Gemeinschafts-diagnose - Aufschwung bleibt moderat - Wirtschaftspolitik wenig wachstumsorientiert - Kiel Economics
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Gemeinschafts- diagnose Unkorrigiert! Sendesperrfrist: Donnerstag, 14. April 2016, 11.00 Uhr Aufschwung bleibt moderat – 2016 Frühjahr 2015 Wirtschaftspolitik wenig wachstumsorientiert
Dienstleistungsauftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören an: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. www.diw.de in Kooperation mit: Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung www.wifo.ac.at ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. www.ifo.de in Kooperation mit: KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich www.kof.ethz.ch Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle www.iwh-halle.de in Kooperation mit: Kiel Economics www.kieleconomics.de Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung www.rwi-essen.de in Kooperation mit: Institut für Höhere Studien Wien www.ihs.ac.at Impressum Abgeschlossen in München am 14. April 2016 Herausgeber: Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose Bezug: DIW Berlin, Mohrenstraße 58, 10117 Berlin Bezugspreis: 10 Euro Satz: eScriptum GmbH & Co KG, Berlin Druck: USE gGmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten
Vorwort Die Institute der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagno- ihre Prioritäten bislang eher bei konsumtiven und ver- se legen hiermit ihre Analyse der Entwicklung der deut- teilungspolitischen Ausgaben als bei wachstumsorien- schen Wirtschaft und der Weltwirtschaft vor, die sie im tierten Maßnahmen. Eine Fortführung der wenig wachs- Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und tumsorientierten Wirtschaftspolitik der vergangenen Jah- Energie erstellt haben. Die 132. Gemeinschaftsdiagno- re wäre nicht nachhaltig. se trägt den Titel Im Vorfeld dieser Gemeinschaftsdiagnose haben wir Ge Aufschwung bleibt moderat – Wirtschafts spräche mit Vertretern verschiedener Institutionen ge führt. Wir danken unseren Gesprächspartnerinnen und politik wenig wachstumsorientiert -partnern in den Bundesministerien, in der Deutschen Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem modera- Bundesbank und in der Europäischen Zentralbank, die ten Aufschwung. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in die- erneut sehr zum Gelingen der Gemeinschaftsdiagnose sem Jahr um 1,6 Prozent und im kommenden Jahr um beigetragen haben. Die Gemeinschaftsdiagnose wäre nicht 1,5 Prozent und damit mit Raten zulegen, die leicht über möglich ohne die Beteiligung eines großen Teams von dem Wachstum des Produktionspotenzials liegen. Ge- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Unmittelbar an die tragen wird der Aufschwung vom privaten Konsum, der ser Gemeinschaftsdiagnose waren beteiligt: Dr. habil. vom anhaltenden Beschäftigungsaufbau, den spürbaren Klaus Abberger (KOF), Dr. Guido Baldi (DIW), Dr. György Steigerungen der Lohn- und Transfereinkommen und Barabas (RWI), Dr. Tim Oliver Berg (ifo), Karl Brenke den Kaufkraftgewinnen infolge der gesunkenen Energie- (DIW), Dr. Christian Breuer (ifo), Dr. Andreas Cors (Kiel preise profitiert. Durch die niedrigen Zinsen wird darü- Economics), Kristina van Deuverden (DIW), Dr. Jonas ber hinaus die Binnennachfrage, und hier insbesondere Dovern (Kiel Economics), Dr. Stefan Ederer, (WIFO), der Wohnungsbau, angeregt. Kaum stimulierende Effek- Dr. Ines Fortin (IHS), Angela Fuest (RWI), Heinz Geb te gehen dagegen vonseiten der Weltkonjunktur auf die hardt (RWI), Dr. Christian Glocker (WIFO), Dr. Christian deutsche Konjunktur aus. Die Exporte werden nur mo- Grimme (ifo), Dr. Daniela Grozea-Helmenstein (IHS), derat zulegen; auch deshalb dürfte die Dynamik bei den Dr. Katja Heinisch (IWH), Peter Hennecke (Kiel Eco Ausrüstungsinvestitionen nur gering bleiben. nomics), Dr. Simon Junker (DIW), Martina Kämpfe (IWH), Konstantin Kiesel (IWH), Dr. Sebastian Koch Kräftige Impulse liefert die Finanzpolitik, die insbeson- (IHS), Dr. Philipp König (DIW), Robert Lehmann (ifo), dere wegen der zunehmenden Aufwendungen zur Be- Dr. Axel Lindner (IWH), Dr. Brigitte Loose (IWH), wältigung der Flüchtlingsmigration expansiv ausgerich- Dr. Carsten-Patrick Meier (Kiel Economics), Wolfgang tet ist. Dennoch werden die öffentlichen Haushalte wohl Meister (ifo), Dr. Martin Micheli (RWI), Dr. Claus sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr Budget- Michelsen (DIW), Dr. Heiner Mikosch (KOF), Stefan überschüsse von 11 bzw. 10 Milliarden Euro erzielen. Neuwirth (KOF), Dr. Wolfgang Nierhaus (ifo), Magnus Auch in struktureller – also um konjunkturelle Einflüs- Reif (ifo), Svetlana Rujin (RWI), Stefan Schiman (WIFO), se bereinigter – Betrachtung schließt der öffentliche Ge- Thore Schlaak (DIW), Dr. Torsten Schmidt (RWI), Felix samthaushalt mit Überschüssen ab, die budgetäre Hand- Schröter (ifo), Dr. Andreas Steiner (ifo), Priv. Doz. Dr. Klaus lungsspielräume eröffnen. Angesichts der absehbaren Weyerstraß (IHS), Dr. Klaus Wohlrabe (ifo), Dr. Götz demografisch bedingten Mehrbelastungen sollten die- Zeddies (IWH) und Dr. Lina Zwick (RWI). Weitere se Überschüsse primär für Maßnahmen verwendet wer- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Institute trugen den, die das Produktionspotenzial dauerhaft erhöhen. zum Gelingen bei. Hierfür danken wir herzlich. Für die Neben der Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung Organisation der Gemeinschaftsdiagnose vor Ort danken der Arbeitnehmer können investive Ausgaben für Sach- wir Simone Ritter-Lustig stellvertretend für alle beteiligten und insbesondere Humankapital das Produktionspoten- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ifo Instituts. Für zial steigern. Letzteres ist insbesondere auch wichtig, um die Erstellung der Druckfassung gilt unser Dank den die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Instituts für zu erleichtern. Allerdings setzte die Wirtschaftspolitik Wirtschaftsforschung. München, den 14. April 2016 Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Dr. Ferdinand Fichtner, ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. an der Universität München e.V. Prof. Dr. Roland Döhrn, Prof. Dr. Oliver Holtemöller, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle GD Frühjahr 2016 3
Inhaltsverzeichnis Kurzfassung9 1. Die Lage der Weltwirtschaft 13 Überblick13 Geringe Rohstoffnachfrage als Folge des Strukturwandels in China und der weltweiten Konjunkturabschwächung 14 Geldpolitik im Euroraum und in Japan weiter auf Expansionskurs 14 Finanzpolitik vielerorts etwas lockerer 14 Ausblick15 Erhebliche wirtschaftliche Risiken weltweit und insbesondere in der Europäischen Union 15 US-Aufschwung trotz Konjunkturdelle intakt 17 Dienstleistungssektor stützt Produktion in China 19 Geringe wirtschaftliche Dynamik in Japan 20 2. Die Lage in der Europäischen Union 22 Binnennachfrage stützt Konjunktur im Euroraum 22 Geldpolitik noch expansiver – Kreditvergabe zieht langsam an 22 Finanzierungssalden verbessern sich konjunkturbedingt 23 Ausblick25 Referendum über EU-Austritt erhöht die Unsicherheit in Großbritannien 26 Gute Konjunktur in den mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländern der Europäischen Union 27 3. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland 28 Überblick28 Rahmenbedingungen und Annahmen für die Prognose 31 Zunehmende Belebung der Kreditvergabe 31 Finanzpolitik weniger expansiv ausgerichtet, aber Mehrausgaben durch Flüchtlingsmigration 31 Die Entwicklung im Einzelnen 34 Moderate Erholung der Exporte 34 Dynamik der Ausrüstungsinvestitionen bleibt gering 36 Bauinvestitionen auf breiter Basis aufwärtsgerichtet 37 Privater Verbrauch hält Tempo 38 Inflation zieht etwas an 39 Moderater Produktionsanstieg 40 Etwas stärkerer Lohnanstieg 42 Weiterhin kräftiger Beschäftigungsaufbau 42 Gesamtstaatlicher Haushalt bleibt trotz migrationsbedingter Mehrausgaben im Plus 45 4. Mittelfristige Projektion und Auswirkungen der Flüchtlingsmigration auf das Produktionspotenzial 49 Produktionspotenzial: Ergebnisse der EU-Methode 50 Modifizierte EU-Methode zur Potenzialschätzung 52 Zur Partizipationsquote der Flüchtlinge 53 Zur strukturellen Erwerbslosenquote der Flüchtlinge 55 Ergebnisse55 Produktionspotenzial und Integration der Flüchtlinge: Szenarienanalyse 56 Fazit zur Potenzialschätzung 57 Mittelfristprojektion58 Internationale und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen 58 Projektion der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bis 2020 59 GD Frühjahr 2016 5
Inhaltsverzeichnis 5. Zur Wirtschaftspolitik 61 Mangelnde Wachstumsorientierung der Wirtschaftspolitik 61 Aufgabenverteilung zwischen den Gebietskörperschaften 62 Konsolidierungserfolge nicht nachhaltig 62 Zusammenspiel von Geld- und Finanzpolitik 63 Zur Finanzpolitik 63 Finanzlage des Staates nur auf den ersten Blick gut 63 Handlungsspielräume bisher nicht wachstumsorientiert genutzt 66 Versicherungsfremde Leistungen aus dem Steueraufkommen finanzieren 67 Zur Geldpolitik 68 Die jüngsten geldpolitischen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank 68 Zur Ausweitung des Ankaufprogramms für Wertpapiere 69 Zur Ausweitung des TLTRO-Programms 69 Transmissionskanäle geldpolitischer Maßnahmen über Finanzmärkte 70 Zunächst keine weitere Lockerung der Geldpolitik erforderlich 72 Tabellenanhang74 Verzeichnis der Kästen 3. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland Kasten 3.1 Überprüfung der Prognosen für 2015 und Anpassung der Prognose für 2016 32 4. Mittelfristige Projektion und Auswirkungen der Flüchtlingsmigration auf das Produktionspotenzial Kasten 4.1 Methodik der Potenzialschätzung 52 Kasten 4.2 Berücksichtigung der Flüchtlingsmigration in der Potenzialschätzung 54 Verzeichnis der Abbildungen 1. Die Lage der Weltwirtschaft Abbildung 1.1 Bruttoinlandsprodukt der Welt 13 Abbildung 1.2 Aggregierter Leistungsbilanzsaldo großer rohstoffexportierender Schwellenländer 15 Abbildung 1.3 Ausgewählte US-Preisindikatoren 17 Abbildung 1.4 Reales Bruttoinlandsprodukt in den USA 18 2. Die Lage in der Europäischen Union Abbildung 2.1 Zur monetären Lage im Euroraum 24 Abbildung 2.2 Reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum 26 6 GD Frühjahr 2016
Inhaltsverzeichnis 3. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland Abbildung 3.1 Produktionslücke30 Abbildung 3.2 Außenhandel Deutschlands nach Ländern und Regionen 34 Abbildung 3.3 Reale Exporte 35 Abbildung 3.4 Reale Importe 36 Abbildung 3.5 Reale Investitionen in Ausrüstungen 37 Abbildung 3.6 Reale Bauinvestitionen 38 Abbildung 3.7 Reale Konsumausgaben der privaten Haushalte 39 Abbildung 3.8 Verbraucherpreise in Deutschland 40 Abbildung 3.9 Reales Bruttoinlandsprodukt 41 Abbildung 3.10 Erwerbstätige43 Abbildung 3.11 Arbeitslose45 4. Mittelfristige Projektion und Auswirkungen der Flüchtlingsmigration auf das Produktionspotenzial Abbildung 4.1 Flüchtlingsmigration und sonstige Nettozuwanderung 49 Abbildung 4.2 Asylanträge und Nettozuwanderung 49 Abbildung 4.3 Komponenten der Veränderung des Arbeitsvolumens nach EU-Methode und modifizierter EU-Methode 51 Abbildung 4.4 Komponenten der Veränderung des Produktionspotenzials nach EU-Methode und modifizierter EU-Methode 52 Abbildung 4.5 Vergleich struktureller Erwerbslosenquoten 55 Abbildung 4.6 Vergleich der Produktionslücken 56 Abbildung 4.7 Wachstumsraten des Produktionspotenzials in den Szenarien 57 5. Zur Wirtschaftspolitik Abbildung 5.1 Struktureller Finanzierungssaldo des Staates 64 Abbildung 5.2 Zinsausgaben des Staates 64 Abbildung 5.3 Rentenzugänge und -wegfälle zur Deutschen Rentenversicherung 65 Abbildung 5.4 Geldleistungen der Deutschen Rentenversicherung 65 Abbildung 5.5 Altenquotient65 Abbildung 5.6 Transfers bei Arbeitslosigkeit 66 Abbildung 5.7 Steuer- und Sozialbeitragseinnahmen 66 Abbildung 5.8 Ausgaben für Investitionen, Bildung, Forschung und Entwicklung 67 Abbildung 5.9 Öffentliche Konsumausgaben 67 Abbildung 5.10 Einnahmen und Ausgaben der Deutschen Rentenversicherung 68 Abbildung 5.11 Entwicklung der Kreditvolumina in ausgewählten Ländern des Euroraums 69 Abbildung 5.12 Kursentwicklung ausgewählter Finanzmarktvariablen 71 Abbildung 5.13 Ausfallgefährdete Kredite 73 GD Frühjahr 2016 7
Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Tabellen 1. Die Lage der Weltwirtschaft Tabelle 1.1 Reales Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise und Arbeitslosenquote in der Welt 16 Tabelle 1.2 Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung in den USA 19 2. Die Lage in der Europäischen Union Tabelle 2.1 Reales Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise und Arbeitslosenquote in Europa 23 Tabelle 2.2 Finanzierungssalden der öffentlichen Haushalte in den Ländern des Euroraums 25 Tabelle 2.3 Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung im Euroraum 26 3. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland Tabelle 3.1 Quartalsdaten zur Entwicklung der Verwendungskomponenten des realen Bruttoinlandsprodukts 28 Tabelle 3.2 Beiträge der Nachfragekomponenten zum Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts 29 Tabelle 3.3 Eckdaten der Prognose für Deutschland 30 Tabelle 3.4 Finanzpolitische Maßnahmen 31 Tabelle 3.5 Prognosen für das Jahr 2015 und tatsächliche Entwicklung 32 Tabelle 3.6 Indikatoren zur Außenwirtschaft 35 Tabelle 3.7 Reale Bauinvestitionen 38 Tabelle 3.8 Bruttoinlandsprodukt und Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftsbereichen 40 Tabelle 3.9 Statistische Komponenten der Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts 41 Tabelle 3.10 Zur Entwicklung der Löhne (Inlandskonzept) 42 Tabelle 3.11 Arbeitsmarktbilanz43 Tabelle 3.12 Auswirkungen der Flüchtlingsmigration auf das Erwerbspersonenpotenzial 44 Tabelle 3.13 Ausgewählte finanzwirtschaftliche Indikatoren 47 4. Mittelfristige Projektion und Auswirkungen der Flüchtlingsmigration auf das Produktionspotenzial Tabelle 4.1 Auswirkungen der Flüchtlingsmigration auf das Erwerbspersonenpotenzial 50 Tabelle 4.2 Produktionspotenzial und seine Determinanten nach EU-Methode und modifizierter EU-Methode 53 Tabelle 4.3 Auswirkungen der Flüchtlingsmigration auf das Produktionspotenzial 57 Tabelle 4.4 Erwerbstätige, Produktivität und Wirtschaftswachstum 58 Tabelle 4.5 Verwendung des nominalen Bruttoinlandsprodukts 59 8 GD Frühjahr 2016
Kurzfassung Kurzfassung Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem moderaten Auf- Anfang des Jahres 2016 wurde deutlich, dass sich die schwung. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr um Weltwirtschaft in den Monaten zuvor merklich abge- kühlt hatte. Die schlechten Nachrichten führten auf den 1,6 Prozent und im kommenden Jahr um 1,5 Prozent zulegen. Aktienmärkten im Januar und im Februar weltweit zu Getragen wird der Aufschwung vom privaten Konsum, der vom erheblichen Bewertungsverlusten sowie zu einem deut- anhaltenden Beschäftigungsaufbau, den spürbaren Steigerungen lichen Anstieg der Risikowahrnehmung. Eine wichtige der Lohn- und Transfereinkommen und den Kaufkraftgewinnen Ursache ist der rasche Strukturwandel in China. Seit eini- gen Jahren entwickelt sich die chinesische Wirtschaft weg infolge der gesunkenen Energiepreise profitiert. Zudem ist die von einem primär von industriellen Investitionen und Ex- Finanzpolitik, auch wegen der zunehmenden Aufwendungen zur porten getriebenen und hin zu einem mehr konsum- und Bewältigung der Flüchtlingsmigration, expansiv ausgerichtet. dienstleistungsbasierten Wachstum. Dieser Schrump- Während die Bauinvestitionen ebenfalls merklich ausgeweitet fungsprozess birgt erhebliche Konjunkturrisiken und geht mit einer abnehmenden Bedeutung des Außen- werden, bleibt die Investitionstätigkeit der Unternehmen verhalten. handels für China sowie einer schwächeren Nachfrage Aufgrund der nur allmählichen weltwirtschaftlichen Erholung und nach Rohstoffen einher. der starken Binnennachfrage ist vom Außenhandel kein positiver konjunktureller Impuls zu erwarten. Die öffentlichen Haushalte Dies und eine weiterhin kräftige Ausweitung des Öl- angebots führten dazu, dass die Ölpreise im vergange- dürften im Prognosezeitraum deutliche Überschüsse erzielen. nen Winter deutlich nachgaben. Der Rohstoffpreisrück- Würden diese Handlungsspielräume wie bereits in den vergange- gang reflektiert zum Teil eine weltweite Nachfrageschwä- nen Jahren wenig wachstumsorientiert genutzt, wäre das nicht che. Zugleich stützt er die Konjunktur in den meisten nachhaltig. fortgeschrittenen Volkswirtschaften, indem er die Real- einkommen erhöht und die Produktionskosten senkt. Der Gesamteffekt auf die globale Güternachfrage dürfte trotz der Einkommensverluste in den großen rohstoff- exportierenden Schwellenländern positiv sein, da dort vor dem Einbruch der Preise ein erheblicher Teil der Einkommen nicht für Konsum- oder Investitionsgüter ausgegeben, sondern gespart wurde. Die Eintrübung der konjunkturellen Aussichten und der Ölpreisfall haben zu einer weiteren Verlangsamung der weltweiten Preisdynamik geführt. Dies hat zu zusätz- lichen unkonventionellen Maßnahmen seitens der Geld- politik im Euroraum und Japan geführt, die die Konjunk- tur weiter stimulieren dürften. In Großbritannien und in den USA sind die Zentralbanken bei der angekündigten Trendwende ihrer Politik vorsichtiger geworden. Wäh- rend die Bank von England ihren Leitzins im Prognose- zeitraum wohl unverändert lassen wird, dürften in den USA in diesem Jahr zwei weitere Leitzinsanhebungen erfolgen, obwohl die Kerninflationsrate in den USA im Winter spürbar gestiegen ist. Die chinesische Zentral- GD Frühjahr 2016 9
Kurzfassung bank hat Ende Februar den Mindestreservesatz für Ge- für die europäische Wirtschaft erhebliche politische Ri- schäftsbanken deutlich gesenkt. siken. Seit einigen Jahren haben Kräfte an Einfluss ge- wonnen, die für eine Rückabwicklung der in der Euro- Da die öffentlichen Schuldenquoten in fast allen fortge- päischen Union erreichten politischen und wirtschaft- schrittenen Volkswirtschaften hoch sind und die Politik lichen Integration eintreten. So besteht die Möglichkeit, vielfach durch Budgetregeln beschränkt ist, dürfte die dass sich Großbritannien im Juni für einen Austritt aus Unterstützung der Konjunktur durch die Finanzpoli- der Europäischen Union entscheidet. Es ist allerdings tik gering ausfallen. So ist die finanzpolitische Ausrich- schwer abzuschätzen, welche Folgen dies für die Han- tung in den USA in etwa neutral und im Euroraum nur dels- und Finanzflüsse innerhalb der EU hat. leicht expansiv. In Großbritannien und Japan bleibt die Finanzpolitik restriktiv ausgerichtet. Den weltweit größ- Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem modera- ten finanzpolitischen Impuls setzt derzeit die chinesische ten Aufschwung. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Regierung. Viele rohstoffexportierende Schwellenländer Beschäftigungsaufbaus, der spürbaren Lohnsteigerun- sind hingegen aufgrund des Rohstoffpreisverfalls und gen und der Kaufkraftgewinne infolge der gesunkenen der damit einhergehenden Einnahmeausfälle des Staa- Energiepreise wird der Aufschwung vom privaten Kon- tes zu harten Konsolidierungsmaßnahmen gezwungen. sum getragen. Impulse kommen derzeit außerdem von den Ausgaben, die durch die Versorgung und die Unter- Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass sich die bringung der großen Zahl von Flüchtlingen entstehen. internationale Konjunktur im ersten Halbjahr 2016 nicht Die Binnennachfrage wird darüber hinaus durch die weiter abschwächt. Insbesondere in den fortgeschritte- niedrigen Zinsen angeregt. Kaum stimulierende Effek- nen Volkswirtschaften dürfte sich die Dynamik bereits te gehen dagegen vonseiten der Weltkonjunktur aus. etwas belebt haben. Allerdings werden die Produktions- zuwächse insgesamt wohl mäßig bleiben. So verringert Nachdem der gesamtwirtschaftliche Produktionsanstieg sich in den USA der Expansionsgrad der Geldpolitik lang- in der zweiten Jahreshälfte 2015 an Schwung verloren sam und der starke Dollar bremst die Auslandsnachfra- hatte, dürfte er sich zum Jahresbeginn deutlich beschleu- ge. Im Euroraum fällt der Impuls der starken Abwertung nigt haben. Darauf deuten insbesondere der Anstieg des Euro im vergangenen Jahr weg. Die chinesische Wirt- der Produktion im Produzierenden Gewerbe und die schaft wird weiter mit dem Strukturwandel sowie mit der Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen im Januar und hohen Verschuldung vieler staatlicher Industrieunterneh- Februar hin. Im weiteren Jahresverlauf dürfte sich das men zu kämpfen haben. In Japan dürfte die Produktion Expansionstempo dann allerdings wieder etwas verrin- wieder ausgeweitet werden, da der Rückgang zum Jah- gern. Dies lässt unter anderem das ifo Geschäftsklima resende vor allem auf temporäre Faktoren zurückzufüh- erwarten, das sich im ersten Quartal etwas eingetrübt ren ist. Jedoch ist deutlich geworden, dass die mit hohen hat, wenngleich es im historischen Vergleich nach wie Erwartungen gestartete Wirtschaftspolitik („Abenomics“) vor günstig ist. keinen selbsttragenden Aufschwung anstoßen konnte. Die gute Entwicklung des Arbeitsmarkts dürfte sich im Alles in allem expandiert die Weltproduktion nach vor- weiteren Verlauf des Prognosezeitraums fortsetzen. Die liegender Prognose in diesem Jahr in etwa mit dem mä- Zahl der Erwerbstätigen wird im Durchschnitt dieses Jah- ßigen Tempo des Vorjahrs. Für 2016 ergibt sich ein Zu- res um 500 000 Personen und im kommenden Jahr um wachs von 2,4 Prozent und für 2017 von 2,8 Prozent. knapp 390 000 Personen steigen. Wie in den vergange- Auch der Welthandel wird im Prognosezeitraum nur nen Jahren gleicht die Migration den demografisch be- schwach ausgeweitet. Die Institute erwarten in diesem dingten Rückgang der Erwerbspersonen mehr als aus; Jahr eine Zunahme um 2,9 Prozent und im kommen- zunehmend macht sich darüber hinaus im Prognose- den Jahr um 3,4 Prozent. zeitraum bemerkbar, dass nach Deutschland geflüchte- te Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Finanzmärkte beruhigten sich seit Mitte Februar Daher wird die Arbeitslosigkeit trotz des Beschäftigungs- zwar wieder, die der Unruhe zugrunde liegenden Risi- aufbaus im Verlauf des Prognosezeitraums leicht steigen. ken haben sich aber nicht aufgelöst. Zum einen besteht Die Arbeitslosenquote bleibt mit 6,2 Prozent im Durch- nach wie vor die Möglichkeit, dass der Strukturwandel schnitt dieses Jahres und 6,4 Prozent im kommenden in China stärker als bisher die Konjunktur des ganzen Jahr aber nahezu unverändert. Landes in Mitleidenschaft zieht. Zum anderen könn- te die in den USA bereits deutlich gestiegene Inflation Die privaten Haushalte verzeichnen aufgrund spürba- schneller als in dieser Prognose erwartet anziehen und rer Einkommenssteigerungen bei gleichzeitig schwa- die Notenbank zu raschen Zinserhöhungen zwingen. cher Preisdynamik starke Kaufkraftzuwächse. So neh- Finanzmarktturbulenzen, insbesondere in den Schwel- men die Löhne merklich zu und die Transfereinkom- lenländern, könnten die Folge sein. Schließlich bestehen men ziehen an; hier schlagen in erster Linie kräftige 10 GD Frühjahr 2016
Kurzfassung Rentenerhöhungen zu Buche. All dies lässt den priva- Wegen der deutlich zurückgegangenen Energiepreise ist ten Verbrauch deutlich expandieren. Zugleich legt auch der Inflationsdruck gering. Im laufenden Jahr dürften die öffentliche Konsumnachfrage zu. Hier macht sich die Verbraucherpreise um 0,5 Prozent gegenüber dem die Flüchtlingsmigration bemerkbar, die zunächst zu Vorjahr steigen. Die Teuerung ohne Energiepreise (Kern- steigenden Sachaufwendungen für die Versorgung der rate) liegt bei 1,2 Prozent. Angesichts der kräftigen in- Flüchtlinge, im weiteren Verlauf dann aber zu steigen- ländischen Nachfrage und des beschleunigten Anstiegs den monetären Sozialleistungen führt. der Lohnstückkosten dürfte sie im kommenden Jahr auf 1,5 Prozent zunehmen. Da annahmegemäß vom Ölpreis Die Investitionstätigkeit nimmt im Prognosezeitraum keine dämpfenden Effekte mehr ausgehen, wird die In- insgesamt gesehen verhalten zu. Die Entwicklung ist flationsrate ebenfalls 1,5 Prozent betragen. allerdings zweigeteilt: Die Wohnungsbauinvestitionen dürften aufgrund des Niedrigzinsumfelds, der guten Für die öffentlichen Haushalte zeichnet sich ein Rück- Arbeitsmarkt- und Einkommensentwicklung, aber auch gang des Budgetüberschusses ab. Die Ausgaben im Zu- wegen der in Folge der Zuwanderung deutlich gestiege- sammenhang mit der Flüchtlingsmigration steigen und nen Nachfrage nach Wohnraum weiterhin ausgeweitet die Finanzpolitik ist leicht expansiv ausgerichtet. Auf- werden. Dagegen dürften sowohl der gewerbliche Bau grund der merklich steigenden Einnahmen aus der Ein- als auch die Investitionen der Unternehmen in Ausrüs- kommensteuer, den Steuern vom Umsatz und den So- tungen trotz der niedrigen Zinsen und der günstigen zialbeiträgen sowie sinkenden Zinsausgaben wird wohl Gewinnsituation der Unternehmen zunächst nur wenig dennoch ein Budgetüberschuss von 11 Milliarden Euro zunehmen, auch weil sich die Unternehmenserwartun- in diesem und 10 Milliarden Euro im kommenden Jahr gen deutlich eingetrübt haben. erzielt werden. Die Skepsis der Unternehmen war wohl vor allem den Auch in struktureller – also um konjunkturelle Ein- Nachrichten über die weltwirtschaftliche Abkühlung ge- flüsse bereinigter – Betrachtung schließt der öffentli- schuldet, die sich zu Jahresbeginn häuften. Inzwischen che Gesamthaushalt mit Überschüssen ab, die budgetä- mehren sich allerdings die Anzeichen, dass sich die glo- re Handlungsspielräume eröffnen. Allerdings profitiert bale Konjunktur im ersten Halbjahr 2016 nicht mehr der Staat dabei von temporär wirkenden Faktoren: dem weiter abschwächt. Im weiteren Prognosezeitraum dürf- deutlichen Rückgang der Zinsausgaben aufgrund des te sich die Weltwirtschaft wieder etwas beleben, wenn Niedrigzinsumfeldes und einer vorübergehend güns- auch nur in mäßigem Tempo. Dementsprechend dürf- tigeren demografischen Entwicklung („demografisches ten auch die deutschen Exporte nach einer nur geringen Zwischenhoch“). Vor diesem Hintergrund sollten die- Belebung im Frühjahr ab der zweiten Jahreshälfte wie- se Überschüsse nur für temporäre Mehrausgaben ver- der etwas stärker zulegen. Allerdings steigen die Importe wendet werden oder für Maßnahmen, die das Produk- so deutlich, dass der Außenhandel den Produktionsan- tionspotenzial dauerhaft erhöhen. In vergangenen Ge- stieg in diesem Jahr per saldo kräftig dämpfen wird. Im meinschaftsdiagnosen hatten die Institute wiederholt kommenden Jahr dürfte er hingegen einen leicht posi- dargelegt, wie eine solche wachstumsfreundliche Politik tiven Beitrag leisten. ausgestaltet sein könnte. Neben der Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeitnehmer können inves- Alles in allem dürfte das Bruttoinlandsprodukt in die- tive Ausgaben für Sach- und insbesondere Humankapital sem Jahr um 1,6 Prozent und im kommenden Jahr um das Produktionspotenzial steigern. Letzteres ist insbeson- 1,5 Prozent und damit mit Raten zulegen, die leicht über dere auch wichtig, um die Integration von Flüchtlingen dem Wachstum des Produktionspotenzials liegen. Die in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Allerdings setzte die Produktionslücke dürfte sich in diesem Jahr daher weiter Wirtschaftspolitik ihre Prioritäten bislang eher bei kon- verringern und im kommenden Jahr nahezu geschlossen sumtiven und verteilungspolitischen Ausgaben als bei sein. Das 68-Prozent-Prognoseintervall reicht für dieses wachstumsorientierten Maßnahmen. Eine Fortführung Jahr von 0,9 Prozent bis 2,3 Prozent und für das kom- der wenig wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik der mende Jahr von -0,5 Prozent bis 3,5 Prozent. vergangenen Jahre wäre nicht nachhaltig. GD Frühjahr 2016 11
Weltwirtschaft 1. Die Lage der Weltwirtschaft Überblick Anfang des Jahres 2016 wurde deutlich, dass sich die Abbildung 1.1 Konjunktur in den Monaten zuvor merklich abgekühlt hatte. So ließ die Wachstumsdynamik der chinesischen Bruttoinlandsprodukt der Welt1 Volkswirtschaft im vierten Quartal 2015 weiter nach, Vierteljährliche Zuwachsraten in Prozent und Russland und Brasilien verharrten in der Rezes- sion. Dazu kam, dass die Produktion in den USA nur 0,8 wenig zulegte und in Japan sogar zurückging. Ledig- Prognosezeitraum lich im Euroraum setzte sich die zaghafte Erholung fort. 0,7 Hatten die Institute in ihrem Herbstgutachten für den Winter noch mit einer leichten Belebung der Weltkon- 0,6 junktur gerechnet, so stieg die Weltproduktion tatsäch- 0,5 lich deutlich langsamer als zuvor (Abbildung 1.1).1 Die schlechten Nachrichten ließen die Sorge einer ausge- 0,4 prägten konjunkturellen Abschwächung aufkommen 0,3 und führten auf den Aktienmärkten im Januar und im Februar weltweit zu erheblichen Bewertungsverlusten 0,2 sowie zu einem deutlichen Anstieg der Risikowahrneh- mung. Der aufkommende Konjunkturpessimismus hat 0,1 wohl dazu beigetragen, dass die Rohölnotierungen er- 0,0 neut stark nachgaben. Q4 Q2 Q4 Q2 Q4 Q2 Q4 Q2 Q4 Q2 Q4 Q2 Q4 Q2 Q4 2010 2011 2011 2012 2012 2013 2013 2014 2014 2015 2015 2016 2016 2017 2017 Inzwischen mehren sich allerdings die Anzeichen, dass sich die Konjunktur im ersten Halbjahr 2016 nicht wei- 1 Aggregat aus den in Tabelle 1.1 aufgeführten Ländern. Länder gewichtet mit dem Bruttoinlandsprodukt ter abschwächt. Insbesondere in den fortgeschrittenen von 2014 in US-Dollar. Volkswirtschaften dürfte sich die Dynamik bereits wie- Quellen: IMF, OECD, nationale Statistikämter, Berechnungen der Institute; 2016 und 2017: Prognose der etwas belebt haben. So hat sich die Stimmung der der Institute. Unternehmen in den USA wieder etwas aufgehellt. Dort © GD Frühjahr 2016 und auch im Euroraum wurde die Industrieproduktion zu Jahresbeginn deutlich ausgeweitet. Auch deshalb wer- den die konjunkturellen Risiken auf den Finanzmärk- ten nicht mehr ganz so hoch eingeschätzt und die Ak- aber weg von einem primär von industriellen Investitio- tienkurse haben sich wieder erholt. nen und Exporten getriebenen und hin zu einem mehr konsum- und dienstleistungsbasierten Wachstum. Dabei Dies ändert freilich nichts an der Schwäche der Konjunk- verlangsamt sich die wirtschaftliche Expansion. Dies ist tur in der Welt und insbesondere in vielen Schwellenlän- politisch durchaus gewollt, aber die Schrumpfungspro- dern. Eine wichtige Ursache dafür ist der rasche Struk- zesse in der Industrie bergen auch erhebliche Konjunk- turwandel in China. Über viele Jahre hatte der Aufbau turrisiken. Ein Anzeichen für die steigende Unsicherheit der dortigen Exportgüterindustrien den Welthandel be- über die wirtschaftlichen Aussichten in China ist der Ab- flügelt und komplementäre Wachstumsprozesse in Län- zug von privatem Kapital ins Ausland. Schon seit Som- dern ausgelöst, welche die chinesischen Industrien mit mer 2014 hat die chinesische Zentralbank etwa 20 Pro- Rohstoffen oder Investitionsgütern belieferten. Seit ei- zent des Gesamtbestandes an Devisenreserven zur Sta- nigen Jahren entwickelt sich die chinesische Wirtschaft bilisierung des Renminbi abgebaut, davon allein knapp die Hälfte in den fünf Monaten seit November 2015. 1 Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2015): Deutsche Konjunktur stabil – Wachstumspotenziale heben. Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2015, Essen, S. 15ff. GD Frühjahr 2016 13
Weltwirtschaft Geringe Rohstoffnachfrage als Folge Geldpolitik im Euroraum und in Japan des Strukturwandels in China und weiter auf Expansionskurs der weltweiten Konjunkturabschwächung Die Eintrübung der konjunkturellen Aussichten und der Der Strukturwandel in China geht mit einer abnehmen- Ölpreisfall haben zu einer weiteren Verlangsamung der den Bedeutung des Außenhandels einher.2 Im Jahr 2015 weltweiten Preisdynamik geführt. So ist die Verbraucher- sind Importe und Exporte sogar zurückgegangen. Aber preisinflation im Euroraum und in Japan zuletzt unter schon seit einigen Jahren lässt die schwächere Dyna- null gesunken und die Kernraten lagen unter 1 Prozent. mik der chinesischen Nachfrage nach Rohstoffen de- Damit ist die Teuerung derzeit deutlich geringer als von ren Preise sinken, was rohstoffexportierende Volkswirt- der Geldpolitik mittelfristig angestrebt. Dies hat zu zu- schaften belastet. Im vergangenen Winter führten skepti- sätzlichen unkonventionellen Maßnahmen seitens der schere Erwartungen hinsichtlich der künftigen globalen Geldpolitik geführt, die die Konjunktur weiter stimulie- Ölnachfrage sowie eine kräftige Ausweitung des Ölan- ren dürften, auch weil sie den finanzpolitischen Spiel- gebots dazu, dass die Ölpreise deutlich bis auf 30 US- raum der Staaten erhöhen. Im Januar setzte die Bank von Dollar nachgaben. Die Parallelität zum weltweiten Rück- Japan den Zins für Überschussreserven der Geschäfts- gang der Aktienkurse legt nahe, dass die Marktteilneh- banken auf −0,1 Prozent. Die Europäische Zentralbank mer vom sinkenden Ölpreis mittlerweile kaum Impulse (EZB) hat im März ihre Leitzinsen noch einmal gesenkt für die Konjunktur erwarten, sondern ihn als Zeichen (den Hauptrefinanzierungssatz auf 0 Prozent und den einer weltweiten Nachfrageschwäche interpretieren. Für Einlagezinssatz auf −0,4 Prozent) und ihr Ankaufpro- eine solche Interpretation spricht auch, dass die beson- gramm von Wertpapieren deutlich ausgeweitet. ders konjunkturreagiblen Preise für Industriemetalle im gleichen Zeitraum ebenfalls zurückgegangen sind. In Großbritannien und in den USA sind die Zentralban- Nach Modellrechnungen der Institute geht der Ölpreis- ken bei der angekündigten Trendwende ihrer Politik vor- rückgang zum Teil aber auch auf das höhere Ölange- sichtiger geworden. Die Bank von England wird – anders bot zurück.3 Dieses wirkt stimulierend auf die Weltwirt- als im Herbst 2015 erwartet – ihren Leitzins im Prog- schaft, wird aber durch dämpfende nachfrageseitige Fak- nosezeitraum wohl nicht anheben, und die US-Noten- toren überlagert. bank wird den Leitzins im Jahr 2016 wohl nur noch zwei- mal um einen viertel Prozentpunkt erhöhen, obwohl die Die Erdölpreise haben sich wieder auf etwa 40 US-Dol- Kerninflationsrate in den USA im Winter spürbar gestie- lar erholt, seit sich die großen Produzenten Saudi-Ara- gen ist. Schließlich hat die chinesische Zentralbank Ende bien und Russland Mitte Februar darauf einigten, ihre Februar den Mindestreservesatz für Geschäftsbanken Produktionsmengen nicht weiter zu erhöhen. Damit ist deutlich gesenkt und nimmt dabei das Risiko eines ver- das Risiko des Ausbruchs von schweren Krisen in ölex- stärkten Abwertungsdrucks auf den Renminbi in Kauf. portierenden Volkswirtschaften ein Stück weit gesun- ken. Allerdings spricht gegenwärtig wenig dafür, dass die Finanzpolitik vielerorts etwas lockerer Rohstoffpreise in der kurzen Frist wieder kräftig steigen. Angesichts der in den vergangenen Jahren starken Nach- Da die Geldpolitik der Unterauslastung kaum mehr be- frage und zeitweise hoher Preise sind in vielen Berei- gegnen kann und die Finanzierungskosten weiterhin chen die Förderkapazitäten ausgebaut und neue Förder- niedrig sind, lässt die weltweite Konjunkturschwäche vie- technologien entwickelt worden. Nicht zuletzt auf dem lerorts eine etwas expansivere oder etwas weniger restrik- Markt für Rohöl übersteigt die Fördermenge die Nach- tive Finanzpolitik erwarten. Allerdings sind die öffentli- frage seit einiger Zeit deutlich, so dass die Läger in er- chen Schuldenquoten nach wie vor in fast allen fortge- heblichem Maße gefüllt wurden. Auch bei anderen Roh- schrittenen Volkswirtschaften hoch. Zudem ist die Politik stoffen, etwa bei der Eisenerzförderung, dürften derzeit vielfach durch Budgetregeln, etwa im Euroraum durch erhebliche Überkapazitäten bestehen, so dass der Druck den Fiskalpakt, aber auch in den USA durch den Bipar- auf die Preise anhalten wird. tisan Budget Act (sequester), beschränkt. Auch deshalb dürfte die Unterstützung der Konjunktur durch die Fi- nanzpolitik gering ausfallen. So ist die finanzpolitische 2 Vgl. The World Bank and Development Center of the State Council, the Ausrichtung in den USA in etwa neutral und im Euro- People’s Republic of China (2012): China 2030. Building a Modern, Harmoni- raum nur leicht expansiv. In Großbritannien dürfte das ous, and Creative High-Income Society, Washington, DC. konjunkturbereinigte Defizit zwar etwas größer ausfallen 3 Die Berechnungen folgen der in der Gemeinschaftsdiagnose vom Frühjahr 2015 erläuterten Methode für die Zerlegung des Rohölpreisrückgangs in öl- als im letzten Herbst geplant, jedoch bleibt die Finanz- marktspezifische und weltkonjunkturelle Schocks. Vgl. Projektgruppe Gemein- politik hier restriktiv ausgerichtet. Das Gleiche gilt für Ja- schaftsdiagnose (2015): Kräftiger Aufschwung dank günstigem Öl und schwa- pan. Allerdings gibt es Bestrebungen, die für April 2017 chem Euro, Frühjahr 2015, München, S. 78. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Europäische Zentralbank. Vgl. Europäische Zentralbank (2016): geplante Mehrwertsteueranhebung wegen der schwa- Wirtschaftfsbericht, 2016 (02), S.42. chen Konjunktur aufzuschieben oder durch ein Ausga- 14 GD Frühjahr 2016
Weltwirtschaft benprogramm in ihrer Wirkung abzufedern. Den welt- Abbildung 1.2 weit größten finanzpolitischen Impuls setzt derzeit die chinesische Regierung. Dort dürfte das Defizit des Staa- Aggregierter Leistungsbilanzsaldo großer tes im Jahr 2015 um 2 Prozentpunkte auf knapp 4 Pro- rohstoffexportierender Schwellenländer1 zent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ausgeweitet In Relation zum aggregierten Bruttoinlandsprodukt worden sein. Auf der anderen Seite sind viele rohstoff- der Länder in Prozent exportierende Schwellenländer aufgrund des Rohstoff- 2,0 preisverfalls und der damit einhergehenden Einnahme- ausfälle des Staates zu harten Konsolidierungsmaßnah- 1,5 men gezwungen. Zu dieser Ländergruppe gehören etwa 1,0 Russland und Brasilien. 0,5 Ausblick 0,0 -0,5 Die deutliche Expansion der Industrieproduktion in den USA und im Euroraum im Januar sowie die Erholung -1,0 an den Aktienmärkten deuten darauf hin, dass die Welt- 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 produktion in der ersten Jahreshälfte 2016 etwas stärker expandieren dürfte als gegen Ende des Vorjahres. Die 1 Verwendete Länder: Brasilien, Russland, Indonesien, Saudi Arabien, Argenti- nien, Kolumbien, Südafrika, Malaysia, Chile. aufgrund der negativen Nachrichten zu Jahresbeginn Auswahl der Länder entsprechend den Kriterien in Didier, T., A. Kose, F. Ohnsorge, noch gedrückte Stimmung von Unternehmen und Ver- L. Ye (2016): Slowdown in Emerging Markets: Rough Patch or Prolonged Weak- ness? CEPR Discussion Paper No. 11065. brauchern wirkt jedoch vorerst dämpfend auf die Kon- junktur. Sie dürfte sich erst nach und nach wieder bes- Quelle: IMF - International Financial Statistics. sern und dazu beitragen, dass die Expansion der Welt- © GD Frühjahr 2016 wirtschaft sich ab dem zweiten Halbjahr etwas kräftigt. Allerdings dürften die Produktionszuwächse insgesamt mäßig bleiben. So verringert sich in den USA der Expan- Güternachfrage dürfte trotz der Einkommensverluste in sionsgrad der Geldpolitik langsam und der starke Dollar den großen rohstoffexportierenden Schwellenländern bremst die Auslandsnachfrage. Im Euroraum fällt der positiv sein, da dort vor dem Einbruch der Preise ein er- Impuls einer verbesserten preislichen Wettbewerbsfä- heblicher Teil der Einkommen nicht für Konsum- oder higkeit weg: Nachdem der Euro etwa ein Jahr lang bis Investitionsgüter ausgegeben, sondern gespart wurde. Sommer 2015 real effektiv um etwa 15 Prozent abge- Seit Beginn des Ölpreiseinbruchs in der zweiten Hälfte wertet hatte, verteuerte er sich seitdem um etwa 5 Pro- des Jahres 2014 haben diese Länder in der Summe ein zent. Auch deshalb dürfte die konjunkturelle Dynamik Leistungsbilanzdefizit, das sich in der Tendenz noch aus- im Euroraum mäßig bleiben. weiten dürfte (Abbildung 1.2). Alles in allem expandiert die Weltproduktion nach vorliegender Prognose in die- Die chinesische Wirtschaft wird weiter mit dem Struk- sem Jahr in etwa mit dem mäßigen Tempo des Vorjahrs. turwandel zu Lasten der Industrie und zu Gunsten des Für 2016 ergibt sich ein Zuwachs von 2,4 Prozent und Dienstleistungssektors sowie mit der hohen Verschul- für 2017 von 2,8 Prozent (Tabelle 1.1). Auch der Welthan- dung vieler staatlicher Industrieunternehmen zu kämp- del wird im Prognosezeitraum nur schwach ausgeweitet. fen haben. Allerdings dürfte hier die Wirtschaftspolitik Die Institute erwarten in diesem Jahr eine Zunahme um immer noch über genug Möglichkeiten verfügen, um 2,9 Prozent und im kommenden Jahr um 3,4 Prozent. einen abrupten Abfall des Expansionstempos zu verhin- dern. In Japan dürfte die Produktion wieder ausgewei- Erhebliche wirtschaftliche Risiken weltweit und tet werden, da der Rückgang zum Jahresende vor allem insbesondere in der Europäischen Union auf temporäre Faktoren zurückzuführen ist. Es ist je- doch deutlich geworden, dass die mit hohen Erwartun- Die Finanzmärkte beruhigten sich seit Mitte Februar gen gestartete Wirtschaftspolitik („Abenomics“) keinen zwar wieder, die der Unruhe zugrunde liegenden Risi- selbsttragenden Aufschwung anstoßen konnte. ken haben sich aber nicht aufgelöst. Es ist etwa zu be- fürchten, dass wegen der immer noch sehr niedrigen Der Rohstoffpreisrückgang reflektiert zum Teil eine welt- Preise etliche Rohstoffunternehmen in die Insolvenz ge- weite Nachfrageschwäche. Zugleich stützt er die Kon- hen, Banken Forderungsausfälle verkraften müssen, und junktur in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaf- die Finanzmärkte verunsichert werden. Auch wird sich ten, indem er die Realeinkommen erhöht und die Pro- die Finanzlage von Staaten, deren Einnahmen wesent- duktionskosten senkt. Der Gesamteffekt auf die globale lich auf Rohstofferlöse zurückgehen, weiter verschlech- GD Frühjahr 2016 15
Weltwirtschaft Tabelle 1.1 Reales Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise und Arbeitslosenquote in der Welt Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise Arbeitslosenquote Gewicht (BIP) Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent in Prozent in Prozent 2015 2016 2017 2015 2016 2017 2015 2016 2017 Europa 32,9 1,4 1,5 1,8 EU 28 27,2 1,9 1,7 1,8 0,0 0,4 1,4 9,4 8,8 8,6 Schweiz 1,0 1,0 1,1 1,8 −1,1 −0,6 0,2 4,5 4,6 4,6 Norwegen 0,7 1,8 1,5 1,8 2,2 2,6 2,2 4,4 4,6 4,4 Türkei 1,2 4,0 3,1 3,5 Russland 2,7 −3,7 −1,3 0,9 15,5 8,2 7,0 Amerika 35,5 1,6 1,3 2,2 USA 25,5 2,4 2,0 2,3 0,1 1,1 2,4 5,3 4,8 4,7 Kanada 2,6 1,2 1,3 2,3 1,1 1,8 2,1 6,9 7,1 6,9 Lateinamerika1 7,4 −1,0 −0,9 1,7 Asien 31,6 4,8 4,6 4,6 Japan 6,8 0,5 0,5 0,7 0,8 0,5 1,8 3,6 3,2 3,3 China ohne Hongkong 15,4 6,9 6,4 6,2 Südkorea 2,1 2,6 2,9 3,0 0,7 1,4 2,0 3,7 3,5 3,6 Indien 3,1 7,3 7,4 7,4 Ostasien ohne China2 4,5 3,2 3,6 4,0 Insgesamt3 100,0 2,5 2,4 2,8 Fortgeschrittene Volkswirtschaften4 68,4 1,9 1,7 2,0 0,2 0,8 1,7 6,9 6,4 6,3 Schwellenländer5 31,6 3,9 3,9 4,6 Nachrichtlich: Exportgewichtet6 2,2 2,0 2,3 Kaufkraftgewichtet7 3,0 2,9 3,4 Welthandel8 2,0 2,9 3,4 1 Gewichteter Durchschnitt aus Brasilien, Mexiko, Argentinien, Venezuela, Kolumbien, Chile. Gewichtet mit dem Bruttoinlandsprodukt von 2014 in US-Dollar. 2 Gewichteter Durchschnitt aus Indonesien, Taiwan (Provinz Chinas), Thailand, Malaysia, Singapur, Philippinen, Hongkong (Sonderverwaltungszone Chinas). Gewichtet mit dem Bruttoinlandsprodukt von 2014 in US-Dollar. 3 Summe der aufgeführten Ländergruppen. Gewichtet mit dem Bruttoinlandsprodukt von 2014 in US-Dollar. 4 EU 28, Schweiz, Norwegen, USA, Kanada, Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur, Hongkong (Sonderverwaltungszone Chinas). 5 Russland, Türkei, China ohne Hongkong, Indien, Indonesien, Thailand, Malaysia, Philippinen, Lateinamerika. 6 Summe der aufgeführten Ländergruppe. Gewichtet mit den Anteilen an der deutschen Ausfuhr 2014. 7 Summe der aufgeführten Ländergruppen. Gewichtet mit dem Bruttoinlandsprodukt von 2014 zu Kaufkraftparitäten. 8 Wert für 2014 von CPB. Quellen: IWF, Eurostat, OECD; CPB, Berechnungen der Institute; 2016 und 2017: Prognose der Institute. © GD Frühjahr 2016 tern. Zudem besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass Für die europäische Wirtschaft bestehen erhebliche poli- die Schrumpfungsprozesse der chinesischen Industrie tische Risiken. So könnten die zum Teil wieder aufge- deutlicher als bisher die Konjunktur des ganzen Landes nommenen Grenzkontrollen innerhalb des Schengen- in Mitleidenschaft ziehen. Raums den europäischen Binnenhandel verteuern. Die vorliegende Prognose unterstellt, dass davon keine nen- Ein weiteres Risiko besteht darin, dass die in den USA be- nenswerten konjunkturellen Effekte ausgehen.4 Aller- reits deutlich gestiegene Inflation schneller als in dieser dings ist das bisherige Versagen der Mitgliedsstaaten Prognose erwartet anzieht und die Notenbank zu raschen der Europäischen Union, einen Konsens über Wege zur Zinserhöhungen zwingen könnte. Wegen des internatio- Bewältigung der Flüchtlingsproblematik zu finden, ein nalen Zinszusammenhangs könnten in einem solchen Fall Vermögenswerte weltweit deutlich nachgeben, denn sie werden durch die niedrigen Zinsniveaus seit länge- 4 Schätzungen der Kosten aufgrund der Wiedereinführung von Grenzkontrol- rem nach oben getrieben. So wäre für diesen Fall zu er- len finden sich zum Beispiel in Döhrn, R., G. Barabas, A. Fuest, H. Gebhardt, M. Micheli, S. Rujin und L. Zwick (2016): Die wirtschaftliche Entwicklung im Inland: warten, dass auch die vielerorts in der Welt recht kräftig In schwierigem Fahrwasser, RWI Konjunkturberichte 67 (1), S. 60–61 und Felber gestiegenen Häuserpreise zurückgehen. mayr, G., J. Gröschl und T. Steinwachs (2016): ifo Schnelldienst 69 (05), S. 18–27. 16 GD Frühjahr 2016
Weltwirtschaft Symptom für tieferliegende Probleme der europäischen Abbildung 1.3 Integration: Kräfte, die für eine Rückabwicklung der in der Union erreichten politischen und wirtschaftlichen In- Ausgewählte US-Preisindikatoren1 tegration eintreten, haben in Europa schon seit einigen Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent Jahren an Einfluss gewonnen. So besteht die Möglich- keit, dass sich Großbritannien im Juni für einen Austritt 4 Verbraucherpreisindex aus der Europäischen Union entscheidet. Es ist allerdings schwer abzuschätzen, welche Folgen ein Austritt für die Konsumdeflator 3 Handels- und Finanzflüsse innerhalb der EU hat. Kurz- Verbraucherpreisindex fristig wäre bei einem Austritt wohl mit einem deutlichen (Kernrate) Fall des Pfunds und spürbarer Zurückhaltung bei Inves- 2 titionen in Großbritannien zu rechnen. Aber auch die an- deren EU-Mitgliedsländer dürften als Wirtschaftsstandort 1 an Attraktivität verlieren, denn Großbritannien ist inner- Konsumdeflator halb der Europäischen Union eine besonders dynami- (Kernrate) sche Volkswirtschaft und tritt auf europäischer Ebene re- 0 gelmäßig für offene und weniger regulierte Märkte ein. -1 US-Aufschwung trotz Konjunkturdelle intakt Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Der Aufschwung in den USA hat zum Jahresende 2015 etwas an Fahrt verloren. Das reale Bruttoinlandspro- dukt stieg im Schlussquartal 2015 mit einer Rate von 1 Der Verbraucherpreisindex ist das für internationale Vergleiche verwendete Maß, während die Fed zur Beurteilung der Preisentwicklung den Konsumdeflator heranzieht. nur 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal und da- Quelle: Bureau of Economic Analysis, Bureau of Labor Statistics. mit deutlich schwächer als im Sommerhalbjahr. Der Wachstumsbeitrag der privaten Konsumausgaben ging © GD Frühjahr 2016 zurück, da die realen verfügbaren Einkommen der pri- vaten Haushalte zum Jahresende weniger stark stiegen als in den Vorquartalen. Die Nachfrage der öffentlichen Hand nahm nicht weiter zu. Schließlich stagnierte der die seit 2008 einen fallenden Trend aufwies, ist seit Sep- Zuwachs der privaten Anlageinvestitionen nach einem tember vergangenen Jahres wieder von 62,4 Prozent auf deutlichen Anstieg im Vorquartal, wobei dies maßgeblich zuletzt 63,0 Prozent gestiegen, was den Rückgang der auf den Rückgang der Ausrüstungsinvestitionen zurück- Arbeitslosenquote im gleichen Zeitraum umso bemer- zuführen ist.5 Der Außenhandel leistete zwar auch im kenswerter erscheinen lässt. Trotz der günstigen Lage vierten Quartal einen negativen Wachstumsbeitrag, aller- am Arbeitsmarkt ist der Lohnauftrieb weiterhin mo- dings nur noch in Höhe von 0,1 Prozentpunkten. Dabei derat, was nicht zuletzt am Zustrom von Arbeitskräften gingen sowohl die Exporte als auch die Importe zurück. aus der Stillen Reserve liegen dürfte; die Stundenlöhne im Privatsektor stiegen in den sechs Monaten bis Feb- Trotz der Konjunkturdelle hat sich der Beschäftigungs- ruar mit einer laufenden Jahresrate von nur 1,8 Prozent. aufbau weiter fortgesetzt. Er war im März mit 215 000 neuen Stellen kaum weniger dynamisch als im Durch- Nachdem die US-Notenbank im vergangenen Dezem- schnitt der sechs Monate zuvor. Die Arbeitslosenquote ber mit der Anhebung der Spanne für die Federal Funds lag im März mit nur noch 5,0 Prozent in etwa auf jenem Rate um 25 Basispunkte die Zinswende einleitete, wur- Niveau, auf dem verschiedene Schätzungen die struktu- de der Leitzins bei den ersten beiden Sitzungen des Of- relle Arbeitslosenquote sehen.6 Die Partizipationsrate, fenmarktausschusses im Jahr 2016 konstant gehalten. Begründet wurde die Zurückhaltung bezüglich weite- rer Zinsschritte mit der weltwirtschaftlichen Unsicher- 5 Aktuelle Daten zur Anzahl der Öl- und Gasförderanlagen weisen darauf heit und der jüngsten Zunahme der Volatilität an den Fi- hin, dass der Energiesektor maßgeblich zu dieser Investitionsschwäche beigetra- nanzmärkten. Obgleich sich in den vergangenen Mona- gen hat, vgl. U.S. Energy Information Administration (EIA) (2016): Drilling ten der Anstieg des Konsumdeflators ohne Energie und Productivity Report, March 2016. Lebensmittel („Kerninflationsrate“) merklich beschleu- 6 So schätzen die Mitglieder des Offenmarktausschusses der US-Notenbank (Fed) im Durchschnitt, dass die natürliche Arbeitslosenquote bei 4,9 Prozent nigt hat, liegt der Zuwachs des Konsumdeflators insge- liegt, und das Congressional Budget Office (CBO) setzt sie mit 4,8 Prozent an. samt weiterhin klar unterhalb der Zielrate der Fed (Abbil- Aaronson et al. (2015) schätzen, dass die natürliche Arbeitslosenquote unter dung 1.3). Vor diesem Hintergrund rechnen die Institute 5 Prozent liegt; vgl. Aaronson, D., L. Hu, A. Seifoddini und D. G. Sullivan (2015): Changing Labor Force Composition and the Natural Rate of Unemployment, damit, dass der Zinsanstieg bis zum Jahresende 2017 ver- Chicago Fed Letter No. 338. halten ausfällt und die Federal Funds Rate Ende 2016 bei GD Frühjahr 2016 17
Weltwirtschaft 0,9 Prozent und Ende 2017 bei 1,7 Prozent liegen wird. Quartal 2016 ähnlich schwach war wie im Vorquartal. Auf ein solches Bild weisen auch die Markterwartungen So weisen monatliche Daten zum Außenhandel darauf hin. Trotz der begonnenen Straffung bleibt die Geldpoli- hin, dass dieser den Produktionsanstieg zu Jahresbe- tik im Prognosezeitraum damit expansiv ausgerichtet. ginn weiterhin gedämpft hat; dies ist wohl maßgeblich auf die starke Aufwertung des US-Dollar und die welt- Die Finanzpolitik wird im Unterschied zu den vergan- wirtschaftliche Konjunkturschwäche zurückzuführen.7 genen Jahren die Konjunktur wohl nicht mehr dämp- Die Binnennachfrage dürfte dagegen leicht aufwärts ge- fen. Der konjunkturell bedingte Anstieg der Steuerein- richtet gewesen sein. Die Konsumausgaben der privaten nahmen, sinkende Ausgaben der Arbeitslosenversiche- Haushalte lagen im Februar um 0,4 Prozent über dem rung und die weiterhin geringen Zinszahlungen auf die Durchschnittswert des vorangegangenen Quartals und Staatsschulden ermöglichen in den Jahren 2016 und das Verbrauchervertrauen (gemessen von der Universi- 2017 eine Reduktion des gesamtstaatlichen Budgetde- tät Michigan) war weiterhin hoch, jedoch seit Ende ver- fizits auf 3,7 Prozent bzw. 3,3 Prozent in Relation zum gangenen Jahres tendenziell sowohl in der Einschätzung Bruttoinlandsprodukt, nachdem es im Jahr 2015 4,4 Pro- der aktuellen Lage als auch in den Erwartungen rückläu- zent betragen hatte. Der strukturelle Budgetsaldo bleibt fig. Auch entstehungsseitige Indikatoren deuten auf eine dabei konstant. Die Schuldenobergrenze für den Bund nur moderate Ausweitung der Produktion hin. Auf der ist aktuell bis März 2017 ausgesetzt. Die Institute unter- einen Seite lagen die Auftragseingänge für Investitions- stellen für diese Prognose, dass sich der neue Kongress güter (ohne Verteidigungsgüter) im Februar leicht unter im nächsten Jahr rechtzeitig auf eine Neuregelung eini- dem Durchschnittswert des Vorquartals; auf der ande- gen wird, so dass es im Prognosezeitraum nicht erneut ren Seite stieg der Einkaufsmanagerindex (ISM) zuletzt zu einer Haushaltskrise kommen wird. drei Mal in Folge und hat seinen seit Mai 2015 anhalten- den Abwärtstrend durchbrochen; mit einem Wert von Aktuell deuten viele Konjunkturindikatoren darauf hin, 51,8 Punkten im März befindet er sich damit wieder ober- dass der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im ersten halb der Expansionsgrenze von 50 Punkten. Die Stim- mungslage der mittelständischen Unternehmen war laut Umfrage der National Federation of Independent Businesses (NFIB) zu Jahresbeginn nur mäßig und trübte sich im Abbildung 1.4 Februar weiter ein. Die Bautätigkeit expandiert am aktu- ellen Rand hingegen recht dynamisch. Im Januar lagen Reales Bruttoinlandsprodukt in den USA sowohl die Ausgaben für gewerbliche Bauten (2,4 Pro- Saisonbereinigter Verlauf zent) als auch jene für Wohnungsbauten (0,9 Prozent) über dem Niveau des Schlussquartals 2015. Index Veränderung gegenüber 1. Quartal 2012 = 100 dem Vorquartal in Prozent Nach dem schwachen Jahresstart dürfte sich der Anstieg 116 1,5 des Bruttoinlandsprodukts im weiteren Jahresverlauf Prognosezeitraum 2016 beschleunigen (Abbildung 1.4) und bis Ende 2017 112 1,0 mit Raten von knapp 2,5 Prozent etwas höher sein als das Potenzialwachstum, das die Institute bei gut 2 Pro- zent verorten. Dabei schließt sich die Produktionslücke 108 0,5 bis Ende 2016, und im Jahr 2017 werden die gesamtwirt- schaftlichen Kapazitäten wohl leicht überausgelastet sein. Der Aufschwung wird bei steigenden Realeinkommen 104 0,0 und weiter niedrigen Ölpreisen vor allem durch die Kon- sumnachfrage der privaten Haushalte getragen werden. 100 -0,5 Auch die Investitionsnachfrage dürfte insgesamt wieder Veränderung gegenüber dem Vorjahr: anziehen. Im Zuge der höheren Kapazitätsauslastung 2,2 1,5 2,4 2,4 2,0 2,3 werden die Ausrüstungsinvestitionen und die gewerb- 96 -1,0 lichen Bauinvestitionen im Prognoseverlauf nach Ein- 2012 2013 2014 2015 2016 2017 schätzung der Institute beschleunigt expandieren. Die Laufende Wachstumsrate (rechte Skala) Wohnungsbauinvestitionen werden hingegen aufgrund Index (linke Skala) Jahresdurchschnitt (linke Skala) steigender Zinsen wohl etwas weniger stark als zuletzt ausgeweitet werden. Der Außenhandel dürfte im weite- Quellen: Bureau of Economic Analysis, Berechnungen der Institute; ab 1. Quartal 2016: Prognose der Institute. 7 Der reale effektive Wechselkurs stieg in den eineinhalb Jahren bis Februar © GD Frühjahr 2016 2016 um knapp 16,5 Prozent. 18 GD Frühjahr 2016
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