Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg
               und im 'Friedrich von Schwaben'
                                   von
                           Klaus Graf, Karlsruhe

    Es mag verwegen anmuten, das Oeuvre Konrads von Würzburg zusam-
menzuspannen mit dem Ritterroman 'Friedrich von Schwaben', einem
Text, der von der Germanistik bislang allenfalls nebenbei zur Kenntnis ge-
nommen und dann schnell als primitives oder triviales Machwerk abquali-
fiziert wurde. Ich glaube jedoch, daß es erhellend sein kann, dem Normal-
fall eines genealogischen Herkommens, wie es in Konrads 'Schwanritter'
vorausgesetzt ist, einen Sonderfall wie den des 'Friedrich von Schwaben'
gegenüberzustellen.
    Horst BRUNNER hat 1981 Konrads 'Schwanritter' und 'Engelhard'
als 'Genealogische Phantasien' - so der Titel des Aufsatzes - gewürdigt,
d.h. als Versuche, die Helden der Erzählungen genealogisch an die adeli-
gen Häuser der Grafen von Rieneck und von Kleve anzubinden (BRUN-
NER 1981b). Über den 'Engelhard' werde ich mich nicht äußern, da ich
die für die Entstehung am Niederrhein im Umkreis der Grafen von Kleve
beigebrachten Indizien für wenig überzeugend halte (Anm. 1). Anders
verhält es sich mit dem 'Schwanritter'.
    Der von Theodor RUF (Anm. 2) beobachtete Siegelwechsel Graf Lud-
wigs III. von Rieneck, der einen Schwan als Helmzier annahm, 1257/58,
wird von BRUNNER als entscheidender Datierungshinweis gewertet:
"Man kann kaum daran zweifeln, daß Ludwig III. Konrads Auftraggeber
gewesen ist und daß das Gedicht und der Wechsel der Helmzier unmittel-
bar zusammenhängen" (SCHMID-CADALBERT. S. 21). Ich werde
im folgenden versuchen, einige Fragezeichen an diesem scheinbar gesicher-
ten Erkenntnisstand anzubringen. Zum einen, weil ich den Versuchen,
allenthalben in Uterarischen Texten aktuelle politische Anspielungen zu
 1) Vgl. die Kritik von Reinhard BLECK: Überlegungen zur Entstehungssituation
    der Werke Konrads von Würzburg, in denen kein Auftraggeber genannt wird.
    Wien 1987. S. 53-58.
 2) Theodor RUF: Die Grafen von Rieneck. Genealogie und Territorienbüdung.
    Bd 2. Würzburg 1984. S. 185-189.

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
entdecken, skeptisch gegenüberstehe (Anm. 3), und zum ändern, weil ich
das von BRUNNER angesprochene Konzept des genealogischen Herkom-
mens für zu bedeutsam halte, um es anhand des 'Schwanritters' zu über-
fordern.
    Konrad schreibt (Der Schwanritter, ed. E. SCHRÖDER. V. 1596-1611)
über die Nachkommenschaft der Gemahlin des Schwanritters (ich zitiere
BRUNNERs Übersetzung): "Viele auserlesene Fürsten stammen aus ihrem
Geschlecht, aus ihrem Samen kamen ihnen viele Verwandte und stolze
Vettern. Die Grafen von Geldern und dazu die von Kleve sind von ihnen
hergekommen. Auch die Rienecker stammen aus ihrem weitbekannten
Geschlecht — deren Familie wurde in viele Länder verbreitet; noch heute
führt und trägt sie dort im Kampf den Schwan" (SCHMID-CADALBERT.
S. 21). Die Frage ist, ob "deren Familie wurde in viele Länder
verbreitet" den Bezug von ir künne wart in manec lant geteilet richtig
trifft. Vom Text her nicht zu widerlegen ist die Interpretation, daß ir sich
wie auch die vorigen Pronomina auf die gesamte Nachkommenschaft des
Schwanritters bezieht, ir künne also nur Variation von ir gestehte ist. Dann
würde Konrad das Schwanenzeichen als Wappen bzw. Kampfabzeichen
irrigerweise auch für die Geldern und Kleve beanspruchen. Daß Konrad
seine heraldischen Kenntnisse seiner gestalterischen Kunst unterzuordnen
wußte, ist bekannt (Anm. 4). Der Glanz des einheitsstiftenden Kampfab-
zeichens, das die weitverstreuten Glieder einer Herkommensgemeinschaft
verbindet, überstrahlt das kontingente Faktum, daß nur ein Zweig der
Grafen von Rieneck, eben Ludwig III. und seine Nachkommen seit 1258,
den Schwan als Helmzier — nicht etwa als Wappenbild im Schild - führten
(DEBOOR1967. S. 266 f.).
    Ein strikter Terminus post quem für den 'Schwanritter' ist aus dem
Siegelbefund freilich nicht zu gewinnen. Ludwig benutzte zunächst das
Typar seines Vaters weiter (RUF: Anm. 2. S. 185); wann er sich ein neues
Siegel schneiden ließ, konnte von mancherlei Zufällen abhängen. Auf Lud-
wigs sehr viel weniger dauerhaften Turnierschilden oder auf seinem Helm
konnte bereits vor 1258 ein Schwan prangen und Konrad zu Augen kom-
men, der daraus die sichtbare Spur des Schwanritterherkommens abgeleitet
hätte. Man läuft leicht Gefahr, den auch unter zahlreichen Familien ohne

 3) Dies gilt nicht zuletzt für den Versuch des Schülers von Heinz THOMAS, Alfred
    RITSCHER, den 'Schwanritter' in den Sommer 1282 zu datieren.
 4) WEIDENKOPF. S. 324 Anm. 82; MONECKE. S. 162.

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
Schwanritterabkunft verbreiteten Schwan als Helmzier im Licht der
Konradstelle überzubewerten. Wohin das führt, zeigt die Erwägung Werner
MEYERs, Konrads Erzählung könne "vielleicht doch" in Beziehung stehen
zur Hochzeit zwischen den Häusern Frohburg-Homberg und Rapperswü
1265, die Homberg den Rapperswiler Schwan als Helmzier beschert habe
(SCHMID-CADALBERT. S. 30).
    Das ostfränkische Adelsgeschlecht der Rienecker war Konrad wohl aus
seiner Würzburger Zeit vertraut, und die Nennung im 'Schwanritter' be-
deutet sicher eine Verneigung vor dieser Familie. Doch geht die These,
sie seien die Auftraggeber Konrads gewesen, über das hinaus, was der Text
abzusichern vermag. Konrads Erwähnung ist und bleibt ein erratischer
Block, nämlich das anderweitig nicht überprüfbare einzige Zeugnis für
Schwanritterüberlieferungen der Häuser Geldern, Kleve und Rieneck im
 13. Jahrhundert. Keine weitere Quelle weiß von solchen Traditionen für
die Häuser Geldern und Rieneck, und der erste Beleg für ein klevesches
Schwanenzeichen datiert aus der Zeit um 1330 (Anm. 5).
    Wie immer man die Stücke des genealogischen Puzzles drehen und wen-
den mag, redlicherweise wird man nicht über die bescheidene Erkenntnis
hinauskommen, daß die von Konrad behauptete Schwanritterabkunft der
Rienecker mit ihren niederrheinischen Bezügen in Verbindung steht. Das
Haus Rieneck war ja bis in die 20er Jahre des 13. Jahrhunderts Teil des
Gesamthauses der belgischen Grafen von Loon. Arnold III. von Loon, ge-
storben 1221, war mit Adelheid von Brabant verheiratet, sein Vater, der
Urgroßvater Ludwigs III., mit Adelheid von Geldern (RUF: Anm. 2.
S. 35, 48). Inwieweit Konrad von Familientraditionen der von ihm ange-
führten Geschlechter Kenntnis hatte oder ob er aus verwandtschaftlichen
Beziehungen eine solche Überlieferung erst herstellte, muß offen bleiben.
    Ich möchte nun kurz den Begriff 'genealogisches Herkommen' präzi-
sieren. Er beschreibt eine Gruppe von Texten, die einer realen oder fikti-
ven Familie eine Abstammungsgeschichte zurechnen. Darin sind auch
jene Texte eingeschlossen, die unter einer genealogischen Perspektive er-
zählt sind, in denen also das verwandtschaftliche Gefüge, die Genealogie,
als verkettendes Prinzip der Handlung fungiert. Bekanntestes Beispiel die-
ses noch nicht vergleichend erforschten Typs 'Familiensaga' ist Wolframs

 5) Thomas CRAMER: Lohengrin. Edition und Untersuchungen. München 1971.
    S. 99. Für Brabant gibt es immerhin das Zeugnis Wolframs aus dem begin-
    nenden 13. Jh.: Parzival 826, 10 f.

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
Parzival. Diese Art genealogisches Herkommen bleibt im folgenden jedoch
außer acht (Anm. 6).
   Daß der Begriff 'Herkommen' ein Vorläufer des modernen Geschichts-
begriffs und somit ein Schlüsselbegriff für die Theorie des vormodernen
historiographischen Diskurses ist, habe ich an anderer Stelle angedeutet
(Anm. 7). Seine Bedeutungen — Ursprung, Tradition, Herkunft, Abstam-
mung, Brauch — bündeln in vorkritischer Weise Möglichkeiten historischer
Erfahrung. Allgemein läßt sich 'Herkommen' als Textfunktion fassen, die
eine Geschichte auf ein Zurechnungssubjekt bezieht. Die Identität des Zu-
rechnungssubjekts — im Fall des genealogischen Herkommens: einer
Familie — wird durch das Herkommen präsentiert, begründet, legitimiert
oder erklärt. Indem ich von der 'Präsentation der Identität' spreche,
knüpfe ich natürlich an die von Hermann Lübbe formulierte Grundfunk-
tion von Geschichten an, Identität als historisches Selbstverständnis zu
bestimmen (Anm. 8). Doch setzt das Herkommen diese Identität nicht als
unverwechselbare Einzigartigkeit an, sondern durch Erzählmotive und
Verweise auf das Herkommen anderer Zurechnungssubjekte. Damit ist der
Sachverhalt erfaßt, daß sich oft eine Überlieferung an eine andere anlagern
kann. Im Hinblick auf das genealogische Herkommen spricht man oft auch
von 'Ansippung' (Anm. 9).
    Für die 'Schwanritter'-Stelle bedeutet dies, daß die erzählte Geschichte
den erwähnten Geschlechtern Geldern, Kleve und Rieneck als genealogi-
sches Herkommen zugerechnet werden kann. Alle drei gehören einer Her-
kommensgemeinschaft an, ihr Einzelherkommen ist eingebettet in ein
 6) Vgl. außer der bei Klaus GRAF: Exemplarische Geschichten. Thomas Lirers
    "Schwäbische Chronik" und die "Gmünder Kaiserchronik". München 1987.
    S. 119 angegebenen Literatur noch: R. Howard BLOCH: Genealogy as a Medie-
    val Mental Structure and Textual Form. In: Grundriss der Romanischen Litera-
    turen des Mittelalters XI/1. Heidelberg 1986. S. 135-166; Elisabeth SCHMID:
    Familiengeschichten und Heilsmythologie. Tübingen 1986 sowie besonders
    Uwe RUBERG: Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und
    Fuchs vom Mittelalter bis zur Aufklärungszeit. In: PBB (T) 110. 1988. S.29-62.
 7) Klaus GRAF: Gmünder Chroniken im 16. Jahrhundert. Schwäbisch Gmünd
    1984. S. 70 f.; GRAF: Anm. 6. S. 117 f.
 8) Hermann LÜBBE: Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Basel, Stuttgart
    1977. S. 168.
 9) Vgl. die Überlegungen zur 'Historischen Sage' bei Klaus GRAF: Der Ring der
    Herzogin. In: Babenberger und Staufer. Göppingen 1987. S. 84-134. Hier:
    S. 124. Vgl. auch Klaus GRAF: Thesen zur Verabschiedung des Begriffs der
    'historischen Sage'. In: Fabula 29. 1988. S. 21-47.

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
Gesamtherkommen. Das, mit BOURDIEU zu sprechen, 'symbolische
Kapital' des Herkommens wirft Distinktionsgewinne ab(Anm. 10), indem
es auf den 'feinen Unterschied' abhebt, von einem Römer oder Trojaner
abzustammen oder von einem Schwanritter. Das von Thomas GRAMER
in seiner Lohengrin-Ausgabe zusammengestellte Material wirft einiges
Licht auf die Überlieferungsdynamik der Schwanrittertradition, also auf
die wechselnden Formen der Aneignung und Ablehnung durch nordwest-
europäische Adelshäuser und das Wechselspiel zwischen literarischer und
mündlicher Überlieferung (Anm. 11).
    Bildlichen und gegenständlichen Zeichen kam dabei besondere Bedeu-
tung zu. So verbürgt das Schwanenzeichen in der Konradstelle die Wahr-
heit des Überlieferten. Überlieferung und Gegenstand stehen in symbio-
tischer Beziehung: die Überlieferung erklärt den Gegenstand, der wieder-
um die Überlieferung beglaubigt (Anm. 12).
    Während im Schwanritterherkommen das symbolische Kapital des
Herkommens gleich verteilt ist, gibt es bei der Anlagerung einer Überliefe-

10) Pierre BOURDIEU: Die feinen Unterschiede. Frankfurt a.M. 1982. S. 20 Anm. 3
    betont, daß Bildung/Kultur "als eine Art kulturelles Kapital fungiert, das, da
    ungleich verteilt, automatisch Distinktionsgewinne abwirft". Ebda S. 359:
    "Weil die Aneignung der Kulturgüter Anlagen und Kompetenzen voraussetzt,
    die ungleich verteilt sind (obwohl scheinbar angeboren), bilden diese Werke den
    Gegenstand einer exklusiven (materiellen oder symbolischen) Aneignung, und
    weil ihnen die Funktion von (objektiviertem oder inkorporiertem) kulturel-
    lem Kapital zukommt, sichern sie einen Gewinn an Distinktion - im Verhält-
    nis zum Seltenheitsgrad der zu ihrer Aneignung notwendigen Instrumente -
    und einen Gewinn an Legitimität [...]." Ebda S. 127 spricht BOURDIEU vom
    ' 'Herkunftskapital".
11) CRAMER: Anm. 5. S. 68-123; Claude LECOUTEUX: Melusine et le Chevalier
    au Cygne. Paris 1982. S.133-135; Herbert KOLB: Die Schwanrittersage als
    Ursprungsmythos mittelalterlicher Fürstengeschlechter. In: History and Heroic
    Tale. Hrsg. von Tore NYBERG u.a. Odense 1985. S. 23-50. - Udo von der
    BURG: Niederlothringisch-niederrheinische Überlieferungen in einem main-
    fränkischen Epos. Beobachtungen und Überlegungen zu Zusätzen in Strickers
    Epos (Karl der Große) (Anfang des 13. Jahrhunderts). In: Rheinische Viertel-
    jahresblätter 38. 1974. S. 54-61 macht die Grafen von Loon-Rieneck (hypothe-
    tisch) in einem anderen Fall für Literaturbeziehungen zwischen dem Nieder-
    rheingebiet und Mainfranken verantwortlich.
12) Beat Rudolf JENNY: Graf Froben Christoph von Zimmern. Lindau, Konstanz
    1959. S. 129 zum "Gegenstand, welcher für die Wahrheit einer Sage bürgt und
    umgekehrt durch diese erklärt wird".

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
rung auch den Modus der Überbietung. Ein Mitglied einer Herkommens-
gemeinschaft drängt sich vor und gibt vor, ein besseres Herkommen als die
anderen zu besitzen. Dafür ein Beispiel aus dem Städte-Herkommen: die
angeblich von dem Überlieferungs-Vorort Trier aus gegründeten Städte
akzeptierten im Spätmittelalter zwar die Herkommensgemeinschaft,
doch versuchten einige Städte mit der Behauptung, sie seien unmittel-
bar nach Trier gegründet worden, sich vorzudrängen (Anm. 13).
    Anders als im 'Chevalier au Cygne' ist der Schwanritter nicht der Vor-
fahr Gottfrieds von Bouillon; dessen Herkommen, das durch göttliche
Gnade ausgezeichnet ist, wird von Konrad durch die Schwanrittergeschich-
te weiter erhöht. Sie ordnet sich in die Reihe der als wahr verbürgten
Wunder ein, die Gott für Herzog Gottfried getan hat (V. 1616 ff.) (BRUN-
NER 1981b. S. 279-280). Auf diese Weise harmonisiert Konrad den
Streit der Herkommen, denn die Erinnerung an den Kreuzzugshelden
Gottfried konkurrierte durchaus mit dem Schwanritterherkommen (CRA-
MER: Anm. 5. S. 73 f., 76).
    Daß Konrad den Text nur geschrieben habe, um einigen Adelshäusern
zu schmeicheln, glaube ich nicht. So wie der 'Heinrich von Kempten' ein
Beispiel ist für kühne Kaltblütigkeit und der 'Engelhard' eines für große
Treue, so ist der Schwanritter ein wahres Exempel für ein außergewöhn-
liches Wunder an einer Familie. Allgemein spreche ich von 'Exemplum'
als einer Textfunktion, die einer Geschichte eine Lehre oder Regel unter-
legt. Unmittelbar einsichtig ist, daß Herkommen und Exemplum komple-
mentäre Textfunktionen sind, die in jeder Geschichte aufeinander bezogen
sind und deshalb auch nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten
(GRAF: Anm. 9. S. 124). Die wunderbare Unterstützung Gottes schmückt
das Herkommen der Schwanritter-Deszendenz, umgekehrt beglaubigen
diese und das Schwanenzeichen die Wahrheit des Exemplums. So ist es
denn eine Ermessensfrage, was man stärker gewichten möchte: die Ein-
bettung Konrads in eine adelig-patrizische Gesellschaft oder den exempla-
rischen Gehalt seiner Erzählungen. Im einen Fall wird der Schwanritter
zur Auftragsarbeit für die Grafen von Rieneck, im anderen verblaßt die
Konrad-Steile zum beglaubigenden Vermerk (Anm. 14) einer wundersa-

13) Klaus GRAF: Aspekte zum Regionalismus in Schwaben und am Oberrhein im
    Spätmittelalter. In: Oberrheinische Studien 7. 1988. S. 165-192. Hier: S.lSlf.
14) Vgl. für die 'Melusine' Thürings von Ringoltingen Xenja von ERTZDORFF: Die
    Fee als Ahnfrau. In: Festschrift für Hans EGGERS. Hrsg. von Herbert BACKES.
    Tübingen 1972 (= PBB (T) 94 Sonderheft) S. 428-457. Hier: S. 444.

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
men Erzählung, der sich im Medium eines genealogischen Herkommens vor
berühmten Grafenhäusern verbeugt. Ich wende mich nun dem 'Friedrich
von Schwaben' zu.
   Der Roman eines anonymen Autors (Anm. 15) ist in sieben Hand-
schriften - mit einer Ausnahme schwäbischer Herkunft - überliefert, die
im Zeitraum von 1464 bis 1532 entstanden sind (Anm. 16). Den einzigen
sicheren Datierungshinweis liefert eine Anspielung auf den 1314 abge-
schlossenen 'Wilhelm von Österreich'. Die jüngere Forschung denkt an eine
Entstehung in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, doch läßt sich ein
hinreichend sicherer Terminus ante quem vor Niederschrift der ältesten
Wiener Handschrift 1464 nicht ausfindig machen. Der Text liegt in zwei
Redaktionen vor: von einem unbekannten Bearbeiter wurde später eine
Liebesgeschichte des Helden mit einer Zwergenkönigin interpoliert. Der
Textbestand der älteren Fassung kann zwar nur hypothetisch erschlossen
werden, doch darf man getrost folgenden Handlungsverlauf zugrundele-
gen: Auf der Jagd wird der schwäbische Herzog Friedrich von einem
Hirsch zu einer verlassenen Burg gelockt. In der Nacht erscheint ihm im
Dunkehl die Königstochter Angelburg. Zusammen mit zwei Gefährtinnen
hat sie aufgrund der Intrigen ihrer Stiefmutter, die sich mit einem Zaube-
rer eingelassen hat, Hirschgestalt annehmen müssen. Friedrichs erster Ver-
such, Angelburg zu erlösen, scheitert, da er sich, liebeskrank und von dem
Zauberer verleitet, nicht an das Verbot Angelburgs hält, sie nicht anzu-
sehen. Der Herzog verliert ein Auge und begibt sich, nachdem seine Brüder
ihm seinen Anteü an der Herrschaft ausgezahlt haben, auf die Suche nach
den nun in Tauben verwandelten Jungfrauen. Nach manchen Abenteuern
glückt die Erlösung, und Friedrich und Angelburg vermählen sich.
   Mit den klassischen Vorbildern des höfischen Romans waren die Ver-
fasser beider Redaktionen des 'Friedrich von Schwaben' wohlvertraut
(Anm. 17). Dies zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Entlehnungen aus

15) VgL zuletzt Nikolaus HENKEL, Enzyklopädie des Märchens Bd 5 Sp. 358-361.
    Ausgabe von Max Hermann JELLINEK. Berlin 1904 (= Deutsche Texte des
    Mittelalters 1). Ich stütze mich im folgenden auf Überlegungen und Belege bei
    GRAF: Anm. 7. S. 17-21.
16) Zur Überlieferung des Textes bereite ich einen eigenen Beitrag vor.
17) Vgl. zuletzt Kurt GÄRTNER: Zur Rezeption des Artusromans im Spätmittel-
    alter und den Erec-Entlehnungen im 'Friedrich von Schwaben'. In: Artusritter-
    tum im späten Mittelalter. Hrsg. von Friedrich WOLFZETTEL. Giessen 1984.
    S. 60-72.

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
anderen Werken. An der Spitze steht der 'Wigalois' des Wirnt von Grafen-
berg, aus dem nicht weniger als 315 Verse übernommen sind. Hier interes-
siert insbesondere die Frage, ob Konrads 'Partonopier und Meliur' als Vor-
lage gedient hat. Diese Frage wurde bislang vor allem im Hinblick auf
motivische Übereinstimmungen bejaht (Anm. 18). Wie im 'Partonopier'
gelangt der Held im 'Friedrich von Schwaben' auf der Jagd zu einer men-
schenleeren Burg, in der er einen gedeckten Tisch vorfindet und in der
ihm dann in der Nacht seine spätere Gemahlin begegnet. Die erzähleri-
sche Ausgestaltung der Szene ist freilich grundverschieden. Während Kon-
rad das Handlungsgerüst mit detaillierten Beschreibungen breit aus-
schmückt, erzählt der 'Friedrich von Schwaben' mit äußerster Knappheit
(Anm. 19). Haben die von mir ermittelten wörtlichen Anklänge (Anm. 20)
auch insgesamt wenig Beweiskraft, so scheint mir die Übereinstimmung
in der Reaktion der jeweiligen Helden auf das 'Ungeheure', die Bedro-
hung durch ein nicht einschätzbares Geheimnisvolles, doch für eine un-
mittelbare Abhängigkeit zu sprechen (Anm. 21).

18) Vgl. Ludwig VOSS: Überlieferung und Verfasserschaft des mhd. Ritterromans
    Friedrich von Schwaben. Diss. Münster 1895. S. 40; Hans WOITE: Märchen-
    motive im Friedrich von Schwaben. Diss. Kiel 1910. S. 13; GÄRTNER: Anm.
    17. S. 62; HENKEL: Anm. 15. Sp. 361 Anm. 8. Hans Wolfgang STEFFEK: Die
    Feenwelt in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur. Frankfurt a.M./
    Bern/Las Vegas 1978. S. 274: "Wörtliche Übereinstimmungen finden sich
    nicht".
19) Über das Erzählen im 'Friedrich von Schwaben' bereitet Frau Brigitte SCHÖ-
    NING, Berlin, eine Dissertation vor. Ein Beitrag dazu ist auch von Paul SAPP-
    LER, Tübingen, zu erwarten (Vortrag auf der Tübinger Spätmittelalter-Tagung
    1988).
20) Inhaltliche und wörtliche Anklänge (auch minimaler Art): FvS V. 64/Partono-
    pier, ed. BARTSCH V. 317 + 585; 67/336; 72 + 837/342 + 431; 80/521; 95/
    976 f. + 1093; 97/980; 109/1123 f.; 107 f./1163-1165; 112/1169; 127/1064;
    132/1227 f.; 141 f./1334-1337; 143 + 3321/7739; 143 f./2095 f. (Reim).
    Am ehesten als Entlehnung anzusprechen ist die Anrufung Gottes Partonopier
    V. 1168 f. krist herre, heiles obedach /gediehe phlegen min noch hint - FvS
    V. 111 f. her', himelscher trächtein / heint solt du selbs pflegen mein.
21) Partonopier fürchtet mehrmals, das Absonderliche, das er erlebt, könnte ein
    Gaukelspiel des Teufels sein (V. 888 ff., 1057 ff., 1168 ff., 1247 f.), vgl. STEF-
    FEK: Anm. 18. S. 167 ff. Vor dem Zubettgehen bekreuzigt er sich und richtet
    ein Gebet an Gott (V. 1168 ff.). Auch Friedrich wundert sich über das bereitge-
    stellte Essen und fragt sich ob es wer guot oder ungehür (V. 118). Auch er spricht
    vor dem Einschlafen ein Gebet. Ein zweites Mal ruft er Gott an, als er nach eini-
    ger Zeit geweckt wird. Dieser soll ihn bewahren Vor allen ungehüren scharen

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
Für beide Helden stellt sich das Problem, ob ihr Partner geheuer oder
ungeheuer sei, mit anderen Worten: es stellt sich das Problem der 'Fee als
Ahnfrau' — so der Titel eines Aufsatzes von Xenja von ERTZDORFF
über die 'Melusine' Thürings von Ringoltingen (vgl. Anm. 14). Die erzäh-
lerischen Folgekosten aus dem Zusammenprall einer Fee, also einer Figur
aus dem Pantheon der Volkskultur, mit der kirchlichen Dämonologie und
der Succubus-Theorie sind vor allem aus dem 'Peter von Staufenberg'
wohlbekannt (Anm. 22). In einem Hexentraktat aus dem Ende des 15.
Jahrhunderts wird sogar der Schwanritter als Beweis dafür herangezogen,
daß aus der Verbindung eines Dämons mit einer Frau Kinder hervorgehen
können. Johann Weyer, klevischer Leibarzt und Bekämpfer der Hexenver-
folgungen, hielt 1563 dem entgegen, daß es sich um eine jener Erzählun-
gen handle, mit denen die Anfänge berühmter Häuser geschmückt wurden
(CRAMER: Anm. 5. S. 104 Anm. 97).
    Damit sind wir wieder bei der Konzeption des genealogischen Herkom-
mens. Thomas CRAMER hat den 'Friedrich von Schwaben' jungst an die
Seite des 'Wilhelm von Österreich' gestellt, der ja den österreichischen
Herzögen einen ruhmvollen Ahnherrn zugewiesen habe. In "ganz ähnlicher
Weise" werde im 'Friedrich von Schwaben' den regierenden Herzögen
"eine fabelhafte Genealogie gegeben" (Anm. 23), und auch Volker MER-
TENS wertete den Text unbefangen als Preis des schwäbischen Herzogs-
hauses (Anm. 24). Wäre der 'Friedrich von Schwaben', wie LASSBERG

    (V. 130). Nachdem er den Störenfried gefangen hat, bedroht Friedrich ihn mit
    dem Tod, wenn er nicht sage, ob er gehwr oder ungehür und welche Art Kreatur
    er sei (V. 141 ff.). Dies ist eine Umkehrung der entsprechenden Szene
    (V. 1334 ff.) im Partonopier. Dort will MeliUr mit der gleichen Drohung wissen,
    ob Partonopier Mann, Teufel oder Mensch sei. Beruhigt Meliur Partonopier
    durch die Anrufung der Muttergottes (V. 1348 ff.), so beginnt Angelburg ihre
    Erzählung mit der Versicherung: Ich bin von cristenlichem stamm geboren
    (V. 163). Vgl. hierzu STEFFEK. S. 174.
22) Vgl. dazu Kurt RUH: Die 'Melusine' des Thüring von Ringoltingen. Bayerische
    Akademie der Wissenschaften. Philos.-Hist Klasse. Sitzungsberichte 1985 Heft 5.
    S. 16 f. und Eckhard GRUNEWALD: "Der tüfel in der helle ist üwer schlaf
    geselle". In: Volksreligion im hohen und späten Mittelalter. Hrsg. von Peter
    DINZELBACHER und Dieter R. BAUER. Paderborn 1988. S. 129-143.
23) Thomas CRAMER: Aspekte des höfischen Romans im 14. Jahrhundert. In: Zur
    deutschen Sprache und Literatur des 14. Jahrhunderts. Hrsg. von Walter HAUG
    u.a. Heidelberg 1983. S. 208-220. Hier: S. 217.
24) In einer Rezension GRM. 68. 1987. S. 235.

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Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'
1822 in einem Brief an BENECKE vermutete, ein "zu Zeiten Kaiser Fried-
rich II. gesungenefs] Lied" (Anm. 25), so hätte man mit diesen Formulie-
rungen keine Schwierigkeiten. Der, wie Uhland formulierte, "Morgen-
glanz des Wunderbaren" wird jedoch auf die Anfänge eines Herrscherge-
schlechts geworfen, mit dessen Ende 1268 auch das Herzogtum Schwaben
erlosch. Der 'Friedrich von Schwaben' ist Staufertradition, vom Adel ge-
tragene Erinnerung an die Herzöge von Schwaben aus dem staufischen
Haus, die den Leitnamen Friedrich führten. Zugleich ist er Präsentation
gentiler Identität, nämlich als Stammes-Herkommen und Ausdruck schwä-
bischen Landesbewußtseins (Anm. 26). Das mit dem Quellenbegriff lant zu
fassende Verfassungsmodell ursprünglich gentil begründeter Idealität, wie
es sich in der epischen Konstruktion bereits des 'Rolandliedes' ausgeprägt
hat, bildet auch im 'Friedrich von Schwaben' die Folie der Handlung. Im
Lob des Herzogshauses und seines Stammes, der Schwaben, konnten sich
im 14. Jahrhundert Angehörige sowohl des hohen als auch des niederen
Adels wiederfinden, die ihr Selbstverständnis retrospektiv an einem Land
Schwaben orientierten — Herren wie die Herzöge von Teck, denen eine
ehrende Erwähnung in der interpolierten Fassung des Romans gilt, und die
sich als "Adelspensionäre" - so Hans PATZE - abseits vom Gerangel um
den territorialen Kuchen hielten. Denkbar ist eine Entstehung des 'Fried-
rich von Schwaben' auch im Umkreis ehemaliger staufischer Ministerialen,
denen die Bezugnahme auf das schwäbische Herzogtum ja den geschichtli-
chen Ort ihrer Adelsqualität vermittelte.
   Die schwäbische Ritterschaft feierte sich im 'Friedrich von Schwaben'
auch durch Berufung auf ihren 'Spitzenahn', den Fürsten Gerolt von
Schwaben, der durch Tüchtigkeit seinem Stamm von Karl dem Großen
das Vorstreitrecht erworben habe. In gleicher Weise verbürgen in der
'Mörin' des schwabenstolzen Hermann von Sachsenheim die Taten eines
fiktiven Herzog Gerung von Schwaben im Sturm auf Mailand zu Zeiten
Friedrich Barbarossas die gleiche Ehre des Vorstreits (V. 1855 ff.) (Anm.
27). Und wenn ein Blick auf die nach 1460 entstandene 'Schwäbische

25) Rudolf BAIER: Briefe aus der Frühzeit der deutschen Philologie an Georg
    Friedrich BENECKE. Leipzig 1901. S. 49.
26) GRAF: Anm. 7. S. 19 f.; zum schwäbischen Regionalismus allgemein GRAF:
    Anm. 13.
27) Hrsg. von Horst Dieter SCHLOSSER. Wiesbaden 1974 (= Deutsche Klassiker
    des Mittelalters NF 3).

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Chronik' des sogenannten Thomas Lirer erlaubt ist, so verliert der 'Fried-
rich von Schwaben' einiges von seiner Singularität (Anm. 28). Im Medium
erfundener Historie erhielt in Lirers Chronik die schwäbische Ritter-
schaft, die sich als Verkörperung des Landes Schwaben betrachtete, ein
ruhmvolles Herkommen, garniert mit den Taten fiktiver schwäbischer
Herzöge.
    Im 'Friedrich von Schwaben' tritt ein anderer Typ des genealogischen
Herkommens zutage als im 'Schwanritter'. Hier ist das Herkommen bezo-
gen auf das zur Abfassungszeit nicht mehr lebende Haus der Herzöge von
Schwaben, denen durch die Aventiure Friedrichs als Geschichte der Wer-
bung um die Königstochter Angelburg eine geheimnisvolle Ahnfrau zuge-
schrieben wird. Bei der Brautwerbung, die als Erlösungshandlung konzi-
piert ist, wird auf ständische Exklusivität geachtet: Wird Angelburg nicht
von einem Fürstenkind, sondern von einem ungeboren man (V. 589) er-
löst, muß sie mit diesem Gatten ohne Ehre leben. Da eine Herzogsdyna-
stie nicht mehr existiert, kommt das Kapital des Herzogsherkommens
dem schwäbischen Adel des 14. Jahrhunderts zugute, der sich in den Me-
dien episch-höfischer Idealität und eines mit staufischen Reminiszenzen
aufgeputzten Herzogsherkommens über sein eigenes Herkommen und seine
Identität verständigen konnte.

28) Dazu ausführlich GRAF: Anm. 6. S. 99-115.

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