Gewalt(frei) Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen - Eine kostenlose Informationsbroschüre der INTERNATIONAL ...

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Gewalt(frei) Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen - Eine kostenlose Informationsbroschüre der INTERNATIONAL ...
gewalt(frei)
Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen

Eine kostenlose Informationsbroschüre der
INTERNATIONAL POLICE ASSOCIATION (IPA), ÖSTERREICHISCHE SEKTION
                                                                           www.ipa.at
Gewalt(frei) Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen - Eine kostenlose Informationsbroschüre der INTERNATIONAL ...
gewalt(frei)
Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen

Eine kostenlose Informationsbroschüre der
INTERNATIONAL POLICE ASSOCIATION (IPA)
ÖSTERREICHISCHE SEKTION                                                                    www.ipa.at

Diese Aufklärungsbroschüre wurde in Zusammenarbeit mit dem Gewaltschutzzentrum Salz-
burg erstellt und dient der präventiven Aufklärung. Sie soll vorbeugen, sensibilisieren und
ist gleichzeitig als Hilfsmittel für all jene gedacht, die bereits Opfer von Gewaltausübung
geworden sind.

Produktion und kostenlose Verteilung dieses Druckwerks wurden durch die inserierenden
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Ihre Unterstützung – setzen wir uns gemeinsam für eine gewaltfreie Zukunft ein!

Alle in dieser Drucksorte personenbezogen verwendeten Ausdrücke beziehen sich immer
auf alle Geschlechter gleichermaßen.

                                                                           Ausgabe: 02-10/5555 – Wien – hh

 Impressum
 Herausgeber: International Police Association (IPA), Österreichische Sektion
              1010 Wien · Schottenring 16 · Tel.: +43 (0)699 180 35 975
              E-Mail: austria@ipa.at · www.ipa.at
              Redaktion: Mag. (FH) Anna-Susanne Paar
 		                       neu überarbeitete Auflage

 Verlag:        IPA Verlagsgesellschaft m.b.H.
                8073 Feldkirchen bei Graz, Gmeinergasse 1–3
                Tel.: +43 (0)316/29 51 05-0, Fax: +43 (0)316/29 51 05-43
                E-Mail: office@ipa-verlag.at · www.ipa-verlag.at
                Geschäftsführung: Mario Schulz
                Assistentin der Geschäftsführung: Roswitha Schwab
                Produktionsleitung: Helmut Hierzegger
                Leitung der Anzeigenabteilung: Carina Winkler

 Druck:         Dorrong – Graz

    Jeder Abdruck der in dieser Broschüre befindlichen Werbung ist strengstens untersagt!

gewalt(frei)                                                                                          2
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INHALT

Vorwort
   Martin Hoffmann – Präsident der IPA Österreich......................................................................4
   General Mag. Andreas Holzer, MA – Direktor des Bundeskriminalamt...............................5
   Christian Voggenberger – Leitung Landeskriminalamt Salzburg..........................................6
   DSA Renée Mader – Gewaltschutzzentrum Salzburg..............................................................7
   Elke Strohmeyer – Landesgruppenobfrau Steiermark.............................................................8
   Friedrich Steif – Landesgruppenobmann Niederösterreich...................................................9
   Konrad Luckenberger – Landesgruppenobmann Burgenland...........................................10
   Michael Güttner – Landesgruppenobmann Wien..................................................................11
   Kurt Walker – Landesgruppenobmann Salzburg....................................................................12
   Karel Müler-Peron – Landesgruppenobmann Vorarlberg....................................................13
   Dr. Peter Kern – Landesgruppenobmann Tirol........................................................................14
   Dr. Wolfgang Gabrutsch, BA, MBA, MBA – Landesgruppenobmann Kärnten	���������������15
Allmacht Gewalt
   Gewalt bricht Normen....................................................................................................................16
   Gewalt fasziniert..............................................................................................................................18
   Du gehörst mir.................................................................................................................................19
Täter und Opfer
   Die Mama, der Papa und das Kind.............................................................................................22
   Fass mich nicht an...........................................................................................................................25
   Ich brauche dich – warum quälst du mich?..............................................................................29
   Du tust mir weh!...............................................................................................................................31
Digitalisierte Gewalt
   Internet – Spielwiese oder Tatort?..............................................................................................35
   Cybermobbing – digital, anonym und brutal...........................................................................38
Prävention
   Sofort gegen Gewalt!.....................................................................................................................40
   Gewalt – oder nicht?......................................................................................................................41
   Gewaltschutz – das Gesetz gegen Gewalt..............................................................................42
   Gewaltschutzzentren......................................................................................................................44
   Kinderschutz.....................................................................................................................................46
   Kärnten – gegen Gewalt...............................................................................................................47
   Niederösterreich – gegen Gewalt..............................................................................................50
   Salzburg – gegen Gewalt.............................................................................................................52
   Burgenland – gegen Gewalt........................................................................................................55
   Steiermark – gegen Gewalt..........................................................................................................56
   Wien – gegen Gewalt....................................................................................................................57
   Oberösterreich – gegen Gewalt.................................................................................................58
   Tirol – gegen Gewalt......................................................................................................................59
   Vorarlberg – gegen Gewalt..........................................................................................................60
   ifs Opferschutz.....................................................................................................................             61

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VORWORT

Das Wort Gewalt begleitet uns im täglichen      Als International Police Association,
Leben auf Schritt und Tritt. In den Nachrich-   eine unabhängige und unpolitische Exe­
ten wird über gewaltsame Auseinanderset-        kutivvereinigung, treten wir gegen jegli-
zungen berichtet. Filme ohne gewalttätige       che Gewalt auf. Dabei ist es für uns uner-
Szenen gehören zur Ausnahme.                    heblich, von wem, wo und wogegen sich
                                                die Gewalt richtet.
Körperliche Gewalt erleben zum Glück nur
die wenigsten von uns am eigenen Leib –         Mit dieser Broschüre bieten wir Ihnen eine
aber jeder aggressive Akt ist einer zu viel.    Grundlage zum Nachdenken, zur Steigerung
Wir dürfen aber nicht auf die anderen For-      der Aufmerksamkeit in Ihrem Umfeld, und
men von Gewalt vergessen, die in vielfälti-     sie soll Ihnen auch als Ratgeber dienen. Ge-
ger Art und Weise eingesetzt werden – z. B.     walt hat in unserem Alltag Einzug gehalten –
verbale Attacken oder Mobbing. Die meis-        daher ist es unsere gemeinsame Verpflich-
ten dieser „Gewaltausbrüche“ geschehen          tung, mit der erforderlichen Zivilcourage da-
im Geheimen und die Öffentlichkeit erfährt      gegenzuhalten.
nie etwas davon. Denken Sie nur an Gewalt
in den Familien in all ihren Facetten.          Für Anregungen oder Fragen wenden Sie
                                                sich bitte an: feedback@ipa.at

                                                                     Martin Hoffmann

                                  Präsident der International Police Association (IPA)
                                                             Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                             4
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VORWORT

„Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und    konsequente Vorbeugung, Verhinderung und
Sicherheit der Person“. Als Garant der Men-     Aufklärung von strafbaren Handlungen, und
schenrechte obliegt es den Sicherheitsbehör-    präventiv – nach dem Motto „Die zu bevor-
den und deren Organen das in Artikel 3 der      zugende Gewalttat ist die, die nicht passiert“.
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
verankerte Grundrecht auf Schutz vor Gewalt     Mit Gewaltprävention an sich kann nie früh
zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.    genug begonnen werden und so stellt die
                                                Präventionsarbeit mit Jugendlichen eine
Gewalt hat viele Gesichter, dazu gehören ne-    Hauptsäule bei den Vorbeugungsmaßnah-
ben der Verletzung der körperlichen Unver-      men zur Verhinderung von Kriminalität dar.
sehrtheit bis hin zum Mord auch Beleidigun-
gen, Beschimpfungen, Vernachlässigung, Ein-     In speziell auf das Lebensalter der Kinder
schüchterungen, Ausgrenzung, Drohungen,         und Jugendlichen abgestimmten interakti-
Demütigungen etc., aber auch physische Ge-      ven Workshops begleiten die Kriminalprä-
walt an Gegenständen durch Sachbeschädi-        ventionsbeamten der Polizei die Schülerin-
gung und Diebstahl bis hin zum Vandalismus      nen und Schüler und unterstützen die Ju-
zählen dazu. Diese Gewalt begegnet uns im-      gendlichen bei der Reduzierung ihrer eige-
mer wieder im täglichen Leben, sei es durch     nen Risikofaktoren und beim Aufbau persön-
Gewalt im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz    licher Schutzfaktoren.
oder auch in der Privatsphäre.
                                                Somit nimmt die Polizei ihren rechtlichen,
Um Gewaltschutz in der Praxis wirksam           aber auch gesamtgesellschaftlichen Auftrag
um- und durchzusetzen, verfolgt die Poli-       wahr und leistet einen wichtigen Beitrag für
zei einen doppelten Ansatz: repressiv, durch    die Sicherheit in Österreich.

                                               General Mag. Andreas Holzer, MA

                                                     Direktor des Bundeskriminalamtes

gewalt(frei)                                                                               5
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VORWORT

Gewalt begleitet uns unser ganzes Leben        und Nachbarn wegschauen, verschlimmern
und es wird immer gewaltbereite und tat-       sie nur die Situation der Opfer, da diese al-
sächlich gewalttätige Menschen geben. Be-      leingelassen werden. Aufklärung und Infor-
kämpfen kann man das einerseits durch re-      mation sind oftmals die einzige Möglichkeit
pressive Maßnahmen und durch den Aus-          für die Opfer, sich mithilfe diverser Organisa-
spruch von drakonischen Strafen. Man kann      tionen von ihren Peinigern zu lösen.
aber auch schwere Gewalttäter meist nicht
auf Dauer wegsperren, um die Opfer vor die-    Andererseits können auch täterbezogene
sen zu schützen. Aus diesem Grund muss         Präventionsmaßnahmen, beispielsweise Ent-
man die Gesellschaft zum Hinschauen bewe-      wöhnungstherapien bei suchtkranken Ge-
gen und dahin gehend sensibilisieren.          walttätern, überaus erfolgreich sein. Inten-
                                               sive und eindringliche Gespräche mit Ge-
Opfer von Gewalt, vor allem im privaten und    walttätern durch geschulte Präventionsbe-
familiären Bereich, befinden sich oftmals in   amte führen nicht selten zum Erfolg.
einem Abhängigkeitsverhältnis, das es ih-
nen subjektiv unmöglich macht, andere Men-     Auf lange Sicht gesehen sollte die Prävention
schen um Hilfe zu bitten. Wenn Angehörige      repressiven Maßnahmen vorgezogen werden.

                                                           Christian Voggenberger

                                                 Leitung Landeskriminalamt Salzburg

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VORWORT

Der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder     1. Gewalt in der Familie ist kriminelles Unrecht
ist die eigene Familie – eine provokante und    2. Staatliche Verantwortung auch für Gewalt
erschreckende Feststellung.                        in der Privatsphäre
                                                3. Sofortige Sanktionen gegen Täter! Sie müs-
In dem Ministerratsvortrag 1996 führt Dr. Al-      sen gehen, nicht die Opfer müssen flüchten
bin Dearing, damaliger Leiter der Rechts-       4. Schutz und Sicherheit für Opfer ohne
abteilung des Bundesministeriums für In-           Schuldzuweisung
neres, dazu aus: Es gibt keinen anderen         5. Zusammenarbeit aller staatlichen Einrich-
gesellschaftlichen Bereich in Mitteleuropa,        tungen und Behörden unter Einbindung
in dem die Sicherheit von Frauen und Kin-          der beauftragten Interventionsstellen
dern so wenig gewährleistet ist wie in der      6. Gesamtgesellschaftliche Verantwortung
eigenen Familie.                                   gegen Gewalt in der Familie zu handeln

Mit 1. Mai 1997 wurde das 1. Gewaltschutz-      Damit wurde diese Ebene von Gewalt aus ei-
gesetz in Österreich eingeführt. Damit wurde    nem stark tabuisierten Bereich in die breite
ein Paradigmenwechsel im Handeln gegen          Öffentlichkeit gebracht, wobei Österreich in
Gewalt in der Familie eingeleitet. Nicht nur    Europa die Vorreiterrolle einnahm.
wurden durch dieses Gesetz effektive recht-
liche Maßnahmen geschaffen, um für Betrof-      Vieles wurde in den letzten 24 Jahren wei-
fene in der akuten Gefährdungssituation so-     terentwickelt und verbessert. Und trotzdem
fortigen Schutz und längerfristige Sicherheit   müssen wir nach wie vor weitere Entwick-
zu gewährleisten, sondern vielmehr zielte       lungen vorantreiben, um immer wieder ein
dieses Gesetz auf einen prinzipiellen Be-       klares „NEIN“ zu Gewalt in der Privatsphäre
wusstseinswandel ab:                            nachhaltig zu errichten.

                                                                    DSA Renée Mader

                                   Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum Salzburg

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VORWORT

„Die Gewalt ist die Waffe des Schwachen.“       Diese Broschüre soll für die Opfer eine Mög-
(Mahatma Gandhi)                                lichkeit bieten, passende Einrichtungen zum
                                                Schutz und zur Beratung zu finden. Sie soll
Wer will schon als schwach bezeichnet wer-      Erziehern und Verwandten die Augen öff-
den? Und doch kommt Gewalt Tag für Tag im       nen, um die vielen kleinen Hinweise auf Ge-
öffentlichen Leben, im schulischen sowie pri-   walt in der Schule/im Kindergarten, aber vor
vaten Bereich ständig vor.                      allem im privaten Bereich zu erkennen und
                                                dementsprechend handeln zu können. Am
In unserem Beruf als Polizisten und Justiz-     wünschenswertesten wäre es aber, wenn
wachebeamte steht Gewalt an der Tages-          diese Information den Tätern die Augen öff-
ordnung. Zum Glück werden immer bessere         net und sie ebenfalls Hilfe in Anspruch neh-
Gesetze sowie Einrichtungen geschaffen, die     men würden, um dem ständigen Kreislauf
dem Schutz der Opfer dienen.                    ein Ende zu setzen.

                                                                     Elke Strohmeyer

                                                     Landesgruppenobfrau Steiermark
                                                  International Police Association (IPA)
                                                               Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                             8
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VORWORT

Leider ist Gewalt zu einem Begriff des täg-       Eine erfolgreiche Gewaltprävention ist von
lichen Lebens geworden. Gewalt in der Fa-         mehreren Bedingungen abhängig: der Defi-
milie, Gewalt gegen Frauen und sogar in der       nition und dem Verständnis von Gewalt, ihren
Schule, bis hin zu kriegerischen Auseinan-        Mustern und Entwicklungsmechanismen, der
dersetzungen und Terroranschlägen täglich         Präsenz des Problems der Gewalt als einer zu
geliefert durch die Medien. Wenigstens in         lösenden Aufgabe im öffentlichen Raum der
unserem überschaubaren Umfeld sollen wir          Kooperationsbereitschaft der Gesellschaft.
versuchen dem entgegenzuwirken und, wo
wir es vermögen, auch präventiv zu wirken.        Ein Weg der Gewaltprävention ist die Abschre-
                                                  ckung durch eine stärkere Kontrolle öffentli-
Dass Gewalt nicht selbstverständlich und ein      cher Räume. Dafür werden Überwachungs-
Kulturprodukt ist, muss erlernt werden. Auch      kameras und Polizeistreifen eingesetzt. Aber
nicht zu vergessen die sehr subtile, nicht kör-   auch im kleinen Rahmen wie der Familie,
perliche Gewalt, das sogenannte Mobbing.          Schule, Arbeitsstelle können wir selbst et-
Auch das kann bis zum Suizid führen.              was tun, indem wir Gewalt als solche wahr-
                                                  nehmen und nicht wegschauen.

                                                                           Friedrich Steif

                                              Landesgruppenobmann Niederösterreich
                                                  International Police Association (IPA)
                                                               Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                               9
Gewalt(frei) Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen - Eine kostenlose Informationsbroschüre der INTERNATIONAL ...
VORWORT

Gewalt tritt im täglichen Leben in allen Al-   es nicht wahrhaben oder schämen sich. Sie
tersgruppen und Gesellschaftsschichten         haben Angst und wissen auch oft nicht an
auf. Seien es körperliche Gewalt, sexuelle     wen sie sich wenden können um Hilfe zu
Übergriffe, Vernachlässigung oder psychi-      bekommen.
scher Terror, wobei Schaden an Körper und
Seele verursacht wird. Dementsprechend         Wir von der International Police Association
sind auch die Anzeichen von Gewalt vielfäl-    sind gegen jede Art von Gewalt. Die vorlie-
tig. Diese sind bei den verschiedenen Ge-      gende Broschüre soll Ihnen Hilfe und Weg-
waltformen oft schwer zu erkennen.             weiser sein im Erkennen von Gewalt, wo
                                               auch immer sie als solche wahrnehmbar ist.
Hier bedarf es besonderer Aufmerksamkeit,      Wo kann ich mir Hilfe holen und wer ist meine
erkennbare Veränderungen bei Bekannten,        Ansprechstelle, wenn ich selbst oder jemand
insbesondere bei Kindern, wahrzunehmen         anders Opfer von Gewalt wird?
und rechtzeitig helfen zu können. Sie wollen

                                                             Konrad Luckenberger

                                                 Landesgruppenobmann Burgenland
                                                 International Police Association (IPA)
                                                              Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                            10
VORWORT

Sie halten die aktuellste Ausgabe unserer        Die Gewalt hat viele Gesichter – dieser oft
Infobroschüre „gewalt(frei)“ in Händen. In       zitierte Ausspruch kommt der Wahrheit sehr
den zahlreichen Fachartikeln wird über die       nahe. Jeder von uns hat schon Gewalt ak-
vielfältigen Erscheinungsformen von Gewalt       tiv oder passiv erlebt und es gilt, dieser Ge-
ausführlich informiert. Behandelt werden         walt im Privatbereich offen und entschlos-
Fragen wie: Wie und wo entsteht Gewalt?          sen entgegenzutreten.
Welche Ursachen hat sie und welche Mög-
lichkeiten der Deeskalation gibt es? Die viel-   Im Anhang gibt Ihnen die Broschüre noch ei-
fältigen Formen der Gewalt werden detail-        nen detaillierten Überblick über die vielfälti-
liert beschrieben und Gegenmaßnahmen             gen Möglichkeiten der Information und Be-
vorgestellt und erläutert. Der Fokus liegt       ratung in Wien. Hier sind alle Gewaltschutz-
dabei auf der Gewalt im privaten Bereich         zentren, Interventionsstellen, Frauenhäuser
und der Bogen spannt sich von der Gewalt         und Notrufe übersichtlich gelistet und rasch
in der Familie, über sexuelle Gewalt bis hin     auffindbar. Scheuen Sie sich nicht, professio-
zum Cybermobbing.                                nelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

                                                                        Michael Güttner

                                                          Landesgruppenobmann Wien
                                                   International Police Association (IPA)
                                                                Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                                11
VORWORT

Gewalt hat viele Gesichter und wir begegnen       Menschen, Tieren und auch an Sachen aus,
ihr leider nur zu oft. Nicht erst bei körperli-   unabhängig von Alter, Bildung und sozialer
chen Attacken, vielleicht verbunden mit Ver-      Stellung.
letzungen oder gar Schlimmerem, beginnt
Gewalt, dort ist sie bereits eskaliert.           Kriminalitätsvorbeugung im Bereich der Ge-
                                                  walt ist aber möglich in Form von Aufmerk-
Gewalt entsteht nicht von heute auf morgen,       samkeit, im Hinschauen, im Helfen oder
sie hat Geschichte und wird von uns Men-          im Hilfe-Holen. Untersuchungen haben er-
schen selbst geschrieben. In der Aufmerk-         schreckende Ergebnisse gebracht, wie wir in
samkeit oder beim Wegsehen bei Gewaltta-          der zivilisierten Gesellschaft „wegschauen“.
ten. Im Helfen oder Im-Stich-Lassen. In der       Trauen wir uns Zivilcourage zu und schauen
Vorbildwirkung der Erwachsenen gegenüber          wir nicht einfach weg!
den Jugendlichen und Kindern und in der
verbalen Auseinandersetzung.                      Die vorliegende Broschüre „gewalt(frei)“ soll
                                                  den Betroffenen das Gefühl vermitteln, dass
Wir reden und diskutieren über einzelne For-      man der Gewalt nicht hoffnungslos ausgelie-
men von Gewalt, ohne die Hintergründe zu          fert ist, sondern dass man sich vertrauensvoll
beleuchten, und pauschalieren Gruppen zu          an die Polizei oder die zuständigen Behör-
Tätern, weil dies leichter als eine hintergrün-   den und Einrichtungen wenden kann.
dige Analyse ist. Gewalt üben Menschen an

                                                                               Kurt Walker

                                                       Landesgruppenobmann Salzburg
                                                    International Police Association (IPA)
                                                                 Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                                12
VORWORT

Gewalt ist gesellschaftlich vorhanden und         Deswegen ist es von großer Wichtigkeit,
entsteht nicht etwa im Kindergarten oder in       dass Kinder und Jugendliche durch ge-
der Schule. Sie spiegelt sich in den verschie-    zielte Präventionsmaßnahmen lernen, wie
densten Bereichen wider und hat für jeden         andere Konfliktlösungsmöglichkeiten abseits
ein anderes Gesicht.                              der Gewalt funktionieren und eingesetzt wer-
                                                  den können.
Täglich werden wir von den Medien, wie z. B.
über das Radio, Fernsehen oder Zeitschriften      Die Informationsbroschüre der Internatio-
mit Gewalt in allen Formen konfrontiert. Auch     nal Police Association „gewalt(frei)“ zeigt
in Zeichentrickfilmen für Kinder, wie z. B. bei   die verschiedenen Formen von Gewalt auf.
Tom und Jerry, wird körperliche Gewalt ver-       Sie kann ein Ratgeber, aber auch gleichzei-
harmlost und somit unseren Kleinsten ein fal-     tig eine Art Hilfestellung für die betroffenen
sches Bild vermittelt.                            Personen sein.

                                                                     Karel Müller-Peron

                                                     Landesgruppenobmann Vorarlberg
                                                    International Police Association (IPA)
                                                                 Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                                13
VORWORT

Die International Police Association ist ein   gemeinsames Prinzip der Kommunikation
gemeinnütziger Verein. Unsere gemeinsame       als Alltagsleistung. Zur Umsetzung unserer
Tätigkeit ist nicht auf Gewinn ausgerichtet    hochgesteckten Ziele fördern wir den Aus-
und bezweckt eine kollegiale Verbindung        tausch von Erfahrungen im polizeilichen Be-
der Vereinsmitglieder, die Unterstützung be-   reich, organisieren Bildungsreisen und wid-
sonders hilfsbedürftiger Menschen, die Ab-     men uns mit Freude anderen Menschen.
haltung von Informations- und Fortbildungs-
veranstaltungen sowie die Herausgabe ver-      Gemeinsam wollen wir den Menschen die
schiedener Publikationen.                      Polizei und ihre vielschichtige Tätigkeit aus
                                               einem anderen Blickwinkel näherbringen
Durch den Auftritt im Web und durch eine       und einen Beitrag für Sicherheit leisten. Ich
eigene Mitgliederzeitung leben wir unser       freue mich über Ihr Interesse!

                                                                        Dr. Peter Kern

                                                        Landesgruppenobmann Tirol
                                                 International Police Association (IPA)
                                                              Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                            14
VORWORT

Ein Abendfilm ohne Gewalt! Wann haben Sie       Thematik lediglich auseinandersetzen, um
das letzte Mal bewusst darauf geachtet, ob      Gegenstrategien und Präventionspro-
wir uns nicht durch die Gewalt in den Medien    gramme zu entwickeln.
beeinflussen lassen?
                                                Legen Sie die Broschüre nicht weg, um sie
Wir als International Police Association be-    später zu lesen, nein, es zahlt sich aus, gleich
schäftigen uns mit dem Thema Gewalt, da es      diese Ausführungen zu lesen und sich mit
permanent präsent ist. Was ist Gewalt, wie      dem Thema zu beschäftigen.
wird Gewalt definiert, welche Arten von Ge-
walt gibt es? Diese und weitere ähnliche Fra-   Machen Sie mit und unterstützen Sie uns bei
gen werden in dieser Broschüre beantwortet.     unserem Anliegen „gewalt(frei)“. Ich wün-
                                                sche Ihnen einige spannende und interes-
Absolute Gewaltfreiheit wäre wohl wün-          sante Minuten mit dieser Bröschüre und ein
schenswert, ist jedoch auch absolut un-         gewaltfreies Leben!
denkbar. Somit können wir uns mit dieser

                                      Dr. Wolfgang Gabrutsch, BA, MBA, MBA

                                                      Landesgruppenobmann Kärnten
                                                  International Police Association (IPA)
                                                               Österreichische Sektion

gewalt(frei)                                                                               15
ALLMACHT GEWALT

Gewalt bricht Normen
„Der Gewalt auszuweichen bedeutet Stärke.“ (Laotse)

Was genau ist Gewalt?                           zur Rettung der eigenen Ehre oder schlicht
In der Tierwelt wird Gewalt eingesetzt, wenn    und ergreifend um Stolz und Eitelkeit zu ver-
es um das Recht des Stärkeren geht, um Hie­     teidigen und das Gesicht nicht zu verlieren.
rarchie und Rangordnung. Der Mensch hat
sich aus der Tierwelt heraus entwickelt, doch   Gewalt und Zwang
in gewissen Bereichen hat er das Verhalten      Gewalttätiges Handeln steht immer in direk-
seiner Vorfahren beibehalten – wenn es sich     ter Verbindung mit Zwang, denn gewalttäti-
auch in der heutigen Zeit anders darstellt.     ges Handeln hat immer zum Ziel, sich gegen
Das Recht des Stärkeren ist kein Recht auf      den Willen des Opfers durchzusetzen. Dabei
die Durchsetzung von Gewalt, jedoch wird        kann sich diese Form des Zwanges sowohl
es von jenen, die Gewalt anwenden, gerne        auf körperlicher als auch auf psychischer
so verstanden. Sehr oft wird als Rechtfer-      Ebene äußern. Nicht immer ist damit eine
tigung für Gewaltanwendung eine höhere          körperliche Auseinandersetzung verbun-
Macht vorgeschoben: sei es zu Ehren Gottes,     den, sehr wohl jedoch eine Verletzung – ➞

gewalt(frei)                                                                             16
ALLMACHT GEWALT

sei es des Körpers, oder der Seele. Immer je-     der berühmte Tropfen das Fass zum Überlau-
doch hat Gewalt zum Ziel, das Gegenüber zu        fen bringt – und als Gewaltausbruch endet.
brechen. Und dabei spielt es keine Rolle, auf     Als Beispiel kann das typische Anschreien
welche Art und Weise dies vollzogen wird.         dienen: Entweder es dient dem reinen Ab-
Der Gewalttätige ist sich dessen bewusst,         bau aggressiver, innerer Span­nungen oder
dass der oder die Betroffene sich bei freiem      es wird als Mittel zur Einschüchterung und
Willen anders entscheiden würde. Auch indi-       Verbreitung von Angst benutzt bzw. sogar als
rekte Formen der Gewalt können dabei an-          Vorläufer zu weiteren gewalttätigen Hand-
gewendet werden: etwa, wenn die Kinder            lungen eingesetzt.
des Partners bedroht oder Gegenstände zer-
stört werden, um die eigene Meinung ent-          Was kann man Gewalt
sprechend mit Zwang durchzusetzen. Allen          entgegensetzen?
Formen gewalttätigen Handelns ist jedoch          Der menschliche Verstand ist die wohl
immer gemeinsam, dass das Gegenüber un-           schärfste Waffe, um Gewalt an ihren Wurzeln
bedingt geschädigt werden soll. Diese soge-       auszulöschen. Wenn man davon ausgeht,
nannte Schädigungsabsicht macht gewalt-           dass Gewaltanwendung intentional – also
tätiges Handeln auch so gefährlich: Der Tä-       absichtlich – passiert, beinhaltet das auch,
ter ist sich dessen, was er vorhat, durchaus      dass der Mensch immer die Freiheit besitzt,
bewusst und macht dennoch vor einer Um-           sich gegen eine gewalttätige Verhaltens-
setzung seines Vorhabens nicht halt. Gewalt       weise und für eine friedvolle Konfliktlösung
kann niemals fahrlässig passieren, sondern        zu entscheiden. Der wahre Schlüssel zur Ge-
verleiht sich erst durch ihre Vorsätzlichkeit     waltfreiheit liegt im Wort Freiheit, jedoch in ei-
wahre Gestalt.                                    nem anderen Kontext: in der Entscheidungs-
                                                  freiheit eines jeden Einzelnen, künftig eine
Was unterscheidet Gewalt von                      andere Vorgehensweise zur Durchsetzung
Aggression?                                       der eigenen Interessen, Wünsche und Be-
Aggression steht als Begriff sinnbildlich für     dürfnisse zu wählen.
Durchsetzung, Selbstbehauptung und Ab-
grenzung. Eine Schädigungsabsicht muss
nicht zwangsweise damit verbunden sein.
Im Gegensatz dazu steht bei Gewalt – in
welcher Form auch immer – der bewusste
Wille dahinter, Schaden zu verursachen. Da-
bei spielt es keine Rolle, ob dieser körperlich
oder materiell verursacht wird. Fakt ist, dass
Aggression sogar dabei helfen kann, einen
gewalttätigen Ausbruch zu verhindern. Aus
therapeutischer Sicht hat ein Großteil der ge-
walttätigen Männer erhebliche Probleme da-
mit, die innere Aggression zum Ausdruck zu
bringen und in dieser Hinsicht ein eher pas-
sives Verhalten an den Tag zu legen. Und
dies funktioniert natürlich nur so lange, bis

gewalt(frei)                                                                                   17
ALLMACHT GEWALT

Gewalt fasziniert
„Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung
unseres Willens zu zwingen.“ (Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“, Kapitel 1)

Geschichte der Gewalt                            sie jedoch nicht minder gefährlich macht –
Gewalttätiges Verhalten zieht sich wie ein ro-   im Gegenteil.
ter Faden durch die Geschichte und findet ih-
ren Ursprung beim Beginn der Menschheit.         Wenn man nun von der Gewalt des Einzelnen
Die eigene Position innerhalb der Hierarchie     auf die kollektive Gewalt blickt, so ergeben
eines Stammes oder einer Gruppe durchzu-         sich auch hier in der Geschichte der Mensch-
setzen und zu festigen war häufig nur un-        heit genügend Beispiele. Die Eroberung gan-
ter Anwendung von Gewalt möglich. Auch           zer Kontinente wurde zumeist unter Einsatz
viele berühmte Herrscher wurden sehr oft         von Kriegsmaschinerie vollzogen und hatte
mit dem Begriff „gewalttätig“ assoziiert. Ge-    nicht selten die Auslöschung ganzer Gene-
walt war und ist jedoch nicht immer nur ne-      rationen und Stämme von Eingeborenen zur
gativ. Sie kann auch als treibende Kraft ver-    Folge. Das Recht des Stärkeren wurde auch
standen werden, die Neues hervorbringt. So       hier zum Ausdruck gebracht und der Schwä-
war etwa die Französische Revolution zu Be-      chere musste in diesem Fall nicht nur unter-
ginn vor allem von Gewalt geprägt, bewirkte      liegen, sondern sterben.
aber in weiterer Folge sehr wesentliche, po-
sitive Veränderungen für eine große Bevöl-       Faszination Gewalt
kerungsgruppe.                                   Nicht immer hat Gewalt den Tod des Ge-
                                                 genübers zur Folge. Oftmals wird Gewalt
Sowohl in der Bibel als auch in der griechi-     benutzt, um den Gegner einzuschüchtern,
schen Mythologie finden sich mehr als ge-        ihm die eigene Stärke vor Augen zu führen
nug Beispiele für gewalttätiges Handeln.         und so den eigenen Willen und den persönli-
Kain erschlug Abel, der griechische Gott         chen Machtanspruch durchzusetzen. Und so
Seth tötete seinen Bruder Osiris aus Eifer-      brutal uns Gewalt auch erscheinen mag, so
sucht und der persische Gott Ahriman ver-        sehr fasziniert sie uns auch. Wie sonst könnte
stümmelte seine Mutter auf grausamste Art        man erklären, dass Horrorfilme und brutale
und Weise, um sein Recht als Erstgebore-         Computerspiele nach wie vor „funktionie-
ner entsprechend zu untermauern. Doch            ren“, sprich auf ein entsprechendes Echo von
nicht nur Männer füllen die Seiten der Ge-       Publikum und Kunden stoßen?
schichte mit gewalttätigen Handlungen.
Auch bei den Frauen finden sich genügend         Gewalt ist brutal, grausam, zumeist unvor-
Beispiele für Gewalttäterinnen: So tötete        hersehbar und hat eine Vielzahl von Formen,
die Magierin Medea ihren eigenen Nach-           mittels derer sie zutage treten kann. Das Fas-
wuchs und brachte auch ihre Konkurrentin         zinierende daran ist, dass wir in ihr etwas se-
um. Lucrezia Borgia zählt als Giftmörderin       hen, das uns zugleich fremd und doch ver-
eher zu den stillen Gewalttäterinnen, was        traut ist. Wir alle kennen wohl das Beispiel ➞

gewalt(frei)                                                                                18
ALLMACHT GEWALT

der Zwillingsbrüder: Der eine wurde zum Ver-      Und so erscheint die Faszination gewalttäti-
brecher, der andere zum Priester. Beide wa-       gen Handelns auf einmal nicht mehr so ver-
ren ähnlich aufgewachsen, doch irgendwann         wunderlich. Wir erkennen darin bis zu einem
entwickelten sich die Persönlichkeitsstruktu-     gewissen Teil einen Bereich, den wir alle in
ren auf unterschiedliche Art und Weise. Was       uns tragen. Solange wir diesen fasziniert,
das bedeutet? Jeder von uns besitzt eine ge-      wie ein Zuseher auf eine Bühne blickt, be-
walttätige Ader, doch nicht bei jedem kommt       trachten, ist alles gut. Problematisch wird es,
sie in ihrer vollen Macht zum Ausbruch. Es        wenn wir selbst zum Darsteller werden. Denn
sind die persönlichen Erfahrungen, die Art        dann ist es bis zum viel zitierten „Gewaltaus-
des Aufwachsens und die Grundstruktur der         bruch“ nicht mehr weit, dessen vernichtende
Persönlichkeit eines jeden Menschen, die          Kraft vor allem jene zu spüren bekommen,
letztendlich darüber entscheiden, wie er sich     die sich im unmittelbaren Umfeld befinden.
entscheidet: Wird er Opfer seiner gewalttä-       Durch diese oft sehr enge Verbindung be-
tigen Persönlichkeitsstrukturen oder Schöp-       kommt häusliche Gewalt ihr starkes Funda-
fer seiner Intelligenz, welche ihm dazu ver-      ment: die Täter-Opfer-Beziehung.
hilft, reif zu handeln?

Du gehörst mir
„Gewalt hört da auf, wo die Liebe beginnt.“ (Petra Kelly, Rede vor der
Generalversammlung der Jugend vor den Vereinten Nationen, New York, 1985)

Die Spirale der Gewalt                            Was aber macht eine Frau in einer Beziehung
Unter allen Formen der Gewalt zählt jene, die     zu ihrem Partner zum Opfer und wo findet
sich im privaten Bereich abspielt, wohl zu den    diese Spirale der Gewalt ihren Anfang? Auch
grausamsten und gleichzeitig zu jenen mit         hier bleibt es unvermeidbar, sich die Persön-
der höchsten Dunkelziffer. Nicht selten spielt    lichkeitsstrukturen beider Teile anzusehen.
Scham dabei eine Rolle, wobei diese nicht         In den allermeisten Fällen bildet emotionale
durch den Täter empfunden wird, sondern           Abhängigkeit die Basis für häusliche Gewalt.
durch das Opfer. Und damit befinden wir uns       Und dabei kann diese Form der Abhängig-
bereits mitten in diesem irrwitzigen Teufels-     keit sowohl das Opfer als auch den Täter be-
kreis, aus dem es vielen Frauen so schwerfällt,   treffen. Den Täter, weil sich sein vermeintli-
auszubrechen. Es soll an dieser Stelle betont     ches Opfer seiner Kontrollversuche und Be-
werden, dass zu den Opfern häuslicher Ge-         sitzansprüche immer wieder entzieht und
walt nicht nur Frauen gehören. Es gibt auch       ihm so die Möglichkeit nimmt, sein schwa-
Männer, die aufgrund ihrer Persönlichkeits-       ches Selbstwertgefühl entsprechend zu stär-
struktur eine Beziehung mit einer vermeint-       ken. Er meint sich in der stärkeren Position
lich starken Partnerin eingehen und im Laufe      und merkt nicht, wie sehr er seine Partnerin,
der Zeit durch sie zum Opfer gemacht wer-         die er durch seine gewalttätigen Ausbrüche
den. Dennoch belegen die Zahlen der jährlich      immer wieder zu unterjochen versucht, im
angezeigten Gewaltdelikte eindeutig, dass         Grunde braucht. Denn das, was er ihr immer
ein Großteil der Beziehungstaten immer noch       wieder versucht einzutrichtern, ist tatsäch-
durch Männer verübt wird.                         lich seine eigene, grausame Wahrheit, in ➞

gewalt(frei)                                                                                 19
KAPITEL

deren Spiegel zu blicken er unbedingt zu           Gewaltbeziehungen – oftmals sogar ohne
vermeiden versucht: Die eigene Wertlosig-          überhaupt jemals Anzeige zu erstatten? Auch
keit und die Unfähigkeit, sich selbst zu lieben,   hier lohnt es sich, näher auf die Persönlich-
werden auf die Partnerin projiziert.               keitsstruktur zu blicken. Meist sind in die-
                                                   sen Beziehungen sowohl Täter als auch Op-
Diese wiederum bekommt im wahrsten Sinne           fer mit einem schwachen Selbstwertgefühl
des Wortes zu spüren, welche ungelösten            ausgestattet. Während das Opfer jedoch die
Konflikte der Täter mit sich herumträgt und        Schuld zumeist bei sich sucht und dies oft
hat kaum Möglichkeiten, diesen etwas ent-          mit Schamgefühl verbunden ist, nutzt der Tä-
gegenzusetzen. Denn zumeist folgt auf je-          ter dies ohne Rücksicht auf Verluste aus und
den gewalttätigen Ausbruch die Phase der           verstärkt nach jeder Gewalttat noch diese Ge-
Versöhnung, der sogenannte „Honeymoon“,            fühlsparameter bei seiner Partnerin. Sie sei
der zugleich den Beginn der Gewaltspirale          selbst schuld, dass er so unzufrieden sei, sie
darstellt – bis zum nächsten psychischen Zu-       würde sich zu wenig um ihn kümmern, früher
sammenbruch des Partners, welcher erneut           sei es doch auch anders gewesen und über-
gewalttätiges Handeln zur Folge hat. Lässt         haupt würde er sich vernachlässigt fühlen …
sich die Partnerin nach dem ersten gewalt-         Der Argumente gibt es noch viele weitere
tätigen Zusammentreffen auf das darauffol-         mehr, es ist ihnen jedoch eines gemeinsam:
gende Versöhnungsangebot ein, hat sie zu-          Sie alle sollen das Gegenüber schwächen,
meist schon verloren. Denn dem Täter ist nicht     Angst machen und vor allem bewirken, dass
daran gelegen, etwas an der Situation zu än-       die Partnerin schlussendlich denkt, sie wäre
dern, sondern seine Partnerin gefügig zu ma-       selbst schuld am Verhalten des Täters. Dies
chen. Dabei scheut er auch nicht davor zu-         hat fatale Folgen: Das Opfer bemüht sich im-
rück, ihr entsprechende Schuldgefühle ein-         mer mehr, es dem Beziehungspartner recht
zureden. Nicht selten kommt es vor, dass bei       zu machen, und kann – natürlich – trotzdem
Einsätzen der Polizei im Zusammenhang mit          nichts richtig machen. Vor lauter Scham wird
häuslicher Gewalt der Täter sich äußerst ko-       sehr häufig auch keine Anzeige bei der Po-
operativ und friedfertig verhält. Wenn dann        lizei erstattet. Damit verbunden ist sehr oft
die Partnerin, von der letzten Gewalttat noch      auch die Hoffnung, bei entsprechendem Ver-
psychisch enorm geschwächt, weinend und            halten wieder den netten Partner zurückzu-
zitternd im Eck sitzt oder den Mann sogar wüst     bekommen, den man zu Beginn der Bezie-
und hysterisch beschimpft, ist das fatale Au-      hung kennengelernt hatte. Diese Möglichkeit
ßenbild komplett und der Täter hat das Spiel       ist jedoch von Anfang an ausgeschlossen: Der
gewonnen. Es bedarf einiger Erfahrung und          Täter hat das Opfer in seiner Gewalt und so
einer gehörigen Portion psychologischen Fin-       lange dieses die Schuld bei sich selbst sucht,
gerspitzengefühls, um diese perfide Fassade        ist ein Ausbruch aus dieser Spirale unmöglich.
zu durchschauen und zu durchbrechen.
                                                   Anzumerken ist, dass häusliche Gewalt
Ein Teufelskreis                                   nicht nur in sozial schwachen Schichten vor-
aus Scham und Schuld                               kommt. Selbst an den besten Adressen sind
Welche Methoden benutzt der Täter, um              Gewalttaten keine Seltenheit – sie werden
sein Opfer gefügig zu machen, und wa-              nur deutlich seltener durch die Betroffenen
rum bleiben Frauen so lange freiwillig in          zur Anzeige gebracht.

gewalt(frei)                                                                                 20
KAPITEL

                                                            Körperliche Gewalt

            Gebrauch
           von Waffen                                                                                                 Verbrennen
                                             Benutzen der                        Zwang,
                                                Kinder                           Drohung

                        Abstreiten                                                                    Einschüchterung
                      Bagatellisieren

Sexualisierte                                                   Rad der
                                                                                                                                      Soziale Gewalt
   Gewalt
                        Ausnützen
                                                                Gewalt
                                                                                                        Psychische
                        männlicher                                                                     Misshandlung
                        Privilegien

                                             Ökonomische                        Isolation
                 Stoßen                        Gewalt                                                                   Misshandlung mit
                Schlagen                                                                                                 Gegenständen
                 Treten

                                                            Körperliche Gewalt                                                  Quelle: Brückner 1998: 148

                                           Verantwortungsvolle             Nichtbedrohliches
                                           Elternschaft                    Verhalten

                                                   - elterliche Verant-   - jede/r soll sich sicher
                                                     wortung                fühlen und ihre/seine
                                                   - positives Vorbild      Bedürfnisse aus-
                        Vertrauen und                für Kinder sein        sprechen können
                        Unterstützung                                                                      Ehrlichkeit,
                                                                                                           Verlässlichkeit
                      - die Lebensziele der/des
                                                                                                      - Verantwortung für das
                        anderen unterstützen
                                                                                                        eigene Tun übernehmen
                      - das Recht auf eigene

                                                              Rad der
                                                                                                      - Fehler zugeben
                        Freundinnen u. Freunde,
                                                                                                      - ehrliche, offene
                        Interessen u. Beruf usw.
                                                                                                        Aussprache führen

                                                              Partner-
                        zugestehen

                                                               schaft
                                                                                                Respekt
                   Faire Verhandlungen führen                                                    - zuhören, ohne zu verurteilen
                     - Veränderungen akzeptieren                                                 - verständnisvoll und
                     - Kompromisse eingehen,                                                       unterstützend sein
                       Kompromisse zu beider                                                     - die Meinung der/des
                       Zufriedenheit lösen                                                         anderen schätzen
                                                     Wirtschaftliche        Verantwortung
                                                     Partnerschaft          teilen
                                        - finanzielle Entscheidungen       - anfallende Arbeiten
                                          gemeinsam treffen                  fair aufteilen
                                        - finanzielle Absicherung          - Familienentscheidungen                   Dieses Modell wurde im Domestic
                                          von beiden planen                  gemeinsam fällen                         Abuse Intervention Projekt, einem
                                                                                                                    institutionenübergreifenden Projekt
                                                                                                                    gegen Gewalt an Frauen, entwickelt
                                                                                                                               (vgl. Pence/Paymar 1993).

gewalt(frei)                                                                                                                                        21
TÄTER UND OPFER

Die Mama, der Papa
und das Kind
„Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen.“ (Isaac Asimov)
Die Begriffe häusliche Gewalt bzw. Gewalt      Örtlichkeit bezogen, an der sie ausgeübt
in der Familie unterliegen verschiedenen       wird – sprich das Heim der Familie? Oder
Definitionen. Die Menschenrechtskommis-        verkörpert der Vater, der an einem öffent-
sion der UNO grenzt beide Begriffe klar von-   lichen Parkplatz sein Kind ohrfeigt und
einander ab, da es leider in vielen Ländern    an den Haaren zieht, auch eine Form der
immer noch gang und gäbe ist, Frauen und       häuslichen Gewalt mit dem einzigen Unter-
Kinder zu schlagen bzw. zu züchtigen. Un-      schied, dass diese nicht zu Hause, sondern
abhängig davon, ob Begriffe wie jene, die      öffentlich passiert?
eingangs genannt wurden, überhaupt ei-
ner Definition bedürfen und nicht vielmehr     Unabhängig davon, ob und wie man häusli-
selbsterklärend sind, bleibt eines zu beant-   che Gewalt nun per se definieren mag: Die
worten: Ist häusliche Gewalt rein auf die      Ausübung von Gewalt kann sehr schnell ➞

gewalt(frei)                                                                         22
TÄTER UND OPFER

strafrechtliche Konsequenzen haben. Unter        die Gefährdung des Opfers nach einer erst-
den meistangezeigten Delikten befinden           malig erstatteten Anzeige ungleich höher.
sich Körperverletzungen, gefährliche Dro-
hungen sowie Nötigung, Erpressung, Frei-         Im Zusammenhang mit dem Opferschutz ist
heitsberaubung und die verschiedensten           zu bedenken, dass einer Anzeigenerstattung
Formen von Sexualdelikten. Wie im vorigen        meist Jahre der Gewalt und der Verletzung –
Kapitel bereits erwähnt, wird eine Vielzahl      seelisch und körperlich – vorausgehen. Nicht
dieser Delikte oft sehr lange nicht zur An-      selten ist es der Fall, dass das Opfer sich an
zeige gebracht, ist das Dunkelfeld in diesem     viele Details nicht mehr erinnern kann. Nicht
Bereich sehr groß. Oftmals werden diese Ta-      aus Vergesslichkeit oder weil die angegebe-
ten erst dann ans Licht gebracht, wenn sie       nen Fakten nicht der Wahrheit entsprechen.
sich aufgrund der Umstände nicht mehr ver-       Sondern weil das menschliche Gehirn den
bergen lassen – etwa, weil die erlittenen Ver-   Mechanismus der Verdrängung immer dann
letzungen zu massiv und nicht mehr erklärbar     einsetzt, wenn alles andere zu schmerzhaft
sind. Auch hier spielen Scham und Schuld-        wäre, um sich daran zu erinnern. Die Verän-
gefühle der Opfer eine wesentliche Rolle,        derung der Persönlichkeit des Opfers, die
warum erlittene Gewalttaten oft lange ver-       durch jahrelanges Erdulden von Übergriffen
heimlicht werden.                                mehr oder weniger automatisch passiert, trägt
                                                 auch dazu bei, dass sehr häufig Tätern mehr
Unter Berücksichtigung der angeführten           Glauben geschenkt wird als Opfern. Denn wer
Punkte fällt es besonders schwer zu ver-         glaubt schon einer hysterisch vor sich hin wei-
stehen, warum gerade bei Gewaltdelikten          nenden Frau, wenn daneben der Ehemann ru-
der Prozentsatz an Freisprüchen so hoch          hig und sachlich die Situation im Griff zu ha-
ist. Häufig wird versucht, eine außergericht-    ben scheint? Selbst für die vor Ort einschrei-
liche Einigung zu erzielen, oder es wird eine    tende Polizei ist dies oft nur schwer einzu-
geringe Geldstrafe auferlegt und der Täter       schätzen und es bedarf viel Erfahrung und
bleibt unbelehrt und in Freiheit. Was hierbei    psychologischen Fingerspitzengefühls, um
viel zu wenig bedacht wird, ist die große Ge-    den wahren Täter (im Schafspelz) zu entlarven.
fahr der Tatwiederholung: Hat das Opfer ein-
mal den ersten, mutigen Schritt getan und        Für das Opfer ist neben den körperlichen
Anzeige bei der Polizei erstattet, wäre jede     Verletzungen vor allem auch die psychische
Unterstützung zum Opferschutz notwendig          Folter nahezu unerträglich. Nicht nur, dass
und müsste unbedingt auch entsprechende          das eigene Selbstwertgefühl durch perma-
Täterarbeit geleistet werden. Es ist nieman-     nente Schuldzuweisungen konsequent un-
dem damit geholfen, wenn das Gerichtsver-        termauert wird. Auch das ständige Auf und
fahren durch eine vermeintliche Einigung         Ab der Gefühle, schwankend zwischen Eu-
zwischen Täter und Opfer abgekürzt wird          phorie nach einer Reuephase des Täters und
und das Opfer in weiterer Folge mit noch         dem bösen Erwachen, wenn klar wird, dass
massiveren Übergriffen durch den Partner zu      dieses Verhalten reine Taktik war, um eine
rechnen hat. Nur selten wird bei dieser Form     Anzeigenerstattung zu verhindern, hat Aus-
von Delikten ein Umdenken seitens des Tä-        wirkungen. Die Opfer haben wenig bis gar
ters erzielt, indem milde Strafen verhängt       kein Selbstwertgefühl mehr, verlieren das
werden. Meist ist das Gegenteil der Fall und     Vertrauen in sich selbst und sind häufig ➞

gewalt(frei)                                                                                23
TÄTER UND OPFER

noch dazu finanziell bzw. ökonomisch vom
                                                DAS RÄT DIE IPA:
Täter abhängig. Eine sehr beliebte Strategie
ist nämlich die sukzessive soziale Isolation    WERDEN SIE AKTIV!
der Opfer von jenen Menschen, die dem Tä-
ter gefährlich werden könnten. Und je ein-      | Üben Sie keinerlei Toleranz gegen-
samer ein Mensch ist, desto mehr orientiert     über dem Täter.
er sich an den wenigen verbleibenden Be-        Beim kleinsten Anzeichen gewalttätigen
zugspersonen, was dem Gewalttäter in der        Auftretens ist diesem sofort entgegen-
Beziehung sehr entgegenkommt.                   zutreten!

Dies mag auch die Erklärung dafür sein,         | Sprechen Sie darüber.
warum manche Opfer über Jahre und Jahr-         Suchen Sie sich eine Vertrauensperson
zehnte bei ihren gewalttätigen Partnern blei-   aus Ihrem Familien- oder Bekanntenkreis
ben: aus Mangel an Alternativen und weil sie    und hegen Sie keine Scham, über das
meinen, nichts anderes verdient zu haben        zu sprechen, was Ihnen widerfahren ist.
und selbst schuld an der aktuellen Situation
zu sein. Ein Teufelskreis der Abhängigkeit,     | Die Polizei ist ein kompetenter An-
welcher meist ohne fremde Hilfe nicht mehr      sprechpartner.
verlassen werden kann.                          Es werden Ihnen Möglichkeiten des Op-
                                                ferschutzes aufgezeigt sowie weitere Be-
                                                ratungsstellen empfohlen, die Sie gege-
                                                benenfalls auch bei einem Gerichtsver-
 TÄTERSTRATEGIEN                                fahren professionell unterstützen können.
 IM ÜBERBLICK:
                                                | Machen Sie keinen Rückzieher.
 | Verharmlosen                                 Haben Sie einmal Anzeige erstattet, emp-
                                                fiehlt es sich, zu dieser auch zu stehen.
 | Verleugnen                                   Zeigt der Täter Reue, gibt es immer die
                                                Möglichkeit einer außergerichtlichen Eini-
 | Täter-Opfer-Umkehr                           gung, sodass keine weiteren strafrechtli-
                                                chen Konsequenzen drohen.
 | Handlungen rechtfertigen:
 Geldprobleme, Stress, Schwierigkeiten          | Lassen Sie sich helfen.
 am Arbeitsplatz etc.                           Wenn Sie sehr unter den psychischen
                                                Folgen von oft jahrelanger Gewaltaus-
 | Dadurch entstehende Problematik:             übung leiden, suchen Sie sich Unterstüt-
 Die Täter übernehmen keinerlei Verant-         zung bei einer Familien- oder Sozialbera-
 wortung für ihr Verhalten und sind da-         tungsstelle. Und vergessen Sie nicht: Sie
 durch auch nicht in der Lage, ihr Verhal-      sind nicht verantwortlich für das gewalttä-
 ten zu ändern.                                 tige Verhalten Ihres Gegenübers.

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TÄTER UND OPFER

Fass mich nicht an
„Gewaltfrei leben bedeutet, sich vom Opfer zum Schöpfer zu erheben.“
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Zugegeben: Die in den vergangenen Jah-        Womit wir uns bereits mitten im Thema be-
ren zum Teil im Übermaß in der Öffentlich-    finden: sexuelle Gewalt gegen Frauen. Wenn
keit ausgetragene sogenannte „MeToo“-         man den Medien Glauben schenken darf, so
Debatte mag in manchen von uns eine ge-       hat die Gewaltausübung gegenüber Frauen
wisse Verdrossenheit und vielleicht sogar     in den vergangenen Jahren massiv zuge-
zum Teil ein Gefühl des Fremdschämens         nommen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen
ausgelöst haben. Ohne Frage ist es als po-    hat sich die Dunkelziffer verringert und es
sitiv zu bewerten, dass sexuelle Übergriffe   wurden schlicht und ergreifend häufiger An-
gegenüber Frauen nun stärker thematisiert     zeigen erstattet. Zum anderen gibt es tat-
werden. Vorsicht ist jedoch dann geboten,     sächlich einen statistisch belegbaren Trend
wenn die natürliche Grenze dessen, was        hin zu vermehrter Gewaltausübung speziell
noch zulässig ist und was nicht, zunehmend    im häuslichen Bereich.
verschwimmt und künftig jeder schiefe Blick
eines Mannes in Richtung einer Frau, die      Laut einer Zählung der APA (Austria Presse
ihm gefällt, als sexuelle Belästigung dar-    Agentur) vom September 2020 weist Öster-
gestellt wird.                                reich in den vergangenen sechs Jahren ➞

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TÄTER UND OPFER

entgegen dem allgemeinen EU-Trend eine         Was aber ist nun genau „sexuelle Gewalt“ –
höhere Zahl an weiblichen Mordopfern auf.      wo fängt sie an und wo hört diese auf?
Im Jahr 2015 waren von insgesamt 50 Mord-      Selbstverständlich wird diese Grenze von
opfern 30 Personen weiblich, ein Jahr spä-     jedem Menschen unterschiedlich definiert.
ter waren unter den gesamt 44 Ermorde-         Der oder die eine empfindet eine anzügliche
ten mehr als die Hälfte, nämlich 26, Frauen.   Bemerkung als provokant und steigt sofort
Laut Eurostat-Daten ebenfalls vom Septem-      auf die Barrikaden – was einem anderen Ge-
ber 2020 war Österreich im Jahr 2017 das       genüber gerade einmal ein müdes Lächeln
einzige Land, das mehr weibliche als männ-     entlockt. Dennoch gibt es zwei ganz wesent-
liche Mordopfer zu verzeichnen hatte. Und      liche Unterscheidungen: zum einen die sexu-
auch im Jahr 2020 hat sich an diesem Nega-     elle Gewalt im strafrechtlichen Sinn und zum
tivtrend wenig geändert: Unter den 24 Mord-    anderen jene nach dem Gleichbehandlungs-
opfern in den Monaten Jänner bis September     gesetz. Beidem zugrunde liegt sexuelle Ge-
befanden sich 17 Frauen und sieben Männer.     walt, welche sich aus zwei völlig unterschied-
                                               lichen Motiven ereignen kann:
Glaubt man einer Umfrage der Agentur der
Europäischen Union für Grundrechte, so ist     1.   Sexuelle Gewalt innerhalb des eigenen
in Österreich jede fünfte Frau ab ihrem 15.         Familien- und Bekanntenkreises
Lebensjahr sexueller Gewalt ausgesetzt.
Im Schnitt werden monatlich zwei bis drei      2.   Sexuelle Gewalt gegenüber einer frem-
Frauen ermordet (sogenannte „Femizide“),            den Person
so das erschütternde Ergebnis einer Um-
frage des Vereins Autonome Frauenhäu-          Sexuelle Gewalt im Familien- und
ser (AÖF). Dabei stehen die Täter sehr häu-    Freundeskreis
fig in einem verwandtschaftlichen Verhält-     Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein war
nis zum Opfer oder befinden sich mit die-      es üblich und erlaubt, die eigene Ehefrau zu
sem in einer Lebensgemeinschaft. Und was       „züchtigen“ und damit auch sexuelle Gewalt
erschwerend dazukommt: Sie haben nicht         gegen sie auszuüben. Dies wurde als gän-
gelernt, Konflikte durch gewaltfreie Kom-      gige Maßnahme verstanden, um entspre-
munikation zu lösen. Dies ist unabhängig       chenden Gehorsam gegenüber dem Ehe-
von Herkunft, Alter, Geschlecht und Religion   mann herbeizuführen. Und auch wenn sich
ein wesentlicher Faktor, warum es zu häus-     in den letzten Jahrzehnten einiges zum Gu-
licher Gewalt bzw. zu sexuellen Übergriffen    ten gewendet hat und sowohl in strafrecht-
gegenüber Frauen kommt: Durch die Unfä-        licher als auch aus gesellschaftlicher Sicht
higkeit des Täters, seine inneren Konflikte    das Bild der Frau eines mit viel mehr Stärke,
auf erwachsene Art zu lösen, wird das Ge-      Autonomie und Freiheit geworden ist, so ist
genüber zum Opfer gemacht – was unter          Gewalt – und damit auch sexuelle Gewalt
besonders tragischen Umständen tödlich         – im häuslichen Bereich nach wie vor ei-
enden kann. Auch die gesamtgesellschaft-       nes jener Delikte, bei welchem die Dunkel-
liche Abwertung von Frauen sowie veral-        ziffer sehr hoch ist und dem auch die Exe-
tete, patriarchale Rollenbilder haben einen    kutive ohne Unterstützung von außen nur
wesentlichen Anteil an dieser Form der Ge-     sehr bedingt Herr werden kann. Meist wird
walteskalation.                                erst Anzeige erstattet, wenn der innere ➞

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TÄTER UND OPFER

Leidensdruck zu groß wird oder sich die ge-      Aus dem Polizeialltag ist auch bekannt, dass –
walttätigen Übergriffe schlicht und ergrei-      wie bereits oben erwähnt – nur sehr wenige,
fend nicht mehr verheimlichen lassen. Wo-        nämlich ca. 10 % der erstatteten Anzeigen
bei es nicht unbedingt das Opfer selbst sein     im Zusammenhang mit sexueller Gewalt im
muss, das die Polizei ruft. Nicht selten sind    häuslichen Bereich, von den Opfern selbst
es Nachbarn oder Freunde, welche die Si-         kommen. Je enger das Verhältnis, desto
tuation seit Jahren aus unmittelbarer Nähe       geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Über-
miterleben. Als Außenstehender fragt man         griffe bei der Polizei zur Anzeige gebracht
sich nicht selten, wie es möglich sein kann,     werden. Dies betrifft im Übrigen auch den ge-
dass man als Frau einen solchen Leidens-         sellschaftlichen Status: je gebildeter die Fa-
weg über Jahre stillschweigend erduldet.         milie, desto weniger dringt hier nach außen.
Die Antwort ist so kurz wie einfach: entwe-
der aus Scham – oder aus Pflichtgefühl. Aus      DSA Renée Mader, leitende Geschäftsführe-
Scham, weil das Opfer meint, selbst schuld       rin des Gewaltschutzzentrums in Salzburg,
an und verantwortlich für die Situation zu       beschreibt die gesellschaftlichen Gründe für
sein. Oder aus Pflichtgefühl gegenüber der       Gewaltausübung auf Beziehungsebene so:
Familie und hier insbesondere gegenüber          „Häusliche Gewalt bzw. Gewalt in der Pri-
den eigenen Kindern.                             vatsphäre meint alle Beziehungen, die von
                                                 Verhäuslichung geprägt sind, das bedeutet,
Dem Täter geht es in diesem Fall vor allem       wo emotionale Bindungen und damit emo-
um eines: nicht um den sexuellen Akt an sich,    tionale Abhängigkeiten bestehen. Die Basis
der hier nur eine untergeordnete Rolle spielt.   für häusliche Gewalt ist dabei nicht nur psy-
Sondern um Machtausübung und das Gefühl          chologisch begründet. Es geht hier vielmehr
der absoluten Kontrolle über das Gegenüber.      um die gesamtgesellschaftliche Benachteili-
Hier wird nach außen projiziert, was im eige-    gung von Frauen – die sogenannte struktu-
nen Inneren nicht ausgehalten werden kann:       relle Gewalt. Dadurch sind Männer der Mei-
was in sich selbst verleugnet und daher im       nung, auch im zwischenmenschlichen Be-
anderen gesucht wird.                            reich Macht und Herrschaft über Frauen
                                                 ausüben zu können. Nicht ohne Grund ist
Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)   in keinem anderen Bereich in Mitteleuropa
für das Jahr 2020 ist die Zahl der angezeig-     die Gefährdung von Frauen und Kindern hö-
ten Gewaltdelikte zwar im Vergleich zum Vor-     her als in der eigenen Familie bzw. im sozi-
jahr um 8,2 Prozent gesunken. Dennoch: In        alen Umfeld.“
62 % der insgesamt 67.051 begangenen De-
likte kannten sich Täter und Opfer. Ebenfalls    Sexuelle Gewalt gegen
im Jahr 2020 wurden insgesamt 54 Morde           fremde Frauen
registriert, davon 31 an Frauen und 23 Män-      Im Laufe der Geschichte zeigt sich hier eine
nern. Und bei 2/3 der registrierten Mordfälle    erschreckende Verharmlosung des straf-
lag zumindest ein Bekanntschaftsverhältnis       rechtlichen Deliktes der Vergewaltigung.
zwischen Täter und Opfer vor.                    Auch heute müssen Opfer zum Teil ernied-
                                                 rigende und beschämende Befragungen ➞

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