Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug

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Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
Infonium
 PH Zug 2/2020
 Schul-Barometer

                   Pädagogische Hochschule Zug
Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
Editorial                                                         Inhalt

                                                                  Editorial2
                                                                  COVID-19 – aktuelle Herausforderungen
                                                                  in Schule und Bildung                              3–5
                                                                  (Lern-)Situation der Schüler/innen zuhause         6–7
                                                                  Die Rolle familiärer und schulischer Merkmale
                                                                  für das Lernen                                    8–10
                                                                  Schul-Barometer: zentrale Aussagen und
                                                                  weiterführende Überlegungen                      11–12
                                                                  Für mehr Chancengerechtigkeit                    13–14
                                                                  Dank Netzwerkpflege zu erfolgreicher
Esther Kamm                                                       internationaler Zusammenarbeit                      15
                                                                  Positive Education: Bachelor-Arbeit              16–17
                                                                  Generationen im Klassenzimmer: Bachelor-Arbeit      18
                                                                  Entwicklung eines musikalischen Bilderbuches:
                                                                  Bachelor-Arbeit19
                                                                  Die Schule als Spielraum: Bachelor-Arbeit        20–21
                                                                  Gelegentlicher (Aus)raster?: Studierendenkolumne    22
                                                                  Informationen aus den Leistungsbereichen            23
                                                                  Veranstaltungen24

Die Coronavirus-Pandemie hat uns alle stark gefordert und wird    sowohl bei den Lehrpersonen als auch den Schüler/innen. Digi-
unser Leben auch in Zukunft einschneidend beeinflussen. Im        tale Lehr-Lern-Formen erlauben darüber hinaus eine bewusstere
März 2020 mussten die Schulen innert kürzester Zeit geschlos-     Differenzierung der Aufgabenstellungen (S. 11–12).
sen werden und die Lehrpersonen ihren Unterricht neu organi-
sieren. Bereits wenige Tage nach der Bekanntgabe der Schul-       Auch die PH Zug war durch den Lockdown stark gefordert. Un-
schliessungen lancierte das Institut für Bildungsmanagement und   sere Dozierenden mussten innerhalb weniger Tage den Unter-
Bildungsökonomie (IBB) der PH Zug mit dem «Schul-Barometer»       richt über digitale Kanäle ermöglichen, für Praktika und Prüfun-
eine wissenschaftliche Studie zu COVID-19 und Schule in           gen mussten geeignete Lösungen gefunden werden. Dank dem
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es wurde das aktuelle    grossen Engagement und der Flexibilität aller Mitarbeitenden
Stimmungsbild an den Schulen erfasst und wichtige Erkenntnis-     und Studierenden können wir auf eine zwar fordernde, aber er-
se zu den Auswirkungen des Fernunterrichtes konnten gewonnen      folgreiche Zeit des Fernunterrichtes zurückblicken, in der auch
werden (S. 3–5). An der Onlinebefragung haben bereits über        spannende Bachelor-Arbeiten unserer Absolvierenden entstan-
24 000 Schulleitungen, Lehrpersonen, Eltern, Schüler/innen und    den sind (S. 16–21).
weitere Akteure aus dem Bildungswesen teilgenommen.
                                                                  Die seit Juni 2020 geltenden Lockerungsmassnahmen haben zu
Die Mehrheit (51 %) der befragten Schüler/innen glaubt (eher)     einer gewissen Entspannung im Bildungsbereich geführt. Ob Bund
nicht, dass sie während des Fernunterrichts mehr als im norma-    und Kantone die Massnahmen und Vorschriften wieder verschär-
len Unterricht lernen. Dem gegenüber stehen 24 % der Schüler/     fen müssen, ist ungewiss. Mit Zuversicht starten wir jedoch ins
innen die denken, dass sie im Fernunterricht (eher) mehr profi-   neue Semester und freuen uns, unsere Studierenden wieder von
tieren konnten als sonst (S. 6–7).                                Angesicht zu Angesicht zu sehen.

Das Schul-Barometer hat unter dem Stichwort «Bildungsgerech-      Ich wünsche Ihnen die nötige Gelassenheit und Kreativität in
tigkeit» auch untersucht, ob durch die temporären Schulschlies-   dieser herausfordernden Zeit und eine anregende Lektüre.
sungen bestimmte Schülergruppen eher auf der Strecke bleiben
als andere (S. 8–10). Die Umfrageresultate zeigen auch Chancen
auf, die sich durch den Lockdown ergeben haben. Einerseits gab    Prof. Dr. Esther Kamm
es im Bereich der Digitalisierung einen enormen Aufschwung –      Rektorin

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Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
Das Schul-Barometer:
COVID-19 – aktuelle Herausforderungen in Schule und Bildung
Das im März lancierte Schul-Barometer zeigt aus      wurde vom 24. März bis 5. April 2020 als On-
Sicht verschiedener Personengruppen die Pande-       line-Umfrage durchgeführt. Gegenwärtig um-
mie-bedingte Schulsituation in Deutschland, Öster-   fasst das Schul-Barometer eine Stichprobe für
reich und der Schweiz auf.                           Deutschland, Österreich und der Schweiz von
                                                     über 24 000 Personen (vgl. Tabelle 1).
Wir erleben eine durch die Corona-Pandemie
ausgelöste gesellschaftliche Krise mit weitrei-                                       Deutschland Österreich         Schweiz
chenden Auswirkungen auf nahezu alle gesell-                                          deutsch        deutsch         deutsch        französisch
schaftlichen Bereiche. Ab Mitte März wurden die      Schülerinnen und Schüler         471            1423            55             6102
Schulen in der Schweiz, in Deutschland und in        Eltern                           760            1100            105            8768
Österreich für mehrere Monate geschlossen.           Schulleitung                     236            185             118            111
Je nach Kanton/Bundesland wurde teils unter-
                                                     Mitarbeitende der Schule         617            671             198            3218
schiedlich vorgegangen, bspw. hinsichtlich Feri-
                                                     Schulverwaltung und -aufsicht 17                13              9              0
enregelungen, Formen der Schüler/innenbe-
                                                     Unterstützungssysteme            25             3               12             0
treuung und der Anwesenheit von schulischen
Mitarbeitenden sowie hinsichtlich der Lehr-Lern-     Summe                            2126           3395            497            18199

Arrangements. Diese für alle neue Situation          Tabelle 1: Stichprobe des Schul-Barometers in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
führte rasch zu neuen Herausforderungen, vielen
offenen Fragen und je nach Akteursgruppe zu          Über Länderunterschiede wurde in den bisheri-
unterschiedlichen Informationsbedürfnissen.          gen Publikationen zum Schul-Barometer nur
Mit dem Ziel, diese Informationsbedürfnisse          für die Personengruppen der Mitarbeitenden
zumindest teilweise zu befriedigen, wurde vom        und Schulleitungen berichtet. Zur Aussagekraft
Institut für Bildungsmanagement und Bildungs-        der Daten für die einzelnen Länder ist kritisch
ökonomie (IBB) der PH Zug das Schul-Barome-          anzumerken, dass es sich um eine Ad-hoc-
ter lanciert (Huber et al., 2020).                   Stichprobe handelt. Zudem gibt es Verzerrun-
                                                     gen hinsichtlich des Alters der befragten Schü-
Ein Beitrag zum Erfahrungsaustausch                  ler/innen. Auch sind Schüler/innen ohne
Ziel des Schul-Barometers ist die Beschreibung       Zugang zum Internet wohl unter- bzw. nicht
und Einschätzung der Pandemie-bedingten              repräsentiert.
Schulsituation in Deutschland, Österreich und
der Schweiz aus Sicht verschiedener Personen-        Lehren und Lernen während
gruppen (vgl. Tabelle 1). Durch die empirische       der Corona-Pandemie
Beschreibung der Auswirkungen der Krisensitu-        Schulschliessungen aufgrund der Corona-Pan-
ation auf Schule und Bildung soll im Sinne von       demie führten dazu, dass klassischer Schulun-
«Responsible Science» – mit dem Aufgreifen           terricht durch Lehren und Lernen entfiel und
von aktuellen gesellschaftlichen Problemen in        durch andere Formen – u. a. mittels digitaler
die Forschung und die Rückbindung von Ergeb-         Medien – ersetzt wurde. Damit traten die lehrer-
nissen in die Politik, Verwaltung und Praxis –       zentrierten Anteile des Lehr-Lern-Prozesses
ein Beitrag zum Erfahrungsaustausch geleistet        (z. B. Instruktionsphasen) deutlich in den Hinter-
werden. Damit sollen möglichst rasch hand-           grund, während die schülerzentrierten Anteile
lungsrelevante Informationen für unterschiedli-      (z. B. selbstgesteuertes Lernen, Be-/Erarbeiten
che Zielgruppen zur Verfügung gestellt werden.       von Arbeitsaufträgen/Lernaufgaben) den Haupt-
Zu diesem Zweck wurden im Schul-Barometer            teil des Lernens ausmachten. Entsprechend
unterschiedliche Themen, die vor dem Hinter-         gewann die Unterstützung der Eltern (und/oder
grund verschiedener Forschungstraditionen            der Geschwister) als «Ersatzlehrpersonen» stark
und -diskurse als relevant für die aktuelle Situ-    an Bedeutung (vgl. Huber & Helm 2020b).
ation gelten, untersucht. Für die unterschiedli-
chen Gruppen der Befragten (Schüler/innen,           Somit zeigen sich deutliche Parallelen zu Lehr-
Eltern, Schulleitungen, Mitarbeitende der Schu-      Lern-Prozessen im Rahmen von Hausaufgaben,
le, Schulverwaltung/Schulaufsicht, Unterstüt-        weshalb für die Analyse des Lernens während
zungssysteme) wurden angepasste Fragebögen           der Pandemie insbesondere jene Modelle des
entwickelt und eingesetzt. Neben der deutsch-        Lehrens und Lernens in den Fokus rücken, die
sprachigen Version existieren auch Versionen         auch für die Beschreibung der Rolle von Haus-
in französischer und englischer, aber auch z. B.     aufgaben relevant sind. Hierzu wurden in der
in russischer Sprache. Das Schul-Barometer           Literatur bereits unterschiedliche Modelle vor-
                                                                                                                                                  3
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gestellt, diskutiert und empirisch analysiert          (z. B. wahrgenommene Aspekte der
                                        (z. B. Hagenauer & Oberwimmer, 2019; Kohler,           Quantität und Qualität von Hausübungen),
                                        2011; Trautwein, Lüdtke, Schnyder, & Niggli,      (3) Merkmale der Schüler/innen
                                        2006).                                                 (z. B. Selbstkonzept) und
                                                                                          (4) Merkmale der Eltern (z. B. Quantität und
                                        Diesen Modellen entsprechend nimmt der (sozi-          Qualität der elterlichen Unterstützung bei
                                        ale) Kontext starken Einfluss auf die Qualität         der Hausaufgabenbearbeitung)
                                        und den Erfolg von Lernprozessen im häuslichen
                                        Setting. Empirisch ist und wird in zahlreichen    als Prädiktoren der Schüler/innenleistung pos-
                                        Studien (etwa den kontinuierlich publizierten     tuliert, wobei die Motivation und das Hausauf-
                                        large scale Assessments der OECD) nachgewie-      gabenverhalten der Schüler/innen als «sequen-
                                        sen, dass die sozio-ökonomische Herkunft der      zielle Mediatoren» dieser Beziehungen vermutet
                                        Lernenden (z. B. Bildungsnähe der Eltern) am      werden. Das heisst, es wird angenommen, dass
                                        stärksten den Lernprozess und den Lernerfolg      die in 1) bis 4) gelisteten Merkmale primär auf
Literatur                               beeinflusst. Darüber hinaus kann angenommen       die Motivation der Schüler/innen wirken, diese
Hagenauer, G., & Oberwimmer,            werden, dass sich die Bildungsnähe des Eltern-    wirkt auf das Hausaufgabenverhalten, das wiede-
K. (2019). Zum Zusammenhang             hauses insbesondere auf die (lernförderliche)     rum auf deren Leistungen Einfluss nimmt.
zwischen Hausaufgabenpraxis             Bearbeitung von Hausaufgaben bzw. das ausser-
und Leseleistung: Ergebnisse aus
PIRLS 2006, 2011 und 2016.
                                        unterrichtliche Lernen auswirkt (vgl. Hagenauer   Für das Lehren und Lernen während der Zeit der
In C. Wallner-Paschon & U. Itzlin-      & Oberwimmer, 2019 für einen empirischen          Schulschliessungen aufgrund der Corona-Pan-
ger-Bruneforth (Hrsg.), Lesekom-        Nachweis). Mehrere Autor/innen, bspw. Kohler      demie können sehr ähnliche Modellannahmen
petenz der 10-Jährigen im Trend.        (2011) und Hagenauer und Oberwimmer (2019),       getroffen werden. Abbildung 1 (S. 5) zeigt, wel-
Vertiefende Analysen zu PIRLS
(S. 221–237). Graz: Leykam.
                                        sehen daher in den häuslichen Ressourcen für      che Aspekte wir vor dem Hintergrund zentraler
                                        die Hausaufgabenbearbeitung, dem sozio-öko-       Forschungstraditionen und Theoriemodelle als
Huber, S.G. & Helm, C. (2020a).
                                        nomischen Status der Lernenden (bspw. Bil-        relevant erachten und im Schul-Barometer er-
Lernen in Zeiten der Corona-
Pandemie. Die Rolle familiärer          dungs- und Berufsstatus der Eltern) und der       fasst haben.
Merkmale für das Lernen von             Klassenzusammensetzung zentrale Kontextvari-
Schüler*innen: Befunde vom              ablen des Lernens durch Hausaufgaben. Einge-
Schul-Barometer in Deutschland,
                                        bettet in den Kontext, werden im Homework-
Österreich und der Schweiz.
Die Deutsche Schule, Beiheft 16,        Modell von Trautwein et al. (2006),               Stephan Gerhard Huber (Leiter IBB),
37–60.                                                                                    Paula S. Günther, Nadine Schneider,
Huber, S.G. & Helm, C. (2020b).         (1) Merkmale der Lehrpersonen,                    Christoph Helm, Marius Schwander,
COVID-19 and schooling: evalua-         (2) Merkmale der Lernumgebung                    Julia A. Schneider & Jane Pruitt
tion, assessment and account-
ability in times of crises–reacting
quickly to explore key issues for
policy, practice and research with
the school barometer. Educational
Assessment, Evaluation and Ac-
countability, 32(2), 237–270. DOI
10.1007/s11092-020-09322-y.

Huber, S.G., Günther, P.S., Schnei-
der, N., Helm, C., Schwander, M.,
Schneider, J.A. & Pruitt, J. (2020).
COVID-19 und aktuelle Herausfor-
derungen in Schule und Bildung.
Erste Befunde des Schul-Barome-
ters in Deutschland, Österreich
und der Schweiz. Münster, New
York: Waxmann.

Kohler, B. (2011). Hausaufgaben.
Überblick über didaktische Über-
legungen und empirische Untersu-
chungen. DDS – Die Deutsche
Schule, 103 (3), 203–218.

Trautwein, U., Lüdtke, O., Schny-
der, I., & Niggli, A. (2006). Predic-
ting Homework Effort: Support
for a Domain-Specific, Multilevel
Homework Model. Journal of
Educational Psychology, 98 (2),
438–456. https://doi.org/10.-
1037/0022-0663.98.2.438
                                        Analoges und digitales Lernen.

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Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
Abbildung 1: Im Schul-Barometer erfragte Aspekte des Lehrens und Lernens (EL = Eltern; MA = Mitarbeitende; SL = Schulleitung; SuS = Schüler/innen: SV = Schulverwaltung; US = Unterstützungssysteme).

    Familie                                Schüler/innen                         Lehren                                 Lehrer/innen                          Schule                                  System
    Schülersituation                       Alter (SuS)                           Quantität                              –K
                                                                                                                          ompetenz im Einsatz                – Information durch die                – Informationen durch
    – Lernen zuhause als                                                        –O
                                                                                   rganisation digitaler                digitaler Medien                        Schule/Schulleitung                     die Schulbehörde
       Herausforderung (SuS)               Positive Emotionen                     Unterricht (SuS)                       (SuS, EL, MA, SL, SV, US)               (EL, MA, SV, US)                        (MA, SL, SV, US)
    – Lernunterstützung durch             – Freude auf andere                  –%
                                                                                   erreichter Schüler/innen            –M
                                                                                                                          otivation im Einsatz               – Informiertheit                       – Informiertheit der Schul-
       Eltern (SuS, EL)                       Lernmethoden                        (MA, SL, SV, US)                       digitaler Medien                        der Schulleitung (SL)                   verwaltung und Schulauf-
    – Technische Ausstattung                 (SuS, MA, SL, SV, US)              –M
                                                                                   edien für Kontakt/                   (SuS, EL, MA, SL, SV, US)            – Informiertheit                          sicht sowie des Unterstüt-
       – Möglichkeiten, am PC/            – Z ukünftig auch andere              Materialverbreitung                   –K
                                                                                                                          ompetenz im Einsatz                   des Kollegiums (MA)                     zungssystems (SV, US)
          Laptop/Tablet zu arbeiten          Lernmethoden einsetzen               (MA, SL, EL, SuS)                      digitaler Medien                     – Belastung                            – Belastung der Schulver-
          (MA, SL, EL, SuS, SV, US)          (SuS)                               –D
                                                                                   igitale Präsenzzeit (MA, SL)         (SuS, EL, MA, SL, SV, US)               der Schulleitung (SL)                   waltung und Schulaufsicht
    – – eigener PC/Laptop/               – Z eit mit Familie verbringen       –V
                                                                                   ideokonferenzen (EL, SuS)                                                 – Belastung                               sowie des Unterstüt-
          Tablet; PC/Laptop/Tablet           (SuS)                                                                      – I nformiertheit der Mitar-            des Kollegiums (MA)                     zungssystems (SV, US)
                                                                                 Qualität
          leihen; Zustand des PC/          Negative Emotionen                                                             beitenden (MA)                      – Lehrerkooperation
                                                                                 –K  ontrolle Lernaufgaben
          Laptop/Tablet (SuS, EL)          – Belastung                                                                 –B  elastung der Mitarbei-              (MA, SL, SV, US)
                                                                                    (MA, SL, SuS, EL)
    – Erledigungen für Eltern                (SuS, MA, SL, SV, US)                                                       tenden (MA)                         – Erfahrung im Einsatz
                                                                                 –W  -Plan/Coaching (MA, SL)
       und Geschwister (SuS)               – Schule wird vermisst (SuS)                                                –F  unktion an der Schule               digitaler Medien (MA, SL)
                                                                                 –S  orgen ernst nehmen
    – Betreuung von                       – Langeweile (SuS)                                                            (MA, SL)                            – Selbstkonzept im Einsatz
                                                                                    (MA, SL, EL, SuS)
       Geschwistern (SuS)                                                                                                                                        digitaler Medien
                                           Selbstorganisations-                  – L ernstand wird berück-
    – Schüler/in ist alleine (SuS)                                                                                                                              (MA, SL, SV, US)
                                           fähigkeiten                              sichtigt (SuS, EL)
                                                                                                                                                              – Technische Ausstattung
    Elternsituation                        – Tagesabläufe (SuS)                 –D  iff. Lernhinweise (SuS, EL)
                                                                                                                                                                 (MA, SL, SV, US)
    – Belastung/Sorge Eltern (EL)         – Schüler/in hat das Gefühl,         – Absprachen m. Lehrkraft
                                                                                                                                                              – Anwesenheit (MA, SL)
    – Herausforderung Tages-                 dass Ferien sind                      (SuS)
                                                                                                                                                              – % betreuter Schüler/innen
       ablauf Eltern (EL)                     (SuS, EL, MA, SL, SV, US)                                                                                          (MA, SL)
    – Informiertheit d. Eltern (EL)       – Herausforderung Tages-
                                                                                 Lernen/Lernprozesse                                                          – Reaktionen
    – Einstellung d. Eltern zur              ablauf Schüler/in (SuS)                                                                                            des Kollegiums (MA, SL)
       Schulschliessung (EL)
                                                                                                                                                              – Elternarbeit/-kontakt
                                           Freizeitaktivitäten der               – L ernaufwand (SuS)
    Familiäre Situation                                                                                                                                          (SuS, EL, MA, SL, SV, US)
                                           Schüler/in (SuS)                      – Bearbeitungszeit (MA, SL)
    – Umgang der Familie mit                                                    – Schülereinstellung auf neue                                               – Schulstufe
       der Krise (SuS)                                                              Methoden (MA, SL, SV, US)                                                    (SuS, EL, MA, SL)
    – Umgang der Eltern                                                         – Schüler/innen arbeiten ak-                                                – Schultyp (SuS, EL, MA, SL)
       mit der Krise                                                                tiv zuhause (MA, SL, SV, US)
       (MA, SL, SuS, EL, SV, US)                                                 – Soziales Lernen über digitale
                                                                                    Medien (SuS)
                                                                                 – Möglichkeiten zum sozialen
                                                                                    Lernen (MA, SL)

                                                                                 Lernergebnisse
                                                                                 – Ich lerne jetzt mehr als im
                                                                                    normalen Unterricht (SuS)
                                                                                 – Elternsorge über das Zu-
                                                                                    rückbleiben d. Kinder (EL)

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Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
Befunde des Schul-Barometers:
(Lern-)Situation der Schüler/innen zuhause
                                      Die Befunde des Schul-Barometers geben Auf-          1588, v_472) und man «nun mehr Stoff bearbei-
                                      schluss über die häusliche Situation und das         ten [würde], weil das Besprechen wegfalle»
                                      Lernen der Schülerinnen und Schüler während          (SuS, ID 1610, v_472).
                                      des Fernunterrichts.
                                                                                           Technische Ressourcen zuhause
                                      Tätigkeiten der Schüler/innen                        Rund drei Viertel der Eltern stimmen der Aussa-
                                      41 Prozent der Schüler/innen und 44 Prozent          ge «Wir haben zuhause genügend Möglichkei-
                                      der Eltern geben an, dass es ihnen bzw. ihren        ten, am Computer/Laptop/Tablet zu arbeiten»
                                      Kindern (eher) leichtfällt, früh aufzustehen und     (eher) zu. Rund zehn Prozent stimmen ihr (eher)
                                      einen geregelten Tagesablauf zu haben. 30 Pro-       nicht zu. Diese Angaben decken sich mit jenen
                                      zent der Eltern denken, dass dies (eher) nicht       der Schüler/innen, wobei dort die Zustimmung
                                      zutrifft. Bei den Schülern/innen ist dieser Anteil   etwas höher ist (knapp 86 %).
                                      mit 37 Prozent etwas höher.
                                                                                           77 Prozent der Schüler/innen geben an, über ein
                                      Fast die Hälfte der Schüler/innen gibt an,           eigenes Gerät zu verfügen. Rund 21 Prozent lei-
                                      durchschnittlich mehr als vier Stunden pro Ar-       hen ein Gerät von ihren Eltern oder Geschwistern.
                                      beitstag für Lernen und Aufgaben für die Schule
                                      aufzuwenden. In Abbildung 1 sind diese Infor-        Rund 78 Prozent der Schüler/innen stimmen
                                      mationen auf Basis von Mittelwerten (Median)         der Aussage «Der Computer/Laptop/Tablet in
                                      dargestellt.                                         unserem Haushalt ist/sind auf dem neuesten
                                                                                           Stand.» eher oder ganz zu. Sechs Prozent ver-
                                                                                           neinen die Aussage voll und ganz. Die Elternan-
                                                                                           gaben decken sich diesbezüglich.

                                                                                           In den qualitativen Daten wird die unzureichen-
                                                                                           de Hardwareausstattung bei den Schülern/
                                                                                           innen zuhause als der bedeutendste Grund für
                                                                                           deren unzulängliche bis fehlende Erreichbarkeit
                                                                                           während der Schulschliessung genannt.

                                                                                           Lernsituation zuhause
                                                                                           Gleich viele Schüler/innen wie Eltern (je 37 %)
                                                                                           geben zu Beginn des Fernunterrichts an, dass
                                                                                           sie bzw. ihre Kinder sich auf andere Lernweisen
                                                                                           bzw. Lernmethoden, wie z. B. E-Learning, freuen.
Abbildung 1: Lesebeispiel «Median»: Rund 51 Prozent der Schüler/innen gaben an,            Bei den Schulleitungen und Mitarbeitenden der
0 Stunden für PC- und Videogames pro Woche aufzuwenden.                                    Schule schätzen rund ein Viertel (27 % bzw.
                                                                                           22 %), dass die Kinder sich auf andere Lernwei-
                                      Anhand der qualitativen Befunde wird sichtbar,       sen bzw. Lernmethoden freuen. Gut ein Viertel
                                      dass einige Eltern den Eindruck haben, dass          der Eltern (27 %), Mitarbeitenden der Schule
                                      ihre Kinder zuhause einen hohen Arbeitsauf-          (26 %) und Personen der Unterstützungssysteme
                                      wand für die Schule erbringen müssen. Das            (28 %) schätzen ein, dass dies bei den Kindern
                                      wiederum fordert bzw. überfordert auch einen         (eher) nicht der Fall ist, während dieser Anteil
                                      nicht unerheblichen Teil der Eltern im Rahmen        bei den Schülern/innen selbst mit 38 Prozent
                                      der Lernbegleitung.                                  deutlich höher ist.

                                      Auch viele Schüler/innen teilen das Empfinden,       Wie Abbildung 2 zeigt, glaubt die Mehrheit (51 %)
                                      dass sie in der Situation des Fernunterrichts        der Schüler/innen (eher) nicht, dass sie während
                                      mehr Aufgaben und Unterrichtsstoff bearbeiten        des Fernunterrichts mehr als im normalen Unter-
                                      würden als im normalen Unterricht. Ein nicht         richt lernen. Auch denken 48 Prozent der Schüler/
                                      unerheblicher Anteil ist der Ansicht, dass in der    innen (eher) nicht, dass man, wenn die Schule wie-
                                      aktuellen Situation mehr gelernt werde, «weil        der öffnet, mehr online und zuhause lernen sollte.
                                      für eine Stunde Unterricht mehr Aufgaben ge-         Dem gegenüber stehen 28 Prozent, die denken,
                                      stellt werden, als [sie] normalerweise in dieser     dass dies (eher) der Fall sein sollte. 24 Prozent der
                                      Zeit im Unterricht schaffen würden» (SuS, ID         Schüler/innen denken zudem (eher), dass sie jetzt
6
Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
mehr lernen als im normalen Unterricht.
In den qualitativen Daten zeigt sich dazu, dass
sich die Schüler/innen sehr differenziert zur
Situation des häuslichen Lernens äussern. Die
Gründe, welche die Schüler/innen im Rahmen
der offenen Antworten dafür angeben, dass sie
aktuell mehr lernen als im normalen Unterricht,
sind unterschiedlich.

Mehr Unterrichtsstoff als
im normalen Unterricht
Ein Aspekt, der von den Befragten als Grund für
ihr subjektives Empfinden des grösseren Lern-
zuwachses während der aktuellen Situation ge-
nannt wird, ist der oben bereits erwähnte er-      Abbildung 2: Situativer Lernfortschritt der Schüler/innen.
höhte Umfang an Aufgaben. Die Schüler/innen
geben an, dass sie mehr Aufgaben bzw. Unter-       als im normalen Unterricht. In diesem Zusam-
richtsstoff von den Lehrpersonen erhielten und     menhang wird beispielsweise die intrinsische
bearbeiten würden, als dies im normalen Unter-     Motivation, also das Lernen aus eigenem An-
richt der Fall sei.                                trieb und einer inneren Motivation heraus, ge-
                                                   nannt. Die Möglichkeit des selbstverantwortli-
Effektiveres Lernen durch Berücksichtigung         chen und selbstständigen Lernens führe bei
des individuellen Lerntempos                       einigen Schülern/innen zu einer gesteigerten
Besonders hervorgehoben wird die Berücksich-       Lernfreude, das Gefühl von externem Zwang
tigung des individuellen Lerntempos. So geben      bleibe aus und man lerne das selbstständige
viele Schüler/innen an, dass sie in ihrem eige-    Lernen.
nem Lerntempo effektiver lernen können. Dies
sei sowohl ein Vorteil für leistungsstärkere als   Lern- und Biorhythmus können besser
auch -schwächere Schüler/innen. Während ein        berücksichtigt werden
Teil der Befragten angibt, nun mehr Zeit für die   Weiter heben Schüler/innen die Möglichkeit der
Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsstoff        individuellen Zeiteinteilung bzw. ihres individuel-
zur Verfügung zu haben, äussern andere, dass       len Lernrhythmus positiv hervor. So äussert eine
sie nun «mehr erledigen [können] als in der        Befragte oder ein Befragter etwa «ich bin [nun]
Masse, in der man sich auch an den Langsame-       nicht müde, weil ich nicht vormittags arbeiten
ren orientieren müsse» (SuS, ID 1223, v_472).      muss» (SuS, ID 1023, v_472).
Weiterhin geben die Schüler/innen an, dass sie
durch die Berücksichtigung ihres individuellen     Berücksichtigung individueller Lernweisen
Lerntempos weniger Zeitdruck verspüren, mehr       und -methoden
Verständnis für die Lerninhalte entwickeln und     Daneben gibt es auch Schüler/innen, die ihren
die Möglichkeit der individuellen Wiederholung     verstärkten Lernzuwachs während des Fernun-
der Lerninhalte haben würden.                      terrichts mit der Berücksichtigung individueller
                                                   Lernweisen und -methoden begründen. Wäh-
Mehr Konzentration und Ruhe durch                  rend ein Teil der Befragten angibt, durch die
ungestörtere häusliche Lernatmosphäre              Ausweitung der Recherchemöglichkeiten insbe-
Ein weiterer Aspekt, der von den befragten Schü-   sondere durch den häuslichen Internetzugang
lern/innen oft genannt wird, ist eine ungestör-    bessere Lernmöglichkeiten zu haben, äussern
tere Lernatmosphäre. Demnach geben viele Be-       andere, dass sie durch die nun besseren Mög-
fragte an, dass sie sich aufgrund von mehr Ruhe    lichkeiten des Zusammenfassens und Aufschrei-
und weniger Ablenkung besser konzentrieren         bens oder das Anschauen von Lernvideos bes-
könnten und wegen eines angenehmeren Ar-           ser lernen würden.                                           Literatur
beitsumfelds zuhause in der aktuellen Situation
                                                                                                                Huber, S.G., Günther, P.S., Schnei-
mehr lernen würden.                                Wenige Befragte geben an, dass sie durch die                 der, N., Helm, C., Schwander, M.
                                                   Unterstützung der Eltern besser als im norma-                Schneider, J.A. & Pruitt, J. (2020).
Effektiveres Arbeiten durch selbstverantwort-      len Unterricht lernen würden.                                COVID-19 und aktuelle Herausfor-
liches Lernen und intrinsische Motivation                                                                       derungen in Schule und Bildung.
                                                                                                                Erste Befunde des Schul-Barome-
Viele Schüler/innen scheinen überdies die Mög-     Stephan Gerhard Huber (Leiter IBB),
                                                                                                                ters in Deutschland, Österreich
lichkeiten des selbstverantwortlichen Lernens      Paula S. Günther, Nadine Schneider,                          und der Schweiz. Münster, New
zu schätzen und führen dies als Grund dafür an,    Christoph Helm, Marius Schwander,                            York: Waxmann.
dass sie in der aktuellen Situation mehr lernen    Julia A. Schneider & Jane Pruitt
                                                                                                                                                   7
Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
Befunde des Schul-Barometers: die Rolle familiärer und
schulischer Merkmale für das Lernen von Schüler/innen
                                    Die Corona-Pandemie führte weltweit zu tempo-           tisch äussern und sie als hohe Belastung
                                    rären Schulschliessungen. Bleiben dabei einzelne        erleben (und mehr Unterstützung von Lehr-
                                    Schülergruppen auf der Strecke?                         personen benötigen). Sie haben eher das
                                                                                            Gefühl, sie hätten Ferien und sind tendenzi-
                                    Bereits im Rahmen der Berichtslegung zum                ell weniger lernmotiviert.
                                    Schul-Barometer (Huber et al., 2020) wurden
                                    Befunde präsentiert, die Aufschluss über das         Zum anderen wurde analysiert, was jene Schü-
                                    Lernen benachteiligter Schüler/innengruppen          ler/innen, die das Gefühl haben, sie hätten zu
                                    geben (siehe Artikel auf S. 6–7).                    Beginn des Fernunterrichts Ferien, von anderen
                                                                                         Schülern/innen unterscheidet. Entsprechend
                                    Outcome und Selbstständigkeit                        der eben dargestellten Analyse sind Schüler/
                                    der Schüler/innen                                    innen, die viel für die Schule lernen und arbei-
                                    Untersucht wurde, was Schüler/innen, die wäh-        ten (wöchentlich 25 Stunden und mehr), sehr
                                    rend der Schulschliessungen zuhause viel Zeit        selten jene, die denken, sie hätten Ferien. Darü-
                                    für das Lernen (25 Stunden und mehr) aufwen-         ber hinaus zeigt sich, dass Schüler/innen, die
                                    den, von jenen unterscheidet, die wenig Zeit für     25 Stunden und mehr pro Woche Computer-
                                    das Lernen (weniger als 9 Stunden) aufwenden         spiele spielen und Fernsehen schauen und de-
                                    (vgl. Artikel auf S. 6–7).                           nen es schwerfällt, früh aufzustehen und einen
                                                                                         geregelten Tagesablauf zu haben, signifikant
                                    Lernaktiven Schülern/innen, die der ersten           häufiger das Gefühl haben, sie hätten Ferien.
                                    Gruppe angehören,
                                                                                         Schliesslich wurden Schüler/innen, die die
Literatur                           – fällt es leicht, früh aufzustehen und einen        Schule vermissen, mit jenen kontrastiert, die
Huber, S.G., Günther, P.S.,           geregelten Tagesablauf zu haben,                   die Schule nicht vermissen. Zusammenfassend
Schneider, N., Helm, Chr.,          – sind in der Lage, den Tag selbst zu planen,        zeigt sich, dass Schüler/innen, die mit der
Schwander, M., Schneider, J. &
Pruitt, J. (2020). COVID-19 und
                                    – verbringen mehr Zeit mit Sport zuhause,            Schulschliessung sehr schlecht zurechtkommen,
aktuelle Herausforderungen in         mit Lesen und anderen Aktivitäten,                 deutlich häufiger der Gruppe von Schülern/innen
Schule und Bildung. Münster u. a.   – glauben, während des Fernunterrichts mehr          angehören, die die Schule vermisst. Auch jene,
Waxmann. Verfügbar unter:             zu lernen als im normalen Unterricht,              denen die Decke bereits kurz nach Beginn des
DOI 10.31244/9783830942160.
                                    – bekommen häufiger die Lernaufgaben durch           Fernunterrichts auf den Kopf fällt und die sich
Huber, S.G. & Helm, C. (2020a).       ihre Lehrpersonen kontrolliert und                 nicht auf neue Lernmethoden freuen, vermissen
COVID-19 and Schooling:
                                    – haben nicht das Gefühl, dass gerade                die Schule mit einer signifikant höheren Wahr-
Evaluation, Assessment and Ac-
countability in Times of Crises-      Ferien sind.                                       scheinlichkeit. Darüber hinaus stehen die erlebte
Reacting Quickly to Explore Key                                                          Belastung und die Fragen, ob das Lernen zuhau-
Issues for Policy, Practice and     Im Kontrast zu dieser Gruppe zeigt sich die          se eine Herausforderung darstellt, ob auch in
Research with the School Barome-
                                    Gruppe der weniger lernaktiven deutlich pas-         Zukunft mehr online und zuhause gelernt wer-
ter. Educational Assessment, Eva-
luation and Accountability 32(2),   siver, mit einer Ausnahme: Sie verbringen            den soll und ob jetzt mehr als im normalen Un-
237-270. DOI 10.1007/s11092-        viermal so viel Zeit wie die andere Gruppe mit       terricht gelernt wird, in bedeutendem Zusam-
020-09322-y.                        Computerspielen.                                     menhang mit dem Ausmass, in dem die Schule
Huber, S.G. & Helm, C. (2020b).                                                          vermisst wird.
Lernen in Zeiten der Corona-        Auch auf Basis der Schüler/innenantworten
Pandemie. Die Rolle familiärer
                                    zu den offenen Fragen im Schul-Barometer kris-       Zusammenhangsanalysen
Merkmale für das Lernen von
Schüler*innen: Befunde vom          tallisieren sich deutlich die zwei Gruppen der       zum häuslichen Lernen
Schul-Barometer in Deutschland,     Lernaktiven und weniger Lernaktiven heraus:          Vor dem Hintergrund von Modellen des Lernens
Österreich und der Schweiz. Die                                                          zuhause (z. B. dem Homework-Modell nach
Deutsche Schule, Beiheft 16,
                                    (1) Lernaktive Schüler/innen, die sich sehr posi-   Trautwein et al., 2006) wurde der Frage nachge-
37–60. DOI 10.31244/9783830-
992318.                                 tiv über den Fernunterricht und die damit ver-   gangen, welchen Einfluss Merkmale der Qualität
                                        bundenen Chancen äussern (Möglichkeiten          des Fernunterrichts, Schüler/innenmerkmale
Trautwein, U., Lüdtke, O., Schny-
der, I. & Niggli, A. (2006). Pre­
                                        des selbstbestimmten, eigenverantwortlichen,     und die Verfügbarkeit häuslicher Ressourcen
dicting homework effort: Support        kreativen Lernens unter Berücksichtigung des     auf Schüleroutcomes (Lernerfolg, Lernaufwand,
for a domain-specific, multilevel       individuellen Lerntempos, Lernrhythmus und       Lernemotionen) in Zeiten von COVID-19 und
homework model. Journal of Edu-         der individuellen Lernweisen/-methoden). Sie     der damit einhergehenden Schulschliessungen
cational Psychology, 98(2), 438–
456. Zugriff am 28.05.2020. DOI
                                        kann man auch als lernmotiviert bezeichnen.      haben. Auf Basis von Daten von 8344 Schülern/
10.1037/0022-0663.98.2.438.         (2) Weniger lernaktive Schüler/innen, die sich      innen aus Deutschland, Österreich und der
                                         über die Situation des Fernunterrichts kri-     Schweiz wurde ein Strukturgleichungsmodell
8
Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
(vgl. Abbildung 1) geschätzt, das zeigt, dass so-            Unterstützung zurückbleiben, sondern insbe-
wohl die familiären als auch die schulischen                 sondere aufgrund fehlender Fähigkeiten zum
Merkmale Einfluss auf die Outcomes der Schü-                 selbstgesteuerten Lernen und zur Selbstorgani-
ler/innen haben (ausführlich dazu Huber &                    sation des Tagesablaufs. Der Mangel dieser
Helm 2020a, S. 49 ff). Besonders die Selbst-                 Fähigkeiten ist wahrscheinlich auch auf das
ständigkeit der Schüler/innen und die von ihnen              Fehlen von Entwicklungsmöglichkeiten zurück-
wahrgenommene Qualität des Fernunterrichts                   zuführen, die diese Schüler/innen (in sozio-
sind jedoch prädiktiv dafür, in welchem Aus-                 ökonomisch schlechter gestellten bzw. benach-
mass sie denken, dass sie jetzt mehr lernen als              teiligten Familien) oft nicht ausreichend
im normalen Unterricht, Zeit für schulische Be-              vorfinden (z. B. vorgelebte volitionale Fähigkei-
lange aufwenden und positive sowie negative                  ten, Selbstorganisation und Aspirationsniveau,
Emotionen erleben. Häusliche Ressourcen wie                  Erfolgserwartung und Selbstwirksamkeit).
die technische Ausstattung und die elterliche
Unterstützung spielen dagegen eher eine unter-               Die Befunde deuten darauf hin, dass ein Mehr
geordnete Rolle. Allerdings ist der familiäre Um-            an technischer Ausstattung nur schwache Ef-
gang mit der Krisensituation deutlich mit negati-            fekte auf das Lernen der Schüler/innen wäh-
ven Emotionen der Schüler/innen korreliert.                  rend der Corona-Pandemie haben dürfte. Wir
                                                             gehen aber trotzdem davon aus, dass eine bes-
Es lässt sich ableiten, dass sozial benachteilig-            sere Ressourcenausstattung für benachteiligte
te Schüler/innen in Zeiten der Schulschlies­                 Schülergruppen wichtig ist, denn sie sind Vor-
sung nicht primär aufgrund fehlender techni-                 aussetzung für einen digitalen Unterricht, der
scher Ausstattung oder fehlender elterlicher                 mit allen Schülern/innen möglich sein muss,

                                                                   abhängige Variablen

                                                                                                                   fehlende
                                        Quantität                     Lernerfolg                                   elterliche

                                                                                                                                                     Häusliche Ressourcen für das Lernen
                                                                                                                 Unterstützung
     Merkmale der Unterrichtsqualität

                                         Qualität:
                                        Feedback,                   Lernaufwand                                    Erledigungen
                                         Kontrolle                    h/Woche                                        für Eltern

                                          Qualität:                    positive                                      familiärer
                                        L-S-Kontakt                   Emotionen                                       Umgang

                                          Lehrer-                      negative                                    technische
                                        kompetenz                     Emotionen                                    Ausstattung

                                                        Selbst-
                                                      ständigkeit                                 Alter

                                                              Schülermerkmale

Abbildung 1: Empirisches Modell des Lernens während der Corona-Pandemie. Anm.: Die Abbildung enthält alle – auf einem Niveau von .05 und darunter – statistisch
signifikanten Effekte. Effekte mit einem Beta > .100 sind durch dicke Pfeile hervorgehoben (Quelle: eigene Darstellung).

                                                                                                                                                                                           9
Infonium PH Zug 2/2020 Schul-Barometer - Kanton Zug
um auch hier Chancengleichheit zu gewährleis-    der technischen Ausstattung (z. B. mit der
                                     ten. Gerade für eine kleinere Gruppe von Schü-   staatlichen Vergabe von technischen Endgerä-
                                     lern/innen (etwa 10 %) würde eine adäquate       ten wie Tablets oder Laptops an Schüler/innen)
                                     technische Ausstattung aber vermutlich deutli-   würde aber vor allem eine stärkere Betreuung
                                     che Abhilfe bezüglich eines Teils der erlebten   sozial benachteiligter Familien und die perso-
                                     Herausforderungen leisten. Darüber hinaus        nenbezogene Lernbegleitung der Schüler/in-
                                     sollen Digitalisierungsmöglichkeiten ja sowohl   nen helfen.
                                     das Lernen über Technologie ermöglichen wie
                                     durch das Lernen mit Technologie weitere Dif-    Stephan Gerhard Huber, Leiter IBB,
                                     ferenzierungsmöglichkeiten schaffen. Neben       und Christoph Helm, Stv. Leiter IBB

Zuhause eine anregende Lernumgebung zu schaffen, kann eine Herausforderung sein.

10
Schul-Barometer: zentrale Aussagen und
weiterführende Überlegungen
Die Corona-Pandemie stellt für alle Akteure im     nen sich stärker auf jene Schüler/innen
Bildungs- und Schulkontext eine sehr grosse Her-   fokussieren, die einen höheren Unterstützungs-
ausforderung dar. Die Situation mag aber auch      bedarf (z. B. engere Betreuung, weniger kom-
Chancen erkennen lassen.                           plexe Aufgabenstellungen) haben (ohne dabei
                                                   die eher eigenverantwortlich lernenden Schü-
In den Befunden des Schul-Barometers zeigt         ler/innen ganz zu vernachlässigen).
sich eine hohe Wertschätzung und Anerken-
nung gegenüber der Institution Schule und der      Alle Schüler/innen benötigen jedoch klare
Arbeit der Lehrpersonen. In den qualitativen       Lernziele, eine transparente Struktur, regelmäs­
Aussagen der Eltern kommt zum Vorschein,           sige Rückmeldungen zum Lernergebnis und
dass besonders in dieser Krisenzeit das Enga-      Lernerfolg – all dies, was erfolgreichen (digita-
gement der Lehrpersonen und die Anforderun-        len) Unterricht ausmacht.
gen an ihren Beruf stärker wahrgenommen
werden, auch retrospektiv. Sie erfahren eine       Perspektiven: Blended learning und
höhere Wertschätzung und Anerkennung.              Kompensationsbemühungen
Eltern sprechen ihren Respekt aus, zeigen          Eine weitere Chance, die Unterrichts- und
grosse Dankbarkeit und sind der Meinung,           Schulkonzepte nach der Wiedereröffnung sinn-
die Lehrpersonen seien «Gold wert».                voll weiterzuentwickeln, liegt im sogenannten
                                                   Integrierten Lernen, auch «blended learning»
Lernen mit und durch Technologie sowie             genannt. («Ich würde den Schulen empfehlen,
über Technologie ist gefragt                       dass sie die Krise nutzen, um Schulentwick-
Der Bereich der Digitalisierung erlebt einen       lungs-Themen voranzubringen; dabei insbeson-
enormen Aufschwung. Die Notwendigkeit zur          dere die der Digitalisierung, der Kollaboration im
Digitalisierung erlaubt Schulen, in den Fach-      Kollegium [Öffnung des Klassenzimmers] und
schaften und Jahrgangs- und Klassenteams           der Individualisierung.» [Unterstützungssystem,
innerhalb von Einzelschulen die aktuelle Situa-    40]). Dadurch können Schule und Lernen den
tion aktiv für Schul-, Personal-, Organisations-   gesellschaftlichen Entwicklungen der Digitali-
und Unterrichtsentwicklung zu nutzen. Es wird      sierung gerecht(er) werden. Die gesamte Kom-
Zeit benötigt für Konzeptionsarbeit, Abstim-       petenzentwicklung von Schülern/innen, die so
mungen und Erprobung in der Umsetzung –            nicht mehr nur durch und mit sondern auch
inklusive der Evaluation. Da die Krisen-Situati-   über Technologie lernen, eröffnet Chancen der
on von Schulleitungen und Lehrpersonen als         Anschlussfähigkeit zu anderen gesellschaftli-
Chance verstanden wird, könnten diese Kom-         chen Lebensbereichen, insbesondere im Über-
petenzen jetzt für längere Zeit etabliert wer-     gang von Schule zu Beruf.
den – mit hohem Grad an Kohärenz einerseits,
und an Differenzierungsmöglichkeiten ande-         Schereneffekte vermutet
rerseits.                                          Die Erhebungen des Schul-Barometers lassen
                                                   vermuten, dass Unterschiede bei den Schülern/
Digitalisierung könnte Differenzierung             innen – wie übrigens auch bei den Lehrpersonen
ermöglichen                                        und Schulen insgesamt –, die es schon vor der
Die Lehr-Lern-Formen, die durch Digitalisierung    Krise und unabhängig von der Krise gab, sich in
möglich sind, bedeuten nicht nur, dass es für      Zeiten einer Krise stärker zeigen. Diese Unter-
Schüler/innen verschiedene Aufgaben und            schiede wirken sich auf die Kompensationsmög-
Lernwege geben kann. Die digitalen Lehr-Lern-      lichkeiten aus, was zu einer Verstärkung der
Formen erlauben darüber hinaus auch eine be-       Unterschiede führt. Es ist auch davon auszuge-
wusstere Differenzierung. Das könnte bedeu-        hen, dass das Ausmass von Schereneffekten bei
ten, dass Schüler/innen, die mit einem hohen       Schülern/innen, Eltern sowie innerhalb und
Grad an Selbstständigkeit und Lernfreude ar-       zwischen Schulen über die Zeit grösser wird und
beiten, weniger kleinschrittige Übungsaufgaben     den Handlungsdruck erhöht. Im Mehrebenen-
und Anleitung erhalten und stattdessen kom-        system werden differenzierte Handlungsmecha-
plexere Aufgabenstellungen relativ eigenverant-    nismen zum Ausgleich benötigt und vor dem
wortlich in kreativer Weise bearbeiten können,     Hintergrund professioneller Verantwortung er-
z. B. mit «Lernjournalen, Arbeit an Fallbeispie-   wartet, die positive Diskriminierungen zur Folge
len» (MA, ID 470, v_213) oder «virtual projec-     haben (auch vor dem Hintergrund von pragmati-
ting» (Eltern, ID 32, v_213). Lehrpersonen kön-    schen Machbarkeiten).
                                                                                                        11
Erwartungen an Schulen, schulische und              entsprechen. Aufgrund der Neuartigkeit der
                                      ausserschulische Akteure                            aktuellen Situation sind hier für bestimmte
                                      Die Krisensituation hat vieles in Bewegung ge-      Fragen erst Abstimmungsleistungen erforder-
                                      bracht. Bislang gültige Abläufe, Standards und      lich, damit koordiniertes und gemeinsames
                                      Verfahren müssen hinterfragt werden. Das führt      Handeln gelingt.
                                      zu Erwartungshaltungen an alle Akteure. Kon-
                                      kret wird etwa von Lehrpersonen erwartet, dass      In der Konsequenz zeigen sich grosse Heraus-
                                      sie sich mithilfe guter Lehr-Lern-Formen be­        forderungen hinsichtlich Bildungsgerechtigkeit
                                      sonders um die abgehängten oder «abhängen-          und Chancengleichheit. (Bildungs-)Verlierer/
                                      den» Schüler/innen kümmern. Von Schulen             innen sind in der aktuellen Situation, so ist zu
                                      wird erwartet, dass sie schulintern Formen der      befürchten, wahrscheinlich Schüler/innen aus
                                      sozialen bzw. kollegialen Unterstützung finden,     sozioökonomisch (hoch) benachteiligten Eltern-
                                      sich hinsichtlich guten (Fern-)Unterrichtens        häusern. Schulen mit einem hohen Anteil an
                                      bzw. der (Aus-)Gestaltung von Lehr-Lern-Arran-      benachteiligten Schülern/innen stehen deshalb
                                      gements austauschen und die Kooperation in-         vor besonders grossen Herausforderungen.
Literatur                             nerhalb der Fachschaften und Jahrgangsteams/
                                      Stufenteams und in Gesamtkollegien verstär-         Wichtig ist, dass Lehrpersonen die individuellen
Huber, S.G., Günther, P.S.,
Schneider, N., Helm, C., Schwan-      ken. Hierbei spielt die Qualität von Leitungsper-   und familiären Voraussetzungen ihrer Schüler/
der, M., Schneider, J. & Pruitt, J.   sonen eine grosse Rolle. Von der Ebene des          innen noch besser kennen und beachten als im
(2020). COVID-19 und aktuelle         Schulträgers und der Schulaufsicht wird erwar-      «normalen» Unterricht und Schulbetrieb – ein
Herausforderungen in Schule und
                                      tet, dass sie vor allem die besonders belasteten    wahrlich hoher Anspruch, zumal sich die Schü-
Bildung. Münster u. a. Waxmann.
Verfügbar unter:                      Schulen unterstützen und Formen der schul-          ler/innen mit geringeren Ressourcen und mit
DOI 10.31244/9783830942160.           übergreifenden Unterstützung wie auch des           besonderen Belastungskonstellationen auf der
Huber, S.G. & Helm, C. (2020).        Wissensmanagements und der Nachhaltigkeit           Personen- und Familienebene nicht gleich über
Lernen in Zeiten der Corona-          von Innovationen in Zeiten der Krise im Blick       Klassen und Schulen verteilen. Hier ist das ge-
Pandemie. Die Rolle familiärer        behalten.                                           samte System gefordert.
Merkmale für das Lernen von
Schüler*innen: Befunde vom
Schul-Barometer in Deutschland,       Gefordert sind alle Akteure, damit schulische
Österreich und der Schweiz.           Arbeit, das heisst der Fernunterricht und die       Stephan Gerhard Huber (Leiter IBB),
Die Deutsche Schule, Beiheft 16,      wahrscheinlich noch länger andauernde Kom-          Paula S. Günther, Nadine Schneider,
37–60. DOI 10.31244/9783830-
                                      bination von Präsenz- und Fernunterricht,           Christoph Helm, Marius Schwander,
992318.
                                      professionellen Mindest- und Regelstandards         Julia A. Schneider & Jane Pruitt

12
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Für mehr Chancengerechtigkeit: ganzheitliche Entwicklung
von Jugendlichen in Bildungslandschaften
Bildungslandschaften wollen allen Kindern und      gendlichen erreicht werden (Jungermann et al.,
Jugendlichen eine chancengerechtere, vielfältige   2015).
und umfassende Bildung ermöglichen. Sie be­
ruhen auf Kooperation und Vernetzung diverser      Potenzial von Bildungslandschaften
Akteure im Bildungsbereich.                        Bildungslandschaften beruhen auf Kooperati-
                                                   on und Vernetzung diverser Akteure im Bil-
Bildung findet nicht nur in der Schule statt.      dungsbereich. Man geht zum einen davon aus,
Kinder und Jugendliche erwerben auch in aus­       dass dieses Zusammenspiel von formalen und
serschulischen Bildungsangeboten (z. B.            ausserschulischen Bildungsinstitutionen zu
von Vereinen) zentrale Erfahrungen für den         einer optimalen Gestaltung des lokalen Bil-
weiteren Lebensverlauf. Zu diesem Zweck sind       dungsangebots führt. Zum anderen kann so
im deutschsprachigen Raum in den letzten           vermieden werden, dass Bruchstellen an den
zwei Jahrzehnten vermehrt sogenannte Bil-          Übergängen entstehen und Bildungspotenziale
dungslandschaften entstanden. Dabei handelt        übersehen werden (Haugg, 2012). So sollen
es sich um eine strategische Vernetzung von        insbesondere sozial benachteiligte Kinder und
schulischen und ausserschulischen Bildungs-        Jugendliche durch die Bildungslandschaft
akteuren in einem definierten lokalen Gebiet       neue Erfahrungsräume und Möglichkeiten zur
(z. B. einer Gemeinde oder einem Quartier).        kognitiven, sozialen und emotionalen Entwick-
                                                   lung geboten werden (Bollweg & Otto, 2011).
Auch in der Schweiz wurde der Aufbau von ins-      Um eine ganzheitliche Entwicklung von Kin-
gesamt 22 Bildungslandschaften in der deutsch-     dern und Jugendlichen zu gewährleisten, wird
und französischsprachigen Schweiz im Rahmen        neben dem schulischen Lernen, das vor allem
eines Public Private Partnerships durch die        mit dem Erwerb von kognitiven Kompetenzen
Jacobs Foundation initiiert. Das Programm wur-     und fachlich-kognitiven Leistungen in Verbin-
de durch das Institut für Bildungsmanagement       dung gebracht wird, auch das emotionale
und Bildungsökonomie (IBB) wissenschaftlich        und soziale Lernen als Aufgabe des Bildungs-
erforscht und evaluiert.                           systems aufgefasst.

Inhalte, Ziele und Merkmale von                    Die Einbindung der lokalen Bildungsakteure
Bildungslandschaften                               soll dazu führen, dass die Bildungsangebote
Zwar bauen Bildungslandschaften oft auf            insgesamt auf den Sozialraum abgestimmt sind
Schulnetzwerken auf, ihr zentrales Merkmal liegt   und die Bedürfnisse und Bedarfe der Zielgrup-
aber in der Kooperation mit ausserschulischen      pen berücksichtigen, denn die Bildungsakteure
Bildungspartnern. Neben einer langfristigen        vor Ort kennen die Kinder und Jugendlichen
Vernetzung und einer systematischen Zusam-         sowie ihre Bedürfnisse am besten. Zusammen-
menarbeit unterschiedlicher Bildungsakteure        fassend lässt sich also festhalten, dass Bil-
zeichnen sich Bildungslandschaften durch eine      dungslandschaften das Potenzial zugesprochen
konsequente Ausrichtung auf ein gemeinsames        wird, niedrigschwellige und alternative Zugänge
Ziel aus. Zum Beispiel können Bildungsland-        zu pädagogisch gerahmten Settings als Ergän-
schaften die Übergänge von einer Bildungsstu-
fe zur nächsten fokussieren, um Brüche in der
Bildungsbiografie zu vermeiden. Angestrebt
wird dabei auch, die sozialen und emotionalen
Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen
durch die Bildungsangebote in den Bildungs-
landschaften zu fördern und somit eine bes-
sere Integration zu ermöglichen. Diese beiden
Fokusse dienen dem übergeordneten Ziel von
Bildungslandschaften, nämlich allen Kindern
und Jugendlichen in der Bildungslandschaft
eine chancengerechtere, vielfältige und umfas-
sende Bildung zu ermöglichen (Huber, 2014).
Dieses Leitziel soll sowohl durch Persönlich-
keitsentwicklung als auch die Förderung des        Abbildung 1: Bildungsbiografien aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen
individuellen Potenzials aller Kinder und Ju-      (adaptiert nach Vorndran,     2008).
                                                                      Abbildung 1: Bildungsbiografien aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen (adaptiert nach Vorndran, 2008)

                                                                                                                                                                                        13
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 Kinder lernen nicht nur in der Schule.

                                          zung zum formalen Bildungssystem zu schaf-          kus darauf lag, bereits bestehende Angebote
                                          fen. Darüber hinaus sollen die vielfältigen Frei-   und den Zugang zu ihnen bekannter und sicht-
                                          zeit- und Bildungsoptionen kompensatorisch          barer zu machen. Hierzu zählen zum Beispiel
                                          für sozial benachteiligte Familien wirken, indem    sogenannte «Marktplätze», wo Jugendliche die
                                          durch neue Bildungsmöglichkeiten Zugänge zu         Angebote direkt ausprobieren und ihre Anbie-
  Literatur                               anderen sozialen Netzwerken und Kontexten           ter kennenlernen können. Damit konnten
                                          ermöglicht werden.                                  Hemmschwellen für die Jugendlichen gesenkt
  Bollweg, P. & Otto, H.-U. (Hrsg.).
  (2011). Räume flexibler Bildung:                                                            werden, direkt zur Institution zu gehen.
  Bildungslandschaft in der Diskus­       Veränderung der Palette an Bildungs-,
  sion (1. Auflage). VS Verlag.           Betreuungs- und Freizeitangeboten                   Einige Bildungslandschaften haben sozial be-
  Haugg, K. (2012). Potenziale loka-      Zusammengefasst über 16 Bildungslandschaf-          nachteiligte Bevölkerungsgruppen als Zielgrup-
  ler Bildungslandschaften und Bünd-      ten, die im Rahmen des Programms «Bildungs-         pen ihrer generellen Aktivität definiert. Aller-
  nisstrukturen für mehr Bildungs-
                                          landschaften Schweiz» implementiert wurden,         dings wurden, gemessen an der Gesamtheit der
  gerechtigkeit aus der Perspektive
  des Bundes. In P. Bleckmann &           kann festgestellt werden, dass Lernkultur und       Bildungs-, Betreuungs- und Freizeitangebote,
  V. Schmidt, Bildungslandschaften.       Lerngelegenheiten für Kinder und Jugendliche in     nur wenige Angebote in den Bereichen Deutsch-
  Mehr Chancen für alle (S. 211–217).     den Bildungslandschafts-Gemeinden bereichert        förderung, Austausch und Begegnung sowie
  VS Verlag für Sozialwissenschaften.
                                          wurden. Zum einen können quantitative Zunah-        Elternbildung geschaffen, die sich an Bevölke-
  Huber, S.G. (2014). Kooperation         men in den verschiedenen Angebotsformen             rungsgruppen mit Migrationshintergrund und an
  in Bildungslandschaften: Aktuelle       verzeichnet werden. Pro Bildungslandschaft          sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen rich-
  Diskussionsstränge, Wirkungen und
  Gelingensbedingungen. In S.G.
                                          kamen beispielsweise bis zu 41 Angebote neu         ten. Ein Grund dafür mag sein, dass möglicher-
  Huber (Hrsg.), Kooperative Bil-         hinzu. Insgesamt ist auch eine Erweiterung der      weise eine Stigmatisierung der entsprechenden
  dungslandschaften. Netzwerke(n)         Angebotsbreite in den Bildungslandschaften          Bevölkerungsgruppen verhindert werden sollte.
  in und mit System (S. 3–29). Wol-       erkennbar. So sind in der Mehrheit der Bil-
  tersKluwer.
                                          dungslandschaften Bildungs-, Betreuungs- und        Anja Koszuta,
  Jungermann, A., Manitius, V. &          Freizeitangebote in Themenfeldern hinzugekom-       Wissenschaftliche Assistentin, IBB
  Berkemeyer, N. (2015). Regiona-
                                          men, in denen zum Programmstart noch keine
  lisierung im schulischen Kontext.
  Ein Überblick zu Projekten und          Angebote vorlagen. Das Themenspektrum der           Kurzversion des Abschlussberichts und weitere
  Forschungsbefunden. Journal for         Angebote in den Bildungslandschaften ist also       Informationen:
  educational research online, 7(1),      breiter geworden. Der grösste Zuwachs konnte        bildungsmanagement.net/html/projekte/
  14–48.
                                          bei Angeboten beobachtet werden, deren Fo-          forschung/pl33_bildungslandschaften.htm
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Dank Netzwerkpflege zu erfolgreicher
internationaler Zusammenarbeit
Die Anforderungen an eine internationale Zusam-       neuen Inhalten ist, dass alle voneinander lernen
menarbeit sind vielfältig und fordernd. Dank guter    und auch persönlich weiterkommen.
Netzwerkpflege und erfahrener Partner kann das
Institut für internationale Zusammenarbeit in Bil-    Mehrwert für alle Beteiligten
dungsfragen (IZB) einen international ausgerichte-    Der MAS «Pädagogische Zugänge für die Bil-
ten Lehrgang anbieten.                                dung in Humanitären Prinzipien und Werten» ist
                                                      sehr praxisorientiert und zielt stark auf die Ver-
Wie kann eine Zusammenarbeit mit internatio-          bindung von Theorie, Praxis und Reflexion ab.
naler Dimension gelingen? Was gilt es zu beden-       Die Studierenden erwerben vertieftes Wissen
ken? Und vor allem: Wen gilt es wie und warum         über pädagogische Ansätze, die für die Bildung
miteinzubeziehen? Diese Fragen sind für das           in «Humanitären Prinzipien» und Werthaltungen
IZB in der Bearbeitung der Themen der migrati-        relevant sind, und sie werden befähigt, diese
onsbezogenen Heterogenität, sozialer Ungleich-        im eigenen Arbeitsfeld anzuwenden. Die Teil-
heiten, Internationalisierung und Bildungsquali-      nehmenden der ersten Durchführung meldeten
tät elementar. Ein vom IZB konzipierter Master        zurück, dass sie gelernt haben, die Komplexität
of Advanced Studies (MAS) setzt hierbei eine          von pädagogischen Aufgabenstellungen zu er-
multiperspektivische Herangehensweise in den          kennen und auch «anzunehmen». Darüber hin-
Fokus und zeigt auf, wie internationale Zusam-        aus gelinge es ihnen dank der Förderung des
menarbeit für alle Involvierten erfolgreich ge-       kritischen Denkens sowie des kreativen Prob-            International
staltet werden kann.                                  lemlösens zunehmend, neue Wege des Lehrens              ausgerichtetes DAS
                                                      und Lernens zu entdecken und durch wieder-              Langandauernde Krisen, Gewalt,
Von kompetenten Partnern profitieren                  holtes Üben in ihr eigenes Repertoire zu über-          bewaffnete Konflikte, Naturkatas-
Der in den Jahren 2018 bis 2019 erstmalig             führen. Die Studierenden gaben zudem an,                trophen und regionsspezifische
                                                                                                              Notsituationen sind humanitäre
durchgeführte MAS «Pädagogische Zugänge für           dass sie der professionellen Selbstreflexion
                                                                                                              Herausforderungen der heutigen
die Bildung in Humanitären Prinzipien und Wer-        nun eine höhere Bedeutung zumessen und                  Zeit. Bildung in «Humanitären
ten» basierte auf einer breit angelegten internati­   diese für sich und ihre tägliche Arbeit nutzbar         Prinzipien» und in «Werthaltun-
onalen Zusammenarbeit. Denn um den Lehrgang           machen können.                                          gen» ist ein wichtiger Pfeiler, um
                                                                                                              solche Herausforderungen bewäl-
in der erforderlichen Qualität durchführen zu
                                                                                                              tigen zu können. Zudem trägt sie
können, ist eine fundierte Expertise in aktuellen     Mit Blick auf die involvierten Institutionen gilt es    zur Stärkung der individuellen
humanitären Anliegen sowie Wissen über die            herauszuheben, dass die gemeinsam kreierten             Resilienz, des sozialen Zusam-
«Humanitären Prinzipien» in ihrer historischen        Synergien weit mehr sind als die blosse Ergän-          menhalts und der Friedensförde-
                                                                                                              rung bei.
und anwendungsbezogenen Dimension von                 zung der je eigenen Kompetenzen. Beispielswei-
grundlegender Bedeutung. Mit der DEZA (Direk-         se konnte das IZB die eigene Expertise aus einer        Im DAS «Pedagogical Approaches
                                                                                                              for Education in Humanitarian
tion für Entwicklung und Zusammenarbeit) und          neuen Perspektive reflektieren, namentlich aus
                                                                                                              Principles and Values» erarbeiten
der IFRC (Internationale Föderation der Rot-          derjenigen der konkreten humanitären Arbeit.            sich die Teilnehmenden die erfor-
kreuz-und Rothalbmondgesellschaften) stehen           Um die eigenen thematischen Anliegen über-              derlichen Einstellungen, Kennt-
dem IZB hierfür zwei kompetente Partner bera-         haupt einbringen zu können, bedurfte es einer           nisse und Unterrichtskompeten-
                                                                                                              zen, um Initiativen und Projekte
tend zur Seite.                                       umsichtigen und sorgfältigen Passung, die den
                                                                                                              in ihrem eigenen Arbeitskontext
                                                      Anliegen und Herausforderungen humanitärer              planen und umsetzen zu können.
Die Zusammenarbeit ist insbesondere deshalb           Arbeit Rechnung trägt. Basierend auf den Durch-
                                                                                                              Kursstart im Mai 2021. Mehr In-
so erfolgreich, weil alle Kooperationspartner         führungserfahrungen und Rückmeldungen zum               fos: izb.phzg.ch > Projekte > DAS
bereit sind, das Wissen und Können der anderen        MAS entwickelt das IZB-Team ein neues DAS
zu erkennen, einzubeziehen und die vorhande-          Diploma of Advanced Studies zur gleichen The-
nen Kompetenzen zu nutzen. Damit die Netz-            matik (siehe Infobox).                                 Das IZB steht in engem Austausch
werkpflege über einzelne Problemlösungsfin-                                                                  mit der Internationalen Föderation
                                                                                                             der Rotkreuz- und Rothalbmond­
dungen hinausgeht und in sämtliche wesentliche        Marco Fankhauser, Dozent IZB
                                                                                                             gesellschaften (IFRC).
Prozesse integriert werden kann, ist ein kontinu-
ierlicher Austausch wichtig. Eine adäquat orga-
nisierte Kommunikation bildet dafür die Basis.
Im Laufe der Zeit haben die beteiligten Personen
von DEZA, IFRC und IZB ein gemeinsames Ver-
ständnis dahingehend entwickelt, die Netzwerk-
pflege als ein inhärentes Merkmal einer lernen-
den Organisation zu betrachten. Ein produktiver
Nebeneffekt beim gemeinsamen Entwickeln von
                                                                                                                                              15
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