Frauen in der Bürgerenergie Durch Offenheit zur Vielfalt - Community Power
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July 2021 WWEA Policy Paper Series (PP-01-21-DE) Community Power Frauen in der Bürgerenergie Durch Offenheit zur Vielfalt
Autor*innen dieser Studie Timo Karl arbeitet bei der World Wind Energy Association (WWEA) mit Hauptsitz in Bonn als Projektmanager im Bereich der Bürgerwindenergie. Er promoviert, forscht und lehrt an der Universität Bonn, wo er zuvor Politikwissenschaft studierte. Sein Themengebiet ist das Konfliktfeld Energie- und Klimapolitik mit einem Schwerpunkt auf Partizipationsfragen in der deutschen Energiewende. Madeline Bode arbeitet als Referentin für Energiewirtschaft und Politik beim Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW). Hier setzt sie sich für den landesweiten Ausbau aller Formen regenerativer Energien zugunsten einer akzeptanzstarken und ganzheitlichen Energiewende ein. Zuvor studierte sie Geographie an der Georg-August-Universität in Göt- tingen und arbeitete im Bereich der nachhaltigen Energieversorgung. Herausgeber Stefan Gsänger leitet WWEA seit der Gründung im Jahr 2001 und ist Generalsekretär des Verbandes. Er ist Vorsitzender der Bürgerenergie-Arbeitsgruppe bei der IRENA Coalition for Action, Mitglied im Steering Committee von REN21, Ko-Vorsitzender der Global 100% Re- newable Energy Plattform und Mitglied in der Steering Group der REN Alliance. Projektpartner Die World Wind Energy Association (WWEA) ist ein internationaler gemeinnütziger Ver- band mit Hauptsitz in Bonn, Deutschland. WWEA arbeitet mit verschiedenen Regierungen und internationalen Organisationen zusammen, um die Windenergie weltweit auszubauen. Über ein Netzwerk von Verbänden und Mitgliedern in über 100 Industrie- und Entwicklungs- ländern hat der Verband viele Regierungen bei der Entwicklung wirksamer Programme zur Förderung von Erneuerbaren Energien unterstützt. Eines der Ziele von WWEA ist die Stär- kung der Bürgerenergie und einer dezentraleren Energieversorgung innerhalb existierender Regierungs-, Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie bei internationalen Institutionen. Der Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen (LEE NRW) ist die poli- tische Interessenvertretung der Erneuerbaren Energien in Nordrhein-Westfalen, Deutsch- lands bevölkerungsreichstem Bundesland. Der Verband setzt sich für den landesweiten Ausbau aller Formen regenerativer Energien und einen starken Wirtschaftsstandort Nord- rhein-Westfalen ein. Hierfür vertritt er die Erneuerbaren Energien spartenübergreifend ge- genüber Politik und Öffentlichkeit. Sein Ziel ist, bis spätestens 2045 eine vollständig auf Er- neuerbaren Energien basierende Energieversorgung voranzutreiben. Die Japan Community Power Association ist ein Netzwerk von 53 Bürgerenergiegesell- schaften in Japan. 3
Unterstützende Organisationen Bündnis Bürgerenergie BWE (Bundesverband WindEnergie e.V) Global Women's Network for the Energy Transition ISEP (Institute for Sustainable Energy Policy) IZES (Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme) LaNEG (Landesnetzwerk der BürgerEnergieGenossenschaften) Netzwerk Energiewende Jetzt e.V. REN21 Windfang eG Projektbeirat Rana Adib (REN21) Krisztina André (Bündnis Bürgerenergie) Claudia Bredemann ( EnergieAgentur.NRW) Rabia Ferroukhi (IRENA) Katherina Grashof (IZES (Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme) Amina Günter (Netzwerk Energiewende Jetzt e.V.) Katharina Habersbrunner (Women Engage for a Common Future Deutschland) Tetsunari Iida (ISEP (Institute for Sustainable Energy Policy)) Susanne Korhammer (Windfang eG) Christine Lins (Global Women's Network for the Energy Transition) Memi Motosu (Japan Community Power Network and Nagoya University) Beate Petersen (Bündnis Bürgerenergie) Verena Ruppert (LaNEG (Landesnetzwerk der BürgerEnergieGenossenschaften) Molly Walsh (Friends of the Earth Europe) Ein sehr herzliches Dankeschön geht an alle Partner*innen, an die Mitglieder des Projektbei- rates, unsere Interviewpartner*innen, an die Teilnehmer*innen der Befragungen und an die Personen und Organisationen, die durch die Weiterleitung unseres Fragebogens das Stu- dienergebnis in seiner jetzigen Form möglich gemacht haben. Finanzielle Unterstützung Für Forschung und Veröffentlichung dieser Studie danken WWEA und LEE NRW der Stif- tung Umwelt und Entwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen für die finanzielle Unter- stützung. Für die finanzielle Unterstützung bei der Gestaltung des Internationalen Bürger- energie Symposiums am 3. März wird der Stiftung für Internationale Begegnung der Sparkasse in Bonn gedankt. © Copyright 2021 – Alle Inhalte, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken sind urheber- rechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bear- beitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten, [World Wind Energy Association]. Bildnachweis: BBWind Projektberatungsgesellschaft mbH, Münster und WWEA 4
Zusammenfassung Frauen sind in der Bürgerenergie in NRW unterrepräsentiert. Lediglich 29 % der Anteilseig- ner*innen sind Frauen, die 27 % der Anteile an den Bürgerenergiegesellschaften halten. Damit sind die Zahlen im Vergleich zu früheren Erhebungen steigend, doch kann von einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis noch keine Rede sein. Eine nähere Analyse zeigt, dass die Teilhabe zwischen den einzelnen Gesellschaftsformen variiert. In den Genossen- schaften liegt diese mit 33 % deutlich höher als in den GmbH & Co KGs, wo nur 14 % der Anteilseigner*innen Frauen sind. Eine gleichzeitige Erhebung in Japan zeigte, dass Frauen dort noch stärker unterrepräsentiert sind und nur 20,5 % der Anteile an der dortigen Bürger- energie halten. In den Leitungsgremien der japanischen Bürgerenergie werden 24,4 % der Posten von Frauen bekleidet. Generell bleiben Bürgerenergieakteur*innen eine eher homogene Gruppe, mit einer klaren Dominanz männlicher Personen, die bereits im Ruhestand sind. Viele Anteilseigner*innen verfügen über ein gutes Einkommen und einen hohen Bildungsabschluss und schätzen Bil- dung und Einkommen auch als Faktoren ein, welche den Zugang zur Bürgerenergie erleich- tern. In kleinen Bürgerenergiegesellschaften, mit weniger als vierzig Anteilseigner*innen, ist die Partizipationsrate der Frauen besonders gering und liegt nur bei durchschnittlich 7 %. Hier verstärken sich verschiedene Faktoren gegenseitig. Teilweise handelt es sich um Ge- sellschaften aus dem Bürgerwindsektor, die oft aus bereits bestehenden „männerdominier- ten“ Netzwerken hervorgehen und für deren Zugang ein gewisses Grundkapital unabkömm- lich ist. Teilweise sind unter diesen kleinen Projekten Bürgerenergiegesellschaften aus dem landwirtschaftlichen Sektor vorzufinden und somit aus einem Sektor, der ebenfalls sehr männerdominiert ist. Die Studie zeigt auf der anderen Seite Beispiele für Projekte auf, die sehr offen und partizipationsgerichtet mit der Gesellschaft interagieren und Frauen bewusst in Führungspositionen gesetzt haben. Diese können auch eine überdurchschnittliche Teilha- be von Frauen unter den Anteilseigner*innen aufweisen. 6
Frauen in der Bürgerenergie – Durch Offenheit zur Vielfalt Inhalt 1. Einleitung ...........................................................................................................................1 2. Forschungsdesign .............................................................................................................3 3. Gesellschaftliche Partizipation und die Rolle des Geschlechts ...........................................5 4. Teilhabe von Frauen in der Energiewirtschaft und Energiepolitik .......................................8 5. Teilhabe von Frauen an der Bürgerenergie in NRW ........................................................11 5.1. Teilhabe von Frauen in kleinen Bürgerenergiegesellschaften ....................................17 5.2. Fördernde und limitierende Faktoren für die Beteiligung an Bürgerenergie ................19 5.3. Zugänge zur Bürgerenergie und Außendarstellung....................................................23 6. Teilhabe von Frauen in der japanischen Bürgerenergie ...................................................28 7. Fazit und Ausblick ............................................................................................................31 8. Literatur ...........................................................................................................................34 2
Abkürzungsverzeichnis BEG Bürgerenergiegesellschaft CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands EU Europäische Union GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts GmbH & Co. KG Gesellschaft mit beschränkter Haftung & Compagnie Kommanditgesellschaft GWNET Global Women's Network for the Energy Transition kW Kilowatt LEE NRW Landesverband Erneuerbare Energien NRW mbH mit beschränkter Haftung MINT Fachbereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik NGO Nichtregierungsorganisation NRW Nordrhein-Westfalen PV Photovoltaik SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands taz Die Tageszeitung WWEA World Wind Energy Association 5
1. Einleitung Die Energiewende stellt den größten indust- Teams haben, höhere Teamleistungen auf- riellen Umbau der Wirtschaft seit der Indust- zuweisen haben und sich stärker mit ihrem rialisierung dar. Sie verändert Räume und Team identifizieren (Buengeler/ Homann Machtkonstellationen und wirkt sich auf das 2020). Ebenfalls weisen gemischt organi- Verhältnis der Menschen untereinander in sierte Teams auch eine höhere Arbeitszu- der Gesellschaft aus. Die zukünftige Ener- friedenheit auf (was sich wiederum positiv gieversorgung wird auf einem pluralisti- auf deren Produktivität auswirkt). Ein Um- schen Energiesystem mit zahlreichen Er- stand, der mehrheitlich sowohl von Männern zeugungspunkten basieren, bei denen Bür- als auch von Frauen so gewertet wird gerinnen und Bürger in dezentralen Bürger- (Deutsche Post 2019). Es gilt daher, diese energieprojekten die Energiewende selbst Potenziale auch für die Energiewende zu aktiv mitgestalten. Bürgerenergie kann nicht heben. nur einen wichtigen Beitrag zur regionalen Frühere vereinzelte Studien deuten jedoch Wertschöpfung und zur Bewältigung des darauf hin, dass die Akteure der Bürger- Strukturwandels darstellen – sie stärkt auch energie sich aus einer tendenziell gesell- die Akzeptanz der Energiewende vor Ort. schaftlich homogenen Gruppe rekrutierten, Dezentrale Strukturen bieten aufgrund ihrer in der Frauen unterrepräsentiert sind unmittelbaren räumlichen Nähe die Chance, (Fraune 2015; Radtke 2016; Yildiz et al. unterrepräsentierte Personengruppen ver- 2015). Es erscheint daher geboten, für stärkt in Entscheidungspositionen zu brin- NRW eine aktuelle Bestandsaufnahme vor- gen und eine bessere Verteilung von öko- zunehmen, in der weitergehend nach Zu- nomischer Partizipation zu ermöglichen. gängen zur Bürgerenergie und zur Interakti- Es ist daher aus der Perspektive der Ge- on der Bürgerenergie mit der Gesellschaft 1 schlechtergerechtigkeit entscheidend, die- gefragt wird. se Prozesse aktiv mitzugestalten und für ein In einem insgesamt zweijährigen Studi- Mehr an Gleichberechtigung und Emanzipa- enprojekt untersucht die World Wind Energy tion zu nutzen. Dies lässt sich nicht nur mit Association (WWEA) daher in Kooperation dem demokratischen Anspruch begründen, mit dem Landesverband Erneuerbare Ener- dass Beteiligungsformate möglichst allen gien NRW (LEE NRW) die Rolle von Frauen Bürger*innen offenstehen sollten, sondern in der Bürgerenergie in NRW. Parallel dazu es ist auch nachgewiesen, dass gemischt wurden von der Japan Community Power organisierte Teams, die ein positives Be- Association Daten zur Beteiligung von wusstsein für die Stärken von diversen 1 In dieser Studie wird der deutsche Begriff „Geschlecht“ verwendet, nicht der englische Begriff „Gender“. Untersucht wird vornehmlich die soziale Dimension von „Geschlecht“, also geschlechterbezogene Verhal- tensweisen und Geschlechtermachtbeziehungen. 1
Frauen in der Bürgerenergie in Japan erho- deutschen und dem japanischen Bürge- ben. Übergreifendes Ziel des Projektes ist renergiesektor entsteht eine internatio- es zu fragen, wie im Sinne der Erhöhung nale Perspektive darüber, wie sich zwei der gesamtgesellschaftlichen Partizipation sehr differente Gesellschaftsentwürfe einem Ungleichgewicht der Geschlechter auf den Bürgerenergiesektor und die entgegengewirkt werden kann. Die darauf Teilhabe von Frauen in diesem auswir- aufbauende Analyse wird im zweiten Schritt ken. zeigen, wie die Energiewende dadurch im Die Motivation von Anteilseigner*innen zweiten Schritt gesellschaftlich gestärkt bei der Beteiligung an Bürgerenergie werden kann. Die Ergebnisse wurden stetig wird untersucht und die geschlechts- an einen Projektbeirat rückgekoppelt, der spezifischen Folgewirkungen werden aus nationalen und internationalen Bürger- betrachtet. energieexpert*innen und Pionier*innen der Die Teilhaberate von Frauen unter den Energiewende besteht, und so immer wie- Anteilseigner*innen und im Manage- der in einen größeren Rahmen eingebun- ment wird unterschieden und zueinan- den. der ins Verhältnis gesetzt. Anhand von zwei quantitativen Erhe- Die vorliegende Studie wird übergrei- bungen, sowohl bei Bürgerenergiege- fend erste Erklärungsansätze liefern, sellschaften (BEG) in NRW als auch bei welche BEGs aus welchen Gründen ei- Anteilseigner*innen von BEGs sowie zu- nen höheren Anteil an weiblicher Parti- sätzlichen qualitativen Interviews mit Prakti- zipation verzeichnen können. ker*innen2 aus der Bürgerenergie soll in Auf dieser Basis werden bestehende diesem Studienprojekt in mehrfacher Hin- Vorschläge zur Erhöhung des Frauen- sicht ein Verständnisgewinn geschaffen anteils in der Erneuerbaren Energie- werden. Folgende Aspekte erscheinen da- wirtschaft hinsichtlich ihrer Anwendbar- bei besonders wichtig: keit auf den Bürgerenergiesektor ge- prüft. Die Probleme und Herausforderungen von Frauen bei der Teilhabe in Bürger- Bereits in der Einleitung kann vorausgrei- energiegesellschaften werden präzisiert fend festgehalten werden: Frauen sind trotz und mit aktuellen Zahlen aus BEGs in gestiegener Teilhabezahlen in Bürgerener- NRW unterlegt.3 gieprojekten in NRW unterrepräsentiert. In Durch den Vergleich zwischen dem Japan ist die Teilhabe noch etwas geringer. Da es sich um Energiewirtschaftsprojekte 2 Die Wichtigkeit der Sichtbarmachung aller Personengruppen in der deutschen Sprache wird von den diese Studie verantwortenden Organisationen anerkannt und unterstützt, doch scheint es noch keine Umsetzungslö- sung zu geben, die nicht auch Herausforderungen mit sich bringt. In diesem Text wird die Schreibweise mit Asterisk (*) verwendet, um sowohl weibliche als auch männliche Personen sowie alle anderen Menschen anzu- sprechen, die sich nicht diesen Geschlechtern zuordnen. 3 Weitere Details zur Vorgehensweise sind dem Kapitel Forschungsdesign zu entnehmen. 2
handelt, die in aller Regel im Rahmen von Auf der anderen Seite bestehen durchaus ehrenamtlichem Engagement begründet auch noch Potenziale für die BEGs, durch werden, muss der eigentlichen Analyse eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit und aktive flankierend vorausgestellt werden, wie die Interaktion mit der Gesellschaft die Beteili- Rolle von Frauen im zivilen Ehrenamt, in der gungsrate von Frauen zu erhöhen. Das Be- (Erneuerbaren) Energiewirtschaft und in wusstsein für die Notwendigkeit einer ge- angrenzenden Berufsfeldern zu bewerten schlechtergerechten Energiewende ist noch ist. Hierbei wird deutlich, dass es immer nicht bei allen Akteuren stark genug ausge- noch eine Vielzahl an gesellschaftlichen prägt. Zur Stärkung dieses Bewusstseins Restriktionen gibt, die Frauen von einer um- möchte die vorliegende Studie einen Beitrag fassenderen Teilhabe an BEGs abhalten. leisten. 2. Forschungsdesign Die hier vorliegende Studie stellt den Ab- beispielsweise BEGs mit einem Problem- schluss des ersten Forschungsjahres dar. bewusstsein für das Thema oder mit Frauen Kernelemente der Studienarbeit des ersten im Vorstand eher an einer Befragung zu Jahres sind zwei quantitative Erhebungen. diesem Thema teilnehmen. In einem sol- Ein Fragebogen wurde digital zwischen Ok- chen Falle würden die weiblichen Beteili- tober 2020 und Januar 2021 direkt an BEGs gungszahlen vermutlich tendenziell positiver in NRW versendet. Der andere Fragebogen ausfallen als in der Realität, was die Aussa- wurde digital zwischen Oktober 2020 und gen dieser Studie noch weiter legitimieren März 2021 an die Anteilseigner*innen ver- würde, da dann die reale Geschlechterun- schiedener BEGs versandt. Es wurden 29 gleichheit als noch höher anzunehmen wä- BEG-Fragebögen und 347 Anteilseig- re. Während des gesamten ersten Jahres ner*innen-Fragebögen beantwortet, die im wurden die eigenen Studienergebnisse an- 4 Anschluss ausgewertet werden konnten. hand einer fortlaufenden Dokumentenanaly- se validiert und mit den bisherigen Erkennt- Die Erkenntnisse der quantitativen Frage- nissen aus der Gender- und Partizipations- bögen wurden durch qualitative Interviews forschung abgeglichen. ergänzt, vertieft und die Ergebnisse wurden bezüglich ihrer Kausalität eingeordnet.5 Zielsetzung des BEG-Fragebogens war es, Hinweise auf Verzerrungen in der Stichpro- mittels einer aktuellen Bestandsaufnahme be gibt es nicht, gleichwohl kann nicht voll- zu überprüfen, wie umfangreich Frauen an umfänglich ausgeschlossen werden, dass der Bürgerenergiewende partizipieren und 4 Auf der Basis der Projektliste Bürgerenergie.Atlas der Energieagentur.NRW, mit der umfangreichsten existie- renden Bürgerenergie-Projektausweisung in NRW, wurden 326 BEGs angefragt. Die BEGs wurden gebeten, einen zweiten Fragebogen an ihre Anteilseigner*innen weiterzuleiten, sodass (auch aus Datenschutzgründen) nicht nachvollzogen werden kann, in welcher BEG die jeweiligen Anteilseigner*innen sind. 5 Diese Methode wird in der Sozialwissenschaft als „explanatory sequential mixed-method design“ bezeichnet. 3
welche Rollen sie dabei einnehmen. Zu die- schiedene Art und Weise für die Verbesse- sem Zweck wurde u. a. gefragt, ob die rung weiblicher Partizipation in der Bürger- Frauen lediglich stille Anteilseignerinnen energie eingesetzt. Die Interviews wurden sind oder in welchem Umfang sie im Ma- geführt mit: nagement von Bürgerenergiegesellschaften Krisztina André (Bündnis tätig sind und welche Aufgabenfelder von Bürgerenergie) ihnen übernommen werden. Weiterhin wur- Christoph Austermann (BBWind) de erfragt, ob bereits ein Problembewusst- Katja Blumenberg (BürgerEnergie sein für die Relevanz paritätischer Teilhabe Solingen eG) in der eigenen BEG besteht6 und über wel- Ingeborg Friege (BürgerEnergie che Wege Anteilseigner*innen gewonnen Solingen eG) werden. Hintergrund ist die Annahme, dass Catharina Hoff (BürgerWIND bestimmte Formen der (persönlichen) An- Westfalen) sprache und der Öffentlichkeitsarbeit Män- Beate Petersen (Bergische ner mit einer deutlich höheren Wahrschein- BürgerEnergieGenossenschaft und lichkeit ansprechen als Frauen. BEG-58) Im Anteilseigner*innen-Fragebogen wurden Barbara Rodi (Friedensfördernde die persönliche Motivation und die Wege zur Energie-Genossenschaft) Beteiligung in einer BEG thematisiert. Auch Heinz Thier (BBWind) wurde der sozioökonomische Hintergrund Theresa Ungru (Bürgerwind der Teilnehmer*innen erfragt, da vorherige Altenrheine) Studien zeigen, dass sich dieser im hohen Die Fragen in den Interviews zielten darauf Maße auf die Teilhabewahrscheinlichkeit ab, die in den Erhebungen wahrgenomme- auswirkt (Fraune 2015; Radtke 2016). nen geschlechtsspezifischen Unterschiede Schließlich wurden auch die Hürden bei der bei der Motivation zur Beteiligung und bei Teilhabe an Bürgerenergieprojekten für alle den Zugängen zur Bürgerenergie einordnen Anteilseigner*innen und speziell für Frauen zu können. Auch sollte in Vorbereitung auf erfragt. das zweite Projektjahr konkretisiert werden, Die qualitativen Interviews schlossen an die welche Potenziale auf dem Weg zu einer quantitativen Erhebungen an und wurden im höheren Beteiligung von Frauen an der Stil halbstrukturierter Interviews („semi- Energiewende durch die BEGs selbst geho- structured interview“) durchgeführt. Die be- ben werden können, wie Frauen stärker fragten Akteur*innen sind Entscheidungs- aktiviert werden können und welche Fragen träger*innen aus der Bürgerenergie. In vie- durch veränderte gesellschaftliche und poli- len Fällen haben sie sich schon auf ver- 6 Parität, bzw. ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis gilt als ein wichtiges Mittel um im nächsten Schritt eine tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter umzusetzen (Manlosa/ Matias 2018). 4
tische Rahmenbedingungen beantwortet wurden abschließend durch den Projektbei- werden müssen. Die erzielten Ergebnisse rat geprüft und bewertet. 3. Gesellschaftliche Partizipation und die Rolle des Geschlechts Die Energiewende begann in Deutschland Altersspektren 20 bis 40 Jahre und 55 bis als eine Bottom-Up-Bewegung, die von en- 75 Jahre nachzuweisen sind (Radtke 2016). gagierten Bürger*innen gestartet wurde und Jörg Radtke verweist darauf, dass „die En- später vorrangig von Bürgerenergiegesell- gagementquote in unterschiedlichen Unter- schaften und mittelständischen Unterneh- suchungen stark schwankt“. Im Rückgriff auf men weiter ausgestaltet wurde. Das ist aus Rainer Geißler bilanziert er jedoch auch vielen Gründen positiv zu bewerten. Es be- weitergehend: „2010 waren in Westdeutsch- deutet eine Demokratisierung, eine Aktivie- land 5 % der Männer, aber nur 2 % der rung der Zivilgesellschaft und einen Beitrag Frauen Mitglieder einer politischen Partei“. zum Klimaschutz. Es bedeutet aber auch „Westdeutsche Frauen sind auch erheblich die Ausbildung eines grundlegenden Ver- seltener (8 %) Mitglieder einer Gewerk- ständnisses von Energiefragen, eine Ent- schaft als Männer (20 %), und auch in Bür- monopolisierung und eine Pluralisierung der gerinitiativen arbeiten sie seltener mit (Män- ökonomischen Strukturen. Gerade der Bür- ner 2 % – Frauen 1 %)“ (Geißler 2014, ge- gerenergie kommt hierbei eine wichtige Rol- funden bei Radtke 2016). le zu. Jedoch zeigen ältere Studien, dass Die Gründe, warum Männer sich in be- politische und wirtschaftliche Beteiligungs- stimmten Altersklassen häufiger freiwillig möglichkeiten nicht von allen Bürger*innen engagieren, werden als vielfältig wahrge- gleichermaßen wahrgenommen werden nommen: „Gerade in den älteren Geburts- (Coffé/Bolzendahl 2010; Fraune 2018; jahrgängen hatten Frauen oft schlechtere Radtke 2016). „Vielmehr verstärkt sich die Bildungschancen. Bildung ist aber, sowie soziale Ungleichheit um eine politische das damit verbundene Zutrauen in die eige- Komponente und verleiht denjenigen mehr nen Fähigkeiten, eine wichtige Vorausset- Gewicht und Gehör im politischen Willens- zung, um sich freiwillig zu engagieren. Eine bildungsprozess, die ohnehin schon über weitere Ursache ist die weiterhin ungleiche bessere Einflussmöglichkeiten und - Verteilung von Aufgaben in der Familie: ressourcen verfügen“ (Pickel 2012). Im Hin- Frauen bringen mehr Zeit für die Betreuung blick auf die geschlechterbezogenen Unter- von Kindern und für die Pflege und Sorge schiede beim allgemeinen Zivilengagement um Familienangehörige auf“– Zeit, die für sieht man, dass die Unterschiede in der ehrenamtliche und freiwillige Tätigkeiten Partizipation vor allen Dingen altersbezogen nicht mehr zur Verfügung steht („Zeitar- auftreten und schwerpunktmäßig in den 5
mut“). Um mehr Frauen über den Lebens- von Privatleben und Engagement eine ent- lauf hinweg für freiwilliges Engagement zu scheidende Komponente war: „Ich wollte gewinnen, ist es also unter anderem not- mich verstärkt engagieren. Dazu mussten wendig, stereotype Geschlechterrollen und wir aber den privaten Haushalt neu organi- die traditionelle Arbeitsteilung im Privatbe- sieren. Das haben mein Mann und ich dann reich aufzubrechen“ (Deutsches Zentrum für diskutiert“ (Expertengespräch 08.04.2021). Altersfragen 04.12.2019). Diese Sachver- In vielen Fällen scheitert der Wunsch nach halte werden durch wissenschaftliche Stu- mehr Beteiligung aber bereits an dieser dien bestätigt. Hilde Coffé und Catherine Stelle, da es einen fortbestehenden Gender- Bolzendahl (Coffeé/Bolzendahl 2010) stel- Care-Gap in Deutschland gibt. Frauen brin- len diesbezüglich einige interessante Er- gen täglich 87 Minuten mehr Zeit für Sorge- kenntnisse zusammen, welche die ge- arbeit auf als Männer (was 52,4 % mehr schlechterspezifische politische Partizipati- Zeitaufwand entspricht) und üben auch zwei on unter verschiedenen Prämissen untersu- Drittel der informellen Pflegedienstleistun- chen, und erstellen auf deren Basis auch gen aus (WECF/ BBEn 2020). Hypothesen für ihre Studie, die in 18 westli- Unabhängig vom Geschlecht befinden sich chen Demokratien, darunter auch Deutsch- politische Beteiligungsformen im Wandel. land durchgeführt wurde: Frauen verbringen Die Mitgliederzahlen in Parteien weisen in Industrieländern mehr Zeit mit Hausarbeit übergreifend betrachtet stark rückläufige als ihre männlichen Partner, wenn beide Zahlen auf, besonders betroffen sind die Vollzeit arbeiten gehen. Dies wirkt sich auch „Volksparteien“ CDU und SPD. Auch die auf die freie Zeit aus, die von Frauen als Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen geringer angegeben wird als die der Män- in Deutschland ist im Vergleich zu den 70er ner. Ehe und Elternschaft wirken sich zu- Jahren erheblich zurückgegangen. Moritz sammengenommen deutlich negativer auf Boddenberg und Herbert Klemisch machen die Partizipationsrate von Frauen als auf die gar postdemokratische Entwicklungen aus, der Männer aus. Andersherum wirkt sich im Rückgriff auf diesen von Colin Crouch das Arbeiten auf einer Vollzeitstelle positiv geprägten Terminus (Boddenberg/Klemisch auf das politische Engagement von Män- 2018; Crouch 2008). Sie verweisen auf die nern aus. Bei Frauen hingegen nicht, was rückläufige Entwicklung der Mitgliederzah- mit den anderen Befunden zusammenhän- len in Parteien, auf den Bedeutungsverlust gen wird. Die Auswirkungen der Arbeit auf von nationalen Parlamenten und darauf, einer Vollzeitstelle und der Ehe werden von dass auch moderne Abstimmungs- und Coffeé und Bolzendahl auch für ihre Fall- Demonstrationsformate von einem Teil der studien bestätigt (Coffé/Bolzendahl 2010). Gesellschaft dominiert werden, dem „Bil- Eine Expertin bestätigte im Interview, dass dungsbürgertum“ (Boddenberg/Klemisch auch für sie die Frage nach Koordination 2018). 6
Auf der allgemeinen Engagementforschung und genutzt (Fraune 2017). Vorhergehende aufbauend, soll die weibliche Beteiligung im Studien enthielten jedoch bereits Hinweise nächsten Schritt in der Klimabewegung er- (Fraune 2015, Radtke 2016, Yildiz et al. fasst werden. Der Fakt der dominanten Be- 2015), dass auch die deutsche Bürgerener- teiligung des „Bildungsbürgertums“ trifft gie tendenziell von einer homogenen Grup- auch auf die Demonstrant*innen von pe dominiert wird. Viele der sich beteiligen- Fridays for Future zu. Rund die Hälfte der den Personen waren gemäß einer Befra- Demonstrant*innen gab in einer Befragung gung männlich (80 %), verfügten oft über an, über einen Studienabschluss zu verfü- einen hohen Bildungsabschluss und über gen oder diesen anzustreben. Weitere 10 vergleichsweise hohe finanzielle Mittel, wa- Prozent hatten promoviert oder befanden ren bereits im fortgeschrittenen Alter und sich im Promotionsverfahren. Die 14- bis übten zivilgesellschaftliches Engagement in 19-jährigen Demonstrant*innen waren eben- mehr als einem Verein aus (Radtke 2016). falls in vielen Fällen dem Bildungsbürgertum Diese Personen üben eine wichtige Rolle zuzurechnen. Bei 45,8 % der Befragten aus bei der Umsetzung der Energiewende aus. dieser Gruppe hatte die Mutter einen Hoch- Gleichwohl wird durch diese Befunde deut- schulabschluss, die Väter sogar in knapp lich, dass Politik und Gesellschaft zusam- 50 % der Fälle (Haunns/ Sommer 2020). menarbeiten müssen, um die dezentrale Jedoch ergab die Befragung des Instituts für Energiewende mehr in die gesellschaftliche Protest- und Bewegungsforschung im Hin- Breite zu bekommen und mehr Personen- blick auf die Fridays for Future- gruppen einzubinden. Die niedrige weibliche Protestierenden auch, dass mit 59 % mehr Beteiligung an Erneuerbaren Bürgerener- Frauen als Männer an den Protesten teil- gieanlagen muss als umso alarmierender nehmen (ebd.). eingestuft werden, führt man sich den zuvor genannten Fakt vor Augen, dass Frauen in Die Bürgerenergie selbst stellt eine weitere der Klimaschutzbewegung sehr stark vertre- Form der Bürger*innenbeteiligung dar, die ten sind. Auch weisen Frauen ein höheres im Zuge der Energiewende entstanden ist Umweltproblembewusstsein auf als Männer und die mit einem Anteil von über 40 % der (Haunss/Sommer 2020). Sie befürworten installierten Leistung der deutschen Erneu- auch stärker als Männer den Ausstieg aus erbaren Energien eine zentrale Rolle für der Kernenergie, den Ausstieg aus den fos- eine erfolgreiche Energiewende spielt (AEE silen Energieträgern und eine Energiever- 15.01.2021). Aus emanzipativer Perspektive sorgung durch Erneuerbare Energien erscheint es daher höchst bedeutsam zu (WECF/BBEn 2020). Frauen sind in hinterfragen, wer an der Bürgerenergie teil- Deutschland eher bereit zu recyclen, sie nimmt. Prinzipiell werden neue, alternative legen mehr Wert auf energieeffiziente Ver- Formen der Beteiligung, wie es die Bürger- kehrsmittel, nutzen auch häufiger öffentliche energie ist, von den Bürger*innen angefragt 7
Verkehrsmittel und kaufen eher Bio- genteil anhaltender Forschungsbedarf, wa- 7 Produkte als Männer (BBEn 2020). Mitnich- rum Frauen bisher in Bürgerenergieprojek- ten kann Frauen bei den Themen Energie- ten in Deutschland unterrepräsentiert sind wende und Klimakrise also fehlendes Inte- und wie sich die Teilhaberate entwickelt. resse unterstellt werden. Es besteht im Ge- 4. Teilhabe von Frauen in der Energiewirtschaft und Energiepolitik Das Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe Beteiligung als im Durchschnitt der Erneu- von Frauen in der Bürgerenergie ist eng erbaren-Branche. 21 % der Beschäftigten verknüpft mit der Teilhabe von Frauen in der sind Frauen, nicht einmal 8 % der Senior Politik, der Wirtschaft allgemein, der (Er- Management Positionen sind in weiblicher neuerbaren) Energiewirtschaft und angren- Hand (ebd.). zenden Berufsfeldern. Um die Parität oder Diese Unterrepräsentation ist nicht nur für zumindest ein ausgewogenes Geschlech- Deutschland nachweisbar, sondern bei- terverhältnis ist es in der Wirtschaft allge- spielsweise auch für Österreich. Dort beauf- mein jedoch schlecht bestellt. Parität ist laut tragte 2016 das Österreichische Bundesmi- dem Weltwirtschaftsforum noch 257 Jahre nisterium für Land- und Forstwirtschaft, entfernt. Zu diesem Ergebnis kam der Gen- Umwelt und Wasserwirtschaft eine Studie der-Gap-Bericht im Jahr 2019 (World Eco- zur Chancengleichheit der Geschlechter in nomic Forum 2019). Auch im Sektor der der Energiebranche. Für den Sektor der Erneuerbaren Energien sind von den ca. 11 Erneuerbaren Energien kam man auf einen Millionen Beschäftigten anteilig nur ca. 32 % Frauenanteil von 29,6 %, für den Energie- Frauen, und dieser Anteil nimmt noch ein- sektor insgesamt nur auf 19,3 %. Auch bei mal deutlich ab, wenn es um die Berufe aus den Führungskräften fanden sich in Öster- den Bereichen der Mathematik, Informatik, reich im Bereich der Erneuerbaren Energien Naturwissenschaften und Technik (MINT) doppelt so viele weibliche Führungskräfte geht (IRENA 2019). Die Zahlenwerte sind als im sonstigen Energiesektor. Trotzdem ist immerhin deutlich besser als in der traditio- auch hier noch lange keine Parität erreicht. nellen Energiewirtschaft, wo nur 22 % der Zugleich kann der Studie entnommen wer- Beschäftigten weiblich sind (ebd.). Blickt den, dass in der Branche der Erneuerbaren man auf den internationalen Windsektor, so Energien deutlich mehr Beschäftigte unter sieht man eine noch geringere weibliche 7 Auch obliegt Frauen im privaten Bereich sehr häufig die Rolle der Energiemanagerin. Dahinter stehen gesell- schaftlich tradierte Rollenmuster. Während diese aufgrund ihrer Prägekraft hinterfragt werden müssen, ist es aber eben von entscheidender Bedeutung, wie Energie im privaten Bereich genutzt wird. 8
30 Jahren vorzufinden sind als im traditio- den geringsten Frauenanteil aufzuweisen nellen Energiesektor (31,7 % gegenüber hat (Umweltbundesamt 2018). Das Euro- 16,4 %) (ÖGUT 2016). Ein Umstand, der die pean Institute for Gender Equality verglich Zukunftsträchtigkeit der Erneuerbaren- 2012 die Anteile der Frauen in ministeriellen Branche unterstreicht und auf die Bedeu- Entscheidungspositionen mit klimapoliti- tung einer geschlechtersensiblen Ausgestal- schem Bezug. Ergebnis: Deutschland lag tung dieses Sektors hinweist. mit einem Anteil von unter 15 % in den Mi- nisterien auf dem vorletzten Platz und weit In den MINT-Studiengängen sind in unter dem EU-Durchschnitt von 25,6 %. Nur Deutschland in den letzten Jahren positive Italien schnitt noch etwas schlechter ab Entwicklungen zu verzeichnen. So hat sich (EIGE 2012). Noch aktuellere Zahlen liegen die Anzahl der weiblichen Studierenden für die „Top-Posten“ der Ministerien vor. zwischen 2008 und 2019 auf 26,4 % ver- Gemeint sind Bundesminister*innen, doppelt (Merkur 24.03.2021). Von einem Staatsminister*innen, Staatssekretär*innen ausgewogenen Geschlechterverhältnis kann und Abteilungsleiter*innen, von denen 2018 jedoch auch hier noch keine Rede sein, nur 29 % Frauen waren (Zeit Online auch wenn zu erwarten ist, dass sich die 16.04.2018). Anzahl der weiblichen Studierenden in die- sen Fächern auf die Teilhabe von Frauen an In der Generaldirektion Umwelt der Europä- den Arbeitsplätzen in den Erneuerbaren ischen Kommission werden 29 % der Posi- Energien und auf die Teilhabe in der Bürge- tionen von Frauen bekleidet. 2016 fast pari- renergie auswirken wird. Gerade angesichts tätisch besetzt war der Ausschuss für Um- des Umstands, dass die Anzahl der Arbeits- weltfragen, öffentliche Gesundheit und Le- plätze bis 2050 laut Schätzungen auf ca. 29 bensmittelsicherheit des Europäischen Par- Millionen ansteigen wird (ebd.) und der laments, in dem 46 % der Mitglieder Frauen Transformationsprozess der globalen Öko- waren (EIGE 2016). Im Deutschen Bundes- nomie die einmalige Chance bietet, viele tag sind in der 19. Legislaturperiode ledig- Berufsfelder inklusiver und innovations- lich 30,9 % der Abgeordneten Frauen freundlicher zu gestalten, ist es von enormer (Deutscher Bundestag 2021). Der Anteil Bedeutung, dass die Partizipationschancen schwankt erheblich zwischen den einzelnen von Frauen an dieser Transformation kri- Fraktionen. Am höchsten liegt der weibliche tisch geprüft und in letzter Konsequenz Anteil in der Fraktion der Grünen, mit wahrgenommen werden (GWNET 2019). 56,7 %. In der Alternative für Deutschland sind hingegen nur 10,2 % der Abgeordneten Für die Politik zeigt sich studien- und län- Frauen (Statista 2021). derübergreifend in der EU, dass Umwelt das Politikfeld mit dem höchsten Frauenanteil Im journalistischen Sektor, der für das für Entscheidungspositionen in Ministerien Agenda-Setting der Energiepolitik von ent- ist, während der Energiesektor im Schnitt scheidender Bedeutung ist, finden wir er- 9
neut männerdominierte Strukturen wieder. ein ganz neues Fass auf“ (Blumenberg Die vierzehn Chefredakteure in überregio- 04.05.2021). Zur Verbesserung der Gleich- nalen Tages- und Wochenzeitungen ab ei- stellung in der Energiewende hat das Global ner Auflage von 50.000 waren allesamt Women's Network for the Energy Transition Männer. Im Printsektor erreichte nur die taz (GWNET) einige strategische Ansatzpunkte den von Pro Quote errechneten Frauen- gebündelt (GWNET 2019): machtanteil von 50,8 %. Bei der Bild- Das Implementieren von Quoten Zeitung, der meistverkauften Zeitung in die MINT-Studiengänge attraktiver für Deutschland liegt der Frauenmachanteil nur Frauen und Mädchen machen knapp über einem Viertel (Pro Quote 2019). Einstellungspraktiken inklusiver gestal- Die Fachpublikationen aus dem Erneuerba- ten re-Energien-Sektor werden ebenfalls bis auf Strategien für inklusive Arbeitsplätze sehr wenige Ausnahmen von Männern ver- entwickeln antwortet. den Anteil der Frauen in Führungsposi- Dort, wo überwiegend Männer in der Politik tionen erhöhen über die Rahmenbedingungen für die Ener- Transparenz und Rechenschaftspflich- giewende allgemein und die Bürgerenergie ten erhöhen im Speziellen entscheiden und dabei eben- unternehmensinterne Ressourcen zur so überwiegend von Männern aus den Me- Förderung von Frauen nutzen, und dien, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft Unterstützung von Koalitionen, welche beraten werden, dort werden androzentri- daran arbeiten, die Inklusion im betref- sche Strukturen reproduziert. Auf der ande- fenden Sektor zu erhöhen ren Seite dürfte die Umsetzung von eigenen Die Ansatzpunkte erscheinen unterschied- Bürgerenergieprojekten durch Frauen bei lich gut auf Bürgerenergie anwendbar zu höheren weiblichen Partizipationsraten in sein. Auf der Basis der eigenen Erhebung den energiewirtschaftlichen Berufen und und Analyse sollen die strategischen An- Studiengebieten deutlich wahrscheinlicher satzpunkte im Fazit wieder aufgegriffen werden: „Man knüpft im Ehrenamt an den werden. Themen an, zu denen man bereits einen Bezug hat und macht eher seltener nochmal 10
5. Teilhabe von Frauen an der Bürgerenergie in NRW Frauen sind in der Bürgerenergie unterre- Eine frühere Erhebung aus dem Jahr 2012 präsentiert. Dies bestätigt auch die vorge- ergab beispielsweise einen Anteil von 20 % nommene Erhebung in NRW, wobei hierbei Frauen in deutschen Genossenschaften etwas höhere weibliche Anteilszahlen zu (Yildiz et al. 2015). Auch die bereits ange- verzeichnen sind als in früheren Erhebun- führte Studie von Jörg Radtke bestätigt den gen in Deutschland (Fraune 2015; Radtke prozentualen Anteil von Frauen in dieser 2016; Yildiz et al. 2015). 29 % der Anteils- Höhe (Radtke 2016). Eine weitere Pilotstu- eigner*innen in den befragten BEGs in die aus demselben Jahr bestätigt dieses NRW sind Frauen, die 27 % der Anteile an Geschlechterverhältnis auch für andere diesen halten. Auch wenn diese Zahlen nur Formen der Bürgerenergie wie GmbH & Co. im Bundesland NRW erhoben wurden, ge- KGs und GbRs (Fraune 2015). Hier zeigen hen die Autor*innen aufgrund der Größe sich bei der eigenen Erhebung jedoch Ent- und Diversität dieses Bundeslands davon wicklungen. Es lassen sich für die BEGs in aus, dass die Tendenz leicht steigender NRW nun beträchtliche Unterschiede bei Anteile der Frauen auch für die deutsche der Partizipation der Frauen in den einzel- Bürgerenergie im Allgemeinen angenom- nen Gesellschaftsformen in NRW nachwei- men werden kann. sen. Den höchsten weiblichen Anteil weisen 29 27 71 73 Zusammensetzung der BEG gehaltene Anteile der BEG Männer Frauen Abbildung 1: Allgemeine Teilhabe von Frauen und die tatsächlich gehaltenen Anteile der Frauen (in %); n=29 Gestellte Fragen: Wie hoch ist der Anteil der Frauen unter den Anteilseigner*innen Ihrer BEG in absolu- ten Zahlen? (Stichtag 30.09.2020)/ Wie viel Prozent der Anteile Ihrer BEG werden von Frauen gehalten? (Stichtag 30.09.2020) 11
Genossenschaften auf. 33 % der Anteils- darstellt, in der Befragung gerade von den eigner*innen sind Frauen. Im Vergleich da- weiblichen Anteilseigner*innen gestützt und zu sind es nur 14 % in den GmbH & Co. auch stärker gewichtet als von den Männern KGs (Abbildung 2). Auch zwischen den (44 % der Frauen sahen dies als wichtigen Energieformen lassen sich Unterschiede Faktor, während nur 25 % der Männer so ausmachen. So finden wir in der Windener- antworteten). gie nur einen Anteil von 21 % Frauen unter Dieser ist im Regelfall bei einer Beteiligung den Anteilseigner*innen vor, während es an einer PV-Anlage deutlich niedriger als 37 % im Photovoltaiksektor sind (Abbildung bei Windenergieanlagen. Ebenso liegt der 3). Die festzustellenden Unterschiede der Beitragssatz bei Genossenschaften deutlich weiblichen Beteiligung in den Energie- und niedriger als bei dem Investment in einer Gesellschaftsformen stehen in einer statisti- Windenergie GmbH & Co. KG. Im Falle ei- schen Korrelation wechselseitig zueinander ner Investition ist das Geld mittelfristig ge- im Verhältnis. Jede Beteiligung basiert auf bunden und steht anderweitig nicht zur Ver- einem gewissen finanziellen Beitrag. So fügung, was sich auf die Partizipation von wurde die Annahme, dass Geld eine Hürde Frauen, die durchschnittlich über weniger für die Beteiligung an der Bürgerenergie Kapital als Männer verfügen, negativ aus- 71 67 86 29 33 14 durchschnittliche BEG eG GmbH & Co. KG Frauenanteil Männeranteil Abbildung 2: Frauenanteil unter Anteilseigner*innen nach Gesellschaftsform (in %); n=29 Gestellte Fragen: Um welche Rechtsform handelt es sich bei Ihrer Bürgerenergiegesellschaft? Wie hoch ist der Anteil der Frauen unter den Anteilseigner*innen Ihrer BEG in absoluten Zahlen? (Stichtag 30.09.2020) 12
wirken wird und als Faktor an Gewicht ge- gemeinschaftlich arbeitenden Vorstand, winnt, je höher das benötigte Investment denn als Geschäftsführerin. Beate Petersen und das damit verbundene Risiko ausfällt erklärte im Interview, dass dies vermutlich (Fraune 2018; Gawel et al. 2016). mit benötigter Flexibilität zusammenhänge. Ehrenamtliche Aufgaben könnten auch Auch in sämtlichen Führungsgremien in den abends und am Wochenende erledigt wer- befragten Bürgerenergiegesellschaften sind den. Schwieriger sei es, wenn es ein Behar- Frauen unterrepräsentiert, wenngleich zwi- ren auf feste Fristen gebe und das Ver- schen den Gremienformen deutliche Unter- ständnis dafür fehle, dass Frauen auch ne- schiede auszumachen sind. Der ver- ben dem Ehrenamt viele familiäre und pri- gleichsweise höchste Frauenanteil findet vate Pflichten erledigen müssten (Petersen sich im Gremienmodell Vorstand mit 35 %. 08.04.2021) Theresa Ungru (Landwirtin und Im Falle einer Bürgerenergiegesellschaft mit Geschäftsführerin bei Bürgerwind Altenrhei- Geschäftsführung sind in dieser durch- ne) erläuterte ihrerseits, dass auch die So- schnittlich nur in 19 % der Fälle Frauen vor- zialisierung entscheidend sei und dass zufinden. Im Aufsichtsrat stellen Frauen Frauen, die zu Hause keine Verantwortung einen Anteil von lediglich 21 % dar. Festzu- übernehmen und nicht mit hohen Geld- halten ist also, dass Frauen, wenn sie Antei- summen hantieren, dieses mit hoher Wahr- le an einer BEG in NRW halten, durchaus scheinlichkeit auch nicht alleinverantwortlich nicht nur stille Anteilseignerinnen sind, son- mit Fremdkapital tun würden (Ungru dern auch Führungsaufgaben übernehmen. 06.05.2021). Dieses allerdings deutlich häufiger in einem 79% 63% 37% 21% Anteile Frauen Anteile Männer Anteile Frauen Anteile Männer Windenergie Windenergie Photovoltaik Photovoltaik Abbildung 3: Anteil Frauen in der Bürgerenergie nach Technologien (in %); n= 26 (Multiple Choice) Gestellte Fragen: In welchen Sektoren und Technologien ist Ihre BEG aktiv? Wie hoch ist der Anteil der Frauen unter den Anteilseigner*innen Ihrer BEG in absoluten Zahlen? (Stichtag 30.09.2020) 13
60 50 45 45 40 40 Frauenanteil Abbildung 4: Aufgabenfelder von Frauen in den Leitungsgremien der BEGs (in %); n=20 Gestellte Frage: Bei der Betreuung welcher Aufgabenfelder in Ihrer BEG sind Frauen vertreten? Blickt man noch genauer auf die Aufgaben- Das Problem der geringen Beteiligung von felder, die von Frauen in den Vorständen Frauen wird seitens der BEG- der befragten BEGs begleitet werden, so Repräsentant*innen durchaus wahrgenom- ergeben sich gewisse Schwerpunkte. Frau- men. Die befragten Repräsentant*innen en sind am häufigsten im Marketing zu fin- bewerten die Beteiligung von Frauen größ- den (60 % der BEGs gaben das an). Wei- tenteils als nicht angemessen. 61 % sehen terhin sind Frauen, wenn sie in verantwortli- Frauen unter den Anteilseigner*innen als cher Position tätig sind, in der Hälfte oder unterdurchschnittlich repräsentiert an, nur knapp der Hälfte der befragten BEGs im 21 % betrachten diese als sehr angemes- Aufsichtsrat, im Vorstand oder in der Mit- sen repräsentiert (Abbildung 5). Noch deut- gliederwerbung tätig. 40 % der BEGs ver- licher gestaltet sich diese Einschätzung bei meldeten aber auch, dass Geschäftsführung der Repräsentation von Frauen in leitenden oder Finanzmanagement durch Frauen Gremien. 68 % betrachten Frauen als unter- ausgeübt werden, wohlgemerkt unter der repräsentiert, nur 11 % sehen diese hier als Prämisse, dass Frauen überhaupt in den angemessen repräsentiert an (Abbildung 6). Führungsgremien tätig sind (Abbildung 4). 14
21 61 18 Sehr angemessen repräsentiert Durchschnittlich repräsentiert Unterdurchschnittlich repräsentiert Abbildung 5: Wahrnehmung der Teilhabe von Frauen bei den Anteilseigner*innen (in %); n=28 Gestellte Frage: Wie bewerten Sie die Partizipation von Frauen unter den Anteilseigner*innen? 11 21 68 Angemessen Durchschnittlich Unterrepräsentiert Abbildung 6: Wahrnehmung der Teilhabe von Frauen in den leitenden Gremien (in %); n=28 Gestellte Frage: Wie bewerten Sie die Partizipation von Frauen in Ihren leitenden Gremien? Bei den weitergehenden Annahmen zu den abschreckend wirken, während diese Ein- strukturellen Hürden für die Beteiligung von schätzung nur 17,5 % der Frauen teilen. Auf Frauen an der Bürgerenergie gehen die der anderen Seite wurden die fehlenden Einschätzungen von Frauen und Männern finanziellen Mittel von den befragten Frauen auseinander. So vermuten 26 % der Män- als Faktor deutlich stärker gewichtet als von ner, dass technische Projekte auf Frauen den Männern (43,7 % der Frauen und 24,5 15
Sonstiges 18 16 fehlende Zeit 15 25 schwierige politische Rahmenbedingungen für 20 22 Bürgerenergie technische Projekte wirken abschreckend 26 18 Projekte wirken (gerade für Frauen) nicht offen 29 26 für Partizipation fehlende finanzielle Mittel von Frauen 25 44 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Männer Frauen Abbildung 7: Angenommene Hürden für mehr Beteiligung von Frauen nach Geschlechtern (in %); n=319 Gestellte Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden für eine Beteiligung in einer BEG? % der Männer nannten diesen Grund). Auch Frauen in vielen Fällen anders einbringen. die fehlende Zeit wird von Frauen stärker So seien die Gesellschafterversammlungen als Problem gesehen als von den Männern in ihr bekannten Kommandit-Gesellschaften (25,2 % der Frauen, aber nur 15,2 % der stets durch männliche Beiträge dominiert. In Männer gaben diese Einschätzung ab) (Ab- der Folge seien die Organe eben oft haupt- bildung 7). Laut Catharina Hoff (Vorstands- sächlich mit Männern besetzt und die Frau- mitglied bei BürgerWIND Westfalen) macht en, die sich weniger mit „Fragen rund um diese Zeit, die zur Verfügung steht, um sich Jahresabschlüsse“ beschäftigen, seien in mit einem Thema zu beschäftigen, einen ihren Beiträgen deutlich zurückhaltender großen Unterschied. Als Folge würden sich (Hoff, 29.04.2021). 16
5.1. Teilhabe von Frauen in kleinen Bürgerenergiegesellschaften Die Teilhabe von Frauen in kleinen BEGs ist weibliche Beteiligung unwahrscheinlicher sehr niedrig. Sie stellen gerade einmal 7 % werden, da Frauen, wie bereits gezeigt, in der Anteilseigner*innen dar. Wichtig ist hier- GmbH & Co. KGs deutlich unterrepräsen- bei klarzustellen, dass eine Einteilung einer tiert sind (14 % der Anteilseigner*innen sind BEG in die Unterkategorie „kleine BEG“ hier Frauen). Auch der Landwirtschaftssek- dann erfolgte, wenn diese insgesamt weni- tor bleibt männerdominiert. Ca. 36 % der ger als vierzig Anteilseigner*innen aufzu- Beschäftigten im deutschen Landwirt- 8 weisen hatte (Abbildung 8). Damit ist also schaftssektor sind Frauen. Blickt man auf noch nichts über das Investitionsvolumen die Entscheidungsstrukturen, verringert sich der BEG ausgesagt. dieser Anteil noch einmal. Nur 11 % der Betriebsleitenden sind weiblich, obwohl häu- Stichproben haben ergeben, dass viele die- fig Frauen „Impulsgeberinnen für neue Be- ser kleinen BEGs an landwirtschaftliche wirtschaftungsweisen, Betriebszweige oder Betriebe angeschlossen sind und oftmals Vermarktungskonzepte auf den Höfen“ sind GmbH & Co. KGs sind, die in Windenergie (Deter 28.01.2021). Auch die Betriebsnach- investieren. Alle diese Faktoren lassen 71 93 29 7 durchschnittliche BEG BEG < 40 Anteilseigner*innen Frauenanteil Männeranteil Abbildung 8: Der niedrige Frauenanteil in kleinen BEGs (in %); n= 29 Gestellte Fragen: Wie viele Anteilseigner*innen weist Ihre BEG in absoluten Zahlen auf? (Stichtag 30.09.2020)/ Wie hoch ist der Anteil der Frauen unter den Anteilseigner*innen Ihrer BEG in absoluten Zahlen? (Stichtag 30.09.2020) 8 In der Datenauswertung der eigenen Stichprobe zeigten sich deutliche Sprünge für die Teilhaberate von Frau- en, wenn die Gesamtzahl der Anteilseigner*innen über 40 lag. 17
folge ist sehr männlich geprägt und geht im mals feststehende Netzwerke, innerhalb Falle der Hofnachfolge in der Regel auf den derer gemeinsame, neue Windprojekte rea- Sohn über (ebd.). lisiert werden. Der Einstieg für außenste- hende, potenzielle Gesellschafterinnen wür- Eine Studie des Unternehmens AgriExperts, den somit bereits dadurch erschwert, dass in der Frauen zu ihrer Rolle in der Landwirt- durch die vorhandene Netzwerkstruktur schaft befragt wurden, ergab zudem, dass stets ausreichend potenzielle Gesellschafter Frauen sehr häufig über ihren Partner oder vorhanden seien und Kapital in vielen Fällen ihre Familie in die Höfe eingebunden sind. nicht mehr „außen gesucht werden“ müsse. Etwas mehr als die Hälfte dieser Frauen Auf diese Weise würde sich aber auch trifft betriebliche Entscheidungen mit ihren nichts an dem geschlechterspezifischen Partnern, knapp ein Drittel gibt an, dass der Verhältnis der Anteilseigner*innen ändern Partner das letzte Wort bei diesen Ent- (Hoff, 29.04.2021). scheidungen hat. Jede zehnte Frau hat gar kein Mitspracherecht (AgriExperts 2019). Ein weiterer ganz praktischer Grund ist laut Für die Beteiligung an bäuerlicher Bürger- Heinz Thier (Geschäftsführer bei BBWind windenergie sind diese Daten von hoher Projektberatungsgesellschaft mbH), dass Relevanz. Denn wer das Land besitzt und die Eintragung der Frau als Kommanditistin die betrieblichen Entscheidungen trifft, der einer Windenergieanlage in der Ehe sozial- entscheidet wahrscheinlich auch darüber, versicherungspflichtige Nachteile bedeuten ob eine Windenergieanlage auf dem Land- würde, sodass, um diese Benachteiligung stück gebaut wird. Zwar sind nach der Ein- zu verhindern, die Männer als Eigentümer schätzung von Theresa Ungru Frauen sehr eingetragen würden. Es kann also zumin- häufig informell in den Familien in die Ent- dest die These aufgestellt werden, dass, scheidungen, die den Hof betreffen, einge- wenn Männer das Haupteinkommen stellen bunden, und das umfasst dann auch ein und die Frau über den Ehemann kranken- potenzielles Windenergieprojekt (Ungru versichert ist, es eine logische Konsequenz 06.05.2021). Wenn sich dann jedoch ist, diesen Mann auch als Kommanditisten Grundstückseigentümer mit Nachbarn zu für die Windenergieanlage eintragen zu las- Interessensgemeinschaften formieren, um sen. Als weiterhin zu untersuchende Vermu- ein gemeinsames Bürgerwindenergieprojekt tung äußerte Thier, dass dies ein wesentli- zu starten, dann agieren formell häufig die cher Unterschied zu Genossenschaften sei, Männer mit- und untereinander. Catharina da die dort gezahlte Dividende nicht der Hoff setzt seit Jahren regionale Projekte mit Beitragsbemessungsgrundlage bei der So- Bürgerbeteiligung um. Sie berichtet, dass zialversicherung unterliege (Thier die Windenergiebranche in der Vergangen- 31.03.2021). heit immer eine recht männerdominierte Potenzielle Lösungen müssten ganzheitlich Branche gewesen sei. Hier bestünden oft- im landwirtschaftlichen Sektor ansetzen, um 18
sowohl der Bürgerenergie als auch der Par- „selbst bauen und selbst machen wollte“ tizipation von Frauen an dieser förderlich zu (Ungru 06.05.2021). Der Anreiz zum Sel- sein. Die landwirtschaftlichen Flächen, die bermachen müsste also gestärkt werden, zur Nutzung von Windenergie infrage kom- um mehr Bürgerenergieprojekte zu etablie- men, sind sehr begehrt. Sobald Flächen an ren. Die Kommunen sollten hierfür gemäß fremde Dritte / externe Projektierer verpach- Heinz Thier stärker in den Entscheidungs- tet werden, stehen diese nicht mehr für ein prozess integriert werden und die Projekte lokales Bürgerwindkonzept zur Verfügung. sollten gerade hinsichtlich der Teilhabemög- Einfache Quotierungen für die Teilhabe von lichkeiten der Bürger*innen der Region und Frauen, zumindest wenn sie nicht anderwei- der lokalen Wertschöpfung beurteilt werden. tig weiter unterlegt werden, erscheinen da- In einem solchen Modell könnten dann auch her nicht anwendbar, da zunächst der oder die Teilhabemöglichkeiten von Frauen fest- die Eigentümer*in einer geeigneten Fläche geschrieben werden (Thier, 31.03.2021). über die Errichtung einer Anlage entschei- Stand jetzt ist die Teilhabe als Frau an ei- det (Thier/Austermann 31.03.2021). Statt- nem Erneuerbare-Energien-Projekt noch dessen müssen Lösungsmodelle zur Förde- etwas recht Außergewöhnliches. Hierzu rung der BEG und zur Förderung der Frau- sagte Theresa Ungru: „Man wird zwangsläu- enteilhabe miteinander verzahnt werden. fig damit konfrontiert, dass es wenige Frau- Theresa Ungru erklärte, dass die Angebote en in diesem Bereich gibt. Ich möchte nichts zur Pacht der landwirtschaftlichen Flächen, Besonderes sein, doch es wird immer direkt die ihr unterbreitet wurden, nicht attraktiv bemerkt“ (Ungru, 06.05.2021). genug waren und dass man stattdessen 5.2. Fördernde und limitierende Faktoren für die Beteiligung an Bürgerenergie An BEGs in NRW beteiligen sich in der lich 6,2 % der befragten weiblichen Anteils- Mehrheit ältere Menschen, die bereits im eignerinnen sind jünger als vierzig Jahre. Ruhestand sind (51 % sind älter als 67 Jah- Dass gerade junge Frauen sehr selten Zu- re alt). Junge Menschen bis vierzig Jahren gang zur Bürgerenergie finden, muss unter haben an den BEGs in NRW lediglich einen paritätischen Gesichtspunkten kritisch hin- Anteil von 4 %. Auch für die Teilhabe von terfragt werden. Bereits zuvor wurde auf die Frauen lässt sich nachweisen, dass diese umfangreiche Teilnahme von jungen Frauen im Regelfall älter als vierzig Jahre alt sind an den Demonstrationen von Fridays for und dass mit 41,6 % ein signifikanter Anteil Future verwiesen. Gefragt nach den Grün- ebenfalls schon über 67 Jahre alt ist. Ledig- dungszielen der eigenen BEG, gaben die 19
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