FILME KRITISCH SCHAUEN - Ein Guide von Heidelberger Studierenden

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FILME KRITISCH SCHAUEN - Ein Guide von Heidelberger Studierenden
FILME KRITISCH SCHAUEN
Ein Guide
von Heidelberger Studierenden
FILME KRITISCH SCHAUEN - Ein Guide von Heidelberger Studierenden
GLIEDERUNG
                                                                  1. Über uns und unsere Motive
 "Film is intensely political and ideological, and                2. Filme kritisch schauen — aber wie?
 thus the viewer who wishes to discern how                        3. Filmästhetische Perspektiven
 films embody political positions and have politi-                4. Theoretische Inspirationen und Wurzeln der Critical Media Literacy (CML)
 cal effects should learn to read films political-                5. Unser Critical Movie Guide ...
 ly." (Douglas Kellner)*                                             zu feministischen Perspektiven
                                                                     zu queeren Perspektiven
*Quelle: Kellner, Douglas (1993): Film, Politics, and Ideology.      zu antirassistischen Perspektiven
Towards a Multiperspectival Film Theory. In: James E. Combs
                                                                     zu antiklassistischen Perspektiven
(Hg.): Movies and politics. The dynamic relationship. New York:
Garland, S. 56–92. Hier S. 55                                     6. Schlussbemerkung

                                                                             2
FILME KRITISCH SCHAUEN - Ein Guide von Heidelberger Studierenden
1. Über uns und unsere Motive
Wir sind dreizehn Studierende des         Notwendigkeit von kritischer Medien-         Wir hatten viele Fragen, so zum Bei-    auch „was lehnen wir ab?“.
Bachelorstudienganges Politikwissen-      kompetenz: eine Kompetenz, sich              spiel:                                  Welche Verbindungen gehen Mensch,
schaft an der Universität Heidelberg.     darüber bewusst zu sein, dass ein            Mit welchem Blick schauen wir uns       Technik und Musik im jeweiligen Film
In der Veranstaltung “Critical Media      Film - über die privaten Ebenen hin-         einen Film an? Wie ist es möglich,      miteinander ein und beeinflussen uns?
Literacy und Film” bei Professor Mi-      aus - Öffentliches und Politisches be-       das Publikum zu ermächtigen, die        Was meint der Filmtheoretiker Giroux
chael Haus, setzten wir uns damit         inhaltet. Mit dieser Kompetenz wer-          Botschaften, Ideologien und Werte       wenn er vom Film als einer Lehr- und
auseinander, wie verschiedene Arten       den der ganze Mensch, Denken und             zu „dechiffrieren, um der Manipulati-   Lernmaschine spricht?
des kritischen Schauens von Filmen        Sinne angesprochen. In welcher Form          on zu entgehen“, wie es Rauter-
eine persönliche, intellektuelle Berei-   und wie? Das interessierte uns.              Nestler fordert?                        Weil wir die Antworten auf unsere
cherung sein können.                                                                   Nehmen wir wahr, in welchem sozio-      Fragen sehr spannend fanden, wollen
                                          Der Dreiklang von Kultur, Medien und         ökonomischen Kontext und in wel-        wir sie euch mitteilen. Diese Antwor-
Der Filmsoziologie Sebastian Rauter-      Macht wirkt in jedem Film, vom               chem politischen Kontext der jeweili-   ten haben wir hier aufgeschrieben.
Nestler erforscht und beschreibt die      Blockbuster bis zu Filmen, die nur auf       ge Film eingebettet ist? Und woran
                                          ganz speziellen Festivals gezeigt wer-       erkennt man dies?                       Wenn ihr uns Rückmeldungen geben
                                          den. Im Sinne der Cultural Studies,          Welche Rollen werden im Film ge-        wollt oder Fragen habt, könnt ihr ger-
                                          die wir kennenlernen konnten, „sind          lebt? Es geht uns dabei nicht nur um    ne diese Mailadresse nutzen:
                                          Filme und ihre Interpretationen eine         Geschlechterrollen. Im Film sind        cmlguide@gmail.com
                                          Methode zeitgenössischer Kritik, die         auch klischeehafte Rollen zur
                                          auf der Ebene des Politischen, Sozia-        Hautfarbe, zum Alter, zur sozialen      WIR sind Nassim Becker, Jennifer Bihr,
                                          len, Kulturellen und Ökonomischen            Herkunft etc. zu sehen - oder werden    Nora El-Awdan, Leonie Hong, Nadja
                                          Einsichten in Zusammenhänge erlaubt,         solche Klischees gerade in Frage ge-    Lang, Daniel Lange, Agnes Molnar,
                                          die anderen Methoden so leicht nicht         stellt.                                 Elisabeth Pfützenreuter, Samuel Rich-
                                          zugänglich ist“ stellt Rauter-Nestler        Was macht der Film, den wir gerade      ter, Lena Rottinger, Gitta Süß-Slania,
                                          fest. Damit macht der Film mehr mit          anschauen mit uns, mit unseren Ge-      Anissa Tammaoui und Sonja Wick.
                                          uns als nur dem Vergnügen des Schau-         fühlen, mit unserem Verständnis von
                                          ens zu frönen.                               Fragen wie: „was ist schön?“ oder
Foto: pixabay

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FILME KRITISCH SCHAUEN - Ein Guide von Heidelberger Studierenden
2. Filme kritisch schauen - aber wie?
                Ein Weg, kritisch mit Filmen umzuge-           Die eine oder der andere möchte         different media messages differently!“,
                hen, bietet uns der Ansatz der “Critical       vielleicht nach einem langen, an-       so die Wegbereiter der kritischen Me-
                Media Literacy (eine deutsche Über-            strengenden Tag einfach den Kopf        dienkompetenz für Filme Douglas Kell-
                setzung ist “kritische Medienkompe-            ausschalten, jemand anderes fand        ner und Jeff Share.
                tenz”). Um uns Critical Media Literacy         vielleicht den Trailer ganz interes-
                                                                                                       Kritische Medienkompetenz will dazu
                (CML) zu nähern, müssen wir uns zu-            sant. Unterhaltung, Flucht aus dem
                                                                                                       befähigen, beim Filmeschauen den
                erst bewusst werden, dass jede:r Fil-          Alltag, Interesse am Thema des Fil-
                                                                                                       gesellschaftlichen Kontext zu berück-
                me aus einem anderen Grund und                 mes oder weil man von der Schule
                                                                                                       sichtigen. Das bedeutet, kulturelle und
                einer anderen Perspektive schaut.              oder Universität dazu gezwungen
                                                                                                       gesellschaftliche Auseinandersetzun-
                                                               wird — Menschen gehen aus den
                                                                                                       gen ebenso zu berücksichtigen wie
                                                               unterschiedlichsten Gründen an ei-
                                                                                                       Vorgängerfilme, auf die sich bezogen
                                                               nen Film heran.
                                                                                                       wird, wie auch das Genre im Allgemei-
                                                               So wie sich die Gründe, warum wir       nen. Des Weiteren sind utopische und
                                                               Filme schauen, unterscheiden, unter-
                                                               scheiden sich auch die Blickwinkel,
                                                               von denen aus wir diese betrachten.
                                                               Unser Bildungshintergrund, unsere
                                                               sozialen Beziehungen, unser familiä-
                                                                                                         „Wem gibt der Film eine Stimme und
                                                               rer Hintergrund, unser Geschlecht,        wer wird vergessen?” Selbstverständ-
                                                               unsere sexuelle Orientierung, unsere      lich ist es nicht notwendig, um den Film
                                                               „race“ – kurz zusammengefasst, un-        genießen zu können, doch das würde
                                                                                                         es dem Zuschauer erlauben, sich selbst
                                                               sere persönlichen Erfahrungen be-         und seine (auch unterbewussten) An-
                                                               einflussen die Art, wie wir Filme se-     sichten zu hinterfragen“.
                                                               hen und was wir aus ihnen mitneh-
                                                               men. „Different people experience
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struiert werden und dass viele unter-        weise noch andere gibt. CML möch-      selbst ist unweigerlich ein Pro-
                                          schiedliche Motivationen (z.B. Profit,       te, dass wir uns Fragen stellen.       dukt aus sozial konstruierten
                                          Selbstdarstellung, Macht, Aufklä-            “Wieso gefällt mir diese Szene und     Werten, Anforderungen und Er-
                                          rung) hinter einer Produktion selbst         wieso fiebere ich mit diesen Charak-   wartungen, welche wir auch in
                                          stecken können.                              teren mit? Wer ist der Antagonist?     Medien wiederfinden können.
                                          Zusätzlich fließt der Blickwinkel der        Wem gibt der Film eine Stimme und      Eine bewusste Auseinanderset-
                                          Autor:innen, Regisseur:innen, Kame-          wer wird vergessen?” Selbstver-        zung mit Medien kann einem
                                                                                       ständlich ist das nicht notwendig,     Zugang zu anderen Perspektiven
                                          rapersonen und Produzent:innen
                                                                                       um den Film genießen zu können,        ermöglichen oder die eigene be-
                                          bewusst oder unbewusst mit in den
                                          Film hinein. Somit vermitteln uns            doch das würde mir erlauben, meine     wusster werden lassen.
emanzipatorische Aspekte, die der         Medien (Filme) mal sehr offensicht-          und seine:ihre (auch unterbewuss-
Film formuliert und kritisiert, die auf                                                ten) Ansichten zu hinterfragen. Man
                                          lich und mal unscheinbar Werte und
den historischen und gesellschaftli-      Eindrücke, welche wir wiederum aus
chen Kontext zurückgreifen, zu reflek-    unserer eigenen Perspektive wahr-
tieren. Auch muss beachtet werden,        nehmen und auf unsere eigenen
dass Inhalte von Medien immer kon-        Erfahrungen beziehen.

                                          Müssen wir uns also von unserer
                                          eigenen Perspektive lösen, um Filme                                        … Fortset-
                                          in ihrer Gänze verstehen und die
                                          verwendeten Symbole entschlüsseln
                                          zu können? Oder reicht es manch-
                                          mal, dass wir uns einfach von ihnen
                                          unterhalten lassen? Schließen sich
                                          vertieftes Verständnis und Unterhal-
                                          tung aus?
  Medien sind stets kon-
  struiert, machen dies aber              Diese Fragen muss natürlich jede:r
  in der Regel unsichtbar.                für sich selbst beantworten, CML
                                          möchte uns aber daran erinnern,
                                          dass es neben unserer eigenen Sicht-
                                                                                       Foto: pixabay

                                                                                   5

                                                                                                                                            Ch
3. Filmästhetische Perspektiven
 Wenn Zuschauer:innen die vielseiti-    Als finales Ergebnis eines oft jahre-       werden wir erläutern, auf welchen        chenden Folgen wie innerhalb einer
 gen und oft ambivalenten Interpreta-   langen kreativen Prozesses vom              relevanten künstlerischen Perspekti-     Organisation oder Gruppierung.
 tionen von Filmen auf sich wirken      Drehbuch bis zum Schnitt, ist ein           ven der Interpretationsprozess sich
                                                                                                                             Ebenfalls von großer Bedeutung sind
 lassen, gilt es, sich bewusst zu ma-   Film prinzipiell ein Konstrukt, wel-        herunterbrechen lässt, um euch das
                                                                                                                             die von Regisseur:innen und Filmdi-
 chen, dass jede Szene ihren Teil zum   ches auf vielen variierenden Per-           Herangehen an den Film eurer Wahl        rektor:innen verwendeten visuellen
 Gesamtwerk beiträgt, selbst wenn sie   spektiven der an der Produktion Be-         zu erleichtern.
                                                                                                                             Perspektiven, welche meist Hand in
 noch so irrelevant wirken mag.         teiligten aufgebaut ist. Im Folgenden
                                                                                    Zunächst kann man einen Film an-         Hand mit den narrativen Perspektiven
                                                                                    hand der narrativen Perspektive          gehen. Von spezifischen Blickwinkeln
                                                                                    analysieren, welche — grob gesagt        über Farben, räumliche Konstellatio-
                                                                                    — alle inhaltlichen Aspekte mit ein-     nen von Schauspieler:innen und Ob-
                                                                                    bezieht. Das bezieht sich allerdings     jekten oder auch zeitlichen Längen der
                                                                                    nicht nur den Plot, sondern auch auf     Kameraeinstellung — die Möglichkei-
                                                                                    wichtige Merkmale bezüglich des
                                                                                    Verlaufs. Ein mögliches Gestaltungs-
                                                                                    mittel wäre zum Beispiel die Wahl
                                                                                    von Protagonisten:innen, welche
                                                                                    gleichzeitig Erzähler:innen aus dem
                                                                                    Off sind. Falls dieses Stilmittel ver-
                                                                                    wendet wurde, dient dies dazu, die
                                                                                    subjektive Sicht dieser Perspektive
                                                                                    zu betonen. Außerdem kann man              Die visuellen Perspektiven
                                                                                    einen Film nach Machtstrukturen            gehen meist Hand in
                                                                                    untersuchen, die den Verlauf des           Hand mit den narrativen
                                                                                    Filmes prägen, ob im kleinen und           Perspektiven.
                                                                                    intimen Rahmen wie innerhalb einer
                                                                                    Beziehung oder auch mit weitrei-
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                                                                                6
ten sind schier grenzenlos. Wieder         Von Relevanz ist schließlich auch die         hen, bei dem eine Szene höchster        solchen Szenen ist der Kontrast von
einmal ist es wichtig, sich in Erinne-     auditive Perspektive, die oft unter-          Spannung von Musik untermalt wur-       Handlung und Musik meist ein beson-
rung zu rufen, dass alles in dem Film      schätzt wird, da Film primär ein visu-        de, die uns als Zuschauenden ver-       ders wichtiger Interpretationsaspekt.
konstruiert ist, um die Handlung           elles Medium ist. Dass der Sound-             mittelt: gleich passiert etwas! Musik   Ansonsten besteht natürlich auch die
voranzutreiben. Ist die verwendete         track und die Soundeffekte nur als            kann also beispielsweise Erwartungs-    Möglichkeit, dass in bestimmten Sze-
Perspektive lediglich gewählt wor-         begleitende      Aspekte      wirken,         haltung schaffen oder auch die vor-     nen keinerlei Musik spielt oder sonsti-
den, weil sie visuell ansprechend ist      schränkt sie jedoch nicht in ihrer            handene Stimmung verstärken. Al-        ge Geräusche zu hören sind. Auch dies
oder wird beispielsweise die existie-      Wirksamkeit ein. Wer hat noch kei-            lerdings kann der Sound auch im         ist ein stilistisches Mittel, das es zu
rende Machtdynamik der beiden              nen Horrorfilm oder Thriller gese-            Gegensatz zur Handlung stehen. In       untersuchen gilt.
Charaktere durch die Kamerapositi-
on unterstützt und unterbewusst
für uns als Zuschauende verstärkt?
Ein Anhaltspunkt wäre demnach die
visuelle Ausführung bestimmter
Szenen infrage zu stellen und nach
Symbolik sowie potenziellen thema-
tischen Verbindungen zwischen der
Optik und Handlung zu suchen.

  Framing bedeutet, dass unterschiedli-
  che Formulierungen einer Botschaft,
  z.B. rational oder emotional, das Ver-
  halten der Empfänger:innen unter-
  schiedlich beeinflussen können.

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                                                                                        Foto: pixabay
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4. Theoretische Inspirationen und Wurzeln
der Critical Media Literacy
Die Grundidee von Critical Media Lite-     CML kann als Bildungsprojekt ver-            expense of others, or oppose hege-
racy (CML) ist es, sich kritisch mit Me-   standen werden, das Individuen dazu          monic ideologies, institutions, and
dien aller Art auseinanderzusetzen         ermächtigen soll, sich zum einen in          practices (Kellner 1993: 55).“ Ein
und insbesondere die Inhalte, Bot-         einer multikulturellen Gesellschaft          Aspekt, der hier zum Vorschein
schaften und Motivationen, die in          zurechtzufinden und zum anderen              kommt, ist die Frage danach, wie in
medialen Produkten stecken, zu ver-        die Öffentlichkeit für verschiedene          Filmen Ideologien transportiert und
stehen, zu analysieren, zu reflektieren    Diskriminierungsformen wie z.B.              encodiert sind und wie man diese
und ggf. auch Alternativen aufzuzei-       Sexismus, Rassismus, Klassismus              entdeckt und decodiert. Dabei greift
gen bzw. zu produzieren.                   usw. in einer Gesellschaft zu sensibi-       Kellner auf die Hegemonietheorie
                                           lisieren. Dieser Ansatz ist damit tief       von Antonio Gramsci zurück und
                                           in kulturwissenschaftlichen, soziolo-        postuliert, dass man Filme und damit
                                           gischen und feministischen Theorien          auch Populärkultur im Allgemeinen
                                           verwurzelt. Einen Anfang hat der             als umstrittenes Terrain versteht, das
                                           amerikanische      Kulturtheoretiker         auf kultureller Ebene fundamentale
                                           Douglas Kellner gemacht, der in sei-         gesellschaftliche Konzepte wider-
                                           nem Text “Film, Politics, and ideolo-        spiegelt und nicht nur als einfaches
                                                                                                                                 „This means not only reading film in
                                           gy” erklärt, wie man Filme politisch         Instrument der (Vor)-Herrschaft zu
                                                                                                                                 socio-political context but seeing how
                                           „lesen“ kann. Er schreibt: „This me-         verstehen ist. Filme sind meist nicht    the internal constituents of a film
                                           ans not only reading film in socio-          einfach als Sprachrohr oder Propa-       also either encode relations of power
                                           political context but seeing how the         gandamittel zu deuten, sondern viel      and domination, serving to advance
                                           internal constituents of a film also         eher als Plattformen bzw. Arenen zu      the interest of dominant groups at
                                                                                                                                 the expense of others, or oppose
                                           either encode relations of power and         betrachten, in denen eine Auseinan-
                                                                                                                                 hegemonic ideologies, institutions,
                                           domination, serving to advance the           dersetzung über Ideologie stattfin-      and practices.” (Kellner 1993: 55)
Foto: pixabay                              interest of dominant groups at the           det. Das bedeutet auch, dass in Po-
                                                                                    8
pulärkultur Machtverhältnisse aktu-    Ein zweiter, ebenfalls sehr wichtiger       renden und den Rezipierenden. In                 ners Werk: Winter, Rainer (2020):
alisiert werden, jedoch aufgrund der   Aspekt von CML ist die Analyse der          diesem Kontext fiel auch der von                 Douglas Kellner und die Filmsoziolo-
Auseinandersetzung auch neue Mög-      Machtstrukturen, die irgendwie in           Foucault gemünzte Begriff Heteroto-              gie, in: Geimer, Alexander/Heinze,
lichkeiten geschaffen werden, Alter-   Bezug zum Thema stehen. Dies kann           pie, da Filme sich auch sehr gut dazu            Carsten/Winter, Rainer (Hrsg.):
nativen und Veränderungen zur ak-      innerhalb eines Filmes geschehen,           eignen, alternative Räume zur Verfü-             Handbuch Filmsoziologie, Wiesba-
tuellen hegemonialen Praxis aufzu-     aber auch zwischen den Produzie-            gung zu stellen, in denen Menschen               den: Springer Fachmedien.
zeigen. Das hat natürlich einen sehr                                               ihre eigenen Geschichten erzählen
                                                                                                                                •   CML im konkreten Bezug auf Film:
stark bildenden Charakter, sodass                                                  können, um so Machtverhältnisse
                                                                                                                                    Rauter-Nestler, Sebastian (2020):
Populärkultur zu einem pädagogi-                                                   und Subjektivitäten anders zu verhan-
                                                                                                                                    Film und kritische Medienpädagogik,
schen Raum wird. Diese inhärente                                                   deln.
                                                                                                                                    in: Geimer, Alexander/Heinze, Cars-
und auch implizite Pädagogik in Fil-
                                                                                                                                    ten/Winter, Rainer (Hrsg.): Hand-
men muss jedoch zunächst sichtbar
                                                                                                                                    buch Filmsoziologie, Wiesbaden:
gemacht werden und dafür benötigt      Heterotopie wurde zeitweise von
                                                                                                                                    Springer Fachmedien.
man Analysehilfen. Was dabei unbe-     Michel Foucault als Begriff für Räu-        Weitere Literaturempfehlungen:
                                       me verwendet, in denen vorgegebe-                                                        Weitere Links:
dingt zu beachten ist, ist die Rele-
                                       ne Normen umgesetzt werden oder             • Grundlegender Text zu den Kern-
vanz der ökonomischen Profitabilität   nach eigenen Regeln funktionieren.                                                       •   Projekt mit vielen aktuellen Inhalten
                                                                                     konzepten von CML: Kellner, Doug-
von Filmen der Populärkultur.                                                                                                       (Filmbeispielen) zu CML: https://
                                                                                     las/Share, Jeff (2005): Toward Criti-
                                                                                     cal Media Literacy: Core concepts,             criticalmediaproject.org/medialitera-
                                                                                     debates, organizations, and policy,            cies/
                                                                                     in: Discourse: Studies in the Cultural
                                                                                     Politics of Education, Jg. 26, Nr. 3, S.
                                                                                     369–386.

                                                                                   • Zusammenhang von Film, Politik und
                                                                                     Ideologie: Kellner, Douglas (1993):
                                                                                     Film, Politics, and Ideology. Towards
                                                                                     a Multiperspectival Film Theory, in:
                                                                                     Combs, James E. (Hrsg.): Movies and
                                                                                     politics, New York: Garland, S. 56–92.

                                                                                   • Deutsche Aktualisierung von Kell-
Foto: pixabay

                                                                               9
5. Der Critical Movie Guide zu
… feministischen Perspektiven auf Filme
 Zwar hat die quantitative Repräsen-                 werden, wie Männer es sich wün-                unterhalten.                              strukturiert. Männer werden als die
 tation von Frauen in Filmen und Se-                 schen bzw. wie Männer Frauen se-               3. Thema der Unterhaltung muss            „aktiven“ Macher der Welt angesehen,
 rien in den letzten Jahren zugenom-                 hen. Beim Schauen von Filmen gilt              etwas anderes als ein Mann sein.          während von Frauen erwartet wird,
 men, dennoch werden Frauen wei-                     es, solche sexistischen Stereotype                                                       eine eher „passive“ Rolle einzuneh-
                                                                                                    Der Test ist jedoch weder ein not-
 terhin in „klassische Frauenrollen“                 und Klischees, die sich in vielen Frau-                                                  men und Männer und deren Ziele zu
                                                                                                    wendiges noch hinreichendes Krite-
 gedrängt.                                           enfiguren widerspiegeln, aufzude-                                                        unterstützen. Auch in der Filmindust-
                                                                                                    rium dafür, dass ein Film nicht sexis-
                                                     cken und zu hinterfragen, da sie Frau-                                                   rie sind es meistens Männer, deren
 Dies ist maßgeblich darauf zurückzu-                                                               tisch ist. Er lässt sich vor allem auf-
                                                     en oftmals nicht nur herabwerten                                                         Filme wir uns anschauen und Filmema-
 führen, dass auch heutzutage noch                                                                  grund seiner Unterkomplexität und
                                                     und auf die Vorstellungen der Män-                                                       cher sind ebenfalls oft männlich. Da-
 ein Großteil der Filme aus einer                                                                   Unzuverlässigkeit kritisieren. So wür-
                                                     ner reduzieren, sondern weil sie ih-                                                     her tragen sie meist die führende Posi-
 „typisch männlichen“ Perspektive                                                                   den beispielsweise Filme, in denen
                                                     rem weiblichen Publikum auch unre-                                                       tion in Erzählungen, während die
 erzählt werden („Male Gaze“). Das                                                                  sich Frauen nur über Schminke un-
                                                     alistische Erwartungen aufzwingen.                                                       Funktionen weiblicher Charaktere da-
 bedeutet, dass Frauen so dargestellt                                                               terhalten, diesen Test auch beste-
                                                     Oft wird der Bechdel-Test verwen-              hen, während Filme, in denen eine
                                                     det, um zu überprüfen, ob eigen-               Frau zwar maßgeblich die Handlung
                                                     ständige weibliche Charaktere in               trägt, diese aber keine Beziehungen
                                                     Filmen repräsentiert werden. Auf               zu anderen nichtmännlichen Perso-
                                                                                                                                               In ihrem 1985 veröffentlichten Comic
                                                     diese Weise sollen Stereotypisierun-           nen hat, vermutlich durchfallen wür-       „Dykes to Watch Out For” beschreibt
                                                     gen von Frauen in Filmen aufgedeckt            den. Der Test sagt also wenig dar-         die amerikanische Comic-Zeichnerin
                                                     werden. Folgende drei Kriterien                über aus, wie weibliche Figuren dar-       und Autorin Alison Bechdel die drei
                                                                                                                                               Regeln für Filme in einer Unterhaltung
                                                     muss demnach ein Film beinhalten:              gestellt werden.                           zwischen zwei Frauen. Diese werden
                                                                                                                                               als Bechdel-Test, oft auch Bechdel/
                                                     1. Mindestens zwei Charaktere müs-             Unsere patriarchale Gesellschaft ist
                                                                                                                                               Wallace-Test, bekannt.
                                                     sen weiblich sein.                             von Hetero-Cis-Männern und zum
Foto: http://shanebarr-nwrc.weebly.com/hnc-year-1-
assignments/category/faustina-starrett               2. Die beiden Frauen müssen sich               Vorteil von Hetero-Cis-Männern
                                                                                               10
rauf beschränkt      eine weibliche Zielgruppe gedreht             des Mannes, aber schränkt ihn
                                                                                                                                    Eine Trope ist in ein bildlicher Aus-
                     werden dem Ziel      werden, oftmals abfällig als „Chick           gleichzeitig häufig auch in seiner          druck oder ein Wort, das nicht im ei-
                     dieser männlichen    Flicks“     (auf    Deutsch      etwa         Freiheit ein und kann wie die Mutter        gentlichen sondern im übertragenen
                     Protagonisten zu     „Weiberfilme“) bezeichnet, während            seine sexuellen Fantasien nicht aus-        Sinne gebraucht wird. Beispiele für
                     dienen und gleich-   es beispielsweise für „typisch männli-        reichend befriedigen.                       Tropen sind Metaphern und Ironie.
                     zeitig der sexuel-   che“ Actionfilme keinen genderspezi-
                                                                                        - Wir sehen also, dass viele geläufige
                     len Fantasie des     fischen abwertenden Begriff gibt.
                                                                                        Frauenrollen negativ konnotiert sind.
                     Hetero-Cis-Mannes                                                                                               fühlen. Man kann nach dieser Vor-
                                          Frauenrollen in Filmen sind oftmals
zu entsprechen. Der „Male Gaze“ pro-                                                    Im Folgenden sollen einige sexisti-
                                          beschränkt auf vier Kategorien:                                                            stellung nur eines von beidem sein –
jiziert die männliche Fantasie auf die                                                  sche Tropen aufgezeigt werden, die
                                          Jungfrau - Hure - Mutter - Ehefrau.                                                        entweder hübsch und beliebt oder
weibliche Figur. Wir alle wurden vom                                                    sich in vielen Filmen wiederfinden
                                          Die Jungfrau gilt zwar als „unschul-                                                       eben schlau. Wäre eine Frau hübsch,
traditionellen Kino dazu erzogen, uns                                                   lassen. Die folgende Auflistung soll
                                          dig” und „rein”, aber oft auch als                                                         so die Annahme, wäre sie weniger
diesen „Male Gaze“ anzueignen. Der                                                      dabei einen guten Überblick ver-
                                          „prüde” und „frigide”. Auf der ande-                                                       intelligent, da sie es sich leisten
weibliche Charakter muss nicht einmal                                                   schaffen, erhebt jedoch aufgrund der
                                          ren Seite werden Frauen, die ihre                                                          könnte und keine Schwierigkeiten
unbedingt übermäßig sexualisiert wer-                                                   großen Anzahl existierender sexisti-
                                          Sexualität ausleben, als „Hure“ abge-                                                      hätte, einen Mann zu finden.
den, um Objekt des „Male Gaze“ zu                                                       scher Tropen keinen Anspruch auf
                                          stempelt. Dies veranschaulicht verin-                                                      Filmbeispiele: Gilmore Girls (2000-
sein. Entscheidend ist vielmehr, dass                                                   Vollständigkeit. Wir empfehlen da-
                                          nerlichten Frauenhass, da die sexisti-                                                     2007), Harry Potter (2001-2011).
dadurch der männliche Protagonist                                                       her in den Youtube-Account „The
                                          sche Idee aufrechterhalten wird,
dazu gebracht wird, aktiv zu werden,                                                    Take“ reinzuschauen, der neben
                                          dass Frauen nicht sexuell sein sollen.
um sein ultimatives Ziel zu erreichen.                                                  sexistischen Tropen auch zahlreiche
                                          Während die Jungfrau das Potenzial
Anstatt die Kamera so zu platzieren,                                                    weitere Tropen, beispielsweise ras-
                                          hat, zur Ehefrau und Mutter zu wer-
dass sich das Publikum mit dem weibli-                                                  sistische, erklärt.
                                          den, bleibt der Hure diese Entwick-                                                        Filme, die für eine weibliche Ziel-
chen Charakter identifiziert, wird        lung vorenthalten. Frauen, die Kin-           •   „Smart Girl”: sie ist besonders in-      gruppe gedreht werden, werden
meist die männliche Sicht eingenom-       der haben, werden oftmals rein auf                                                         oftmals abfällig als „Chick Flicks“
                                                                                            telligent, lebt aber isoliert und er-
men. So bleibt der Blick der Zuschau-                                                                                                (auf Deutsch etwa „Weiberfilme“)
                                          ihre Mutterrolle reduziert und besit-             hält keine männliche Aufmerksam-
er:innen etwa auf ihrem Dekolleté                                                                                                    bezeichnet, während es beispiels-
                                          zen darüber hinaus keine eigenen                  keit, da sie meist als „unattraktiv“
oder ihrem Hintern haften.                                                                                                           weise für „typisch männliche“ Ac-
                                          Charaktereigenschaften. Sie sind nur              angesehen wird. Diese sexistische        tionfilme keinen genderspezifi-
In unserer Gesellschaft werden Dinge,     da, um sich um ihre Kinder und ihren              Darstellung ist darin begründet,         schen abwertenden Begriff gibt.
die Frauen mögen, oft als lächerlich      Ehemann zu kümmern. Die Ehefrau                   dass sich Männer häufig von intelli-
dargestellt. So werden Filme, die für     kümmert sich um die Bedürfnisse                   genten Frauen eingeschüchtert

                                                                                   11
•   „Makeover”: Ein weiblicher Charak-            Charakter zuvor keine Beachtung                   nung legt auch die eingeschränkte      Charakterentwicklung      eingebaut,
    ter, der „unstylisch“ ist und konven-         geschenkt hat, und dies schließlich               und stereotype Vorstellung von         ohne dass sich mit deren Folgen be-
    tionellen Schönheitsidealen nicht             tut, da sie nun als attraktiv angese-             Beziehungen zwischen Männern           schäftigt wird.
    entspricht (oft als „Ugly Duckling”           hen wird.                                         und Frauen offen. So ist beispiels-    Oftmals erschweren die ungleichen
    bezeichnet), durchläuft in Filmen             Filmbeispiele:     Pretty     Woman               weise die Ansicht verbreitet, dass     Machtdynamiken innerhalb der dar-
    meist nicht nur eine optische Trans-          (1990), My Fair Lady (1964),                      Männer und Frauen nicht plato-         gestellten Beziehungen aber bereits
    formation, sondern auch eine Ver-             Clueless (1995), Mean Girls (2004).               nisch miteinander befreundet sein      die Erfüllung der Grundvorausset-
    haltensänderung. So wird vermittelt,                                                            können. Diese Idee ist in der „Rape    zungen für „Consent”: der Mann ist
                                              •   „Simp”: Dem (immer noch) domi-
    dass Frauen einem bestimmten tra-                                                               Culture“ angelegt, da sie in dem       älter, in einer höheren beruflichen
                                                  nanten Männerbild zufolge sind
    ditionellen Schönheitsstandard ent-                                                             männlichen Anspruchsdenken auf         Position und hat mehr Geld. Die Frau
                                                  Männer tough, lassen kaum/keine
    sprechen müssen, um als hübsch zu                                                               Frauen begründet ist. Dies erkennt     ist vollständig von ihm abhängig und
                                                  Emotionen zu und weinen nicht.
    gelten, beliebt zu sein und begehrt                                                             man in Filmen z.B. daran, dass der     die Beziehung läuft ganz nach den-
                                                  Ein gegenteiliger Charaktertyp, der
    zu werden. Solche „Makeover“ deu-                                                               beste Freund meistens homosexu-        Vorstellungen des Mannes.
                                                  immer wieder in Filmen erscheint,
    ten an, dass es etwas gibt, das es zu                                                           ell ist oder Charaktere oft mit ih-
                                                  ist der „Simp“. Der Begriff „Simp“                                                       Filmbeispiele: Fifty Shades of Grey
    korrigieren gilt. Oft wird dies in Fil-                                                         rer:m besten Freund:in zusammen-
                                                  ist eine Beleidigung für Männer,
    men von einer außenstehenden Per-                                                               kommen.
                                                  die als zu „aufmerksam“/ „für-
    son initiiert, was die Agency des Cha-
                                                  sorglich“ und „unterwürfig“ Frauen                Filmbeispiele: The Great Gatsby
    rakters hemmt. Außerdem ist oft ein
                                                  gegenüber angesehen werden, vor                   (2013), Friends (1994-2004)
    Mann im Spiel, der dem weiblichen                                                                                                     „Rape-Culture“ bezeichnet ein soziales
                                                  allem aufgrund ihrer gescheiterten
                                                                                                •   „Consent”: Auch das Thema Zu-         Umfeld oder eine Gesellschaft, in der Ver-
                                                  Hoffnung, weibliche Aufmerksam-                                                         gewaltigungen und sexuelle Gewalt (in der
                                                                                                    stimmung zu sexuellen Beziehun-
                                                  keit zu erhalten.                                                                       Regel gegen Frauen) verbreitet, weitge-
                                                                                                    gen („Consent“) ist in Filmen oft-
                                                                                                                                          hend normalisiert und toleriert sind. Von
                                                  Der „Simp” teilt einige Eigen-                    mals sehr problematisch. Frauen       Opfern wird nicht nur erwartet, dass sie
                                                                                                    sprechen oftmals ihre Nichteinwil-    einer Vergewaltigung vorbeugen, es wird
                                                  schaften mit dem „Nice Guy“, der
                                                                                                                                          ihnen sogar die Verantwortung für diese
                                                  weibliche Aufmerksamkeit deshalb                  ligung zu einer (sexuellen) Bezie-
                                                                                                                                          zugeschoben. Es wird ihnen unterstellt, sie
                                                  erwartet, weil er „nett“ zu Frauen                hung aus und werden im Verlauf        hätten die Vergewaltigung provoziert,
                                                  ist. Er ist eine sexistische Kreation,            des Films doch dazu überzeugt,        etwa weil sie keine „angemessene“ Klei-
                                                                                                                                          dung getragen oder sich nicht „angemes-
                                                  die ein Catch-All-Begriff für Män-                diese einzugehen.
                                                                                                                                          sen“ verhalten hätten („Victim Blaming“).
                                                  ner wurde, die Frauen respektieren                Des Weiteren werden Vergewalti-       Frauen werden somit zu Sexualobjekten
                                                                                                                                          herabgesetzt und sexuelle Gewalt ver-
                                                  und unterstützen.                                 gungserfahrungen in das Leben
Foto: freepik                                                                                                                             harmlost und verherrlicht.
                                                  Die Verwendung dieser Bezeich-                    weiblicher Figuren als Teil ihrer
                                                                                           12
(2015-2017), 365 Days (2020), Die            en, unmöglichen Standard für Frau-                  noch präsent, allerdings schaut die    de, dass alle Frauen gleich sind und
    Schöne und das Biest (1991), Pretty          en dar. Dieses Stereotyp wird bei-                  Gesellschaft vermehrt auch auf die     dass es unattraktiv ist, als weiblich
    Woman (1990)                                 spielsweise in dem Film „Gone                       stereotypen Eigenschaften des          gesehene Merkmale und Hobbies zu
                                                 Girl“ (2014) kritisiert.                            „Girly Girls” herab.                   haben. In Wahrheit können sich viele
•    „Cool Girl“: Sie ist eine von den
                                                                                                                                            Frauen einfach nicht mit dem
    Jungs („locker/lässig”), sie mag             Filmbeispiele: There’s Something                    Filmbeispiele: Confessions of a
                                                                                                                                            „Stereotyp Frau“ identifizieren und
    Sport, Autos, Bier, Junkfood und an-         About Mary (1998), Transformers                     Shopaholic (2009), Legally Blonde
                                                                                                                                            sehen sich als „Abweichung“, ob-
    dere „typisch maskuline“ Aktivitäten.        (2007), Friends with Benefits (2011).               (2001), Clueless (1995), Mean Girls
                                                                                                                                            wohl eigentlich alle Frauen unter-
    Dabei ist sie natürlich mühelos                                                                  (2004).
                                             •   „Girly Girl“: Sie ist eitel, materialis-                                                   schiedlich und einzigartig sind.
    attraktiv. Sie zieht die Aufmerksam-
                                                 tisch und emotional. Sie mag Shop-              •   Das „Cool Girl” wird oftmals gegen
    keit aller Männer auf sich, ohne es zu                                                                                                 Weitere Tropen, auf die es sich zu
                                                 ping und die Farbe pink und sie hat                 das „Girly Girl“ ausgespielt und
    wollen. Das „Cool Girl“ ist passiv,                                                                                                    achten lohnt sind: „böse/gemeine
                                                 „einfache“ Ziele im Leben: gut aus-                 lässt alle anderen Frauen „alt aus-
    wird nie sauer und versucht nie, et-                                                                                                   Stiefmutter“, „Femme fatale“, „Female
                                                 zusehen, einen Mann zu finden                       sehen“, da es „nicht wie die ande-
    was zu verändern. Sie ist der Inbe-                                                                                                    Assasin“, „Manic Pixie Dream Girl“
                                                 und glücklich bis ans Lebensende                    ren Frauen“ ist. Dem damit ver-
    griff männlicher Fantasie. Nicht Frau-
                                                 zu sein. Die Figur „Girly Girl” ver-                bundenen und häufig geäußerten        Link zum Youtube-Account “The
    en sollen sich mit diesem Charakter
                                                 eint viele Vorurteile, die Frauen                   Spruch „Ich bin nicht wie die ande-   Take”:    https://www.youtube.com/
    identifizieren, sondern Männer, da
                                                 zugeschrieben werden. Lange Zeit                    ren Frauen“ liegt die Idee zugrun-    channel/UCVjsbqKtxkLt7bal4NWRjJQ
    wir sie durch den „Male Gaze“ se-
                                                 wurde es als wichtig angesehen,
    hen. Das „Cool Girl“ stellt einen neu-
                                                 diese Eigenschaften zu verkörpern,
                                                 um einen Mann zu finden. Aller-
                                                 dings muss bedacht werden, dass
                                                 dies vor allem in ihrer sozialen und
                                                 ökonomischen Position begründet
    Dem häufig geäußerten Spruch                 lag: Frauen hatten nur wenige
    „Ich bin nicht wie die anderen
                                                 Chancen in der Arbeitswelt. Zwar
    Frauen“ liegt die Idee zugrunde,
    dass alle Frauen gleich sind und             hat sich die Situation von Frauen in
    dass es unattraktiv ist, als weiblich        der Arbeitswelt verbessert, den-
    gesehene Merkmale und Hobbies                noch müssen Frauen noch immer
    zu haben.                                    für Chancengleichheit und Lohnge-
                                                 rechtigkeit kämpfen. Heutzutage
                                                 ist diese Einstellung zwar immer
                                                                                                     Foto: freepik
                                                                                            13
Der Critical MovieGuide zu …

… queeren Perspektiven           a

In den letzten Jahren haben queere         Bei der Analyse von queeren Charak-               werden,       werden      oft     als       wichten. So werden oft gleichge-
und nichtcisgeschlechtliche Charakte-      teren und Narrativen gilt es, sich der            “Queerbaiting” bezeichnet. Es wird          schlechtliche Attraktion oder gender-
re immer mehr Zugang zu Main-              Klischees und Stereotype bewusst zu               genug gezeigt, um queere Zielgrup-          untypisches Verhalten als bedrohlich
stream-Medien und zu Hollywood-            werden, Probleme zu erkennen und                  pen als Zuschauer:innen zu behal-           oder tragisch dargestellt.
Filmproduktionen gewonnen.                 sie mit in die eigene Bewertung und               ten, ohne tatsächliche Repräsenta-
                                                                                                                                     •    Tragik begleitet queere Charaktere
                                           Analyse von Medien einzubeziehen.                 tion zu liefern. Dazu zählen auch
Laut dem GLAAD Studio Responsibility                                                                                                     in Medien in vielen Fällen. Sowohl
                                           Natürlich lässt sich die Verwendung               Werbekampagnen, die die Inklusi-
Index, der Filme aus großen Filmstu-                                                                                                     tragische “Coming-Out”-Geschichten,
                                           von Tropen und Stereotypen in Me-                 vität eines Films als Verkaufsmerk-
dios untersucht, wurden in 18,6 Pro-                                                                                                     sterbende queere Partner:innen als
                                           dien kaum vermeiden. Eine Trope ist               mal verwenden, nur um dann
zent der untersuchten Filme LGBTQ+-                                                                                                      auch die Verbindung von Queerness
                                           ein bildlicher Ausdruck oder ein Wort,            queere Narrative im letzten Mo-
Charaktere gezeigt.                                                                                                                      und psychischen Schwierigkeiten
                                           das nicht im eigentlichen, sondern                ment zu streichen (wie etwa in
Abgesehen von der quantitativen Ver-       im übertragenen Sinne gebraucht                   Marvels Thor: Ragnarok), auf weni-
besserung der Repräsentation leidet        wird. Beispiele für Tropen sind Meta-             ge Sekunden zu verkürzen (zum
allerdings die qualitative Repräsentati-   phern und Ironie.                                 Beispiel in Star Wars: The last Jedi)
on in Film und Serien unter Mängeln.                                                         oder ganz subtextuell zu lassen.
                                           Die Vermeidung von Tropen und Ste-                                                        Queer ist ein Sammelbegriff für Perso-
                                           reotypen ist nicht Forderung dieses           •    Ein anderes Phänomen ist “Queer-       nen, deren geschlechtliche Identität
                                                                                             coding”, wenn negativ dargestellte      und oder sexuelle Orientierung nicht
                                           Guides. Sie sollten aber wahrgenom-
                                                                                                                                     der heterosexuellen Norm entspricht.
Cis-Gender: Als eine Cis-Frau bzw. Cis-    men und ihre Hintergründe kritisch                Charaktere Verhaltensweisen oder
                                                                                                                                     Der Begriff stammt aus dem Engli-
Mann wird man bezeichnet, wenn die         untersucht werden.                                Kleidungsstile an den Tag legen, die    schen und bezog sich auf eine negati-
Geschlechtsidentität genau dem Ge-                                                           traditionell mit queeren oder           ve Abweichung von der Norm. Er wur-
schlecht entspricht, das man bei der       Häufige Phänomene:
                                                                                             schwulen Personen assoziiert sind.      de aber von der queeren Community
Geburt zugewiesen bekommen hat.
                                           •    Queere Beziehungen zwischen                  Gerade in Zeichentrickproduktio-        positiv besetzt und eignet sich auf-
Der Gegensatz dazu ist Transgender,
                                               Charakteren, die angedeutet und                                                       grund seiner Offenheit besonders gut
bei dem die Geschlechtsidentität und                                                         nen sind extravagante Kleidung
                                                                                                                                     als allgemeines Identifikationsmerk-
das bei der Geburt zugewiesene Ge-             subtextuell erzählt werden, dann              und feminines Verhalten häufige         mal.
schlecht nicht übereinstimmen.                 jedoch nie umgesetzt oder gezeigt             Begleiter von männlichen Böse-
                                                                                    14
sind häufig gewählte Narrative. Tra-    eine Gefühlswelt außerhalb ihrer              und selten Eigeninitiative oder        oder extrem sexuell aktive queere
    gik bietet interessante Geschichten,    Queerness haben. Dazu zählt zum               eine ausdifferenzierte Persönlich-     schwarze Charaktere, der schwule
    aber die Seltenheit von glücklichen     Beispiel auch die bekannte Figur              keit hat.                              beste Freund, der schwule Böse, Be-
    queeren Hauptcharakteren erschafft      des ,,Gay Best Friend”, der als Un-                                                  ziehungen zwischen Frauen werden
    auch eine kulturelle Wahrnehmung,       terstützer der Hauptfigur und ko-            Klischees, auf die es sich zu achten    extrem asexuell präsentiert, das as-
    die Queerness und Tragik untrenn-       mödiantischer Ausgleich in vielen ro-        lohnt: die wütende Lesbe, der bise-     sexuelle Alien, das geschlechtslose
    bar miteinander verbindet.              mantischen Komödien auftaucht                xuelle Teufel, hypersexualisierte       Alien, etc.

•   Auch die häufige Wahl von ,,Queer-
    ness” als einzige Eigenschaft von Ne-
    bencharakteren ist zu kritisieren,
    wenn für die Repräsentation auf
    dem Papier Charaktere entworfen
                                            Der Critical Movie Guide zu …
    werden, die weder eine Rolle noch

                                            … anti-rassistischen
                                            Perspektiven auf Filme
                                            Schwarze Charaktere werden in                en achten kann um bewusster wahr-         Hauptcharaktere oder wird er einge-
                                            Filmen häufig stereotypisiert —              zunehmen, ob mit bestimmten Erwar-        setzt um die bedrohliche Atmosphä-
                                            wobei die entsprechenden Stereo-             tungen und Vorstellungen gespielt         re eines Stadtviertels zu unterstrei-
                                            typen ohne genaue und kritische              wird.                                     chen?
                                            Betrachtung oftmals unbemerkt
                                                                                                                                  • eine ,,Angry Black Woman” - wird
                                            bleiben.                                     Ist der Charakter …
                                                                                                                                    zum Beispiel eine schwarze Frau
                                                                                         • ein ,,Angry Black Man” - wird zum
                                                                                                                                    permanent als sauer oder wütend
                                            Im Folgenden möchte ich daher auf              Beispiel ein schwarzer Mann wü-
                                                                                                                                    dargestellt und verachtet Weiße,
                                            einige Stereotypen aufmerksam ma-              tend oder gewalttätig und wirkt als
                                                                                                                                    das System oder ihre Mitmenschen?
                                            chen, auf die man beim Filmeschau-             sexuelle Bedrohung für weibliche
Foto: pixabay
                                                                                    15
Ist ihre Wut ist laut und wird häufig   • ein ,,Faithful Black Servant” - das             Charaktere oft als ,,Retter in der     macht      und    sie    verführt?
 durch lange Tiraden unterstrichen,        heißt eine schwarze Frau, die als               Not” (,,White Saviour”) erscheinen?    (,,Jezebel”).      →        ,,Foxy
 zugleich aber entweder als komö-          Dienstmädchen eingesetzt wird                   → ,,King Kong” (1933), ,,Training      Brown” (1974).
 diantisch oder als sinnlos darge-         oder in modernen Versionen als                  Day” (2001)
                                                                                                                                 Neben der rassistischen Darstel-
 stellt?                                   Mutter/Kantinenfrau/Putzfrau für
                                                                                       •   eine ,,Hypersexualized Black Wo-      lung schwarzer Männer und Frauen
                                           jeden alles im Haushalt erledigen
• ein ,,Black Best Friend” - wird zum                                                      man” - das heißt eine hypersexuali-   in Filmen, wird oftmals auch mit
                                           muss und häufig auch die Kinder
  Beispiel eine schwarze Person ge-                                                        sierte schwarze Frau, deren Körper-   der Wahrnehmung eines typi-
                                           erzieht? Wird sie dabei dargestellt,
  zeigt, die Hauptcharaktere bei ihrer                                                     formen von der Kamera besonders       schen ,,Asiaten” oder ,,des” Ara-
                                           als wäre sie mit ihrer Rolle zufrie-
  Entwicklung als beste:r Freund:in                                                        betont werden, der weiße Männer im    bers gespielt.
                                           den und würde diese freiwillig oder
  begleitet, aber selbst keine Ent-                                                        Film hinterherschauen und denen       Auch für diese Kategorie hier einige
                                           mit Freude ausführen? (→ ,,Mam-
  wicklungsphasen durchlaufen, die                                                         gegenüber sie ihr Begehren deutlich   Anhaltspunkte:
                                           my”)? In diesem Zusammenhang
  selbst keine wichtige Rolle im Ver-
                                           wird außerdem die Trope der
  lauf des Films einnehmen? So etwa
                                           „Black Mother“ oft verwendet.
  in den Filmen „The Devil Wears
                                           Häufig ist sie als korpulent darge-
  Prada“ (2006), ,,High School Musi-
                                           stellt und wird als „Big Ma“ be-
  cal” (2006), Tall Girl (2019).
                                           zeichnet - ihr eigener Name bleibt
                                           bis zum Ende unbekannt → ,,Made
                                           for Each Other” (1939), ,,The
                                           Help” (2011), ,,Littel Fires Every-
                                           where” (2020)

                                         • ein ,,Poor/Uneducated Black Man”
 Es kommt häufig vor, dass                 - also ein schwarzer, ungebildeter
 schwarze Filmcharaktere stereo-
                                           und armer Mann, der als ,,Unfit for
 typisiert werden, was den Zu-
 schauenden nicht immer bewusst            Society” betrachtet wird, da ihm
 ist. Eine genaue und kritische Be-        Eigenschaften wie übertriebene
 trachtung der filmischen Darstel-         Langsamkeit und Unzivilisiertheit
 lung ist daher umso wichtiger.            zugeschrieben werden? Er ist des-
                                           halb oftmals auf Abwege geraten
                                           (,,The Thug”), in der die Weißen                                                                                 Foto: pixabay

                                                                                  16
Ist der Charakter …                            als ein arabischer Terrorist, der bei      Weitere lesenswerte Texte:
                                                                  einem Attentat oder in einen Ge-
                   ein ,,Nerdy Asian Guy”, also ein Asia-                                                    Jones, Ellen 2019. From mammy
                                                                  waltakt involviert ist und traditionel-
                   te, der im Vergleich zu anderen Cha-                                                      to ma. Hollywood’s favourite ra-
                                                                  le arabische Kleidung trägt?
                   rakteren als besonders intelligent                                                        cist stereotypes, unter:
                   heraussticht, jedoch „socially awk-            Es gibt zahlreiche weitere Kategorien      https://www.bbc.com/culture/
                   ward“ und ein Außenseiter ist?                 und Kriterien, auf die man achten          article/20190530-rom-mammy-to
                                                                  kann und sollte. Die hier dargestell-      -ma-hollywoods-favourite-racist-
                   ein ,,Arab Terrorist”, also dargestellt
                                                                  ten Kriterien bilden jedoch einen          stereotype (aufgerufen: 30.07.
                                                                  überblicksartigen ersten Einstieg in die   2021).
                                                                  Thematik der rassistischen Stereotypi-
                                                                  sierungen in (Hollywood-)Filmen.           Sharman, Russell 2020. 10. Ame-
                                                                                                             ricans in Cinema, in: Moving Pic-
                                                                                                             tures. An Introduction to Cinema,
                                                                  Genannte Stereotypen in Anlehnung          unter:
                                                                  an:                                        https://uark.pressbooks.pub/
                                                                  Vor allem für die Stereotyen gegen-        movingpictures/chapter/african-
                                                                  über Schwarzen im Film: Nittle, Nad-       americans-in-cinema/, Seiten 280
                                                                  ra Kareem 2021. 5 Common Black             - 307. (aufgerufen: 30.07.2021).
                                                                  Stereotypes in TV and Film, unter:
                                                                  https://www.thoughtco.com/                 Smithsonian National Museum of
                                                                  common-black-stereotypes-in-tv-film        African American History & Cul-
                                                                  -2834653 (aufgerufen: 30.07.2021).         ture 2021. Popular and Pervasive
                                                                                                             Stereotypes of African Americans,
                                                                  Vor allem für weitere Stereotypen in       unter: https://nmaahc.si.edu/blog-
                                                                  Filmen: Schacht, Kira 2019. What           post/popular-and-pervasive-
                                                                  Hollywood movies do to perpetuate
                                                                                                             stereotypes-african-americans
                                                                  racial stereotypes, unter:
                                                                                                             (aufgerufen: 30.07.2021).
                                                                  https://m.dw.com/en/hollywood-
                                                                  movies-ste-reotypes-prejudice-data-
                                                                  analysis/a-47561660        (aufgerufen:
Foto: Süß-Slania
                                                                  30.07.2021).
                                                             17
Der Critical Movie Guide zu …

… anti-klassistischen Perspektiven
Der Begriff „Klassismus“ wird als eine    weil sie derart normalisiert und ak-                 men, mit denen sich Personen aus
Diskriminierungs- und Unterdrückungs-     zeptiert sind.                                       den unteren Schichten permanent
form definiert. Klassismus richtet sich   Außerdem gibt es in unserer Gesell-                  auseinandersetzen müssen, um ihrer
gegen Menschen aus der Armuts-            schaft ein immer geringeres Klassen-                 Schicht zu entkommen, ignoriert.
oder Arbeiter:innenklasse, z.B. ein-      bewusstsein. Sich der Bedeutung von                  Hierzu gehört auch die typische
kommensarme, erwerbslose und              Klasse oder Schicht und seiner eige-                 „Vom Tellerwäscher-zum-Millionär-
                                                                                                                                      tisch, die weit verbreitete Stereoty-
wohnungslose Menschen, aber auch          nen Position in der Gesellschaft be-                 Rhetorik“.
                                                                                                                                      pe über Menschen aus unteren
Arbeiter:innenkinder (Seeck, 2020).       wusst zu werden, ist also notwendig,
                                                                                           •   Andere Geschichten behandeln zwar      Schichten nutzen, wie zum Beispiel,
                                          um klassistische und der kapitalisti-
Klassistische Darstellungen in Filmen                                                          Klassenunterschiede, problematisie-    dass diese dumm, asozial, gewalttä-
                                          schen Ideologie entspringende Dar-
zu erkennen, ist besonders schwer,                                                             ren diese aber nicht. Sie werden       tig, Alkoholiker oder kriminell seien.
                                          stellungen zu erkennen und kritisch
                                                                                               eher komödiantisch dargestellt. Da-    Klassische Darstellungen von armen
                                          reflektieren zu können.
                                                                                               zu gehört zum Beispiel das „sud-       Menschen zeichnen diese auch als
                                                                                               denly rich“ Motiv. Eine weitere        unzivilisiert, mit schlechtem Beneh-
                                          •   Typische Filmgeschichten, die oft
                                                                                               Form der Darstellung ist das „poor
                                              problematisch sind, weil sie Aspek-
                                                                                               dude/rich girl“ oder „rich dude/
                                              te der Chancenungleichheit voll-
                                                                                               poor girl“ Motiv. Diese Erzählungen
                                              kommen außer Acht lassen, sind
                                                                                               sind meist romantisiert und zudem
                                              solche, die von einem „kapitalis-
                                                                                               noch sexistisch, vor allem wenn die
                                              tischen Narrativ“ bestimmt wer-
                                                                                               Herkunft aus unterschiedlichen Klas-   Sich über Klasse oder Schicht bewusst
                                              den. Hierbei handelt es sich um                                                         zu werden, ist also notwendig, um
                                                                                               sen eine toxische Beziehung begüns-
                                              individualistische, leistungsethische                                                   klassistische und der kapitalistischen
                                                                                               tigt. Beispiele für solche Filme und   Ideologie entspringende Darstellun-
                                              Narrative, die ausschließlich die
                                                                                               Serien sind „Pretty Woman“ und         gen zu erkennen und kritisch reflektie-
                                              persönliche Anstrengung für den                                                         ren zu können.
                                                                                               „Gossip Girl“.
                                              individuellen Erfolg einer Person
                                              verantwortlich machen. Dabei wer-            •   Unabhängig von den klassischen
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                                              den die strukturellen Mechanis-                  Tropen sind Erzählungen problema-
                                                                                      18
Vorurteile. („Green Book“ ist dafür             dafür sind ein Großteil der „Trash-       schon zu kämpfen haben.
                                               ein geeignetes Beispiel.)                       TV-Unterhaltungsformate“).      Die
                                                                                                                                     •   Gleichzeitig sollte man alle Repro-
                                                                                               Gegenüberstellung dieser beiden
                                           •   Ähnlich wie bei rassistischen Dar-                                                        duktionen armenfeindlicher Diskri-
                                                                                               Gruppen, die jeden Menschen
                                               stellungen verwenden klassistische                                                        minierung kritisch beleuchten, zum
                                                                                               durch das Konsumieren verschie-
                                               Darstellungen zwei typische Bilder                                                        Beispiel die Verwendung von Be-
                                                                                               dener Medien beeinflusst, macht
                                               von armen Menschen, die einander                                                          griffen wie „Sozialschmarotzer“ oder
                                                                                               es möglich, die Situation vieler
    men und schlechten Tischmanieren.          gegenüberstehen. Zum einen die                                                            „harzen“.
                                                                                               armer Menschen auf ihre individu-
    Habituelles Handeln wird allerdings        disziplinierten, hart arbeitenden,
                                                                                               elle Moral zu schieben und ihnen
    nicht als unverschuldete Eigenschaft       sich einschränkenden Personen
                                                                                               die Schuld wegen „ihrer Lebens-       Quelle: „Hä, was heißt denn Klassis-
    konzipiert, welche den Betroffenen         („Deserving poor“). Diese verdie-
                                                                                               führung“ selbst zuzuschreiben.        mus?“, Francis Seeck, Missy Magazin
    bestimmte Berufs- und Zukunftsper-         nen das Mitleid der Zuschauenden,
                                                                                                                                     (2020)
    spektiven verwehrt. Im Gegenteil           weil deren Schicksal nicht als die          •   Die Kombination dieser Darstellun-
    werden diese Elemente zur komödi-          eigene Verantwortung dargestellt                gen verankern ein Bild im Unterbe-
    antischen Unterhaltung der Zu-             wird. Sie fragen nicht, was das Land            wusstsein privilegierter Menschen,
    schauer genutzt und bestärken da-          für sie tun könnte, sie verurteilen             welches den Anschein erweckt,
    mit nur die ohnehin vorhandenen            auch nicht die Gesellschaft, im Ge-             Armut sei das Resultat fehlender
                                               genteil, tun sie sogar oftmals durch            Moral und Konsequenz einer
                                               altruistisches Handeln etwas für                gleichgültigen Lebensführung. Statt
                                               die Gesellschaft und sind damit ein             systemkritisch Missstände und
                                               unrealistisches Ideal. Ihnen gegen-             Hindernisse für Menschen aus un-
                                               über stehen die unwürdigen Ar-                  teren Schichten aufzuzeigen, wird
                                               men, die nicht ehrlich sind,                    der Anschein erweckt, dass Armut
                                               Mainstream-Werte ablehnen und                   mit Anstrengung und individueller
                                               weit weg von "der Mainstream-                   Moral in einer gerechten Leis-            Statt systemkritisch Missstände und
                                                                                                                                         Hindernisse für Menschen aus unte-
                                               Gesellschaft“ le-ben („Undeserving              tungsgesellschaft      überwunden
                                                                                                                                         ren Schichten aufzuzeigen, wird der
                                               poor“). Sie verdienen kein Mitleid,             werden könne. Gleichzeitig be-            Anschein erweckt, dass Armut mit
                                               sondern werden als diesem Mitleid               kräftigen diese Darstellungen man-        Anstrengung und individueller Moral
                                               unwürdig angesehen. Oftmals wer-                                                          in einer gerechten Leistungsgesell-
                                                                                               gelndes Selbstbewusstsein und
                                                                                                                                         schaft überwunden werden könne.
                                               den sie als gleichgültig und ver-               Komplexe, mit denen Kinder aus
                                               wahrlost dargestellt. (Ein Beispiel             den unteren Schichten ohnehin
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                                                                                      19
6. Schlussbemerkung
                                            Dieser Guide erhebt keinen An-         dialen Darstellungen.               für den kritischen Blick beim
                                            spruch auf Vollständigkeit und soll                                        Schauen von Filmen begeistern
                                                                                   Wir hoffen, unser CML-Guide hat
                                            lediglich einen kleinen Überblick                                          können und es trotz der Ein-
                                                                                   euch etwas gebracht. Rückmel-
                                            darüber geben, wie ideologisch das                                         schränkungen durch die Corona-
                                                                                   dungen könnt Ihr uns unter
                                            Medium Film ist und in welch viel-                                         Zeit geschafft, dass wir dieses
                                                                                   cmlguide@gmail.com gerne zu-
                                            fältiger Weise es beeinflussen                                             Projekt als große Bereicherung
                                                                                   kommen lassen.
                                            kann.                                                                      empfanden. Vielen Dank Herr
                                                                                   Last but not least ist es uns ein   Professor Haus!
                                            Durch die Reflexion der eigenen
                                                                                   Bedürfnis, Professor Dr. Michael
                                            Position in der Gesellschaft und die
                                                                                   Haus Danke zu sagen. Er hat uns
                                            tiefgreifende Auseinandersetzung
                                            mit kritischen Darstellungen in Fil-
                                            men und anderen Medien ist es
                                            aber möglich, sich dem unterbe-
                                            wussten Einfluss entgegenzustellen
                                            und auf gesellschaftliche Missstän-
Kimberle Crenshaw prägte den Begriff        de aufmerksam zu machen.
Intersektoralität. Sie beschreibt, inwie-
                                            An dieser Stelle soll auch auf die
fern die Überlagerung von mehreren
sozialen Identitäten (“schwarz”, “Frau”,    Notwendigkeit der intersektiona-
“queer”, “indigen”) mit verschiedenen       len Betrachtung verwiesen wer-
(teilweise einzigartigen) Formen von Un-
                                            den. Denn die verschiedenen Dis-
terdrückung, Herrschaft und Diskriminie-
rung verbunden sind. So erleben schwar-     kriminierungsformen sind nicht so
ze Frauen oft andere Diskriminierungsfor-   leicht trennbar, wie wir es hier für
men als schwarze Männer, weil sie so-       den einfachen Überblick dargestellt
wohl mit der Identität “schwarz” als auch
“Frau” assoziiert werden.                   haben, sie überschneiden sich in
                                            der Realität und ebenso in den me-
                                                                                   Foto: Fresno Pacific University
                                                                           20
Die Autoren:innen
• Über uns und unsere Motive - Gitta Süß-Slania, Daniel Lange

• Filme kritisch schauen - aber wie? - Jennifer Bihr, Sonja Wick, Samuel Richter

• Filmästhetische Perspektiven - Agnes Molnar, Anissa Tammaoui

• Theoretische Inspirationen und Wurzeln - Elisabeth Pfützenreuter, Lena Rottinger

• Feministische Perspektiven - Nadja Lang

• Queere Perspektiven - Leonie Hong

• Anti-rassistische Perspektiven - Nora El-Awdan

• Anti-klassistische Perspektiven - Nassim Becker

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Verantwortlich im Sinne des Presserechtes: Michael Haus, Bergheimer Straße 58, 69115 Heidelberg

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