen lich (vgl. Bundestagsdrucksache 19/17307). 6 Mehr Fortschritt wagen, Z. 3047. 7 SPD- Wahlprogramm 2021, unter: www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/ Wohnungsgemeinnützigkeit als Leitbild und dem Ziel, ei- SPD-Zukunftsprogramm.pdf, S. 37. 8 Adrian, Luise u. a.: Aktive Bodenpolitik, Fundament nen nicht-profitorientierten Wohnungssektor aufzubauen, der Stadtentwicklung, Deutsches Institut für Urbanistik (DIfU), Berlin 2021. 9 Vgl. hierzu Netzwerk Steuergerechtigkeit: Koalitionsvertrag enttäuscht Erwartungen für mehr Steu- der das Recht auf Wohnen auch denjenigen garantiert, die ergerechtigkeit, 25.11.2021, unter: www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/koalitionsver- auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden. trag2021/. 10 Die «Teilwarmmiete» ist ein FDP-Konzept, das einen Teil der Heizkosten als Pauschalbetrag in die vertraglich garantierte Miete integriert. Vermieter*innen sollen so Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen für den Be- Anreize zur energetischen Sanierung erhalten, da der Betrag unverändert bleibt, sie also einen Teil der eingesparten Heizkosten als Gewinn einstreichen können. Der Vorschlag be- reich Wohnungspolitik haben bei Mietervereinen, Sozial- ruft sich auf eine Universitätsstudie, die das Modell selbst als zu bürokratisch und teils nicht verbänden, Expert*innen und bei der Mietenbewegung anwendbar verworfen hatte (vgl. Bundestagsdrucksache 19/25246). IMPRESSUM STANDPUNKTE 12/2021 erscheint online und wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung V. i. S. d. P.: Alrun Kaune-Nüßlein Straße der Pariser Kommune 8A · 10243 Berlin · www.rosalux.de ISSN 1867-3171 Redaktionsschluss: Dezember 2021 Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin Layout/Satz: MediaService GmbH Druck und Kommunikation Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie wird kostenlos abgegeben und darf nicht zu Wahlkampfzwecken verwendet werden.
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