Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben' von Klaus Graf, Karlsruhe Es mag verwegen anmuten, das Oeuvre Konrads von Würzburg zusam- menzuspannen mit dem Ritterroman 'Friedrich von Schwaben', einem Text, der von der Germanistik bislang allenfalls nebenbei zur Kenntnis ge- nommen und dann schnell als primitives oder triviales Machwerk abquali- fiziert wurde. Ich glaube jedoch, daß es erhellend sein kann, dem Normal- fall eines genealogischen Herkommens, wie es in Konrads 'Schwanritter' vorausgesetzt ist, einen Sonderfall wie den des 'Friedrich von Schwaben' gegenüberzustellen. Horst BRUNNER hat 1981 Konrads 'Schwanritter' und 'Engelhard' als 'Genealogische Phantasien' - so der Titel des Aufsatzes - gewürdigt, d.h. als Versuche, die Helden der Erzählungen genealogisch an die adeli- gen Häuser der Grafen von Rieneck und von Kleve anzubinden (BRUN- NER 1981b). Über den 'Engelhard' werde ich mich nicht äußern, da ich die für die Entstehung am Niederrhein im Umkreis der Grafen von Kleve beigebrachten Indizien für wenig überzeugend halte (Anm. 1). Anders verhält es sich mit dem 'Schwanritter'. Der von Theodor RUF (Anm. 2) beobachtete Siegelwechsel Graf Lud- wigs III. von Rieneck, der einen Schwan als Helmzier annahm, 1257/58, wird von BRUNNER als entscheidender Datierungshinweis gewertet: "Man kann kaum daran zweifeln, daß Ludwig III. Konrads Auftraggeber gewesen ist und daß das Gedicht und der Wechsel der Helmzier unmittel- bar zusammenhängen" (SCHMID-CADALBERT. S. 21). Ich werde im folgenden versuchen, einige Fragezeichen an diesem scheinbar gesicher- ten Erkenntnisstand anzubringen. Zum einen, weil ich den Versuchen, allenthalben in Uterarischen Texten aktuelle politische Anspielungen zu 1) Vgl. die Kritik von Reinhard BLECK: Überlegungen zur Entstehungssituation der Werke Konrads von Würzburg, in denen kein Auftraggeber genannt wird. Wien 1987. S. 53-58. 2) Theodor RUF: Die Grafen von Rieneck. Genealogie und Territorienbüdung. Bd 2. Würzburg 1984. S. 185-189. 285
entdecken, skeptisch gegenüberstehe (Anm. 3), und zum ändern, weil ich das von BRUNNER angesprochene Konzept des genealogischen Herkom- mens für zu bedeutsam halte, um es anhand des 'Schwanritters' zu über- fordern. Konrad schreibt (Der Schwanritter, ed. E. SCHRÖDER. V. 1596-1611) über die Nachkommenschaft der Gemahlin des Schwanritters (ich zitiere BRUNNERs Übersetzung): "Viele auserlesene Fürsten stammen aus ihrem Geschlecht, aus ihrem Samen kamen ihnen viele Verwandte und stolze Vettern. Die Grafen von Geldern und dazu die von Kleve sind von ihnen hergekommen. Auch die Rienecker stammen aus ihrem weitbekannten Geschlecht — deren Familie wurde in viele Länder verbreitet; noch heute führt und trägt sie dort im Kampf den Schwan" (SCHMID-CADALBERT. S. 21). Die Frage ist, ob "deren Familie wurde in viele Länder verbreitet" den Bezug von ir künne wart in manec lant geteilet richtig trifft. Vom Text her nicht zu widerlegen ist die Interpretation, daß ir sich wie auch die vorigen Pronomina auf die gesamte Nachkommenschaft des Schwanritters bezieht, ir künne also nur Variation von ir gestehte ist. Dann würde Konrad das Schwanenzeichen als Wappen bzw. Kampfabzeichen irrigerweise auch für die Geldern und Kleve beanspruchen. Daß Konrad seine heraldischen Kenntnisse seiner gestalterischen Kunst unterzuordnen wußte, ist bekannt (Anm. 4). Der Glanz des einheitsstiftenden Kampfab- zeichens, das die weitverstreuten Glieder einer Herkommensgemeinschaft verbindet, überstrahlt das kontingente Faktum, daß nur ein Zweig der Grafen von Rieneck, eben Ludwig III. und seine Nachkommen seit 1258, den Schwan als Helmzier — nicht etwa als Wappenbild im Schild - führten (DEBOOR1967. S. 266 f.). Ein strikter Terminus post quem für den 'Schwanritter' ist aus dem Siegelbefund freilich nicht zu gewinnen. Ludwig benutzte zunächst das Typar seines Vaters weiter (RUF: Anm. 2. S. 185); wann er sich ein neues Siegel schneiden ließ, konnte von mancherlei Zufällen abhängen. Auf Lud- wigs sehr viel weniger dauerhaften Turnierschilden oder auf seinem Helm konnte bereits vor 1258 ein Schwan prangen und Konrad zu Augen kom- men, der daraus die sichtbare Spur des Schwanritterherkommens abgeleitet hätte. Man läuft leicht Gefahr, den auch unter zahlreichen Familien ohne 3) Dies gilt nicht zuletzt für den Versuch des Schülers von Heinz THOMAS, Alfred RITSCHER, den 'Schwanritter' in den Sommer 1282 zu datieren. 4) WEIDENKOPF. S. 324 Anm. 82; MONECKE. S. 162. 286
Schwanritterabkunft verbreiteten Schwan als Helmzier im Licht der Konradstelle überzubewerten. Wohin das führt, zeigt die Erwägung Werner MEYERs, Konrads Erzählung könne "vielleicht doch" in Beziehung stehen zur Hochzeit zwischen den Häusern Frohburg-Homberg und Rapperswü 1265, die Homberg den Rapperswiler Schwan als Helmzier beschert habe (SCHMID-CADALBERT. S. 30). Das ostfränkische Adelsgeschlecht der Rienecker war Konrad wohl aus seiner Würzburger Zeit vertraut, und die Nennung im 'Schwanritter' be- deutet sicher eine Verneigung vor dieser Familie. Doch geht die These, sie seien die Auftraggeber Konrads gewesen, über das hinaus, was der Text abzusichern vermag. Konrads Erwähnung ist und bleibt ein erratischer Block, nämlich das anderweitig nicht überprüfbare einzige Zeugnis für Schwanritterüberlieferungen der Häuser Geldern, Kleve und Rieneck im 13. Jahrhundert. Keine weitere Quelle weiß von solchen Traditionen für die Häuser Geldern und Rieneck, und der erste Beleg für ein klevesches Schwanenzeichen datiert aus der Zeit um 1330 (Anm. 5). Wie immer man die Stücke des genealogischen Puzzles drehen und wen- den mag, redlicherweise wird man nicht über die bescheidene Erkenntnis hinauskommen, daß die von Konrad behauptete Schwanritterabkunft der Rienecker mit ihren niederrheinischen Bezügen in Verbindung steht. Das Haus Rieneck war ja bis in die 20er Jahre des 13. Jahrhunderts Teil des Gesamthauses der belgischen Grafen von Loon. Arnold III. von Loon, ge- storben 1221, war mit Adelheid von Brabant verheiratet, sein Vater, der Urgroßvater Ludwigs III., mit Adelheid von Geldern (RUF: Anm. 2. S. 35, 48). Inwieweit Konrad von Familientraditionen der von ihm ange- führten Geschlechter Kenntnis hatte oder ob er aus verwandtschaftlichen Beziehungen eine solche Überlieferung erst herstellte, muß offen bleiben. Ich möchte nun kurz den Begriff 'genealogisches Herkommen' präzi- sieren. Er beschreibt eine Gruppe von Texten, die einer realen oder fikti- ven Familie eine Abstammungsgeschichte zurechnen. Darin sind auch jene Texte eingeschlossen, die unter einer genealogischen Perspektive er- zählt sind, in denen also das verwandtschaftliche Gefüge, die Genealogie, als verkettendes Prinzip der Handlung fungiert. Bekanntestes Beispiel die- ses noch nicht vergleichend erforschten Typs 'Familiensaga' ist Wolframs 5) Thomas CRAMER: Lohengrin. Edition und Untersuchungen. München 1971. S. 99. Für Brabant gibt es immerhin das Zeugnis Wolframs aus dem begin- nenden 13. Jh.: Parzival 826, 10 f. 287
Parzival. Diese Art genealogisches Herkommen bleibt im folgenden jedoch außer acht (Anm. 6). Daß der Begriff 'Herkommen' ein Vorläufer des modernen Geschichts- begriffs und somit ein Schlüsselbegriff für die Theorie des vormodernen historiographischen Diskurses ist, habe ich an anderer Stelle angedeutet (Anm. 7). Seine Bedeutungen — Ursprung, Tradition, Herkunft, Abstam- mung, Brauch — bündeln in vorkritischer Weise Möglichkeiten historischer Erfahrung. Allgemein läßt sich 'Herkommen' als Textfunktion fassen, die eine Geschichte auf ein Zurechnungssubjekt bezieht. Die Identität des Zu- rechnungssubjekts — im Fall des genealogischen Herkommens: einer Familie — wird durch das Herkommen präsentiert, begründet, legitimiert oder erklärt. Indem ich von der 'Präsentation der Identität' spreche, knüpfe ich natürlich an die von Hermann Lübbe formulierte Grundfunk- tion von Geschichten an, Identität als historisches Selbstverständnis zu bestimmen (Anm. 8). Doch setzt das Herkommen diese Identität nicht als unverwechselbare Einzigartigkeit an, sondern durch Erzählmotive und Verweise auf das Herkommen anderer Zurechnungssubjekte. Damit ist der Sachverhalt erfaßt, daß sich oft eine Überlieferung an eine andere anlagern kann. Im Hinblick auf das genealogische Herkommen spricht man oft auch von 'Ansippung' (Anm. 9). Für die 'Schwanritter'-Stelle bedeutet dies, daß die erzählte Geschichte den erwähnten Geschlechtern Geldern, Kleve und Rieneck als genealogi- sches Herkommen zugerechnet werden kann. Alle drei gehören einer Her- kommensgemeinschaft an, ihr Einzelherkommen ist eingebettet in ein 6) Vgl. außer der bei Klaus GRAF: Exemplarische Geschichten. Thomas Lirers "Schwäbische Chronik" und die "Gmünder Kaiserchronik". München 1987. S. 119 angegebenen Literatur noch: R. Howard BLOCH: Genealogy as a Medie- val Mental Structure and Textual Form. In: Grundriss der Romanischen Litera- turen des Mittelalters XI/1. Heidelberg 1986. S. 135-166; Elisabeth SCHMID: Familiengeschichten und Heilsmythologie. Tübingen 1986 sowie besonders Uwe RUBERG: Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und Fuchs vom Mittelalter bis zur Aufklärungszeit. In: PBB (T) 110. 1988. S.29-62. 7) Klaus GRAF: Gmünder Chroniken im 16. Jahrhundert. Schwäbisch Gmünd 1984. S. 70 f.; GRAF: Anm. 6. S. 117 f. 8) Hermann LÜBBE: Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Basel, Stuttgart 1977. S. 168. 9) Vgl. die Überlegungen zur 'Historischen Sage' bei Klaus GRAF: Der Ring der Herzogin. In: Babenberger und Staufer. Göppingen 1987. S. 84-134. Hier: S. 124. Vgl. auch Klaus GRAF: Thesen zur Verabschiedung des Begriffs der 'historischen Sage'. In: Fabula 29. 1988. S. 21-47. 288
Gesamtherkommen. Das, mit BOURDIEU zu sprechen, 'symbolische Kapital' des Herkommens wirft Distinktionsgewinne ab(Anm. 10), indem es auf den 'feinen Unterschied' abhebt, von einem Römer oder Trojaner abzustammen oder von einem Schwanritter. Das von Thomas GRAMER in seiner Lohengrin-Ausgabe zusammengestellte Material wirft einiges Licht auf die Überlieferungsdynamik der Schwanrittertradition, also auf die wechselnden Formen der Aneignung und Ablehnung durch nordwest- europäische Adelshäuser und das Wechselspiel zwischen literarischer und mündlicher Überlieferung (Anm. 11). Bildlichen und gegenständlichen Zeichen kam dabei besondere Bedeu- tung zu. So verbürgt das Schwanenzeichen in der Konradstelle die Wahr- heit des Überlieferten. Überlieferung und Gegenstand stehen in symbio- tischer Beziehung: die Überlieferung erklärt den Gegenstand, der wieder- um die Überlieferung beglaubigt (Anm. 12). Während im Schwanritterherkommen das symbolische Kapital des Herkommens gleich verteilt ist, gibt es bei der Anlagerung einer Überliefe- 10) Pierre BOURDIEU: Die feinen Unterschiede. Frankfurt a.M. 1982. S. 20 Anm. 3 betont, daß Bildung/Kultur "als eine Art kulturelles Kapital fungiert, das, da ungleich verteilt, automatisch Distinktionsgewinne abwirft". Ebda S. 359: "Weil die Aneignung der Kulturgüter Anlagen und Kompetenzen voraussetzt, die ungleich verteilt sind (obwohl scheinbar angeboren), bilden diese Werke den Gegenstand einer exklusiven (materiellen oder symbolischen) Aneignung, und weil ihnen die Funktion von (objektiviertem oder inkorporiertem) kulturel- lem Kapital zukommt, sichern sie einen Gewinn an Distinktion - im Verhält- nis zum Seltenheitsgrad der zu ihrer Aneignung notwendigen Instrumente - und einen Gewinn an Legitimität [...]." Ebda S. 127 spricht BOURDIEU vom ' 'Herkunftskapital". 11) CRAMER: Anm. 5. S. 68-123; Claude LECOUTEUX: Melusine et le Chevalier au Cygne. Paris 1982. S.133-135; Herbert KOLB: Die Schwanrittersage als Ursprungsmythos mittelalterlicher Fürstengeschlechter. In: History and Heroic Tale. Hrsg. von Tore NYBERG u.a. Odense 1985. S. 23-50. - Udo von der BURG: Niederlothringisch-niederrheinische Überlieferungen in einem main- fränkischen Epos. Beobachtungen und Überlegungen zu Zusätzen in Strickers Epos (Karl der Große) (Anfang des 13. Jahrhunderts). In: Rheinische Viertel- jahresblätter 38. 1974. S. 54-61 macht die Grafen von Loon-Rieneck (hypothe- tisch) in einem anderen Fall für Literaturbeziehungen zwischen dem Nieder- rheingebiet und Mainfranken verantwortlich. 12) Beat Rudolf JENNY: Graf Froben Christoph von Zimmern. Lindau, Konstanz 1959. S. 129 zum "Gegenstand, welcher für die Wahrheit einer Sage bürgt und umgekehrt durch diese erklärt wird". 289
rung auch den Modus der Überbietung. Ein Mitglied einer Herkommens- gemeinschaft drängt sich vor und gibt vor, ein besseres Herkommen als die anderen zu besitzen. Dafür ein Beispiel aus dem Städte-Herkommen: die angeblich von dem Überlieferungs-Vorort Trier aus gegründeten Städte akzeptierten im Spätmittelalter zwar die Herkommensgemeinschaft, doch versuchten einige Städte mit der Behauptung, sie seien unmittel- bar nach Trier gegründet worden, sich vorzudrängen (Anm. 13). Anders als im 'Chevalier au Cygne' ist der Schwanritter nicht der Vor- fahr Gottfrieds von Bouillon; dessen Herkommen, das durch göttliche Gnade ausgezeichnet ist, wird von Konrad durch die Schwanrittergeschich- te weiter erhöht. Sie ordnet sich in die Reihe der als wahr verbürgten Wunder ein, die Gott für Herzog Gottfried getan hat (V. 1616 ff.) (BRUN- NER 1981b. S. 279-280). Auf diese Weise harmonisiert Konrad den Streit der Herkommen, denn die Erinnerung an den Kreuzzugshelden Gottfried konkurrierte durchaus mit dem Schwanritterherkommen (CRA- MER: Anm. 5. S. 73 f., 76). Daß Konrad den Text nur geschrieben habe, um einigen Adelshäusern zu schmeicheln, glaube ich nicht. So wie der 'Heinrich von Kempten' ein Beispiel ist für kühne Kaltblütigkeit und der 'Engelhard' eines für große Treue, so ist der Schwanritter ein wahres Exempel für ein außergewöhn- liches Wunder an einer Familie. Allgemein spreche ich von 'Exemplum' als einer Textfunktion, die einer Geschichte eine Lehre oder Regel unter- legt. Unmittelbar einsichtig ist, daß Herkommen und Exemplum komple- mentäre Textfunktionen sind, die in jeder Geschichte aufeinander bezogen sind und deshalb auch nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten (GRAF: Anm. 9. S. 124). Die wunderbare Unterstützung Gottes schmückt das Herkommen der Schwanritter-Deszendenz, umgekehrt beglaubigen diese und das Schwanenzeichen die Wahrheit des Exemplums. So ist es denn eine Ermessensfrage, was man stärker gewichten möchte: die Ein- bettung Konrads in eine adelig-patrizische Gesellschaft oder den exempla- rischen Gehalt seiner Erzählungen. Im einen Fall wird der Schwanritter zur Auftragsarbeit für die Grafen von Rieneck, im anderen verblaßt die Konrad-Steile zum beglaubigenden Vermerk (Anm. 14) einer wundersa- 13) Klaus GRAF: Aspekte zum Regionalismus in Schwaben und am Oberrhein im Spätmittelalter. In: Oberrheinische Studien 7. 1988. S. 165-192. Hier: S.lSlf. 14) Vgl. für die 'Melusine' Thürings von Ringoltingen Xenja von ERTZDORFF: Die Fee als Ahnfrau. In: Festschrift für Hans EGGERS. Hrsg. von Herbert BACKES. Tübingen 1972 (= PBB (T) 94 Sonderheft) S. 428-457. Hier: S. 444. 290
men Erzählung, der sich im Medium eines genealogischen Herkommens vor berühmten Grafenhäusern verbeugt. Ich wende mich nun dem 'Friedrich von Schwaben' zu. Der Roman eines anonymen Autors (Anm. 15) ist in sieben Hand- schriften - mit einer Ausnahme schwäbischer Herkunft - überliefert, die im Zeitraum von 1464 bis 1532 entstanden sind (Anm. 16). Den einzigen sicheren Datierungshinweis liefert eine Anspielung auf den 1314 abge- schlossenen 'Wilhelm von Österreich'. Die jüngere Forschung denkt an eine Entstehung in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, doch läßt sich ein hinreichend sicherer Terminus ante quem vor Niederschrift der ältesten Wiener Handschrift 1464 nicht ausfindig machen. Der Text liegt in zwei Redaktionen vor: von einem unbekannten Bearbeiter wurde später eine Liebesgeschichte des Helden mit einer Zwergenkönigin interpoliert. Der Textbestand der älteren Fassung kann zwar nur hypothetisch erschlossen werden, doch darf man getrost folgenden Handlungsverlauf zugrundele- gen: Auf der Jagd wird der schwäbische Herzog Friedrich von einem Hirsch zu einer verlassenen Burg gelockt. In der Nacht erscheint ihm im Dunkehl die Königstochter Angelburg. Zusammen mit zwei Gefährtinnen hat sie aufgrund der Intrigen ihrer Stiefmutter, die sich mit einem Zaube- rer eingelassen hat, Hirschgestalt annehmen müssen. Friedrichs erster Ver- such, Angelburg zu erlösen, scheitert, da er sich, liebeskrank und von dem Zauberer verleitet, nicht an das Verbot Angelburgs hält, sie nicht anzu- sehen. Der Herzog verliert ein Auge und begibt sich, nachdem seine Brüder ihm seinen Anteü an der Herrschaft ausgezahlt haben, auf die Suche nach den nun in Tauben verwandelten Jungfrauen. Nach manchen Abenteuern glückt die Erlösung, und Friedrich und Angelburg vermählen sich. Mit den klassischen Vorbildern des höfischen Romans waren die Ver- fasser beider Redaktionen des 'Friedrich von Schwaben' wohlvertraut (Anm. 17). Dies zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Entlehnungen aus 15) VgL zuletzt Nikolaus HENKEL, Enzyklopädie des Märchens Bd 5 Sp. 358-361. Ausgabe von Max Hermann JELLINEK. Berlin 1904 (= Deutsche Texte des Mittelalters 1). Ich stütze mich im folgenden auf Überlegungen und Belege bei GRAF: Anm. 7. S. 17-21. 16) Zur Überlieferung des Textes bereite ich einen eigenen Beitrag vor. 17) Vgl. zuletzt Kurt GÄRTNER: Zur Rezeption des Artusromans im Spätmittel- alter und den Erec-Entlehnungen im 'Friedrich von Schwaben'. In: Artusritter- tum im späten Mittelalter. Hrsg. von Friedrich WOLFZETTEL. Giessen 1984. S. 60-72. 291
anderen Werken. An der Spitze steht der 'Wigalois' des Wirnt von Grafen- berg, aus dem nicht weniger als 315 Verse übernommen sind. Hier interes- siert insbesondere die Frage, ob Konrads 'Partonopier und Meliur' als Vor- lage gedient hat. Diese Frage wurde bislang vor allem im Hinblick auf motivische Übereinstimmungen bejaht (Anm. 18). Wie im 'Partonopier' gelangt der Held im 'Friedrich von Schwaben' auf der Jagd zu einer men- schenleeren Burg, in der er einen gedeckten Tisch vorfindet und in der ihm dann in der Nacht seine spätere Gemahlin begegnet. Die erzähleri- sche Ausgestaltung der Szene ist freilich grundverschieden. Während Kon- rad das Handlungsgerüst mit detaillierten Beschreibungen breit aus- schmückt, erzählt der 'Friedrich von Schwaben' mit äußerster Knappheit (Anm. 19). Haben die von mir ermittelten wörtlichen Anklänge (Anm. 20) auch insgesamt wenig Beweiskraft, so scheint mir die Übereinstimmung in der Reaktion der jeweiligen Helden auf das 'Ungeheure', die Bedro- hung durch ein nicht einschätzbares Geheimnisvolles, doch für eine un- mittelbare Abhängigkeit zu sprechen (Anm. 21). 18) Vgl. Ludwig VOSS: Überlieferung und Verfasserschaft des mhd. Ritterromans Friedrich von Schwaben. Diss. Münster 1895. S. 40; Hans WOITE: Märchen- motive im Friedrich von Schwaben. Diss. Kiel 1910. S. 13; GÄRTNER: Anm. 17. S. 62; HENKEL: Anm. 15. Sp. 361 Anm. 8. Hans Wolfgang STEFFEK: Die Feenwelt in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur. Frankfurt a.M./ Bern/Las Vegas 1978. S. 274: "Wörtliche Übereinstimmungen finden sich nicht". 19) Über das Erzählen im 'Friedrich von Schwaben' bereitet Frau Brigitte SCHÖ- NING, Berlin, eine Dissertation vor. Ein Beitrag dazu ist auch von Paul SAPP- LER, Tübingen, zu erwarten (Vortrag auf der Tübinger Spätmittelalter-Tagung 1988). 20) Inhaltliche und wörtliche Anklänge (auch minimaler Art): FvS V. 64/Partono- pier, ed. BARTSCH V. 317 + 585; 67/336; 72 + 837/342 + 431; 80/521; 95/ 976 f. + 1093; 97/980; 109/1123 f.; 107 f./1163-1165; 112/1169; 127/1064; 132/1227 f.; 141 f./1334-1337; 143 + 3321/7739; 143 f./2095 f. (Reim). Am ehesten als Entlehnung anzusprechen ist die Anrufung Gottes Partonopier V. 1168 f. krist herre, heiles obedach /gediehe phlegen min noch hint - FvS V. 111 f. her', himelscher trächtein / heint solt du selbs pflegen mein. 21) Partonopier fürchtet mehrmals, das Absonderliche, das er erlebt, könnte ein Gaukelspiel des Teufels sein (V. 888 ff., 1057 ff., 1168 ff., 1247 f.), vgl. STEF- FEK: Anm. 18. S. 167 ff. Vor dem Zubettgehen bekreuzigt er sich und richtet ein Gebet an Gott (V. 1168 ff.). Auch Friedrich wundert sich über das bereitge- stellte Essen und fragt sich ob es wer guot oder ungehür (V. 118). Auch er spricht vor dem Einschlafen ein Gebet. Ein zweites Mal ruft er Gott an, als er nach eini- ger Zeit geweckt wird. Dieser soll ihn bewahren Vor allen ungehüren scharen 292
Für beide Helden stellt sich das Problem, ob ihr Partner geheuer oder ungeheuer sei, mit anderen Worten: es stellt sich das Problem der 'Fee als Ahnfrau' — so der Titel eines Aufsatzes von Xenja von ERTZDORFF über die 'Melusine' Thürings von Ringoltingen (vgl. Anm. 14). Die erzäh- lerischen Folgekosten aus dem Zusammenprall einer Fee, also einer Figur aus dem Pantheon der Volkskultur, mit der kirchlichen Dämonologie und der Succubus-Theorie sind vor allem aus dem 'Peter von Staufenberg' wohlbekannt (Anm. 22). In einem Hexentraktat aus dem Ende des 15. Jahrhunderts wird sogar der Schwanritter als Beweis dafür herangezogen, daß aus der Verbindung eines Dämons mit einer Frau Kinder hervorgehen können. Johann Weyer, klevischer Leibarzt und Bekämpfer der Hexenver- folgungen, hielt 1563 dem entgegen, daß es sich um eine jener Erzählun- gen handle, mit denen die Anfänge berühmter Häuser geschmückt wurden (CRAMER: Anm. 5. S. 104 Anm. 97). Damit sind wir wieder bei der Konzeption des genealogischen Herkom- mens. Thomas CRAMER hat den 'Friedrich von Schwaben' jungst an die Seite des 'Wilhelm von Österreich' gestellt, der ja den österreichischen Herzögen einen ruhmvollen Ahnherrn zugewiesen habe. In "ganz ähnlicher Weise" werde im 'Friedrich von Schwaben' den regierenden Herzögen "eine fabelhafte Genealogie gegeben" (Anm. 23), und auch Volker MER- TENS wertete den Text unbefangen als Preis des schwäbischen Herzogs- hauses (Anm. 24). Wäre der 'Friedrich von Schwaben', wie LASSBERG (V. 130). Nachdem er den Störenfried gefangen hat, bedroht Friedrich ihn mit dem Tod, wenn er nicht sage, ob er gehwr oder ungehür und welche Art Kreatur er sei (V. 141 ff.). Dies ist eine Umkehrung der entsprechenden Szene (V. 1334 ff.) im Partonopier. Dort will MeliUr mit der gleichen Drohung wissen, ob Partonopier Mann, Teufel oder Mensch sei. Beruhigt Meliur Partonopier durch die Anrufung der Muttergottes (V. 1348 ff.), so beginnt Angelburg ihre Erzählung mit der Versicherung: Ich bin von cristenlichem stamm geboren (V. 163). Vgl. hierzu STEFFEK. S. 174. 22) Vgl. dazu Kurt RUH: Die 'Melusine' des Thüring von Ringoltingen. Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philos.-Hist Klasse. Sitzungsberichte 1985 Heft 5. S. 16 f. und Eckhard GRUNEWALD: "Der tüfel in der helle ist üwer schlaf geselle". In: Volksreligion im hohen und späten Mittelalter. Hrsg. von Peter DINZELBACHER und Dieter R. BAUER. Paderborn 1988. S. 129-143. 23) Thomas CRAMER: Aspekte des höfischen Romans im 14. Jahrhundert. In: Zur deutschen Sprache und Literatur des 14. Jahrhunderts. Hrsg. von Walter HAUG u.a. Heidelberg 1983. S. 208-220. Hier: S. 217. 24) In einer Rezension GRM. 68. 1987. S. 235. 293
1822 in einem Brief an BENECKE vermutete, ein "zu Zeiten Kaiser Fried- rich II. gesungenefs] Lied" (Anm. 25), so hätte man mit diesen Formulie- rungen keine Schwierigkeiten. Der, wie Uhland formulierte, "Morgen- glanz des Wunderbaren" wird jedoch auf die Anfänge eines Herrscherge- schlechts geworfen, mit dessen Ende 1268 auch das Herzogtum Schwaben erlosch. Der 'Friedrich von Schwaben' ist Staufertradition, vom Adel ge- tragene Erinnerung an die Herzöge von Schwaben aus dem staufischen Haus, die den Leitnamen Friedrich führten. Zugleich ist er Präsentation gentiler Identität, nämlich als Stammes-Herkommen und Ausdruck schwä- bischen Landesbewußtseins (Anm. 26). Das mit dem Quellenbegriff lant zu fassende Verfassungsmodell ursprünglich gentil begründeter Idealität, wie es sich in der epischen Konstruktion bereits des 'Rolandliedes' ausgeprägt hat, bildet auch im 'Friedrich von Schwaben' die Folie der Handlung. Im Lob des Herzogshauses und seines Stammes, der Schwaben, konnten sich im 14. Jahrhundert Angehörige sowohl des hohen als auch des niederen Adels wiederfinden, die ihr Selbstverständnis retrospektiv an einem Land Schwaben orientierten — Herren wie die Herzöge von Teck, denen eine ehrende Erwähnung in der interpolierten Fassung des Romans gilt, und die sich als "Adelspensionäre" - so Hans PATZE - abseits vom Gerangel um den territorialen Kuchen hielten. Denkbar ist eine Entstehung des 'Fried- rich von Schwaben' auch im Umkreis ehemaliger staufischer Ministerialen, denen die Bezugnahme auf das schwäbische Herzogtum ja den geschichtli- chen Ort ihrer Adelsqualität vermittelte. Die schwäbische Ritterschaft feierte sich im 'Friedrich von Schwaben' auch durch Berufung auf ihren 'Spitzenahn', den Fürsten Gerolt von Schwaben, der durch Tüchtigkeit seinem Stamm von Karl dem Großen das Vorstreitrecht erworben habe. In gleicher Weise verbürgen in der 'Mörin' des schwabenstolzen Hermann von Sachsenheim die Taten eines fiktiven Herzog Gerung von Schwaben im Sturm auf Mailand zu Zeiten Friedrich Barbarossas die gleiche Ehre des Vorstreits (V. 1855 ff.) (Anm. 27). Und wenn ein Blick auf die nach 1460 entstandene 'Schwäbische 25) Rudolf BAIER: Briefe aus der Frühzeit der deutschen Philologie an Georg Friedrich BENECKE. Leipzig 1901. S. 49. 26) GRAF: Anm. 7. S. 19 f.; zum schwäbischen Regionalismus allgemein GRAF: Anm. 13. 27) Hrsg. von Horst Dieter SCHLOSSER. Wiesbaden 1974 (= Deutsche Klassiker des Mittelalters NF 3). 294
Chronik' des sogenannten Thomas Lirer erlaubt ist, so verliert der 'Fried- rich von Schwaben' einiges von seiner Singularität (Anm. 28). Im Medium erfundener Historie erhielt in Lirers Chronik die schwäbische Ritter- schaft, die sich als Verkörperung des Landes Schwaben betrachtete, ein ruhmvolles Herkommen, garniert mit den Taten fiktiver schwäbischer Herzöge. Im 'Friedrich von Schwaben' tritt ein anderer Typ des genealogischen Herkommens zutage als im 'Schwanritter'. Hier ist das Herkommen bezo- gen auf das zur Abfassungszeit nicht mehr lebende Haus der Herzöge von Schwaben, denen durch die Aventiure Friedrichs als Geschichte der Wer- bung um die Königstochter Angelburg eine geheimnisvolle Ahnfrau zuge- schrieben wird. Bei der Brautwerbung, die als Erlösungshandlung konzi- piert ist, wird auf ständische Exklusivität geachtet: Wird Angelburg nicht von einem Fürstenkind, sondern von einem ungeboren man (V. 589) er- löst, muß sie mit diesem Gatten ohne Ehre leben. Da eine Herzogsdyna- stie nicht mehr existiert, kommt das Kapital des Herzogsherkommens dem schwäbischen Adel des 14. Jahrhunderts zugute, der sich in den Me- dien episch-höfischer Idealität und eines mit staufischen Reminiszenzen aufgeputzten Herzogsherkommens über sein eigenes Herkommen und seine Identität verständigen konnte. 28) Dazu ausführlich GRAF: Anm. 6. S. 99-115. 295
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