Fakten zu Hummer/Hummerhandel - pro iure animalis

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Fakten zu Hummer/Hummerhandel - pro iure animalis
Fakten zu Hummer/Hummerhandel

  pro iure animalis
Fakten zu Hummer/Hummerhandel - pro iure animalis
Unkostenbeitrag CHF 3.– / EUR 2.–

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CH-8408 Winterthur
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                                                      fish-facts 9:
Hummer und Krebse:                                    Hummer
Leiden für Genuss?

Abertausende von Hummern, Langusten
und anderen Krebsen landen jährlich auf
den Tellern von Feinschmeckern. Die we-
nigsten von ihnen wissen, dass die Tiere
vorher Qualen litten. Kann Genuss sein,
was aus Leiden kommt?
Die Praxis bei Fang, Lagerung, Transport
und Zubereitung von Krebsen muss ge-
ändert werden. Neuere Studien zeigen,
dass Krebstiere Schmerz empfinden.
Wir konzentrieren uns im Folgenden auf
Hummer; das meiste gilt aber für alle      Wochen-, monatelang gefesselt bis zum
Krebstiere.                                «Fest» – es ginge anders: siehe Seite 12.
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250
            Hummer-Weltproduktion 1950–2005
            inkl. Langusten
            in 1‘000 Tonnen pro Jahr
            (Quelle: FAO, Grafik: fair-fish)
200

                                                    Welt

150                                                 Die 9 grössten Produzenten
                                                    (= 73% der Weltproduktion)
                                                         Kanada
                                                         USA
                                                         Grossbritannien
                                                         Australien
100                                                      Bahamas
                                                         Irland
                                                         Frankreich
                                                         Brasilien
                                                         Indonesien
    50

     1950            1960          1970      1980          1990        2000      05

Hummer (rechts) und die entfernte Ver-
wandte Spiny lobster (Languste, links).

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Produktion und Konsum von Hummern
Mit modernen Technologien wurden die        vor in keinem Land begrenzt.
jährlichen Fänge von Krustentieren ver-     Abgesehen von Ländern, in welchen die
vielfacht: von 692 000 Tonnen (1950) auf    Bevölkerung auf Meeresprodukte als
10 663 000 t (2006). Die Fänge von Hum-     Nahrung angewiesen ist, werden Krus-
mern und Langusten stiegen in dieser        tentiere vor allem in den USA und in der
Zeit von 81000 auf 251 000 Tonnen.          EU gegessen. Für Kanada etwa sind die-
                                            se beiden Grossräume die Hauptabneh-
Weltweit wurden 2005 rund 233 300           mer, danach folgt China.
Tonnen Hummer und Langusten gefan-          Bekannte Arten von Hummern (eng-
gen. Kanada liegt mit 43 800 t an der       lisch Lobster) sind American Lobster und
Spitze; Hummer ist Kanadas wichtigstes      Europäischer Hummer von den Atlan-
Fischereiprodukt. Ähnlich viel fangen die   tikküsten sowie der Spiny Lobster (zu
USA (gegen 41 900 t). Mit Abstand fol-      deutsch Languste; der verfängliche eng-
gen Grossbritannien (28 300 t) und Aus-     lische Name stiftet immer wieder Ver-
tralien (18 600 t).– 2006 stieg der Fang    wirrung um Hummer und Languste).
auf 251 000 t. Bei einem durchschnitt-
lichen Konsumgewicht von 1 kg pro
Hummer werden weltweit etwa 250
Millionen Hummer pro Jahr gefangen
und verzehrt – Tendenz steigend.

Hummer massiv überfischt
Angesichts solch intensiver Befischung
verwundert es nicht, dass die Bestände
von der Ausrottung bedroht sind. Umso
schlimmer, dass die meisten weiblichen
Hummer gefangen werden, bevor sie
geschlechtsreif sind und sich fortpflan-     Krebstiere
zen konnten.                                Die Klasse der Krebstiere (Crustacea,
Die hauptproduzierenden Länder haben        Krustentiere) zeichnet sich durch eine
unterdessen selbst erkannt, dass Hum-       grosse Formenvielfalt aus.
mer und andere Krustentiere massiv          Etwa ein Drittel der Arten gehören zur
überfischt werden. Zum Schutz ihrer          Ordnung der Zehnfusskrebse: Hum-
Bestände und einer wichtigen Einkom-        mer, Langusten, Fluss- und Steinkreb-
mensquelle haben die meisten Länder         se, Krabben und die meisten Crevetten
verschiedene Regulierungen angeord-         (Garnelen) und zeichnen ich aus durch:
net, wie: vorgeschriebene Mindestgrös-      • fünf Paar Füsse, zwei lange Fühler
se der Tiere, Fangverbot von Eier legen-    («Antennen»)
den Weibchen, saisonale Schonzeiten         • ein Scherenpaar (oft Greifzange
und anderes mehr. Es ist allerdings frag-   rechts und Schere links)
lich, ob diese Massnahmen ausreichen.       • Panzer dunkler Färbung (Töne von
Die Fangmengen sind nämlich nach wie        Blau, Grün, Braun, Violett bis Schwarz)

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Lebensweise der Hummer
Wie andere Krebse müssen sich Hum-
mer periodisch häuten, um zu wach-
sen. In dieser verletzlichen Phase zie-
hen sie sich zurück.
Hummer können bis zu hundert Jah-
ren alt werden. Sie tragen ihre Jun-
gen neun bis elf Monate lang. Die Ge-
schlechtsreife erreichen Hummer im
Alter von etwa sieben Jahren.
Hummer sind nachtaktive Einzelgänger
mit komplexem Sozialleben. So führen
die älteren Tiere jüngere Artgenossen
mit den Scheren «Hand in Hand».
Hummer «riechen» mit ihren Fühlern
und «tasten» mit Haaren an ihren Bei-
nen. Sie können tiefe Frequenzen her-
vorbringen und wahrnehmen; so «ras-
seln» oder «klicken» sie bei aggressi-
ven Begegnungen oder Gefahr. Das
«Brummen» gefesselter Hummer ist
auch für uns wahrnehmbar.
Hummer bevorzugen kühlere Gewäs-
ser mit felsigem Boden, in Küstennähe
oder in Tiefen bis zu 50 Meter.           Verschiedene Hummerfallen

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Das lange Leiden beginnt beim Fang
Die meisten Krebse werden nicht sofort        zen, welche direkt über den Meeresbo-
nach dem Fang getötet. Stattdessen sind       den gezogen werden. Dabei sterben vie-
sie grossem und lange dauerndem Lei-          le andere Lebewesen, die als ungewoll-
den und Stress ausgesetzt: Fang, Lage-        ter «Beifang» ebenfalls in den Netzen
rung, Transport und Tötung sind nicht         hängen bleiben. Zudem versehren diese
artgerecht. Leider wird diese Misshand-       Fangnetze die Meeresböden und zerstö-
lung von allen Tierschutzgesetzen im-         ren rücksichtslos den Lebensraum vieler
mer noch toleriert.                           Meeresbewohner für Jahre – falls er sich
                                              je wieder regeneriert.
Gefangen werden Hummer zum einen
von lizenzierten Fischern, die mit klei-
neren Booten in Küstennähe auf Fang
gehen. Sie setzen Fallen oder Fangkörbe
mit Ködern auf dem Meeresboden ab.
Nicht selten werden die Fallen – trotz
Markierung der Stelle mit Boyen an
der Wasseroberfläche – nicht mehr ge-
funden; die in solchen Fallen sitzenden       Zerstörter
Hummer verhungern langsam.                    Lebensraum:
Zum anderen sind grosse Fangschiffe           Spur eines
weiter ausserhalb der Küste im Einsatz,       Grundschlepp-
teils mit Fallen, teils mit langen Fangnet-   netzes am
                                              Meeresboden

Weshalb sind Krebse so begehrt?
Köche wie Konsumierende loben das
aromatisch-süssliche, zarte Fleisch von
Krebsen. Ebenso dürften der moder-
ne Drang, stets Neues auszuprobieren,
sowie der Hauch des Exklusiven die-
se teure Delikatesse kulinarisch so at-
traktiv machen. Nicht umsonst hat der
Konsum von Hummer um die Festtage
herum Hochsaison. Allerdings gibt es
Tendenzen, den Hummer zur Alltags-
kost werden zu lassen. So boten meh-
rere der grössten Supermarktketten
Englands «Billig-Lobster» für jeder-          Der Hummerkörper besteht aus zwei
mann an und Restaurantketten – auch           Teilen. Der Kopf enthält Herz, Auge,
bei uns – offerier(t)en Hummer-Menüs          Mund und «Hirn» (Zentralganglion) so-
zu vergleichsweise erschwinglichen            wie Verdauungs- und Sexualorgane, der
Preisen.                                      Schwanz die Eingeweide und den Anus.

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Fakten zu Hummer/Hummerhandel - pro iure animalis
Lebend gelagert und
transportiert
Einmal gefangen, werden die Hummer
nach dem Fang lebend in engste Einzel-
behälter gezwängt, die sich in einem mit
Meerwasser gefüllten Tank befinden.

Die Lagerung ist alles andere als artge-
recht: Erstens werden die Einzelgänger
auf engstem Raum zu Zehntausenden
gehalten. Zweitens werden ihnen die
Scheren zusammengebunden. In diesem
Zustand müssen sie bewegungslos und
ohne Futter oft für Monate ausharren,
von der Fangsaison im Spätsommer bis
zur Hauptkonsumsaison im Winter. Im-
mer noch lebend werden die Tiere für
den Transport apathisch-benommen ge-
macht, indem man sie auf Eis gelagert
herunterkühlt. Aufeinandergestapelt
und eng zusammengepfercht kommen
sie dann an ihre Destination. Und auch     hier lässt die Lagerung zu wünschen üb-
                                           rig: In Aquarien müssen Hummer weiter
                                           ausharren, bis sie jemand begehrt.
Nur selten getötet und gefrostet
Wenig leiden müssten Hummer, die           Verkauf lebender Hummer unnötig
nach dem Fang getötet und tiefge-          Es gibt heute keine stichhaltigen Gründe
kühlt werden. Nur ein kleiner Teil der     mehr, Krebse am «Leben» zu lassen, bis
Hummer gelangt auf diese Weise in          sie endlich gekocht werden. Kühlketten
den Verkauf, etwa die Western Aus-         garantieren für frische Qualität.
tralian Rock Lobsters unter MSC-Label.     Hingegen gibt es lauter triftige Gründe,
Allerdings sind auch diese Hummer          Krebse gleich nach dem Fang zu töten.
keine echte Alternative. Sie werden        Zum Beispiel auch wegen der Hygiene.
nämlich nach dem Fang in kaltem            Krustentiere sind nämlich ein Herd für
Wasser heruntergekühlt, dann in Süss-      Bakterien, die sich im dahinvegetieren-
wasser gesetzt, wo sie einen lang-         den Tier rasch vermehren können. Die
samen Ertrinkungstod sterben. Der          Industrie versucht dem Problem mit
Produzent Western Australian Rocks         Chemie oder gar mit Bestrahlung beizu-
rechtfertigt sich mit der gängigen, aber   kommen. Werden die Krebse jedoch so-
falschen Behauptung, die Tiere fielen       fort getötet und anschliessend gekocht
dank der Kühlung in einen «Schlaf»         und/oder eingefroren, haben die Bakte-
und spürten danach nichts mehr.            rien keine Chance, sich zu vermehren.

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Qualvolles Ende im Kochtopf
Krepieren auf qualvolle Weise steht am      ren Tieren wie Reptilien, Fischen oder
Ende der Leidenszeit eines Hummers.         Amphibien zeigten, dass Abkühlung
Sie werden überall auf der Welt auf viel-   das Schmerzempfinden nicht reduziert.
fältige Weise umgebracht.                   Wenn ein Tier sich kaum wehrt, liegt
                                            das eher daran, dass es vom langen
Am verbreitetsten ist das Sieden des        Transport und der Kühlung benommen
Hummers bei lebendigem Leib. Oft wird       und erschöpft ist. Immobilität wird da-
behauptet, dabei sei der Hummer sofort
bewusstlos und tot – dabei dauert sein
Todeskampf unter Schmerzen zwischen
15 Sekunden und 7 Minuten.
Genauso inakzeptabel ist das langsa-
me Aufkochen des Hummers in kal-
tem Wasser. Auch hier hält sich hart-
näckig ein Mythos: dass das Tier dabei
sanft bewusstlos werde und dadurch
nichts mehr spüre. Versuche bei ande-

Auch nichts für Hartgesottene
Ein Hamburger Amtstierarzt berichtet
von einem Kollegen, einem deutschen
Grenztierarzt: Den habe es nach jahre-
langer Tätigkeit wunder genommen,
was eigentlich in den Kisten sei, aus
denen man Kratzen höre. Ein Ange-
stellter habe eine Kiste geöffnet: Hum-
mer, darauf den Deckel wieder zuge-
schlagen und dabei ohne jede Regung         Lebend kochen: tot erst nach Minuten.
einen Fühler abgeklemmt. Das gesche-
he oft, habe er dazu schulterzuckend        bei mit Betäubung verwechselt. Tiere,
bemerkt. Überstehende Fühler würden         die nicht zuerst gekühlt oder transpor-
auch mal abgeschnitten. Sein keines-        tiert wurden, reagieren nämlich heftig
wegs zartbesaiteter Kollege sei derart      mit Zittern, Widerstand, Fluchtversuch
schockiert gewesen vom Leid, an wel-        und lautem Pfeifen.
chem er so lange achtlos vorbeigegan-       Ebenso fragwürdig ist das Tiefgefrieren
gen sei, dass er seinen Job nicht länger    der lebenden Hummer vor dem Kochen
ausgehalten habe. Er liess sich verset-     bei mindestens –20 ºC. Einmal gefroren
zen, da sein Bemühen, anders mit den        sind die Tiere wohl betäubt, doch was
Hummern umzugehen, nirgends auf             für Qualen empfinden sie bis dahin?
Interesse, geschweige denn auf frucht-      Und wie lange dauert das? Ausserdem
baren Boden stiess.                         müssen die Krustentiere direkt nach der

                                                                                      7
Fakten zu Hummer/Hummerhandel - pro iure animalis
Vom Fang an
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                                                                   monatelang
                                                                   gefesselt bis zum
                                                                   bitteren Ende:
                                                                   Selbst «humane» Tö-
                                                                   tung vor dem Kochen
                                                                   macht dieses Leid
                                                                   nicht ungeschehen.

Entnahme aus dem Gefrierer getötet          rung und Sorgfalt, um durch den Panzer
werden, damit sie nicht wieder aus ihrer    hindurch die richtigen Stellen zu tref-
Betäubung erwachen.                         fen. In der Praxis wird diese Methode
Eine weitere Art des Tötens ist das Zer-    – wegen Stress, mangelnder Kompetenz
schneiden der Krustentiere. Da dies die     usw. – oft unsachgemäss ausgeführt
Nervenzentren sofort zertrennt, wäre        und ist für den Hummer mit grossen
das effizient. Aber es braucht viel Erfah-   Qualen verbunden.

Erkenntnisse aus der Wissenschaft
Stress. Taschenkrebsen (Cancer pagurus,     Ordnung Zehnfusskrebse) zeigte bei Rei-
Ordnung Zehnfusskrebse) werden nach         zung eines Fühlers länger dauernde Ver-
dem Fang oft beide Scheren abgetrennt.      haltensreaktionen, die auf Schmerzemp-
In einer Studie zeigten Krebse nach Ent-    finden schliessen lassen.
fernen der Scheren eine deutlich höhere     S Barr, P R Laming, J T A Dick, R W Elwood,
physiologische Stressreaktion als unver-    Animal Behavior (2007)
stümmelte Krebse. Besonders lang hält       Viele Wirbellose lernen aus schädlichen
der Stress an, wenn Artgenossen in der      Reizen ähnlich höhere wie Wirbeltiere.
Nähe sind. (Fazit: Hummer mit verbun-       D H F Robb (2007)
denen Scheren und steter Nähe von Art-
genossen leiden Dauerstress.)               Betäubung. Kochen oder Tiefkühlen be-
L Patterson, J T A Dick, R W Elwood,        täuben nicht sofort; das Zerschneiden
Mar Biol (2007) 152:265–272                 der Nervenzentren ist kompliziert und
                                            dauert in der Praxis ebenfalls zu lange.
Schmerz. Nociception ist die auch bei       Unter Strom gesetzt, sind Krebse dage-
Wirbellosen vorhandene Fähigkeit,           gen sofort betäubt.
Schmerz physiologisch wahrzunehmen          D H F Robb (2007)
und darauf zu reagieren. Das bewusste
Schmerzempfinden dagegen wird Wir-           Links. www.shellfishnetwork.org.uk;
bellosen meist abgesprochen. Eine Stu-      www.advocatesforanimals.org, dort
die an Crevetten (Palaemon elegans,         Suche «Crustacean».

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Fakten zu Hummer/Hummerhandel - pro iure animalis
Tierschutzgesetze: Quälen wird toleriert
Wo die Praxis tierfeindlich ist, wären     sein, das hat die Lobby der Importeure
griffige Tierschutzgesetze nötig. Doch      und Gastronomen verhindert. Eine zeitli-
kein Land verbietet es bis jetzt, Krebse   che Begrenzung dieser «Feuchthaltung»
lebend zu lagern, zu transportieren und    ist nicht vorgeschrieben…
zu verkaufen. Doch solange Krebse nicht    Dafür verlangt die neue Schweizer Tier-
sofort nach dem Fang betäubt und getö-     schutzverordnung, dass Krebse vor dem
tet werden müssen, werden sie gequält.     Kochen zu betäuben sind: durch elektri-
                                           schen Strom oder mechanische Zerstö-
Hoffnung schien berechtigt, als 2008       rung des Gehirns. Freilich scheinen sich
die Schweiz ihr Tierschutzrecht erneu-     die Vollzugsbehörden andere Prioritäten
erte. Endlich gibt es Bestimmungen für     zu setzen und in Kauf zu nehmen, dass
den Umgang mit Fischen und Kreb-           viele Gastrotempel weiterhin Hummer
sen: Grundsätzlich sind auch diese Tiere   zutode kochen.
vor dem Schlachten zu betäuben. Doch       Etwas Gegengewicht wird eine Ausbil-
Ausnahmen und Probleme des Vollzugs        dung bringen, die für alle Personen obli-
werden die Lage vor allem für impor-       gatorisch ist, welche beruflich mit leben-
tierte Krebse auch in der Schweiz noch     den Krebsen zu tun haben – allerdings
nicht wesentlich verbessern.               erst ab 2013.
So ist der Lebendtransport von Krebsen     Kurz: Selbst das neue Schweizer Tier-
weiterhin erlaubt, solange sie «ausrei-    schutzrecht bringt Krebsen noch zu we-
chend feucht» gehalten werden – von        nig. Ohne Druck auf Branche und Be-
Wasser bedeckt müssen sie aber nicht       hörden wird sich nichts ändern.

 Hummer empfinden Schmerz
 Obwohl oft das Gegenteil behauptet        ber hinaus legt auch das Verhalten der
 wird, zeigt eine Reihe neuer, seriöser    Krustentiere nahe, dass sie Schmerzen
 Studien, dass Krustentiere schmerz-       fühlen. Ihre Reaktionen auf schmerz-
 empfindlich sind. Nicht nur, dass die-     volle Handlungen entsprechen dem
 se faszinierenden Tiere einen gut ent-    anderer Lebewesen: sie versuchen
 wickelten Seh-, Tast-, Geruchs-, Ge-      heftig zu entkommen. Schmerz und
 schmacks-, Orientierungs- und Tastsinn    Leiden ist jedoch grundsätzlich eine
 haben.                                    individuelle Erfahrung. Selbst bei Men-
 Beim aktuellen Forschungsstand ist        schen lässt sich nicht abschliessend
 überdies klar, dass Krustentiere ein      bestimmen, ob jemand Schmerz emp-
 hoch entwickeltes Nervensystem be-        findet. Mit letzter Sicherheit beweisen
 sitzen. Dabei sind physische Voraus-      lässt es sich also nie. Im Zweifel sollte
 setzungen (freie Nervenendigungen         man jedoch für den Angeklagten plä-
 und Nervenendorgane) vorhanden, um        dieren, vor allem wenn die Faktenlage
 Schmerz empfinden zu können. Darü-         so dicht ist.

                                                                                       9
Gleich nach dem Fang betäuben und töten
Die einzige akzeptable Lösung, welche        se signalisiert «krebsrot» für Artgenos-
Hummern und andern Krebsen Qualen            sen eine gefährliche Situation.
erspart, liegt auf der Hand: Betäubung
und Tötung gleich nach dem Fang. Die         Human töten nach langer Qual?
Technik hierfür ist bereits marktreif ent-   Zunächst wurde der Crustastun für Re-
wickelt – jetzt muss sie endlich ange-       staurants und andere Anbieter entwi-
wandt werden.                                ckelt. Das Gerät ähnelt einer Vaccumier-
                                             maschine
Das Gerät heisst «Crustastun» und            und reicht
stammt aus England. Der Name setzt           zur Betäu-
sich zusammen aus dem lateinischen           bung und
«Crustacea» für Krustentiere und             Tötung ei-
dem englischen «stun» für betäuben.          nes Tiers. Es
Der Crustastun basiert auf einem For-        ist bereits in
schungsprogramm der Universität Bristol      mehreren
und des Silsoe Research Institute. Entwi-    Restaurants
ckelt wurde er von Studham Technolo-         und Super-
gies. Nun ist das Gerät auf dem Markt        marktfilialen
erhältlich, vorerst in Grossbritannien       im Einsatz.
und den USA. Die Firma ist interessiert      Es ist verständlich, dass ein Pionierpro-
daran, auch in weitere Länder zu liefern.    jekt zuerst im Kleinmassstab den Durch-
                                             bruch sucht. Und es ist sicher besser,
Mit Strom nach Sekunden tot – und rot!       Krustentiere wenigstens anständig zu
Die Grundidee ist einfach: Die Krusten-      töten, als sie weiterhin auf abscheuliche
tiere werden mit elektrischem Strom in       Art ums Leben zu bringen. Doch eine
weniger als einer Sekunde betäubt. Un-       echte Lösung ist das nicht; denn am lan-
ter dieser Betäubung tötet der Strom die     gen Leiden zwischen Fang und Verzehr
Tiere innerhalb von wenigen Sekunden,        ändert es nichts.
indem er ihr zentrales Nervensystem
vollständig zerstört. Anschliessend wer-     Grossanlage für Fischfabriken
den die Krebse gekocht und erhalten          fair-fish hat daher den Crustastun-Ent-
die beliebte rote Farbe.                     wicklern schon früh empfohlen, Anla-
                                             gen für den Einsatz gleich nach dem
Brutale Legende widerlegt                    Fang zu entwickeln. Glücklicherweise
Es stimmt also nicht, dass Krebse lebend     gingen sie darauf ein.
gekocht werden müssten, um rot zu            Die grosse Ausgabe des Crustastun un-
werden. Die rote Farbe ist im Krebspan-      terscheidet sich von der kleinen vor al-
zer angelegt. Sie wird aber unter nor-       lem durch ein Fliessband, welches belie-
malen Lebensbedingungen zurückge-            big viele Tiere nacheinander zur Betäu-
drängt: Krebse tarnen sich durch dunkle      bungs-/Tötungsstation und danach zur
Farbtöne. Erst durch Kochen werden die       Kochstation führt. Bereits sind drei die-
roten Moleküle aktiviert. Möglicherwei-      ser Anlagen in Betrieb, zwei in England

10
Crustastun-
Anlage
in einer
englischen
Fischfabrik

                                                                  werden und da-
und eine in Irland. Weitere sind be-                              her trockener
stellt, von Fischfabriken in England,                             sind, tritt der Tod
Norwegen und den USA.                                             nach 11 Sekun-
                                                                  den ein.) Die to-
Rasch und sicher                                                  ten Tiere fallen
Simon Buckhaven, Anwalt und Initiant       auf ein zweites Band, welches sie zur
des Crustastun, schildert den Ablauf wie   Kochstation befördert.
folgt: Die gefangenen Tiere werden in
Tanks zur Anlage geführt, einzeln ent-     Tatsächlich bewusstlos und tot?
nommen und aufs Band gelegt. Nach          Laut Buckhaven gibt es «sehr starke Be-
5-6 Sekunden erreicht jedes Tier die Be-   weise dafür, dass Crustastun die Tiere
täubungsstation. Strom von 4-8 Am-         tötet». Dave Robb, ein Experte für die
père (bei 110 Volt) macht den Hummer       Betäubung von Fischen, bestätigt, dass
innert 0.5 Sekunden bewusstlos. Nach       der Strom das zentrale Nervensystem
weitern 5 Sekunden unter dem selben        der Krebse vollständig zerstört.
Strom ist der Hummer tot. (Bei Krabben,    Die gekochten Hummer werden gefros-
die meist in Körben zur Anlage gebracht    tet und dadurch konserviert. (Aber Ach-
                                           tung: Wenn Sie tiefgekühlten Hummer
                                           kaufen, heisst das noch lange nicht,
Bessere Qualität und Hygiene               dass er nach dem Fang betäubt und ge-
Der Crustastun tötet nicht nur den         tötet worden sei.)
Hummer, sondern auch die Bakte-
rien. Zudem sind Geschmack und Tex-        Und sogar kostensparend
tur des Fleischs von Krebsen, welche       Die sofortige Tötung senkt die üblichen
mit dem Crustastun getötet wurden,         Verarbeitungskosten, denn die Fabrik
deutlich besser. Dies befanden Kü-         kann auf Tanks und grosse Frischwas-
chenchefs in einer englischen TV-Koch-     sermengen verzichten. Und der automa-
sendung 2007. Das ist nicht erstaun-       tisiert Vorgang benötigt weniger spezi-
lich: Rücksichtslose Schlachtung min-      ell ausgebildetes Personal als die Betäu-
dert zum Beispiel auch die Qualität von    bung durch Zerschneiden des Panzers.
Kalbfleisch.                                www.crustastun.com

                                                                                  11
Nur ein sofort getöteter
Hummer wäre okay
Solange Hummer und andere Krusten-
tiere nicht direkt nach dem Fang betäubt
und getötet werden – verzichten!

‹ Seiten 4-9: Der Leidensweg der meis-
ten Hummer ist lang und qualvoll.
‹ Seiten 9-10: Eine Alternative existiert,
aber sie wird erst selten angewandt.
‹ Seiten 2-3: Viele Bestände von Hum-
mern und andern Krebsen sind stark be-
fischt oder überfischt.
In der Schweiz, in Deutschland, in Öster-
reich und in vielen weiteren Ländern ist
niemand auf diese «Delikatessen» ange-
wiesen.

                                                      Was kann ich tun?
Gibt‘s faire Hummer?                                  • Auf Hummer und Krebse verzichten.
                                                      • fish-facts 9 weitergeben (Bestell-
Das Label fair-fish für die artisanale Fi-               adresse unten, CHF 3.–/EUR 2.–/Ex.)
scherei hat bisher keine Richtlinien für              • fish-facts 9 als Co-Sponsor unterstüt-
Krebstiere entwickelt. Die Betäubung                    zen. Verlangen Sie eine Offerte.
und Tötung in der Art des «Crustastun»                • mehr Ideen:
(Seite 10) dürfte den Richtlinien von                   www.fair-fish.ch/etwas-tun
fair-fish entsprechen. Zwei weitere Kri-
terien sind von Hummerfischern wohl                                   Co-Sponsor:
schwieriger zu erfüllen: kurze Dauer der
Gefangenschaft und sofortige Tötung
nach dem Fang. Zudem wäre die Nach-                      Kommunikation & mehr
haltigkeit der Befischung zu belegen.                     www.communicum.ch

Herausgeber: Verein fair-fish, Burgstrasse 107, CH-8408 Winterthur
Tel: 052 301 44 35, Fax: 052 301 45 80, www.fair-fish.ch, info@fair-fish.ch
Recherchen, Text, Grafiken, Gestaltung: Heinzpeter Studer · Dank für Mitarbeit an Franziska Lombardi,
Zürich sowie für kritische Lektüre an Isabella Busch, Berlin und Maria Ghadarkhah, Berlin
Dank für Unterstützung an: Neue Tierhilfe Zürich, Elisabeth-Rentschler-Stiftung und Co-Sponsoren
© 12/2008, 2000 Ex., Druck: Baldinger Winterthur, klimaneutral, 100% Recyclingpapier · ISSN 1662-7903
Der Verein fair-fish wird getragen von Mitgliedern und Spenden.
Postkonto Schweiz: 87-531 032-6 · Deutschland: 143 019 706, Postbank Stuttgart, BLZ 600 100 70

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