Gesundheitsförderung in Haft
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Gesundheitsförderung in Haft – Ein modulares Konzept für den Justizvollzug Entwicklung und Konzeption: Aidshilfe Hamburg e.V. im Auftrag des Landesverbandes Hamburger Straffälligenhilfe e.V. Sonja Lohmann Diplom-Pädagogin Christian Szillat Master of Health Science Veröffentlichung: August 2021
„Gesundheitsförderung unterstützt die Entwicklung von Persönlichkeit und Fähigkeiten durch Information, gesundheitsbezogene Bildung sowie die Verbesserung sozialer Kompetenzen und lebenspraktischer Fertigkeiten. Sie will dadurch den Menschen helfen, mehr Einfluss auf ihre eigene Gesundheit und ihre Lebenswelt auszuüben, und will ihnen zugleich ermöglichen, Veränderungen in ihrem Lebensalltag zu treffen, die ihrer Gesundheit zu gute kommen.“ – Ottawa-Charta, WHO 1986
1 Einleitung 05 Ausgangssituation 05 Zeit der Haft nutzen 06 2 Ziel, Aufbau und Handhabung des Konzepts zur Gesundheitsförderung 08 Ziel und Entwicklung des Gesundheitsförderungskonzepts 08 Zielgruppen 09 Besondere Situation inhaftierter Frauen 09 Die Module 10 2.1 Umsetzung der Module für Inhaftierte 11 2.2 Umsetzung der Module für Mitarbeiter:innen 13 2.3 Hinweise zur organisatorischen Umsetzung 14 3 Förderung und Stärkung der Kompetenzen von Menschen in Haft 15 3.1 Schwerpunkt Substanzkonsum 15 Modul 01: Substanzkonsum – Auswirkungen, Risiken, Prävention 15 3.2 Schwerpunkt Prävention 18 Modul 02: HIV und Hepatitiden 18 Modul 03: Tattoo und Piercing 20 Modul 04: Leber 22 Modul 05: Gesundheit im Alter 24 Fokus: Sexualität 26 Modul 06: Sexuell übertragbare Infektionen 27 Modul 07: Verhütung 29 3.3 Schwerpunkt Psychosoziale Kompetenzen 30 Modul 08: Umgang mit Stress 30 Modul 09: Soziale Kontakte 32 Modul 10: Haltung und Wertesysteme 34 Modul 11: Gewaltfreie Kommunikation und Sprache 36
3.4 Schwerpunkt Alltagspraktische Fähigkeiten 38 Modul 12: Hygiene 38 Modul 13: Ausgewogene Ernährung 40 Modul 14: Wirtschaftliche Möglichkeiten und Perspektiven 42 4 Förderung und Stärkung der Kompetenzen von Mitarbeiter:innen im Haftalltag 44 Module für das Personal in JVA 44 Modul M01: Sucht und Abhängigkeit 45 Modul M02: HIV, Hepatitiden und weitere übertragbare Infektionen 47 Modul M03: Sexualität versus Sexualisierte Gewalt 49 Modul M04: Seelische Gesundheit. 52 Modul M05: Herausforderung beruflicher Alltag – Stressreduktion durch professionelle Abgrenzung 54 Modul M06: Alternde Gefangene 56 5 Schlussbetrachtung 58 Weitere Unterstützungsmöglichkeiten 58 Unabhängige Gesundheitsberatung 60 Nachwort 61 Abkürzungsverzeichnis 62 Anhang: Beispiele guter Praxis 63 Quellen 65
1 Einleitung „Die Gesundheit der Gefangenen betrifft die Gesundheit aller, denn Gefangene kommen aus der Gesellschaft und kehren in den allermeisten Fällen in ihre Lebensverhältnisse zurück. Die Gesundheit der Gefangenen ist daher ein Thema der Öffentlichen Gesundheit, das uns alle angeht (…)“ (Heino Stöver, in: Stöver, H./ Egler, B. 2008: S. 126) Ausgangssituation In deutschen Gefängnissen sitzen jährlich rund 70.000 Menschen im offenen oder geschlossenen Justizvollzug ein (Belegung am letzten Tag des Dezember 2020: 72.385, davon befanden sich 12.064 Menschen in den Untersuchungs- haftanstalten (Statistisches Bundesamt 2021). Die Insass:innen der Justizvollzugsanstalten stammen häufig aus sozio- ökonomisch schlecht gestellten und bildungsarmen Bevölkerungsteilen. Mehrfache Haftaufenthalte sind nicht selten. Ein erheblicher Teil lebt mit kritischem Substanzkonsum (illegale Drogen, Alkohol) und schlechtem Allgemein- und Gesundheitszustand.1 Neben der im Vergleich zur extramuralen Bevölkerung höheren Prävalenz von Infektionserkrankungen – hier sind vor allem HIV, Hepatitis B (HBV) und Hepatitis C (HCV) 2 zu nennen – finden sich bei Gefangenen vermehrt psychische und psychiatrische Krankheitsbilder. Unter Depressionen sowie einer - besonders in Untersuchungshaft - erhöhten Neigung zu Suizidalität leiden Gefangene häufiger als die Allgemeinbevölkerung (Keppler, K. et al. 2010). Insbesondere bei zuvor wohnungslosen Menschen und Drogenkonsument:innen zeigt sich neben den Folgen von Mangel- und Fehlernährung oft ein desaströser Zahnstatus, der sich negativ auf den Gesamtorganismus auswirken kann (z.B. Arteriosklerose, Herzklappenentzündung). Menschen, die in Haft kommen, sind vor ihrer Inhaftierung oftmals nicht ins medizinische oder psychosoziale Versorgungssystem eingebunden. Das gilt besonders für Obdachlose, Drogenkonsument:innen bzw. Substanzabhängige ohne familiäre oder soziale Einbindung sowie Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus und fehlender Sozialversicherung. 1Schätzungen zufolge sind 22 - 30% der Gefangenen Konsument:innen illegaler Drogen. 2 „Insbesondere „Infektionskrankheiten sind (…) im Vollzug deutlich überrepräsentiert, Risikogruppen wie DrogenkonsumentInnen, psychisch Kranke, SexarbeiterInnen sowie Alkohol“abhängige“ werden häufiger inhaftiert und tragen ein höheres Risiko einer HIV-Infektion (….), so dass schon bei Haftantritt viele Infektionen vorhanden sind.“ (Thane, K. 2015: S. 59) 5
„Menschen in Haft leiden nicht nur unter einem schlechteren gesundheitlichen Allgemeinzustand als die Normalbevölkerung, sie unternehmen auch aus vielfältigen Gründen weniger für ihre Gesundheit. Das hängt vor allem von ihren deutlichen eingeschränkten Möglichkeiten zur Teilhabe an der Gesellschaft ab und äußert sich zum Beispiel darin, dass Informationen zur Gesundheit erst gar nicht bei ihnen ankommen oder aus innerpsychischen Gründen nicht wahrgenommen werden.“ (Reuter, S./ Behrens, M. 2014: S. 444). Zum weit überwiegenden Teil sitzen Männer ein (unter den Ende Dezember 2020 bundesweit gut 72.000 Gefangenen stellen Frauen mit rund 4.400 eine deutliche Minderheit dar), die sich auch außerhalb der Haft in der Regel weniger um ihre Gesundheit bemühen als Frauen es tun (RKI 2020). Zeit der Haft nutzen – Belastung und Chance Haft Der Freiheitsentzug wirkt sich für Gefangene in vielerlei Bereichen negativ aus: die Trennung von Familie und gewohntem sozialem Umfeld, das Fehlen adäquater Gesprächspartner führen zu Isolation, es mangelt an positiven Außenreizen. Unterbringung in Zwangsgemeinschaft, fehlende Intimsphäre, Verlust der Autonomie im streng hierarchischen Gefüge Justizvollzug stellen weitere Belastungen dar. Offen gebliebene Angelegenheiten und Probleme, beispielsweise ungeklärte Wohnverhältnisse, Schulden, Beziehungsprobleme aus Haft heraus zu erledigen und zu lösen, gestaltet sich meist sehr schwierig und kann Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht hervorrufen. Inhaftierte Frauen sind oftmals (alleinerziehende) Mütter von minderjährigen Kindern, sodass eine Inhaftierung besondere Probleme und Belastungen mit sich bringt, insbesondere, wenn die Kinder von der Mutter getrennt werden. Dazu gibt es aufgrund der geringen Anzahl weiblicher Gefangener weniger Haftanstalten für Frauen, die entsprechend oft nicht in Wohnortnähe liegen, sodass der Kontakt zu Familie, Kindern und Freunden zusätzlich erschwert ist. „Haft bedeutet immer Stress: Die Haftsituation, polizeiliche Vernehmungen, Gerichtstermine können Angst und Unsicherheit auslösen, die Trennung von Angehörigen, Partner(innen) und Freund(innen) belastet, Langeweile und Ohnmachtgefühle stellen sich ein, es kommt zu Konflikten mit Mithäftlingen oder Bediensteten, man erlebt Bedrohung, Aggression und Gewalt.“ (Keppler, K. 2014: S. 137). Neben Belastungen bietet die Zeit der Haft auch Chancen: Menschen können erreicht werden, die außerhalb der Mauern durch die Versorgungsnetze fallen bzw. von Hilfsangeboten nicht erreicht werden. Neben einem Dach über dem Kopf, regelmäßigen Mahlzeiten und der Möglichkeit zur Körperpflege profitieren vor allem – meist durch Wohnungslosigkeit und Sucht - verelendete Gefangene von der medizinischen Versorgung in den Vollzugsanstalten. Auch der erzwungene Verzicht auf bzw. die reduzierte Verfügbarkeit 6
bewusstseinsverändernder Substanzen macht die Gefangenen ansprechbarer – zumindest, wenn der körperliche Entzug überstanden ist oder die bestehende Sucht medikamentengestützt behandelt wird. Für Gefangene kann die Zeit der Haft daher durchaus auch eine Zeit der körperlichen Genesung sein: „Die Inhaftierung wirkt mitunter deutlich stabilisierend, ja sogar lebensrettend (…)“ (Woltmann, J. 2014: S. 346). In Haft nehmen Gefangene oftmals ihren Körper wieder deutlicher wahr und entwickeln ein stärkeres Interesse für ihre Gesundheit als zuvor. Neben der Gesundheitsfürsorge im Sinne rein medizinischer Versorgung können Justizvollzugsanstalten hier die Chance und einen Rahmen bieten, mit geeigneten pädagogischen Angeboten zu einem verbesserten Gesundheitsbewusstsein beizutragen und die Entwicklung von Gesundheitskompetenz zu fördern. „Unter Gesundheitskompetenz wird das Wissen, die Motivation und die Fähigkeit verstanden, gesundheitsrelevante Informationen finden, verstehen, beurteilen und anwenden zu können, um die eigene Gesundheit zu erhalten, sich bei Krankheiten die nötige Unterstützung zu sichern und die dazu nötigen Entscheidungen zu treffen.“ (Hurrelmann et al. 2020: S. 3) In der aktuellen Haftsituation können Angebote zur Gesundheitsförderung den oft eintönigen Alltag bereichern, das Zuwenig an Außenreizen etwas ausgleichen sowie Langeweile und Ohnmachtsgefühle abmildern. Der erlebte Autonomieverlust kann partiell relativiert werden, da man selbst aktiv etwas für sich tun und die Zeit der Haft sinnvoll gestalten kann. Die Möglichkeit, Kompetenzen zu erwerben, die auch für das Leben in Freiheit nützlich sind, stärkt Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein der Gefangenen und schafft Perspektiven. In seiner „Charta gesundheitsfördernde Haftanstalten“ formuliert Heino Stöver: „Das Gefängnis ist zwar einerseits ein Ort mit besonderen gesundheitlichen Belastungen aber andererseits auch einer, an dem medizinische und psycho-soziale Hilfen und Unterstützungen von vielen Gefangenen erstmalig und systematisch in Anspruch genommen werden und zum Teil zu einer erheblichen Verbesserung ihres Gesundheitszustandes führen. Gleichwohl sind diese Erfolge oft nur von kurzer Dauer und werden entweder von Risikoverhalten noch in Haft oder unmittelbar nach Haftentlassung wieder zunichte gemacht.“ (Stöver, H./ Egler, B. 2008: S. 126ff). Der Erwerb von Gesundheitskompetenzen kann und soll auch nach Haft wirksame Grundlage für eine dauerhaft gesündere Lebensführung bieten. 7
2 Ziel, Aufbau und Handhabung des Konzepts zur Gesundheitsförderung Ziel und Entwicklung des Gesundheitsförderungskonzepts Seit langem werden vielerorts auch Angebote aus dem Bereich der Gesundheitsförderung umgesetzt3. Für letztere war die Deutsche Aidshilfe mit ihren bundesweit durchgeführten Veranstaltungen „Gesundheit in Haft“ ein maßgeblicher Vorreiter. Allerdings sind die Angebote zumeist Einzelveranstaltungen oder Pilotprojekte, die nur über begrenzte Zeiträume verfügbar sind. Der Anspruch an dieses Konzept war es, gesundheitsfördernde (Lern-) Einheiten zu entwickeln, die in allen Justizvollzugseinrichtungen Deutschlands variabel einsetzbar sind und die idealerweise als Regelangebot dauerhaft etabliert werden. Der erste Gedanke, zu ausgewählten Themenfeldern detaillierte Curricula (inkl. methodischer Herangehensweise) zu konzipieren, wurde schnell verworfen. Die Anstalten und die Voraussetzungen vor Ort sind so divers, dass die Entwicklung „starrer“ Curricula den zu vermittelnden Inhalten, den Einrichtungen – und vor allem den Inhaftierten – nicht gerecht werden würde. Nicht nur die Vollzugsformen unterscheiden sich teilweise gravierend – man vergleiche Untersuchungshaft, offenen und geschlossenen, Lang- und Kurzstrafenvollzug, Erwachsenen- und Jugendvollzug. Auch die Rahmenbedingungen der einzelnen Justizvollzugsanstalten differieren je nach Art und Größe, Standort und Bundesland, Häusern für Frauen, für Männer und für Jugendliche. Jeder Standort ist so unterschiedlich wie die Menschen, die dort arbeiten oder inhaftiert sind. Ebenso unterschiedlich sind die Bedarfe in den jeweiligen Häusern oder Abteilungen. Aus diesem Grund ist das Konzept nicht als Curriculum entwickelt worden und soll auch so nicht verstanden werden. Vielmehr soll es mit seinen einzelnen Elementen einen Ein- und Überblick darüber geben, welche Themenkomplexe und Schnittstellen in Bezug auf die Förderung von Gesundheitskompetenz und Gesundheit miteinander verwoben sind und Vorschläge zur inhaltlichen Ausrichtung für die Umsetzung vor Ort machen. Entsprechend ist das Konzept nicht notwendig als Gesamteinheit einzusetzen. Es ist nach Themenschwerpunkten aufgebaut, denen einzelne Themenbereiche – die Module – zugeordnet sind. Die Inhalte der Module erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie können variabel nach Bedarfs- und Interessenlage sowie zeitlichen Ressourcen angepasst und/oder modifiziert werden. 3 Einige Beispiele guter Praxis werden im Anhang aufgeführt. 8
Nachfolgend werden die verschiedenen Zielgruppen des Konzepts beschrieben, sowie Hinweise und Erklärungen zum Aufbau, zur Struktur, der Handhabung und dem geeigneten Rahmen zur Durchführung der Module gegeben. Besondere Aspekte, die unserer Ansicht nach sehr wichtig sind für eine gute Umsetzung, finden sich am Ende dieses Kapitels. Zielgruppen In dem Konzept finden sich Module für unterschiedliche Zielgruppen: die in Kapitel 3 richten sich an inhaftierte Frauen und Männer4, die Module in Kapitel 4 an Mitarbeiter:innen der JVA. Besondere Situation inhaftierter Frauen Frauen stellen mit derzeit rund 6% nur einen geringen Anteil an der Gefangenenpopulation. Sie sind häufiger wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und/oder Eigentumsdelikten, seltener wegen Gewaltdelikten verurteilt - somit zu kürzeren Haftstrafen als Männer, dennoch sind sie den in Relation zu den von Frauen verübten Delikten überhöhten Sicherheitsstandards des Männervollzuges unterworfen. Auch die weiblichen Gefangenen sind oftmals mehrfach hafterfahren. Im bundesweiten Durchschnitt (die Angaben unterscheiden sich nach Bundesland und Haftanstalten/Vollzugsform) wird geschätzt, dass ungefähr bei der Hälfte der weiblichen Gefangenen Drogenkonsumerfahrung bzw. ein riskanter Drogenkonsum bis hin zu Sucht vorliegt. Wie die männlichen Gefangenen kommen auch inhaftierte Frauen häufig aus benachteiligten Verhältnissen; Geschichten von körperlicher, sexueller und emotionaler Gewalt- und Missbrauchserfahrung sind nicht selten. Der Frauengesundheitsbericht des RKI geht davon aus, dass rund 35% aller Frauen über 15 Jahre in Deutschland bereits Opfer von körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt geworden sind – inhaftierte Frauen sind in ihrer Lebensgeschichte noch häufiger betroffen (RKI 2020; Ochmann, N. 2018). Im Vergleich zu männlichen Inhaftierten findet sich bei Frauen eine höhere Prävalenz psychischer Komorbiditäten wie Depressionen, Angstzustände, selbstverletzendes Verhalten, PTBS etc. Aber auch physische Erkrankungen wie Hepatitis, Tuberkulose, Diabetes, Hypertonie, Adipositas etc. sind häufiger zu sehen. Des Weiteren unterscheiden sich die Lebenswelten von Frauen in Haft häufig dadurch von denen der Männer, dass der Aspekt der Familie besonders belastet ist. Viele der Frauen haben Kinder geboren, für die sie aber aufgrund ihrer Lebensumstände kein Sorgerecht haben. Oder sie mussten sich aufgrund der Inhaftierung von ihren Kindern trennen und diese anderweitig unterbringen. 4Das Konzept ist vorrangig für Erwachsene entwickelt worden, kann aber, entsprechend modifiziert, auch für Jugendliche genutzt werden. 9
Aufbau und Gestaltung der Module sollten geschlechtersensibel sein. Oft genug berücksichtigen haftinterne Versorgungsstrukturen die Unterschiedlichkeit der Geschlechter nicht ausreichend (Reuter, S./ Behrens, M. 2014). So beklagen inhaftierte Frauen, dass zu häufig männliche Ärzte die gynäkologische Versorgung durchführen. Wir empfehlen aufgrund der besonderen Vulnerabilität inhaftierter Frauen ausdrücklich, die Veranstaltungen im Frauenvollzug von Referentinnen durchführen zu lassen. Die Module Die Module für Gefangene, entwickelt auf Grundlage unterschiedlicher Fachexpertisen, zielen ab auf Stärkung der Gesundheitskompetenz. Die Module sind in verschiedene Themenschwerpunkte eingebettet, die mit Hintergrundinformationen und Argumenten hinsichtlich der Wichtigkeit und Bedeutung der Thematik ausgestattet sind. Die Module für die Mitarbeiter:innen der JVA haben denselben Aufbau und dieselbe Struktur wie die Module für Inhaftierte. Die Struktur der Module ist einheitlich: Ziele, Inhalt, Kooperation, Anmerkungen. Jedes Modul benennt mehrere mögliche Ziele. Welche(s) Ziel(e) bei der Umsetzung fokussiert werden soll, obliegt den Fachpersonen, die mit der Durchführung betraut werden. Dies gilt ebenso für den Abschnitt Inhalte. Hier werden Aspekte, Fragestellungen und Themenfelder erwähnt, die mit dem jeweiligen Modulschwerpunkt in Verbindung stehen. Es muss nicht jeder einzelne Punkt/Aspekt aus dem Abschnitt Inhalt in einer Veranstaltung untergebracht/bearbeitet werden. Die Auflistung im Anschnitt der Inhalte ist als Anregung und gedanklicher Anstoß zu verstehen. Auch hier obliegt es der – an den Bedarfen der jeweiligen Zielgruppen/Teilnehmer:innen orientierten – Entscheidung der durchführenden Fachperson(en), welche Inhalte umgesetzt werden sollen. Im Abschnitt Kooperation sind Organisationen, Institute, Fachexpert:innen und/oder Einrichtungen aufgelistet, die bei der Umsetzung der Inhalte unterstützend sein können – sei es als durchführende Partner:innen vor Ort oder als Inputgeber:in im Zuge der Planung und Vorbereitung der Veranstaltungen. Aus bisherigen Erfahrungen mit Veranstaltungen in Justizvollzugsanstalten wissen wir, dass aus Kapazitäts- und Akzeptanzgründen eine Umsetzung häufig leichter mit Hilfe externer Kooperationspartner:innen gelingt. Unter dem Abschnitt Anmerkungen sind ergänzende Hinweise und Anregungen zu finden, die aus unserer Sicht hilfreich sein können. 10
2.1 Umsetzung der Module für Inhaftierte Elementare Voraussetzung für eine gute Umsetzung des Konzeptes und der einzelnen Module sind Überlegungen zu Herangehensweise, Setting sowie Bewerbung der Veranstaltung(en). Format und Methodik Das Konzept gibt weder Format noch Methodik für die Module vor. Die Art der Umsetzung ist sehr von Expertise, gestalterischen und methodischen Ansätzen der Fachperson(en), Schwerpunktsetzung und inhaltlicher Zielausrichtung aufgrund der Bedarfe der Teilnehmenden sowie den Rahmenbedingungen des Hauses abhängig. Nicht jedes mögliche Format – wie Workshop, Informationsveranstaltung, interaktives Gruppensetting – ist für jedes Thema geeignet oder überall umsetzbar. Generell ist es möglich – und häufig empfiehlt es sich – aus den Inhalten eines Moduls eine Reihe oder Serie zu konzipieren. Inhalte verschiedener Module zu kombinieren und eine modifizierte Veranstaltung(sreihe) zusammen zu stellen ist ebenfalls eine weitere Option. Gruppengröße Um die Inhalte der verschiedenen Schwerpunkte im Diskurs mit den Teilnehmenden erarbeiten zu können, sollten die Module in nicht zu großen Gruppen durchgeführt werden. Erfahrungsgemäß ist eine Anzahl von 10 bis maximal 15 Personen geeignet, Raum für Fragen und Interaktion zu bieten. Freiwilligkeit Die Teilnahme an einer Veranstaltung sollte auf freiwilliger Basis erfolgen. Eine Teilnahme unter Auflagen (beispielsweise als obligatorisch nach positiver Drogen-Urinkontrolle), Nachteile oder gar Sanktionen bei Nichtteilnahme sind nicht zielführend und produzieren Widerstände. Setting/Rahmen der Veranstaltungen Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit der Teilnehmenden sind bei der Festlegung der Veranstaltungsdauer und Pausenplanung zu berücksichtigen. Der Veranstaltungsraum sollte so störungsfrei wie möglich sein. Insbesondere, da teilweise auch sensible Themen angesprochen werden, muss ein „geschützter Rahmen“ angestrebt werden (kein Durchgangsraum, nicht einsehbar, auch akustisch ungestört). 11
Zu einem geschützten Rahmen gehören auch klare Umgangsregeln (Respekt, Verschwiegenheit etc.), die zu Beginn jeder Veranstaltung besprochen werden und die für alle verbindlich sind. Kommunikation und Didaktik Die sprachliche Verständigung muss sichergestellt sein. Da in Justizvollzugsanstalten der Anteil von Menschen nichtdeutscher Herkunft teilweise sehr hoch ist, kann der Einsatz von Sprachmittlern erforderlich sein5. Die Veranstaltungen sind auf Kommunikationsbedürfnisse und -fähigkeiten sowie Lernniveau der Teilnehmer:innen abzustimmen. Grundsätzlich ist einfache Sprache zu bevorzugen, in der auch komplexe Sachverhalte möglichst verständlich darstellbar sind. Da es in keinem Modul ausschließlich um Informationsvermittlung geht, ist „Frontalunterricht“ nicht angemessen. Vielmehr soll der Diskurs mit den Teilnehmer:innen gesucht werden, indem sie zu vertrauensvoller Mitarbeit ermutigt und angeregt werden und die Möglichkeit bekommen, Fragen, Erfahrungen und eigene Expertise einzubringen. Die Erzeugung einer „entspannten“ Atmosphäre, spielerische Herangehensweise und Humor erleichtern erfahrungsgemäß den Zugang zu den Teilnehmer:innen. Bewerbung der Veranstaltungen Die Erfahrung mit den Angeboten der Veranstaltungsreihe der Deutschen Aidshilfe zeigt, wie wichtig es ist, einen ansprechenden Titel zu finden, der die möglichen Interessent:innen nicht abschreckt. Er muss so gewählt sein, dass er keine Grundlage für Stigmatisierung oder Outing von Teilnehmer:innen ist. Es empfiehlt sich die rechtzeitige Klärung der idealen Bekanntmachungswege für die jeweilige Veranstaltung. Je nach Thema können dies Aushänge sein oder Informationen durch beispielsweise Abteilungsleiter:innen, Kursleiter:innen/ Werksbeamt:innen, interne/externe Berater:innen. Weitere Aspekte Die Teilnahme an Veranstaltungen darf Gefangenen nicht zum Nachteil gereichen (z.B. Verdienstverlust, Anrechnung auf Besuchszeiten). Idealerweise – und als möglicher zusätzlicher Anreiz zur Teilnahme – werden die Veranstaltungen als Elemente von Resozialisierungsmaßnahmen/sozialem Training anerkannt. 5Zu berücksichtigen ist der erhöhte Zeitaufwand pro zu übersetzender Sprache – je mehr Sprachen, desto länger wird die Veranstaltung dauern. 12
Die Anbindung von Veranstaltungen an bestehende Strukturen, wie beispielsweise Schulklassen, Ausbildungskurse, ehrenamtlich angeleitete Gruppen, Angebote der Drogenhilfe verringert den organisatorischen Aufwand erheblich. 2.2 Umsetzung der Module für Mitarbeiter:innen Bei Veranstaltungen für Mitarbeiter:innen sind ebenfalls einige Aspekte zu berücksichtigen: Format und Methodik Auch für die Umsetzung der Module für Mitarbeiter:innen gibt es keine Vorgaben für Format und Methodik. Allerdings kann in der Arbeit mit Personal auch Frontalunterricht sinnvoll sein. Gruppengröße Die Gruppengröße sollte 20 Personen nicht übersteigen. Da die Stationen/Abteilungen aber häufig personell unterbesetzt sind, finden Veranstaltungen für Mitarbeiter:innen – wenn sie nicht anstaltsübergreifend organisiert sind – eher mit weniger Personen statt. Freiwilligkeit Eine freiwillige Teilnahme an einer Veranstaltung ist immer anzustreben, kann unter Umständen aber nicht immer eingehalten werden (Notwendigkeit der Aktualisierung des Wissensstandes, akute Bedarfe des Hauses). Setting/Rahmen der Veranstaltungen Auch hier sind die Anforderungen an das Setting ähnlich wie in der Arbeit mit Gefangenen: Einhalten der Gruppenregeln (Einigung auf Verschwiegenheit, Einigung respektvollen Umgang u.a.) und ein geeigneter ruhiger Ort ohne Störfaktoren sind sehr wichtig. Bei Modulen/Veranstaltungen, die über reine Informationsvermittlung hinausgehen, sollte darauf geachtet werden, dass die Gruppenzusammensetzung möglichst homogen ist. Die Anwesenheit von Kolleg:innen in Leitungspositionen beispielsweise kann sich auf die Bereitschaft zur Mitarbeit auswirken. Weitere Aspekte Veranstaltungen sollten als Dienstzeit anerkannt werden, auch wenn sie freiwillig besucht werden (Erhöhung der Bereitschaft zur Teilnahme). 13
2.3 Hinweise zur organisatorischen Umsetzung Eine Installation des Konzeptes kann nur gelingen, wenn eine hauptamtliche Person mit der Umsetzung verantwortlich betraut und zuverlässig erreichbar ist. Eine Vertretung für Urlaubs- und Krankheitszeiten muss gewährleistet sein. Der Stundenumfang richtet sich an der Nachfrage (Anzahl und Frequenz der Veranstaltungen) aus und daran, ob die verantwortliche Person auch selbst als Referent:in tätig ist oder sich auf die Organisation beschränkt. Werden die Veranstaltungen nicht von den JVA selbst organisiert, ist die Einhaltung von Genehmigungswegen besonders wichtig (Aidshilfe Köln et al. 2008). Mittel für Honorare und Fahrtkosten müssen ebenso sichergestellt sein wie ausreichende Sachmittel (Beamer, Flipchart, Bewerbung usw.). 14
3 Förderung und Stärkung der Kompetenzen von Menschen in Haft 3.1 Schwerpunkt Substanzkonsum In Haftanstalten befinden sich viele Menschen, die an Sucht oder Abhängigkeit erkrankt sind – nicht zwangsläufig stoffgebunden. Auch Spielsucht beispielsweise kann durchaus im Zusammenhang mit Straffälligkeit stehen. Deutlich überrepräsentiert sind aber Menschen, die aufgrund oder im Zusammenhang mit ihrer Substanzabhängigkeit im Justizvollzug einsitzen. Schätzungen zufolge sind bis zu 30% der inhaftierten Männer und rund 50% der inhaftierten Frauen Menschen mit intravenösem Substanzkonsum illegalisierter Substanzen. Hinzu kommen die Gefangenen, die in gesundheitsgefährdendem Ausmaß legale Substanzen wie Alkohol, Medikamente, NPS (sogenannte Designerdrogen) oder Tabak konsumieren. Obschon insbesondere die meisten Opioidkonsument:innen als Expert:innen ihrer Abhängigkeit, zumindest was die Beschaffenheit der Substanzen angeht, anzusehen sind und zum Teil bereits Therapieerfahrung gemacht haben, treten doch häufig Fragen im engeren und weiteren Zusammenhang mit dem Konsum psychoaktiver Substanzen auf, die in diesem Modul besprochen werden können. Da der Themenkomplex sehr umfangreich ist, kann es schwierig sein, allen Bereichen innerhalb einer Veranstaltung gerecht zu werden. Es bietet sich also an, die jeweiligen Schwerpunkte als Einzelveranstaltung zu planen. Modul 01: Substanzkonsum – Auswirkungen, Risiken, Prävention Ziel Kompetenzstärkung Schärfung des Problembewusstseins Stärkung der Selbstverantwortung Aufzeigen von Strategien zur Risikominimierung und Verhaltensprävention Inhalt Darstellung der Zusammenhänge von Substanzkonsum und möglichen Auswirkungen auf den Organismus: Infektionserkrankungen Fehl-/Mangelernährung 15
Erkrankungen der Organe: Lunge, Leber, Haut, Hirn, Herz, Gefäßerkrankungen Zahngesundheit Leistungsfähigkeit/Belastbarkeit Libido Fertilität Psyche, Wahrnehmung, Urteilsfähigkeit Bei Frauen zusätzlich: Zyklus Schwangerschaft, Entbindung, Stillen (vorzeitiger Beginn des) Klimakteriums Erläuterung von Therapieansätzen: Abstinenzorientierte Therapien Substitutionstherapie Konsumreduktionsprogramme: Tabakentwöhnung Akupunktur Möglichkeiten der Selbsthilfe Informationen zu gängigen Präventionsmaßnahmen: Risiko unklarer Inhaltsstoffe (z.B. NPS), Verunreinigungen Safer Use Safer Sex Unterstützungsangebote in Haft: Akupunktur Beratung Substitution 16
Haftentlassung: Risiko Überdosierung Erste Hilfe, Naloxon Kooperation Deutsche Aidshilfe/Regionale Aidshilfen Internisten:innen Drogenhilfeeinrichtungen bzw. Fachberatungsstellen mit dem Schwerpunkt Sucht – Substanzkonsum - Substitution Einrichtungen der Selbsthilfe, z.B. JES Anmerkung Als thematische Ergänzung bieten sich folgende Module an: HIV und Hepatitiden Leber Ausgewogene Ernährung Hygiene Gesundheit im Alter 17
3.2 Schwerpunkt Prävention HIV und Hepatitiden Neben einer grundsätzlich höheren Prävalenz somatischer Erkrankungen gibt es in Haftanstalten überproportional viele Menschen mit Suchterkrankung, mit der häufig Erkrankungen wie Hepatitiden und HIV einhergehen. Gefängnisse gelten dadurch als Hochrisikobereich für Infektionserkrankungen. Menschen werden in Zwangsgemeinschaften zusammengebracht, auch auf engem Raum in Saalunterbringung. Das Wissen um Infektionserkrankungen bei Mitgefangenen verunsichert, weckt Ängste und kann zu Ausgrenzung führen. Welche Infektionserkrankungen sind insbesondere in Haft von Bedeutung, mit welchen wird man auch nach der Entlassung konfrontiert? Wie groß ist die Infektionsgefahr? Welche Schutzmaßnahmen gibt es, was muss berücksichtigt werden, welche Maßnahmen sind in Haft verfügbar? Wie geht man mit Infektionen im Umfeld oder mit der eigenen möglichen Infektion um? Modul 02: HIV und Hepatitiden Ziel Aktualisierung des Wissensstandes Entwicklung eines Problembewusstseins (Blood-Awareness) Kompetenzstärkung für adäquate individuelle Risikoeinschätzung Abbau von Unsicherheiten als Basis von Diskriminierung und Stigmatisierung Infizierter Stärkung der Selbstverantwortung Verhaltensänderung, Entwicklung präventiver Routinen Inhalt Aktuelle Informationen zu viralen Infektionserkrankungen (Hepatitis A, Hepatitis B, Hepatitis C, HIV/AIDS) Infektionswege, Infektionsrisiko im Haftalltag, im Betrieb, im privaten Umfeld (Ausgang/Freigang/nach Entlassung) Infektionsvermeidung, Präventionsmöglichkeiten: Allgemeine Hygiene: Gebrauch von Zahnbürsten, Rasierern, Schneidewerkzeugen, Vermeidung von Spritzenabszessen 18
Safer Sex: Aufklärung zum Kondomgebrauch, Femidom, HIV-Schutz durch Therapie, HIV-PrEP Sprechen über medikamentöse Notfallmaßnahmen bei HIV und HBV Safer use: Informationen zum sichereren Substanzkonsum Informationen zu Schutzimpfungen Therapieoptionen Rechtliche Fragen: Gibt es eine Informationspflicht? Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Anspruch auf Verschwiegenheit Kooperation Deutsche Aidshilfe/Regionale Aidshilfen Infektiolog:innen Drogenhilfeeinrichtungen bzw. Fachberatungsstellen mit dem Schwerpunkt Sucht (zur Unterstützung für den Bereich safer use) Hochschulen mit Studiengang Gesundheitswissenschaften Anmerkungen Kontroverse Haltungen zum Thema Übernahme von Verantwortlichkeit und Schuld (-zuweisung) sind in diesem Modul erwartbar und sollten zeitlich eingeplant werden. Selbstverständlich kann dieses Modul um aktuelle Themen, wie SARS COV2/Corona erweitert werden. Als thematische Ergänzung bieten sich folgende Module an: Tattoo und Piercing Sexuell übertragbare Infektionen Verhütung Leber 19
Tattoo und Piercing In Haft zwar nicht gestattet, dennoch beliebt: Gefangene lassen sich während ihrer Inhaftierung tätowieren oder piercen. Mehr oder weniger erfahrene Laien stechen Mitgefangenen mithilfe phantasievoll gebastelter Maschinen und Nadeln und selbst angerührter Farben Tattoos oder Piercings. Die für Tattoo- Studios geltenden Hygiene- und Materialanforderungen für steriles und sicheres Arbeiten können nicht erfüllt werden (Ausnahme Luxemburg: im dortigen Gefängnis Schrassig gibt es seit 2017 ein „Inmates-Tattoo-Studio“). Modul 03: Tattoo und Piercing Ziel Aufklärung über mögliche gesundheitliche Risiken von Tattoo und Piercing. Schadensminimierung Förderung des Risikomanagements Anregung zur Reflexion über die Entscheidung für Körperschmuck Inhalt Tattoo/Piercing als Gesundheitsrisiko: Infektionen mit Bakterien und/ oder Viren (HBV, HCV, HIV) Nerven- und Gewebeschädigungen v.a. beim nicht- professionellen Piercen Mögliche Langzeitfolgen durch giftige Bestandteile der Tattoo-Farben: Allergien, Hauterkrankungen, Organerkrankungen, Krebserkrankungen Besprechung/Klärung folgender Fragen: Welche Hygienemaßnahmen sind Voraussetzung für risikoarmes Tätowieren/Piercen? Welche Schutzmöglichkeiten habe ich/stehen mir zur Verfügung? Wie pflege ich die Wunden durch ein frisch gestochenes Tattoo/Piercing? Woran erkenne ich, dass eine Infektion stattgefunden hat? Sollte ich damit zur Ärztin/zum Arzt gehen? Können Tätowierungen rückgängig gemacht werden? Welche Voraussetzungen gibt es dafür? Wo finde ich geeignete Ärzt:innen? 20
Tattoo/Piercing als Ausdruck der Persönlichkeit: Aus welchen Gründen möchte ich ein Tattoo oder Piercing? Wo soll es platziert sein? Was soll das Tattoo/Piercing über mich aussagen? Passt das Tattoo auch in einigen Jahren oder in einer veränderten Lebenssituation noch zu mir? Wie wirkt mein Körperschmuck auf die Außenwelt? Gibt es soziale Nachteile insbesondere nach Entlassung (Beispielsweise bei der Arbeits- und/oder Wohnungssuche)? Bin ich mir bei meiner Entscheidung wirklich sicher? Muss das Tattoo unbedingt in Haft gestochen werden? Wo finde ich außerhalb der Haft ein Studio und wie erkenne ich, dass nach den aktuellen Hygienestandards gearbeitet wird? Kooperation Deutsche Aidshilfe/Regionale Aidshilfen Mitarbeiter:innen von Tattoo-Studios Dermatolog:innen Anmerkung Das Modul ist geeignet das Interesse an einer intensiveren Auseinandersetzung mit HIV und Hepatitiden zu wecken. 21
Leber Die Prävalenz von Lebererkrankungen ist bei Gefangenen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht. Der Konsum illegaler Drogen, v.a. intravenös appliziert, führt zu viral bedingten Hepatitiden. Der erhöhte Konsum legaler Substanzen wie Alkohol birgt das Risiko der Entwicklung einer alkoholbedingten Fettleber (ASH); Fehlernährung, Übergewicht, erhöhte Blutfettwerte und Medikamentengebrauch können zur nicht-alkoholischen Fettleber (NASH) führen. Dieses Modul bietet Gefangenen die Möglichkeit, ihr Wissen um das lebenswichtige Organ zu vertiefen. Modul 04: Leber Ziel Wissensvermittlung zu Bedeutung und Funktionsweise des größten Entgiftungsorgans Aufbau eines Problembewusstseins Erlernen von Möglichkeiten zur Unterstützung der Leberfunktion Inhalt Bedeutung der Leber für den Gesamtorganismus, wie beispielsweise Entgiftung, Bildung von Hormonen. Funktion und Aufbau Reaktion der Leber auf: Alkohol Ernährung Illegale Substanzen Infektionen Medikamente Regenerationsfähigkeit der Leber Leberstützende Maßnahmen (Ernährung, Bewegung) Prävention (Impfung) Risikomanagement (safer sex, safer use) 22
Kooperation Deutsche Aidshilfe/Regionale Aidshilfen Infektiolog:innen/Hepatolog:innen Leberhilfe Ökotropholog:innen Anmerkung Als thematische Ergänzung bieten sich folgende Module an: HIV und Hepatitiden Hygiene Substanzgebrauch Ausgewogene Ernährung 23
Gesundheit im Alter Die Gesellschaft altert, somit finden sich auch im Justizvollzug zunehmend ältere Menschen, entweder, weil sie lange oder immer wieder inhaftiert sind, oder weil sie als ältere Menschen – eine besondere Herausforderung – erstmals zu einer Haftstrafe verurteilt sind. Der Alterungsprozess kann sich massiv auf die eigene Identität auswirken und das gewohnte Selbstbild und Selbstvertrauen in Frage stellen. Dieses Modul richtet sich nicht nur an schon Ältere, sondern an alle interessierten Gefangenen, die sich mit dem Thema (drohendes) Alter beschäftigen oder sich vielleicht auch darum sorgen. Modul 05: Gesundheit im Alter Ziel Informationsvermittlung zu sich im Laufe der Jahre entwickelnden Veränderungen von Körper und Geist Auseinandersetzung mit möglichen zu erwartenden Körperveränderungen und Erkrankungen Erarbeitung von (präventiven) Handlungsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung von Mobilität und Vitalität auch im höheren Alter Stärkung der Selbstsorge Inhalt Fortschreitendes Lebensalter geht einher mit psychischen wie physischen bis hin zu hirnorganischen Veränderungen. Häufig auftretende Einschränkungen: Verlust von Körperkraft und Beweglichkeit Gewichtsveränderungen Veränderung der Sexualität (Libidoverlust, Trockenheit der Schleimhäute, Prostataprobleme, Dysfunktionen) Stimmungsschwankungen, Schwermut, depressive Verstimmungen Veränderung der Gehirnleistung (u.a. Demenzerkrankungen) Hirnschädigungen durch Substanzkonsum Herz-Kreislauferkrankungen Diabetes/Stoffwechselerkrankungen Tumorerkrankungen 24
Möglichkeiten zur Statuserhaltung und Prävention: Bewegung: Muskelaufbau bzw. Verhinderung von Muskelabbau, Trainieren von Gleichgewichtssinn und Koordination „Gehirnjogging“: Trainieren von Konzentration und Aufnahmefähigkeit Aufbau/Förderung sozialer Kontakte Ernährung Medizinische Untersuchungen zur Früherkennung Reduktion von Rauchen und/oder Substanz- /Alkoholkonsum Kooperation Deutsche Aidshilfe/Regionale Aidshilfen Mediziner:innen Geriatrische Fachkräfte Fitness-Trainer:innen Hochschulen mit Studiengang Pflegewissenschaften Selbsthilfegruppen (Fit im Alter o.ä.) Anmerkungen Die Themen Tod, Sterben und der Umgang mit Trauer und Verlust sollten bei Bedarf angemessenen Raum finden können. Als thematische Ergänzung bietet sich folgendes Modul an: Ausgewogene Ernährung 25
Fokus: Sexualität Die haftbedingte Trennung von Familie, Partner:innen, Freunden und die fehlenden Möglichkeiten frei gewählter sozialer Kontakte mindern nicht den Wunsch und die Sehnsucht nach Beziehungen, Familie, Sexualität. Eher ist das Gegenteil der Fall und Gefangene erhoffen von einer (zukünftigen) Partnerschaft und Familiengründung sehr viel an Zugewinn von Geborgenheit, Stabilität, Absicherung bis hin zur Beendigung ihrer Abhängigkeitsprobleme. Das Ausleben von Sexualität in Haft ist offiziell nur sehr begrenzt möglich. Selbst wenn eine Anstalt über Langzeitbesuchsräume verfügt, kann nicht jede:r Gefangene eine stabile Partnerschaft vorweisen, die die Voraussetzung für die Gewährung von Langzeitbesuch darstellt. Geschlechtergetrennte Unterbringung unterbindet zwar heterosexuelle Kontakte zwischen den Gefangenen, sexuelle Bedürfnisse und das Bedürfnis nach Nähe bleiben jedoch – Stichwort „Knasthomosexualität“. Auch kann davon ausgegangen werden, dass sexuelle Dienstleistungen in Haftanstalten angeboten werden. Sexualität sollte kein Tabuthema sein – auch nicht in Haft. Die beiden folgenden Module befassen sich auf den ersten Blick vorrangig mit der Vermeidung unerwünschter Folgen gelebter Sexualität. Sie bieten über den Zugang der Prävention aber eine Einstiegsmöglichkeit in das aus Gründen wie Unsicherheit oder Scham oft vermiedene Thema Sexualität. So kann - über die Vermittlung rein biologisch-medizinischer Fakten hinausgehend - auf psychosoziale Dynamiken von Sexualität eingegangen werden. Erfahrungsgemäß können in diesen Zusammenhängen weitere Themen wie Kinderwunsch, Schwangerschaft, Partnerschaft, sexuelle Orientierung u.a. zur Sprache kommen. Bei Bedarf sollte geprüft werden, ob entsprechend weiterführende sexualpädagogische Einheiten entwickelt und angeboten werden. 26
Modul 06: Sexuell übertragbare Infektionen Ziel Wissensvermittlung zu einzelnen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) Förderung individuellen Problembewusstseins Abbau von Unsicherheiten in Bezug auf Übertragungswege Stärkung der Risikoeinschätzungskompetenz Aufzeigen von Strategien zur Infektionsvermeidung/Prävention Inhalt Basisinformationen zu STI (Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien, HPV) Übertragungswege und mögliche Symptome der jeweiligen Infektionen Hemmungen überwinden mit Ärztin/Arzt über eine befürchtete STI zu sprechen Schutzmöglichkeiten/Verhütungsmethoden: Kondomgebrauch, Lecktücher (Dental Dam), Femidom, Impfung HPV Welche Präventionsmöglichkeiten gibt es auch in Haft? Wie wirkt sich das Risiko einer Infektion auf die Ausübung meiner Sexualität aus? Kann ich diese noch leben wie gewünscht? Wie spreche ich mit meiner Sexualpartnerin/meinem Sexualpartner über den Umgang mit einem STI-Risiko? Wer trägt Verantwortung für die Infektionsvermeidung? Kooperation Deutsche Aidshilfe/Regionale Aidshilfen Fachärzt:innen aus den Bereichen Gynäkologie Venerologie Infektiologie pro familia Beratungsstellen/ Familienplanungszentren 27
Anmerkung Bei der Umsetzung in einer JVA für Frauen sollen vorzugsweise Referentinnen und weibliche Fachärztinnen eingesetzt werden (siehe Kapitel 2: Besonderer Situation inhaftierter Frauen). Kontroverse Haltungen zu den Themen „Verantwortlichkeit“ und „Schuld (-zuweisung)“ sind in diesem Modul erwartbar. Als thematische Ergänzung bietet sich folgendes Modul an: HIV und Hepatitiden 28
Modul 07: Verhütung Ziel Informationen zu gängigen und alternativen Verhütungsmethoden Risikomanagement Vermeidung von Infektionserkrankungen und ungewollter Schwangerschaft Abbau von Hemmungen über Verhütung und Sexualität zu sprechen Inhalt Ziel von Verhütung Aufbau und Funktionen der primären und sekundären Geschlechtsorgane Darstellung unterschiedlicher Verhütungsmöglichkeiten Hinweise zur praktischen Anwendung der jeweiligen Methoden/Mittel Chancen und Risiken der jeweiligen Verhütungsmethode/-mittel Alternative Verhütungsmöglichkeiten Welche Verhütungsmethode ist für meine Situation passend? Wie spreche ich mit meiner Partnerin/meinem Partner über Verhütung? Wer übernimmt Verantwortung für die Verhütung? Kooperation Deutsche Aidshilfe/Regionale Aidshilfen pro familia Beratungsstellen/ Familienplanungszentren Anmerkung Erfahrungsgemäß bietet sich ein Exkurs zu „Sexualität und Sprache“ an: angemessene Benennung von Körperbereichen/-regionen im Gegensatz zu diskriminierend-abwertender Sprache. Kontroverse Haltungen zu den Themen „Verantwortung“ und „stereotype Rollenzuweisungen“ sind in diesem Modul erwartbar. 29
3.3 Schwerpunkt Psychosoziale Kompetenzen Das psychische Befinden ist ebenso elementarer Bestandteil der Gesundheit wie das körperliche und kann unter anderem durch Stress stark belastet werden. Die Zeit in Haft bringt einige Stressoren mit sich. Die Module in diesem Kapitel widmen sich daher den Schwerpunkten „Stress“, „Erhalt sozialer Kontakte“, „Haltungen und Wertesysteme“ und „gewaltfreie Kommunikation“. Sie bieten den Teilnehmenden an, sich aktiv mit unterschiedlichen belastenden Situationen zu beschäftigen und individuelle Wege zur Stressreduktion zu erkunden. WICHTIG: Es handelt sich hierbei nicht um gruppentherapeutische Angebote. Therapeutische Angebote im Einzel- oder Gruppensetting sollten entsprechend von den dafür zuständigen psychologischen Mitarbeiter:innen entwickelt und angeboten werden. Ein besonderer Stressor in Haft ist Erleben von oder Angst vor Gewalt. Zur Bearbeitung des Gewaltthemas empfehlen wir die Nutzung der inzwischen etablierten Antigewalttrainings und Angebote zu Gewaltprävention in Haft. Modul 08: Umgang mit Stress Ziel Darstellung verschiedener Methoden und Strategien zur Stressbewältigung Aneignung von Bewältigungskompetenzen und Coping-Strategien Stärkung der Resilienz Inhalt Einführung in das Thema Stress: Begriffsdefinition (Eustress, Disstress) Ursachen, Entstehung und Auslöser von Stress Eingehen auf Kontraindikationen (z.B. Substanzgebrauch, provozierendes Auftreten) Für die Entwicklung individueller Präventions- und Bewältigungsstrategien können folgende Themen und Fragestellungen hilfreich sein: Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation: Eingesperrtsein, Aggressionen, Unsicherheiten, Überforderungen, Einsamkeit Eigene Erfahrungen im Umgang mit Stress 30
mentale und physische Entlastungsmethoden: Sport, Yoga, Entspannungstechniken, Akupunktur, Singen, kreatives Schreiben, künstlerische Angebote u.ä. Kooperation Anti-Stress-Trainer:innen Psycholog:innen Anmerkung Dieses Modul sollte – nach einem kurzen Input durch die Referent:innen – als offener Gruppendiskurs angeboten werden. Das Modul könnte als Impuls für eine Entspannungsgruppe dienen. Interesse daran wird es wahrscheinlich eher im Langstrafenvollzug geben, da dort die Positionen in der Hierarchie ausgefochten und gefestigt sind. Im Kurzstrafenvollzug muss mit weniger Interesse gerechnet werden, da sich niemand als „Weichei“ präsentieren will. 31
Soziale Kontakte Inhaftierung und Verurteilung betreffen nicht nur die Gefangenen selbst, sondern wirken sich auch auf ihr soziales Umfeld, ihre Freunde und Familien aus. Dies wiederum bedeutet eine weitere Belastung für Inhaftierte. Ihnen sind die Hände gebunden, wenn sie um Probleme in ihrem sozialen Umfeld wissen, und sie sorgen sich, ob ihre Inhaftierung sie nicht von Familie und Freunden trennen wird. Manch einer bricht vorsorglich, um einem möglichen Trennungsprozess vorzugreifen, Kontakte ab. Dieses Modul ist als Anregung gedacht, individuelle Wege zu entdecken, mit der Belastung durch die Veränderung sozialer Bezüge lösungsorientiert umzugehen und Perspektiven zu entwickeln. Modul 09: Erhalt sozialer Kontakte Ziel Erarbeitung und Entwicklung von Entlastungsstrategien Aufbau und/oder Stärkung der Selbstwirksamkeit im Kontakt mit dem sozialen Umfeld Anregung zur Perspektivenentwicklung Inhalt Folgen der Inhaftierung: Trennung von Familie, Freunden, Bezugspersonen Verlust von Haushaltseinkommen = Folgeprobleme wie drohender Wohnungsverlust Ächtung/Kontaktabbruch aufgrund des Deliktes Scham und Schuldgefühle Ohnmacht, Hilflosigkeit Unsicherheit im Umgang mit dem sozialen Umfeld Erwartungen, Befürchtungen, Ängste in Bezug auf Familie und Freunde: abgelehnt zu werden eine emotionale und finanzielle Belastung zu sein nahestehende Menschen zu stigmatisieren den Kontakt zu verlieren, verlassen zu werden 32
Typische Fragestellungen, die daraus resultieren: Wie sage ich es meiner Familie, meinen Bezugspersonen, meinem sozialen Umfeld? Wie kann es mir gelingen, meine Partnerschaft/Freundschaften/Kontakt zur Familie aufrecht zu erhalten? Wie kann ich verlorenen Kontakt auch aus der Haft heraus wieder aufnehmen? Welche Möglichkeiten habe ich, mit meinen Befürchtungen und Sorgen umzugehen, Grübeleien und „Kopfkarussel“ abzustellen? Wie löse ich innere Konflikte? Wie treffe ich die richtigen Entscheidungen? Aufzeigen der vor Ort vorhandenen Angebote und Möglichkeiten: Freizeitangebote, die bei Stressabbau helfen können (z.B. Sport, Yoga, Chor) Eigene Möglichkeiten: Tagebuch/Briefeschreiben, Malen/Zeichnen u.a. Unterstützungsmöglichkeiten durch z.B. Seelsorge, Soziale Dienste, Beratungsangebote durch externe Einrichtungen in der JVA Kooperation Psycholog:innen/Systemiker:innen Beratungsstellen für Inhaftierte, Haftentlassene und ihre Angehörigen Anmerkung Da das Thema auf Seiten der Gefangenen sehr emotional besetzt sein kann, ist besonders darauf zu achten, es möglichst auf der Sachebene zu halten. Möglicherweise zeigt sich ein Bedarf nach Angeboten speziell für Eltern. In manchen JVA gibt es bereits Eltern- oder Eltern-Kind-Gruppen. Sollte es vor Ort noch kein Angebot geben, sollte der Bedarf geprüft und ein Angebot geschaffen werden. 33
Haltungen und Wertesysteme Im Justizvollzug werden Menschen räumlich zusammengebracht, die unterschiedliche persönliche Hintergründe haben. Gemeinsam ist ihnen die Straffälligkeit – und selbst die Straftaten unterliegen unterschiedlichsten Bewertungen und hierarchischen Einordnungen. Das Aufeinanderprallen differierender Haltungen, Kulturen und Wertesysteme birgt Konfliktpotential, das den Stresslevel erhöhen kann. Respektvoller Umgang mit Unterschiedlichkeit kann Stressoren reduzieren und somit den Haftalltag erleichtern. Perspektivisch dient die Auseinandersetzung mit den Themen des Moduls der Vorbereitung auf die Rückkehr in die Gesellschaft, deren Haltungen und Wertesysteme sich stetig weiterentwickeln. Modul 10: Haltungen und Wertesysteme Ziel Abbau von Verunsicherung durch vom eigenen Lebensentwurf abweichende Lebensgestaltungen Abbau von Vorurteilen und stereotypen Bewertungen Sensibilisierung für Stigmatisierung und Diskriminierung anderer Lebens- und Liebesweisen Stärkung respektvollen Umgangs Inhalt Wissensvermittlung Grund- und Menschenrechte Recht auf (auch sexuelle) Selbstbestimmung Unterschiedliche Perspektiven auf Lebensentwürfe – konventionell/unkonventionell Diversität von Lebens- und Liebesweisen (LSBTIQ*) Begriffsdefinition und Abgrenzung von Toleranz, Respekt, Akzeptanz Auswirkungen von Diskriminierung, Stigmatisierung, Sexismus, Rassismus und grenzüberschreitendem Verhalten Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Normen und Werten Reflexion eigener Vorurteile und persönlicher Grenzen 34
Kooperation Mitarbeitende aus interkulturellen Beratungsstellen Deutsche Aidshilfe/Regionale Aidshilfen Netzwerk Rassismus und Antidiskriminierung Bildungsinstitute Anmerkung Aufgrund der besonderen Komplexität dieses Themenbereichs bietet es sich an, das Modul als mehrere Einheiten zu konzipieren. Als thematische Ergänzung bietet sich folgendes Modul an: Gewaltfreie Kommunikation und Sprache 35
Gewaltfreie Kommunikation und Sprache Der Haftalltag ist geprägt von teilweise aggressiven verbalen oder körperlichen Auseinandersetzungen. Provokantes Auftreten, Missverständnisse und Verständigungsprobleme können dabei – insbesondere durch den hohen Anteil nicht Deutsch sprechender Gefangener – eine große Rolle spielen. Um einen psychisch und physisch stressärmeren und konfliktfreieren Haftalltag zu schaffen, erscheint es sinnvoll, die Kompetenzen Inhaftierter hinsichtlich gewaltfreier Kommunikation zu stärken, zu erweitern oder erst zu entwickeln. Modul 11: Gewaltfreie Kommunikation und Sprache Ziel Eskalationsprävention Erlernen gewaltfreier Kommunikation Inhalt Differenzierung verbaler und nonverbaler Kommunikation Dynamiken der Kommunikation: unterschiedliche Formen verbaler Kommunikation verschiedene Arten des Zuhörens Einfluss nonverbaler Botschaften auf die Kommunikation unterschiedliche Wahrnehmungen Aufgreifen von Alltagssituationen: provozierendes Verhalten emotionsgeladene Situationen unterschiedliche Sprachkompetenzen divergierende Kommunikationsmuster Sprache als Machtinstrument: rassistischer, diskriminierender, stigmatisierender und sexistischer Sprachgebrauch Kooperation Kommunikationstrainer:innen Antigewalttrainier:innen 36
Anmerkung Bei der Bearbeitung des Themas Kommunikation und Sprache wird zwangsläufig der Bereich Wertesysteme berührt. Mit kontroversen Diskussionen muss gerechnet werden. Bietet man dieses Modul als Serie an, kann es als Trainingseinheit zum Erlernen und Erproben gewaltfreier Kommunikation genutzt werden. Das Modul kann ebenso als ein Element im Sprachkurs „Deutsch als Fremdsprache“ eingesetzt werden. Als thematische Ergänzung bietet sich folgendes Modul an: Umgang mit Stress 37
3.4 Schwerpunkt Alltagspraktische Fähigkeiten Bei Gesprächen in Haft und nach Haftentlassung zeigen sich insbesondere bei Männern, die tradierte Rollenbilder pflegen, oftmals fehlende Alltagskompetenzen aufgrund mangelnder Kenntnisse und Fähigkeiten. Ernährung wird in Form von „fast food“/Convenienceprodukten bevorzugt, welche mit Nährwertbilanz ernährungsphysiologisch und mit relativ hohen Kosten auch ökonomisch negativ ins Gewicht fallen, insbesondere für ALGII-/ Sozialhilfebezieher und Geringverdienende. Basisinformationen zu Hygiene und Hauswirtschaften fehlen oftmals ebenso wie ein angemessenes Verhältnis zu Geld und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Hygiene Menschen, die lange Zeit Drogen konsumieren oder wohnungs- oder sogar obdachlos leben, fallen nicht selten durch unzureichende Körperpflege auf. Hinzu kommt häufig ein sehr schlechter Zahnstatus. Die konsumierten Substanzen (inklusive Tabak) können Zahnsubstanz und Zahnfleisch angreifen. Darüber hinaus führen gestörtes Schmerzempfinden und unzureichende Mundhygiene zu behandlungsbedürftigen Gebissen. Neben der speziellen Lebenssituation verhindern auch Angst und Scham allzu oft die Inanspruchnahme (zahn-) medizinischer Behandlung – mit dem Risiko weiterer gesundheitlicher Schäden (Woltmann, J. 2014). In Haft allerdings achten die meisten Gefangenen auf sich – eine gute Gelegenheit, ihnen das Thema Hygiene anzubieten, das den Fokus nicht nur auf individuelle Körperpflege setzt, sondern mit der Notwendigkeit von Sauberkeit im Alltag – Küche, Bad, Lebensmittel – kombiniert und damit auf das Leben in einer (im Idealfall eigenen) Wohnung vorbereiten kann. Modul 12: Hygiene Ziel Darstellung der Bedeutung von Hygiene für die Prophylaxe von Erkrankungen Vermittlung von Hygieneregeln bei Körperpflege und im Haushalt Abbau von Ängsten und Vorurteilen gegenüber Ärzt:innen (Zahnheilkunde, Dermatologie) Befähigung zum respektvollen Umgang mit sich selbst 38
Sie können auch lesen