Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention

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Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
Klagenfurter
                 Geographische
                 Schriften Heft 28
                 Institut für Geographie und Regionalforschung
                 der Universität Klagenfurt 2012

Hans Peter JESCHKE und Peter MANDL (Hrsg.)

Eine Zukunft für die Landschaften Europas
und die Europäische Landschaftskonvention
Titelblatt: „Unsere Umwelt beginnt in der Wohnung und endet in der Weite der Landschaft“
Aus: IVWSR (1973): Wiener Empfehlungen. Luxemburg. In: Jeschke, Hans Peter (Hrsg.)
    (1982): Problem Umweltgestaltung. Ausgewählte Bestandsaufnahme, Probleme, Thesen
    und Vorschläge zu Raumordnung, Orts- und Stadtgestaltung, Ortsbild- und
    Denkmalschutz, Landschaftspflege und Umweltschutz. Verlag Stocker, Graz.
    (= Schriftenreihe für Agrarpolitik und Agrarsoziologie, Sonderband 1)

Medieninhaber (Herausgeber und Verleger):
Institut für Geographie und Regionalforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Universitätsstraße 65-67, A-9020 Klagenfurt

Herausgeber der Reihe:       Ass.-Prof. Mag. Dr. Peter MANDL
                             Prof. Mag. Dr. Friedrich PALENCSAR

Schriftleitung:              Prof. Mag. Dr. Friedrich PALENCSAR

Redaktionelle Betreuung:     Dipl.-Ing. Stefan JÖBSTL, Bakk.
Webdesign und –handling:     Natalie SCHÖTTL, Dipl.-Geogr. Philipp AUFENVENNE

ISBN 978-3-901259-10-4

Webadresse: http://geo.aau.at/kgs28
Hans Peter Jeschke, Peter Mandl (Hrsg.) (2012): Eine Zukunft für die Landschaften Europas und
die Europäische Landschaftskonvention. Institut für Geographie und Regionalforschung an der
Alpen-Adria Universität Klagenfurt. Klagenfurter Geographische Schriften, Heft 28.

           DAS DEHIO-HANDBUCH, DIE KUNST(?)DENKMÄLER ÖSTERREICHS.
                       REISEHANDBUCH UND/ODER DENKMALINVENTAR?
                                          Ulrike KNALL-BRSKOVSKY

Auf dem Denkmalpflegetag in Dresden im Jahr 1900 legte der Kunsthistoriker Georg Dehio
sein Konzept eines einheitlichen Verzeichnisses der Kunstdenkmäler des deutschen Reiches
vor1. Geplant war nicht ein neues Inventar, denn dieses wurde bereits seit Jahrzehnten von
Seiten der deutschen Staaten verfasst, sondern eine kurze und prägnante Vorstellung der
bedeutendsten Kunstdenkmale in leicht transportablen Bänden, ein übersichtliches Handbuch
zur bequemen Handhabung am Schreibtisch wie auf Reisen2. Das Vorhaben wurde von den
Denkmalpflegern als Konkurrenz zu ihren ausführlichen Inventaren gesehen, so dass Georg
Dehio selbst damit einverstanden war, seine neue Serie als Reisehandbuch zu verstehen.
Entgegen der herkömmlichen Reiseliteratur sollte die Erarbeitung jedoch auf den Inventaren
basieren und als Führer zu den „Monumenten“ dienen, d. h. zu den kunsthistorischen Werken
der Architektur, Skulptur und Malerei, die sich noch an ihrem historischen Platz befanden und
damit den „historisch gewordenen Kulturorganismus“ dokumentierten3. Der Wunsch Georg
Dehios war, dass das Handbuch möglichst auch die Kunstdenkmäler der Schweiz und
Österreichs mit umfasse. Bereits zwischen 1905 und 1912 erschienen fünf, das gesamte
deutsche Reichsgebiet umfassende Bände4.
Während sich die Schweiz der Aufnahme in die Dehio-Reihe verschloss, erschienen 1933 und
1935 zwei Bände für das gesamte österreichische Gebiet unter dem Titel „Georg Dehio,
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Zweite Abteilung, Österreich“5. Die Vorworte
dieser Österreichbände dokumentieren einerseits den engen Anschluss an die deutschen
Schwesterbände, jedoch auch bereits die sich abzeichnenden Unterschiede, die zu einer
eigenen Entwicklung in Österreich führen sollten.
Auch wenn Georg Dehio in engem Kontakt zur Denkmalpflege in Deutschland stand, hatte
sein Handbuch von Beginn an eine eigenständige Stellung und behielt diese bis heute bei6. In
Österreich dagegen war bereits 1933 und 1935 das Bundesdenkmalamt als zweiter
Herausgeber (gemeinsam mit dem deutschen Verein für Kunstwissenschaft) in das Vorhaben
mit eingebunden. Das Dehio-Handbuch war hier demnach von Beginn an stärker mit den
Belangen der Denkmalpflege verknüpft. Hier konnte im größten Teil des Bundesgebietes
nicht auf bereits bestehende Inventare zurückgegriffen werden, viele „Monumente“ waren
kunsthistorisch nicht bearbeitet. Dies bedeutete, dass entgegen Georg Dehios Konzept die

1
    PETER BETTHAUSEN, GEORG DEHIO, Ein deutscher Kunsthistoriker, München-Berlin 2004, 251
2
    BETTHAUSEN, S. 253, 257
3
    BETTHAUSEN, S. 257 f
4
  BETTHAUSEN, S. 256, 259f, wobei jedoch die größeren Gebiete wie Preußen und Bayern von Beginn an in mehrere
Einzelbände aufgeteilt waren
5
  Band 1, Die Kunstdenkmäler in Kärnten, Salzburg, Steiermark, Tirol und Vorarlberg, Wien-Berlin 1933; Band 2, Wien,
Niederösterreich, Oberösterreich und Burgenland, Wien-Berlin 1935
6
  1914 hatte der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft die Verantwortung über das Handbuch übernommen, bereits 1941
und dann wieder 1958 entstand die Dehio-Vereinigung (eigentlich “Wissenschaftliche Vereinigung zur Fortführung des
kunsttopographischen Werkes von GEORG DEHIO e.V.“), ein privater Verein, der sich der weiteren Betreuung des
Handbuches bis heute widmet, wobei die Herausgabe seit 2001 gemeinsam mit der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger
in der Bundesrepublik Deutschland und kurzfristig (bis 2008) auch mit der deutschen Stiftung Denkmalschutz erfolgt(e)
(VOLKER HIMMELEIN, E. H. GOTTFRIED KIESOW, UDO MAINZER: Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler,
Nordrhein-Westfalen I, Rheinland, München-Berlin, 2005, Vorwort, S. VII).

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Erarbeitung des österreichischen Dehio von Anfang an eine Inventarisation der
Denkmalgebiete darstellte, und da das Bundesdenkmalamt die Leitung des Unternehmens
inne hatte, das Handbuch neben seiner Aufgabe als topographische Reiseliteratur zugleich
auch ein erstes flächendeckendes Kurzinventar der gesamten Republik darstellte, auch wenn
es nicht als solches benannt wurde. Das große Inventar der Österreichischen
Kunsttopographie konnte nach erfolgversprechenden Anfängen nicht mehr so zügig
weitergeführt werden wie erhofft und deckt bis heute nur einige Bereich des Bundesgebietes
ab (bis 1938 erschienen 37 Bände, zwischen 1938 und 1945 zwei, nach dem zweiten
Weltkrieg 20 Bände, zwei weitere sind in Bearbeitung) 7.
Auch die beiden Bände des Österreich-Dehio von 1933 und 1935 beschränkten sich
größtenteils auf die Hauptmonumente wie Stifte, Kirchen, Schlösser, Burgen und Ruinen.
Dies entsprach dem Denkmalverständnis der Zeit. Im Gegensatz zum deutschen Dehio, wo
dies nur in Ausnahmefällen wie etwa der Stadt Köln der Fall war 8, fanden bei bedeutenderen
Städten und Märkten aber auch die Geschichte der Orte und ihre Struktur in kurzer prägnanter
Form Beachtung (z. B. Rohrbach in Oberösterreich 9). Auch das Charakteristische der
Wohnbebauung wird hervorgehoben10. Bei bedeutenden Orten ist der Gestalt des Ortsbildes
ein ausführliches Kapitel gewidmet, z. B. bei Salzburg11, Steyr 12 oder Enns13, der wichtigsten
römischen Siedlung in Oberösterreich, bei der die Stadtgeschichte bis in die Antike zurück
dargestellt ist.
Die Auswahl beschränkt sich auch bei der Erstausgabe des österreichischen Dehio – wie bei
den Einzelmonumenten – auf die bedeutenderen Orte. Sie sind in ihrer Gesamtheit gesehen
und charakterisiert, ein Plan ergänzt die Ausführungen. Erst anschließend folgt die
Besprechung der einzelnen Hauptmonumente in der bekannten hierarchischen Reihenfolge.
Erstaunlicherweise finden im Österreich-Dehio der Jahre 1933 und 1935 schon Denkmale des
Historismus Aufnahme. In Innsbruck wird etwa das 1842–45 und 1884–86 erbaute
Ferdinandeum 14 genannt, in Badgastein die ab 1858 errichtete neogotische Pfarrkirche15, in
Bruck (Salzburg) die ebenfalls neogotische Pfarrkirche von Friedrich von Schmidt aus den
Jahren 1868–6916. In Linz erhält die ab 1835 im romantischen Historismus erbaute
Maximiliankirche samt ihrer Ausstattung einen eigenen Absatz 17, wie auch der von Vinzenz
Statz begonnene und bis 1924 vollendete Dom 18 und das 1886–92 von Bruno Schmitz
errichtete Landesmuseum 19, wobei hier – wie bei anderen Museen – die Sammlung kurz
charakterisiert wird, was Georg Dehio zugunsten der am Ort verbliebenen Kunstwerke ja
ablehnte.

7
   ANDREAS LEHNE, Entstehung und Entwicklung der Österreichischen Kunsttopographie, in: Territorien der Kunst,
Denkmaltopographien in Europa (Bern 16. und 17. März 2007, organisiert von der Gesellschaft für Schweizerische
Kunstgeschichte), Kunst + Architektur in der Schweiz, Jg. 59, Heft 1 (2008), S. 54 ff
8
  GEORG DEHIO, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Bd. 5, Nordwestdeutschland, Berlin 1912, 249 ff
9
  Österreich, Bd. 2, 1935 (zit. Anm. 5), S. 557
10
   Die zusätzliche Aufzählung wichtiger Wohnhäuser nach Epochen dagegen erfolgt ähnlich wie in den deutschen Bänden.
11
   Österreich, Bd. 1, 1933 (zit. Anm. 5), S. 142 ff
12
   Österreich, Bd. 2, 1935 (zit. Anm. 5), S. 595 f
13
   Österreich, Bd. 2 (zit. Anm. 5), S. 455 f
14
   Österreich, Bd. 1, 1933 (zit. Anm. 5), S. 415
15
   Österreich, Bd. 1 (zit. Anm. 5), S. 111
16
   Österreich, Bd. 1 (zit. Anm. 5), S. 113
17
   Österreich, Bd. 2 (zit. Anm. 5), 1935, S. 514
18
   Österreich, Bd. 2 (zit. Anm. 5), S. 508
19
   Österreich, Bd. 2 (zit. Anm. 5), S. 517
DIE ARCHÄOLOGISCHE LANDESAUFNAHME IN ÖSTERREICH – KERNKOMPETENZ DER
ABTEILUNG FÜR BODENDENKMALE DES BUNDESDENKMALAMTS                                     717
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Am erstaunlichsten aber ist wohl die Aufnahme von „Gegenwartsarchitektur und –Kunst“,
etwa in Linz Denkmäler der Bildhauer Wagner von der Mühl oder von Anton Hanak 20 oder
Bauten des Architekten Julius Schule von 1910, 1911–13, aber auch 1926–30, die
Schulgebäude der Kreuzschwestern von Clemens Holzmeister 1926–27 und vor allem der ab
1929 bis 1934 bzw. 1938 errichtete Industriebau der Tabakfabrik von Peter Behrens und
Alexander Popp 21. Das enge Korsett des herkömmlichen Kunstdenkmals wurde demnach
bereits bei den ersten österreichischen Bänden verlassen, wissend, dass es sich bei diesen
Bauten um zeitgenössische Kunstdenkmale handelt, genauso wie den Bearbeitern der
Kunstwert der alten Bauernhöfe bewusst war, die besonders häufig im Tiroler Teil Aufnahme
fanden, zwar oft wegen der Fassadenmalereien, in Fiss jedoch sind auch das Sparrenwerk 22
und in Inzing 23 die interessanten Dachstühle gewürdigt. Auch der Wert des geschichtlichen
Dokuments von Bauten bzw. deren Resten ist bereits erkannt, wenn in Hüttschlag (Salzburg)
„im Dorfe Ruinen von Bergwerksbetriebshäusern“ genannt sind24. Die Bedeutung der
Landschaft ist in Hinblick auf den Gesamteindruck in der Beschreibung von St. Wolfgang
(Oberösterreich) Gegenstand25, indem die Wirkung der arkadenförmigen Öffnungen der
Umfassungsmauer, die „reizvolle Ausschnitte der Seelandschaft umrahmen“, genannt ist.
Wenn auch nur mit wenigen Beispielen und in äußert knapper Form sind demnach in den
ersten beiden Bänden des Österreich-Dehio die meisten Aspekte, die auch für den aktuellen
österreichischen Dehio gültig sind, bereits enthalten. Sie spiegeln damit bereits den für
Denkmalschutz und -pflege gültigen, interdisziplinären Denkmalbegriff, der historische,
künstlerische und kulturelle Bedeutungsebenen umfasst und sich wesentlich vom
„Monument“ der Kunstgeschichte unterscheidet26.
Im Vorwort wird diese Unterscheidung zum Konzept des Georg Dehio mit der besonderen
Situation in Österreich begründet: „Um die umfangreiche, kostspielige Neuinventarisierung
nach Möglichkeit wissenschaftlich auszuwerten, glaubte die Schriftleitung die
österreichischen Bände bei knappster Form doch etwas ausführlicher fassen zu sollen, als dies
bei den reichsdeutschen Bänden, die zum größten Teil auf den bereits veröffentlichten
‚Inventaren’ beruhen, der Fall war. In Einverständnis mit G. Dehio wurde auch die obere
Zeitgrenze bis Ende des vorigen Jahrhunderts heraufgerückt“27, und wie die Analyse ergibt,
sogar bis zur damaligen Gegenwart.
Bis auf Ausnahmen, wie etwa bei der bereits genannten Stadt Köln28, verzichtete Georg
Dehio völlig auf die Darstellung von Geschichte und Gestalt der Orte. Die obere Zeitgrenze
bewegte sich um 1800, unter Einschluss der Zeit des Klassizismus. Dafür sind bereits in den
Erstbänden Georg Dehios bei bedeutenden Monumenten, etwa den großen mittelalterlichen
Domkirchen, die kunsthistorischen Analysen und Bewertungen z. T. äußerst ausführlich
gefasst und kunsthistorische Vergleiche ergänzen das Verständnis, wobei das subjektive

20
   Österreich, Bd. 2 (zit. Anm. 5), S. 518
21
   Österreich, Bd. 2 (zit. Anm. 5), S. 517
22
   Österreich, Bd. 1 (zit. Anm. 5), 1933, S. 382
23
   Österreich, Bd. 1 (zit. Anm. 5), S. 421
24
   Österreich, Bd. 1 (zit. Anm. 5), S. 125
25
   Österreich, Bd. 2, 1935 (zit. Anm. 5), S. 577
26
   Aus der umfangreichen Literatur über den Denkmalbegriff sei hier beispielhaft verwiesen auf WILFRIED LIPP, Was ist
kulturell bedeutsam? Überlegungen aus der Sicht der Denkmalpflege, in: WILFRIED LIPP, Denkmal-Werte-Gesellschaft. Zur
Pluralität des Denkmalbegriffs, Frankfurt/Main 1993, S. 362 ff. In diesem Sammelband finden sich alle heute bedeutsamen
Aspekte des Denkmalbegriffes.
27
   Österreich Bd. 1, 1933 (zit. Anm. 5), Vorwort von DAGOBERT FREY 1932, S. IX
28
   Siehe Anm. 8
718                                                                              ULRIKE KNALL-BRSKOVSKY

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Urteil des bearbeitenden Kunsthistorikers positiv bejaht wird 29. Die Gesamtdarstellung einer
Landschaft wird dadurch allerdings äußerst inhomogen, da die Großteils äußerst kurzen
Nennungen ganzer Orte von ausführlichen kunsthistorischen Texten über einzelne
Monumente unterbrochen sind. Die österreichischen Bände dagegen begnügten sich mit einer
knappen Aufzählung von Daten, eventuell ergänzt durch kurze Bewertungen.
Erst die von Ernst Gall bearbeiteten Deutschland-Bände der späten 1940er und der 1950er
Jahre nehmen konsequent die Geschichte bedeutenderer Orte auf, die Darstellung der
Stadtgestalt bleibt aber auch hier Ausnahme. In den späteren 1960er Jahren, z. B. im Band
Nordrhein-Westfalen II 30 finden sich Bauten des frühen 20. Jahrhunderts und auch dem
Stadtbild wird konsequent Beachtung zuteil. Die Bände der 1980er und 1990er Jahre rücken
die Zeitgrenze immer stärker herauf. Im Band Baden-Württemberg I, Die Regierungsbezirke
Stuttgart und Karlsruhe finden sich z. B. alle bedeutenden Bauten der Moderne bis zur Neuen
Staatsgalerie von James Stirling 1979–8431.
Der deutsche Dehio, der sich bis heute im Sinne Georg Dehios als Reisehandbuch definiert,
bewahrte immer die enge Bindung an das kunsthistorische Monument. Seit den 1980er Jahren
dokumentiert sich ebenfalls der Wandel des Denkmalbegriffes. Die Einbeziehung von
Industrie- und Verkehrsbauten sowie städtebaulicher Ensembles wird aber weiterhin viel
stärker an eine exklusive baukünstlerische Qualität oder historische Aussagekraft gebunden32.
Die im deutschen Dehio aufgenommenen Objekte stellen grundsätzlich eine durch ihre
besondere Bedeutung „geadelte“ Auswahl aus der Breite des Denkmalbestandes dar, wobei
der Standpunkt stark von der Sichtweise der Kunstgeschichte beeinflusst ist. Die von Anfang
an auch als Denkmalinventar fungierenden Österreichbände spiegeln dagegen die Ausweitung
des Denkmalbegriffes aus dem Bereich von Denkmalschutz und -pflege im Laufe des
20. Jahrhunderts in vollem Ausmaß wieder33.
Obwohl bereits in älteren Bänden Beachtung findend, werden in den Vorworten der während
des zweiten Weltkrieges neu bearbeiteten Reihe die Ortsstruktur und die bäuerliche
Architektur auch im Vorwort zum Thema34. „Es ging nicht mehr länger an, nur die Kirchen,
Burgen und Schlösser allein zu behandeln. Gerade in Salzburg und Tirol, wo wohl die
stattlichsten Bauernhöfe stehen, die es in Deutschland gibt, erscheinen diese jedem für
Bauformen empfänglichen Sinn auch als wahrhaftige ‚Kunstdenkmäler’.“ Außerdem wurde
bereits damals von Karl Ginhart eine komplexe, die Gesamtheit beurteilende Zusammenschau
und Würdigung gefordert: „Die individualistische Betrachtung der einzelnen Kunstdenkmäler
erfährt nur eine abrundende Bereicherung, wenn der Ort, in dem das Einzelwerk steht, auch
als künstlerische Gesamtheit betrachtet wird. “35 Das Vorwort legitimiert die neue Sicht auf
die Denkmale, die in den Bänden – teilweise schon der älteren Reihe – verwirklicht ist. Das

29
   Nur als Beispiel der Dom in Naumburg, der bereits im ersten Band fünf Seiten einnimmt, GEORG DEHIO, Handbuch der
Deutschen Kunstdenkmäler, Bd. 1, Mitteldeutschland, Nachdruck der Ausgabe von 1905, Berlin 1991, S. 217 ff
30
   Bearbeitet von DOROTHEA KLUGE UND WILFRIED HAUSMANN, o. J., im Vorwort wird der Bearbeitungszeitraum 1961-69
angegeben
31
   Bearbeitet von DAGMAR ZIMDARS U. A., München-Berlin 1993; S. 764
32
   Dehio Nordrhein-Westfalen I (zit. Anm. 6), Vorwort S. VII
33
   U. A. W. SAUERLÄNDER, Erweiterung des Denkmalbegriffs, in: Denkmal-Werte-Gesellschaft (zit. Anm. 26), S. 120 ff. –
ECKART VANCSA, Denkmalforschung und Inventar, Zur Neubearbeitung des Dehio-Oberösterreich, in: blickpunkte 45 (1994),
Sonderheft Denkmalpflege in Oberösterreich, Linz 1995, S. 22 f
34
   GEORG DEHIO, Handbuch der Kunstdenkmäler in den Donau- und Alpengauen, Dritter Band, Salzburg, Tirol und
Vorarlberg, von HEINRICH HAMMER, FRANZ MARTIN UND HEINRICH WASCHGLER, Berlin-Wien 1943. Im zweiten Band,
Oberdonau, Berlin-Wien 1941, STELLT KARL GINHART diese Ausweitung für die nächste Auflage in Aussicht (Vorwort, S.
VI)
35
   Oberdonau 1941 (zit. Anm. 34), KARL GINHART, Vorwort, S. V f.
DIE ARCHÄOLOGISCHE LANDESAUFNAHME IN ÖSTERREICH – KERNKOMPETENZ DER
ABTEILUNG FÜR BODENDENKMALE DES BUNDESDENKMALAMTS                                          719
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Handbuch der Kunstdenkmäler wird ab nun nach und nach zu einem Handbuch der
Kulturdenkmäler, eine inhaltliche Änderung, der sich der Titel aber bis heute verschließt.
Die nach dem Krieg erschienenen Bände stellen einen Überblick über den Denkmälerbestand
nach den Kriegsverlusten dar, wobei die bis heute gültige regionale Einteilung in die
einzelnen Bundesländer getroffen wurde36. Der Titel wurde in Dehio-Handbuch, die
Kunstdenkmäler Österreichs abgeändert.
In dem 1958 erschienenen neuen Oberösterreichband ist den Bauernhäusern nun ein
einführender Artikel am Beginn des Buches gewidmet, der die Haustypen vorstellt37. Die
neue Gegenwartsarchitektur ist mit ihren wichtigsten Vertretern vorgestellt, z. B. in Linz die
1933–34 und 1949–51 erbaute Friedenskirche38, das Landestheater (1957–58) und die
Kammerspiele (1955–56) von Clemens Holzmeister 39 oder die Nationalbank von Eugen
Wachberger und Erich Boltenstern von 1951-5340. Als bildender Künstler ist bereits Fritz
Wotruba genannt41. Die Architektur des Secessionismus und der Zwischenkriegszeit wird
ausführlich mit den Schulbauten von Julius Schulte, Kurt Kühne und Clemens Holzmeister
gewürdigt42. Und den technischen Denkmälern ist ein eigene Kapitel gewidmet
(Donaubrücke, Pferdeeisenbahn, ehem. Stadtbräuhaus, Tabakfabrik, ehem. Wollzeugfabrik)
43
   . Auch die Brückenkopfbauten der NS-Zeit (Roderich Fick 1940–43) sind genannt44. Dieser
Oberösterreichband legt bereits das Konzept für die letzte Reihe der Handbücher fest, die
konsequente Durchführung aber musste erst erarbeitet werden.
Die Handbücher Kärnten und Burgenland setzten 1976 den offiziellen Beginn der jüngsten
Dehio-Reihe, von der jetzt, 2009, nur noch die Fertigstellung der Oberösterreichbände
aussteht, der vergriffene Band Kärnten liegt bereits in einer erweiterten Auflage aus dem Jahr
2000 vor.
Das für den 1976 erschienenen Burgenlandband von Eva Frodl-Kraft verfasste Vorwort nennt
die für die neue Reihe maßgebenden Richtlinien. Es geht um eine möglichst vollständige
„Autopsie“. Die „Verzeichnung der Denkmäler geschieht also nicht am Schreibtisch, sondern
an Ort und Stelle anlässlich einer neuerlichen Bereisung des ganzen Landes.“45 Da ein
„Denkmälerverzeichnis ... einen unverzerrten Spiegel der historischen Situation geben will“,
müssen die Gewichtungen dem vorhandenen Denkmalbestand entsprechen46. Dies steht
geradezu im Gegensatz zu den von Georg Dehio aufgestellten Richtlinien eines nach Plan und
Methode einheitlichen Verzeichnisses, entspricht aber natürlich der Aufgabe des
österreichischen Dehio als Denkmalinventar einer bestimmten Landschaft. Die profane bzw.
volkskundliche Architektur sowie die baulichen Ensembles und Siedlungseinheiten sollten

36
   Nur für Kärnten, Burgenland und Vorarlberg unterblieb die Neuerarbeitung, daher wurde die sog. Neue Reihe seit den
Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts mit diesen Bänden begonnen. Von den in den 1930er Jahren erschienenen Bänden
wurden sofort Separata für die einzelnen Bundesländer herausgegeben, die Paginierung entsprach jedoch den ursprünglichen
Sammelbänden. ERICH LEITNER, der die exakte Aufstellung der erschienenen Bände sowie aller Neuauflagen erstellte, dankt
die Autorin für diese Informationen.
37
   Die Kunstdenkmäler Österreichs, Oberösterreich, Wien 1958, bearbeitet von ERWIN HAINISCH, S. 8 ff
38
   Oberösterreich 1958 (zit. Anm. 37), S. 167
39
   Oberösterreich 1958 (zit. Anm. 37), S. 178
40
   Oberösterreich 1958 (zit. Anm. 37), S. 179
41
   Oberösterreich 1958 (zit. Anm. 37), S. 180
42
   Oberösterreich 1958 (zit. Anm. 37), S. 180
43
   Oberösterreich 1958 (zit. Anm. 37), S. 180f
44
   Oberösterreich 1958 (zit. Anm. 37), S. 177
45
   Dehio-Handbuch, Die Kunstdenkmäler Österreichs, Burgenland, Wien 1976, S. V
46
   Burgenland (zit. Anm. 45), S. VI
720                                                                                ULRIKE KNALL-BRSKOVSKY

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verstärkt eingebunden und die zeitliche Obergrenze auch offiziell bis in die Gegenwart
heraufgerückt werden47.
Im Tirol-Dehio von 1980 verbindet Ernst Bacher die Kriterien zur Aufnahme von Objekten in
das Dehio-Handbuch folgerichtig mit dem Denkmalbegriff des Denkmalschutzgesetzes. Es
geht demnach um die Aufnahme aller unbeweglichen und beweglichen Gegenstände von
geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung, und zwar unabhängig
davon, „ob ihre Erhaltung dieser Bedeutung wegen im öffentlichen Interesse gelegen ist oder
nicht“48, dies bedeutet auch unabhängig davon, ob sie unter Denkmalschutz stehen oder
gestellt werden sollten.
Das Dehio-Handbuch stellt nun das flächendeckende Denkmalinventar dar und soll das
gesamte Kulturgut Österreichs enthalten49. Erst diese Gesamtschau ermöglicht die
Standortbestimmung von Einzelobjekten und das Abschätzen des öffentlichen
Erhaltungsinteresses, das die Basis für eine Stellung unter Denkmalsschutz bildet. Ernst
Bacher konkretisiert – und meint damit das Dehio-Handbuch –, dass „Ausgang und
Grundlage für ein Inventar ... die Konkordanz mit dem aktuellen Umfang des
Denkmalbegriffes sein“ müsse50. Diese Form des Dehio-Handbuches gilt alleine für
Österreich. Für die österreichische Denkmalpflege ist dies gemäß Bacher der einzig mögliche
und gangbare Weg, eine aktuelle Bestandsaufnahme des Denkmalbesitzes in absehbarer Zeit
vorzulegen 51, um so mehr, als das so genannte Große Inventar, die Österreichische
Kunsttopographie, auf Grund der hohen Kosten, wenn überhaupt, nur in geringem Maße
weiter geführt wird.
Schon die Bände Tirol und Salzburg sind um vieles umfangreicher als ihre Vorgänger, die
Ausweitung des Denkmalbegriffes und die Funktion als einziges flächendeckendes
Denkmalinventar in Österreich ergaben, dass die letzten Dehio-Publikationen über Wien,
Niederösterreich und Oberösterreich nun jeweils mehrere Bände umfassen 52. Aber wie sollte
dies verwundern, listet doch Bacher bereits im Salzburgband die Wünsche auf, die ein
Denkmalinventar noch zu befriedigen hätte, „etwa die Darstellung des historischen und des
topographischen Kontextes“, dessen Spannweite vom Einzeldenkmal über das Ensemble, das
Orts- und Stadtdenkmal bis zur Kulturlandschaft reicht 53.
Der Band Niederösterreich nördlich der Donau demonstrierte als erster, dass die Erfüllung so
vieler an das Kurzinventar gestellter Wünsche eine riesige Erweiterung an Informationen,
damit aber auch an Umfang zur notwendigen Folge hat. Der im Vorwort dieses Buches
Ausdruck findende Schrecken darüber, verwundert daher54. Die folgenden Kurzinventare für
Niederösterreich südlich der Donau, Wien und Oberösterreich folgten diesem Konzept, da
eine Reduktion eines als Inventar verstandenen Handbuches, das heutigen Standards folgt,
nicht möglich ist.

47
   Burgenland (zit. Anm. 45), S. VIII
48
   Dehio-Handbuch, Die Kunstdenkmäler Österreichs, Tirol, Wien, 1980, Vorwort, S. VII
49
   Dass trotzdem ein eklatanter Unterschied zwischen den früheren und den späteren Bänden seit 1976 besteht, liegt am
erweiterten Denkmalbegriff und dessen Umsetzung im Inventar.
50
   Tirol (zit. Anm. 48), S. VII. In dem 1986 erschienenen Dehio Salzburg wird dies von E. BACHER gleichfalls dargelegt
(Dehio-Handbuch, Die Kunstdenkmäler Österreichs, Salzburg, Wien 1986, S. VII)
51
   Salzburg (zit. Anm. 50), S. VII
52
   Niederösterreich 3 Bd., erschienen 1990 und 2003; Wien 3 Bände, erschienen 1993, 1996, 2003;.Oberösterreich 4 Bände,
bis jetzt erschienen Mühlviertel 2003 und Linz 2009.
53
   Salzburg (zit. Anm. 50), S. VII
54
   Dehio-Handbuch, Die Kunstdenkmäler Österreichs, Niederösterreich nördlich der Donau, Wien 1990, Vorwort von ERNST
BACHER, S. VII ff
DIE ARCHÄOLOGISCHE LANDESAUFNAHME IN ÖSTERREICH – KERNKOMPETENZ DER
ABTEILUNG FÜR BODENDENKMALE DES BUNDESDENKMALAMTS                                        721
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Noch nie zuvor bearbeitete Einzelobjekte sind nun vielfach in ihren historisch-
topographischen Kontext eingebettet, wissenschaftlich untersucht und genauer charakterisiert.
Zahlreiche Orts- und Objektpläne verbildlichen die topographischen Zusammenhänge bzw.
ermöglichen eine exaktere Vorstellung der Objekte. In einer Zeit, in der auch österreichische
Kulturlandschaften zum offiziellen Welterbe gehören, muss auch diese Kategorie in den
Inventaren ihren Platz finden.
Die Fülle an Informationen stellt die Bearbeiter und auch die Benutzer vor neue
Herausforderungen. Ein dünnes Bändchen für das bequeme Reisen ist das Dehio-Handbuch
meist nicht mehr. Wer nur dieses sucht, muss zu einem Reiseführer allgemeiner Art greifen.
Wer sich jedoch der Informationsfülle stellt, erhält zu allen Kulturobjekten Auskunft. Die
lexikalische Gedrängtheit führt jedoch auch zu einer gewissen Unübersichtlichkeit, der durch
eine neue Gliederung, eine Ausweitung der Register und der Pläne entgegen getreten werden
muss.
Zahlreiche Objekte sind nun wissenschaftlich erstmals bearbeitet. Das Fehlen jeglicher
Literaturhinweise ist hier für die weitere wissenschaftliche Forschung kaum mehr haltbar.
Dem im Herbst 2009 erschienenen Linz-Band ist daher auch ein Literaturverzeichnis
beigefügt55.
Das Reisehandbuch hat sich zu einem lexikonartigen Handbuch des Kulturgutes einer Region
entwickelt und dient damit der primären Verwendung am Schreibtisch. In dieser Rolle erhält
der Dehio aber neue Konkurrenz durch die sich rapide verbreitenden Datenbanken im
Internet. Für den Dehio könnte dies bedeuten, dass er sich nach der Fertigstellung der
Oberösterreichbände wieder einem Wandel unterziehen muss, um ein neues Aufgabenfeld zu
übernehmen.
Als Möglichkeit bietet sich eventuell erneut die Rolle als hochwertiges Reisehandbuch, einem
Handbuch allerdings, das unser heutiges vernetztes Denken widerspiegelt und nicht in
isolierter Form Kunstdenkmäler herausgreift, sondern die Kulturlandschaften von Regionen
erfasst. Die Aufgabe wäre – wie zur Zeit Georg Dehios – nicht die Spezialisten, sondern die
interessierte Allgemeinheit anzusprechen und dieser eine Einführung in den heimischen
Denkmalbestand zu bieten, der nun aber in seinem Kontext innerhalb der Kulturlandschaft
erfasst ist. Die Form muss erst gefunden werden und stellt eine neue Anforderung an
Herausgeber und Bearbeiter dar.

55
  GEORG DEHIO selbst hatte in seinen ersten 5 Bänden noch ein kurzes Literaturverzeichnis jedem Ort beigefügt, auf die er,
um die Bände dünn zu halten, in der 2. Auflage bereits verzichtete.
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