DROGENKURIER - Deutsche Aidshilfe

 
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DROGENKURIER - Deutsche Aidshilfe
DROGENKURIERmagazin des jes-bundesverbands
mai 2019
 nr. 118

           SAVE THE DATE
           27.09.2019 | KÖLN
           30 Jahre JES-Netzwerk –
           ein unschlagbares Team !
           Fachtag anlässlich des 30-jährigen Bestehens
           des Netzwerks von Junkies, Ehemaligen
           und Substituierten
DROGENKURIER - Deutsche Aidshilfe
editorial            DROGENKURIER

Liebe Leserinnen und Leser, Förderinnen und Förderer
des DROGENKURIER , liebe Freundinnen und Freunde
des JES-Bundesverbands
30 Jahre JES-Bundesverband – 15 Jahre JES NRW                           Substitutionsbehandlung – die Versorgungslage bleibt
Anlässlich dieser beiden Jubiläen werden der Bundesverband              angespannt
und der Landesverband einen Fachtag im September 2019                   Alle Leserinnen und Leser des DROGENKURIER haben verfolgt,
durchführen. Die beiliegende Postkarte soll dazu beitragen,             dass sich JES und die Deutsche AIDS Hilfe in den letzten 2 Jah-
dass alle Leser_innen des DROGENKURIER dieses Datum in                  ren, gemeinsam mit vielen anderen, intensiv um die Novellie-
ihrem Kalender vermerken, um dann im September nach Köln                rung der Betäubungsmittel Verschreibungs Verordnung (BtmVV)
zum Fachtag kommen zu können. Anmeldeunterlagen werden                  gekümmert hat. Dies mit dem Ziel mittelfristig die Versorgung in
in den nächsten Wochen verschickt.                                      Sachen Substitutionsbehandlung sicherzustellen. Seit Dezem-
Pünktlich zum 30 jährigen Geburtstag des JES-Bundesver-                 ber 2018 sind nun alle Richtlinien zur Substitution verändert und
bands präsentiert sich die JES Webseite unter www.jes-bun-              angeglichen. Aus diesem Grund darf es niemanden wundern,
desverband.de im völlig neuen Design. Neben neuen Inhalten              dass die in dieser Ausgabe vorgestellten Daten des Substituti-
bietet die Webseite nun auch die Möglichkeit über einen JES-            onsregisters 2018 eine weiterhin angespannte Lage zeigen. So
Webshop JES-Medien zu unterschiedlichen Themen zu be-                   wurden am 1. Juli 2018 in Deutschland 79.400 Opiatkonsument_
stellen. Für das immer noch rein ehrenamtlich arbeitende                innen substituiert. Dies sind nochmals 600 Patient_innen mehr
Team war der Relaunch der Webseite eine große Herausfor-                als 2017 und die höchste jemals gemeldete Zahl behandelter Pa-
derung. Daher freuen sich alle auf Ihren und euren Besuch auf           tient_innen. Im Gegensatz dazu verringerte sich die Anzahl der
www.jes-bundesverband.de                                                Behandler_innen erneut. Die Reduktion um 14 Ärzte ist überaus
                                                                        gering, aber es bleibt dabei das keine Trendwende bei der Anzahl
                                                                        von Suchtmedizinern zu erkennen ist. Mehr dazu ➞ Seite 6
Drogentodesfälle auf weiterhin hohem Niveau
Im April 2019 wurden wir durch die Drogenbeauftragte der Bun-           „Vom Harz bis ans Meer“
desregierung auf den aktuellen Stand in Bezug der Drogentodes-          So lautet der Name der neuen Safer Use Kampagne der AIDS
fälle des Jahres 2018 gebracht. Im Jahr 2018 verstarben 1276            Hilfe Niedersachsen, die gemeinsam mit Drogenhilfen und JES
Menschen an den Folgen von Illegalität, Überdosierung, Schwarz-         Gruppen konzipiert wurde und anlässlich des „International Drug
marktsubstanzen, Suizid und Unfall. Dies sind 4 Personen mehr           Checking Day“ 2019 am 31. März präsentiert wurde. Mit dem
als im Jahr 2017. Auch in diesem Jahr warteten viele Betroffene,        Slogan „Safer Use – Vom Harz bis ans Meer“ werden zunächst
Verbände und Fachleute aus Medizin und Wissenschaft auf kon-            60.000 Packs mit sterilen Konsumutensilien und Gebrauchsanlei-
krete Maßnahmen um diese seit vielen Jahren dramatisch hohe             tungen an Beratungs- und Anlaufstellen verteilt. In den drei unter-
Zahl von „Drogentoten“ zu reduzieren. Wie in den Jahren zuvor           schiedlichen Care Sets – Spritzen, Sniefen, Rauchen – befinden
wurden alle bitter enttäuscht. Das bloße Bedauern ist zu wenig für      sich außerdem leicht verständliche Tipps für einen risikominimie-
Angehörige, Freunde und viele Menschen aus der Fachwelt. Allein         renden Drogenkonsum. Zusätzlich wird damit für regelmäßige
der sicherlich richtige Hinweis an Länder und Kommunen für eine         HIV/Hepatitis-Tests geworben. Unser Beitrag ➞ Seite 16 stellt
gute finanzielle Ausstattung der Suchthilfe Sorge zu tragen reicht      die Kampagne ausführlich vor.
bei weitem nicht aus. Mehr dazu in unserem Topthema ➞ Seite 3                                                        Das Redaktionsteam

IMPRESSUM                                      DAH-Bestellnummer: 102118                        Der DROGENKURIER wird
                                               ISSN: 2512-4609                                  unterstützt durch:
Nr. 118, Mai 2019                              Auflage: 4.500 Exemplare                         (Nennung in alphabetischer Reihenfolge)
Herausgeber des DROGENKURIER:                  Redaktion: JES-Bundesvorstand,                   Deutsche Aidshilfe e.V.,
JES*-Bundesverband e.V.                        Dirk Schäffer                                    GL Pharma, Hexal, INDIVIOR,
Wilhelmstr. 138, 10963 Berlin                  Mitarbeit: T. Greiwe, S. Gurinova,               Mundipharma, Sanofi Aventis
Tel.: 030/69 00 87-56                          O. Ostermann
Fax: 030/69 00 87-42                           Titelfoto: Reinhard Sester / AdobeStock          * Junkies, Ehemalige, Substituierte
Mail: vorstand@jes-bundesverband.de            Layout, Satz: Carmen Janiesch                    Die Nennung von Produktnamen bedeutet keine
www.jes-bundesverband.de                       Druck: Wir-machen-Druck.de                       Werbung

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Ein Stein für jeden Drogentoten in Augsburg

   1.276 Drogentodesfälle –
     Bedauern und Trauer
        allein hilft nicht
                                      Ein „weiter so“ darf es nicht geben

              Vor wenigen Wochen war es mal                Im Jahr 2018 verstarben 1.276 Menschen an den Folgen von Il-
                                                           legalität, Überdosierung, Schwarzmarktsubstanzen, Suizid oder
          wieder soweit, die Drogenbeauftragte             Unfall. Dies sind 4 Personen mehr als im Jahr 2017. Auch in die-
          der Bundesregierung Marlene Mortler              sem Jahr warteten viele Betroffene, Verbände und Fachleute aus
                                                           Medizin und Wissenschaft auf konkrete Maßnahmen um diese,
           verkündete die Drogentodesfälle für             seit vielen Jahren dramatisch hohe Zahl von „Drogentoten“, zu
                                 das Jahr 2018             reduzieren.

                                                                              3
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topthema                DROGENKURIER

Die meisten Todesfälle sind wie auch in
den Jahren zuvor auf Überdosierungen von
Opioiden wie Heroin oder Morphin zurück-
zuführen. Hier liegt die Gesamtzahl (mono-
valente und polyvalente Vergiftungen) bei
629 Verstorbenen. 2017 waren es 707 Per-
sonen. Einen Rückgang gab es bei Perso-
nen, die an den Folgen ihres Missbrauchs
von sogenannten „Neuen psychoaktiven
Stoffen (NpS)“ sowie durch fentanylbasier-
te Arzneimittel verstarben. Angestiegen
sind die Todeszahlen infolge von psycho-
aktiven Medikamenten, wie beispielsweise
Benzodiazepinen.

Aus der Pressemitteilung der Drogenbeauftragten

Wie in den Jahren zuvor wurden all jene bitter enttäuscht. Al-             „Um Leben zu retten, brauchen
lein der Hinweis an Länder und Kommunen für eine gute finan-               wir eine funktionierende Sucht-
zielle Ausstattung der Suchthilfe Sorge zu tragen reicht leider
nicht. Selbstverständlich ist es richtig, dass viele Drogenhilfen fi-
                                                                           hilfe vor Ort!“
nanziell schlecht ausgestattet sind. Zudem wird von ihnen eine
                                                                                                                 Marlene Mortler
immer differenziertere Arbeit erwartet. Als Stichworte sind hier
genannt Geflüchtete, neue psychoaktive Substanzen, psychiat-
rische Komorbidität, Sucht und Alter usw. Die Drogenhilfe soll          ren die Zahl der Drogenkosnument*innen zu reduzieren sowie
zudem maßgeblich dazu beitragen, die Ziele der WHO und der              die Prävalenz von HIV und Hepatitis dramatisch zu minimieren.
Bundesregierung bis 2030 zu erreichen. Dies ist mit dieser finan-
ziellen Ausstattung sicher nicht möglich. Daher hat die kommu-          Ein einfaches „weiter so“ ist nicht mehr vermittel-
nale Suchthilfe einen kräftigen Schluck aus der Pulle verdient.         bar. 1.276 Drogentodesfälle in Deutschland sind ein
                                                                        Skandal und Ausdruck eines drogenpolitischen Irr-
Innovationen Fehlanzeige                                                wegs. Selbst eine Überprüfung des Betäubungsmit-
Aber wer von der Bundesregierung und seiner Drogenbeauf-                telgesetzes im Hinblick auf intendierte und nicht
tragten zumindest einige Eckpunkte für eine angepasste Stra-            intendierte Effekte wurde mit den Stimmen der SPD
tegie erwartet hatte sieht sich enttäuscht. Seit vielen Jahren          abgelehnt.
vernachlässigt die Drogenbeauftragte als Vertreterin der Bun-
desregierung in Suchtfragen, die Säule Schadensminderung                Ja, wir wissen das es ein Modellprojekt Naloxon in Bayern gibt.
(Harm Reduktion). Sie hat Richtlinienkompetenz und könnte,              Das ist positiv zu bewerten. Allerdings reagierte die Landesre-
ohne selbst Geld in die Hand zu nehmen, zumindest wesentli-             gierung erst als ihr das Wasser, aufgrund einer exorbitant hohen
che evidenzbasierte Angebote im Bereich Harm Reduktion posi-            Zahl von Drogentoten, bis zur Unterlippe stand. So werten viele
tiv darstellen um so ihre Länderkolleg*innen stärker in die Pflicht     dieses Modellprojekt als ein Feigenblatt, das dazu beiträgt keine
zu nehmen.                                                              Drogenkonsumräume einrichten zu müssen und das erstmal
   Kein Wort zu Naloxon, kein Wort zu Drogenkonsumräumen                Ruhe schafft.
und kein Wort zu Drug Checking. Fast alle Fachleute sind sich ei-           Es reicht nicht aus, dass wir nun drei Jahre warten bis Ergeb-
nig, dass das totale Drogenverbot, sowie die Verfolgung von Er-         nisse kommen. Naloxon ist keine Wissenschaft und wird in vielen
werb, Besitz und Konsum seit einigen Jahrzehnten keine wahr-            Ländern der Welt erfolgreich gegen Opioidüberdosen eingesetzt.
nehmbaren Erfolge zeigt. Es wäre an der Zeit sich einmal intensiv           Viele Träger, Verbände und Drogenkonsument*innen fühlen
mit dem portugiesischen Modell auseinanderzusetzen, das mit             sich alleingelassen. ■
einer Entkriminalisierung dazu beitrug, innerhalb von 10 Jah-                                                          JES-Bundesverband

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Gemeinsam mehr Gesundheit erreichen.
www.mundipharma.de

                                         ZIELE
                                        SETZEN
                                          UND
                                       ERREICHEN

                                       STABILITÄT
                                        GESUNDHEIT
                                         FAMILIE
                                           JOB

                         Die Substitutionstherapie von
                                Mundipharma
                           unterstützt und begleitet
                     ZUM PERSÖNLICHEN ZIEL
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topthema              DROGENKURIER

Bericht zum
Substitutionsregister 2018
         Abb.1: Anzahl gemeldeter Substitutionspatienten in Deutschland von 2009 bis 2018
         (jeweils Stichtag 1. Juli)
                                                                                             78.500       78.800        79.400
80.000
                  77.400                             77.300       77.500       77.200
                           76.200       75.400
         74.600

70.000

60.000

50.000

40.000
          2009     2010     2011         2012          2013         2014         2015         2016          2017         2018

                                                Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte / Substitutionsregister

         Abb. 2: Anzahl meldender, substituierender Ärzte in Deutschland von 2009 bis 2018
         (jeweils Stichtag 1. Juli)

 2.800
         2.700     2.710    2.703       2.731         2.691
                                                                   2.650
                                                                                2.613         2.590        2.599        2.585
 2.600

 2.400

 2.200

 2.000
          2009     2010     2011         2012          2013         2014         2015         2016          2017         2018

                                                Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte / Substitutionsregister

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Seit dem 1. Juli 2002 hat jeder Arzt, der Substitutionsmittel für   Kommentar zur Konsilliarregelung
opiatabhängige Patient*innen verschreibt, der Bundesopium-
stelle im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte       des JES-Bundesverbands
(BfArM) unverzüglich die vorgeschriebenen Angaben u.a. zum
Patienten und dem Substitutionsmedikament zu übermitteln.            Seit vielen Jahren setzen sich der JES-Bundesverband
   Zu den Aufgaben des Substitutionsregisters gehören neben          und die Deutsche Aidshilfe u. a. als Patient*innen-Orga-
der Überprüfung von Mehrfachverschreibungen, die Übermitt-           nisationen kritisch mit der Konsilliarregelung auseinan-
lung statistischer Auswertungen an die zuständigen Überwa-           der. Dies aus verschiedenen Gründen.
chungsbehörden und obersten Landesgesundheitsbehörde
                                                                     Die Qualität der Behandlung:
79.400 substituierte Patient*innen – ein neuer
Höchststand                                                          Unserer Meinung nach sollte jede Ärztin und jeder
Die Zahl der gemeldeten Substitutionspatient*innen ist in den        Arzt, die/der in der Suchtmedizin tätig ist, und eine Be-
ersten Jahren der Meldepflicht kontinuierlich angestiegen. Von       handlung mit Betäubungsmitteln, also hochpotenten
46.000 Patient*innen im Jahr 2002 auf 75.400 Patient*innen zehn      Medikamenten durchführt, zwingend die formale Qua-
Jahre später.                                                        lifikation haben. Die Suchtmedizin ist ein sehr kom-
   Am 1. Juli 2018 wurden in Deutschland 79.400 Opiatkonsu-          plexes Indikationsfeld in dem Behandler*innen neben
ment*innen substituiert. Dies sind nochmals 600 Patient*innen        pharmakologischen Kenntnissen auch Detailkenntnis-
mehr als 2017 und die höchste jemals gemeldete Zahl behandel-        se zur Suchtentwicklung haben müssen. Darüber hinaus
ter Patient*innen.(siehe Abb. 1)                                     können aus unserer Sicht nur diejenigen eine Substi-
    Ob die zuletzt nur noch geringen Steigerungsraten bei den        tutionsbehandlung durchführen, die sich mit den Le-
Patient*innenzahlen mit der seit Jahren rückläufigen Anzahl          bensumständen ihrer Patienten auseinandergesetzt
substituierender Ärzte in Verbindung steht, oder die Grenze der      haben und auch bereits einmal etwas vom Element der
erreichbaren oder behandlungswilligen Opiatgebraucher*innen          Schadensminderung, als Säule der Drogen- und Ge-
erreicht ist, darüber gibt der Bericht keine Auskunft.               sundheitspolitik gehört haben. Schließlich stellt die Sub-
                                                                     stitutionsbehandlung ein Kernangebot dieser Säule dar.
Zahl der substituierenden Ärzte sinkt weiter –
                                                                     Die heute vielfach kostenlose und im Umfang nicht üp-
Trendwende bleibt aus
                                                                     pige Fortbildung ist jedem Arzt und jeder Ärztin zuzumu-
Trotz einiger Kampagnen und gezielter Maßnahmen zur Stei-
                                                                     ten, wenn er/sie sich in dieses Indikationsfeld begeben
gerung der Zahl von Ärzt*innen, die sich für die Substitutions-
                                                                     will.
behandlung interessieren und auch Opioidkonsument*innen
behandeln wollen, sinkt die Zahl von Behandler*innen weiter.         Aber JES und DAH sehen die Konsilliarreglung auch
   Sicherlich ist die Reduktion um 14 Behandler*innen im Ge-         aus einem anderen Grund sehr kritisch. Diese Rege-
gensatz zum Vorjahr nicht dramatisch, aber besorgniserregend         lung fördert die Behandlung in Praxen oder Ambulan-
bleibt einfach, dass es nicht zu gelingen scheint eine wirkliche     zen mit vielen hundert Patient*innen. Die Angaben des
Trendwende zu erzielen. (Abb. 2)                                     Substitutionsregisters zeigen, dass die 548 Ärzt*innen
                                                                     nur 1 % aller Patient*innen behandeln. Dies wären etwa
Jedem fünftem substituierendem Arzt fehlt                            800 Patienten.
weiterhin die Fachkunde
                                                                     Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die verblei-
2018 behandelten 548 Ärzte – also etwa 21 Prozent der substitu-
                                                                     benden ca. 2000 Behandler*innen 99 % (78.600) der
ierenden Ärzte – ihre Patient*innen ohne die Fachkunde Sucht-
                                                                     Patient*innen therapieren. Dies macht einmal mehr die
medizin. Die sogenannte „Konsiliarregelung“ ermöglicht Ärzten
                                                                     dramatische Situation deutlich. Wir stellen in Frage ob
ohne suchtmedizinische Qualifikation seit dem 2.10.2017 bis zu
                                                                     die hieraus resultierenden Großpraxen mit einigen hun-
zehn Patient*innen (vorher bis zu drei Patienten) gleichzeitig zu
                                                                     dert Substituierten die erforderlichen Qualitätsansprü-
substituieren. Erforderlich ist allerdings, dass ein suchtmedizi-
                                                                     che erfüllen können.
nisch qualifizierter Arzt in die Behandlung einbezogen wird.
                                                                     Wir fordern daher, dass die Fachkunde
Methadon verliert weiter an Bedeutung
                                                                     spätestens zwei Jahre nach dem Beginn
Ein Blick auf die Entwicklung der zur Substitution verschriebe-
nen Medikamente zeigt interessante Veränderungen. Die Vor-           der Substitution zwingend erworben
machtstellung des Medikaments „Methadon“ verringert sich von         werden muss.
Jahr zu Jahr.

                                                                                     7
DROGENKURIER - Deutsche Aidshilfe
topthema               DROGENKURIER

 Abb. 3: Art und Anteil der gemeldeten Substitutionsmittel (Stichtag 1. Juli 2018)

                                                                      Methadon 39,4 %

                                                                      Levomethadon 35,2 %

                                                                      Buprenorphin 23,1 %

                                                                      Diamorphin 1,0 %

                                                                      Morphin 1,0 %

                                                                      Codein 0,1 %

                                                                      Dihydrocodein 0,1 %

                                                                 Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte / Substitutionsregister

   Während 2002 fast dreiviertel (72,1 %) der Patient*innen mit
                                                                          von Patient*innen, die bisher wenig von der Substitution
Methadon substituiert wurden, lag der Anteil am 1. Juli 2018 nur
                                                                          profitierten und mit dem Wechsel auf Morphin sehr po-
noch bei 39,4 %. Methadon bleibt noch das überwiegend ver-
                                                                          sitive Entwicklungen beschreiben, nicht ausreichend zur
schriebene Medikament, dessen Anteil jedoch seit 15 Jahren fast
                                                                          Geltung bringt. Wir als Patientenorganisation würden uns
kontinuierlich fällt (Abb.3).
                                                                          wünschen, dass Ärzt*innen ohne Vorbehalte das Medika-
   Eine genau gegensätzliche Entwicklung zeigt sich bei der Ver-
                                                                          ment wählen, dass nach Ansicht von Behandler*in und
schreibung von Levomethadon. Hier steigt der Anteil der Ver-
                                                                          Patient*in den größten Nutzen erbringt. Nur dies darf
schreibung seit 15 Jahren kontinuierlich an. Während 2002 ledig-
                                                                          handlungsleitend sein.
lich 16,2 % der Patient*innen Levomethadon erhielten, hat sich
die Zahl bis heute mit 35,2 % mehr als verdoppelt.
   Eine ähnliche Entwicklung, wenngleich auf geringerem Ni-            Lagen die Anteile im Juli 2017 bei 0,6 %, so wurden im Jahr 2018
veau, vollzieht sich bei der Verschreibung von Buprenorphin.           1 % (etwa 800 Personen) der Substitutionspatient*innen, mit re-
Während der Anteil kurze Zeit nach der Markteinführung bei             tardiertem Morphin behandelt.
9,7 % lag, haben sich die Anteile der Buprenorphinverschreibung
in den letzten 15 Jahren mit 23 % ebenso mehr als verdoppelt. Al-      Werden Veränderungen durch die neue BtMVV
lerdings stagnieren die Anteile der mit Buprenorphin behandel-         sichtbar?
ter Patient*innen seit etwa 4 Jahren.                                  Ein Ziel der 3. Verordnung zur Änderung der BtMVV aus 2017 ist
                                                                       es, mehr Ärzte zur Durchführung von Substitutionsbehandlun-
Retardiertes Morphin gewinnt Marktanteile                              gen zu bewegen und in ländlich strukturierten Gebieten die Be-
Im April 2015 wurde mit retardiertem Morphin die bisher letz-          handlung der Patienten flächendeckend sicherzustellen. Der
te neue Substanz in Deutschland zur Substitutionsbehandlung            aktuelle Bericht des BfArM trifft hierüber noch keine Aussage. ■
zugelassen.
                                                                           JES und die Deutsche Aidshilfe …
  Diese mit vielen Vorurteilen belastete Substanz hatte aus                … halten es auch für verfrüht schon jetzt die Änderungen
  Sicht des JES-Bundesverbands und der DAH einen schweren                  der BtMVV zu bewerten. Sicherlich stehen die rechtlichen
  Start. So sollte diese neue Substanz als „second Line“ Medi-             Rahmenbedingungen bereits seit Herbst 2017, aber wir soll-
  kament gehandhabt werden und Patient*innen hätten bei                    ten nicht vergessen, dass der GBA seine Richtlinien erst zum
  einem Wechsel auf ihre Take Home Verordnung verzichten                   Ende des Jahres 2018 fertigstellte.
  müssen, da sowohl KVén als auch Kassen eine Take Home
  Verordnung unterbinden wollten.                                                                                                     Dirk Schäffer
     Ein mehr als schwieriger Start, der aus Sicht des JES-
                                                                       ▶ Der Gesamtbericht steht unter
  Bundesverbands die überaus positiven Entwicklungen
                                                                       https://bit.ly/2WRuNRy zum Download bereit.

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DROGENKURIER - Deutsche Aidshilfe
www.jes-bundesverband.de                             topthema

„Ein Pieks“ alle vier Wochen
                    Neues Depotpräparat zur Substitutionsbehandlung

           Seit Anfang Februar ist die                                                                        Nach einleitender Behandlung mit der
     Depotspritze Buvidal® auf dem                                                                         wöchentlichen Dosis kann auf die monat-
     Markt. Das erste lang wirksame                                                                        liche Dosis umgestellt werden. Bei denje-
           Buprenorphin-Präparat zur                                                                       nigen, die noch nie Buprenorphin einge-
    Substitutionsbehandlung. Damit                                                                         nommen haben, sollte die Verträglichkeit
                                                                                                           vor der ersten Anwendung mit wöchent-
    steht erstmals ein Substitutions-
                                                                                                           lichem Buvidal® getestet werden.
 mittel zur Verfügung, das nur noch
 wöchentlich oder sogar nur einmal                                                                         Ein „Pieks“ für maximal
im Monat verabreicht wird und kon-                                                                         vier Wochen gleichbleibende
  tinuierliche den Wirkstoff freisetzt.                                                                    Wirkung – kann das
                                                     Buvidal®
                                                     mit der Dosierung 24 mg                               funktionieren?
Das eröffnet neue Möglichkeiten in der               wird einmal wöchentlich vergeben                      Die Technologie des Präparats ermöglicht
Behandlung und schafft Freiräume für                                                                       es, dass Wirkstoffe langanhaltend freige-
Patient*innen. Fallen die täglichen Besuche in der Arztpraxis                      setzt werden. Die Depot-Injektion besteht aus einer Flüssigkeit,
weg, wird es zum Beispiel leichter möglich, regelmäßige Arbeits-                   in der ein Wirkstoff gelöst ist. Im Gewebe verwandelt sich die Lö-
zeiten einzuhalten. Denn ca 20 % der Substituierten gehen einer                    sung in ein Gel, das den Wirkstoff effektiv einschließt. Das Depot
täglichen Beschäftigung nach. Das gilt gerade für Patient*innen                    baut sich im Gewebe über die Zeit ab, so dass auch der Wirkstoff
im ländlichen Raum, die bislang weite Fahrtwege zu ihrer Arzt-                     nach und nach freigesetzt wird. Die Wirkung des Buprenorphins
praxis und damit einen hohen Zeitaufwand haben. Auch Reisen                        tritt schnell und vorhersagbar ein und der Wirkstoffspiegel ist
und generell längere Abwesenheiten werden erleichtert.                             gleichbleibend. Das schützt vor Überdosierung und Entzugser-
                                                                                   scheinungen sollen wirksam unterdrückt werden. ■
Verabreichung von Buvidal® nur durch
medizinisches Fachpersonal
Buvidal® wird in Form von vorgefüllten Fertigspritzen ange-                             JES und die Deutsche Aidshilfe …
wendet. Die Injektion erfolgt unter die Haut, in die Bereiche am                        … sehen die Einführung einer Buprenorphin-Depotinjekti-
Gesäß, Oberschenkel, Bauch oder Oberarm. Die Vergabe darf nur                           on mit bis zu vier Wochen Wirkdauer grundsätzlich positiv.
von medizinischem Fachpersonal vorgenommen werden. Subs-                                Zudem könnte die Buprenorphin-Depotspritze die Substitu-
tituierte, die bislang Buprenorphin in Tablettenform eingenom-                          tionsbehandlung in Haft erleichtern. Dort, wo immer wieder
men haben, können direkt auf wöchentliches oder monatliches                             der hohe Aufwand, geringe personelle Ressourcen sowie das
Buvidal® umgestellt werden. Die entsprechenden Dosierungen,                             Missbrauchs- und Schwarzmarktrisiko als Gründe angeführt
die der Hersteller empfiehlt, sind in nachfolgender Tabelle zu                          werden, Gefangenen die Substitution zu verweigern, könnte
finden.                                                                                 eine Depotinjektion eine wirkliche Chance darstellen.

                                                                                        Wichtig wäre, dass das neue Medikament mit seiner Depot-
   Tägliche Dosis        Wöchentliche Dosis          Monatliche Dosis
    Buprenorphin             Buvidal®                   Buvidal®                        wirkung, die immer wieder auftretenden Symptome eines
  in Tablettenform                                                                      leichten Entzugs, die bei Patienten bereits 10–20 Stunden
                                                                                        nach der Einnahme eines täglich verabreichten Medikaments
     2 bis 6 mg                   8 mg                         –                        zu beobachten sind, reduzieren kann. Es bleibt abzuwarten
                                                                                        ob auch eine Umstellung von Patient*innen, einfach möglich
     8 bis 10 mg                 16 mg                      64 mg
                                                                                        ist, die bisher mit anderen Medikamenten wie Levometha-
    12 bis 16 mg                 24 mg                      96 mg                       don, Methadonrazemat oder retardiertem Morphin substi-
                                                                                        tuiert werden.
    18 bis 24 mg                 32 mg                     128 mg

          Quelle: https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/buvidal                                                      JES-Bundesverband

                                                                                                       9
DROGENKURIER - Deutsche Aidshilfe
aus den regionen                         DROGENKURIER

20 Jahre – 20 Gesichter
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des internationalen Gedenktags für verstorbene
Drogenabhängige, jährlich begangen am 21. Juli, initiierte JES-NRW eine Postkartenaktion

                                                                  Drogenkontext sein sollte. Doch nicht
                                                                  nur die Drogentoten sprechen für die
                                                                  Notwendigkeit eines konsequenten Um-
                                                                  denkens. Konsumenten von, derzeit ille-
                                                                  galisierten, Drogen sehen sich nach wie
                                                                  vor im alltäglichen Leben konfrontiert
                                                                  mit Stigmatisierung, Ausgrenzung und
                                                                  Strafverfolgung. Auch die noch nicht flä-
                                                                  chendeckende Versorgung mit Substitu-
                                                                  tionsplätzen und die, in der Praxis teils
                                                                  nur vermeintlich freie Wahl der Substi-
                                                                  tutionsmedikamente, ist ein Thema, dass
                                                                  für User*Innen auf der Tagesordnung
                                                                  steht. Bei der Postkartenaktion zum Ge-
                                                                  denktag beteiligten sich JESler*Innen aus
Wie der Titel schon vermuten lässt, ging es
bei der Aktion darum, den Wünschen und
Forderungen an die aktuelle Drogenpoli-
tik ein Gesicht zu geben. Die Drogenpoli-
tik hat in den letzten Jahrzehnten bereits
einen großen Wandel durchgemacht.
Trotz aller Errungenschaften, wie etwa
Drogenkonsumräumen und Spritzenver-
gabe, leiden Drogenkonsument*Innen
jedoch nach wie vor unter der Prohibi-
tion und den damit verbundenen Be-
gleiterscheinungen. Allein im Jahr 2018
gab es rund 1.276 verzeichnete Drogen-
tote in Deutschland – eine Zahl, die alar-
mierend für Politik und Professionen im
                                                                  ganz Nordrhein-Westfalen, welche sich in
                                                                  dem Verein JES-NRW e.V. engagieren. Der
                                                                  Verein ist eine Interessenvertretung von
                                                                  Selbsthilfeinitiativen und Einzelperso-
                                                                  nen, bestehend aus aktiven, ehemaligen
                                                                  und substituierten Konsument*Innen
                                                                  derzeit illegalisierter Drogen, sowie soli-
                                                                  darischer Menschen. Begleitet wurde die
                                                                  Aktion durch den Dortmunder Fotogra-
                                                                  phen Sebastian Sellhorst (www.sebas-
                                                                  tiansellhorst.de), der in verschiedenen
                                                                  Städten Portraitaufnahmen der Engagier-
                                                                  ten machte. ■

                                                                                             Theresa Greiwe

                                              10
aus den regionen                       DROGENKURIER

Erster Drogenkonsumraum
in Baden-Württemberg
Nach monatelangem Ringen hat das grün-schwarze Kabinett in Baden-Württemberg
die Verordnung für den landesweit ersten Drogenkonsumraum einstimmig beschlossen.
Das bestätigte eine Sprecherin des Sozialministeriums heute in Stuttgart.
Die Verordnung sollte ursprünglich schon Anfang des Jahres verabschiedet werden.

DROGEN
SPRITZEN KANN
EINE SAUBERE
SACHE SEIN.

Kampagne der DAH für Drogenkonsumräume http://wusstensie.aidshilfe.de/                       Drogenkonsumraum in Essen

Nach monatelangen Bedenken hat die               Drogenkonsumräume                              Mit Karlsruhe soll Anfang 2019 die 24.
CDU-Landtagsfraktion nun am 12. Juni im                                                      Einrichtung hinzukommen.
                                                 retten Leben und
Grundsatz dem Vorhaben von Sozialmi-                                                            „Es freut mich, dass der Weg für einen
nister Manne Lucha (Grüne) zugestimmt,           verhindern HIV- und                         Drogenkonsumraum in Karlsruhe nun
eine entsprechende Landesverordnung              Hepatitis-Infektionen                       frei ist“, sagte Lucha. „Wir werden damit
zu erlassen. Sie soll zunächst auf drei                                                      die medizinische Versorgung von schwer
Jahre befristet sein.                            In Berlin, Hamburg, Nordrhein-West-         suchtkranken Menschen erheblich ver-
   Dann wäre Baden-Württemberg das               falen, Niedersachsen, Hessen und dem        bessern.“ Solche Anlaufstellen mit me-
siebente deutsche Bundesland, in dem             Saarland werden bereits Druckräume be-      dizinisch geschultem Personal könnten
Drogenkonsumräume zugelassen sind.               trieben; bundesweit sind es insgesamt 23.   vor gefährlichen Infektionskrankheiten

                                           12
www.jes-bundesverband.de                  aus den regionen

wie Hepatitis und HIV sowie vor lebens-
bedrohlichen Überdosierungen schützen.

Verordnung ist befristet und
beschränkt
                                                                   Working Junx –
Die jetzt beschlossene Verordnung ist zu-
nächst auf drei Jahre befristet. Drogen-
konsumräume sind nur vorgesehen in
                                                                           Arbeit und
Städten mit mehr als 300 000 Einwoh-
nern – neben Karlsruhe nur noch Mann-
heim und Stuttgart im Land. Mannheim
hatte bereits im vergangenen Sommer
                                                                   Beschäftigung bei
Interesse an der Einrichtung eines Dro-
genkonsumraums gezeigt. Verschiedene                                   VISION in Köln
                                             Foto:aidshilfe.de

                                                                   Mit einem runderneuerten Flyer macht die JES-Gruppe
                                                                   „VISION“ in Köln auf ihre neuen Möglichkeiten für
                                                                   Drogengebraucher*innen im Bereich von Arbeit und
                                                                   Beschäftigung aufmerksam.

                                                                      Lebst Du also in Köln
                                                                       oder Umgebung und
                                                                     willst dir Tagesstruktur
                                                                   geben? Dann melde dich
                                                                       bei den Kolleg*innen
                                                                        von VISION in Köln!

Verbände, wie die Landesstelle für Sucht-                                             Kontakt:
fragen, kritisieren die Einschränkung,
denn größere Drogenszenen gebe es auch                                             Neuerburgstr. 25
Städten mit weniger als 300.000 Einwoh-                                                 51103 Köln
nern, wie etwa in Freiburg und Ulm.                                          Tel.: 0221/82 00 73-0
   In den meisten deutschen Bundeslän-                                      Fax: 0221/82 00 73-20
dern gibt es bisher keine Drogenkonsum-                                   E-mail: info@vision-ev.de
räume. ■                                                                          www.vision-ev.de
                             Dirk Schäffer

                                                                                                      13
leben mit drogen                         DROGENKURIER

          für die
Hepatitis-C Eliminierung
Mehrsprachige Videos klären in Drogenberatungsstellen
über Hepatitis-C auf

                                                                                                erweitert. Dazu haben vor wenigen Mo-
                                                                                                naten einige Drogenberatungsstellen
                                                                                                mit Unterstützung des Medizinunter-
                                                                                                nehmens Gilead das Projekt BRAVO ent-
                                                                                                wickelt.
                                                                                                   Das Anliegen von BRAVO ist die HCV-
                                                                                                Aufklärung von Menschen die Drogen
                                                                                                auf unterschiedlichem Wege konsumie-
                                                                                                ren und ein erhöhtes Infektionsrisiko
                                                                                                haben [2]. Sie sollen gezielt und auf ver-
                                                                                                ständliche Weise informiert und moti-
                                                                                                viert werden, um Kontakt zu einem/r
                                                                                                Ärzt*in oder einem/r Drogenberater*in
                                                                                                aufzunehmen. Denn immer noch fehlt
                                                                                                Drogengebraucher*innen das Wissen
                                                                                                über die eigene Infektion und den Ver-
                                                                                                lauf der Krankheit sowie über die heute
                                                                                                einfachen, Interferon-freien Möglichkei-
                                                                                                ten, das Virus zu heilen. Dies kann eine
                                                                                                wesentliche Hürde für die Behandlung
                                                                                                und Heilung der Hepatitis-C sein.
Neben Bildschirmen werden auch Tablets eingesetzt
                                                                                                Dringend nötige Aufklärung
Bis zu 75 Prozent der intravenös Drogen-            heilbar ist, hat die Weltgesundheitsorga-   attraktiver gemacht
gebrauchenden sind mit dem Hepatitis-               nisation WHO das Ziel ausgegeben, die       „Unser Ziel ist es, unseren Klient*innen
C-Virus (HCV) infiziert – viele davon, ohne         Krankheit bis zum Jahr 2030 zu eliminie-    auf einfache und klare Weise alles Wis-
es zu wissen. Hepatitis-C kann einen                ren [1]. Um dieses Ziel zu erreichen oder   senswerte zu vermitteln und dabei einen
chronischen Verlauf mit schwerwiegen-               diesem Ziel möglichst nahezukommen,         guten Mix aus verschiedenen Medien zu
den Folgen nach sich ziehen. Dabei ist              ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten    bieten – BRAVO kann uns dabei unter-
die Infektion dank neuer Medikamente                nötig – von den Drogenberatungsstellen      stützen“, erklärt Stephan Ketzler vom
heute in den meisten Fällen heilbar. Die            über die Substitutionspraxen zu Drug        Abrigado in Hamburg. Dazu setzt BRAVO
Behandlung ist einfach und meist nach               User Organisationen und Drogengebrau-       moderne Kommunikationsmittel ein.
8–12 Wochen abgeschlossen.                          chenden selbst. Zudem gilt es auf mög-      Mit praktischen Erklärvideos werden
                                                    lichst vielfältigem Wege Menschen, die      Drogengebrauchende in Kontaktläden
Hepatitis-C soll bis 2030                           besonders von Hepatitis-C bedroht und       für das Thema Hepatitis-C sensibilisiert
kein Thema mehr sein                                betroffen sind über Themen wie Präven-      und motiviert, sich testen und falls nötig
Aufgrund der hohen Verbreitung von He-              tion, Test und Behandlung zu informie-      behandeln zu lassen. Ein Problem, das
patitis-C und der Tatsache, dass die Infek-         ren. Mit dem Projekt BRAVO wurde die        häufig von Mitarbeiter*innen in Bera-
tion durch eine Behandlung fast zu 100 %            bisherige Palette der Informationswege      tungsstellen genannt wird, ist die Vielfalt

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www.jes-bundesverband.de                      leben mit drogen

an Sprachen der Klient*innen. Deshalb
wurden die Videos in sieben Sprachen
(Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch,
Russisch, Polnisch, Farsi) inklusive Un-
tertiteln produziert. So können be-
stehende Sprachbarrieren einfacher
                                                    Neue Medien
überwunden werden.
   „Wir als Mitarbeiter*innen der nied-
rigschwelligen, akzeptanzorientierten
Angebote der Drogenhilfe haben mit                  Chemsex                                       Neue Kurzinformation
diesen mehrsprachigen Aufklärungsvi-                Erste Hilfe                                   zum Thema Crack Use
deos fachlich fundiertes Informations-
material, das in anschaulichen Bildern
verständlich erzählt, worum es geht.                Eine Handreichung für                         Eigentlich war dieses Medium nur als Bei-
Die hierfür benötigen Monitore und                  User*innen                                    lage für die von JES erstmals aufgelegten
Tablets stellt Gilead uns leihweise zur             Der Chemsex-Experte und -Aktivist David       Safer Crack Packs vorgesehen. Der in vie-
Verfügung, so können die Videos flexi-              Stuart hat zusammen mit Ignacio Labayen       len Städten steigende Konsum von Crack
bel in unterschiedlichen Kontexten ein-             De Inza eine Handreichung zu Erste-Hilfe-     – also rauchbarem Kokain- hat nun dazu
gesetzt werden, wie etwa im Kontakt-                Maßnahmen bei Chemsex-Notfällen ge-           geführt, dass dieses Medium auch ohne
Café, im Konsumraum, im persönlichen                schrieben. Sie liegt auf Englisch, Deutsch,   die limitierten Safer Crack Packs bestellt
Gespräch mit Einzelnen oder im Be-                  Spanisch, Russisch und Chinesisch unter       wird.
reich der aufsuchenden Beratung bzw.                https://www.davidstuart.org/chemsex-             Das Interesse ist so groß, dass wir die-
Streetwork“ erklärt Jutta Eisenhauer-               first-aid vor.                                se Kurzinformation gerade nachdrucken
Jarju, Bereichsleitung Überlebenshilfe                 Die deutsche Fassung kann im Shop der      lassen. Zum Zeitpunkt der Veröffentli-
der Düsseldorfer Drogenhilfe e.V.                   DAH als PDF-Datei heruntergeladen wer-        chung dieser Ausgabe sollte das Medium
   Es ist geplant, die Ergebnisse des               den.                                          wieder zur Verfügung stehen.
Projektes auszuwerten, um besser zu
verstehen, wie sich der Einsatz neuer               ▶ Download unter:                             ▶ Download und Bestellmöglichkeit
Medien auf die lokale Bekämpfung der                https://bit.ly/2KKOR6K                        unter: https://www.aidshilfe.de/
Hepatitis-C-Infektionen auswirken.                                                                shop/koks-crack-freebase
   BRAVO wird vorerst an fünf Stand-
orten in Deutschland realisiert wer-
den: derzeit läuft das Projekt bei Cond-
robs e.V. in München, in den nächsten
Monaten wird es auch in Düsseldorf,
Frankfurt und Hamburg umgesetzt. ■

  Olaf Ostermann, Condrobs München

▶ Für alle Interessierten:
Die Videos sind auch online
verfügbar unter
www.meine-leber-und-ich.de

Quellen:
[1] World Health Organization (WHO): Com-
bating Hepatitis B and C to reach elimination
by 2030, Advocacy Brief, May 2016.

[2] Aaron S, McMahon JM, Milano D, Torres
L, Clatts M, Tortu S, et al. Intranasal transmis-
sion of Hepatitis-C virus: virological and cli-
nical evidence. Clinical infectious diseases:
an official publication of the Infectious Disea-
ses Society of America. 2008; 47(7): 931-4.

                                                                                             15
leben mit drogen            DROGENKURIER

„Vom Harz bis ans Meer“
Die neue Safer Use Kampagne der AIDS Hilfe Niedersachsen

Anlässlich des „Internatio-        60.000 Packs mit Konsum-                         Die Packs für Drogengebraucher*innen
                                   utensilien für Niedersachsen                  sollen flächendeckend und bedarfsori-
nal Drug Checking Day“             Unter dem Slogan „Safer Use – Vom Harz        entiert zugänglich sein, um Alternativen
2019 am 31. März präsen-           bis ans Meer.“ werden die elf regiona-        zu mehrfach verwendeten Spritzen, Ka-
                                   len Aidshilfen zunächst 60.000 Packs          nülen, Löffeln, Pfeifen, Röhrchen und Fil-
tierte der Landesverband           mit sterilen Konsumutensilien und Ge-         tern zu bieten. Der Mac Aids Fund und
Aidshilfe Niedersachsen            brauchsanleitungen über ihre Beratungs-       das Land Niedersachsen fördern „Safer
                                   und Anlaufstellen und ihre Sozial- und        Use – vom Harz bis ans Meer“. Das Kon-
(AHN) seine landesweite            Streetworker verteilen. In den drei unter-    zept wurde im Facharbeitskreis „Drogen
Kampagne zur Risiko- und           schiedlichen Care Sets – Spritzen, Sniefen,   und Haft“ der niedersächsischen Aids-
                                   Rauchen – befinden sich außerdem leicht       hilfen gemeinsam mit Expert*innen
Schadensminimierung                verständliche Tipps für einen risikomi-       aus der Selbsthilfe, sowie der Aids-
                                   nimierenden Drogenkonsum. Zusätzlich          und Drogenhilfe entwickelt. Bisherige
(Harm Reduktion) beim
                                   wird damit für regelmäßige HIV/Hepati-        Kampagnenpartner*innen sind neben
Drogengebrauch                     tis-Tests geworben.                           den regionalen Aidshilfen die JES-Selbst-
                                                                                 hilfenetzwerke (Junkies, Ehemalige und
                                                                                 Substituierte) in Braunschweig, Hanno-
                                                                                 ver, Lehrte und Peine sowie die hanno-
                                                                                 versche Anlaufstelle für Drogen gebrau-
                                                                                 chende Mädchen und Frauen La Strada
                                                                                 (Phoenix e.V.) und die Deutsche Aidshilfe.

                                                                                 Ausweitung der niedrigschwelli-
                                                                                 gen Vergabemöglichkeiten
                                                                                 „Für Menschen, die bereits drogenabhän-
                                                                                 gig sind, wünsche ich mir vor allem in klei-
                                                                                 neren Ortschaften und auf dem Land mehr
                                                                                 verlässliche Anlaufstellen. Die Safer-Use-
                                                                                 Kampagne soll dafür sensibilisieren, sich
                                                                                 und andere vor HIV, Hepatitis und anderen
                                                                                 Krankheitserregern zu schützen. Das Nut-
                                                                                 zen von eigenem, sterilem Spritzbesteck
                                                                                 und Zubehör kann das Risiko einer Anste-
                                                                                 ckung deutlich senken. Die Verteilung der
                                                                                 Care Packs ist ein guter Ansatzpunkt, um
                                                                                 auch schwer erreichbaren Drogenkonsu-
                                                                                 menten weitere Hilfen nahe zu bringen
                                                                                 und um über Alternativen zu informie-
                                                                                 ren“, sagt Niedersachsens Gesundheits-
                                                                                 und Sozialministerin Carola Reimann.
                                                                                    Zur Unterstützung des Kampagnen-
                                                                                 starts hat Reimann die drei unterschied-
                                                                                 lichen Care Packs gemeinsam mit der
                                                                                 Präsidentin der Apothekerkammer Nie-

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www.jes-bundesverband.de                             leben mit drogen

dersachsen, Magdalene Linz, im Ministe-

                                               Foto: P. Gräfe
rium präsentiert. „Apotheken sind glück-
licherweise an vielen Orten des Landes
vorhanden. Damit haben wir in Nieder-
sachsen ein gutes Netzwerk und eine ver-
lässliche Infrastruktur, mit der wir die
Möglichkeit haben, Drogensüchtigen zu
helfen. Wir sind gerne bereit, uns mit un-
serem Wissen einzubringen und Maßnah-
men auszuloten, wie die Apotheke vor Ort
dazu beitragen kann, dass Drogen neh-
mende Menschen auf risikoärmere Kons-
umformen umsteigen“, meint Linz.

Neue Konzepte – neue Allianzen
Das wäre ganz im Sinne von Imke
Schmieta, Geschäftsführerin der Aidshil-
fe Niedersachsen: „Unsere Ziele sind, die
Risiken beim Drogengebrauch zu minimie-
ren, Infektionen zu vermeiden, die Testbe-    Die 60.000 Packs mussten natürlich auch gepackt werden – vom niedersächsischen „Packteam“
reitschaft zu erhöhen und Hilfsangebote
                                               Foto: P. Gräfe

flächendeckend besser zu vernetzen. Safer
Use vom Harz bis ans Meer umfasst auch,
Politik und Gesundheitsakteur*innen be-
wusst zu machen, wie viel noch zu tun
ist, um Drogen gebrauchende Menschen
vor zusätzlichen Gesundheitsrisiken, aber
auch vor Ausgrenzung und Stigmatisie-
rung zu schützen.“ Dafür brauche es neue
Konzepte und neue Allianzen. Schmieta
dankte den zahlreichen Ehrenamtlichen,
die viel Zeit in die Entwicklung und in das
Packen der Care Sets in der Braunschwei-
ger Aidshilfe investiert haben und dies
auch künftig tun werden. ■

   JES-Gruppen in Niedersachsen und AH
                          Niedersachsen

▶ https://www.niedersachsen.
aidshilfe.de/safer-use-kampagne               v.l.: Frau Linz, Frau Dr. Reimann und Imke Schmieta stellen die neue Kampagne vor

  Dirk Schäffer von der Deutschen Aidshilfe meint, …
                                                                               Der Landesverband übernahm u.a. die professionelle
  … dass diese Kampagne ein Musterbeispiel für die Zusammen-                Öffentlichkeitsarbeit und alle Aids- und auch Drogenhilfen
  arbeit von Aidshilfen, Drogenhilfen und JES-Gruppen ist. So wurde         in Niedersachsen sind nun aufgerufen die Safer Use Packs
  das Konzept von Beginn an gemeinsam erarbeitet. Eine Koopera-             auch abzufordern.
  tion auf Augenhöhe, wie man sie sich viel öfter wünschen würde.              Ein besonderer Clou würde in der Kooperation mit den
     Im Prozess der Erarbeitung wurde deutlich, wie wichtig der             Apother*innen in Niedersachsen bestehen. Diese müssten
  Input der JES-Gruppen war. Die Kampagne zeichnet sich nun                 die Packs kostenfrei an Drogengebraucher*innen verteilen.
  durch einen hohen Praxisbezug aus.                                        Dies wäre ein Musterbeispiel für neue Allianzen.

                                                                                             17
leben mit drogen                       DROGENKURIER

Heute, vor 25 Jahren
rauschte der erste mobile
Drogenkonsumraum durch
Hamburg

                                                                                                                                        Foto: Freiraum Hamburg e.V.

Der erste staatlich finanzierte                  koärmerer Drogenkonsum“ ermöglicht         rechtlich möglich zu machen, scheiter-
„Fixerraum“ ist ein Meilenstein                  werden.                                    te aber.
der deutschen Drogenpolitik                                                                    Der Hamburger Generalstaatsanwalt
Am 16. Februar 1994 wurde im Ham-                Aus der „Fixerstube“ wird ein              Arno Weinert hatte in einem Gutachten
burger Stadtteil Billstedt Geschichte            „Gesundheitstraum“                         für die Justizbehörde keine strafrechtli-
geschrieben: Mit dem „Drug-Mobil“ er-            Der nach der Wahl im Jahr 1991 von der     chen Probleme gesehen, wenn es in sol-
öffnete an diesem Tag Deutschlands ers-          SPD gestellte Hamburger Senat wand-        chen „Fixerräumen“ nicht vordergründig
ter aus öffentlichen Mitteln finanzierter        te sich deutlich gegen die überkomme-      um Drogenkonsum gehe, sondern dort
„Fixerraum“.                                     ne, restriktive Drogenpolitik und plante   auch Beratung und medizinische Versor-
   Die Hamburger Sozial- und Gesund-             zunächst eine Million DM für „Fixerräu-    gung angeboten würden.
heitssenatorin Helgrit Fischer-Men-              me“ im Haushalt ein. Eine von Hamburg         Und so wurde eben keine „Fixerstube“
zel sagte in ihrer Einweihungsrede, den          gestartete Bundesratsinitiative, das Be-   eingerichtet, sondern ein „Gesundheits-
Drogenabhängigen solle „ein stressfrei-          täubungsmittelgesetz (BtMG) zu libe-       raum“ – und die deutsche Amtssprache
er, einigermaßen hygienischer und risi-          ralisieren und solche Konsumräume          war wieder um einen Begriff reicher.

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www.jes-bundesverband.de                          leben mit drogen

Kein Raum für Drogenkonsum-
räume
Den Zuschlag für die Einrichtung und den
Betrieb mehrerer solcher Gesundheits-
räume bekam der neu gegründete Verein
freiraum Hamburg e.V. Die Suche nach ge-
eigneten Räumen erwies sich allerdings
als schwierig. Selbst ein Stellplatz für
einen Container war nicht zu bekommen.

Ausrangierter Linienbus wurde
zum Drogenkonsumraum
Aus dieser Not heraus entstand die Idee,
einen ausrangierten Linienbus der Ham-
burger Verkehrsbetriebe umzubauen. Die      50 Billstedter*innen vor dem umstritte-           tauscht, es wurde geklönt, verarztet, bera-
Fahrgastsitze wurden entfernt, stattdes-    nen Bus, um ihrem Unmut Ausdruck zu               ten und – wenig überraschend – fast gar
sen bekam der Bus unter anderem eine        verleihen, waren es bei einer zweiten             nicht gedrückt. „Man muss seitens der
Liege zur Wundversorgung, eine Café-        Demo nur noch eine Handvoll.                      BesucherInnen schon viel Toleranz und
Ecke sowie Sitzgruppen für die Safer-Use-                                                     Langmut entwickeln, ist der Bus doch
und Substitutionsberatung. Der rollende     Nun machte die Justiz Probleme                    derart eng, dass ständig drei vier ‚Sozial-
„Gesundheitsraum“ mit 200 PS konnte         Bereits zwei Tage nach der Eröffnung              nasen‘ um die Gäste herumlaufen“, fass-
schließlich – nach wochenlangem Rin-        wurde die Hamburger Staatsanwaltschaft            te ein Mitarbeiter die Erfahrungen aus
gen um einen geeigneten szenenahen          aktiv und leitete gegen die Gesundheits-          einem Jahr „Drug-Mobil“ zusammen.
Standplatz – viermal die Woche für meh-     senatorin ein „Vorermittlungsverfah-              „Eine wirklich niedrigschwellige Café-At-
rere Stunden unweit der U-Bahnstation       ren“ ein. Dabei sollte geprüft werden, ob         mosphäre ist unter solchen Bedingungen
Legienstraße seine Türen öffnen. Danach     sie mit dem Drug-Mobil gegen den Para-            nur sehr eingeschränkt machbar.“ Unter-
musste der Bus wieder weggefahren wer-      grafen 29 des Betäubungsmittelgesetzes            dessen wurden ganz nach Plan mit „Ab-
den.                                        verstoßen habe. Er sah eine Freiheitsstra-        rigado“ und „Fixstern“ weitere dezentrale
                                            fe vor, wenn jemand „einem anderen eine           Gesundheitsräume in Hamburg eröffnet,
Bürger*innen machten mobil                  Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch              nun auch tatsächlich in Immobilen und
Anfangs hieß es immer, der Junkiebus        von Betäubungsmitteln verschafft oder             nicht auf Rädern.
muss weg. Dann aber stellen die Anwoh-      gewährt“.
ner fest: Dem Stadtteil geht es nur gut,                                                      Niedergang des Drug-Mobiles
wenn es auch den Junkies gut geht“, er-     Das Drug-Mobil blieb eine                         unter neuem Senat
zählt der heutige Geschäftsführer von       Notlösung                                         Nach dem überraschenden Wahlerfolg
freiraum Hamburg, Urs Köthner. Trafen       Das Drug-Mobil blieb eine Notlösung.              der Partei Rechtsstaatliche Offensive im
sich bei einer ersten Demonstration noch    Auf kleinstem Raum wurden Spritzen ge-            Jahr 2001 änderte sich unter dem neuen
                                                                                              Innensenator Ronald Schill allerdings
                                                                                              die Drogenpolitik der Hansestadt. In der
                                                                                              Folge verlor freiraum Hamburg e.V., der
                                                                                              das Drug-Mobil aufgebaut und bis dahin
                                                                                              betrieben hatte, die Trägerschaft. Ver-
                                                                                              schrottet wurde das Gefährt allerdings
                                                                                              nicht. Es soll, zumindest noch eine ganze
                                                                                              Weile, in Dänemark unterwegs gewesen
                                                                                              sein – auch dort als rollender Drogenkon-
                                                                                              sumraum. ■

                                                                                                      Axel Schock, https://magazin.hiv,
                                                                                                                           Februar 2019

                                                                                              ▶ www.drogenkonsumraum.net

                                                                                         19
leben mit drogen                   DROGENKURIER

Erster Spritzenautomat
in Frankfurt am Main
Integrative Drogenhilfe installiert den ersten Automaten auf dem
Gelände des Eastside

In Deutschland gibt es ca. 160 Stand-                                                              Konsumutensilien aus dem Automa-

                                                                                       Foto: IDH
orte von Spritzenautomaten. Hier-                                                                  ten nicht kostenlos. Der Unkostenbei-
mit ist Deutschland das Land mit                                                                   trag liegt zwischen 50 Cent und 1 €.
der höchsten Anzahl dieser Angebo-                                                                    Spritzenautomaten sind heute
te, die einen 24-stündigen Zugang                                                                  ein kleines, aber wichtiges Element
zu Konsumutensilien ermöglichen.                                                                   für die Prävention von HIV und He-
Also eigentlich keine Besonderheit,                                                                patitis-C. Die DRUCK-Studie des RKI
denn schließlich gibt es Spritzenau-                                                               machte deutlich, dass Drogenge-
tomaten, die sich heute immer mehr                                                                 braucher*innen auch in Großstädten
zu Automaten für Konsumutensili-                                                                   wie Köln, Frankfurt und Hamburg
en entwickeln, da sie auch Zubehör                                                                 Probleme haben zu jeder Zeit für ihre
für andere Konsumformen zur Verfü-      Der neue Automat am Eastside                               Konsumfrequenz eine ausreichende
gung stellen, in fast allen Großstäd-                                                              Menge von Konsumutensilien zu er-
ten.                                                                                               halten. Dies hat sowohl finanzielle als
   Es gab bisher leider zwei Ausnah-                                                               auch strukturelle Gründe. Mit Sprit-
men. So sind bzw. waren die gesund-                                                                zenautomaten wird eine weitere Lü-
heits- und drogenpolitisch Verant-                                                                 cke geschlossen und der Konsum mit
wortlichen der Städte Hamburg und                                                                  sauberen Utensilien unterstützt.
Frankfurt der Meinung, dass man
über ein so gut ausgebautes Hilfe-                                                                 Automaten mit Konsum-
system verfügt und somit ein profa-                                                                utensilien sollten zum
ner Spritzenautomat überflüssig ist.                                                               Drogenhilfekonzept einer
   In Frankfurt hat man diese Hal-                                                                 jeden Stadt gehören
tung nochmal überdacht. Trotz eines                                                                Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die
guten Zugangs zu Konsumutensilien                                                                  Träger der Drogen- und Jugendhilfe
soll der Spritzenautomat am Eastside                                                               in Hamburg ebenfalls entschließen,
nun dazu beitragen einen 24-stündi-                                                                gemeinsam beim Senat ein solches
gen Zugang zu sauberen Konsumu-                                                                    Angebot einzufordern. Wie Frank-
tensilien zu ermöglichen.                                                                          furt kann auch Hamburg sicher
                                                                                                   mehr als einen Spritzenautomaten
Ein wichtiges Element eines                                                                        vertragen. Sollten noch Argumente
Präventionskonzeptes gegen                                                                         benötigt werden, so kann Berlin si-
HIV und Hepatitis                                                                                  cher als gutes Beispiel herangezogen
Mit dem umgebauten Zigaretten-                                                                     werden. Über die ca. 18 Standorte in
automaten erhalten Drogengebrau-                                                                   Berlin werden im Jahr mehrere zehn-
cher*innen die Möglichkeit sowohl                                                                  tausend Packs an Konsument*innen
Konsumutensilien für den intravenö-                                                                ausgegeben werden. ■
sen Konsum sowie Snief- und Smoke-
                                                                                                                      JES Bundesverband
Sets zu erhalten. Anders als in den     Das erste Care Pack aus dem neuen Automaten.
bekannten Einrichtungen sind die        Rechts: Christoph Lange, Leiter des Eastside               ▶ www.spritzenautomaten.de

                                        20
DEINE THERAPIE IST
   EINSTELLUNGSSACHE

    Sprich mit deinem
     Arzt über deine
   Dosierung, bevor der
      Suchtdruck zu
        stark wird.

Mit der richtigen Einstellung leben.
internationales                    DROGENKURIER

Internationale Leitlinien zu
Menschenrechten und
Drogenpolitik veröffentlicht
                                                                                                   Rechts auf Schadensminimierung,
                                                                                                   auf freiwillige Behandlung der Dro-
                                                                                                   genabhängigkeit und des Zugangs zu
                                                                                                   Zugang zu kontrollierten Substanzen
                                                                                                   (etwa zur Substitutionsbehandlung
                                                                                                   oder Schmerztherapie)
                                                                                               2. das Recht, vom wissenschaftlichen
                                                                                                   Fortschritt zu profitieren, etwa mit
                                                                                                   Blick auf moderne Drogentherapien
                                                                                                   oder ein fortschrittliches Strafrecht
                                                                                               3. das Recht auf einen angemessenen
                                                                                                   Lebensstandard
                                                                                               4. das Recht auf soziale Sicherung auch
                                                                                                   für Drogengebraucher*innen und In-
                                                                                                   haftierte
                                                                                               5. das Recht auf Leben (daher dürfe
Weg vom „Krieg gegen Drogen“, hin zu             Menschenrechte statt                              keine Todesstrafe auf Drogendelikte
einer an den wissenschaftlichen Fakten           Strafrecht                                        verhängt werden)
und den Menschenrechten orientierten             Die Fakten zeigten, dass das Strafrecht       6. das Recht auf Freiheit von Folter und
Drogenpolitik! Das fordern neue Inter-           den illegalen Drogenmarkt nicht eindäm-           andere grausame, unmenschliche
nationale Leitlinien zu Menschenrech-            men könne, heißt es in einer Presseerklä-         oder erniedrigende Behandlung oder
ten und Drogenpolitik.                           rung von UNAIDS zu den Leitlinien.                Strafe (etwa durch Entzug von Substi-
   Die Leitlinien wurden von UN-Orga-                                                              tutionsmedikamenten)
                                                 ▶ https://bit.ly/2Hno7qC
nisationen wie dem Aids-Programm UN-                                                           7. das Recht auf Schutz vor willkürli-
AIDS oder dem Entwicklungsprogramm               Der „Krieg gegen Drogen“ schütze die Ge-          chen Verhaftungen
UNDPF, der Weltgesundheitsorganisati-            sellschaft nicht, sondern führe zu zahlrei-   8. das Recht auf einen fairen Prozess
on, zahlreichen UN-Mitgliedsstaaten und          chen Menschenrechtsverletzungen und           9. das Recht auf Privatsphäre
führenden Menschenrechtsexpert*innen             verursache viel menschliches Leid.            10. das Recht auf Gedanken-, Gewissens-
entwickelt und im März 2019 veröffent-                                                             und Religionsfreiheit
licht.                                           Internationale Leitlinien                     11. das Recht auf Teilhabe am kulturellen
   Anlass ist die 62. Sitzung der Sucht-         zu Menschenrechten und                            Leben
stoffkommission der Vereinten Nationen           Drogenpolitik im Detail                       12. das Recht auf Meinungsfreiheit, freie
(Commission on Narcotic Drugs/CND)               Die Leitlinien benennen folgende 13               Meinungsäußerung und Zugang zu
vom 14. bis zum 22. März 2019 in Wien.           Rechte, welche die Staaten schützen und           Informationen
An ihr nehmen rund 2.000 Delegierte              umsetzen müssten:                             13. das Recht, sich friedlich zu versam-
aus den UN-Mitgliedsstaaten, der Wis-            1. das Recht auf den bestmöglichen Ge-            meln und zu Vereinigungen zusam-
senschaft und der Zivilgesellschaft teil.           sundheitszustand einschließlich des            menzuschließen.

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www.jes-bundesverband.de                          internationales

Expert*innen:
Der Krieg gegen Drogen
ist gescheitert
„99 Prozent der intravenös Drogen Ge-
brauchenden weltweit haben keinen Zu-
gang zu Schadensminimierung und
werden beim Fortschritt gegen HIV zu-
rückgelassen“, so UNAIDS-Chef Sidibé.
„Mehr als 12 Prozent von ihnen leben
mit HIV, mehr als die Hälfte mit Hepati-
tis-C. Der einzige Weg zum Fortschritt ist,
die Menschen ins Zentrum zu stellen und
nicht die Drogen.“
   Die Geschäftsführerin des Internatio-
nalen Netzwerks der Drogengebraucher*-
innen (INPUD) Judy Chang sagte: „Be-          res den Bericht einer UN-Arbeitsgruppe            her die Öffentliche Gesundheit, die Scha-
strafung und Ausgrenzung sind zentrale        zu Drogenfragen vor.                              densminimierung und gendersensible
Instrumente des ‚Kriegs gegen Drogen‘.           Das Papier beschäftigt sich mit den            Ansätze berücksichtigen und den Zugang
Es ist an der Zeit, die Menschenwürde an      drogenpolitischen Erkenntnissen der               zu Behandlungsangeboten sicherstel-
die Stelle sozialer Isolierung zu stellen,    letzten zehn Jahre und kommt darin zu             len, welche auf den wissenschaftlichen
die Menschenrechte zu fördern und das         einem ähnlichen Schluss wie die Leitlini-         Fakten basieren und die Rechte von
schändliche Erbe der Masseninhaftierun-       en: Die Drogenmärkte entwickelten sich            Drogengebraucher*innen, ihrer Familien
gen hinter uns zu lassen.“                    trotz aller bisherigen Gegenmaßnahmen             und ihrer Gemeinschaften respektieren.
   Die Direktorin des Internationalen         immer schneller, und die Bandbreite der              Es bleibt zu hoffen, dass diese Signale
Zentrums für Menschenrechte und Dro-          zur Verfügung stehenden Drogen sowie              gehört werden. UN-Generalsekretär Gu-
genpolitik Julie Hannah ergänzte: „Für        die produzierten Mengen seien größer              terres zumindest ist optimistisch: „Ich
den Umgang mit dem globalen Drogen-           als je zuvor.                                     habe keinen Zweifel daran, dass wir ge-
problem ist es wirksamer, Ungleichheit           Zugleich verursache die Drogenpolitik          meinsam Angebot und Nachfrage verrin-
und Ungerechtigkeit zu bekämpfen, als         schwere Schäden für Individuen und Ge-            gern, Gesundheit und Menschenrechte
auf Gefängnisse und die Polizei zu set-       sellschaften: „Missbräuchliche, repressive        schützen und zu einer nachhaltigen Ent-
zen.“                                         und unverhältnismäßige Maßnahmen                  wicklung beitragen können, wie dies in
                                              zur Drogenkontrolle sind kontraproduk-            der Erklärung der UN-Sondersitzung zu
Auch UN-Bericht fordert                       tiv, verletzen die Menschenrechte, schä-          Drogen aus dem Jahr 2016 beschrieben
menschenrechtskonforme                        digen die Öffentliche Gesundheit und              wird“, schreibt er in seinem Vorwort. ■
Drogenpolitik                                 verschwenden lebenswichtige öffentli-
                                                                                                                Holger Sweers, März 2019
Ebenfalls im Vorfeld der 62. CND-Sitzung      che Ressourcen.“
legte UN-Generalsekretär António Guter-          Nationale Drogenstrategien sollten da-         ▶ https://magazin.hiv

                                                                                                  … und Deutschland stellt neue
                                                                                                  Rekorde in der Verfolgung von
                                                                                                  Drogenkonsument*innen auf.

                                                                                                  So stieg die Zahl der Rausch-
                                                                                                  giftdelikte auf stolze 350.662
                                                                                                  Fälle. Dies bedeutet einen er-
                                                                                                  neuten Anstieg um +6,1 %. Nie
                                                                                                  wurden so viele Rauschgift-
                                                                                                  delikte zur Anzeige gebracht!
                                                                                                  BRAVO !!!!!!!

                                                                                           23
internationales                     DROGENKURIER

Drogengebrauchende
Frauen und feministische
Aktivisteninnen in Barcelona
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                                                                                                   verändern. Es galt zudem Proble-
                                                                                                   me von WUD auf die feministische
                                                                                                   Agenda zu setzen. Als Ergebnis die-
                                                                                                   ses Treffens wurde ein Narcofe-
                                                                                                   ministisches Netzwerk gegründet.
                                                                                                   Narcofeministinnen sind Frauen,
                                                                                                   die Drogen konsumieren und offen
                                                                                                   und ohne Scham darüber reden
                                                                                                   können. Frauen, die jeden Tag dafür
                                                                                                   kämpfen, Gewalt und Diskriminie-
                                                                                                   rung von Frauen, die Drogen konsu-
                                                                                                   mieren, zu beenden.

                                                                                                   Ein erster Schritt –
                                                                                                   partizipative Interviews
                                                                                                   Als ersten Schritt haben Frauen in
                                                                                                   vier Ländern – Kasachstan, Kirgisis-
                                                                                                   tan, Estland und der Ukraine – par-
                                                                                                   tizipative Interviews durchgeführt.
                                                                                                   In mehr als 50 Interviews berich-
Teilnehmerinnen vor dem Projekt „Metzineres“ Quelle:privat                                         teten Frauen, die Drogen konsu-
                                                                                                   mierten, über körperlichen und
Die negativen Effekte durch psychoakti-              Armut von Frauen die Drogen konsumie-         psychischen sowie moralischen
ve Substanzen auf Menschen, die Drogen               ren, werden oft ignoriert und bekommen        Missbrauch durch Familienangehö-
konsumieren, werden vielfach diskutiert.             offensichtlich zu wenig Aufmerksamkeit        rige und Partner. Machtmissbrauch
Der Schaden, den der Krieg gegen Drogen              sowohl von Fachleuten als auch von Ak-        durch Jugendämter, Diskrimi-
und die in vielen Regionen unmenschli-               tivistinnen.                                  nierung im Gesundheitswesen,
che Drogenpolitik produziert, wird aus                                                             Beschäftigungsprobleme und Poli-
der Perspektive der Menschenrechte, der              Das Netzwerk von                              zeigewalt.
Wirtschaft und der Gesundheit vielerorts             Narcofeministinnen                               Die Geschichten waren so hef-
diskutiert.                                          Vor einem Jahr kamen mehrere Drogen           tig, dass die Frauen, die die Inter-
   Diese Diskussionen sind jedoch häu-               konsumierende Frauen (Women who use           views durchgeführt haben, Zeit
fig auf Drogen gebrauchende Männer                   drugs – WUD) gemeinsam mit Feminis-           benötigten um das Erfahrene zu
beschränkt. Menschenrechtsverletzung                 ten zusammen, um diese Frage zu disku-        verarbeiten. Vielfach brachten die-
und Gewalt an Frauen, Zugang zu Bera-                tieren. Es galt einen ersten Schritt hin zu   se Interviews eigene Erlebnisse der
tung und medizinischer Versorgung, die               Strategien zu erarbeiten, die diese Un-       Vergangenheit wieder hervor.

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