Gewalt(frei) Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen - Eine kostenlose Informationsbroschüre der INTERNATIONAL ...
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gewalt(frei) Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen Eine kostenlose Informationsbroschüre der INTERNATIONAL POLICE ASSOCIATION (IPA), ÖSTERREICHISCHE SEKTION www.ipa.at
gewalt(frei) Gewalt ist etwas, das wir in uns selbst verleugnen und im anderen suchen Eine kostenlose Informationsbroschüre der INTERNATIONAL POLICE ASSOCIATION (IPA) ÖSTERREICHISCHE SEKTION www.ipa.at Diese Aufklärungsbroschüre wurde in Zusammenarbeit mit dem Gewaltschutzzentrum Salz- burg erstellt und dient der präventiven Aufklärung. Sie soll vorbeugen, sensibilisieren und ist gleichzeitig als Hilfsmittel für all jene gedacht, die bereits Opfer von Gewaltausübung geworden sind. Produktion und kostenlose Verteilung dieses Druckwerks wurden durch die inserierenden Firmen ermöglicht. Bitte berücksichtigen Sie diese Unternehmen bei Ihren Einkäufen, um deren Engagement auch weiterhin möglich zu machen. Wir bedanken uns im Voraus für Ihre Unterstützung – setzen wir uns gemeinsam für eine gewaltfreie Zukunft ein! Alle in dieser Drucksorte personenbezogen verwendeten Ausdrücke beziehen sich immer auf alle Geschlechter gleichermaßen. Ausgabe: 02-10/5555 – Wien – hh Impressum Herausgeber: International Police Association (IPA), Österreichische Sektion 1010 Wien · Schottenring 16 · Tel.: +43 (0)699 180 35 975 E-Mail: austria@ipa.at · www.ipa.at Redaktion: Mag. (FH) Anna-Susanne Paar neu überarbeitete Auflage Verlag: IPA Verlagsgesellschaft m.b.H. 8073 Feldkirchen bei Graz, Gmeinergasse 1–3 Tel.: +43 (0)316/29 51 05-0, Fax: +43 (0)316/29 51 05-43 E-Mail: office@ipa-verlag.at · www.ipa-verlag.at Geschäftsführung: Mario Schulz Assistentin der Geschäftsführung: Roswitha Schwab Produktionsleitung: Helmut Hierzegger Leitung der Anzeigenabteilung: Carina Winkler Druck: Dorrong – Graz Jeder Abdruck der in dieser Broschüre befindlichen Werbung ist strengstens untersagt! gewalt(frei) 2
INHALT Vorwort Martin Hoffmann – Präsident der IPA Österreich......................................................................4 General Mag. Andreas Holzer, MA – Direktor des Bundeskriminalamt...............................5 Christian Voggenberger – Leitung Landeskriminalamt Salzburg..........................................6 DSA Renée Mader – Gewaltschutzzentrum Salzburg..............................................................7 Elke Strohmeyer – Landesgruppenobfrau Steiermark.............................................................8 Friedrich Steif – Landesgruppenobmann Niederösterreich...................................................9 Konrad Luckenberger – Landesgruppenobmann Burgenland...........................................10 Michael Güttner – Landesgruppenobmann Wien..................................................................11 Kurt Walker – Landesgruppenobmann Salzburg....................................................................12 Karel Müler-Peron – Landesgruppenobmann Vorarlberg....................................................13 Dr. Peter Kern – Landesgruppenobmann Tirol........................................................................14 Dr. Wolfgang Gabrutsch, BA, MBA, MBA – Landesgruppenobmann Kärnten ���������������15 Allmacht Gewalt Gewalt bricht Normen....................................................................................................................16 Gewalt fasziniert..............................................................................................................................18 Du gehörst mir.................................................................................................................................19 Täter und Opfer Die Mama, der Papa und das Kind.............................................................................................22 Fass mich nicht an...........................................................................................................................25 Ich brauche dich – warum quälst du mich?..............................................................................29 Du tust mir weh!...............................................................................................................................31 Digitalisierte Gewalt Internet – Spielwiese oder Tatort?..............................................................................................35 Cybermobbing – digital, anonym und brutal...........................................................................38 Prävention Sofort gegen Gewalt!.....................................................................................................................40 Gewalt – oder nicht?......................................................................................................................41 Gewaltschutz – das Gesetz gegen Gewalt..............................................................................42 Gewaltschutzzentren......................................................................................................................44 Kinderschutz.....................................................................................................................................46 Kärnten – gegen Gewalt...............................................................................................................47 Niederösterreich – gegen Gewalt..............................................................................................50 Salzburg – gegen Gewalt.............................................................................................................52 Burgenland – gegen Gewalt........................................................................................................55 Steiermark – gegen Gewalt..........................................................................................................56 Wien – gegen Gewalt....................................................................................................................57 Oberösterreich – gegen Gewalt.................................................................................................58 Tirol – gegen Gewalt......................................................................................................................59 Vorarlberg – gegen Gewalt..........................................................................................................60 ifs Opferschutz..................................................................................................................... 61 gewalt(frei) 3
VORWORT Das Wort Gewalt begleitet uns im täglichen Als International Police Association, Leben auf Schritt und Tritt. In den Nachrich- eine unabhängige und unpolitische Exe ten wird über gewaltsame Auseinanderset- kutivvereinigung, treten wir gegen jegli- zungen berichtet. Filme ohne gewalttätige che Gewalt auf. Dabei ist es für uns uner- Szenen gehören zur Ausnahme. heblich, von wem, wo und wogegen sich die Gewalt richtet. Körperliche Gewalt erleben zum Glück nur die wenigsten von uns am eigenen Leib – Mit dieser Broschüre bieten wir Ihnen eine aber jeder aggressive Akt ist einer zu viel. Grundlage zum Nachdenken, zur Steigerung Wir dürfen aber nicht auf die anderen For- der Aufmerksamkeit in Ihrem Umfeld, und men von Gewalt vergessen, die in vielfälti- sie soll Ihnen auch als Ratgeber dienen. Ge- ger Art und Weise eingesetzt werden – z. B. walt hat in unserem Alltag Einzug gehalten – verbale Attacken oder Mobbing. Die meis- daher ist es unsere gemeinsame Verpflich- ten dieser „Gewaltausbrüche“ geschehen tung, mit der erforderlichen Zivilcourage da- im Geheimen und die Öffentlichkeit erfährt gegenzuhalten. nie etwas davon. Denken Sie nur an Gewalt in den Familien in all ihren Facetten. Für Anregungen oder Fragen wenden Sie sich bitte an: feedback@ipa.at Martin Hoffmann Präsident der International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 4
VORWORT „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und konsequente Vorbeugung, Verhinderung und Sicherheit der Person“. Als Garant der Men- Aufklärung von strafbaren Handlungen, und schenrechte obliegt es den Sicherheitsbehör- präventiv – nach dem Motto „Die zu bevor- den und deren Organen das in Artikel 3 der zugende Gewalttat ist die, die nicht passiert“. Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankerte Grundrecht auf Schutz vor Gewalt Mit Gewaltprävention an sich kann nie früh zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. genug begonnen werden und so stellt die Präventionsarbeit mit Jugendlichen eine Gewalt hat viele Gesichter, dazu gehören ne- Hauptsäule bei den Vorbeugungsmaßnah- ben der Verletzung der körperlichen Unver- men zur Verhinderung von Kriminalität dar. sehrtheit bis hin zum Mord auch Beleidigun- gen, Beschimpfungen, Vernachlässigung, Ein- In speziell auf das Lebensalter der Kinder schüchterungen, Ausgrenzung, Drohungen, und Jugendlichen abgestimmten interakti- Demütigungen etc., aber auch physische Ge- ven Workshops begleiten die Kriminalprä- walt an Gegenständen durch Sachbeschädi- ventionsbeamten der Polizei die Schülerin- gung und Diebstahl bis hin zum Vandalismus nen und Schüler und unterstützen die Ju- zählen dazu. Diese Gewalt begegnet uns im- gendlichen bei der Reduzierung ihrer eige- mer wieder im täglichen Leben, sei es durch nen Risikofaktoren und beim Aufbau persön- Gewalt im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz licher Schutzfaktoren. oder auch in der Privatsphäre. Somit nimmt die Polizei ihren rechtlichen, Um Gewaltschutz in der Praxis wirksam aber auch gesamtgesellschaftlichen Auftrag um- und durchzusetzen, verfolgt die Poli- wahr und leistet einen wichtigen Beitrag für zei einen doppelten Ansatz: repressiv, durch die Sicherheit in Österreich. General Mag. Andreas Holzer, MA Direktor des Bundeskriminalamtes gewalt(frei) 5
VORWORT Gewalt begleitet uns unser ganzes Leben und Nachbarn wegschauen, verschlimmern und es wird immer gewaltbereite und tat- sie nur die Situation der Opfer, da diese al- sächlich gewalttätige Menschen geben. Be- leingelassen werden. Aufklärung und Infor- kämpfen kann man das einerseits durch re- mation sind oftmals die einzige Möglichkeit pressive Maßnahmen und durch den Aus- für die Opfer, sich mithilfe diverser Organisa- spruch von drakonischen Strafen. Man kann tionen von ihren Peinigern zu lösen. aber auch schwere Gewalttäter meist nicht auf Dauer wegsperren, um die Opfer vor die- Andererseits können auch täterbezogene sen zu schützen. Aus diesem Grund muss Präventionsmaßnahmen, beispielsweise Ent- man die Gesellschaft zum Hinschauen bewe- wöhnungstherapien bei suchtkranken Ge- gen und dahin gehend sensibilisieren. walttätern, überaus erfolgreich sein. Inten- sive und eindringliche Gespräche mit Ge- Opfer von Gewalt, vor allem im privaten und walttätern durch geschulte Präventionsbe- familiären Bereich, befinden sich oftmals in amte führen nicht selten zum Erfolg. einem Abhängigkeitsverhältnis, das es ih- nen subjektiv unmöglich macht, andere Men- Auf lange Sicht gesehen sollte die Prävention schen um Hilfe zu bitten. Wenn Angehörige repressiven Maßnahmen vorgezogen werden. Christian Voggenberger Leitung Landeskriminalamt Salzburg gewalt(frei) 6
VORWORT Der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder 1. Gewalt in der Familie ist kriminelles Unrecht ist die eigene Familie – eine provokante und 2. Staatliche Verantwortung auch für Gewalt erschreckende Feststellung. in der Privatsphäre 3. Sofortige Sanktionen gegen Täter! Sie müs- In dem Ministerratsvortrag 1996 führt Dr. Al- sen gehen, nicht die Opfer müssen flüchten bin Dearing, damaliger Leiter der Rechts- 4. Schutz und Sicherheit für Opfer ohne abteilung des Bundesministeriums für In- Schuldzuweisung neres, dazu aus: Es gibt keinen anderen 5. Zusammenarbeit aller staatlichen Einrich- gesellschaftlichen Bereich in Mitteleuropa, tungen und Behörden unter Einbindung in dem die Sicherheit von Frauen und Kin- der beauftragten Interventionsstellen dern so wenig gewährleistet ist wie in der 6. Gesamtgesellschaftliche Verantwortung eigenen Familie. gegen Gewalt in der Familie zu handeln Mit 1. Mai 1997 wurde das 1. Gewaltschutz- Damit wurde diese Ebene von Gewalt aus ei- gesetz in Österreich eingeführt. Damit wurde nem stark tabuisierten Bereich in die breite ein Paradigmenwechsel im Handeln gegen Öffentlichkeit gebracht, wobei Österreich in Gewalt in der Familie eingeleitet. Nicht nur Europa die Vorreiterrolle einnahm. wurden durch dieses Gesetz effektive recht- liche Maßnahmen geschaffen, um für Betrof- Vieles wurde in den letzten 24 Jahren wei- fene in der akuten Gefährdungssituation so- terentwickelt und verbessert. Und trotzdem fortigen Schutz und längerfristige Sicherheit müssen wir nach wie vor weitere Entwick- zu gewährleisten, sondern vielmehr zielte lungen vorantreiben, um immer wieder ein dieses Gesetz auf einen prinzipiellen Be- klares „NEIN“ zu Gewalt in der Privatsphäre wusstseinswandel ab: nachhaltig zu errichten. DSA Renée Mader Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum Salzburg gewalt(frei) 7
VORWORT „Die Gewalt ist die Waffe des Schwachen.“ Diese Broschüre soll für die Opfer eine Mög- (Mahatma Gandhi) lichkeit bieten, passende Einrichtungen zum Schutz und zur Beratung zu finden. Sie soll Wer will schon als schwach bezeichnet wer- Erziehern und Verwandten die Augen öff- den? Und doch kommt Gewalt Tag für Tag im nen, um die vielen kleinen Hinweise auf Ge- öffentlichen Leben, im schulischen sowie pri- walt in der Schule/im Kindergarten, aber vor vaten Bereich ständig vor. allem im privaten Bereich zu erkennen und dementsprechend handeln zu können. Am In unserem Beruf als Polizisten und Justiz- wünschenswertesten wäre es aber, wenn wachebeamte steht Gewalt an der Tages- diese Information den Tätern die Augen öff- ordnung. Zum Glück werden immer bessere net und sie ebenfalls Hilfe in Anspruch neh- Gesetze sowie Einrichtungen geschaffen, die men würden, um dem ständigen Kreislauf dem Schutz der Opfer dienen. ein Ende zu setzen. Elke Strohmeyer Landesgruppenobfrau Steiermark International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 8
VORWORT Leider ist Gewalt zu einem Begriff des täg- Eine erfolgreiche Gewaltprävention ist von lichen Lebens geworden. Gewalt in der Fa- mehreren Bedingungen abhängig: der Defi- milie, Gewalt gegen Frauen und sogar in der nition und dem Verständnis von Gewalt, ihren Schule, bis hin zu kriegerischen Auseinan- Mustern und Entwicklungsmechanismen, der dersetzungen und Terroranschlägen täglich Präsenz des Problems der Gewalt als einer zu geliefert durch die Medien. Wenigstens in lösenden Aufgabe im öffentlichen Raum der unserem überschaubaren Umfeld sollen wir Kooperationsbereitschaft der Gesellschaft. versuchen dem entgegenzuwirken und, wo wir es vermögen, auch präventiv zu wirken. Ein Weg der Gewaltprävention ist die Abschre- ckung durch eine stärkere Kontrolle öffentli- Dass Gewalt nicht selbstverständlich und ein cher Räume. Dafür werden Überwachungs- Kulturprodukt ist, muss erlernt werden. Auch kameras und Polizeistreifen eingesetzt. Aber nicht zu vergessen die sehr subtile, nicht kör- auch im kleinen Rahmen wie der Familie, perliche Gewalt, das sogenannte Mobbing. Schule, Arbeitsstelle können wir selbst et- Auch das kann bis zum Suizid führen. was tun, indem wir Gewalt als solche wahr- nehmen und nicht wegschauen. Friedrich Steif Landesgruppenobmann Niederösterreich International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 9
VORWORT Gewalt tritt im täglichen Leben in allen Al- es nicht wahrhaben oder schämen sich. Sie tersgruppen und Gesellschaftsschichten haben Angst und wissen auch oft nicht an auf. Seien es körperliche Gewalt, sexuelle wen sie sich wenden können um Hilfe zu Übergriffe, Vernachlässigung oder psychi- bekommen. scher Terror, wobei Schaden an Körper und Seele verursacht wird. Dementsprechend Wir von der International Police Association sind auch die Anzeichen von Gewalt vielfäl- sind gegen jede Art von Gewalt. Die vorlie- tig. Diese sind bei den verschiedenen Ge- gende Broschüre soll Ihnen Hilfe und Weg- waltformen oft schwer zu erkennen. weiser sein im Erkennen von Gewalt, wo auch immer sie als solche wahrnehmbar ist. Hier bedarf es besonderer Aufmerksamkeit, Wo kann ich mir Hilfe holen und wer ist meine erkennbare Veränderungen bei Bekannten, Ansprechstelle, wenn ich selbst oder jemand insbesondere bei Kindern, wahrzunehmen anders Opfer von Gewalt wird? und rechtzeitig helfen zu können. Sie wollen Konrad Luckenberger Landesgruppenobmann Burgenland International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 10
VORWORT Sie halten die aktuellste Ausgabe unserer Die Gewalt hat viele Gesichter – dieser oft Infobroschüre „gewalt(frei)“ in Händen. In zitierte Ausspruch kommt der Wahrheit sehr den zahlreichen Fachartikeln wird über die nahe. Jeder von uns hat schon Gewalt ak- vielfältigen Erscheinungsformen von Gewalt tiv oder passiv erlebt und es gilt, dieser Ge- ausführlich informiert. Behandelt werden walt im Privatbereich offen und entschlos- Fragen wie: Wie und wo entsteht Gewalt? sen entgegenzutreten. Welche Ursachen hat sie und welche Mög- lichkeiten der Deeskalation gibt es? Die viel- Im Anhang gibt Ihnen die Broschüre noch ei- fältigen Formen der Gewalt werden detail- nen detaillierten Überblick über die vielfälti- liert beschrieben und Gegenmaßnahmen gen Möglichkeiten der Information und Be- vorgestellt und erläutert. Der Fokus liegt ratung in Wien. Hier sind alle Gewaltschutz- dabei auf der Gewalt im privaten Bereich zentren, Interventionsstellen, Frauenhäuser und der Bogen spannt sich von der Gewalt und Notrufe übersichtlich gelistet und rasch in der Familie, über sexuelle Gewalt bis hin auffindbar. Scheuen Sie sich nicht, professio- zum Cybermobbing. nelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Michael Güttner Landesgruppenobmann Wien International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 11
VORWORT Gewalt hat viele Gesichter und wir begegnen Menschen, Tieren und auch an Sachen aus, ihr leider nur zu oft. Nicht erst bei körperli- unabhängig von Alter, Bildung und sozialer chen Attacken, vielleicht verbunden mit Ver- Stellung. letzungen oder gar Schlimmerem, beginnt Gewalt, dort ist sie bereits eskaliert. Kriminalitätsvorbeugung im Bereich der Ge- walt ist aber möglich in Form von Aufmerk- Gewalt entsteht nicht von heute auf morgen, samkeit, im Hinschauen, im Helfen oder sie hat Geschichte und wird von uns Men- im Hilfe-Holen. Untersuchungen haben er- schen selbst geschrieben. In der Aufmerk- schreckende Ergebnisse gebracht, wie wir in samkeit oder beim Wegsehen bei Gewaltta- der zivilisierten Gesellschaft „wegschauen“. ten. Im Helfen oder Im-Stich-Lassen. In der Trauen wir uns Zivilcourage zu und schauen Vorbildwirkung der Erwachsenen gegenüber wir nicht einfach weg! den Jugendlichen und Kindern und in der verbalen Auseinandersetzung. Die vorliegende Broschüre „gewalt(frei)“ soll den Betroffenen das Gefühl vermitteln, dass Wir reden und diskutieren über einzelne For- man der Gewalt nicht hoffnungslos ausgelie- men von Gewalt, ohne die Hintergründe zu fert ist, sondern dass man sich vertrauensvoll beleuchten, und pauschalieren Gruppen zu an die Polizei oder die zuständigen Behör- Tätern, weil dies leichter als eine hintergrün- den und Einrichtungen wenden kann. dige Analyse ist. Gewalt üben Menschen an Kurt Walker Landesgruppenobmann Salzburg International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 12
VORWORT Gewalt ist gesellschaftlich vorhanden und Deswegen ist es von großer Wichtigkeit, entsteht nicht etwa im Kindergarten oder in dass Kinder und Jugendliche durch ge- der Schule. Sie spiegelt sich in den verschie- zielte Präventionsmaßnahmen lernen, wie densten Bereichen wider und hat für jeden andere Konfliktlösungsmöglichkeiten abseits ein anderes Gesicht. der Gewalt funktionieren und eingesetzt wer- den können. Täglich werden wir von den Medien, wie z. B. über das Radio, Fernsehen oder Zeitschriften Die Informationsbroschüre der Internatio- mit Gewalt in allen Formen konfrontiert. Auch nal Police Association „gewalt(frei)“ zeigt in Zeichentrickfilmen für Kinder, wie z. B. bei die verschiedenen Formen von Gewalt auf. Tom und Jerry, wird körperliche Gewalt ver- Sie kann ein Ratgeber, aber auch gleichzei- harmlost und somit unseren Kleinsten ein fal- tig eine Art Hilfestellung für die betroffenen sches Bild vermittelt. Personen sein. Karel Müller-Peron Landesgruppenobmann Vorarlberg International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 13
VORWORT Die International Police Association ist ein gemeinsames Prinzip der Kommunikation gemeinnütziger Verein. Unsere gemeinsame als Alltagsleistung. Zur Umsetzung unserer Tätigkeit ist nicht auf Gewinn ausgerichtet hochgesteckten Ziele fördern wir den Aus- und bezweckt eine kollegiale Verbindung tausch von Erfahrungen im polizeilichen Be- der Vereinsmitglieder, die Unterstützung be- reich, organisieren Bildungsreisen und wid- sonders hilfsbedürftiger Menschen, die Ab- men uns mit Freude anderen Menschen. haltung von Informations- und Fortbildungs- veranstaltungen sowie die Herausgabe ver- Gemeinsam wollen wir den Menschen die schiedener Publikationen. Polizei und ihre vielschichtige Tätigkeit aus einem anderen Blickwinkel näherbringen Durch den Auftritt im Web und durch eine und einen Beitrag für Sicherheit leisten. Ich eigene Mitgliederzeitung leben wir unser freue mich über Ihr Interesse! Dr. Peter Kern Landesgruppenobmann Tirol International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 14
VORWORT Ein Abendfilm ohne Gewalt! Wann haben Sie Thematik lediglich auseinandersetzen, um das letzte Mal bewusst darauf geachtet, ob Gegenstrategien und Präventionspro- wir uns nicht durch die Gewalt in den Medien gramme zu entwickeln. beeinflussen lassen? Legen Sie die Broschüre nicht weg, um sie Wir als International Police Association be- später zu lesen, nein, es zahlt sich aus, gleich schäftigen uns mit dem Thema Gewalt, da es diese Ausführungen zu lesen und sich mit permanent präsent ist. Was ist Gewalt, wie dem Thema zu beschäftigen. wird Gewalt definiert, welche Arten von Ge- walt gibt es? Diese und weitere ähnliche Fra- Machen Sie mit und unterstützen Sie uns bei gen werden in dieser Broschüre beantwortet. unserem Anliegen „gewalt(frei)“. Ich wün- sche Ihnen einige spannende und interes- Absolute Gewaltfreiheit wäre wohl wün- sante Minuten mit dieser Bröschüre und ein schenswert, ist jedoch auch absolut un- gewaltfreies Leben! denkbar. Somit können wir uns mit dieser Dr. Wolfgang Gabrutsch, BA, MBA, MBA Landesgruppenobmann Kärnten International Police Association (IPA) Österreichische Sektion gewalt(frei) 15
ALLMACHT GEWALT Gewalt bricht Normen „Der Gewalt auszuweichen bedeutet Stärke.“ (Laotse) Was genau ist Gewalt? zur Rettung der eigenen Ehre oder schlicht In der Tierwelt wird Gewalt eingesetzt, wenn und ergreifend um Stolz und Eitelkeit zu ver- es um das Recht des Stärkeren geht, um Hie teidigen und das Gesicht nicht zu verlieren. rarchie und Rangordnung. Der Mensch hat sich aus der Tierwelt heraus entwickelt, doch Gewalt und Zwang in gewissen Bereichen hat er das Verhalten Gewalttätiges Handeln steht immer in direk- seiner Vorfahren beibehalten – wenn es sich ter Verbindung mit Zwang, denn gewalttäti- auch in der heutigen Zeit anders darstellt. ges Handeln hat immer zum Ziel, sich gegen Das Recht des Stärkeren ist kein Recht auf den Willen des Opfers durchzusetzen. Dabei die Durchsetzung von Gewalt, jedoch wird kann sich diese Form des Zwanges sowohl es von jenen, die Gewalt anwenden, gerne auf körperlicher als auch auf psychischer so verstanden. Sehr oft wird als Rechtfer- Ebene äußern. Nicht immer ist damit eine tigung für Gewaltanwendung eine höhere körperliche Auseinandersetzung verbun- Macht vorgeschoben: sei es zu Ehren Gottes, den, sehr wohl jedoch eine Verletzung – ➞ gewalt(frei) 16
ALLMACHT GEWALT sei es des Körpers, oder der Seele. Immer je- der berühmte Tropfen das Fass zum Überlau- doch hat Gewalt zum Ziel, das Gegenüber zu fen bringt – und als Gewaltausbruch endet. brechen. Und dabei spielt es keine Rolle, auf Als Beispiel kann das typische Anschreien welche Art und Weise dies vollzogen wird. dienen: Entweder es dient dem reinen Ab- Der Gewalttätige ist sich dessen bewusst, bau aggressiver, innerer Spannungen oder dass der oder die Betroffene sich bei freiem es wird als Mittel zur Einschüchterung und Willen anders entscheiden würde. Auch indi- Verbreitung von Angst benutzt bzw. sogar als rekte Formen der Gewalt können dabei an- Vorläufer zu weiteren gewalttätigen Hand- gewendet werden: etwa, wenn die Kinder lungen eingesetzt. des Partners bedroht oder Gegenstände zer- stört werden, um die eigene Meinung ent- Was kann man Gewalt sprechend mit Zwang durchzusetzen. Allen entgegensetzen? Formen gewalttätigen Handelns ist jedoch Der menschliche Verstand ist die wohl immer gemeinsam, dass das Gegenüber un- schärfste Waffe, um Gewalt an ihren Wurzeln bedingt geschädigt werden soll. Diese soge- auszulöschen. Wenn man davon ausgeht, nannte Schädigungsabsicht macht gewalt- dass Gewaltanwendung intentional – also tätiges Handeln auch so gefährlich: Der Tä- absichtlich – passiert, beinhaltet das auch, ter ist sich dessen, was er vorhat, durchaus dass der Mensch immer die Freiheit besitzt, bewusst und macht dennoch vor einer Um- sich gegen eine gewalttätige Verhaltens- setzung seines Vorhabens nicht halt. Gewalt weise und für eine friedvolle Konfliktlösung kann niemals fahrlässig passieren, sondern zu entscheiden. Der wahre Schlüssel zur Ge- verleiht sich erst durch ihre Vorsätzlichkeit waltfreiheit liegt im Wort Freiheit, jedoch in ei- wahre Gestalt. nem anderen Kontext: in der Entscheidungs- freiheit eines jeden Einzelnen, künftig eine Was unterscheidet Gewalt von andere Vorgehensweise zur Durchsetzung Aggression? der eigenen Interessen, Wünsche und Be- Aggression steht als Begriff sinnbildlich für dürfnisse zu wählen. Durchsetzung, Selbstbehauptung und Ab- grenzung. Eine Schädigungsabsicht muss nicht zwangsweise damit verbunden sein. Im Gegensatz dazu steht bei Gewalt – in welcher Form auch immer – der bewusste Wille dahinter, Schaden zu verursachen. Da- bei spielt es keine Rolle, ob dieser körperlich oder materiell verursacht wird. Fakt ist, dass Aggression sogar dabei helfen kann, einen gewalttätigen Ausbruch zu verhindern. Aus therapeutischer Sicht hat ein Großteil der ge- walttätigen Männer erhebliche Probleme da- mit, die innere Aggression zum Ausdruck zu bringen und in dieser Hinsicht ein eher pas- sives Verhalten an den Tag zu legen. Und dies funktioniert natürlich nur so lange, bis gewalt(frei) 17
ALLMACHT GEWALT Gewalt fasziniert „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ (Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“, Kapitel 1) Geschichte der Gewalt sie jedoch nicht minder gefährlich macht – Gewalttätiges Verhalten zieht sich wie ein ro- im Gegenteil. ter Faden durch die Geschichte und findet ih- ren Ursprung beim Beginn der Menschheit. Wenn man nun von der Gewalt des Einzelnen Die eigene Position innerhalb der Hierarchie auf die kollektive Gewalt blickt, so ergeben eines Stammes oder einer Gruppe durchzu- sich auch hier in der Geschichte der Mensch- setzen und zu festigen war häufig nur un- heit genügend Beispiele. Die Eroberung gan- ter Anwendung von Gewalt möglich. Auch zer Kontinente wurde zumeist unter Einsatz viele berühmte Herrscher wurden sehr oft von Kriegsmaschinerie vollzogen und hatte mit dem Begriff „gewalttätig“ assoziiert. Ge- nicht selten die Auslöschung ganzer Gene- walt war und ist jedoch nicht immer nur ne- rationen und Stämme von Eingeborenen zur gativ. Sie kann auch als treibende Kraft ver- Folge. Das Recht des Stärkeren wurde auch standen werden, die Neues hervorbringt. So hier zum Ausdruck gebracht und der Schwä- war etwa die Französische Revolution zu Be- chere musste in diesem Fall nicht nur unter- ginn vor allem von Gewalt geprägt, bewirkte liegen, sondern sterben. aber in weiterer Folge sehr wesentliche, po- sitive Veränderungen für eine große Bevöl- Faszination Gewalt kerungsgruppe. Nicht immer hat Gewalt den Tod des Ge- genübers zur Folge. Oftmals wird Gewalt Sowohl in der Bibel als auch in der griechi- benutzt, um den Gegner einzuschüchtern, schen Mythologie finden sich mehr als ge- ihm die eigene Stärke vor Augen zu führen nug Beispiele für gewalttätiges Handeln. und so den eigenen Willen und den persönli- Kain erschlug Abel, der griechische Gott chen Machtanspruch durchzusetzen. Und so Seth tötete seinen Bruder Osiris aus Eifer- brutal uns Gewalt auch erscheinen mag, so sucht und der persische Gott Ahriman ver- sehr fasziniert sie uns auch. Wie sonst könnte stümmelte seine Mutter auf grausamste Art man erklären, dass Horrorfilme und brutale und Weise, um sein Recht als Erstgebore- Computerspiele nach wie vor „funktionie- ner entsprechend zu untermauern. Doch ren“, sprich auf ein entsprechendes Echo von nicht nur Männer füllen die Seiten der Ge- Publikum und Kunden stoßen? schichte mit gewalttätigen Handlungen. Auch bei den Frauen finden sich genügend Gewalt ist brutal, grausam, zumeist unvor- Beispiele für Gewalttäterinnen: So tötete hersehbar und hat eine Vielzahl von Formen, die Magierin Medea ihren eigenen Nach- mittels derer sie zutage treten kann. Das Fas- wuchs und brachte auch ihre Konkurrentin zinierende daran ist, dass wir in ihr etwas se- um. Lucrezia Borgia zählt als Giftmörderin hen, das uns zugleich fremd und doch ver- eher zu den stillen Gewalttäterinnen, was traut ist. Wir alle kennen wohl das Beispiel ➞ gewalt(frei) 18
ALLMACHT GEWALT der Zwillingsbrüder: Der eine wurde zum Ver- Und so erscheint die Faszination gewalttäti- brecher, der andere zum Priester. Beide wa- gen Handelns auf einmal nicht mehr so ver- ren ähnlich aufgewachsen, doch irgendwann wunderlich. Wir erkennen darin bis zu einem entwickelten sich die Persönlichkeitsstruktu- gewissen Teil einen Bereich, den wir alle in ren auf unterschiedliche Art und Weise. Was uns tragen. Solange wir diesen fasziniert, das bedeutet? Jeder von uns besitzt eine ge- wie ein Zuseher auf eine Bühne blickt, be- walttätige Ader, doch nicht bei jedem kommt trachten, ist alles gut. Problematisch wird es, sie in ihrer vollen Macht zum Ausbruch. Es wenn wir selbst zum Darsteller werden. Denn sind die persönlichen Erfahrungen, die Art dann ist es bis zum viel zitierten „Gewaltaus- des Aufwachsens und die Grundstruktur der bruch“ nicht mehr weit, dessen vernichtende Persönlichkeit eines jeden Menschen, die Kraft vor allem jene zu spüren bekommen, letztendlich darüber entscheiden, wie er sich die sich im unmittelbaren Umfeld befinden. entscheidet: Wird er Opfer seiner gewalttä- Durch diese oft sehr enge Verbindung be- tigen Persönlichkeitsstrukturen oder Schöp- kommt häusliche Gewalt ihr starkes Funda- fer seiner Intelligenz, welche ihm dazu ver- ment: die Täter-Opfer-Beziehung. hilft, reif zu handeln? Du gehörst mir „Gewalt hört da auf, wo die Liebe beginnt.“ (Petra Kelly, Rede vor der Generalversammlung der Jugend vor den Vereinten Nationen, New York, 1985) Die Spirale der Gewalt Was aber macht eine Frau in einer Beziehung Unter allen Formen der Gewalt zählt jene, die zu ihrem Partner zum Opfer und wo findet sich im privaten Bereich abspielt, wohl zu den diese Spirale der Gewalt ihren Anfang? Auch grausamsten und gleichzeitig zu jenen mit hier bleibt es unvermeidbar, sich die Persön- der höchsten Dunkelziffer. Nicht selten spielt lichkeitsstrukturen beider Teile anzusehen. Scham dabei eine Rolle, wobei diese nicht In den allermeisten Fällen bildet emotionale durch den Täter empfunden wird, sondern Abhängigkeit die Basis für häusliche Gewalt. durch das Opfer. Und damit befinden wir uns Und dabei kann diese Form der Abhängig- bereits mitten in diesem irrwitzigen Teufels- keit sowohl das Opfer als auch den Täter be- kreis, aus dem es vielen Frauen so schwerfällt, treffen. Den Täter, weil sich sein vermeintli- auszubrechen. Es soll an dieser Stelle betont ches Opfer seiner Kontrollversuche und Be- werden, dass zu den Opfern häuslicher Ge- sitzansprüche immer wieder entzieht und walt nicht nur Frauen gehören. Es gibt auch ihm so die Möglichkeit nimmt, sein schwa- Männer, die aufgrund ihrer Persönlichkeits- ches Selbstwertgefühl entsprechend zu stär- struktur eine Beziehung mit einer vermeint- ken. Er meint sich in der stärkeren Position lich starken Partnerin eingehen und im Laufe und merkt nicht, wie sehr er seine Partnerin, der Zeit durch sie zum Opfer gemacht wer- die er durch seine gewalttätigen Ausbrüche den. Dennoch belegen die Zahlen der jährlich immer wieder zu unterjochen versucht, im angezeigten Gewaltdelikte eindeutig, dass Grunde braucht. Denn das, was er ihr immer ein Großteil der Beziehungstaten immer noch wieder versucht einzutrichtern, ist tatsäch- durch Männer verübt wird. lich seine eigene, grausame Wahrheit, in ➞ gewalt(frei) 19
KAPITEL deren Spiegel zu blicken er unbedingt zu Gewaltbeziehungen – oftmals sogar ohne vermeiden versucht: Die eigene Wertlosig- überhaupt jemals Anzeige zu erstatten? Auch keit und die Unfähigkeit, sich selbst zu lieben, hier lohnt es sich, näher auf die Persönlich- werden auf die Partnerin projiziert. keitsstruktur zu blicken. Meist sind in die- sen Beziehungen sowohl Täter als auch Op- Diese wiederum bekommt im wahrsten Sinne fer mit einem schwachen Selbstwertgefühl des Wortes zu spüren, welche ungelösten ausgestattet. Während das Opfer jedoch die Konflikte der Täter mit sich herumträgt und Schuld zumeist bei sich sucht und dies oft hat kaum Möglichkeiten, diesen etwas ent- mit Schamgefühl verbunden ist, nutzt der Tä- gegenzusetzen. Denn zumeist folgt auf je- ter dies ohne Rücksicht auf Verluste aus und den gewalttätigen Ausbruch die Phase der verstärkt nach jeder Gewalttat noch diese Ge- Versöhnung, der sogenannte „Honeymoon“, fühlsparameter bei seiner Partnerin. Sie sei der zugleich den Beginn der Gewaltspirale selbst schuld, dass er so unzufrieden sei, sie darstellt – bis zum nächsten psychischen Zu- würde sich zu wenig um ihn kümmern, früher sammenbruch des Partners, welcher erneut sei es doch auch anders gewesen und über- gewalttätiges Handeln zur Folge hat. Lässt haupt würde er sich vernachlässigt fühlen … sich die Partnerin nach dem ersten gewalt- Der Argumente gibt es noch viele weitere tätigen Zusammentreffen auf das darauffol- mehr, es ist ihnen jedoch eines gemeinsam: gende Versöhnungsangebot ein, hat sie zu- Sie alle sollen das Gegenüber schwächen, meist schon verloren. Denn dem Täter ist nicht Angst machen und vor allem bewirken, dass daran gelegen, etwas an der Situation zu än- die Partnerin schlussendlich denkt, sie wäre dern, sondern seine Partnerin gefügig zu ma- selbst schuld am Verhalten des Täters. Dies chen. Dabei scheut er auch nicht davor zu- hat fatale Folgen: Das Opfer bemüht sich im- rück, ihr entsprechende Schuldgefühle ein- mer mehr, es dem Beziehungspartner recht zureden. Nicht selten kommt es vor, dass bei zu machen, und kann – natürlich – trotzdem Einsätzen der Polizei im Zusammenhang mit nichts richtig machen. Vor lauter Scham wird häuslicher Gewalt der Täter sich äußerst ko- sehr häufig auch keine Anzeige bei der Po- operativ und friedfertig verhält. Wenn dann lizei erstattet. Damit verbunden ist sehr oft die Partnerin, von der letzten Gewalttat noch auch die Hoffnung, bei entsprechendem Ver- psychisch enorm geschwächt, weinend und halten wieder den netten Partner zurückzu- zitternd im Eck sitzt oder den Mann sogar wüst bekommen, den man zu Beginn der Bezie- und hysterisch beschimpft, ist das fatale Au- hung kennengelernt hatte. Diese Möglichkeit ßenbild komplett und der Täter hat das Spiel ist jedoch von Anfang an ausgeschlossen: Der gewonnen. Es bedarf einiger Erfahrung und Täter hat das Opfer in seiner Gewalt und so einer gehörigen Portion psychologischen Fin- lange dieses die Schuld bei sich selbst sucht, gerspitzengefühls, um diese perfide Fassade ist ein Ausbruch aus dieser Spirale unmöglich. zu durchschauen und zu durchbrechen. Anzumerken ist, dass häusliche Gewalt Ein Teufelskreis nicht nur in sozial schwachen Schichten vor- aus Scham und Schuld kommt. Selbst an den besten Adressen sind Welche Methoden benutzt der Täter, um Gewalttaten keine Seltenheit – sie werden sein Opfer gefügig zu machen, und wa- nur deutlich seltener durch die Betroffenen rum bleiben Frauen so lange freiwillig in zur Anzeige gebracht. gewalt(frei) 20
KAPITEL Körperliche Gewalt Gebrauch von Waffen Verbrennen Benutzen der Zwang, Kinder Drohung Abstreiten Einschüchterung Bagatellisieren Sexualisierte Rad der Soziale Gewalt Gewalt Ausnützen Gewalt Psychische männlicher Misshandlung Privilegien Ökonomische Isolation Stoßen Gewalt Misshandlung mit Schlagen Gegenständen Treten Körperliche Gewalt Quelle: Brückner 1998: 148 Verantwortungsvolle Nichtbedrohliches Elternschaft Verhalten - elterliche Verant- - jede/r soll sich sicher wortung fühlen und ihre/seine - positives Vorbild Bedürfnisse aus- Vertrauen und für Kinder sein sprechen können Unterstützung Ehrlichkeit, Verlässlichkeit - die Lebensziele der/des - Verantwortung für das anderen unterstützen eigene Tun übernehmen - das Recht auf eigene Rad der - Fehler zugeben Freundinnen u. Freunde, - ehrliche, offene Interessen u. Beruf usw. Aussprache führen Partner- zugestehen schaft Respekt Faire Verhandlungen führen - zuhören, ohne zu verurteilen - Veränderungen akzeptieren - verständnisvoll und - Kompromisse eingehen, unterstützend sein Kompromisse zu beider - die Meinung der/des Zufriedenheit lösen anderen schätzen Wirtschaftliche Verantwortung Partnerschaft teilen - finanzielle Entscheidungen - anfallende Arbeiten gemeinsam treffen fair aufteilen - finanzielle Absicherung - Familienentscheidungen Dieses Modell wurde im Domestic von beiden planen gemeinsam fällen Abuse Intervention Projekt, einem institutionenübergreifenden Projekt gegen Gewalt an Frauen, entwickelt (vgl. Pence/Paymar 1993). gewalt(frei) 21
TÄTER UND OPFER Die Mama, der Papa und das Kind „Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen.“ (Isaac Asimov) Die Begriffe häusliche Gewalt bzw. Gewalt Örtlichkeit bezogen, an der sie ausgeübt in der Familie unterliegen verschiedenen wird – sprich das Heim der Familie? Oder Definitionen. Die Menschenrechtskommis- verkörpert der Vater, der an einem öffent- sion der UNO grenzt beide Begriffe klar von- lichen Parkplatz sein Kind ohrfeigt und einander ab, da es leider in vielen Ländern an den Haaren zieht, auch eine Form der immer noch gang und gäbe ist, Frauen und häuslichen Gewalt mit dem einzigen Unter- Kinder zu schlagen bzw. zu züchtigen. Un- schied, dass diese nicht zu Hause, sondern abhängig davon, ob Begriffe wie jene, die öffentlich passiert? eingangs genannt wurden, überhaupt ei- ner Definition bedürfen und nicht vielmehr Unabhängig davon, ob und wie man häusli- selbsterklärend sind, bleibt eines zu beant- che Gewalt nun per se definieren mag: Die worten: Ist häusliche Gewalt rein auf die Ausübung von Gewalt kann sehr schnell ➞ gewalt(frei) 22
TÄTER UND OPFER strafrechtliche Konsequenzen haben. Unter die Gefährdung des Opfers nach einer erst- den meistangezeigten Delikten befinden malig erstatteten Anzeige ungleich höher. sich Körperverletzungen, gefährliche Dro- hungen sowie Nötigung, Erpressung, Frei- Im Zusammenhang mit dem Opferschutz ist heitsberaubung und die verschiedensten zu bedenken, dass einer Anzeigenerstattung Formen von Sexualdelikten. Wie im vorigen meist Jahre der Gewalt und der Verletzung – Kapitel bereits erwähnt, wird eine Vielzahl seelisch und körperlich – vorausgehen. Nicht dieser Delikte oft sehr lange nicht zur An- selten ist es der Fall, dass das Opfer sich an zeige gebracht, ist das Dunkelfeld in diesem viele Details nicht mehr erinnern kann. Nicht Bereich sehr groß. Oftmals werden diese Ta- aus Vergesslichkeit oder weil die angegebe- ten erst dann ans Licht gebracht, wenn sie nen Fakten nicht der Wahrheit entsprechen. sich aufgrund der Umstände nicht mehr ver- Sondern weil das menschliche Gehirn den bergen lassen – etwa, weil die erlittenen Ver- Mechanismus der Verdrängung immer dann letzungen zu massiv und nicht mehr erklärbar einsetzt, wenn alles andere zu schmerzhaft sind. Auch hier spielen Scham und Schuld- wäre, um sich daran zu erinnern. Die Verän- gefühle der Opfer eine wesentliche Rolle, derung der Persönlichkeit des Opfers, die warum erlittene Gewalttaten oft lange ver- durch jahrelanges Erdulden von Übergriffen heimlicht werden. mehr oder weniger automatisch passiert, trägt auch dazu bei, dass sehr häufig Tätern mehr Unter Berücksichtigung der angeführten Glauben geschenkt wird als Opfern. Denn wer Punkte fällt es besonders schwer zu ver- glaubt schon einer hysterisch vor sich hin wei- stehen, warum gerade bei Gewaltdelikten nenden Frau, wenn daneben der Ehemann ru- der Prozentsatz an Freisprüchen so hoch hig und sachlich die Situation im Griff zu ha- ist. Häufig wird versucht, eine außergericht- ben scheint? Selbst für die vor Ort einschrei- liche Einigung zu erzielen, oder es wird eine tende Polizei ist dies oft nur schwer einzu- geringe Geldstrafe auferlegt und der Täter schätzen und es bedarf viel Erfahrung und bleibt unbelehrt und in Freiheit. Was hierbei psychologischen Fingerspitzengefühls, um viel zu wenig bedacht wird, ist die große Ge- den wahren Täter (im Schafspelz) zu entlarven. fahr der Tatwiederholung: Hat das Opfer ein- mal den ersten, mutigen Schritt getan und Für das Opfer ist neben den körperlichen Anzeige bei der Polizei erstattet, wäre jede Verletzungen vor allem auch die psychische Unterstützung zum Opferschutz notwendig Folter nahezu unerträglich. Nicht nur, dass und müsste unbedingt auch entsprechende das eigene Selbstwertgefühl durch perma- Täterarbeit geleistet werden. Es ist nieman- nente Schuldzuweisungen konsequent un- dem damit geholfen, wenn das Gerichtsver- termauert wird. Auch das ständige Auf und fahren durch eine vermeintliche Einigung Ab der Gefühle, schwankend zwischen Eu- zwischen Täter und Opfer abgekürzt wird phorie nach einer Reuephase des Täters und und das Opfer in weiterer Folge mit noch dem bösen Erwachen, wenn klar wird, dass massiveren Übergriffen durch den Partner zu dieses Verhalten reine Taktik war, um eine rechnen hat. Nur selten wird bei dieser Form Anzeigenerstattung zu verhindern, hat Aus- von Delikten ein Umdenken seitens des Tä- wirkungen. Die Opfer haben wenig bis gar ters erzielt, indem milde Strafen verhängt kein Selbstwertgefühl mehr, verlieren das werden. Meist ist das Gegenteil der Fall und Vertrauen in sich selbst und sind häufig ➞ gewalt(frei) 23
TÄTER UND OPFER noch dazu finanziell bzw. ökonomisch vom DAS RÄT DIE IPA: Täter abhängig. Eine sehr beliebte Strategie ist nämlich die sukzessive soziale Isolation WERDEN SIE AKTIV! der Opfer von jenen Menschen, die dem Tä- ter gefährlich werden könnten. Und je ein- | Üben Sie keinerlei Toleranz gegen- samer ein Mensch ist, desto mehr orientiert über dem Täter. er sich an den wenigen verbleibenden Be- Beim kleinsten Anzeichen gewalttätigen zugspersonen, was dem Gewalttäter in der Auftretens ist diesem sofort entgegen- Beziehung sehr entgegenkommt. zutreten! Dies mag auch die Erklärung dafür sein, | Sprechen Sie darüber. warum manche Opfer über Jahre und Jahr- Suchen Sie sich eine Vertrauensperson zehnte bei ihren gewalttätigen Partnern blei- aus Ihrem Familien- oder Bekanntenkreis ben: aus Mangel an Alternativen und weil sie und hegen Sie keine Scham, über das meinen, nichts anderes verdient zu haben zu sprechen, was Ihnen widerfahren ist. und selbst schuld an der aktuellen Situation zu sein. Ein Teufelskreis der Abhängigkeit, | Die Polizei ist ein kompetenter An- welcher meist ohne fremde Hilfe nicht mehr sprechpartner. verlassen werden kann. Es werden Ihnen Möglichkeiten des Op- ferschutzes aufgezeigt sowie weitere Be- ratungsstellen empfohlen, die Sie gege- benenfalls auch bei einem Gerichtsver- TÄTERSTRATEGIEN fahren professionell unterstützen können. IM ÜBERBLICK: | Machen Sie keinen Rückzieher. | Verharmlosen Haben Sie einmal Anzeige erstattet, emp- fiehlt es sich, zu dieser auch zu stehen. | Verleugnen Zeigt der Täter Reue, gibt es immer die Möglichkeit einer außergerichtlichen Eini- | Täter-Opfer-Umkehr gung, sodass keine weiteren strafrechtli- chen Konsequenzen drohen. | Handlungen rechtfertigen: Geldprobleme, Stress, Schwierigkeiten | Lassen Sie sich helfen. am Arbeitsplatz etc. Wenn Sie sehr unter den psychischen Folgen von oft jahrelanger Gewaltaus- | Dadurch entstehende Problematik: übung leiden, suchen Sie sich Unterstüt- Die Täter übernehmen keinerlei Verant- zung bei einer Familien- oder Sozialbera- wortung für ihr Verhalten und sind da- tungsstelle. Und vergessen Sie nicht: Sie durch auch nicht in der Lage, ihr Verhal- sind nicht verantwortlich für das gewalttä- ten zu ändern. tige Verhalten Ihres Gegenübers. gewalt(frei) 24
TÄTER UND OPFER Fass mich nicht an „Gewaltfrei leben bedeutet, sich vom Opfer zum Schöpfer zu erheben.“ (Unbekannt) Zugegeben: Die in den vergangenen Jah- Womit wir uns bereits mitten im Thema be- ren zum Teil im Übermaß in der Öffentlich- finden: sexuelle Gewalt gegen Frauen. Wenn keit ausgetragene sogenannte „MeToo“- man den Medien Glauben schenken darf, so Debatte mag in manchen von uns eine ge- hat die Gewaltausübung gegenüber Frauen wisse Verdrossenheit und vielleicht sogar in den vergangenen Jahren massiv zuge- zum Teil ein Gefühl des Fremdschämens nommen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen ausgelöst haben. Ohne Frage ist es als po- hat sich die Dunkelziffer verringert und es sitiv zu bewerten, dass sexuelle Übergriffe wurden schlicht und ergreifend häufiger An- gegenüber Frauen nun stärker thematisiert zeigen erstattet. Zum anderen gibt es tat- werden. Vorsicht ist jedoch dann geboten, sächlich einen statistisch belegbaren Trend wenn die natürliche Grenze dessen, was hin zu vermehrter Gewaltausübung speziell noch zulässig ist und was nicht, zunehmend im häuslichen Bereich. verschwimmt und künftig jeder schiefe Blick eines Mannes in Richtung einer Frau, die Laut einer Zählung der APA (Austria Presse ihm gefällt, als sexuelle Belästigung dar- Agentur) vom September 2020 weist Öster- gestellt wird. reich in den vergangenen sechs Jahren ➞ gewalt(frei) 25
TÄTER UND OPFER entgegen dem allgemeinen EU-Trend eine Was aber ist nun genau „sexuelle Gewalt“ – höhere Zahl an weiblichen Mordopfern auf. wo fängt sie an und wo hört diese auf? Im Jahr 2015 waren von insgesamt 50 Mord- Selbstverständlich wird diese Grenze von opfern 30 Personen weiblich, ein Jahr spä- jedem Menschen unterschiedlich definiert. ter waren unter den gesamt 44 Ermorde- Der oder die eine empfindet eine anzügliche ten mehr als die Hälfte, nämlich 26, Frauen. Bemerkung als provokant und steigt sofort Laut Eurostat-Daten ebenfalls vom Septem- auf die Barrikaden – was einem anderen Ge- ber 2020 war Österreich im Jahr 2017 das genüber gerade einmal ein müdes Lächeln einzige Land, das mehr weibliche als männ- entlockt. Dennoch gibt es zwei ganz wesent- liche Mordopfer zu verzeichnen hatte. Und liche Unterscheidungen: zum einen die sexu- auch im Jahr 2020 hat sich an diesem Nega- elle Gewalt im strafrechtlichen Sinn und zum tivtrend wenig geändert: Unter den 24 Mord- anderen jene nach dem Gleichbehandlungs- opfern in den Monaten Jänner bis September gesetz. Beidem zugrunde liegt sexuelle Ge- befanden sich 17 Frauen und sieben Männer. walt, welche sich aus zwei völlig unterschied- lichen Motiven ereignen kann: Glaubt man einer Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, so ist 1. Sexuelle Gewalt innerhalb des eigenen in Österreich jede fünfte Frau ab ihrem 15. Familien- und Bekanntenkreises Lebensjahr sexueller Gewalt ausgesetzt. Im Schnitt werden monatlich zwei bis drei 2. Sexuelle Gewalt gegenüber einer frem- Frauen ermordet (sogenannte „Femizide“), den Person so das erschütternde Ergebnis einer Um- frage des Vereins Autonome Frauenhäu- Sexuelle Gewalt im Familien- und ser (AÖF). Dabei stehen die Täter sehr häu- Freundeskreis fig in einem verwandtschaftlichen Verhält- Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein war nis zum Opfer oder befinden sich mit die- es üblich und erlaubt, die eigene Ehefrau zu sem in einer Lebensgemeinschaft. Und was „züchtigen“ und damit auch sexuelle Gewalt erschwerend dazukommt: Sie haben nicht gegen sie auszuüben. Dies wurde als gän- gelernt, Konflikte durch gewaltfreie Kom- gige Maßnahme verstanden, um entspre- munikation zu lösen. Dies ist unabhängig chenden Gehorsam gegenüber dem Ehe- von Herkunft, Alter, Geschlecht und Religion mann herbeizuführen. Und auch wenn sich ein wesentlicher Faktor, warum es zu häus- in den letzten Jahrzehnten einiges zum Gu- licher Gewalt bzw. zu sexuellen Übergriffen ten gewendet hat und sowohl in strafrecht- gegenüber Frauen kommt: Durch die Unfä- licher als auch aus gesellschaftlicher Sicht higkeit des Täters, seine inneren Konflikte das Bild der Frau eines mit viel mehr Stärke, auf erwachsene Art zu lösen, wird das Ge- Autonomie und Freiheit geworden ist, so ist genüber zum Opfer gemacht – was unter Gewalt – und damit auch sexuelle Gewalt besonders tragischen Umständen tödlich – im häuslichen Bereich nach wie vor ei- enden kann. Auch die gesamtgesellschaft- nes jener Delikte, bei welchem die Dunkel- liche Abwertung von Frauen sowie veral- ziffer sehr hoch ist und dem auch die Exe- tete, patriarchale Rollenbilder haben einen kutive ohne Unterstützung von außen nur wesentlichen Anteil an dieser Form der Ge- sehr bedingt Herr werden kann. Meist wird walteskalation. erst Anzeige erstattet, wenn der innere ➞ gewalt(frei) 26
TÄTER UND OPFER Leidensdruck zu groß wird oder sich die ge- Aus dem Polizeialltag ist auch bekannt, dass – walttätigen Übergriffe schlicht und ergrei- wie bereits oben erwähnt – nur sehr wenige, fend nicht mehr verheimlichen lassen. Wo- nämlich ca. 10 % der erstatteten Anzeigen bei es nicht unbedingt das Opfer selbst sein im Zusammenhang mit sexueller Gewalt im muss, das die Polizei ruft. Nicht selten sind häuslichen Bereich, von den Opfern selbst es Nachbarn oder Freunde, welche die Si- kommen. Je enger das Verhältnis, desto tuation seit Jahren aus unmittelbarer Nähe geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Über- miterleben. Als Außenstehender fragt man griffe bei der Polizei zur Anzeige gebracht sich nicht selten, wie es möglich sein kann, werden. Dies betrifft im Übrigen auch den ge- dass man als Frau einen solchen Leidens- sellschaftlichen Status: je gebildeter die Fa- weg über Jahre stillschweigend erduldet. milie, desto weniger dringt hier nach außen. Die Antwort ist so kurz wie einfach: entwe- der aus Scham – oder aus Pflichtgefühl. Aus DSA Renée Mader, leitende Geschäftsführe- Scham, weil das Opfer meint, selbst schuld rin des Gewaltschutzzentrums in Salzburg, an und verantwortlich für die Situation zu beschreibt die gesellschaftlichen Gründe für sein. Oder aus Pflichtgefühl gegenüber der Gewaltausübung auf Beziehungsebene so: Familie und hier insbesondere gegenüber „Häusliche Gewalt bzw. Gewalt in der Pri- den eigenen Kindern. vatsphäre meint alle Beziehungen, die von Verhäuslichung geprägt sind, das bedeutet, Dem Täter geht es in diesem Fall vor allem wo emotionale Bindungen und damit emo- um eines: nicht um den sexuellen Akt an sich, tionale Abhängigkeiten bestehen. Die Basis der hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. für häusliche Gewalt ist dabei nicht nur psy- Sondern um Machtausübung und das Gefühl chologisch begründet. Es geht hier vielmehr der absoluten Kontrolle über das Gegenüber. um die gesamtgesellschaftliche Benachteili- Hier wird nach außen projiziert, was im eige- gung von Frauen – die sogenannte struktu- nen Inneren nicht ausgehalten werden kann: relle Gewalt. Dadurch sind Männer der Mei- was in sich selbst verleugnet und daher im nung, auch im zwischenmenschlichen Be- anderen gesucht wird. reich Macht und Herrschaft über Frauen ausüben zu können. Nicht ohne Grund ist Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in keinem anderen Bereich in Mitteleuropa für das Jahr 2020 ist die Zahl der angezeig- die Gefährdung von Frauen und Kindern hö- ten Gewaltdelikte zwar im Vergleich zum Vor- her als in der eigenen Familie bzw. im sozi- jahr um 8,2 Prozent gesunken. Dennoch: In alen Umfeld.“ 62 % der insgesamt 67.051 begangenen De- likte kannten sich Täter und Opfer. Ebenfalls Sexuelle Gewalt gegen im Jahr 2020 wurden insgesamt 54 Morde fremde Frauen registriert, davon 31 an Frauen und 23 Män- Im Laufe der Geschichte zeigt sich hier eine nern. Und bei 2/3 der registrierten Mordfälle erschreckende Verharmlosung des straf- lag zumindest ein Bekanntschaftsverhältnis rechtlichen Deliktes der Vergewaltigung. zwischen Täter und Opfer vor. Auch heute müssen Opfer zum Teil ernied- rigende und beschämende Befragungen ➞ gewalt(frei) 27
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