Fachexkursion für Direktvermarkter in das nördliche Elsass im Sommer 2016
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Beratung und Bildung Katja Kuch, Wolfgang Schell Fachexkursion für Direktvermarkter in das nördliche Elsass im Sommer 2016 Wein, Käse, Geflügelpastete und Gemüse – wer denkt da nicht an die französische Küche? Frankreich gilt als Land der Feinschmecker und ist bekannt für seine Esskultur. Franzosen nehmen sich viel Zeit zum Essen, schätzen eine hohe Lebensmittelqualität und honorieren diese mit guten Preisen für Lebensmittel. Französische Spezialitäten erzielen Spitzenpreise. D iese Wertschätzung von Lebensmitteln und die Bereitschaft, entsprechende Preise für gu- te Qualität zu zahlen, wirken sich auch auf die keiten eröffnet. Seine traditionelle Küche ist au- ßerordentlich erfolgreich. Die alten landwirt- schaftlichen Gebäude, seine Küche und der Bau- Direktvermarktung in Frankreich und im Elsass ernhof leben die Region Elsass, so wie es in seiner aus. Um mehr darüber zu erfahren haben sich 30 Tradition war und dem was heute daraus gewor- Direktvermarkter aus den Landkreisen Tübingen, den ist. Reutlingen und Zollernalbkreis zu einer Exkursi- on ins nördliche Elsass auf den Weg gemacht. Auch bei uns in Deutschland erfreuen sich regio- Milchviehbetrieb von Patrick Messer nale Erzeugnisse einer hohen Wertschätzung. Wir in Durningen wollten deshalb über unseren Tellerrand hinaus- schauen, um zu sehen was man von unseren Patrick Messer, der Seniorchef des Familienbetrie- Nachbarn an Anregungen mitnehmen kann. Auf bes Messer, stellte uns seinen landwirtschaftlichen dem Programm standen mehrere landwirtschaft- Betrieb und die angegliederte Molkerei vor. liche Betriebe mit verschiedenen Vermarktungs- strategien, sowie eine Vermarktungskooperative. Die Familien Die Landwirtschaft wird von Herrn Messer Junior und seiner Frau eigenständig geführt. Der Senior- Ölmühle von Philippe Finck in chef, Patrick Messer (unser Ansprechpartner), ist Drachenbronn mit seiner Frau für die Verarbeitung der Milch in der Molkerei und für die Vermarktung der Pro- In der Ölmühle bei Drachenbronn, in der Nähe dukte verantwortlich. von Wissembourg, wurden wir vom Bürgermeis- ter Sepp Schneider empfangen. Er war viele Jahre Aufbau und Entwicklung des Gesamt- für die Landwirtschaftskammer als Berater tätig betriebes und kennt die Herausforderungen in der Land- Patrick Messer und seine Frau haben vor 30 Jahren wirtschaft und in der Direktvermarktung. Er hat mit ein paar Kühen begonnen. Weil die Althofstel- uns Land und Leute des nördlichen Elsass (zwi- le in Ortslage sehr beengt war, haben sie einen schen Strassbourg und und Wissembourg) vorge- Teilaussiedlungsstandort erschlossen. Damit wur- stellt. de der Grundstein für die Entwicklungsmöglich- Bilder: K. Kuch, W. Schell keiten des gesamten Unternehmens gelegt. Aus Anschließend stellte Philippe Fink (Gastronom Kostengründen wurde in Rundholzbauweise ein und Bauer), der Bewirtschafter des Betriebs, uns Milchviehstall, als Boxenlaufstall, mit der Baube- bei einem Frühstück seine Entwicklung vom bäu- ratung der Landwirtschaftskammer (Herrn Staeh- erlichen Familienbetrieb zur Gastronomie mit li und Herrn Schneider), für 40 Kühe errichtet. Da Fremdenzimmern und Landwirtschaft (30 Charo- die Milchquote knapp war, wurden von Anfang an lais Mutterkühe, Grünland, etwas Getreide und zusätzlich Milch und Milchprodukte direkt ver- Wald) vor. marktet. Inzwischen ist die junge Generation her- angewachsen, so dass die drei Bereiche (landwirt- Der Tourismus und die Gastronomie haben ihm schaftliche Erzeugung, gewerbliche Herstellung zur Landwirtschaft neue Entwicklungsmöglich- 54 Landinfo 5 | 2016
Beratung und Bildung von Molkereiprodukten und die Vermarktung) die Da in seiner Molkerei nur Frischeprodukte wie Existenzgrundlage für 2 Familien bilden. Joghurt, Quark, Frischkäse und Butter hergestellt werden, entfällt mit dem Vertragsende mit der ge- Als Absatzwege für seine Milch nutzt Patrick Mes- nossenschaftlichen Molkerei die Möglichkeit zur ser bisher einerseits die Abgabe an eine genossen- Pufferung von überschüssigen Milchmengen. Ne- schaftliche Molkerei, andererseits vermarktet er ben der Marketingstrategie zur Umsatzsteigerung seine in der eigenen Molkerei hergestellten Molke- hat er deshalb Speiseeis in seine Produktpalette reiprodukte als Direktvermarkter. Als weitere Ver- mit aufgenommen, so dass er ein Produkt hat, mit marktungsmöglichkeit hat er die Vermarktungs- dem er Schwankungen in der Milcherzeugung und kooperative Hop`la gegründet und aufgebaut, die Schwankungen am Markt abpuffern kann. mittlerweile einen wesentlichen Baustein in seiner Vermarktungsstrategie darstellt. Enten- und Gemüsebetrieb der Landwirtschaft Familie Nonnenmacher in Seit etwa einem Jahr ist ein neuer, sehr großzügi- Kochersberg ger Milchviehstall (bzgl. Kuhkomfort, Licht und Luft) mit 80 Plätzen und Melkroboter bezogen. Der Familienbetrieb Le Gaveur du Kochersberg Eine Stallhälfte wird derzeit für die Lagerung von ist ein klassischer Direktvermarkterbetrieb mit Heu und Stroh verwendet, sie kann aber für die Spezialisierung auf Gemüseanbau und Enten- Erweiterung um weitere 80 Kühe genutzt werden. mast. Die Produkte werden frisch, sowie in verar- Der Ausssiedlungsstandort, auf dem zwischen- beiteter Form direkt im Hofladen und teilweise zeitlich auch das Wohnhaus steht, lässt das bezüg- auch an Restaurants verkauft. Das reichhaltige lich der Emissionen zu. Gemüsesortiment reicht von Kartoffeln, Zwie- beln, Gurken, Salat, Bohnen, Rote Bete und vie- An Fläche werden 80 ha, überwiegend Ackerland, lem mehr, bis zum Spargel. Dieser lockt zur Spar- bewirtschaftet, auf der hauptsächlich Futter (Mais gelzeit besonders viele Kunden in den Laden. und Luzerne) für den Viehbestand erzeugt wird. Obst und Gemüse werden nicht nur frisch ver- Das gesamte weibliche Jungvieh wird auf dem kauft, sondern direkt in einer Küche vor Ort zu Betrieb gehalten. Die Milchleistung der Kühe liegt Marmeladen, Kompott, Sirup, Suppen, Soßen, bei ca. 10.000 kg Milch/Kuh und Jahr. Die Kühe eingelegten Gemüse und vielen weiteren Produk- sind sehr langlebig. Das bestätigt auch der opti- ten und Spezialitäten weiterverarbeitet und haltbar sche Eindruck der Herde. Unterstütz wird dieser gemacht. Dies bietet dem Betrieb die Möglichkeit, Eindruck von der ältesten Kuh im Stall. Sie erhält überschüssiges Obst und Gemüse, das nicht frisch inzwischen das Gnadenbrot (bei 4 kg Milch am verkauft wird, wertschöpfend als Spezialität weiter Tag) und hat in einem Alter von 17 Jahren mit 11 zu vermarkten. Außerdem wird der zunehmende Laktationen eine Lebensleistung von über 100.000 Verbraucherwunsch nach vorgefertigten, aber kg Milch erbracht. Eine Besonderheit stellen die dennoch qualitativ hochwertigen Produkten auf- Bullenkälber dar. Sie werden alle mit Vollmilch gegriffen. Neben dem Gemüseanbau ist die En- gemästet und über das Vertriebssystem der Ver- tenmast ein tragender Betriebszweig. Es werden marktungskooperative vermarktet. Nach Aussa- 11.000 Enten im Jahr produziert. Diese werden gen von Messer ist das für ihn ein sehr gutes Ge- schlachtfrisch oder zu Delikatessen wie Pasteten schäft. weiterverarbeitet verkauft. Eine weitere Einnah- mequelle neben der Direktvermarktung ist die Molkerei Bewirtung von Gruppen. Diese Dienstleistung Das Gebäude und die Produktionseinrichtungen wird nur auf Voranmeldung angeboten. Den Gäs- wurden neu erstellt. Die Modernisierung und die ten werden regionaltypische Menüs angeboten, Erweiterung der Milchverarbeitung wurden not- die aus den eigenen Produkten zubereitet werden. wendig, weil seine genossenschaftliche Molkerei die zweigleisige Vermarktung nicht mehr duldet. Der Vertrag läuft Ende des Jahres aus, so dass Direktvermarktungskooperative Herr Messer (derzeit 400.000 kg Milch) dann die HOP´la am Stadtrand von gesamte Milchmenge (700.000 kg Milch plus) di- Strassbourg rekt vermarkten wird. Das hat ihn in Bedrängnis gebracht, so dass er mit Hilfe einer Marketing- Patrick Messer ist auch President (das entspricht agentur eine offensive Marketingstrategie entwi- dem Vorsitzenden bei uns) einer Kooperative von ckelt hat, um neue Märkte, hauptsächlich im Le- 30 direktvermarktenden Betrieben. Er ist die trei- bensmitteleinzelhandel, zu erschließen. bende Kraft des Unternehmens und hat zusam- Landinfo 5 | 2016 55
Beratung und Bildung men mit Partnern die Kooperative aufgebaut und seine Erzeugungskosten in der Produktion ken- führt sie bis heute. nen. Eine ungünstige Kostenstruktur in der Er- zeugung muss als erstes in Ordnung werden. Das Geschäftskonzept sieht folgendermaßen aus: Denn die Direktvermarktung ist nicht geeignet, Der Laden ist wie ein Supermarkt aufgebaut. Alle um Kostendefizite in der Produktion auszuglei- angebotenen Produkte werden vom Kunden an chen. Erst dann ist es möglich in der Erzeugung einer gemeinsamen Kasse gezahlt. Die rechtliche und in der Vermarktung Geld zu verdienen. Ge- Geschäftsform der Kooperative ist eine Genos- genüber jedem Konkurrenzprodukt, das im Le- senschaft. Sie ist Eigentümerin des Standort- bensmitteleinzelhandel angeboten wird, kann zu- grundstücks mit Gebäuden inklusive Einrichtung nächst kein Mehrpreis in der Direktvermarktung und Maschinen sowie dem Parkplatz. Das Stand- erzielt werden, weil die Konkurrenz ebenfalls auf Bild: K. Kuch, W. Schell ortgrundstück ist so groß, dass es Erweiterungen allen Ebenen qualitativ hochwertig arbeitet zulässt. Ein Mehrpreis kann nur über einen Mehrwert er- Die Erzeuger, also die Mitglieder der Genossen- zielt werden, den der Kunde wünscht, schätzt und schaft, nutzen diese Infrastruktur, um ihre Pro- dann auch bezahlt. Und der besteht in diesem Ge- dukte zu verkaufen. Dafür entrichten sie ca. 20 % schäftsmodell im Vertrauen des Kunden in die des Umsatzes an die Gesellschaft, um die festen Person des Erzeugers. Das ist die Abgrenzung und direkten Vermarktungskosten zu decken. Der vom Lebensmitteleinzelhandel zum Bauernmarkt Prozentsatz ist jedoch etwas variabel – er hängt und schafft den Mehrwert der Produkte. Dieses einerseits vom Gesamtgewinn der Kooperative ab Vertrauen ist gelebte Regionalität. Aber Vertrauen und individuell von der eingebrachten Arbeitszeit ist ein wertvolles Gut, das man beim Kunden der Erzeuger im Laden. Die Landwirte sind in je- nicht oft verscherzen kann. Deshalb ist die Ko- dem Fall verpflichtet einige Stunden pro Monat operative sehr straff organisiert und geführt. im Laden mitzuarbeiten. Das Konzept der Ko- operative beinhaltet, dass immer mindestens ein In monatlich stattfindenden Besprechungen wer- Landwirt im Laden ist, um Kundenfragen zu den den Fragen des laufenden Tagesgeschäftes geklärt Produkten zu beantworten. Die Verkaufsmann- (Optimierung der Prozesse, Kosten, Missstände, schaft besteht darüber hinaus aus Aushilfskräften …). Hier wird auch besprochen, ob ein Neube- und Fachpersonal. Das Fachpersonal ist haupt- werber in die Gruppe aufgenommen wird. Dabei sächlich für die Fleischaufbereitung (nach der spielen nicht nur seine Produkte eine Rolle, son- Schlachtung im Schlachthof und vor dem Ver- dern auch seine persönlichen Kompetenzen und kauf) und die Herstellung von Würsten und Dau- seine Einstellung zur Gemeinschaft der Koopera- erwaren (Geräuchertes und Konserve) zuständig. tive. Sofern sich ein Bewerber für geeignet erweist, Katja Kuch verkostet das Gremium die Produkte und nimmt LRA Tübingen Die Preise für ihre eigenen Produkte werden den Betrieb persönlich in Augenschein. Als Maß- Tel. 07071/ 207-4061 grundsätzlich von den Erzeugern selbst festgelegt, stab gilt, dass der Betrieb jederzeit vom Kunden K.Kuch@kreis- müssen von der Genossenschaft aber genehmigt akzeptiert wird. tuebingen.de werden. Auch Preisänderungen müssen vor den anderen Gesellschaftern erläutert werden. Preiser- Und warum heißt dieser Bauernmarkt Hop´la? höhungen führen nicht automatisch zu einem hö- Hop´la ist im Elsass eine kleine Redewendung, die heren Umsatz und dann auch zu einem höheren man beiläufig verwendet und heißt so viel wie: auf Gewinn. Für die Kooperative gilt jedoch, dass der geht`s, packen wir`s an. maximale Gewinn Priorität hat. Der beste Preis ist der, der den maximalen Umsatz erzielt. Als Dieses Motto leben alle von uns besuchten Betrie- Grundvoraussetzungen gelten: be. Das wird an der Freude deutlich, die auf- kommt, wenn sie von ihrer Arbeit berichten, in der • Qualität und Frische müssen 100-prozentig sie immer wieder Neues gewagt haben und Her- stimmen ausforderungen angenommen haben. Ein weite- • Die Produktverpackung und Präsentation muss rer Punkt der auffällt, ist die Überzeugung mit der ansprechend sein die elsässer Kollegen hinter ihren Produkten ste- • Das Produkt muss zuverlässig verfügbar sein hen. Wolfgang Schell (jedoch nicht bei saisonalen Produkten, das liegt LRA Tübingen in der Natur eines Bauernmarktes) Hop´la - Ein ausgezeichnetes Tel. 07071/ 207-4034 Motto für Direktvermarkter. w.schell@kreis- Zur Gestaltung des Endverkaufspreises stellt Pa- tuebingen.de trick Messer klar: Zunächst muss der Landwirt 56 Landinfo 5 | 2016
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