Gewalt in der Familie-Rückblick und neue Herausforderungen - Gewaltbericht 2001 - Gewaltinfo

Die Seite wird erstellt Norbert Linke
 
WEITER LESEN
Gewalt in der Familie-Rückblick und neue Herausforderungen - Gewaltbericht 2001 - Gewaltinfo
Gewalt in der Familie --
Rückblick und neue Herausforderungen

 Gewaltbericht 2001

                             BUNDESMINISTERIUM
          F Ü R S O Z I A L E S I C H E R H E I T U N D G E N E R AT I O N E N
IMPRESSUM

Gewalt in der Familie – Rückblick und neue Herausforderungen
ISBN 3-85010-080-9

Medieninhaber:
Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen,
Abteilung V/7
A-1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 51

Autorinnen:
Verena Kaselitz, Lisa Lercher

Lektorat:
Sylvia Treudl

Layout:
Ostry & Partner GmbH & Co KG – Internet Concept and Development

Druck:
Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen
Stubenring 1, 1010 Wien

Wien, 2002

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung (auch auszugsweise) ist ohne schriftliche Zustimmung des Medieninhabers unzulässig.
Dies gilt insbesondere für jede Art der Vervielfältigung, der Übersetzung, der Mikroverfilmung, der Wiedergabe in Fernsehen und Hörfunk,
sowie der Verarbeitung und Einspeicherung in elektronische Medien, wie z.B. Internet oder CD-Rom.

Die Langfassung des Gewaltberichts liegt in Fachbibliotheken und einschlägigen Facheinrichtungen zur Einsicht auf und kann auch von
der Homepage des Ressorts (www.bmsg.gv.at) heruntergeladen werden.

Weitere Exemplare der vorliegenden Kurzfassung können beim
BMSG-Bestellservice: 0800-20 20 74
bezogen werden bzw. über die Homepage des Ressorts heruntergeladen werden.
INHALT

Einleitung .......................................................................................................................................... 7

I. Gewalt in der Familie - Grundlagen ............................................................................................ 9

1. Definitionen von Gewalt .............................................................................................................. 9
   1.1. Der Gewaltbegriff in der Wissenschaft und im internationalen Recht .................................. 9
   1.2. Gewalt in der Familie / im sozialen Nahraum ........................................................................ 9
   1.3. Gewalt gegen Frauen und Mädchen .................................................................................... 9

2. Die Formen der Gewalt .............................................................................................................. 10
   2.1. Physische Gewalt ................................................................................................................ 11
   2.2. Psychische Gewalt .............................................................................................................. 11
   2.3. Sexuelle Gewalt .................................................................................................................. 11

3. Ursachen von Gewalt ................................................................................................................ 12
   3.1. Erklärungsansätze .............................................................................................................. 12
        3.1.1. Personenzentrierte Theorien
        3.1.2. Sozialpsychologische Theorien
        3.1.3. Soziostrukturelle und soziokulturelle Theorien
   3.2. Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern ............................................................ 13
        3.2.1. Physische Gewalt an Kindern
        3.2.2. Psychische Gewalt an Kindern
        3.2.3. Sexuelle Gewalt an Kindern
   3.3. Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Frauen in Familien .......................................... 15

4. Ausmaß von Gewalt .................................................................................................................. 16
   4.1. Das Ausmaß von Gewalt an Kindern .................................................................................. 16
        4.1.1. Die Zahlen aus der Forschung
        4.1.2. Statistiken
   4.2. Das Ausmaß von Gewalt an Frauen .................................................................................... 17
        4.2.1. Zahlen aus der Forschung
        4.2.2. Statistiken
   4.3. Sonderfall: Sexuelle Gewalt ................................................................................................ 20

5. Neuerungen in der nationalen Gesetzgebung ........................................................................ 20

6. Die Medienberichterstattung über Gewalt .............................................................................. 22
   6.1. Die Rolle der Medien .......................................................................................................... 22
   6.2. Gewalt gegen Kinder in den Printmedien .......................................................................... 22
        6.2.1. Darstellung innerfamiliärer Gewalt gegen Kinder und Jugendliche 1989–1999
   6.3. Gewalt gegen Frauen in den Printmedien .......................................................................... 24
        6.3.1. Inhaltsanalyse der Berichterstattung 1991–1999

                                                                           1
INHALT

II. Gewalt gegen Kinder ................................................................................................................ 25

1. Täter und Täterinnen ................................................................................................................ 25
   1.1. Hintergründe für physische Gewalt .................................................................................... 25
   1.2. Hintergründe für psychische Gewalt .................................................................................. 26
   1.3. Hintergründe für sexuelle Gewalt ........................................................................................ 26
   1.4. Die Strategien der TäterInnen ............................................................................................ 27
   1.5. Die Dynamik der Tat ............................................................................................................ 27
        1.5.1. Der Tatzyklus
   1.6. Tätertypologien .................................................................................................................... 30
   1.7. Frauen als Täterinnen ........................................................................................................ 31
        1.7.1. Typen von Täterinnen
        1.7.2. Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tätern

2. Die Auswirkungen von Gewalt an Kindern ............................................................................ 32
   2.1. Folgen psychischer und physischer Gewalt ...................................................................... 33
        2.1.1. Spezifische Auswirkungen
        2.1.2. Unspezifische Signale und Folgen
   2.2. Auswirkungen sexueller Gewalt .......................................................................................... 34
   2.3. Diagnose ............................................................................................................................ 36

3. Prävention und Intervention .................................................................................................... 36
   3.1. Maßnahmen im Bereich der Prävention ............................................................................ 36
        3.1.1. Zielgruppe Gesellschaft
        3.1.2. Zielgruppe Bezugspersonen
        3.1.3. Zielgruppe Kinder
        3.1.4. Zielgruppe potentielle TäterInnen
   3.2. Maßnahmen im Bereich der Intervention ............................................................................ 39
        3.2.1. Opferorientierte Intervention
        3.2.2. TäterInnenorientierte Intervention
   3.3. Der Stellenwert von Prävention und Intervention .............................................................. 42

4. Exkurs: Gewalt unter Geschwistern ........................................................................................ 42
   4.1. Physische und psychische Gewalt ...................................................................................... 42
   4.2. Sexuelle Gewalt .................................................................................................................. 43

III. Gewalt gegen Frauen ................................................................................................................ 45

1. Die Auswirkungen von Gewalt an Frauen – Gefangenschaft
   im eigenen Heim ........................................................................................................................ 45
   1.1. Die Strategien der Täter ...................................................................................................... 45
   1.2. Rechtfertigungsversuche der Täter .................................................................................... 46
   1.3. Täterprofile .......................................................................................................................... 46
   1.4. Kriterien für die Einschätzung der Gefährlichkeit ................................................................ 47
   1.5. Das Verhalten der Opfer ...................................................................................................... 48
   1.6. Gewalt als traumatische Erfahrung .................................................................................... 49
   1.7. Prozess der Hilfesuche und gesellschaftlicher Kontext von Gewalt .................................. 50

                                                                        2
INHALT

2. Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen .................................................................................... 50
   2.1. Hilfseinrichtungen für Betroffene ........................................................................................ 50
        2.1.1. Die Frauenhäuser
        2.1.2. Die Beratungsstellen
   2.2. Staatliche Initiativen und Maßnahmen ................................................................................ 52
        2.2.1. Die Plattform gegen die Gewalt in der Familie
        2.2.2. Die Ministerratsvorträge
        2.2.3. Täterarbeit
        2.2.4. Kampagnen gegen Gewalt
   2.3. Fortbildungs- und Schulungsprojekte .................................................................................. 54
        2.3.1. Schulungen für Polizei und Gendarmerie
        2.3.2. Projekt „Gegen Gewalt an Frauen handeln“
        2.3.3. Fortbildung für Familienberatungsstellen

3. Nationales und internationales Recht ...................................................................................... 56
   3.1. Nationales Recht – Entwicklungen 1989-1999 .................................................................. 56
        3.1.1. Das Gewaltschutzgesetz
        3.1.2. Vergewaltigung in der Ehe
        3.1.3. Änderungen in der Strafprozessordnung
        3.1.4. Opferrechte, Schadensersatz und Schmerzensgeld
        3.1.5. Änderungen im Ärztegesetz
   3.2. Internationales Recht – Entwicklungen 1989–1999 ............................................................ 60

4. Forschung zu Gewalt an Frauen in der Familie ...................................................................... 61
   4.1. Gewalt gegen Frauen – Über das Ausmaß eines gesellschaftlichen Problems
         und die Notwendigkeit konsequenter Maßnahmen ............................................................ 61
   4.2. Ursachen und Folgen von Gewaltanwendung
         gegenüber Frauen und Kindern .......................................................................................... 62
   4.3. Vergewaltigung – Ein Verbrechen ohne Folgen?
         Täter und Opfer im Spiegel der Justiz ................................................................................ 62
   4.4. Feministische Theorie und Praxis
         in der Sozialarbeit: 10 Jahre Grazer Frauenhaus .............................................................. 63
   4.5. Gewalt gegen Frauen in der Familie .................................................................................. 63
   4.6. Frauenhaus: Schicksal oder Chance?
         Eine Studie zur Entstehungsweise von Gewaltbeziehungen
         und die Rolle von Frauenhäusern bei der Überwindung .................................................... 63
   4.7. Gewalt in der Familie – Ergebnisse einer soziologischen Studie
         in Zusammenarbeit mit Sozialeinrichtungen, Polizei und Gericht ...................................... 64
   4.8. Österreichische und internationale Strategien zur Prävention von Gewalt ........................ 64
   4.9. Kinder legen Zeugnis ab – Gespräche mit Kindern und Müttern
         in österreichischen Frauenhäusern .................................................................................... 64
   4.10. Gewalt in der Familie – Eine Evaluierung der Umsetzung
         des österreichischen Gewaltschutzgesetzes ...................................................................... 65
   4.11. Die Wirkungsweisen strafrechtlicher Maßnahmen
         bei Gewaltstraftaten in Paarbeziehungen – Das Strafverfahren
         und der Außergerichtliche Tatausgleich .............................................................................. 65

                                                                  3
INHALT

IV. Gewalt gegen Männer .............................................................................................................. 66

1. Ausmaß der Gewalt .................................................................................................................. 66
   1.1. Ergebnisse aus Direktbefragungen .................................................................................... 66
   1.2. Analyse von Strafanzeigen .................................................................................................. 66

2. Formen von Gewalt an Männern .............................................................................................. 67
   2.1. Physische Gewalt ................................................................................................................ 67
   2.2. Psychische Gewalt .............................................................................................................. 67
   2.3. Sexuelle Gewalt .................................................................................................................. 67

3. Ursachen: Frauen als Täterinnen – Männer als Opfer .......................................................... 67

4. Verhaltensweisen und Bewältigungsstrategien von Männern .............................................. 68
   4.1. Konsequenzen ziehen ........................................................................................................ 68
   4.2. Mobilisierung von Ressourcen ............................................................................................ 69
   4.3. Normalisierung .................................................................................................................... 69

V. Gewalt gegen alte Menschen .................................................................................................... 71

1. Formen der Gewalt an alten Menschen .................................................................................. 71

2. Soziale Situationen der Gewaltausübung .............................................................................. 71
   2.1. Gewalt im öffentlichen Raum .............................................................................................. 71
   2.2. Gewalt in Pflegeeinrichtungen ............................................................................................ 71
   2.3. Gewalt im sozialen Nahraum .............................................................................................. 72
        2.3.1. Gewalt gegen pflegebedürftige alte Menschen in der Familie

3. Das Ausmaß von Gewalt .......................................................................................................... 72

4. Ursachen und Hintergründe von Gewalt an alten Menschen .............................................. 73
   4.1. (Wechselseitige) Abhängigkeiten zwischen Opfer und TäterIn .......................................... 73
   4.2. Fehlende Distanzierungsmöglichkeit .................................................................................. 73
   4.3. Soziale Isolation und unzureichende soziale Unterstützung .............................................. 73
   4.4. Psychische und körperliche Überforderung ........................................................................ 73
   4.5. Biografische Prädispositionen und der intergenerationelle Gewaltkreislauf ...................... 74

5. Erfahrungen von ExpertInnen .................................................................................................. 74

6. Schlussfolgerungen für die Prävention von Gewalt an alten Menschen ............................ 75

                                                                      4
INHALT

VI. Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen ........................................................................ 76

1. Spezifische Formen der Gewalt an behinderten Menschen .................................................. 76
   1.1. Physische Gewalt ................................................................................................................ 76
   1.2. Psychische Gewalt .............................................................................................................. 76
   1.3. Sexuelle Gewalt .................................................................................................................. 76
   1.4. Institutionelle Gewalt .......................................................................................................... 76

2. Die Opfer .................................................................................................................................... 77

3. Die Folgen .................................................................................................................................. 77
   3.1. Die Folgen physischer Gewalt ............................................................................................ 77
   3.2. Die Folgen sexueller Gewalt .............................................................................................. 77

4. Intervention ................................................................................................................................ 77

5. TäterInnen .................................................................................................................................. 77

Ausblick .......................................................................................................................................... 78

AutorInnen und KonsulentInnen der Langfassung des Gewaltberichts ................................ 79

                                                                          5
6
EINLEITUNG

Liebe Leserinnen und Leser!

Vor Ihnen liegt die redaktionell bearbeitete Kurz-           Der vierte Abschnitt der vorliegenden Broschüre
fassung des Berichts „Gewalt in der Familie“. Auf            geht auf die bislang im deutschsprachigen Raum
rund 80 Seiten soll sie Ihnen die wichtigsten Ergeb-         wenig diskutierte Problematik der Gewalt gegen
nisse und Erkenntnisse aus der Langfassung des               Männer ein. Neben Formen, Ausmaß und Ursachen
Berichts nahe bringen und einen Überblick über die           wird auch auf Verhaltensweisen und Bewältigungs-
darin behandelten Schwerpunkte geben.                        strategien von Männern eingegangen, die Gewalt im
                                                             familiären Umfeld erfahren haben.
Beginnend mit Grundlagen, werden im ersten
Abschnitt dieser Kurzfassung die Definitionen,               Kapitel fünf und sechs widmen sich zwei weiteren
Formen, Ursachen und das Ausmaß familiärer                   Aspekten der Gewaltdebatte, mit denen eine intensi-
Gewalt erläutert.                                            vere Auseinandersetzung dringend ansteht – der
                                                             Gewalt gegen alte Menschen sowie jener gegen
Teil zwei befasst sich mit physischer, psychischer           Menschen mit Behinderungen.
und sexueller Gewalt gegen Kinder. Neben der Aus-
einandersetzung mit Tätern und Täterinnen, deren             In einem Ausblick werden schließlich, basierend auf
Motiven und Strategien geht es darin vor allem um            den Ergebnissen des Gewaltberichts, die künftig zu
die Auswirkungen der Übergriffe auf die Betroffenen.         bewältigenden Herausforderungen zum Schutz vor
Einen weiteren Schwerpunkt bilden Maßnahmen im               Gewalt in der Familie zusammengefasst.
Bereich der Prävention und Intervention, welche die
Vorbeugung und den Umgang mit der Problematik                Anders als in der Langfassung des Berichts, in der
erleichtern sollen. Gewalt unter Geschwistern, ein           die einzelnen Abschnitte nach den Auftragnehmern
Thema das in der Gewaltdebatte eher eine Rand-               gereiht sind, haben wir aus Gründen der Verein-
stellung einnimmt, wird in einem eigenen Exkurs              fachung und leichteren Lesbarkeit die Grundlagen
thematisiert.                                                zur Gewaltthematik im ersten Teil der Kurzfassung
                                                             abschnittübergreifend zusammengefasst.
Der dritte Teil dieses Kurzberichtes behandelt
Gewalt gegen Frauen. Aufgezeigt werden die Aus-              Natürlich bedeutet Kürzung auch, aus der Fülle der
wirkungen der Gewalt an Frauen, wobei u.a.                   vorhandenen Informationen eine Auswahl treffen zu
Strategien von Tätern analysiert, Kriterien für die          müssen. All jene, die mehr zu den behandelten
Einschätzung der Gefährlichkeit von Tätern                   Schwerpunkten erfahren wollen, möchten wir auf die
präsentiert und Gewalt als traumatische Erfahrung            Langfassung des Gewaltberichts verweisen, die in
dargestellt werden. Hilfseinrichtungen für Betroffene,       Fachbibliotheken zur Einsicht aufliegt und auch von
staatliche Initiativen wie etwa Campagnen gegen              der Homepage des Ressorts (www.bmsg.gv.at)
Gewalt sowie Fortbildungs- und Schulungsprojekte             heruntergeladen werden kann.
werden im Kapitel „Maßnahmen gegen Gewalt an
Frauen“ referiert. Aufgezeigt werden darüber hinaus          Die vorliegende Kurzfassung des Gewaltberichtes
Entwicklungen im nationalen und internationalen              wurde von den AutorInnen der Langfassung (sie sind
Recht zwischen 1989 und 1999. Teil drei schließt mit         im Anhang dieser Broschüre aufgeführt) autorisiert.
einem Überblick über die Forschungsprojekte zum              Wir bedanken uns sehr herzlich für die Unterstüt-
Thema, die in Österreich in den vergangenen zehn             zung und gute Kooperation.
Jahren durchgeführt worden sind.
                                                             Ihnen wünschen wir eine spannende Lektüre.

                                                             Verena Kaselitz
                                                             Lisa Lercher

                                                         7
8
I. GEWALT IN DER FAMILIE – GRUNDLAGEN

1. DEFINITIONEN VON GEWALT                                           Der Schweizer Gewaltforscher Alberto Godenzi
                                                                     erklärt das Fehlen eines einheitlichen Gewalt-
                                                                     begriffes in der Wissenschaft damit, dass Gewalt in
1. 1. Der Gewaltbegriff in der Wissenschaft                          erster Linie politisch definiert wird:
      und im internationalen Recht
                                                                       „Wer welche Handlung, welches Ereignis, welche
„Gewalt“ ist ein Begriff, der in unserer Sprache sehr                  Institution als gewalttätig definiert, hängt ent-
häufig verwendet wird. Wie aber definieren wir                         scheidend vom sozialen Ort der evaluierenden
Gewalt? Gibt es ein allgemein gültiges Verständnis,                    Person ab. Gewaltdefinitionen sind Werturteile,
das diesem Ausdruck zu Grunde liegt? Wenn wir                          auch dann, wenn die Forschenden die
von Gewalt in der Familie sprechen, meinen wir                         Bestimmung und den Bedeutungszusammenhang
dann Ohrfeigen, verbale Drohungen, abfällige                           der Gewalt den unmittelbar beteiligten Personen
Bemerkungen? Oder fängt Gewalt in der Familie erst                     überlassen.“ 2
da an, wo es zu sexuellem Missbrauch und
schwerer Körperverletzung kommt?                                     Er empfiehlt daher, in wissenschaftlichen Arbeiten
                                                                     die jeweils zu Grunde liegende Gewaltdefinition
Geht man der etymologischen Bedeutung des                            offen zu legen und damit die RezipientInnen in ihrer
Begriffs Gewalt nach, so lässt sich die indo-                        Meinungsbildung zu unterstützen.
europäische Wurzel mit „stark sein, beherrschen“
übersetzen. Im Althochdeutschen meint „waltan“                       1. 2. Gewalt in der Familie/im sozialen
bereits konkret das spezifische Merkmal eines                              Nahraum
Herrschenden.
                                                                     Nicht nur für den Begriff „Gewalt“ existiert keine all-
In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird der                   gemein gültige Definition, auch „Familie“ wird je
Standpunkt vertreten, dass es, je nach gesellschaft-                 nach gesellschaftlichem Hintergrund unterschiedlich
lichem, politischem und teils auch subjektivem Blick-                definiert. Dennoch suggeriert die häufige Verwen-
winkel verschiedene Definitionen von Gewalt gibt.                    dung dieses Terminus, es gäbe einen einheitlichen
Der schwedische Friedensforscher Galtung sorgte                      Familienbegriff. Godenzi plädiert daher für eine
1975 für die bis heute gültige umfangreichste                        Änderung der Begrifflichkeit und schlägt die For-
Begriffsklärung:                                                     mulierung „Gewalt in Familien“ vor. Er selbst bevor-
                                                                     zugt den Ausdruck „Gewalt im sozialen Nahraum“,
   „Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beein-                   wobei unter „sozialem Nahraum“ all jene Personen
   flusst werden, dass ihre aktuelle somatische und                  zu verstehen sind, die in engen/intimen Beziehun-
   geistige Verwirklichung geringer ist als ihre poten-              gen zusammen leben. Dieser Begriff berücksichtigt
   zielle Verwirklichung ... Gewalt ist das, was den                 also neben verwandtschaftlichen und ehelichen
   Abstand zwischen dem Potenziellen und dem                         Beziehungen auch Wohn- und Hausgemeinschaften
   Aktuellen vergrößert oder die Verringerung dieses                 sowie gleichgeschlechtliche Beziehungen.
   Abstandes erschwert.“ 1
                                                                     Feministische Forscherinnen kritisieren am Begriff
Galtung hat auch die für die Diskussion über Gewalt                  „Gewalt in der Familie / im sozialen Nahraum“, dass
in der Familie wesentliche Unterscheidung zwischen                   nicht ersichtlich ist, wer Täter (Täterin) ist. Sie
personeller und struktureller Gewalt eingeführt.                     plädieren für die Verwendung der Formulierungen:
Personelle Gewalt meint Gewalt zwischen zwei                         „männliche Gewalt an Frauen in der Familie“ oder
Menschen. Strukturelle Gewalt weist auf ungleiche                    „Gewalt an Frauen durch ihre Partner“.
Verhältnisse hin, die Menschen in ihrer Entwicklung
behindern oder sogar bedrohen.                                       1. 3. Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Aus diesem kurzen Abriss wird bereits deutlich, dass                 Im Rahmen der Diskussion des Problems Gewalt
kein allgemein gültiger Gewaltbegriff existiert.                     gegen Frauen und Mädchen herrscht weitgehend

1 Galtung, J.: Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 9.
2 Godenzi, A.: Gewalt im sozialen Nahraum, Basel/Frankfurt am Main 1994, S. 34.

                                                                 9
Übereinstimmung, wie diese Gewalt zu definieren                        absäumt wird, diese Rechte und Freiheiten im
ist. So heißt es in der Pekinger Erklärung und                         Falle von Gewalt gegen Frauen zu schützen und
Aktionsplattform 1995:                                                 zu fördern, betrifft alle Staaten und sollte in Angriff
                                                                       genommen werden. In allen Gesellschaften sind
   „Der Begriff ,Gewalt gegen Frauen‘ bezeichnet                       Frauen und Mädchen in unterschiedlichem Aus-
   jede Handlung geschlechtsbezogener Gewalt,                          maß und unabhängig von Einkommen, Gesell-
   die der Frau körperlichen, sexuellen oder psychi-                   schaftsschicht oder Kultur der physischen,
   schen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen                         sexuellen und psychischen Misshandlung aus-
   kann, einschließlich der Androhung derartiger                       gesetzt. Die niedrige soziale und wirtschaftliche
   Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen                     Stellung der Frau kann sowohl Ursache als auch
   Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im                    Folge der Gewalt gegen Frauen sein.“ 4
   Privatleben. Infolgedessen umfasst Gewalt gegen
   Frauen unter anderem folgende Formen:                             Hieraus wird ersichtlich, dass auch gesellschaftliche
     körperliche, sexuelle und psychische Gewalt in                  Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen
     der Familie, namentlich auch Misshandlung von                   und Mädchen als Gewalt – nämlich als strukturelle
     Frauen, sexueller Missbrauch von Mädchen im                     Gewalt – zu definieren sind. Diese lässt sich anhand
     Haushalt, Gewalt im Zusammenhang mit der                        von Berechnungen der Vereinten Nationen ver-
     Mitgift, Vergewaltigung in der Ehe, Verstüm-                    deutlichen. Etwa zwei Drittel der weltweit verrich-
     melung der weiblichen Geschlechtsorgane und                     teten Arbeit wird von Frauen geleistet; dafür erhalten
     andere traditionelle, für die Frau schädliche                   sie ein Zehntel des gesamten Einkommens und
     Praktiken, Gewalt außerhalb der Ehe und                         besitzen ein Hundertstel des Weltvermögens. 5
     Gewalt im Zusammenhang mit Ausbeutung;
     körperliche, sexuelle und psychische Gewalt in
     der Gemeinschaft, so auch Vergewaltigung,                       2. DIE FORMEN DER GEWALT
     Missbrauch, sexuelle Belästigung und Ein-
     schüchterung am Arbeitsplatz, an Bildungs-
     einrichtungen und anderswo, Frauenhandel                        Einige Forscher beschränken sich in ihren Versuchen
     und Zwangsprostitution;                                         Gewalt zu definieren schon im Ansatz auf den
     vom Staat ausgeübte oder geduldete körper-                      Singular und sprechen von einer Form der Gewalt.
     liche, sexuelle und psychische Gewalt, wo                       So erklären Gelles und Straus (USA) Gewalt als
     immer sie auftritt.“ 3                                          Handlung, die eine andere Person absichtlich
                                                                     physisch verletzt. Gewalt wird hier mit physischer
Diese Definition, die in ähnlicher Form auch in der                  Gewalt gleichgesetzt. Weiter gefasst ist der Gewalt-
Deklaration zur Eliminierung jeder Form von Gewalt                   begriff der britischen Wissenschafterin Liz Kelly. Sie
an Frauen verwendet wird, spricht nicht nur viele                    schließt in ihre Definition von Gewalt (an Frauen)
Formen der Gewalt an, sondern nennt auch alle                        auch sexuelle und psychische Gewalt ein und spricht
Bereiche, in denen es zu Menschenrechtsverlet-                       von einem „Kontinuum von Gewalt“. In ihren Studien
zungen an Frauen kommt. Gewalt (an Frauen) wird                      hat Kelly festgestellt, dass die Art und Weise, wie
in der Pekinger Aktionsplattform auch eindeutig als                  Frauen Gewalt erfahren, einen individuellen Prozess
gesellschaftliches Problem definiert, das negative                   darstellt, der vom Bewusstseinsstand der einzelnen
Auswirkungen auf die Staatengemeinschaft hat:                        Frau abhängig ist. Wird z.B. Vergewaltigung in der
                                                                     Ehe von betroffenen Frauen anfangs noch als ehe-
   „Gewalt gegen Frauen ist ein Hindernis auf dem                    liches Recht des Mannes empfunden und somit nicht
   Weg zur Verwirklichung der Ziele der Gleich-                      als Gewalt definiert, kann sich diese Sichtweise nach
   berechtigung, der Entwicklung und des Friedens.                   einiger Zeit durchaus ändern.
   Gewalt gegen Frauen verstößt gegen die                            Mittlerweile herrscht weitgehender Konsens darüber,
   Menschenrechte und Grundfreiheiten der Frau                       dass Gewalt, in diesem Fall Gewalt in der Familie /
   und beeinträchtigt oder verhindert deren Wahr-                    im sozialen Nahraum, über physische Gewalt
   nehmung. Das Problem, dass seit langem ver-                       hinausgeht. Psychische und sexuelle Gewalt stellen

3 United Nations: The Beijing Declaration and the Platform for Action, Fourth World Conference on Women Beijing, China,
  4-15 September 1995, New York 1996, S. 36.
4 a. a. O.
5 Vgl. Seager, J. /Olson, A.: Der Frauenatlas. Daten, Fakten und Informationen zur Lage der Frauen auf unserer Erde, Frankfurt am
  Main 1986.

                                                                10
ebenso wie physische Gewalt eine Verletzung der                   Haustiere, ...) wird eingesetzt, um bestimmte Ziele
körperlichen und seelischen Integrität einer Person               zu erreichen. Durch Drohungen und Angstmachen
dar, eine Verletzung der Menschenrechte und                       „erübrigt“ sich oft die Anwendung von physischer
Grundfreiheiten eines jeden Menschen, egal ob                     Gewalt, da die Angst davor bereits einschüchternd
Frau, Mann oder Kind.                                             wirkt. Diese Strategien bedeuten vor allem für
                                                                  Frauen und Kinder ein ständiges Leben in Angst.
2. 1. Physische Gewalt                                            Beschimpfungen, Abwertungen und Diffamie-
                                                                  rungen dienen der Zerstörung des Selbstwert-
Physische Gewalt kann                                             gefühls des Opfers und seiner/ihrer geistigen
1. gegen das /die Opfer,                                          Gesundheit. Mit der Zeit wird der Glaube an den
2. gegen Personen im Umfeld des Opfers,                           eigenen Wert, die Identität und die eigenen Emp-
3. gegen Sachen, aber auch                                        findungen, an Rechte oder Wahlfreiheit, zerstört.
4. gegen Tiere gerichtet sein.                                    Zu dieser Form der Gewalt gehört z.B. das
                                                                  Lächerlichmachen in der Öffentlichkeit, beleidi-
Physische Gewalt beinhaltet alle Formen von Miss-                 gende und abfällige Äußerungen. Sehr häufig
handlungen: stoßen, treten, schlagen, boxen, mit                  werden Behauptungen aufgestellt wie: die Frau sei
Gegenständen werfen, an den Haaren ziehen, mit                    verrückt oder psychisch krank, bilde sich etwas
den Fäusten prügeln, mit dem Kopf gegen die Wand                  ein, sei selbstmordgefährdet, etc. Diese Äuße-
schlagen, mit Zigaretten verbrennen, prügeln mit                  rungen werden oft benutzt, um von den eigenen
Gegenständen, Attacken mit Waffen usw. bis hin                    Taten abzulenken und die Frau „zum Problem zu
zum Mordversuch oder Mord.                                        machen“.
Zur Gewalt gegen Sachen zählt z.B. die Zerstörung
von Eigentum wie etwa das Zerschlagen von Möbeln                Frauen sind darüber hinaus besonders betroffen von
oder das Zerstören von Dingen, die für das Opfer                folgenden gewalttätigen Handlungen:
einen besonderen Wert haben.                                       Belästigung und Terror. Gemeint sind z.B.
                                                                   ständige Anrufe, Anrufe mitten in der Nacht,
Einzelne ForscherInnen unterscheiden bei physischer                Drohbriefe, Bespitzelung und Verfolgung am
Gewalt auch noch zwischen leichteren und schwere-                  Arbeitsplatz und zu Hause (im amerikanischen
ren Formen der Misshandlung. Bei den so genannten                  Raum „stalking“ genannt).
leichteren Formen handelt sich um Gewalthand-                      Ökonomische Gewalt bezieht sich auf jene
lungen, die teilweise gesellschaftlich toleriert und als           Situationen, in denen die Frau über kein eigenes
„normal“ akzeptiert werden wie Tritte und Zwicken.                 Einkommen verfügt und der Partner diese
Dazu wird von vielen auch die Ohrfeige gezählt.                    Situation ausnützt, indem er ungenügende Geld-
Schwere körperliche Misshandlungen wie Ver-                        mittel für Haushaltsangelegenheiten bereitstellt
brennungen, Schnitte, Quetschungen, usw. werden                    und/oder Einkommen, Vermögen und Ausgaben
von der Gesellschaft bei weitem weniger toleriert.                 geheim hält. Es kommt aber auch vor, dass
                                                                   Frauen ihr Einkommen abgeben müssen, bzw.
2. 2. Psychische Gewalt                                            dessen Verwendung vom Partner kontrolliert wird.

Seelische, auf emotionaler Ebene ausgeübte Gewalt               Kinder sind darüber hinaus besonders betroffen von:
ist schwerer zu identifizieren als körperliche Miss-              Ablehnung und Liebesentzug;
handlungen. Sie ist daher seltener Gegenstand der                 Missbrauch zur Befriedigung narzisstischer
Forschung und öffentlicher Diskussion. Das Spek-                  Bedürfnisse der Eltern, z.B. soll das Kind
trum psychischer Gewalthandlungen ist jedoch sehr                 Wünsche und Ideale der Eltern erfüllen oder es
umfangreich, die Narben sind meist schwerer zu                    wird als Partnerersatz herangezogen;
heilen als bei physischen Übergriffen.                            Erzeugen von Schuldgefühlen;
                                                                  Vernachlässigung (wird auch als Form von
  Isolation und soziale Gewalt zielen darauf ab,                  physischer Gewalt definiert).
  die betroffene Person zu isolieren (z.B. durch ein
  Kontaktverbot zur Familie oder zu FreundInnen,                2. 3. Sexuelle Gewalt
  das Einsperren zu Hause, das Absperren des
  Telefons usw.). Bei Kindern zählt zu diesem                   Sexuelle Gewalt umfasst alle sexuellen Handlungen,
  Bereich der Liebesentzug.                                     die der Frau bzw. dem Kind aufgedrängt oder auf-
  Drohungen, Nötigungen und Angstmachen sind                    gezwungen werden. Sexuelle Gewalt ist ein Akt der
  häufige Formen von psychischer Gewalt. Auch die               Aggression und des Machtmissbrauchs, nicht das
  Androhung, Dritte zu verletzen (Verwandte,                    Resultat unkontrollierbarer sexueller Triebe.

                                                           11
3. URSACHEN VON GEWALT                                          Wenn Lernen so einfach wäre, müsste es auch
                                                                möglich sein, destruktive Kenntnisse zu „ver-
                                                                lernen“.
3. 1. Erklärungsansätze
                                                              Stresstheorien
Die Antworten auf die Frage, warum es überhaupt zu            Diese gehen davon aus, dass Gewalt durch
Gewalt in der Familie/im sozialen Nahraum kommt,              bestimmte Formen stresshafter Belastungen aus-
sind unterschiedlich – je nach gewähltem Erklärungs-          gelöst wird. Je mehr Ereignisse oder Situationen die
modell und dem zu Grunde gelegten ideologischen               Familie belasten, desto wahrscheinlicher sind
Zugang. Im Folgenden soll ein gestraffter Überblick           Gewalthandlungen.
über die wichtigsten Erklärungsmodelle gegeben
werden.                                                       Kritik:
                                                                Frauen sind häufig noch mehr Stressfaktoren aus-
3. 1. 1. Personenzentrierte Theorien                            gesetzt als Männer, doch wenden sie weniger oft
                                                                Gewalt an.
Sie sehen die Ursachen für Gewalt in der Familie in             Es lässt sich kein einfacher Ursache-Wirkungs-
den individuellen Eigenschaften von Menschen be-                zusammenhang auf Grund von objektiven Stress-
gründet. Abweichungen, Abnormalitäten oder Defekte              faktoren ableiten.
eines Individuums gelten als Erklärung für Gewalt.
                                                              3. 1. 3. Soziostrukturelle und soziokulturelle
Psychopathologische Ansätze                                            Theorien
Gewalt in der Familie ist eine Folge von charakter-
lichen Auffälligkeiten, Persönlichkeitsstörungen und          In diesen Modellen wird die individuelle Gewalt in
Intelligenzdefiziten der TäterInnen.                          Verbindung mit sozialen Strukturen und kulturellen
                                                              Normen und Werten gesehen. Teilweise werden hier
Kritik:                                                       auch personenzentrierte und sozialpsychologische
  Es ist bisher kein überzeugender Nachweis                   Erklärungen mit einbezogen.
  erbracht worden, dass Gewalt in der Familie allein
  auf besondere Persönlichkeitsmerkmale oder Per-             Ressourcentheoretische Ansätze und Theorien
  sönlichkeitsstörungen zurück zu führen ist.                 zur Statusinkonsistenz
  Die psychopathologischen Erkenntnisse stimmen               Sie gehen davon aus, dass Individuen oder Gruppen
  nicht mit sozialwissenschaftlichen Forschungs-              bestimmte Mittel einsetzen, um individuelle oder
  resultaten überein, welche die Durchschnittlichkeit         gruppenspezifische Ziele durchzusetzen. Auf die
  der TäterInnen mehrfach nachweisen konnten.                 Familie umgelegt bedeutet dies, dass Gewalt ein
  Gewalt in der Familie ist zu weit verbreitet, um als        Mittel zur Aufrechterhaltung von Rollen und Struk-
  Folge unklarer Psychopathien und psychiatrischer            turen innerhalb der Familie ist. Zu Gewalthand-
  Krankheitsbilder betrachtet werden zu können.               lungen kommt es dann, wenn das Familienmitglied
  Diese Theorien sprechen die TäterInnen von ihrer            mit einer übergeordneten Position seine/ihre Rolle
  Verantwortung frei und lasten sie den Opfern an.            bedroht sieht, wenn sein/ihr Status in Frage gestellt
                                                              wird.
3. 1. 2. Sozialpsychologische Theorien
                                                              Kritik:
Die Ursachen für Gewalt in der Familie liegen bei               Diese Ansätze werden von feministischer Seite in
externen Faktoren, die auf die Familie und die                  Frage gestellt, da sie die wirtschaftliche und
einzelnen Mitglieder einwirken.                                 soziale Abhängigkeit von Frauen als Risikofaktor
                                                                für Gewalttätigkeit seitens des Partners übersehen.
Soziale Lerntheorien
Diese Theorien gehen davon aus, dass Menschen,                Systemtheoretische Ansätze
bedingt durch Kindheitserfahrungen, in die Anwen-             In diesen Ansätzen wird die Familie als System
dung von Gewalt eingeübt werden. Gewalttätigkeit              betrachtet, das sich durch Grenzen, die offen oder
gilt somit als erlerntes Verhalten.                           geschlossen sein können, von der Umwelt
                                                              unterscheidet. Gewalt in Familien ist ein Produkt des
Kritik:                                                       sozialen Austausches. Die Entwicklung von Gewalt
  Dieser Ansatz konzentriert sich ausschließlich auf          wird dadurch beeinflusst, wie innerhalb und/oder
  beobachtbares Verhalten und lässt die komplexe              außerhalb des Systems Familie auf Gewaltakte
  Vielfalt der menschlichen Existenz außer Acht.              reagiert wird.

                                                         12
Kritik:                                                          hohe Ängstlichkeit und Depressivität,
  Die Thesen konnten bis dato noch nicht empirisch               geringes Selbstwertgefühl,
  überprüft werden.                                              verminderte Aggressionskontrolle und
                                                                 Frustrationstoleranz,
Feministische und patriarchatskritische Ansätze                  erhöhte Stress- und Konfliktanfälligkeit wegen
In der feministischen Forschung wird die physische               mangelnder Bewältigungsmechanismen, etc.
und sexuelle Gewalttätigkeit von Männern als
brutalster und deutlichster Ausdruck patriarchaler             Dennoch bedeuten die angeführten Kriterien nicht,
Gesellschaftsstrukturen und ungleicher Machtver-               dass Menschen mit diesen Eigenschaften zwingend
hältnisse zwischen den Geschlechtern definiert. Der            zu KindesmisshandlerInnen werden, die Charakte-
Begriff Gewalt „in der Familie“ wird abgelehnt, da er          ristika erhöhen lediglich das Risiko. Zudem liegen
suggeriert, dass Gewalt von allen Familienmit-                 Untersuchungen vor, die zeigen, dass Erfahrungen
gliedern potenziell in gleicher Weise ausgeübt wird.           in der frühen Kindheit nicht langfristig prägend sind,
Nach diesem Ansatz ist Gewalt an Frauen eine vor-              wenn sie durch positive Erfahrungen im späteren
hersagbare und allgemein verbreitete Dimension des             Verlauf der Kindheit ausgeglichen werden.
normalen Familienlebens. Gewalt gegen Frauen ist
eng verbunden mit der historischen Entwicklung der             Familienbezogene Faktoren
isolierten Kernfamilie in kapitalistischen Gesellschaf-        Das Spektrum der familienbezogenen Risikofaktoren
ten, der Teilung der Gesellschaft in öffentliche und           ist sehr breit. So wurde festgestellt, dass Früh-
private Bereiche, der Entwicklung von Frauen- und              geburten und untergewichtige Kinder überpropor-
Männerrollen und der noch immer anzutreffenden                 tional oft misshandelt werden. Die möglichen
Stellung von Frauen als rechtlich und moralisch an             Gründe könnten lauten: Die Betreuung dieser Kinder
den Ehemann gebundene Personen.                                ist schwieriger als die normalgewichtiger Säuglinge.
                                                               Die häufig erforderlichen Krankenhausaufenthalte
Kritik:                                                        stören oder gefährden den Aufbau der Mutter-Kind-
  Die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten             Beziehung. Empirisch belegt konnten diese
  Jahrzehnte sind zu wenig berücksichtigt. Die                 Annahmen jedoch nicht werden.
  zunehmende Gleichstellung von Frauen, Kindern
  und Jugendlichen bleibt ausgeklammert.                       Mehrere Untersuchungen bestätigen einen
                                                               Zusammenhang zwischen Misshandlung und
3. 2. Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt                   häufigen Erkrankungen des Kindes im ersten
      an Kindern                                               Lebensjahr. Kranke Kinder schreien häufiger und
                                                               sind schwer zu beruhigen. Daraus können Gefühle
Neben den Ursachentheorien werden für den                      der Ohnmacht und Überforderung resultieren, die
Bereich „Gewalt gegen Kinder“ auch Auslöser und                mitunter in Misshandlungen münden.
Risikofaktoren für Übergriffe genannt. Zum besseren
Verständnis der Vielschichtigkeit der Problematik              Kein empirischer Beleg konnte für die These
folgt ein kurzer Überblick über diese Faktoren,                gefunden werden, dass so genannte „schwierige“
gegliedert nach Gewaltformen.                                  Kinder stärker gefährdet sind, misshandelt zu
                                                               werden. Ein Grund mag darin liegen, dass in den
3. 2. 1. Physische Gewalt an Kindern                           bisher vorliegenden Studien nur Charakter-
                                                               eigenschaften und Verhaltensmerkmale des Kindes
Personenzentrierte Faktoren                                    als Untersuchungsbasis herangezogen wurden,
Zahlreiche Studien versuchten in den letzten drei              nicht aber die Interaktion zwischen Kind und Eltern.
Jahrzehnten das Profil einer „Misshandlungsper-
sönlichkeit“ zu entwickeln – bislang ohne Erfolg. Die          Relativ gut wissenschaftlich abgesichert ist auch die
Analyse von Persönlichkeitsmerkmalen sowie von                 Annahme, dass Überforderung oder gar erziehe-
Persönlichkeitsstörungen und krankhaften Defekten              rische Unfähigkeit der Eltern ein hohes Misshand-
machte es jedoch möglich, Faktoren zu definieren,              lungsrisiko in sich birgt. Dazu kommt, dass Eltern
die ein hohes Risiko für Kindesmisshandlung dar-               ihre Kinder mit zu hohen Erwartungen belasten.
stellen. Dazu zählen:
  der Entzug der mütterlichen Zuneigung in der                 Unrealistische und unerfüllte Erwartungen der Eltern
  eigenen Kindheit,                                            sind oft mit Stress gekoppelt. Sie können auch zu
  eine durch Gewalt geprägte eigene Kindheit,                  Frustrationen und in der Folge zu gewalttätigen
  Borderline-Persönlichkeiten mit schweren Ich-Kon-            Bestrafungen der Kinder führen.
  flikten, mangelnder Ich-Entwicklung und -Identität,

                                                          13
Neben Stress zählen Krisen und Belastungen in der             körperlichen Übergriffen wenig geschützt. Im
Familie zu den Risikofaktoren für Gewalt an Kindern.          Zusammen- hang damit steht auch die Akzeptanz
Dabei kann es sich um Stress handeln, der von den             von Gewalt. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen
Kindern verursacht wird, oder um persönlichen,                daher nicht Motive der TäterInnen, sondern die
finanziellen und beruflichen Stress.                          gesellschaftlichen Voraussetzungen, die ein
                                                              gewisses Maß an Gewaltanwendung in zwischen-
Im Allgemeinen sind jüngere Kinder unter diesen               menschlichen Beziehungen tolerieren.
Voraussetzungen mehr von Gewalt betroffen als
ältere. Sie beanspruchen die Eltern, vor allem die            Integrative Ansätze
Mutter, stärker, was wiederum zu mehr Stress führen           Aus der Erkenntnis, dass keine der biologischen,
kann.                                                         psychologischen oder soziologischen Theorien eine
                                                              ausreichende Basis für die Erklärung von Gewalt
Soziale Faktoren                                              liefern konnte, entstanden die so genannten
Einige WissenschafterInnen gehen davon aus, dass              „integrativen Ansätze“. Sie beziehen ein breites
das innerfamiliäre Gewaltpotenzial durch spezi-               Spektrum möglicher Auslöser und Risikofaktoren ein.
fische, meist ungünstige gesellschaftliche Rahmen-
bedingungen, die Familien sowie einzelne Familien-            Ein Beispiel hierfür ist ein Erklärungsmodell, das
mitglieder belasten, erhöht wird. Dazu zählen                 Gewalt an Kindern als ethno-psychologische
   Stressfaktoren wie Armut, beengte Wohnverhält-             Störung definiert. Es integriert die historische,
   nisse, Arbeitslosigkeit, Isolation oder                    soziologische, psychologische sowie psycho-
   Umweltbelastungen wie Lärm, Luftverschmut-                 analytische Dimension von Gewalt und stellt Gewalt
   zung, räumliche Dichte und Beengtheit sowie                an Kindern in einen umfassenden gesellschaftlichen
   soziale Normen und Werte und                               Zusammenhang. Zu den Faktoren zählen:
   die Akzeptanz des Ausmaßes von Gewalt als                    Gesellschaftliche Strukturprobleme (Entfremdung,
   Mittel zur Konfliktaustragung.                               Konkurrenz und Isolierung bei gleichzeitigem Ver-
                                                                lust von verwandtschaftlichen und nach-
Studien, die sich mit den oben aufgezählten                     barschaftlichen Beziehungen in kapitalistischen
Belastungsfaktoren beschäftigt haben, bewerten die              Produktionsverhältnissen).
Bedeutung der einzelnen Faktoren unterschiedlich.               Eltern-Kind-Beziehungen basieren auf einer auto-
Neuere Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin,               ritären Erziehungstradition und sind geprägt von
dass die sozialen Faktoren alleine keine ausreichen-            gesellschaftlichen Abhängigkeits- und Unter-
de Erklärung für Gewalt bieten können. Nach diesen              drückungsverhältnissen.
Erkenntnissen müssen auch die personen- und                     Die Anforderungen an die Familie in punkto
familienzentrierten Faktoren berücksichtigt werden.             Kindererziehung haben enorm zugenommen, die
                                                                Chancen, die Aufgaben zu bewältigen, jedoch
Verbunden mit ungünstigen gesellschaftlichen                    abgenommen.
Strukturbedingungen ist die Gefahr der sozialen                 Eltern, die die Beziehung zur eigenen Mutter als
Isolation, ein Problem, das gerade in Krisensitua-              wenig liebevoll erfahren haben, können in Krisen-
tionen Stress verstärkt. Soziale Isolation scheint vor          situation dazu neigen, Gewalt als Konfliktlösungs-
allem bei der Vernachlässigung von Kindern eine                 möglichkeit einzusetzen.
große Rolle zu spielen. Es hat sich jedoch gezeigt,
dass das bloße Vorhandensein von informellen                  Ein weiterer integrativer Erklärungsansatz unter-
(Familie, FreundInnen) und professionellen Unter-             streicht die wechselseitige Beeinflussung von
stützungssystemen (Behörden und Sozialein-                    Menschen und ihrer Umwelt. Kernaussage ist, dass
richtungen) nicht ausreicht, um die Gefahr der                Gewalt an Kindern kein familieninternes Problem,
sozialen Isolation abzuwenden – entscheidend ist              sondern Indiz für einen Mangel an Ressourcen ist.
die Qualität der Unterstützung.
                                                              3. 2. 2. Psychische Gewalt an Kindern
Ähnlich dem feministischen Ansatz lässt sich Gewalt
gegen Kinder auch mit den modernen kapitalisti-               Es liegen kaum wissenschaftliche Arbeiten zum
schen Gesellschaften innewohnenden strukturellen              Thema psychische Gewalt an Kindern vor. Ein
Faktoren erklären. Die Familie ist demnach durch              Grund dafür mag sein, dass seelische Verletzungen
ihre hierarchische Struktur und Ungleichverteilung            nur schwer nachzuweisen sind. Die Grenzen
von Macht und Ressourcen ein Abbild der struktu-              zwischen gesellschaftlich akzeptiertem Erziehungs-
rellen Gewalt in der Gesellschaft. Kinder sind ver-           verhalten und psychischer Gewalt sind fließend.
gleichsweise machtlos, benachteiligt und vor                  Einer der wenigen verfügbaren Erklärungsansätze

                                                         14
sieht psychische Gewalt als Ausdruck des Macht-                           nahmen der sozialen Lerntheorie könnte daher
kampfes zwischen Erwachsenen und Kindern.                                 von einer „Weitergabe“ gewalttätigen Verhaltens
Dieser Machtkampf beruht auf der Einstellung, dass                        von Generation zu Generation gesprochen
das Kind vom Erwachsenen nur zu lernen und sich                           werden. Allerdings gilt dieser Zusammenhang nur
ihm anzupassen hat. Als Formen psychischer                                für männliche Täter; Frauen, die in der Kindheit
Gewalt werden verächtliche Behandlung, Zwang zu                           Gewalt erlebt bzw. beobachtet haben, sind
demütigender und Ekel erregender Tätigkeit, das                           dagegen stark gefährdet, selbst Opfer eines
Einjagen von Furcht und Schrecken sowie das                               gewalttätigen Partners zu werden.
Verbot des Umgangs mit anderen Kindern genannt.                           Gewalt in der Schwangerschaft /
                                                                          Gewalt gegen Frau und Kind
3. 2. 3. Sexuelle Gewalt an Kindern                                       Schwangerschaft schützt eine Frau nicht vor
                                                                          Gewalt, sondern erhöht das Risiko, misshandelt
Erst im letzten Jahrzehnt wurde das Schweigen über                        zu werden. Nach Campbell u.a. liegen die Gründe
sexuelle Gewalt an Kindern gebrochen (siehe auch                          in Motiven wie: Eifersucht des Mannes, sexuelle
„Medienberichterstattung über Gewalt“). Wie auch                          Unzufriedenheit, größere Verletzlichkeit und Wehr-
bei den anderen Formen von Gewalt liegen verschie-                        losigkeit der Frau, Aggression gegen das Kind
dene Modelle zur Erklärung der Ursachen vor, wobei                        bzw. der Versuch, durch Gewalt einen Abortus
Ansätze, die sexuelle Gewaltakte an Kindern per-                          herbeizuführen.7
sonen- oder familienzentriert erklären, mittlerweile als                  Alkohol
nicht ausreichend angesehen werden. So konnten                            Die Ergebnisse der Forschung erlauben es nicht,
empirische Studien kein einheitliches TäterInnenprofil                    einen direkten Zusammenhang zwischen Gewalt
feststellen (Herkunft, soziale Schicht, Randgruppe).                      und Alkoholkonsum herzustellen. Alkoholmiss-
Es scheint daher notwendig, auch das Vorkommen                            brauch ist ein möglicher Auslöser, aber nicht
sexueller Gewalt im gesamtgesellschaftlichen Zu-                          Ursache von Gewalt.
sammenhang zu betrachten und die geschlechts-                             Sozioökonomische Faktoren
spezifischen Faktoren mit in die Analyse einzu-                           Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass
beziehen. Integrative Theorien, die mehrere Faktoren                      Gewalt in Familien vor allem in ökonomisch ärme-
für sexuelle Gewalt verantwortlich machen, haben in                       ren Schichten anzutreffen ist, kann die Forschung
den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen.                                 keinerlei Bestätigung dieser Hypothese liefern.
                                                                          Die Ergebnisse von Studien weisen lediglich
3. 3. Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt                              darauf hin, dass die sozioökonomische Schicht
      an Frauen in Familien                                               eine Rolle spielt, ob Anzeige erstattet wird oder
                                                                          nicht. Betroffene aus höheren Einkommens- und
Abgesehen von den bestehenden Machtstrukturen,                            Bildungsschichten wenden sich seltener an Hilfs-
die in erster Linie für Gewalt an Frauen verantwort-                      einrichtungen als jene aus niedrigeren Schichten.
lich sind, begünstigen folgende weitere Faktoren                          Gibt es aber eine Statusdifferenz innerhalb der
Gewalt gegen Frauen:                                                      Partnerschaft, dann wird diese Ungleichheit zum
   Alter                                                                  Risikofaktor.
   Jüngere Frauen sind häufiger Opfer von Gewalt
   als ältere. Frauen unter 30 werden nach Straus                       Konflikte als Auslöser von Gewalt
   u.a. doppelt so häufig geschlagen wie Frauen                         Den meisten Gewalttaten gegen Frauen gehen Kon-
   über 30.6 Allerdings sollte bei diesen Zahlen                        flikte voraus, die das Alltagsleben betreffen:
   berücksichtigt werden, dass ältere Menschen sich                         Besitzansprüche des Mannes,
   seltener an Hilfseinrichtungen wenden und die                            Eifersucht,
   Dunkelziffer daher sehr groß sein könnte.                               Anspruch auf Dominanz, Macht und Kontrolle ver-
   Gewalt in Herkunftsfamilien                                             bunden mit „Bestrafung“ der Frau,
   Zahlreiche Forschungen scheinen zu bestätigen,                          Erwartungen bzw. Uneinigkeit bezüglich der Haus-
   dass zwischen erlebter bzw. beobachteter Gewalt                         arbeit und finanzieller Ressourcen,
   in der Kindheit und späterer Gewaltausübung ein                          Erziehung und Betreuung der Kinder,
   Zusammenhang besteht. Basierend auf den An-                              sexuelle Ansprüche.

6 Vgl. Straus, M./Gelles, R. (Hg.): Physical violence in American families: Risk factors and adaptations to violence in 8.145 families,
  New Brunswick 1990.
7 Vgl. Campbell, J./Poland, M./Walder, J./Ager, J.: Correlates of battering during pregnancy. In: Research in Nursing and Health, 15
  (3), 1992, S. 219-266.

                                                                   15
4. AUSMASS VON GEWALT                                                    Eine weitere Untersuchung aus dem Jahr 1994
                                                                         über Ausmaß und Ursachen körperlicher Gewalt
                                                                         brachte zu Tage, dass 85% aller Mädchen und
Die Basis für Aussagen zum Ausmaß von Gewalt-                            90,5% aller Jungen zwischen 10 und 15 Jahren
anwendung gegen Personen bilden einerseits                               bereits irgend eine Form der Gewalt durch ihre
amtliche Statistiken, die jedoch nur einen Ausschnitt                    Eltern erlebt haben.9
der Realität familiärer Gewalt abbilden (s.u.).                          Bei einer Befragung von Studierenden der Univer-
Andererseits werden Studien herangezogen, die                            sität Innsbruck stellte sich heraus, dass 36% der
entweder auf Erhebungen beruhen oder auf Grund-                          Studentinnen und 19% der Studenten vor ihrem
lage der vorhandenen Statistiken Dunkelziffern                           18. Lebensjahr sexuelle Gewalt in und/oder außer-
errechnen.                                                               halb der Familie erfahren haben.10
Diese Dunkelziffern werden im Allgemeinen als
relativ hoch angegeben, weil davon ausgegangen                         Geschlecht, Alter, sozialer und familiärer Hinter-
wird, dass nur ein geringer Anteil der tatsächlich ver-                grund
übten Übergriffe zur Anzeige gelangt – z.B. weil die                     In einer Studie aus dem Jahr 1998 wurde fest-
Opfer zu jung sind, um sich mitzuteilen; unter Druck                     gestellt, dass Knaben bis zum 11. Lebensjahr
gesetzt werden und deshalb schweigen; Buben sich                         deutlich häufiger Opfer körperlicher Übergriffe
zumeist schwerer tun, sich um Hilfe nach außen zu                        werden als Mädchen. Ab dem 11. Lebensjahr
wenden. Obwohl diese Begründungen von vielen                             nehmen die gewalttätigen Handlungen an Jungen
ExpertInnen geteilt werden, lehnen einige                                stark ab, an Mädchen hingegen zu. Was sexuelle
WissenschafterInnen die Errechnung von                                   Gewalt anbelangt, zeigt die Studie, dass die Zahl
Dunkelziffern ab. Sie argumentieren, dass die                            der weiblichen Opfer viermal höher ist als jene der
kolportierten Zahlen eine Scheingenauigkeit                              männlichen.11
suggerieren und darüber hinaus vielfach die metho-                       Basierend auf einer österreichischen Studie kann
dische Transparenz über ihr Zustandekommen fehlt.                        davon ausgegangen werden, dass die Häufigkeit
                                                                         von Gewaltanwendung durch die Eltern mit
4. 1. Das Ausmaß von Gewalt an Kindern                                   steigendem Alter des Kindes sinkt. Die meisten
                                                                         gewalttätigen Übergriffe erfolgen auf Kinder, die
Die nachfolgenden Zahlen aus Forschungsarbeiten                          jünger als sechs Jahre sind.12
und Statistiken geben einen Einblick über das                            Mindestens 60% der von sexueller Gewalt
Ausmaß der Gewalt an Kindern.                                            betroffenen Kinder werden bereits vor der
                                                                         Pubertät missbraucht. Am meisten betroffen ist die
4. 1. 1. Zahlen aus der Forschung                                        Altersgruppe zwischen zehn und elf Jahren.13
                                                                         Die meisten ForscherInnen stimmen darin überein,
  1994 wurden von MedizinerInnen 622 Fälle von                           dass (vor allem sexuelle) Gewalt gegen Kinder in
  physischer und 259 Fälle von sexueller Gewalt an                       der Familie in allen sozialen Schichten
  Kindern in Österreich diagnostiziert. Es muss                          gleichermaßen vorkommt.
  jedoch von einer wesentlich höheren Zahl der                           Für Kinder, die mit zwei bis vier Geschwistern
  tatsächlichen Misshandlungsfälle ausgegangen                           aufwachsen, besteht das größte Risiko, von ihren
  werden, da nicht alle misshandelten Kinder zu                          Eltern misshandelt zu werden.14 In sehr großen
  ÄrztInnen gebracht werden, bzw. die Kinder nicht                       Familien sinkt dagegen das Ausmaß der körper-
  immer als Opfer familiärer Gewalt erkannt                              lichen Gewaltanwendung.15
  werden.8

8 Vgl. Wimmer-Puchinger, R./Lackner, R.: Sexueller Mißbrauch in Kindheit und Jugend und seine gynäkologischen und sexuellen
  Kurz- und Langzeitfolgen. Wien 1997.
9 Vgl. Habermehl, A.: Gewalt in der Familie. Ausmaß und Ursachen körperlicher Gewalt. Hamburg 1994.
10 Vgl. Kinzl, J. F./Schett, P./Wanko, K./Biebl, W.: Langzeitfolgen sexueller Mißbrauchserfahrungen bei einer nichtklinischen Gruppe.
   In: Psychologie in der Medizin, 4, o. O., 1992, S. 13-17.
11 Vgl. Haller, M./Höllinger, F./Pinter, A./Rainer, B.: Gewalt in der Familie. Graz 1998.
12 Vgl. Habermehl, A.: Gewalt in der Familie. Ausmaß und Ursachen körperlicher Gewalt. Hamburg 1994.
13 Vgl. Brockhaus, U./Kolshorn, M.: Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen: Mythen, Fakten, Theorien. Frankfurt/Main;
   New York 1993.
14 Vgl. Gil, D. G.: Unraveling Child Abuse. In: American Journal of Orthopsychiatry, 45(5), 1975, S. 346-356.
15 Vgl. Ziegler, F.: Kinder als Opfer von Gewalt: Ursachen und Interventionsmöglichkeiten. Freiburg 1994.

                                                                  16
Sie können auch lesen