Grenzgänger zwischen Theater und Zirkus - Schwerpunkt - SBKV
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
BÜHNE B Ü H N FILM E • F FERNSEHEN I L M • T V Zeitschrift des Schweizerischen Bühnenkünstlerverbandes Nr. 92 / April – Mai – Juni 2016 Schwerpunkt Grenzgänger zwischen Theater und Zirkus Matthias Schoch und Zirkus Chnopf Michael Finger und der Cirque de Loin
PROLOG Bühne» erschien 1923 als offiziel- Das «Ensemble» wird sich verän- les Verbandsorgan. 1987 wurde dern – inhaltlich wie auch optisch. die SBKV-Verbandszeitschrift «En- Mit kleinem finanziellen Mehrauf- semble» lanciert. Zuerst erschien wand wird es im Vierfarbendruck sie in unregelmässigen Abständen, erscheinen. Es wird ein radikales seit 1996 wird sie vierteljährlich he- Neudesign erhalten, neue Rubri- rausgegeben und den SBKV-Mit- ken und verschiedene Gastbeiträ- gliedern kostenlos zugestellt. Das ge bringen. Ernsthaftes, wie z.B. «Ensemble» hat sich optisch und Kulturpolitisches und Arbeitsrecht- inhaltlich immer wieder etwas ver- liches, werden wir lesen, aber auch ändert. Von Anfang an aber war News und Unterhaltsames aus der und ist die Verbandszeitschrift eine Szene dürfen Platz haben. Kurz Informationsplattform für Bühnen- gesagt soll das neue «Ensemb- Salva Leutenegger künstlerinnen und Bühnenkünstler. le» informieren, unterhalten und Seit 2009 zeichnen Thomas Bluba- hoffentlich auch zu Diskussionen cher als verantwortlicher Redaktor anregen. Auf jeden Fall wird das Liebe Mitglieder und Simone Gojan als Redaktorin. neue Team mit Engagement, Lei- Eine Würdigung derer langjähri- denschaft und journalistischem Wir brechen zu neuen Ufern auf! ger Tätigkeit für den SBKV, von der Spürsinn in diese neue Herausfor- Diese «Ensemble»-Nummer, die SBKV-Präsidentin Elisabeth Graf derung einsteigen. Sie gerade in Ihren Händen halten, verfasst, lesen Sie weiter unten. wird es in dieser Form nicht mehr Das neue «Ensemble»-Team wird Liebe Mitglieder, geniessen Sie die geben. Die nächste Nummer – die sich aus zwei SBKV-Mitgliedern Lektüre dieser letzten Nummer 93 – wird in einem neuen Kleid er- zusammensetzen – Rolf Sommer und entdecken Sie ab Ende Juni ein scheinen und von einem neuen Re- für die Redaktion und Christian neues «Ensemble». daktionsteam geschrieben sein. Knecht für das Layout. Eingehen- Aber lassen Sie uns vorher einen der vorstellen werden wir die bei- Herzliche Grüsse kurzen Blick zurückwerfen: Die ers- den in der nächsten Nummer. Was Salva Leutenegger te Verbandszeitschrift «Schweizer ich Ihnen jetzt schon sagen kann: Geschäftsleiterin SBKV Lieber Thomas Blubacher seits hast Du als Autor, der auch nur auf der Bühne und vor der Ka- Liebe Simone Gojan im journalistischen Bereich tätig mera einsetzen, sondern auch für ist und neben wunderbaren Bü- andere Tätigkeiten nutzen, sei- Heute halten wir die letzte von chern (ich denke da zuerst an Dei- en das Kommunikationstraining, Euch gestaltete «Ensemble»-Aus- ne Gustaf-Gründgens-Biografie) Businessacting, Ausbildung von gabe in Händen. Fast sieben Jah- auch für namhafte Zeitungen und Bühnenkünstlern, therapeutische re lang hast Du, Thomas, unseren Magazine schreibt, die Ansprüche, Arbeit u.v.a.m. Du hast manchem Mitgliedern vertiefte Einblicke in die wir an unsere Blattmacher stel- «SBKV-Mitglied im Gespräch» ei- die verschiedensten Themen ver- len, mehr als erfüllt. Du hast un- ne Plattform geboten. In jüngs- schafft. Deine Interviews, Berich- sere Verbandszeitschrift, die von ter Zeit hast Du unter dem Titel te und Buchrezensionen zeugten jeher von Verbandsmitgliedern «Planken, die die Welt bedeu- stets von einer Leidenschaft für verdienstvoll und mit viel Herzblut ten» die Arbeitsmöglichkeiten für unsere Branche und für das ge- gemacht worden war, professi- Bühnenkünstler an Bord grosser schriebene Wort. Einerseits bist Du onalisiert. Du warst stets um ein Kreuzfahrt-Schiffe beschrieben als Regisseur (als unser damaliger breites Themenspektrum bemüht. und aufgezeigt, welche Schiffe für Geschäftsleiter, Rolf Simmen, Dich Du hast unter dem Titel «Theater Schweizer Darsteller besonders in- für diese Aufgabe gewann, warst Theater …. und mehr» unzählige teressant sind, und zum aktuellen Du bereits seit vielen Jahren SBKV- SBKV-Mitglieder vorgestellt, die Thema «Theater und Migration» Mitglied) einer von uns, anderer- ihre beruflichen Fähigkeiten nicht hast Du so unterschiedliche The- Titelbild: Cirque de Loin: «Strada!», © Foto: Lucia Gerhardt 2 Ensemble Nr. 92
aterregisseurinnen wie Annette Monaten auf dem Tisch, bzw. ben verstorbenen Kollegen bei Dir Rommel, Leiterin zweier Kinder- Pult, wird in der Tasche mitge- so ganz anders als in der Presse. und Jugendtheaterfestivals, Ani- führt und unterwegs gelesen. Im Und weil Du unzählige Nachrufe na Jendreyko, Mitbegründerin der «Flüsterkasten» ist alles Wichtige auf wenig bekannte Kollegen ge- Volksbühne Basel und Jasmine in Kürze zusammengefasst. Wem schrieben hast, erfuhr man oft erst Hoch, Co-Leiterin des Maxim The- wurde wo welche Auszeichnung aus dem «Ensemble» vom Able- aters in Zürich zu Worte kommen verliehen, wo wurde ein neues ben eines Kollegen, mit dem einen lassen. «Dein» «Ensemble» hat Theaterfestival auf die Beine ge- vielleicht vor 30 Jahren eine inten- sich auch mit den Jahren verän- stellt. Bei welchem Kleintheater sive Zusammenarbeit verbunden dert und entwickelt, so kam mit konnte eine Subventionskürzung hat. So wie uns das ehrliche Kol- der Nr. 73 die Rubrik «Recht im verhindert werden. Welche Insze- legenlob das Wertvollste ist, so Alltag» ins Heft. – Und einmal gab nierung wurde an welches Treffen wichtig ist es, dass wir inne halten es sogar ein Heft in Farbe. Das Ju- eingeladen – Dank Dir sind wir im und der Kollegen gedenken, die biläumsheft zum 90. Wiegenfest Bild, und weil unser «Ensemble» uns verlassen haben. Du hast uns unseres SBKV. vierteljährlich erscheint, sind wir das ermöglicht. Seit 2005, um genau zu sein, seit auch im Bild, wenn eine Nachricht Lieber Thomas, liebe Simone, als der Nr. 50, sorgst Du, liebe Si- in der Tageszeitung an uns vorbei Regisseur und Theaterwissen- mone, dafür, dass wir auf dem gegangen ist, weil wir uns gera- schaftler beziehungsweise als The- Laufenden sind. Wer, wo, wann de in Endproben befanden. Du aterwissenschaftlerin war Klatsch neuer Ballettchef wird – wir sind hast Nummer für Nummer eine und Tratsch Eure Sache nicht. informiert. Eine Umbesetzung Unmenge an Information zusam- Eurem Schreiben ging immer eine im Bundesamt für Kultur – wir mengetragen und uns partizipie- gründliche Recherche voraus (es wissen Bescheid. Eine drohende ren lassen. gab keine Enten oder geschosse- Spartenschliessung beim TOBS Selten gibt es auf drei Fragen so nen Böcke). Für Euer Wissen und infolge Subventionskürzung – da- ausführliche Antworten, wie Du Können, das Ihr dem «Ensemb- rüber wurde im Tournéebus ge- sie in Deiner Rubrik «Drei Fragen le» über viele Jahre zur Verfügung sprochen! Keine Ankündigung an …» erhalten hast. gestellt habt, für die Einblicke und eines Intendantenwechsels oder Du strafst Schiller Lügen, denn bei Einsichten, die Ihr uns ermöglicht einer Verlängerung fällt bei Dir Dir trifft nicht zu, dass die Nach- habt, für die vergnügliche Lektüre, unter den Tisch. Und weil unser welt dem Mimen keine Kränze für Eure Arbeit von Herzen Danke! «Ensemble» ein Printmedium aus flicht. Deine Nachrufe waren nicht richtigem Papier und kein News- bloss eine Aufzählung der «Statio- Elisabeth Graf, SBKV Präsidentin letter ist, liegt es in vielen Haushal- nen eines Künstlerlebens». Oft las ten unserer Mitglieder während man eine Hommage an einen lie- FLUSTERKASTEN …Basel Prozent auf 69 Prozent. Bei ei- der, darunter 11 juristische Per- Das Theater Basel verzeich- nem Aufwand von rund 59 Milli- sonen, hat der Verband, der den nete in der letzten Saison unter onen Franken spielte das Theater Kulturschaffenden und -institu- Georges Delnon 2014/15 in 523 8,6 Millionen Franken ein, was tionen spartenübergreifend eine Vorstellungen 169'077 Besuche- einer Eigenwirtschaftlichkeit von gemeinsame Stimme geben und rinnen und Besucher, fast 20'000 22,8 Prozent entspricht. ihre kulturpolitischen, rechtlichen weniger als vor einem Jahr. Die und wirtschaftlichen Interessen Auslastung der Grossen Bühne Anfang Februar wurde der Ver- vertreten will. fiel von 58,4 Prozent auf 52,1 band Kultur Baselland (VKBL) Prozent, und auch die Kleine Büh- als Dachverband der Kulturschaf- …Bern ne musste einen Zuschauerrück- fenden und -institutionen im Die Saison 2014/15 von Konzert gang hinnehmen (Auslastung: Kanton Basel-Landschaft als Re- Theater Bern schloss finanziell 58,2 Prozent; im Vorjahr: 60,5 aktion auf die Sparmassnahmen mit einem leichten Überschuss Prozent). Das Schauspielhaus da- des Kantons gegründet (bis 2017 von rund 33'000 Franken ab. In gegen frequentierten mehr Per- will dieser die Kulturausgaben 470 Veranstaltungen wurden sonen als in der letzten Saison. um insgesamt 785'000 Franken 149'948 Besucherinnen und Be- Die Auslastung stieg von 62,1 kürzen). 56 Gründungsmitglie- sucher gezählt, rund 9'000 mehr Ensemble Nr. 92 3
als im Vorjahr. Den signifikan- lifikation von Stephanie Gräve testen Anstieg der Besucher- ausser Frage. Aber die Kombina- zahlen konnte das Musiktheater tion dieser beiden Persönlichkei- verzeichnen: 40'886 Personen ten hat am Konzert Theater Bern besuchten die Vorstellungen aufgrund unvereinbarer Wellen- (im Vorjahr: 31'315). Auch das längen nicht funktioniert.» Vor- Schauspiel konnte in der dritten gesehen ist, im nächsten Herbst und letzten Saison der Schau- eine neue Leitung bestimmt zu spieldirektorin Iris Laufenberg haben, die auch die Planung für die Besucherzahlen um 5 Prozent die Spielzeit 2017/18 überneh- von 40'440 auf 42'613 steigern. men könne. Interimistisch leitet Insgesamt erzielte das Theater nun Märki das Schauspiel. Einnahmen in Höhe von rund 5,5 Millionen Franken. …Berlin Zwei Schweizer Bühnen sind Stephanie Gräve, seit der lau- dieses Jahr beim Berliner Thea- fenden Saison Schauspieldirekto- tertreffen zu sehen: Das Schau- Manuel Stahlberger rin am Konzert Theater Bern, spielhaus Zürich und das © Foto: Daniel Ammann / Adrian wurde vom Stiftungsrat des The- Theater Basel. Stefan Puchers Elsener aters auf Antrag des Direktors Inszenierung von Henrik Ibsens Stephan Märki am 21. Januar «Ein Volksfeind» in einer mo- …Biel Solothurn mit sofortiger Wirkung von ih- dernen Bearbeitung von Dietmar In der Spielzeit 2014/15 haben ren Aufgaben entbunden. Anlass Dath des Schauspielhauses erhielt 58’083 Zuschauer das Thea- für die Freistellung seien «grund- ebenso eine Einladung wie Ibsens ter Orchester Biel Solothurn legende inhaltliche und strate- «John Gabriel Borkman» in der (TOBS) besucht. Gegenüber dem gische Differenzen», hiess es Regie von Simon Stone, eine Co- Vorjahr ist die Zahl der Zuschau- zunächst. Anfang März begrün- Produktion des Wiener Burgthea- er somit fast stabil geblieben, dete der Stiftungsratspräsident ters mit den Wiener Festwochen Schauspiel und Oper konnten Benedikt Weibel die Freistellung und dem Theater Basel. ihre Besucherzahlen bei gerin- folgendermassen: «Stephan Mär- gerer Vorstellungsanzahl sogar ki ist ein sehr erfolgreicher Inten- …Biel steigern. Die zweite Saison unter dant, der seit 2011/12 Konzert Der Schweizer Kleinkunstpreis der Direktion von Dieter Kaegi Theater Bern souverän und zu der KTV, der Vereinigung Künst- schliesst bei einem Aufwand von unser aller vollsten Zufriedenheit lerInnen – Theater – Veranstal- über 14,5 Millionen Franken mit führt. Gleichzeitig steht die Qua- terInnen, wurde ab 2015 in die einem geringen Defizit von knapp Förderung des Bundesamtes für 54’000 Franken ab. Kultur aufgenommen, die den Preis verleiht und finanziert. Die …Chur Jury der KTV nominiert drei Per- Das Theater Chur weist auch in sonen und/oder Gruppen, die der Spielzeit 2014/15, der fünf- bereits ein Preisgeld von je 5'000 ten unter der Direktion von Ute Franken erhalten. In diesem Jahr Haferburg und Ann-Marie Arioli, sind das der Kabarettist, Mund- bei einem Gesamtbudget von 1,9 artpoet und Musiker Manuel Millionen Franken einen Gewinn Stahlberger, das multiinstrumen- aus (17'416 Franken). Insgesamt tale Trio Heinz de Specht und wurden 139 Veranstaltungen ge- das zeitgenössische Clown-Duo zeigt, 101 davon im kuratierten Compagnia Baccalà. Die eidge- Programm mit einer Auslastung nössische Jury für Theater wählt von 73 Prozent. 21'428 Zuschaue- den Gewinner aus, der am 14. rinnen und Zuschauer (im Vorjahr April in Thun im Rahmen der Er- waren es über 26'000) verzeich- öffnungsgala der 57. Schweizer nete das Theater in der letzten Stephanie Gräve Künstlerbörse bekannt gegeben Spielzeit, was einer Gesamtauslas- © Foto: Philipp Zinniker wird. tung von 70 Prozent entspricht. 4 Ensemble Nr. 92
Wird in Genf zu sehen sein: Ibsens: «Ein Volksfeind» vom Schauspielhaus Zürich mit Becky Lee Walters (Live- Musik), Sofia Elena Borsani als Petra Stockmann und auf Projektion: Isabelle Menke als Katherine Stockmann, © Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie …Genf von Fabrice Melquiot (Regie: Joan Prix de Lausanne, 235 Mäd- Vom 26. bis 29. Mai findet in Genf Mompart) des Théâtre Am Stram chen und 57 Jungen, die aus 36 das 3. Schweizer Theatertref- Gram und anderen, «D’Acier» Ländern stammten. Von den vor- fen statt. Folgende Produktionen nach Silvia Avallones Roman in selektierten und angetretenen werden dort gezeigt: Ibsens «Ein der Regie und Bearbeitung von 67 Kandidatinnen und Kandida- Volksfeind» in einer Bearbeitung Robert Sandoz, eine Produktion ten kamen 20 ins Finale. Anfang von Dietmar Dath unter der Regie von L’outil de la ressemblance in Februar wurden sieben von die- von Stefan Pucher vom Schau- Koproduktion mit mehreren Part- sen ausgezeichnet, und erstmals spielhaus Zürich, das auch zum nern, auf Italienisch wird «Beckett seit vielen Jahren gewann wieder Berliner Theatertreffen 2016 ein- Sounds – Words and Music» in eine Schweizerin in der Haupt- geladen wurde, «Edward II. Die der Regie von Alan Alpenfelt ge- kategorie des Preises, nämlich Liebe bin ich» von Ewald Palmets- geben, eine Produktion des Kol- die 18-jährige Zürcherin Laura hofer nach Christopher Marlowe lektivs V XX ZWEETZ und AZIMUT. Fernandez, die letzten Sommer (Regie: Nora Schlocker), eine Ko- «Engel in Amerika» von Tony ihre Berufsausbildung an der produktion des Theaters Basel mit Kushner des Theaters Basel in der Tanz Akademie Zürich abschloss. den Wiener Festwochen und dem Inszenierung von Simon Stone Sie erhielt eines der sieben Ein- Schauspielhaus Wien, Yuri An- und Jan Bosses Regie von Arthur Jahres-Stipendien im Wert von druchowytsch’ «Der Extremist» in Millers «Hexenjagd» am Schau- 16'000 Franken für eine der re- der Regie von Manfred Ferrari der spielhaus Zürich wurden eben- nommierten Partnerschulen oder freien Gruppe ressort k in Zusam- falls ausgewählt, können aber -compagnien des Prix de Lau- menarbeit mit dem Theater Chur, aus technischen Gründen nicht in sanne. Sie wurde auch «beste Valérie Poiriers «Palavie» (Regie: Genf gezeigt werden. Schweizer Kandidatin» (2'500 Julien George) eine Produktion Franken) und teilte sich zudem von La Cie Clair-Obscur in Ko- …Lausanne den Preis in der Kategorie «Zeit- produktion mit dem Théâtre du Fast 300 junge Tänzerinnen und genössischer Tanz» mit Vincenzo Grütli-Genève, «Münchhausen?» Tänzer bewarben sich für den 44. Di Primo. Ensemble Nr. 92 5
…Luzern markant erhöht. Statt wie bisher fürsorgerischen Massnahmen Das Luzerner Theater legte 600'000 Franken erhält der Süd- gerät. Rabea Egg wurde für die- seinen Geschäftsbericht für die pol nun eine Million Franken. se Titelrolle auch mit dem Fern- Spielzeit 2014/15 vor. Die Ge- sehfilmpreis 2016 für die beste samtauslastung betrug 73,69 St. Gallen weibliche Hauptrolle ausgezeich- Prozent, knapp 4 Prozent we- Theater und Konzert St. Gallen net. Die Auszeichnung für die niger als im Vorjahr. Die insge- bot in der Spielzeit 2014/15 438 beste männliche Hauptrolle ging samt 339 Vorstellungen wurden Vorstellungen an, die von insge- an Imanuel Humm. Er spielt in von 68'427 Zuschauerinnen und samt 151’396 Personen frequen- Sabine Boss’ Film «Verdacht» Zuschauern besucht (im Vorjahr tiert wurden, 115'729 davon den Lehrer Max Gruber, dem vor- 73'226). An den zahlreichen besuchten Theatervorstellungen. geworfen wird, eine Schülerin Vermittlungsprojekten (Proben- Die Auslastung konnte bei den sexuell missbraucht zu haben. besuchen, Werkeinführungen Konzerten um 8 Prozent auf 84 Claude-Inga Barbey überzeug- etc.) nahmen fast 40'000 Per- Prozent gesteigert werden, im te in der Nebenrolle der Kran- sonen teil, so dass insgesamt Schauspiel von 75 Prozent auf 77 kenschwester Bénédicte in der mehr als 100'000 Menschen die Prozent. Bei einem Gesamtetat RTS-Serie «Anomalia», Antoine Veranstaltungen des Luzerner von über 39 Millionen Franken Monot, Jr. als Massenmörder im Theaters besuchten. Die Erfolgs- schloss das Betriebsergebnis mit Tatort «Ihr werdet gerichtet». Die rechnung 2014/15 schloss bei ei- einem Plus von 270’258 Fran- Preise sind mit je 10'000 Franken nem Gesamtetat von 24’750'839 ken. Die Eigenwirtschaftlichkeit dotiert. Franken mit einem positiven Jah- von Theater und Konzert St. Gal- resergebnis von 44'716 Franken len erhöhte sich damit um rund 2 …Zürich ab. Der Eigenfinanzierungsgrad Prozent auf 30,2 Prozent. Das Zürcher Stadtparlament ent- lag bei 16,82 Prozent, etwas hö- schied Ende November, die Sub- her als in der letzten Saison. …Sevilla ventionen für das Tanzhaus Im Rahmen des Europäischen Zürich 2016 bis 2018 und für Der neue Intendant des Luzer- Filmfestivals in Sevilla wurden den Verein «Zürich tanzt» 2016 ner Theaters, Benedikt von Pe- im November die Nominationen bis 2019 zu gewähren. Dem ter, plant eine Theater-Box, die für den Europäischen Filmpreis Theater Winkelwiese drohte 150 Zuschauern Platz bieten und 2015 bekanntgegeben. In mehre- eine Subventionskürzung für die zwischen Theater und Kirche, auf ren Hauptkategorien war der mit Jahre 2016 bis 2019 («Ensemble» dem rege frequentierten Theater- Schweizer Beteiligung gedrehte berichtete). Der diesbezügliche platz, angesiedelt sein soll. Der Film «Youth» (koproduziert von Antrag der FDP scheiterte indes. Holzbau kann zu diesem Platz C-Films, Zürich) nominiert. Im Bewilligt wurde auch eine Erhö- auf zwei Seiten hin geöffnet wer- Dezember gewann er in drei Ka- hung der Filmförderung von 1,5 den und verfügt über verstellbare tegorien: Er wurde «Europäischer Millionen Franken auf 4,7 Millio- Wandelemente. Durch Glaswän- Film», Paolo Sorrentino wurde als nen Franken. de hindurch gewährt die neue bester Regisseur geehrt, Haupt- Spielstätte voraussichtlich Einbli- darsteller Michael Caine als bes- Das Theater Kanton Zürich er- cke in die Theaterarbeit. Bespielt ter Schauspieler. hält nun doch nicht wie im Som- werden soll die Box mit Eigen- mer 2015 vorgesehen einen produktionen und von Partner- …Solothurn einmaligen Beitrag von 2 Millio- institutionen des Theaters (freie Bei den 51. Solothurner Film- nen Franken aus dem kantonalen Szene, Südpol, Lucerne Festival tagen erhielt Michael Schaerers Lotteriefonds. Der Regierungsrat etc.). Die Baukosten von rund Fernsehfilm «Lina» (mit Rabea zieht den entsprechenden An- 800'000 Franken übernehmen Egg in der Hauptrolle) den mit trag an den Kantonsrat zurück Luzerner Sponsoren, die nicht ge- 20'000 Franken dotierten Pub- und schreibt in seiner Begrün- nannt werden wollen. Eröffnet likumspreis. Der Film erzählt die dung, dass sich seit der Eingabe werden soll die Box mit Spielzeit- Geschichte der 17-jährigen Lina, des Unterstützungsgesuches bei beginn am 9.9.2016 um 9 Uhr. die sich Ende der sechziger Jahre den Teilprojekten des Theaters in den Sohn eines Grossbürgers markante Veränderungen erge- Im neuen Dreijahresvertrag zwi- verliebt und dann wegen angeb- ben hätten. Voraussichtlich noch schen der Stadt Luzern und dem licher Liederlichkeit eingesperrt in diesem Jahr wird sich der Re- Südpol werden die Subventionen wird und in die Maschinerie der gierungsrat jedoch mit einem 6 Ensemble Nr. 92
Rahmenkredit für das Theater Der Geschäftsbericht für die Spiel- Der Schweizer Filmpreis beschäftigen, der die Finanzie- zeit 2014/15 des Opernhauses Quartz wird am 18. März im rung der Spielzeiten 2018/19 bis weist bei einem Gesamtaufwand Schiffbau in Zürich verliehen. 2023/24 regeln soll. Die vorgese- von rund 128 Millionen Franken Die Nominierten wurden im Rah- henen Projekte sollen dem Kan- einen Gewinn von über 400'000 men der Solothurner Filmtage tonsrat dann zusammen mit dem Franken aus. Das positive Ergeb- bekanntgegeben. Für diese so- Rahmenkredit vorgelegt werden. nis liegt unter anderem am Perso- wie für den Ehrenpreis und den nalaufwand, der im Vergleich zur Spezialpreis der Akademie steht Das Schauspielhaus Zürich Saison 2013/14 um 3,3 Millionen ein Preisgeld von 477'500 Fran- verzeichnet im Geschäftsbericht Franken gesenkt wurde. Schwie- ken zur Verfügung. Der Spielfilm 2014/15 141'196 Zuschauerin- riger wird es im nächsten Jahr, «Köpek», ein Drama über Un- nen und Zuschauer (im Vorjahr da das Haus dann mit 3,1 Millio- recht und Gewalt in der heutigen 162'704), die 617 Vorstellun- nen Franken weniger auskommen Türkei, der türkischstämmigen gen besuchten. Die Auslastung muss: Wie angekündigt, senkte Regisseurin Esen Isik und Lionel im Pfauen betrug 55 Prozent, der Kantonsrat die Subventionen Baiers «La vanité», eine «leicht- im Schiffbau 74 Prozent, die ans Opernhaus um 2 Prozent, fror füssige Sterbehilfe-Komödie», Box war zu 84 Prozent ausge- den Betriebsbeitrag für die nächs- sind mit fünf beziehungswei- lastet, das Junge Schauspielhaus ten Jahre bei 80 Millionen ein. Zu- se vier Nominationen Favoriten zu 97 Prozent. Der Gewinn des dem werden die Sparbeiträge in des Schweizer Filmpreises 2016. Geschäftsjahres beläuft sich auf die eigene Pensionskasse erhöht, Die Kassenschlager «Heidi» und rund 30'000 Franken. was nochmals finanzielle Mittel «Schellen-Ursli» haben drei res- erfordert. Dafür muss das Opern- pektive zwei Nominationen er- Knapp 238'000 Besucherinnen haus allfällige Umbauten nicht halten. Unter anderem ist Bruno und Besucher sahen 331 Vorstel- mehr selbst aus dem Betriebsbei- Ganz, der den Almöhi in «Heidi» lungen am Opernhaus Zürich, trag decken, sondern kann beim spielt, in der Kategorie «bester über 5’000 mehr als im Vorjahr. Kanton Subventionen beantragen. Darsteller» nominiert. PERSÖNLICHES Die Uraufführung des Stücks «Und zeit 2016/17 am Schauspiel Es- und leistet damit einen wichtigen dann kam Mirna» der deutsch- sen uraufgeführt. 128 Texte zum Beitrag zur kulturellen Teilhabe. schweizerischen Autorin Sibylle Thema «Glaube» wurden zu den Dieses grosse Engagement wird Berg in der Regie von Sebastian Essener Autorentage Stück auf! mit dem Förderpreis 2016 ausge- Nübling erhält den Friedrich-Luft- eingereicht, acht kamen ins Fina- zeichnet», so der Regierungsrat in Preis für die «beste Berliner und le. Clavadetscher, die in Fribourg seiner Mitteilung. Potsdamer Aufführung des Jahres Germanistik, Linguistik und Phi- 2015». Der Preis, der mit 7'500 losophie studierte, war 2013/14 Bruno Ganz wurde mit dem «Life- Euro dotiert ist, wird seit 1992 Hausautorin am Luzerner Theater, TimeAward» der «Swiss Awards» alljährlich von der «Berliner Mor- wo 2006 auch ihr erstes Theater- für sein Lebenswerk geehrt. Der genpost» in Erinnerung an den stück «Drei Frauen» zur Urauffüh- 74-jährige Schweizer Schauspie- 1990 verstorbenen Theaterkriti- rung kam. ler, der sowohl auf der Bühne als ker Friedrich Luft vergeben. «Und auch im Film zu Hause ist, wur- dann kam Mirna» wurde im Sep- Die 1969 in Zürich geborene de im Laufe seiner Karriere schon tember 2015 am Berliner Maxim Schauspielerin, Theaterpädagogin vielfach ausgezeichnet, unter an- Gorki Theater uraufgeführt. und Kunstvermittlerin Golda Epp- derem ist er seit 1996 Träger des stein bekam den Förderpreis des Iffland-Rings, der testamentarisch Die Schweizer Autorin Martina Kantons Zürich im Bereich Musik, dem «jeweils bedeutendsten und Clavadetscher, 1979 in Zug ge- Tanz und Theater, der mit 40'000 würdigsten Bühnenkünstler des boren, gewann mit ihrem Stück Franken dotiert ist. Mit ihrem The- deutschsprachigen Theaters» auf «Umständliche Rettung» den Es- aterstudio «Backstage» betreibt Lebenszeit verliehen wird. sener Autorenpreis, der mit 5'000 sie «eine der wenigen Bühnen Euro dotiert ist, zudem wird das für professionell angeleitetes Lai- Dem 40-jährigen Regisseur Alain Stück in der kommenden Spiel- en- und Kindertheater in Zürich Gsponer gelang mit seiner Neu- Ensemble Nr. 92 7
verfilmung des Klassikers «Heidi», sammen, widmete sich ausserge- einer schweizerisch-deutschen wöhnlichen und experimentellen Koproduktion, der beste interna- Musiktheaterprojekten und ent- tionale Kinostart eines Schwei- wickelte Rollen, die Musik und zer Films. Nach nur fünf Wochen Theater, Gesang und Schauspiel Laufzeit hatten schon 1,5 Milli- verbinden. Keller wirkte viele Jah- onen Zuschauerinnen und Zu- re als Pianist, war musikalischer schauer den Film gesehen, davon Leiter von Theaterproduktionen, über eine Million in Deutschland. Chefredaktor einer Musikzeit- Die Vorführrechte waren im Ja- schrift und Musikproduzent bei nuar in rund 50 Länder in Europa SRF 2. Den Zürcher Kulturpreis und Übersee verkauft worden. bekommt das Musikerduo für «die Intensität, die Sorgfalt, die Der Kulturpreis des Kantons Zü- Eigenwilligkeit und die Meister- rich, der mit 50'000 Franken schaft, mit der es die Zürcher Mu- Uta Köbernick, © Foto: zvg dotiert ist, geht an den Sänger sikszene belebt». Christoph Homberger und den stof Stählins Schule für Poesie Musiker Christoph Keller. Seit Der 17-jährige Westschweizer und Musik SAGO, absolvierte 2005 ein Duo, gründeten sie ei- Kacey Mottet Klein vertrat die 2000 bis 2004 ihr Schauspielstu- nen Musiksalon im Brockenhaus Schweiz als Shooting Star im Rah- dium an der Theaterhochschule Zürich West mit der Idee, quali- men der 66. Berlinale 2016. Mit Zürich, spielte danach am Berli- tativ hochstehende Konzerte in dem Shooting Stars Award för- ner Ensemble, arbeitete und ent- dert die European Film Promotion wickelte ihr erstes Soloprogramm jährlich die zehn talentiertesten am Zürcher Theater Winkelwiese. Jungschauspieler Europas. Kacey Seit 2006 ist sie mit ihren Solo- Mottet Klein, 1998 in Lausanne programmen auf Tour, seit 2014 geboren, spielte bereits als Zehn- arbeitet sie für Radio SRF 1 und jähriger in Ursula Meiers Film SRF 2 und ist Autorin bei denk- «Home» eine Hauptrolle, wofür funk. er den Schweizer Filmpreis erhielt. In der Folge war er in viel beach- Der 71-jährige Schweizer Regis- teten europäischen Filmprodukti- seur Xavier Koller gewann mit onen zu sehen. Seine Rolle neben seiner Schellen-Ursli-Verfilmung Léa Seydoux in «Sister» von Ur- den Swiss Award 2015 im Be- sula Meier (2012), ausgezeichnet reich Kultur. Es sei ihm gelungen, mit dem Silbernen Bären der Ber- so die Jury, ein Stück Schweizer Christoph Homberger linale, brachte ihm einen weiteren Volkskultur authentisch und er- © Foto: Björn Jensen Schweizer Filmpreis sowie eine folgreich ins Kino zu bringen. Kol- César-Nomination ein. ler hält sich in einem der bisher ungewohnter Umgebung für ei- teuersten Schweizer Filme (5,6 nen erschwinglichen Preis anzu- Uta Köbernick ist für die Schweiz Millionen Franken) eng an die bieten. 2012 initiierten sie den Preisträgerin des «Salzburger Zeichnungen von Alois Carigiet. Verein «Spontankonzerte» der in Stiers 2016», des renommiertes- Zürich-Schwamendingen «Hom- ten Kleinkunstpreises im deutsch- Beim 37. Filmfestival Max-Ophüls bis Salon» betreibt. Der 1962 in sprachigen Raum, der mit 6'000 Preis erhielt der Projektinitiator Zürich geborene Homberger war Euro dotiert ist. Mit diesem Preis und Regisseur Michael Krum- nach seiner Gesangsausbildung würdigt die Jury eine «politische menacher stellvertretend für alle als Oratorien- und Konzertsänger Lyrikerin und Musikkabarettis- zehn Regisseure des Films «Hei- tätig bis ihn der Regisseur Her- tin, die ihr Publikum in Deutsch- matland» den Preis für den gesell- bert Wernicke 1989 für die Oper land, Österreich und der Schweiz schaftlich relevanten Film 2016, entdeckte. Er arbeitete daraufhin ins Nachdenken, Träumen und der mit 5'000 Euro dotiert ist. Der unter anderen mit den Regisseu- Schmunzeln singen kann». Die Film «meistert mit Bravour die ren Christoph Marthaler, Hans 1976 in Berlin geborene Köber- schwierige Aufgabe, einen kohä- Neuenfels und Frank Castorf zu- nick, ab 1996 Mitglied von Chri- renten Film aus zehn verschiede- 8 Ensemble Nr. 92
nen persönlichen Perspektiven, «Haltung beziehend und Haltung Schweizer Literaturpreise 2016 auf die Situation in einem Land einfordernd verleiht er dem Thea- für ihren Roman «Eins im An- in einer fiktiven Extrem-Situation ter und der Gesellschaft Impulse, dern», der 2015 auf der Shortlist zu werfen», so die Begründung. die den Sprengstoff der globalen zum Deutschen Buchpreis stand Der Film ist auch in der Katego- Konflikte in unsere Mitte holen.» und mit dem Schweizer Buchpreis rie «Bester Spielfilm» und «Bes- Zudem kam Raus Produktion «Das 2015 ausgezeichnet wurde. te Montage» für den Schweizer Kongo Tribunal (B. Die Berliner Filmpreis nominiert. Hearings)», eine Zusammenarbeit Die Genossenschaft Konzert und mit den Sophiensaelen Berlin und Theater St. Gallen verlängert den Dem Filmregisseur Rolf Lys- Bukavu/Kongo, beim nachtkritik. Vertrag mit Beate Vollack um drei sy wurde der Zürcher «Stadt- de Theatertreffen 2016 auf den Jahre. Vollack, die seit der Spiel- taler», eine Ehrenmedaille für zweiten Platz. zeit 2014/15 die Leitung der Tanz- seine künstlerischen Verdiens- kompagnie des Theaters innehat, te und sein Engagement für die Am 1. Februar trat Esther Roth Filmstadt Zürich, verliehen. Lyssys ihr Amt als Leiterin der Abteilung bekanntester Film «Die Schwei- kulturelles.bl an. Die freischaffen- zermacher» aus dem Jahr 1978, de Kulturmanagerin konnte sich ist der mit Abstand erfolgreichste gegen 87 andere Bewerberinnen Schweizer Film. und Bewerber durchsetzen. 1980 im bernischen Seedorf geboren Giovanni Netzer, Intendant des und in Basel wohnhaft, studier- Festivals Origen in Graubünden, te sie an der dortigen Universi- hat ein neues Theaterprojekt tät und schloss mit dem Master vorgestellt: Auf dem Julierpass of Advanced Studies in Arts Ma- soll ein temporäres Theaterhaus nagement ab. Seit 2012 hat sie entstehen, das «sich dem Welt- das Präsidium der KTV inne und theater widmet, die Jahreszeiten ist Stiftungsratspräsidentin der Beate Vollack bespielt und den Hochgebirgspass Schweizerischen Interpretenstif- © Foto: Theater St. Gallen als Ort der Kultur neu interpre- tung. Aktuell ist Roth Verantwort- tiert». Das vorgestellte Theater- liche für nationale und politische bleibt demnach bis Juli 2020. «Wir modell zeigt einen «oktogonalen, Projekte bei HELVETIAROCKT und freuen uns sehr, weiterhin mit der sonnendurchfluteten Raum, der Vorstandsmitglied des RFV Basel international gefragten Tänzerin Tageszeit und Jahreszyklen spie- – Popförderung und Musiknetz- und Choreografin Beate Vollack gelt – und den Dialog zwischen werk der Region Basel. zusammenzuarbeiten, die wichti- Natur und Kultur neu definiert». ge künstlerische Impulse bei uns Es handelt sich um eine rund 18 Martin Schläpfer, Ballettdirek- gesetzt hat und mit ihren sinnlich- Meter hohe Holzkonstruktion, tor der Deutschen Oper am Rhein intelligenten Choreografien be- die drei bis fünf Jahre haltbar sein Düsseldorf Duisburg, gibt seine geistert», so Operndirektor Peter und 300 bis 350 Zuschauern Platz Position auf eigenen Wunsch zum Heilker. «Von ihrer sprühenden bieten soll. Ende der Spielzeit 2015/16 auf. Er kreativen Energie lassen wir uns bleibt dem Ballett, das er seit 2009 gerne weiterhin anstecken», Der Regisseur Milo Rau wurde erfolgreich leitet und das unter ergänzt der Geschäftsführende mit dem Preis des Internationa- seiner Führung dreimal in Folge Direktor Werner Signer. len Theaterinstituts (deutsches von der Fachzeitschrift «Tanz» zur Zentrum), der seit 1985 an Compagnie des Jahres gewählt Julika Zink wird ab August 2016 Persönlichkeiten geht, die im wurde, aber als künstlerischer die neue künstlerische Leiterin deutschsprachigen Theaterraum Direktor und Chefchoreograf bis des Casinotheaters Winterthur. herausragende Leistungen mit in- mindestens 2019 erhalten. Sie folgt auf Nik Leuenberger, ternationaler Ausstrahlung erbrin- der das Theater nach vier Jahren gen, ausgezeichnet. Rau stehe für Die 1971 in Zürich geborene auf eigenen Wunsch verlässt. Die eine Generation, die mit Kompro- Autorin, Dramatikerin, Schau- 37-jährige Zink ist mit dem Be- misslosigkeit auf die sich immer spielerin und Theaterregisseurin trieb vertraut, da sie seit fünf Jah- stärker radikalisierende Wirklich- Monique Schwitter erhielt einen ren als rechte Hand der Direktion keit reagiere, so die Begründung. der mit 25'000 Franken dotierten arbeitet. Ensemble Nr. 92 9
ABSCHIED Ende November verstarb der The- ein in den Kontinent des Herzun- sisches Ballett, Modern Dance und aterregisseur Luc Bondy. 1948 in gewissen. Und wer da zuschauend Jazztanz im Repertoire hatte, zeigte Zürich als Sohn des Schriftstellers mitreisen durfte, kam beglückt und seine Produktionen in der ganzen François Bondy in eine Künstlerfa- beseligt zurück.» Bondy war 1973 Schweiz, aber auch im Ausland. milie hineingeboren, absolvierte er bis 1975 Teil des Direktoriums des Mehr als 400 Tänzerinnen und nach dem Abitur eine zweijährige Frankfurter Schauspiels, 1985 bis Tänzern gab Deroc Auftrittsmög- Ausbildung beim Pantomimen Jac- 1988 Mitglied der Direktion der lichkeiten, zahlreiche Nachwuchs- ques Lecoq in Paris und ging dann Schaubühne Berlin, 1997 bis 2001 künstler starteten ihre Karriere bei als Regieassistent ans Thalia The- hatte er die Schauspieldirektion bei ihm. 1973 begründete er mit «Lu- ater Hamburg. Er inszenierte in den Wiener Festwochen inne, von dus Danielis» die Tanzfestspiele Göttingen, Wuppertal, Darmstadt 2002 bis 2013 war er deren Inten- Königsfelden in der Klosterkirche und in München, wo ihm 1973 dant, ab 2012 führte er das Théât- Königsfelden, die noch heute als mit Edward Bonds «Die See» ein re National de l’Odéon in Paris. Luc Auftrittsort für Tanz genutzt wird. spektakulärer Erfolg gelang. Die Re- Bondy wurde vielfach ausgezeich- Deroc, der sein Wissen auch als Bal- giearbeit wurde zum Berliner Thea- net, er erhielt beispielsweise 1984 lettpädagoge weitergab und sich tertreffen eingeladen, ebenso wie die grosse Theater-Trophäe des in der Verbandsarbeit als Mitgrün- im Laufe der Jahre fast ein Dutzend französischen Theater- und Musik- der des heutigen dansesuisse enga- weiterer Arbeiten. Es folgte eine he- kritikerverbandes, 1997 die höchste gierte, erhielt unter anderem 1968 rausragende Karriere als Regisseur Auszeichnung im Schweizer Thea- den Prix Italia, 1969 die Ehrenme- an allen grossen deutschsprachigen terleben, den Hans Reinhart-Ring, daille der Rubin Academy of Music Bühnen mit viel beachteten Insze- 2007 die Ehrenmedaille der Bun- Jerusalem, 1982 den Kunstpreis der nierungen auch in Frankreich und deshauptstadt Wien in Gold und Stadt Zürich und 2005 die Anerken- im internationalen Opernbereich. Er 2013 den Nestroy für sein Lebens- nungsgabe der Stadt Zürich. entdeckte den in Deutschland völ- werk. lig vergessenen Dichter Marivaux Die Schauspielerin und Theaterlei- für die Bühne wieder, befasste sich Der Tänzer und Choreograf Jean terin Erica Hänssler erlag Anfang ausführlich mit dem Werk Botho Deroc starb Ende Dezember im Januar ihrem Krebsleiden. 1947 in Strauß’, inszenierte sowohl Handke Alter von 90 Jahren. In Zürich ge- Zürich geboren, verbrachte sie ih- als auch Yasmina Reza sowie unter boren, absolvierte er dort bei Ma- re Schul- und Jugendzeit in Zürich anderen Shakespeare, Tschechow, rio Volkart an der Ballettschule des und Vevey, absolvierte in Vevey ei- Ibsen, Schnitzler und Beckett. Bei Stadttheaters Zürich eine klassi- ne Grafikerlehre, studierte in Wien all seinen Inszenierungen, seiner sche Ausbildung, studierte weiter Germanistik und war als Flugbeglei- «detail-beseelten Regiekunst» in Genf, später in Paris und in den terin bei der Swissair tätig, bis sie (Michael Merschmeier) stand die fünfziger Jahren in New York (Mo- Anfang der siebziger Jahre zu Stok’s «Menschensucht» (Ivan Nagel) im dern Dance/Jazztanz). Sein erstes Kammertheater kam. Dort begann Zentrum, seine Hingabe, seine Lie- Engagement als Tänzer führte ihn sie bei Elisabeth Barth und unter be für die Figuren und zu den Men- an die Comédie Française, es folg- der Obhut von Zbigniew Stok ihre schen; seine Inszenierungen waren ten Verpflichtungen in Lyon, Lau- dreijährige Schauspielausbildung, ein Fest, an dem die besten Schau- sanne, Basel, Malmö, Hamburg, St. die sie mit dem Diplom in Karlsru- spieler teilnahmen, so Barbara Vil- Gallen, Kiel, Berlin. Mitte der fünfzi- he abschloss. Für das Theater, das liger Heilig in ihrem Nachruf in der ger Jahre begann er selbst zu cho- sie gemeinsam mit ihrem Partner «NZZ», und Gerhard Stadelmaier reografieren, als Ballettmeister in St. Stok bis zu dessen Tod 1990 leitete, verabschiedete ihn in der «FAZ» mit Gallen und Luzern, in Graz, Bremen schuf Hänssler in den kommenden den Worten: «Luc Bondy, neben und Venedig. 1965 gründete er mit Jahrzehnten rund 60 Eigenpro- Peter Zadek, Peter Stein, Klaus Mi- Solistinnen und Solisten des Zürcher duktionen, Soloprojekte nach lite- chael Grüber, Peter Brook, Ariane Opernhauses und des Berner Stadt- rarischen Vorlagen, ihr «Theater Mnouchkine und Andrea Breth ein theaters das Schweizer Kammerbal- Total». Von der Anfangsidee bis zur Gewaltiger der europäischen Welt- lett, die erste freie Tanztruppe der Bühnenfassung gestaltete die viel- bühne, war unter ihnen der größ- Schweiz, die 40 Jahre lang Bestand seitige Künstlerin, die jeweils auch te Liebesspieler. Seine Schauspieler haben sollte. Das Kammerballett, spielte, alles selbst: Text, Drama- nahm er mit auf unnachahmliche das keinem bestimmten Stil ver- turgie, Bühnenbild, Maske, Musik, Individualabenteuerreisen tief hin- pflichtet war, unter anderem klas- Kostüm und Plakat. Zum «Theater 10 Ensemble Nr. 92
Total» gehören auch ihre Buch- und Estrella» und nochmals 1996 unter anderem am Theater Baden- publikationen («Theatertagebuch», bis 2000 einen Mozart-Zyklus mit Baden und am Theater der Stadt «Milchstrassenalphabet») und das dem Regisseur Jürgen Flimm. Ab Trier verpflichtet war, kam 1960 in 2001 von ihr gegründete Theater- Anfang der Siebziger Jahre lehrte er die Schweiz und spielte am Atelier- museum am Sihlquai 252. Das The- Aufführungspraxis und historische Theater Bern unter anderem den ater Stok wird es weiterhin unter Instrumentenkunde am Salzburger Möbius in Dürrenmatts «Die Phy- der Leitung von Peter Doppelfeld, Mozarteum. Es entstanden musik- siker» und James Tyrone junior in seit 1992 Lebens- und Arbeitspart- philosophische Schriften mit seinen O’Neills «Eines langen Tages Reise ner von Erica Hänssler, geben. Die Analysen der «Musik als Klangre- in die Nacht». Ab 1964 bis 1994 Subventionen wurden letztes Jahr de», bis heute Standardwerke der gehörte er dem Ensemble des Zür- für weitere vier Jahre gesprochen, historischen Aufführungspraxis. Als cher Schauspielhauses an und gab eine Leistungsvereinbarung mit der Gastdirigent war er dem Concert- dort über achtzig Rollen, in denen Stadt geschlossen. Eigenproduktio- gebouw-Orkest Amsterdam, dem er das Publikum begeisterte. Er war nen wie Hänsslers jedoch werden Chamber Orchestra of Europe, den beispielsweise 1966 Major Friedli in nicht mehr zu sehen sein. Wiener und den Berliner Philhar- der Uraufführung von Dürrenmatts monikern verbunden, seiner Hei- «Der Meteor» (1968 spielte er die- Der Dirigent Nikolaus Harnon- matstadt Graz und der Steiermark selbe Rolle in der TV-Verfilmung), court verstarb Anfang März 86-jäh- mit dem alljährlich stattfindenden 1971 war er als Richter Ljapkin- rig. In Berlin geboren und in Graz Festival styriarte für klassische und Tjapkin in Gogols «Der Revisor» aufgewachsen, absolvierte er ein alte Musik. Harnoncourt wurde viel- zu sehen, 1974 als Erzbischof von Cello-Studium an der Akademie fach ausgezeichnet, unter anderem Canterbury in Shakespeares «Ri- für Musik und darstellende Kunst in erhielt er 1982 die Hans-Georg- chard III.» oder 1986 als Graf Au- Wien und wirkte von 1952 bis 1969 Nägeli-Medaille der Stadt Zürich, bespine in Schillers «Maria Stuart». als Cellist bei den Wiener Sympho- 1993 den International Classic Mu- Zudem widmete Wüstendörfer sich nikern. Bereits 1953 gründete er sic Award als «Dirigent des Jahres seiner umfangreichen Tätigkeit als mit seiner Frau Alice ein Ensemb- 1992» und 2002 den Musikpreis Sprecher (Radio, Fernsehen, Hörbü- le für alte Musik, den «Concentus der Ernst-von-Siemens-Stiftung. cher) und war jahrzehntelang in der Musicus Wien», um seiner immer Verbandsarbeit tätig: von 1969 bis intensiveren Arbeit mit historischen Der Schauspieler Edzard Wüsten- 1995 war er Obmann der Ortsgrup- Instrumenten, die er sammelte, und dörfer ist tot. Er verstarb Anfang pe Schauspielhaus des SBKV. der Musik der Renaissance und März in seinem 90. Lebensjahr. des Barock ein Forum zu geben. Wüstendörfer, der in Deutschland Simone Gojan Bis kurz vor seinem Tod leitete er das Ensemble, mit dem er bei der Wiederentdeckung der alten Mu- INTERNA sik Meilensteine setzte. Ab 1971 Netzwerk-Apéro duktion von SBKV und SSFV, stiess war Harnoncourt als freischaffen- auf ein sehr positives Echo. Ca. 30 der Dirigent tätig, vor allem an den in Solothurn Mitglieder trafen sich zum lockeren Opernhäusern in Zürich, Mailand, Der erstmalig durchgeführte Netz- Gespräch, zum Informationsaus- Amsterdam, Hamburg, Frankfurt werk-Apéro an den Solothurner tausch bei Speis und Trank. Nächs- und Wien. Am Opernhaus Zürich Filmtagen, eine Gemeinschaftspro- tes Jahr geht’s in die 2nd Season. schuf er gemeinsam mit dem Re- gisseur Jean-Pierre Ponnelle den inzwischen legendären Montever- di-Zyklus, ein weltweit als sensatio- nell betrachteter Durchbruch. Dem schloss sich, ebenfalls mit Ponnelle als Partner, ein Zyklus von Mozart- Opern an. Harnoncourt dirigierte bis zum Weggang von Pereira im- mer wieder in Zürich: Strauß’ und Offenbachs Operetten ebenso wie Verdis «Aida», Webers «Frei- Von links: Oliver Blessinger, Tiziana Sarro, Salva Leutenegger, Michael Schraner schütz» oder Schuberts «Alfonso Ensemble Nr. 92 11
SCHWERPUNKT: ZWISCHEN THEATER UND ZIRKUS Grenzgänger Cirque de Loin: «Mendrisch», © Foto: Sabrina Christ Grenzgänger zwischen den Bret- denverweigerndem Kulturschaf- Anders als beim traditionellen tern, die die Welt bedeuten, und fen eingestellt hat, existiert längst Zirkus stehen beim «Nouveau den Sägespänen der Manege gab eine lebendige und enorm vielfäl- Cirque», «Neuen Zirkus» oder es schon immer, man denke nur tige Szene unabhängiger Com- «zeitgenössischen Zirkus» nicht an Peter Brogle, den gefeierten pagnien, deren sparten- und artistische Höchstleistungen im Publikumsliebling des Zürcher genreübergreifende, oft poetisch- Vordergrund, sondern narrati- Schauspielhauses (unter anderem schöne, mitunter aber auch radi- ve Inhalte. Kein Wunder, dass war er der Andri in der Urauf- kale und verstörende Spektakel die spartenübergreifende Kunst- führung von Frischs «Andorra»), Artistik, Tanz, Theater, Musik und form immer wieder «klassische» der als Seiltänzer und Clown im Bildende Kunst vereinen, meist un- Schauspieler in ihren Bann zieht. «Circus Royal» auftrat. 1979 ver- ter dem Anfang der 1970er Jahre Matthias Schoch, in jungen Jah- wirklichte er seinen lebenslangen in Frankreich entstandenen Label ren durch die Hauptrolle im Film Traum vom fruchtbaren Zusam- «Nouveau Cirque»: vom «Rigolo «Jeune Homme» zu frühem menspiel zwischen Artistik und Swiss Nouveau Cirque», 1978 als Ruhm gelangt und nach seiner Theater und gründete das mobile Strassen- und Kindertheater «Cir- Ausbildung rasch zum Publikums- Variété «Peter Brogles Schaubu- cus Rigolo» gegründet und spä- liebling am Theater Orchester Biel de» (mit dabei waren unter an- ter in «Rigolo Tanzendes Theater» Solothurn avanciert, arbeitet als derem Dodo Hug und Christoph umbenannt, bis «FahrAwaY». Der Künstlerischer Leiter von «Zirkus Marthaler); im selben Jahr wurde wohl international bekannteste Chnopf». Und Michael Finger, er mit dem Hans Reinhart-Ring auf diesem Gebiet tätige Schwei- bekannt durch Filme wie «Utopia geehrt, der höchsten Auszeich- zer ist der – 2012 ebenfalls mit Blues» und «Hildes Reise», erregt nung im Schweizer Theaterle- dem Hans Reinhart-Ring ausge- Aufsehen mit seinem «Cirque de ben. Damals war Brogles Spagat zeichnete – Regisseur, Choreo- Loin», sei es mit Eigenprodukti- zwischen der bürgerlichen Hoch- graf, Autor und Clown Daniele onen oder in Zusammenarbeit kultur und dem gelebten Zirkus- Finzi Pasca, der das Teatro Sunil beispielsweise mit den Theatern traum ein Sonderfall, für Viele gründete, Spektakel für den kana- Bern und St. Gallen. Was faszi- wohl auch ein Kuriosum. dischen Cirque Éloize und den Cir- niert die beiden Schauspieler am Obschon sich das System der öf- que du Soleil kreierte, aber auch «Neuen Zirkus»? fentlichen Verwaltung bis heute Opern inszenierte, u.a. in London, nicht auf diese Art von schubla- Neapel und St. Petersburg. Thomas Blubacher 12 Ensemble Nr. 92
Cirque de Loin: «Strada!» réal eingeladen wurde, habe ich © Foto: Lucia Gerhardt dort zum ersten Mal den Cirque Éloize und damit zum ersten Mal Nouveau Cirque gesehen, also die Mischung von Theater, Tanz, Livemusik und zeitgenössischem Zirkus. Das hat mich in den Bann geschlagen, hat mich als ganz- heitliche Bühnenform begeistert, denn zur Gesamtheit der darstel- lenden Künste gehört für mich eben auch die Artistik dazu. Der zeitgenössische Zirkus ist die ein- zige performative Kunst, die alle Elemente der darstellenden Kunst vereint: Musik und Tanz, Theater und Artistik. Ich bin aus Kanada zurückgekehrt mit der Vision, ei- ne eigene Zirkuscompagnie zu gründen. Zudem habe ich zur sel- ben Zeit in der Schweiz im Zirkus gelebt, eher per Zufall, in einem Wagen im Winterquartier des Cir- colino Pipistrello; das hat mich als Lebensform berührt. Ich war da- «Wir muten unserem mals in der Vorbereitung meines zweiten Films, der während einer Zirkus-Tournee spielt. Und über Publikum etwas zu!» die Jahre ist es dann so gekom- men, dass ich den Zirkus, von dem der Film handelt, wirklich gegrün- Michael Finger det habe. Von 2009 an habe ich und der Cirque de Loin den Zirkus Chnopf geleitet, aber der hatte und hat eine andere Ausrichtung als das, was mir vor- Sie sind die wohl profiliertesten Grenzgänger zwischen Sprech- schwebte, also sind wir getrenn- und Tanztheater, Film, Artistik und Musik, zwischen Freier te Wege gegangen. Und so kam Szene und hochsubventionierten Häusern in der Schweiz: Der es, ebenfalls 2009, zur Gründung Schauspieler Michael Finger und seine Mitstreiter vom Cirque des Cirque de Loin. Der Film muss- de Loin haben mit ebenso anarchischen wie poetischen Ei- te dann erst einmal warten, bis wir genproduktionen begeistert, darunter zuletzt «Strada!» und ihn 2013 dann endlich realisiert «Mendrisch», aber auch Stücke in Zusammenarbeit mit dem haben. Und jetzt ist der Film, der Theater Neumarkt (2011 «Marasa»), dem Theater Bern (2013 den Titel «Son of a Fool» trägt, «The Fool and the Princesses») und dem Theater St. Gallen fertiggestellt: Ein Theater-Zirkus- (2015 «Katharina Knie») produziert. Ensemble probt eine tragische Lie- besgeschichte von Zwillingen, die Du hast die ZHdK besucht, ein Fluch ist –, immer alles zusam- bei der Geburt getrennt wurden. hast klassische Rollen an menbringen zu wollen, also auch Währenddessen vermischt sich Bühnen wie dem Theater mein Leben mit meinem Beruf. der Alltag immer mehr mit dem Basel gespielt. Wie kam es zur Der Zirkus als Gemeinschaftsform Bühnengeschehen. Die Tournee Gründung des Cirque de Loin? hat mich fasziniert. Als ich 2007 führt die intensive Lebens- und Ar- Ein grosses Thema in meinem Le- mit «bersten», meinem Debüt- beitsgemeinschaft auf Zeit bis ans ben ist das Ganzheitliche. Ich ha- film als Regisseur, zum Festival Meer. Wo der Sohn auf der Klippe, be eine Gabe – die gleichzeitig des Films du Monde nach Mont- von welcher sich das Zwillingspaar Ensemble Nr. 92 13
in verzweifelter Liebe stürzen will, nig darum, vom Zirkusdiktator Eure Produktionen sind keine auf sich selber trifft. Michael Finger zum Kollektiv zu gefällige Unterhaltung für die wachsen. Um die Handvoll enger ganze Familie wie etwa das Der Cirque du Loin Mitstreiter gibt es einen Kreis von Programm des Zirkus Knie… ist Dein Kind… vielleicht einem Dutzend Leuten, Die Technik steht hinten an – das «Mendrisch» ist die erste Pro- mit denen wir immer wieder ar- werfen uns die Zirkusleute manch- duktion, die nicht von mir gebo- beiten, und dann ziehen wir, je mal vor. Aber wir sind kein Num- ren wurde, bei der ich eigentlich nach Projekt, noch weitere dazu. mernzirkus, und wenn ein Artist nur Hebamme bin und Endregie In «Mendrisch» spielen neben drei Salti machen kann, aber nur mache. Es ist das Baby von Noah Newa und Noah der Schauspie- zwei emotional füllt, dann macht Egli, der seit Beginn zum Cirque ler Dominique Jann mit, den man er eben nur zwei. Wir erzählen de Loin gehört, und von Newa unter anderem aus Filmen wie Geschichten, wir sind sehr theat- ral unterwegs, die Artistik ist le- diglich eine wichtige Erweiterung unserer Ausdrucksformen, so wie der Tanz. Es geht um Inhalte, und das führt dazu, dass nicht alles schön ist, es geht zur Sache. Und weil wir eine Truppe sind, die sich mit Haut und Haar der Geschichte aussetzt und die es auch im Leben gern hat, wenn es zur Sache geht, weil eine gewisse Intensität da ist – auch wieder Fluch und Gabe zu- gleich –, sind unsere Stücke sehr physisch, voller Blut und Schweiss sozusagen. Die Intensität, die wir mögen, die lustvolle Körperlich- keit, unsere Rauheit, das kann schon Widerstand auslösen bei jemand, der nur die weihnachts- liebliche, nette Ecke des konventi- onellen Zirkus kennt. Es geht uns aber nie darum zu provozieren, das interessiert uns nicht, und das war auch noch nie ein Thema auf den Proben. Wenn in einer Impro- visation einer die Hosen runter- lässt, und wir finden das lustig, auch wenn es vielleicht kindisch oder blöd ist, dann muten wir das, weil es uns gefällt, auch dem Pu- blikum zu. Aber eben nicht, um zu provozieren. Zum Teil kommen die Leute wohl auch mit falschen Erwartungen zu uns. In St. Gallen Cirque de Loin: «Strada!», © Foto: Lucia Gerhardt haben wir ja in Zusammenarbeit mit dem Theater Carl Zuckmayers Grawit, die ihre Schauspielaus- «Die Standesbeamtin» und «Luft- «Katharina Knie» gemacht, ein bildung an der Hochschule der business» kennt, der Musiker Be- Volkstheaterstück mit eher kon- Künste Bern absolviert hat und nedikt Utzinger und die beiden ventionellen Zirkuselementen – seither freischaffend arbeitet. dänischen Hand-auf-Hand-Ar- und ich denke, dass in St. Gallen Das ist die momentan enge Fa- tisten Tuk Frederiksen und Sofie der eine oder andere Zuschauer milie, und es geht auch ein we- Jasmin Sabroe. daraufhin unsere Eigenprodukti- 14 Ensemble Nr. 92
Und für Dich persönlich? Reizt Dich als Schauspieler die Stadttheaterbühne überhaupt noch oder die Arbeit vor der Kamera? Seit ich mit dem Cirque de Loin angefangen habe, war das keine Option mehr. Aber jetzt wieder mal einfach nur einen Job machen … Zirkus ist keine Arbeit mehr, das vermischt sich so mit dem Le- ben … Also jetzt, nach ein paar Jahren, muss ich sagen: Sich mal Cirque de Loin: «Mendrisch», © Foto: Sabina Christ wieder nur einer Rolle zu widmen, könnte was haben. Ich bin sonst on «Strada!» besucht hat, mit der tier her, in dem wir natürlich auch immer als Produzent, als Regis- wir in der Lokremise gastiert ha- Produktionen zeigen werden, und seur, als Spieler dabei. Mich nur in ben, und etwas verwirrt war, als ein eigenes Zelt, mit dem wir an eine Aufgabe hinein zu entspan- er «Cirque de Loin pur» gesehen den unterschiedlichsten Orten nen, das könnte ich mir schon hat. spielen können. Wir produzieren wieder mal vorstellen. inzwischen so regelmässig – wir Ihr koproduziert immer wollen endlich auch eigenständig Thomas Blubacher wieder mit dem instituti- sein, was die Auftrittsorte anbe- onalisierten Theater… langt. Das ist halt grosses Kino, Du hast ein vorbereitetes Gefäss, die Fi- nanzierung steht (und das ist Michael Finger nicht einfach, wenn man zeitge- 1975 in Zürich geboren, beendete er nössischen Zirkus macht) – das ist 1998 die Ausbildung an der Schau- eine willkommene Abwechslung. spiel-Akademie Zürich. Engagements Du hast auf der anderen Seite na- u. a. am Jungen Theater Zürich, am türlich auch Einschränkungen: Theater Neumarkt Zürich, am Theater Wenn Du gewohnt bist, so zu ar- Basel und in diversen freien Schwei- beiten wie wir, und kommst dann zer Gruppen. Für die Hauptrolle eines in diese militärische Stadttheater- manisch-depressiven 18-Jährigen in struktur – das kann schon ziemlich Stefan Haupts Kinospielfilm «Uto- knallen. Auf der anderen Seite fin- pia Blues» wurde er 2002 mit dem inger de ich es bitter nötig, im deutsch- Michael F itte Fässler © Foto: Brig Schweizer Filmpreis und dem Max- sprachigen Raum, in dessen Ophüls-Preis als «Bester Darsteller» Sprechtheatertradition alles Kör- sowie als «Shooting Star» an den Berliner Filmfest- perliche völlig unterentwickelt ist, spielen ausgezeichnet. 2002 folgte seine erste Regiearbeit für Zirkus eine Tür aufzustossen: Die Zirkus- Chnopf (in Co-Regie mit Andrea Schulthess). Bis 2006 inszenierte artistik in den Stadttheaterbetrieb er diverse Produktionen in der freien Szene. Als Schauspieler war er zu bringen, so selbstverständlich zunehmend nur noch in Kino- und Fernsehfilmen zu sehen (darunter zu machen, wie es Musik und Tanz in Christof Vorsters «Hildes Reise», Tobias Ineichens «Sonjas Rück- sind. Die Vertikale muss da einfach kehr», Sabine Boss‘ «Das Geheimnis von Murk»). 2006 realisierte rein! In Frankreich ist die Zusam- Finger seinen ersten eigenen Spielfilm «bersten», der zu Festivals in menarbeit der etablierten Häuser Montréal, Zürich, Hof, Locarno und Solothurn eingeladen, in den mit Zirkuscompagnien seit zwan- Kategorien «Bestes Drehbuch» und «Beste Nachwuchsdarstellerin» zig Jahren ein Thema. für den Schweizer Filmpreis 2008 nominiert und vom Verband der Schweizer Filmjournalistinnen (SVFJ) als «Schweizer Filmperle» 2008 Und wie soll’s weitergehen? ausgezeichnet wurde. Michael Finger ist Gründer und Leiter der zeit- Unser grosses Thema ist der eige- genössischen Zirkus-Theater-Compagnie Cirque de Loin. ne Raum. Es muss ein Winterquar- Ensemble Nr. 92 15
Sie können auch lesen