Grenzgänger zwischen Theater und Zirkus - Schwerpunkt - SBKV

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BÜHNE
                          B Ü H N FILM
                                   E • F FERNSEHEN
                                         I L M • T V

Zeitschrift des Schweizerischen Bühnenkünstlerverbandes   Nr. 92 / April – Mai – Juni 2016

Schwerpunkt

Grenzgänger zwischen Theater und Zirkus
Matthias Schoch und Zirkus Chnopf
Michael Finger und der Cirque de Loin
PROLOG
                                      Bühne» erschien 1923 als offiziel-       Das «Ensemble» wird sich verän-
                                      les Verbandsorgan. 1987 wurde            dern – inhaltlich wie auch optisch.
                                      die SBKV-Verbandszeitschrift «En-        Mit kleinem finanziellen Mehrauf-
                                      semble» lanciert. Zuerst erschien        wand wird es im Vierfarbendruck
                                      sie in unregelmässigen Abständen,        erscheinen. Es wird ein radikales
                                      seit 1996 wird sie vierteljährlich he-   Neudesign erhalten, neue Rubri-
                                      rausgegeben und den SBKV-Mit-            ken und verschiedene Gastbeiträ-
                                      gliedern kostenlos zugestellt. Das       ge bringen. Ernsthaftes, wie z.B.
                                      «Ensemble» hat sich optisch und          Kulturpolitisches und Arbeitsrecht-
                                      inhaltlich immer wieder etwas ver-       liches, werden wir lesen, aber auch
                                      ändert. Von Anfang an aber war           News und Unterhaltsames aus der
                                      und ist die Verbandszeitschrift eine     Szene dürfen Platz haben. Kurz
                                      Informationsplattform für Bühnen-        gesagt soll das neue «Ensemb-
    Salva Leutenegger                 künstlerinnen und Bühnenkünstler.        le» informieren, unterhalten und
                                      Seit 2009 zeichnen Thomas Bluba-         hoffentlich auch zu Diskussionen
                                      cher als verantwortlicher Redaktor       anregen. Auf jeden Fall wird das
Liebe Mitglieder                      und Simone Gojan als Redaktorin.         neue Team mit Engagement, Lei-
                                      Eine Würdigung derer langjähri-          denschaft und journalistischem
Wir brechen zu neuen Ufern auf!       ger Tätigkeit für den SBKV, von der      Spürsinn in diese neue Herausfor-
Diese «Ensemble»-Nummer, die          SBKV-Präsidentin Elisabeth Graf          derung einsteigen.
Sie gerade in Ihren Händen halten,    verfasst, lesen Sie weiter unten.
wird es in dieser Form nicht mehr     Das neue «Ensemble»-Team wird            Liebe Mitglieder, geniessen Sie die
geben. Die nächste Nummer – die       sich aus zwei SBKV-Mitgliedern           Lektüre dieser letzten Nummer
93 – wird in einem neuen Kleid er-    zusammensetzen – Rolf Sommer             und entdecken Sie ab Ende Juni ein
scheinen und von einem neuen Re-      für die Redaktion und Christian          neues «Ensemble».
daktionsteam geschrieben sein.        Knecht für das Layout. Eingehen-
Aber lassen Sie uns vorher einen      der vorstellen werden wir die bei-                  Herzliche Grüsse
kurzen Blick zurückwerfen: Die ers-   den in der nächsten Nummer. Was                     Salva Leutenegger
te Verbandszeitschrift «Schweizer     ich Ihnen jetzt schon sagen kann:                   Geschäftsleiterin SBKV

Lieber Thomas Blubacher               seits hast Du als Autor, der auch        nur auf der Bühne und vor der Ka-
Liebe Simone Gojan                    im journalistischen Bereich tätig        mera einsetzen, sondern auch für
                                      ist und neben wunderbaren Bü-            andere Tätigkeiten nutzen, sei-
Heute halten wir die letzte von       chern (ich denke da zuerst an Dei-       en das Kommunikationstraining,
Euch gestaltete «Ensemble»-Aus-       ne Gustaf-Gründgens-Biografie)           Businessacting, Ausbildung von
gabe in Händen. Fast sieben Jah-      auch für namhafte Zeitungen und          Bühnenkünstlern, therapeutische
re lang hast Du, Thomas, unseren      Magazine schreibt, die Ansprüche,        Arbeit u.v.a.m. Du hast manchem
Mitgliedern vertiefte Einblicke in    die wir an unsere Blattmacher stel-      «SBKV-Mitglied im Gespräch» ei-
die verschiedensten Themen ver-       len, mehr als erfüllt. Du hast un-       ne Plattform geboten. In jüngs-
schafft. Deine Interviews, Berich-    sere Verbandszeitschrift, die von        ter Zeit hast Du unter dem Titel
te und Buchrezensionen zeugten        jeher von Verbandsmitgliedern            «Planken, die die Welt bedeu-
stets von einer Leidenschaft für      verdienstvoll und mit viel Herzblut      ten» die Arbeitsmöglichkeiten für
unsere Branche und für das ge-        gemacht worden war, professi-            Bühnenkünstler an Bord grosser
schriebene Wort. Einerseits bist Du   onalisiert. Du warst stets um ein        Kreuzfahrt-Schiffe    beschrieben
als Regisseur (als unser damaliger    breites Themenspektrum bemüht.           und aufgezeigt, welche Schiffe für
Geschäftsleiter, Rolf Simmen, Dich    Du hast unter dem Titel «Theater         Schweizer Darsteller besonders in-
für diese Aufgabe gewann, warst       Theater …. und mehr» unzählige           teressant sind, und zum aktuellen
Du bereits seit vielen Jahren SBKV-   SBKV-Mitglieder vorgestellt, die         Thema «Theater und Migration»
Mitglied) einer von uns, anderer-     ihre beruflichen Fähigkeiten nicht       hast Du so unterschiedliche The-

Titelbild: Cirque de Loin: «Strada!», © Foto: Lucia Gerhardt

2                                                                                                Ensemble Nr. 92
aterregisseurinnen wie Annette            Monaten auf dem Tisch, bzw.           ben verstorbenen Kollegen bei Dir
Rommel, Leiterin zweier Kinder-           Pult, wird in der Tasche mitge-       so ganz anders als in der Presse.
und Jugendtheaterfestivals, Ani-          führt und unterwegs gelesen. Im       Und weil Du unzählige Nachrufe
na Jendreyko, Mitbegründerin der          «Flüsterkasten» ist alles Wichtige    auf wenig bekannte Kollegen ge-
Volksbühne Basel und Jasmine              in Kürze zusammengefasst. Wem         schrieben hast, erfuhr man oft erst
Hoch, Co-Leiterin des Maxim The-          wurde wo welche Auszeichnung          aus dem «Ensemble» vom Able-
aters in Zürich zu Worte kommen           verliehen, wo wurde ein neues         ben eines Kollegen, mit dem einen
lassen. «Dein» «Ensemble» hat             Theaterfestival auf die Beine ge-     vielleicht vor 30 Jahren eine inten-
sich auch mit den Jahren verän-           stellt. Bei welchem Kleintheater      sive Zusammenarbeit verbunden
dert und entwickelt, so kam mit           konnte eine Subventionskürzung        hat. So wie uns das ehrliche Kol-
der Nr. 73 die Rubrik «Recht im           verhindert werden. Welche Insze-      legenlob das Wertvollste ist, so
Alltag» ins Heft. – Und einmal gab        nierung wurde an welches Treffen      wichtig ist es, dass wir inne halten
es sogar ein Heft in Farbe. Das Ju-       eingeladen – Dank Dir sind wir im     und der Kollegen gedenken, die
biläumsheft zum 90. Wiegenfest            Bild, und weil unser «Ensemble»       uns verlassen haben. Du hast uns
unseres SBKV.                             vierteljährlich erscheint, sind wir   das ermöglicht.
Seit 2005, um genau zu sein, seit         auch im Bild, wenn eine Nachricht     Lieber Thomas, liebe Simone, als
der Nr. 50, sorgst Du, liebe Si-          in der Tageszeitung an uns vorbei     Regisseur und Theaterwissen-
mone, dafür, dass wir auf dem             gegangen ist, weil wir uns gera-      schaftler beziehungsweise als The-
Laufenden sind. Wer, wo, wann             de in Endproben befanden. Du          aterwissenschaftlerin war Klatsch
neuer Ballettchef wird – wir sind         hast Nummer für Nummer eine           und Tratsch Eure Sache nicht.
informiert. Eine Umbesetzung              Unmenge an Information zusam-         Eurem Schreiben ging immer eine
im Bundesamt für Kultur – wir             mengetragen und uns partizipie-       gründliche Recherche voraus (es
wissen Bescheid. Eine drohende            ren lassen.                           gab keine Enten oder geschosse-
Spartenschliessung beim TOBS              Selten gibt es auf drei Fragen so     nen Böcke). Für Euer Wissen und
infolge Subventionskürzung – da-          ausführliche Antworten, wie Du        Können, das Ihr dem «Ensemb-
rüber wurde im Tournéebus ge-             sie in Deiner Rubrik «Drei Fragen     le» über viele Jahre zur Verfügung
sprochen! Keine Ankündigung               an …» erhalten hast.                  gestellt habt, für die Einblicke und
eines Intendantenwechsels oder            Du strafst Schiller Lügen, denn bei   Einsichten, die Ihr uns ermöglicht
einer Verlängerung fällt bei Dir          Dir trifft nicht zu, dass die Nach-   habt, für die vergnügliche Lektüre,
unter den Tisch. Und weil unser           welt dem Mimen keine Kränze           für Eure Arbeit von Herzen Danke!
«Ensemble» ein Printmedium aus            flicht. Deine Nachrufe waren nicht
richtigem Papier und kein News-           bloss eine Aufzählung der «Statio-     Elisabeth Graf, SBKV Präsidentin
letter ist, liegt es in vielen Haushal-   nen eines Künstlerlebens». Oft las
ten unserer Mitglieder während            man eine Hommage an einen lie-

FLUSTERKASTEN
…Basel                                    Prozent auf 69 Prozent. Bei ei-       der, darunter 11 juristische Per-
Das Theater Basel verzeich-               nem Aufwand von rund 59 Milli-        sonen, hat der Verband, der den
nete in der letzten Saison unter          onen Franken spielte das Theater      Kulturschaffenden und -institu-
Georges Delnon 2014/15 in 523             8,6 Millionen Franken ein, was        tionen spartenübergreifend eine
Vorstellungen 169'077 Besuche-            einer Eigenwirtschaftlichkeit von     gemeinsame Stimme geben und
rinnen und Besucher, fast 20'000          22,8 Prozent entspricht.              ihre kulturpolitischen, rechtlichen
weniger als vor einem Jahr. Die                                                 und wirtschaftlichen Interessen
Auslastung der Grossen Bühne              Anfang Februar wurde der Ver-         vertreten will.
fiel von 58,4 Prozent auf 52,1            band Kultur Baselland (VKBL)
Prozent, und auch die Kleine Büh-         als Dachverband der Kulturschaf-      …Bern
ne musste einen Zuschauerrück-            fenden und -institutionen im          Die Saison 2014/15 von Konzert
gang hinnehmen (Auslastung:               Kanton Basel-Landschaft als Re-       Theater Bern schloss finanziell
58,2 Prozent; im Vorjahr: 60,5            aktion auf die Sparmassnahmen         mit einem leichten Überschuss
Prozent). Das Schauspielhaus da-          des Kantons gegründet (bis 2017       von rund 33'000 Franken ab. In
gegen frequentierten mehr Per-            will dieser die Kulturausgaben        470 Veranstaltungen wurden
sonen als in der letzten Saison.          um insgesamt 785'000 Franken          149'948 Besucherinnen und Be-
Die Auslastung stieg von 62,1             kürzen). 56 Gründungsmitglie-         sucher gezählt, rund 9'000 mehr

Ensemble Nr. 92                                                                                                   3
als im Vorjahr. Den signifikan-        lifikation von Stephanie Gräve
testen Anstieg der Besucher-           ausser Frage. Aber die Kombina-
zahlen konnte das Musiktheater         tion dieser beiden Persönlichkei-
verzeichnen: 40'886 Personen           ten hat am Konzert Theater Bern
besuchten die Vorstellungen            aufgrund unvereinbarer Wellen-
(im Vorjahr: 31'315). Auch das         längen nicht funktioniert.» Vor-
Schauspiel konnte in der dritten       gesehen ist, im nächsten Herbst
und letzten Saison der Schau-          eine neue Leitung bestimmt zu
spieldirektorin Iris Laufenberg        haben, die auch die Planung für
die Besucherzahlen um 5 Prozent        die Spielzeit 2017/18 überneh-
von 40'440 auf 42'613 steigern.        men könne. Interimistisch leitet
Insgesamt erzielte das Theater         nun Märki das Schauspiel.
Einnahmen in Höhe von rund 5,5
Millionen Franken.                     …Berlin
                                       Zwei Schweizer Bühnen sind
Stephanie Gräve, seit der lau-         dieses Jahr beim Berliner Thea-
fenden Saison Schauspieldirekto-       tertreffen zu sehen: Das Schau-
                                                                             Manuel Stahlberger
rin am Konzert Theater Bern,           spielhaus Zürich und das              © Foto: Daniel Ammann / Adrian
wurde vom Stiftungsrat des The-        Theater Basel. Stefan Puchers         Elsener
aters auf Antrag des Direktors         Inszenierung von Henrik Ibsens
Stephan Märki am 21. Januar            «Ein Volksfeind» in einer mo-        …Biel Solothurn
mit sofortiger Wirkung von ih-         dernen Bearbeitung von Dietmar       In der Spielzeit 2014/15 haben
ren Aufgaben entbunden. Anlass         Dath des Schauspielhauses erhielt    58’083 Zuschauer das Thea-
für die Freistellung seien «grund-     ebenso eine Einladung wie Ibsens     ter Orchester Biel Solothurn
legende inhaltliche und strate-        «John Gabriel Borkman» in der        (TOBS) besucht. Gegenüber dem
gische Differenzen», hiess es          Regie von Simon Stone, eine Co-      Vorjahr ist die Zahl der Zuschau-
zunächst. Anfang März begrün-          Produktion des Wiener Burgthea-      er somit fast stabil geblieben,
dete der Stiftungsratspräsident        ters mit den Wiener Festwochen       Schauspiel und Oper konnten
Benedikt Weibel die Freistellung       und dem Theater Basel.               ihre Besucherzahlen bei gerin-
folgendermassen: «Stephan Mär-                                              gerer Vorstellungsanzahl sogar
ki ist ein sehr erfolgreicher Inten-   …Biel                                steigern. Die zweite Saison unter
dant, der seit 2011/12 Konzert         Der Schweizer Kleinkunstpreis        der Direktion von Dieter Kaegi
Theater Bern souverän und zu           der KTV, der Vereinigung Künst-      schliesst bei einem Aufwand von
unser aller vollsten Zufriedenheit     lerInnen – Theater – Veranstal-      über 14,5 Millionen Franken mit
führt. Gleichzeitig steht die Qua-     terInnen, wurde ab 2015 in die       einem geringen Defizit von knapp
                                       Förderung des Bundesamtes für        54’000 Franken ab.
                                       Kultur aufgenommen, die den
                                       Preis verleiht und finanziert. Die   …Chur
                                       Jury der KTV nominiert drei Per-     Das Theater Chur weist auch in
                                       sonen und/oder Gruppen, die          der Spielzeit 2014/15, der fünf-
                                       bereits ein Preisgeld von je 5'000   ten unter der Direktion von Ute
                                       Franken erhalten. In diesem Jahr     Haferburg und Ann-Marie Arioli,
                                       sind das der Kabarettist, Mund-      bei einem Gesamtbudget von 1,9
                                       artpoet und Musiker Manuel           Millionen Franken einen Gewinn
                                       Stahlberger, das multiinstrumen-     aus (17'416 Franken). Insgesamt
                                       tale Trio Heinz de Specht und        wurden 139 Veranstaltungen ge-
                                       das zeitgenössische Clown-Duo        zeigt, 101 davon im kuratierten
                                       Compagnia Baccalà. Die eidge-        Programm mit einer Auslastung
                                       nössische Jury für Theater wählt     von 73 Prozent. 21'428 Zuschaue-
                                       den Gewinner aus, der am 14.         rinnen und Zuschauer (im Vorjahr
                                       April in Thun im Rahmen der Er-      waren es über 26'000) verzeich-
                                       öffnungsgala der 57. Schweizer       nete das Theater in der letzten
    Stephanie Gräve                    Künstlerbörse bekannt gegeben        Spielzeit, was einer Gesamtauslas-
    © Foto: Philipp Zinniker
                                       wird.                                tung von 70 Prozent entspricht.

4                                                                                            Ensemble Nr. 92
Wird in Genf zu sehen sein: Ibsens: «Ein Volksfeind» vom Schauspielhaus Zürich mit Becky Lee Walters (Live-
 Musik), Sofia Elena Borsani als Petra Stockmann und auf Projektion: Isabelle Menke als Katherine Stockmann,
 © Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

…Genf                                von Fabrice Melquiot (Regie: Joan     Prix de Lausanne, 235 Mäd-
Vom 26. bis 29. Mai findet in Genf   Mompart) des Théâtre Am Stram         chen und 57 Jungen, die aus 36
das 3. Schweizer Theatertref-        Gram und anderen, «D’Acier»           Ländern stammten. Von den vor-
fen statt. Folgende Produktionen     nach Silvia Avallones Roman in        selektierten und angetretenen
werden dort gezeigt: Ibsens «Ein     der Regie und Bearbeitung von         67 Kandidatinnen und Kandida-
Volksfeind» in einer Bearbeitung     Robert Sandoz, eine Produktion        ten kamen 20 ins Finale. Anfang
von Dietmar Dath unter der Regie     von L’outil de la ressemblance in     Februar wurden sieben von die-
von Stefan Pucher vom Schau-         Koproduktion mit mehreren Part-       sen ausgezeichnet, und erstmals
spielhaus Zürich, das auch zum       nern, auf Italienisch wird «Beckett   seit vielen Jahren gewann wieder
Berliner Theatertreffen 2016 ein-    Sounds – Words and Music» in          eine Schweizerin in der Haupt-
geladen wurde, «Edward II. Die       der Regie von Alan Alpenfelt ge-      kategorie des Preises, nämlich
Liebe bin ich» von Ewald Palmets-    geben, eine Produktion des Kol-       die 18-jährige Zürcherin Laura
hofer nach Christopher Marlowe       lektivs V XX ZWEETZ und AZIMUT.       Fernandez, die letzten Sommer
(Regie: Nora Schlocker), eine Ko-    «Engel in Amerika» von Tony           ihre Berufsausbildung an der
produktion des Theaters Basel mit    Kushner des Theaters Basel in der     Tanz Akademie Zürich abschloss.
den Wiener Festwochen und dem        Inszenierung von Simon Stone          Sie erhielt eines der sieben Ein-
Schauspielhaus Wien, Yuri An-        und Jan Bosses Regie von Arthur       Jahres-Stipendien im Wert von
druchowytsch’ «Der Extremist» in     Millers «Hexenjagd» am Schau-         16'000 Franken für eine der re-
der Regie von Manfred Ferrari der    spielhaus Zürich wurden eben-         nommierten Partnerschulen oder
freien Gruppe ressort k in Zusam-    falls ausgewählt, können aber         -compagnien des Prix de Lau-
menarbeit mit dem Theater Chur,      aus technischen Gründen nicht in      sanne. Sie wurde auch «beste
Valérie Poiriers «Palavie» (Regie:   Genf gezeigt werden.                  Schweizer Kandidatin» (2'500
Julien George) eine Produktion                                             Franken) und teilte sich zudem
von La Cie Clair-Obscur in Ko-       …Lausanne                             den Preis in der Kategorie «Zeit-
produktion mit dem Théâtre du        Fast 300 junge Tänzerinnen und        genössischer Tanz» mit Vincenzo
Grütli-Genève, «Münchhausen?»        Tänzer bewarben sich für den 44.      Di Primo.

Ensemble Nr. 92                                                                                                5
…Luzern                               markant erhöht. Statt wie bisher    fürsorgerischen      Massnahmen
Das Luzerner Theater legte            600'000 Franken erhält der Süd-     gerät. Rabea Egg wurde für die-
seinen Geschäftsbericht für die       pol nun eine Million Franken.       se Titelrolle auch mit dem Fern-
Spielzeit 2014/15 vor. Die Ge-                                            sehfilmpreis 2016 für die beste
samtauslastung betrug 73,69           St. Gallen                          weibliche Hauptrolle ausgezeich-
Prozent, knapp 4 Prozent we-          Theater und Konzert St. Gallen      net. Die Auszeichnung für die
niger als im Vorjahr. Die insge-      bot in der Spielzeit 2014/15 438    beste männliche Hauptrolle ging
samt 339 Vorstellungen wurden         Vorstellungen an, die von insge-    an Imanuel Humm. Er spielt in
von 68'427 Zuschauerinnen und         samt 151’396 Personen frequen-      Sabine Boss’ Film «Verdacht»
Zuschauern besucht (im Vorjahr        tiert wurden, 115'729 davon         den Lehrer Max Gruber, dem vor-
73'226). An den zahlreichen           besuchten Theatervorstellungen.     geworfen wird, eine Schülerin
Vermittlungsprojekten (Proben-        Die Auslastung konnte bei den       sexuell missbraucht zu haben.
besuchen,       Werkeinführungen      Konzerten um 8 Prozent auf 84       Claude-Inga Barbey überzeug-
etc.) nahmen fast 40'000 Per-         Prozent gesteigert werden, im       te in der Nebenrolle der Kran-
sonen teil, so dass insgesamt         Schauspiel von 75 Prozent auf 77    kenschwester Bénédicte in der
mehr als 100'000 Menschen die         Prozent. Bei einem Gesamtetat       RTS-Serie «Anomalia», Antoine
Veranstaltungen des Luzerner          von über 39 Millionen Franken       Monot, Jr. als Massenmörder im
Theaters besuchten. Die Erfolgs-      schloss das Betriebsergebnis mit    Tatort «Ihr werdet gerichtet». Die
rechnung 2014/15 schloss bei ei-      einem Plus von 270’258 Fran-        Preise sind mit je 10'000 Franken
nem Gesamtetat von 24’750'839         ken. Die Eigenwirtschaftlichkeit    dotiert.
Franken mit einem positiven Jah-      von Theater und Konzert St. Gal-
resergebnis von 44'716 Franken        len erhöhte sich damit um rund 2    …Zürich
ab. Der Eigenfinanzierungsgrad        Prozent auf 30,2 Prozent.           Das Zürcher Stadtparlament ent-
lag bei 16,82 Prozent, etwas hö-                                          schied Ende November, die Sub-
her als in der letzten Saison.        …Sevilla                            ventionen für das Tanzhaus
                                      Im Rahmen des Europäischen          Zürich 2016 bis 2018 und für
Der neue Intendant des Luzer-         Filmfestivals in Sevilla wurden     den Verein «Zürich tanzt» 2016
ner Theaters, Benedikt von Pe-        im November die Nominationen        bis 2019 zu gewähren. Dem
ter, plant eine Theater-Box, die      für den Europäischen Filmpreis      Theater Winkelwiese drohte
150 Zuschauern Platz bieten und       2015 bekanntgegeben. In mehre-      eine Subventionskürzung für die
zwischen Theater und Kirche, auf      ren Hauptkategorien war der mit     Jahre 2016 bis 2019 («Ensemble»
dem rege frequentierten Theater-      Schweizer Beteiligung gedrehte      berichtete). Der diesbezügliche
platz, angesiedelt sein soll. Der     Film «Youth» (koproduziert von      Antrag der FDP scheiterte indes.
Holzbau kann zu diesem Platz          C-Films, Zürich) nominiert. Im      Bewilligt wurde auch eine Erhö-
auf zwei Seiten hin geöffnet wer-     Dezember gewann er in drei Ka-      hung der Filmförderung von 1,5
den und verfügt über verstellbare     tegorien: Er wurde «Europäischer    Millionen Franken auf 4,7 Millio-
Wandelemente. Durch Glaswän-          Film», Paolo Sorrentino wurde als   nen Franken.
de hindurch gewährt die neue          bester Regisseur geehrt, Haupt-
Spielstätte voraussichtlich Einbli-   darsteller Michael Caine als bes-   Das Theater Kanton Zürich er-
cke in die Theaterarbeit. Bespielt    ter Schauspieler.                   hält nun doch nicht wie im Som-
werden soll die Box mit Eigen-                                            mer 2015 vorgesehen einen
produktionen und von Partner-         …Solothurn                          einmaligen Beitrag von 2 Millio-
institutionen des Theaters (freie     Bei den 51. Solothurner Film-       nen Franken aus dem kantonalen
Szene, Südpol, Lucerne Festival       tagen erhielt Michael Schaerers     Lotteriefonds. Der Regierungsrat
etc.). Die Baukosten von rund         Fernsehfilm «Lina» (mit Rabea       zieht den entsprechenden An-
800'000 Franken übernehmen            Egg in der Hauptrolle) den mit      trag an den Kantonsrat zurück
Luzerner Sponsoren, die nicht ge-     20'000 Franken dotierten Pub-       und schreibt in seiner Begrün-
nannt werden wollen. Eröffnet         likumspreis. Der Film erzählt die   dung, dass sich seit der Eingabe
werden soll die Box mit Spielzeit-    Geschichte der 17-jährigen Lina,    des Unterstützungsgesuches bei
beginn am 9.9.2016 um 9 Uhr.          die sich Ende der sechziger Jahre   den Teilprojekten des Theaters
                                      in den Sohn eines Grossbürgers      markante Veränderungen erge-
Im neuen Dreijahresvertrag zwi-       verliebt und dann wegen angeb-      ben hätten. Voraussichtlich noch
schen der Stadt Luzern und dem        licher Liederlichkeit eingesperrt   in diesem Jahr wird sich der Re-
Südpol werden die Subventionen        wird und in die Maschinerie der     gierungsrat jedoch mit einem

6                                                                                          Ensemble Nr. 92
Rahmenkredit für das Theater         Der Geschäftsbericht für die Spiel-   Der      Schweizer     Filmpreis
beschäftigen, der die Finanzie-      zeit 2014/15 des Opernhauses          Quartz wird am 18. März im
rung der Spielzeiten 2018/19 bis     weist bei einem Gesamtaufwand         Schiffbau in Zürich verliehen.
2023/24 regeln soll. Die vorgese-    von rund 128 Millionen Franken        Die Nominierten wurden im Rah-
henen Projekte sollen dem Kan-       einen Gewinn von über 400'000         men der Solothurner Filmtage
tonsrat dann zusammen mit dem        Franken aus. Das positive Ergeb-      bekanntgegeben. Für diese so-
Rahmenkredit vorgelegt werden.       nis liegt unter anderem am Perso-     wie für den Ehrenpreis und den
                                     nalaufwand, der im Vergleich zur      Spezialpreis der Akademie steht
Das Schauspielhaus Zürich            Saison 2013/14 um 3,3 Millionen       ein Preisgeld von 477'500 Fran-
verzeichnet im Geschäftsbericht      Franken gesenkt wurde. Schwie-        ken zur Verfügung. Der Spielfilm
2014/15 141'196 Zuschauerin-         riger wird es im nächsten Jahr,       «Köpek», ein Drama über Un-
nen und Zuschauer (im Vorjahr        da das Haus dann mit 3,1 Millio-      recht und Gewalt in der heutigen
162'704), die 617 Vorstellun-        nen Franken weniger auskommen         Türkei, der türkischstämmigen
gen besuchten. Die Auslastung        muss: Wie angekündigt, senkte         Regisseurin Esen Isik und Lionel
im Pfauen betrug 55 Prozent,         der Kantonsrat die Subventionen       Baiers «La vanité», eine «leicht-
im Schiffbau 74 Prozent, die         ans Opernhaus um 2 Prozent, fror      füssige Sterbehilfe-Komödie»,
Box war zu 84 Prozent ausge-         den Betriebsbeitrag für die nächs-    sind mit fünf beziehungswei-
lastet, das Junge Schauspielhaus     ten Jahre bei 80 Millionen ein. Zu-   se vier Nominationen Favoriten
zu 97 Prozent. Der Gewinn des        dem werden die Sparbeiträge in        des Schweizer Filmpreises 2016.
Geschäftsjahres beläuft sich auf     die eigene Pensionskasse erhöht,      Die Kassenschlager «Heidi» und
rund 30'000 Franken.                 was nochmals finanzielle Mittel       «Schellen-Ursli» haben drei res-
                                     erfordert. Dafür muss das Opern-      pektive zwei Nominationen er-
Knapp 238'000 Besucherinnen          haus allfällige Umbauten nicht        halten. Unter anderem ist Bruno
und Besucher sahen 331 Vorstel-      mehr selbst aus dem Betriebsbei-      Ganz, der den Almöhi in «Heidi»
lungen am Opernhaus Zürich,          trag decken, sondern kann beim        spielt, in der Kategorie «bester
über 5’000 mehr als im Vorjahr.      Kanton Subventionen beantragen.       Darsteller» nominiert.

PERSÖNLICHES
Die Uraufführung des Stücks «Und     zeit 2016/17 am Schauspiel Es-        und leistet damit einen wichtigen
dann kam Mirna» der deutsch-         sen uraufgeführt. 128 Texte zum       Beitrag zur kulturellen Teilhabe.
schweizerischen Autorin Sibylle      Thema «Glaube» wurden zu den          Dieses grosse Engagement wird
Berg in der Regie von Sebastian      Essener Autorentage Stück auf!        mit dem Förderpreis 2016 ausge-
Nübling erhält den Friedrich-Luft-   eingereicht, acht kamen ins Fina-     zeichnet», so der Regierungsrat in
Preis für die «beste Berliner und    le. Clavadetscher, die in Fribourg    seiner Mitteilung.
Potsdamer Aufführung des Jahres      Germanistik, Linguistik und Phi-
2015». Der Preis, der mit 7'500      losophie studierte, war 2013/14       Bruno Ganz wurde mit dem «Life-
Euro dotiert ist, wird seit 1992     Hausautorin am Luzerner Theater,      TimeAward» der «Swiss Awards»
alljährlich von der «Berliner Mor-   wo 2006 auch ihr erstes Theater-      für sein Lebenswerk geehrt. Der
genpost» in Erinnerung an den        stück «Drei Frauen» zur Urauffüh-     74-jährige Schweizer Schauspie-
1990 verstorbenen Theaterkriti-      rung kam.                             ler, der sowohl auf der Bühne als
ker Friedrich Luft vergeben. «Und                                          auch im Film zu Hause ist, wur-
dann kam Mirna» wurde im Sep-        Die 1969 in Zürich geborene           de im Laufe seiner Karriere schon
tember 2015 am Berliner Maxim        Schauspielerin, Theaterpädagogin      vielfach ausgezeichnet, unter an-
Gorki Theater uraufgeführt.          und Kunstvermittlerin Golda Epp-      derem ist er seit 1996 Träger des
                                     stein bekam den Förderpreis des       Iffland-Rings, der testamentarisch
Die Schweizer Autorin Martina        Kantons Zürich im Bereich Musik,      dem «jeweils bedeutendsten und
Clavadetscher, 1979 in Zug ge-       Tanz und Theater, der mit 40'000      würdigsten Bühnenkünstler des
boren, gewann mit ihrem Stück        Franken dotiert ist. Mit ihrem The-   deutschsprachigen Theaters» auf
«Umständliche Rettung» den Es-       aterstudio «Backstage» betreibt       Lebenszeit verliehen wird.
sener Autorenpreis, der mit 5'000    sie «eine der wenigen Bühnen
Euro dotiert ist, zudem wird das     für professionell angeleitetes Lai-   Dem 40-jährigen Regisseur Alain
Stück in der kommenden Spiel-        en- und Kindertheater in Zürich       Gsponer gelang mit seiner Neu-

Ensemble Nr. 92                                                                                            7
verfilmung des Klassikers «Heidi»,   sammen, widmete sich ausserge-
einer    schweizerisch-deutschen     wöhnlichen und experimentellen
Koproduktion, der beste interna-     Musiktheaterprojekten und ent-
tionale Kinostart eines Schwei-      wickelte Rollen, die Musik und
zer Films. Nach nur fünf Wochen      Theater, Gesang und Schauspiel
Laufzeit hatten schon 1,5 Milli-     verbinden. Keller wirkte viele Jah-
onen Zuschauerinnen und Zu-          re als Pianist, war musikalischer
schauer den Film gesehen, davon      Leiter von Theaterproduktionen,
über eine Million in Deutschland.    Chefredaktor einer Musikzeit-
Die Vorführrechte waren im Ja-       schrift und Musikproduzent bei
nuar in rund 50 Länder in Europa     SRF 2. Den Zürcher Kulturpreis
und Übersee verkauft worden.         bekommt das Musikerduo für
                                     «die Intensität, die Sorgfalt, die
Der Kulturpreis des Kantons Zü-      Eigenwilligkeit und die Meister-
rich, der mit 50'000 Franken         schaft, mit der es die Zürcher Mu-     Uta Köbernick, © Foto: zvg
dotiert ist, geht an den Sänger      sikszene belebt».
Christoph Homberger und den                                                stof Stählins Schule für Poesie
Musiker Christoph Keller. Seit       Der 17-jährige Westschweizer          und Musik SAGO, absolvierte
2005 ein Duo, gründeten sie ei-      Kacey Mottet Klein vertrat die        2000 bis 2004 ihr Schauspielstu-
nen Musiksalon im Brockenhaus        Schweiz als Shooting Star im Rah-     dium an der Theaterhochschule
Zürich West mit der Idee, quali-     men der 66. Berlinale 2016. Mit       Zürich, spielte danach am Berli-
tativ hochstehende Konzerte in       dem Shooting Stars Award för-         ner Ensemble, arbeitete und ent-
                                     dert die European Film Promotion      wickelte ihr erstes Soloprogramm
                                     jährlich die zehn talentiertesten     am Zürcher Theater Winkelwiese.
                                     Jungschauspieler Europas. Kacey       Seit 2006 ist sie mit ihren Solo-
                                     Mottet Klein, 1998 in Lausanne        programmen auf Tour, seit 2014
                                     geboren, spielte bereits als Zehn-    arbeitet sie für Radio SRF 1 und
                                     jähriger in Ursula Meiers Film        SRF 2 und ist Autorin bei denk-
                                     «Home» eine Hauptrolle, wofür         funk.
                                     er den Schweizer Filmpreis erhielt.
                                     In der Folge war er in viel beach-    Der 71-jährige Schweizer Regis-
                                     teten europäischen Filmprodukti-      seur Xavier Koller gewann mit
                                     onen zu sehen. Seine Rolle neben      seiner Schellen-Ursli-Verfilmung
                                     Léa Seydoux in «Sister» von Ur-       den Swiss Award 2015 im Be-
                                     sula Meier (2012), ausgezeichnet      reich Kultur. Es sei ihm gelungen,
                                     mit dem Silbernen Bären der Ber-      so die Jury, ein Stück Schweizer
    Christoph Homberger              linale, brachte ihm einen weiteren    Volkskultur authentisch und er-
    © Foto: Björn Jensen             Schweizer Filmpreis sowie eine        folgreich ins Kino zu bringen. Kol-
                                     César-Nomination ein.                 ler hält sich in einem der bisher
ungewohnter Umgebung für ei-                                               teuersten Schweizer Filme (5,6
nen erschwinglichen Preis anzu-      Uta Köbernick ist für die Schweiz     Millionen Franken) eng an die
bieten. 2012 initiierten sie den     Preisträgerin des «Salzburger         Zeichnungen von Alois Carigiet.
Verein «Spontankonzerte» der in      Stiers 2016», des renommiertes-
Zürich-Schwamendingen «Hom-          ten Kleinkunstpreises im deutsch-     Beim 37. Filmfestival Max-Ophüls
bis Salon» betreibt. Der 1962 in     sprachigen Raum, der mit 6'000        Preis erhielt der Projektinitiator
Zürich geborene Homberger war        Euro dotiert ist. Mit diesem Preis    und Regisseur Michael Krum-
nach seiner Gesangsausbildung        würdigt die Jury eine «politische     menacher stellvertretend für alle
als Oratorien- und Konzertsänger     Lyrikerin und Musikkabarettis-        zehn Regisseure des Films «Hei-
tätig bis ihn der Regisseur Her-     tin, die ihr Publikum in Deutsch-     matland» den Preis für den gesell-
bert Wernicke 1989 für die Oper      land, Österreich und der Schweiz      schaftlich relevanten Film 2016,
entdeckte. Er arbeitete daraufhin    ins Nachdenken, Träumen und           der mit 5'000 Euro dotiert ist. Der
unter anderen mit den Regisseu-      Schmunzeln singen kann». Die          Film «meistert mit Bravour die
ren Christoph Marthaler, Hans        1976 in Berlin geborene Köber-        schwierige Aufgabe, einen kohä-
Neuenfels und Frank Castorf zu-      nick, ab 1996 Mitglied von Chri-      renten Film aus zehn verschiede-

8                                                                                            Ensemble Nr. 92
nen persönlichen Perspektiven,         «Haltung beziehend und Haltung         Schweizer Literaturpreise 2016
auf die Situation in einem Land        einfordernd verleiht er dem Thea-      für ihren Roman «Eins im An-
in einer fiktiven Extrem-Situation     ter und der Gesellschaft Impulse,      dern», der 2015 auf der Shortlist
zu werfen», so die Begründung.         die den Sprengstoff der globalen       zum Deutschen Buchpreis stand
Der Film ist auch in der Katego-       Konflikte in unsere Mitte holen.»      und mit dem Schweizer Buchpreis
rie «Bester Spielfilm» und «Bes-       Zudem kam Raus Produktion «Das         2015 ausgezeichnet wurde.
te Montage» für den Schweizer          Kongo Tribunal (B. Die Berliner
Filmpreis nominiert.                   Hearings)», eine Zusammenarbeit        Die Genossenschaft Konzert und
                                       mit den Sophiensaelen Berlin und       Theater St. Gallen verlängert den
Dem Filmregisseur Rolf Lys-            Bukavu/Kongo, beim nachtkritik.        Vertrag mit Beate Vollack um drei
sy wurde der Zürcher «Stadt-           de Theatertreffen 2016 auf den         Jahre. Vollack, die seit der Spiel-
taler», eine Ehrenmedaille für         zweiten Platz.                         zeit 2014/15 die Leitung der Tanz-
seine künstlerischen Verdiens-                                                kompagnie des Theaters innehat,
te und sein Engagement für die         Am 1. Februar trat Esther Roth
Filmstadt Zürich, verliehen. Lyssys    ihr Amt als Leiterin der Abteilung
bekanntester Film «Die Schwei-         kulturelles.bl an. Die freischaffen-
zermacher» aus dem Jahr 1978,          de Kulturmanagerin konnte sich
ist der mit Abstand erfolgreichste     gegen 87 andere Bewerberinnen
Schweizer Film.                        und Bewerber durchsetzen. 1980
                                       im bernischen Seedorf geboren
Giovanni Netzer, Intendant des         und in Basel wohnhaft, studier-
Festivals Origen in Graubünden,        te sie an der dortigen Universi-
hat ein neues Theaterprojekt           tät und schloss mit dem Master
vorgestellt: Auf dem Julierpass        of Advanced Studies in Arts Ma-
soll ein temporäres Theaterhaus        nagement ab. Seit 2012 hat sie
entstehen, das «sich dem Welt-         das Präsidium der KTV inne und
theater widmet, die Jahreszeiten       ist Stiftungsratspräsidentin der
                                                                               Beate Vollack
bespielt und den Hochgebirgspass       Schweizerischen Interpretenstif-
                                                                               © Foto: Theater St. Gallen
als Ort der Kultur neu interpre-       tung. Aktuell ist Roth Verantwort-
tiert». Das vorgestellte Theater-      liche für nationale und politische     bleibt demnach bis Juli 2020. «Wir
modell zeigt einen «oktogonalen,       Projekte bei HELVETIAROCKT und         freuen uns sehr, weiterhin mit der
sonnendurchfluteten Raum, der          Vorstandsmitglied des RFV Basel        international gefragten Tänzerin
Tageszeit und Jahreszyklen spie-       – Popförderung und Musiknetz-          und Choreografin Beate Vollack
gelt – und den Dialog zwischen         werk der Region Basel.                 zusammenzuarbeiten, die wichti-
Natur und Kultur neu definiert».                                              ge künstlerische Impulse bei uns
Es handelt sich um eine rund 18        Martin Schläpfer, Ballettdirek-        gesetzt hat und mit ihren sinnlich-
Meter hohe Holzkonstruktion,           tor der Deutschen Oper am Rhein        intelligenten Choreografien be-
die drei bis fünf Jahre haltbar sein   Düsseldorf Duisburg, gibt seine        geistert», so Operndirektor Peter
und 300 bis 350 Zuschauern Platz       Position auf eigenen Wunsch zum        Heilker. «Von ihrer sprühenden
bieten soll.                           Ende der Spielzeit 2015/16 auf. Er     kreativen Energie lassen wir uns
                                       bleibt dem Ballett, das er seit 2009   gerne weiterhin anstecken»,
Der Regisseur Milo Rau wurde           erfolgreich leitet und das unter       ergänzt der Geschäftsführende
mit dem Preis des Internationa-        seiner Führung dreimal in Folge        Direktor Werner Signer.
len Theaterinstituts (deutsches        von der Fachzeitschrift «Tanz» zur
Zentrum), der seit 1985 an             Compagnie des Jahres gewählt           Julika Zink wird ab August 2016
Persönlichkeiten geht, die im          wurde, aber als künstlerischer         die neue künstlerische Leiterin
deutschsprachigen Theaterraum          Direktor und Chefchoreograf bis        des Casinotheaters Winterthur.
herausragende Leistungen mit in-       mindestens 2019 erhalten.              Sie folgt auf Nik Leuenberger,
ternationaler Ausstrahlung erbrin-                                            der das Theater nach vier Jahren
gen, ausgezeichnet. Rau stehe für      Die 1971 in Zürich geborene            auf eigenen Wunsch verlässt. Die
eine Generation, die mit Kompro-       Autorin, Dramatikerin, Schau-          37-jährige Zink ist mit dem Be-
misslosigkeit auf die sich immer       spielerin und Theaterregisseurin       trieb vertraut, da sie seit fünf Jah-
stärker radikalisierende Wirklich-     Monique Schwitter erhielt einen        ren als rechte Hand der Direktion
keit reagiere, so die Begründung.      der mit 25'000 Franken dotierten       arbeitet.

Ensemble Nr. 92                                                                                                  9
ABSCHIED
Ende November verstarb der The-         ein in den Kontinent des Herzun-          sisches Ballett, Modern Dance und
aterregisseur Luc Bondy. 1948 in        gewissen. Und wer da zuschauend           Jazztanz im Repertoire hatte, zeigte
Zürich als Sohn des Schriftstellers     mitreisen durfte, kam beglückt und        seine Produktionen in der ganzen
François Bondy in eine Künstlerfa-      beseligt zurück.» Bondy war 1973          Schweiz, aber auch im Ausland.
milie hineingeboren, absolvierte er     bis 1975 Teil des Direktoriums des        Mehr als 400 Tänzerinnen und
nach dem Abitur eine zweijährige        Frankfurter Schauspiels, 1985 bis         Tänzern gab Deroc Auftrittsmög-
Ausbildung beim Pantomimen Jac-         1988 Mitglied der Direktion der           lichkeiten, zahlreiche Nachwuchs-
ques Lecoq in Paris und ging dann       Schaubühne Berlin, 1997 bis 2001          künstler starteten ihre Karriere bei
als Regieassistent ans Thalia The-      hatte er die Schauspieldirektion bei      ihm. 1973 begründete er mit «Lu-
ater Hamburg. Er inszenierte in         den Wiener Festwochen inne, von           dus Danielis» die Tanzfestspiele
Göttingen, Wuppertal, Darmstadt         2002 bis 2013 war er deren Inten-         Königsfelden in der Klosterkirche
und in München, wo ihm 1973             dant, ab 2012 führte er das Théât-        Königsfelden, die noch heute als
mit Edward Bonds «Die See» ein          re National de l’Odéon in Paris. Luc      Auftrittsort für Tanz genutzt wird.
spektakulärer Erfolg gelang. Die Re-    Bondy wurde vielfach ausgezeich-          Deroc, der sein Wissen auch als Bal-
giearbeit wurde zum Berliner Thea-      net, er erhielt beispielsweise 1984       lettpädagoge weitergab und sich
tertreffen eingeladen, ebenso wie       die grosse Theater-Trophäe des            in der Verbandsarbeit als Mitgrün-
im Laufe der Jahre fast ein Dutzend     französischen Theater- und Musik-         der des heutigen dansesuisse enga-
weiterer Arbeiten. Es folgte eine he-   kritikerverbandes, 1997 die höchste       gierte, erhielt unter anderem 1968
rausragende Karriere als Regisseur      Auszeichnung im Schweizer Thea-           den Prix Italia, 1969 die Ehrenme-
an allen grossen deutschsprachigen      terleben, den Hans Reinhart-Ring,         daille der Rubin Academy of Music
Bühnen mit viel beachteten Insze-       2007 die Ehrenmedaille der Bun-           Jerusalem, 1982 den Kunstpreis der
nierungen auch in Frankreich und        deshauptstadt Wien in Gold und            Stadt Zürich und 2005 die Anerken-
im internationalen Opernbereich. Er     2013 den Nestroy für sein Lebens-         nungsgabe der Stadt Zürich.
entdeckte den in Deutschland völ-       werk.
lig vergessenen Dichter Marivaux                                                  Die Schauspielerin und Theaterlei-
für die Bühne wieder, befasste sich     Der Tänzer und Choreograf Jean            terin Erica Hänssler erlag Anfang
ausführlich mit dem Werk Botho          Deroc starb Ende Dezember im              Januar ihrem Krebsleiden. 1947 in
Strauß’, inszenierte sowohl Handke      Alter von 90 Jahren. In Zürich ge-        Zürich geboren, verbrachte sie ih-
als auch Yasmina Reza sowie unter       boren, absolvierte er dort bei Ma-        re Schul- und Jugendzeit in Zürich
anderen Shakespeare, Tschechow,         rio Volkart an der Ballettschule des      und Vevey, absolvierte in Vevey ei-
Ibsen, Schnitzler und Beckett. Bei      Stadttheaters Zürich eine klassi-         ne Grafikerlehre, studierte in Wien
all seinen Inszenierungen, seiner       sche Ausbildung, studierte weiter         Germanistik und war als Flugbeglei-
«detail-beseelten       Regiekunst»     in Genf, später in Paris und in den       terin bei der Swissair tätig, bis sie
(Michael Merschmeier) stand die         fünfziger Jahren in New York (Mo-         Anfang der siebziger Jahre zu Stok’s
«Menschensucht» (Ivan Nagel) im         dern Dance/Jazztanz). Sein erstes         Kammertheater kam. Dort begann
Zentrum, seine Hingabe, seine Lie-      Engagement als Tänzer führte ihn          sie bei Elisabeth Barth und unter
be für die Figuren und zu den Men-      an die Comédie Française, es folg-        der Obhut von Zbigniew Stok ihre
schen; seine Inszenierungen waren       ten Verpflichtungen in Lyon, Lau-         dreijährige Schauspielausbildung,
ein Fest, an dem die besten Schau-      sanne, Basel, Malmö, Hamburg, St.         die sie mit dem Diplom in Karlsru-
spieler teilnahmen, so Barbara Vil-     Gallen, Kiel, Berlin. Mitte der fünfzi-   he abschloss. Für das Theater, das
liger Heilig in ihrem Nachruf in der    ger Jahre begann er selbst zu cho-        sie gemeinsam mit ihrem Partner
«NZZ», und Gerhard Stadelmaier          reografieren, als Ballettmeister in St.   Stok bis zu dessen Tod 1990 leitete,
verabschiedete ihn in der «FAZ» mit     Gallen und Luzern, in Graz, Bremen        schuf Hänssler in den kommenden
den Worten: «Luc Bondy, neben           und Venedig. 1965 gründete er mit         Jahrzehnten rund 60 Eigenpro-
Peter Zadek, Peter Stein, Klaus Mi-     Solistinnen und Solisten des Zürcher      duktionen, Soloprojekte nach lite-
chael Grüber, Peter Brook, Ariane       Opernhauses und des Berner Stadt-         rarischen Vorlagen, ihr «Theater
Mnouchkine und Andrea Breth ein         theaters das Schweizer Kammerbal-         Total». Von der Anfangsidee bis zur
Gewaltiger der europäischen Welt-       lett, die erste freie Tanztruppe der      Bühnenfassung gestaltete die viel-
bühne, war unter ihnen der größ-        Schweiz, die 40 Jahre lang Bestand        seitige Künstlerin, die jeweils auch
te Liebesspieler. Seine Schauspieler    haben sollte. Das Kammerballett,          spielte, alles selbst: Text, Drama-
nahm er mit auf unnachahmliche          das keinem bestimmten Stil ver-           turgie, Bühnenbild, Maske, Musik,
Individualabenteuerreisen tief hin-     pflichtet war, unter anderem klas-        Kostüm und Plakat. Zum «Theater

10                                                                                                   Ensemble Nr. 92
Total» gehören auch ihre Buch-          und Estrella» und nochmals 1996         unter anderem am Theater Baden-
publikationen («Theatertagebuch»,       bis 2000 einen Mozart-Zyklus mit        Baden und am Theater der Stadt
«Milchstrassenalphabet») und das        dem Regisseur Jürgen Flimm. Ab          Trier verpflichtet war, kam 1960 in
2001 von ihr gegründete Theater-        Anfang der Siebziger Jahre lehrte er    die Schweiz und spielte am Atelier-
museum am Sihlquai 252. Das The-        Aufführungspraxis und historische       Theater Bern unter anderem den
ater Stok wird es weiterhin unter       Instrumentenkunde am Salzburger         Möbius in Dürrenmatts «Die Phy-
der Leitung von Peter Doppelfeld,       Mozarteum. Es entstanden musik-         siker» und James Tyrone junior in
seit 1992 Lebens- und Arbeitspart-      philosophische Schriften mit seinen     O’Neills «Eines langen Tages Reise
ner von Erica Hänssler, geben. Die      Analysen der «Musik als Klangre-        in die Nacht». Ab 1964 bis 1994
Subventionen wurden letztes Jahr        de», bis heute Standardwerke der        gehörte er dem Ensemble des Zür-
für weitere vier Jahre gesprochen,      historischen Aufführungspraxis. Als     cher Schauspielhauses an und gab
eine Leistungsvereinbarung mit der      Gastdirigent war er dem Concert-        dort über achtzig Rollen, in denen
Stadt geschlossen. Eigenproduktio-      gebouw-Orkest Amsterdam, dem            er das Publikum begeisterte. Er war
nen wie Hänsslers jedoch werden         Chamber Orchestra of Europe, den        beispielsweise 1966 Major Friedli in
nicht mehr zu sehen sein.               Wiener und den Berliner Philhar-        der Uraufführung von Dürrenmatts
                                        monikern verbunden, seiner Hei-         «Der Meteor» (1968 spielte er die-
Der Dirigent Nikolaus Harnon-           matstadt Graz und der Steiermark        selbe Rolle in der TV-Verfilmung),
court verstarb Anfang März 86-jäh-      mit dem alljährlich stattfindenden      1971 war er als Richter Ljapkin-
rig. In Berlin geboren und in Graz      Festival styriarte für klassische und   Tjapkin in Gogols «Der Revisor»
aufgewachsen, absolvierte er ein        alte Musik. Harnoncourt wurde viel-     zu sehen, 1974 als Erzbischof von
Cello-Studium an der Akademie           fach ausgezeichnet, unter anderem       Canterbury in Shakespeares «Ri-
für Musik und darstellende Kunst in     erhielt er 1982 die Hans-Georg-         chard III.» oder 1986 als Graf Au-
Wien und wirkte von 1952 bis 1969       Nägeli-Medaille der Stadt Zürich,       bespine in Schillers «Maria Stuart».
als Cellist bei den Wiener Sympho-      1993 den International Classic Mu-      Zudem widmete Wüstendörfer sich
nikern. Bereits 1953 gründete er        sic Award als «Dirigent des Jahres      seiner umfangreichen Tätigkeit als
mit seiner Frau Alice ein Ensemb-       1992» und 2002 den Musikpreis           Sprecher (Radio, Fernsehen, Hörbü-
le für alte Musik, den «Concentus       der Ernst-von-Siemens-Stiftung.         cher) und war jahrzehntelang in der
Musicus Wien», um seiner immer                                                  Verbandsarbeit tätig: von 1969 bis
intensiveren Arbeit mit historischen    Der Schauspieler Edzard Wüsten-         1995 war er Obmann der Ortsgrup-
Instrumenten, die er sammelte, und      dörfer ist tot. Er verstarb Anfang      pe Schauspielhaus des SBKV.
der Musik der Renaissance und           März in seinem 90. Lebensjahr.
des Barock ein Forum zu geben.          Wüstendörfer, der in Deutschland                             Simone Gojan
Bis kurz vor seinem Tod leitete er
das Ensemble, mit dem er bei der
Wiederentdeckung der alten Mu-
                                        INTERNA
sik Meilensteine setzte. Ab 1971        Netzwerk-Apéro                          duktion von SBKV und SSFV, stiess
war Harnoncourt als freischaffen-                                               auf ein sehr positives Echo. Ca. 30
der Dirigent tätig, vor allem an den    in Solothurn                            Mitglieder trafen sich zum lockeren
Opernhäusern in Zürich, Mailand,        Der erstmalig durchgeführte Netz-       Gespräch, zum Informationsaus-
Amsterdam, Hamburg, Frankfurt           werk-Apéro an den Solothurner           tausch bei Speis und Trank. Nächs-
und Wien. Am Opernhaus Zürich           Filmtagen, eine Gemeinschaftspro-       tes Jahr geht’s in die 2nd Season.
schuf er gemeinsam mit dem Re-
gisseur Jean-Pierre Ponnelle den
inzwischen legendären Montever-
di-Zyklus, ein weltweit als sensatio-
nell betrachteter Durchbruch. Dem
schloss sich, ebenfalls mit Ponnelle
als Partner, ein Zyklus von Mozart-
Opern an. Harnoncourt dirigierte
bis zum Weggang von Pereira im-
mer wieder in Zürich: Strauß’ und
Offenbachs Operetten ebenso
wie Verdis «Aida», Webers «Frei-         Von links:
                                         Oliver Blessinger, Tiziana Sarro, Salva Leutenegger, Michael Schraner
schütz» oder Schuberts «Alfonso

Ensemble Nr. 92                                                                                                  11
SCHWERPUNKT: ZWISCHEN THEATER UND ZIRKUS

 Grenzgänger
 Cirque de Loin: «Mendrisch», © Foto: Sabrina Christ

Grenzgänger zwischen den Bret-       denverweigerndem Kulturschaf-           Anders als beim traditionellen
tern, die die Welt bedeuten, und     fen eingestellt hat, existiert längst   Zirkus stehen beim «Nouveau
den Sägespänen der Manege gab        eine lebendige und enorm vielfäl-       Cirque», «Neuen Zirkus» oder
es schon immer, man denke nur        tige Szene unabhängiger Com-            «zeitgenössischen Zirkus» nicht
an Peter Brogle, den gefeierten      pagnien, deren sparten- und             artistische Höchstleistungen im
Publikumsliebling des Zürcher        genreübergreifende, oft poetisch-       Vordergrund, sondern narrati-
Schauspielhauses (unter anderem      schöne, mitunter aber auch radi-        ve Inhalte. Kein Wunder, dass
war er der Andri in der Urauf-       kale und verstörende Spektakel          die spartenübergreifende Kunst-
führung von Frischs «Andorra»),      Artistik, Tanz, Theater, Musik und      form immer wieder «klassische»
der als Seiltänzer und Clown im      Bildende Kunst vereinen, meist un-      Schauspieler in ihren Bann zieht.
«Circus Royal» auftrat. 1979 ver-    ter dem Anfang der 1970er Jahre         Matthias Schoch, in jungen Jah-
wirklichte er seinen lebenslangen    in Frankreich entstandenen Label        ren durch die Hauptrolle im Film
Traum vom fruchtbaren Zusam-         «Nouveau Cirque»: vom «Rigolo           «Jeune Homme» zu frühem
menspiel zwischen Artistik und       Swiss Nouveau Cirque», 1978 als         Ruhm gelangt und nach seiner
Theater und gründete das mobile      Strassen- und Kindertheater «Cir-       Ausbildung rasch zum Publikums-
Variété «Peter Brogles Schaubu-      cus Rigolo» gegründet und spä-          liebling am Theater Orchester Biel
de» (mit dabei waren unter an-       ter in «Rigolo Tanzendes Theater»       Solothurn avanciert, arbeitet als
derem Dodo Hug und Christoph         umbenannt, bis «FahrAwaY». Der          Künstlerischer Leiter von «Zirkus
Marthaler); im selben Jahr wurde     wohl international bekannteste          Chnopf». Und Michael Finger,
er mit dem Hans Reinhart-Ring        auf diesem Gebiet tätige Schwei-        bekannt durch Filme wie «Utopia
geehrt, der höchsten Auszeich-       zer ist der – 2012 ebenfalls mit        Blues» und «Hildes Reise», erregt
nung im Schweizer Theaterle-         dem Hans Reinhart-Ring ausge-           Aufsehen mit seinem «Cirque de
ben. Damals war Brogles Spagat       zeichnete – Regisseur, Choreo-          Loin», sei es mit Eigenprodukti-
zwischen der bürgerlichen Hoch-      graf, Autor und Clown Daniele           onen oder in Zusammenarbeit
kultur und dem gelebten Zirkus-      Finzi Pasca, der das Teatro Sunil       beispielsweise mit den Theatern
traum ein Sonderfall, für Viele      gründete, Spektakel für den kana-       Bern und St. Gallen. Was faszi-
wohl auch ein Kuriosum.              dischen Cirque Éloize und den Cir-      niert die beiden Schauspieler am
Obschon sich das System der öf-      que du Soleil kreierte, aber auch       «Neuen Zirkus»?
fentlichen Verwaltung bis heute      Opern inszenierte, u.a. in London,
nicht auf diese Art von schubla-     Neapel und St. Petersburg.                             Thomas Blubacher

12                                                                                            Ensemble Nr. 92
Cirque de Loin: «Strada!»                                                 réal eingeladen wurde, habe ich
 © Foto: Lucia Gerhardt                                                    dort zum ersten Mal den Cirque
                                                                           Éloize und damit zum ersten Mal
                                                                           Nouveau Cirque gesehen, also
                                                                           die Mischung von Theater, Tanz,
                                                                           Livemusik und zeitgenössischem
                                                                           Zirkus. Das hat mich in den Bann
                                                                           geschlagen, hat mich als ganz-
                                                                           heitliche Bühnenform begeistert,
                                                                           denn zur Gesamtheit der darstel-
                                                                           lenden Künste gehört für mich
                                                                           eben auch die Artistik dazu. Der
                                                                           zeitgenössische Zirkus ist die ein-
                                                                           zige performative Kunst, die alle
                                                                           Elemente der darstellenden Kunst
                                                                           vereint: Musik und Tanz, Theater
                                                                           und Artistik. Ich bin aus Kanada
                                                                           zurückgekehrt mit der Vision, ei-
                                                                           ne eigene Zirkuscompagnie zu
                                                                           gründen. Zudem habe ich zur sel-
                                                                           ben Zeit in der Schweiz im Zirkus
                                                                           gelebt, eher per Zufall, in einem
                                                                           Wagen im Winterquartier des Cir-
                                                                           colino Pipistrello; das hat mich als
                                                                           Lebensform berührt. Ich war da-
      «Wir muten unserem                                                   mals in der Vorbereitung meines
                                                                           zweiten Films, der während einer
                                                                           Zirkus-Tournee spielt. Und über
      Publikum etwas zu!»                                                  die Jahre ist es dann so gekom-
                                                                           men, dass ich den Zirkus, von dem
                                                                           der Film handelt, wirklich gegrün-
                  Michael Finger                                           det habe. Von 2009 an habe ich
               und der Cirque de Loin                                      den Zirkus Chnopf geleitet, aber
                                                                           der hatte und hat eine andere
                                                                           Ausrichtung als das, was mir vor-
Sie sind die wohl profiliertesten Grenzgänger zwischen Sprech-             schwebte, also sind wir getrenn-
und Tanztheater, Film, Artistik und Musik, zwischen Freier                 te Wege gegangen. Und so kam
Szene und hochsubventionierten Häusern in der Schweiz: Der                 es, ebenfalls 2009, zur Gründung
Schauspieler Michael Finger und seine Mitstreiter vom Cirque               des Cirque de Loin. Der Film muss-
de Loin haben mit ebenso anarchischen wie poetischen Ei-                   te dann erst einmal warten, bis wir
genproduktionen begeistert, darunter zuletzt «Strada!» und                 ihn 2013 dann endlich realisiert
«Mendrisch», aber auch Stücke in Zusammenarbeit mit dem                    haben. Und jetzt ist der Film, der
Theater Neumarkt (2011 «Marasa»), dem Theater Bern (2013                   den Titel «Son of a Fool» trägt,
«The Fool and the Princesses») und dem Theater St. Gallen                  fertiggestellt: Ein Theater-Zirkus-
(2015 «Katharina Knie») produziert.                                        Ensemble probt eine tragische Lie-
                                                                           besgeschichte von Zwillingen, die
Du hast die ZHdK besucht,            ein Fluch ist –, immer alles zusam-   bei der Geburt getrennt wurden.
hast klassische Rollen an            menbringen zu wollen, also auch       Währenddessen vermischt sich
Bühnen wie dem Theater               mein Leben mit meinem Beruf.          der Alltag immer mehr mit dem
Basel gespielt. Wie kam es zur       Der Zirkus als Gemeinschaftsform      Bühnengeschehen. Die Tournee
Gründung des Cirque de Loin?         hat mich fasziniert. Als ich 2007     führt die intensive Lebens- und Ar-
Ein grosses Thema in meinem Le-      mit «bersten», meinem Debüt-          beitsgemeinschaft auf Zeit bis ans
ben ist das Ganzheitliche. Ich ha-   film als Regisseur, zum Festival      Meer. Wo der Sohn auf der Klippe,
be eine Gabe – die gleichzeitig      des Films du Monde nach Mont-         von welcher sich das Zwillingspaar

Ensemble Nr. 92                                                                                             13
in verzweifelter Liebe stürzen will,   nig darum, vom Zirkusdiktator         Eure Produktionen sind keine
auf sich selber trifft.                Michael Finger zum Kollektiv zu       gefällige Unterhaltung für die
                                       wachsen. Um die Handvoll enger        ganze Familie wie etwa das
Der Cirque du Loin                     Mitstreiter gibt es einen Kreis von   Programm des Zirkus Knie…
ist Dein Kind…                         vielleicht einem Dutzend Leuten,      Die Technik steht hinten an – das
«Mendrisch» ist die erste Pro-         mit denen wir immer wieder ar-        werfen uns die Zirkusleute manch-
duktion, die nicht von mir gebo-       beiten, und dann ziehen wir, je       mal vor. Aber wir sind kein Num-
ren wurde, bei der ich eigentlich      nach Projekt, noch weitere dazu.      mernzirkus, und wenn ein Artist
nur Hebamme bin und Endregie           In «Mendrisch» spielen neben          drei Salti machen kann, aber nur
mache. Es ist das Baby von Noah        Newa und Noah der Schauspie-          zwei emotional füllt, dann macht
Egli, der seit Beginn zum Cirque       ler Dominique Jann mit, den man       er eben nur zwei. Wir erzählen
de Loin gehört, und von Newa           unter anderem aus Filmen wie          Geschichten, wir sind sehr theat-
                                                                             ral unterwegs, die Artistik ist le-
                                                                             diglich eine wichtige Erweiterung
                                                                             unserer Ausdrucksformen, so wie
                                                                             der Tanz. Es geht um Inhalte, und
                                                                             das führt dazu, dass nicht alles
                                                                             schön ist, es geht zur Sache. Und
                                                                             weil wir eine Truppe sind, die sich
                                                                             mit Haut und Haar der Geschichte
                                                                             aussetzt und die es auch im Leben
                                                                             gern hat, wenn es zur Sache geht,
                                                                             weil eine gewisse Intensität da ist
                                                                             – auch wieder Fluch und Gabe zu-
                                                                             gleich –, sind unsere Stücke sehr
                                                                             physisch, voller Blut und Schweiss
                                                                             sozusagen. Die Intensität, die wir
                                                                             mögen, die lustvolle Körperlich-
                                                                             keit, unsere Rauheit, das kann
                                                                             schon Widerstand auslösen bei
                                                                             jemand, der nur die weihnachts-
                                                                             liebliche, nette Ecke des konventi-
                                                                             onellen Zirkus kennt. Es geht uns
                                                                             aber nie darum zu provozieren,
                                                                             das interessiert uns nicht, und das
                                                                             war auch noch nie ein Thema auf
                                                                             den Proben. Wenn in einer Impro-
                                                                             visation einer die Hosen runter-
                                                                             lässt, und wir finden das lustig,
                                                                             auch wenn es vielleicht kindisch
                                                                             oder blöd ist, dann muten wir das,
                                                                             weil es uns gefällt, auch dem Pu-
                                                                             blikum zu. Aber eben nicht, um
                                                                             zu provozieren. Zum Teil kommen
                                                                             die Leute wohl auch mit falschen
                                                                             Erwartungen zu uns. In St. Gallen
 Cirque de Loin: «Strada!», © Foto: Lucia Gerhardt                           haben wir ja in Zusammenarbeit
                                                                             mit dem Theater Carl Zuckmayers
Grawit, die ihre Schauspielaus-        «Die Standesbeamtin» und «Luft-       «Katharina Knie» gemacht, ein
bildung an der Hochschule der          business» kennt, der Musiker Be-      Volkstheaterstück mit eher kon-
Künste Bern absolviert hat und         nedikt Utzinger und die beiden        ventionellen Zirkuselementen –
seither freischaffend arbeitet.        dänischen     Hand-auf-Hand-Ar-       und ich denke, dass in St. Gallen
Das ist die momentan enge Fa-          tisten Tuk Frederiksen und Sofie      der eine oder andere Zuschauer
milie, und es geht auch ein we-        Jasmin Sabroe.                        daraufhin unsere Eigenprodukti-

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Und für Dich persönlich?
                                                                             Reizt Dich als Schauspieler
                                                                             die Stadttheaterbühne
                                                                             überhaupt noch oder die
                                                                             Arbeit vor der Kamera?
                                                                             Seit ich mit dem Cirque de Loin
                                                                             angefangen habe, war das keine
                                                                             Option mehr. Aber jetzt wieder
                                                                             mal einfach nur einen Job machen
                                                                             … Zirkus ist keine Arbeit mehr,
                                                                             das vermischt sich so mit dem Le-
                                                                             ben … Also jetzt, nach ein paar
                                                                             Jahren, muss ich sagen: Sich mal
 Cirque de Loin: «Mendrisch», © Foto: Sabina Christ                          wieder nur einer Rolle zu widmen,
                                                                             könnte was haben. Ich bin sonst
on «Strada!» besucht hat, mit der      tier her, in dem wir natürlich auch   immer als Produzent, als Regis-
wir in der Lokremise gastiert ha-      Produktionen zeigen werden, und       seur, als Spieler dabei. Mich nur in
ben, und etwas verwirrt war, als       ein eigenes Zelt, mit dem wir an      eine Aufgabe hinein zu entspan-
er «Cirque de Loin pur» gesehen        den unterschiedlichsten Orten         nen, das könnte ich mir schon
hat.                                   spielen können. Wir produzieren       wieder mal vorstellen.
                                       inzwischen so regelmässig – wir
Ihr koproduziert immer                 wollen endlich auch eigenständig                      Thomas Blubacher
wieder mit dem instituti-              sein, was die Auftrittsorte anbe-
onalisierten Theater…                  langt.
Das ist halt grosses Kino, Du hast
ein vorbereitetes Gefäss, die Fi-
nanzierung steht (und das ist                                        Michael Finger
nicht einfach, wenn man zeitge-                                       1975 in Zürich geboren, beendete er
nössischen Zirkus macht) – das ist                                    1998 die Ausbildung an der Schau-
eine willkommene Abwechslung.                                         spiel-Akademie Zürich. Engagements
Du hast auf der anderen Seite na-                                      u. a. am Jungen Theater Zürich, am
türlich auch Einschränkungen:                                          Theater Neumarkt Zürich, am Theater
Wenn Du gewohnt bist, so zu ar-                                        Basel und in diversen freien Schwei-
beiten wie wir, und kommst dann                                         zer Gruppen. Für die Hauptrolle eines
in diese militärische Stadttheater-                                     manisch-depressiven 18-Jährigen in
struktur – das kann schon ziemlich                                       Stefan Haupts Kinospielfilm «Uto-
knallen. Auf der anderen Seite fin-                                      pia Blues» wurde er 2002 mit dem
                                                    inger
de ich es bitter nötig, im deutsch-       Michael F itte Fässler
                                           © Foto: Brig                   Schweizer Filmpreis und dem Max-
sprachigen Raum, in dessen                                                Ophüls-Preis als «Bester Darsteller»
Sprechtheatertradition alles Kör-                          sowie als «Shooting Star» an den Berliner Filmfest-
perliche völlig unterentwickelt ist,    spielen ausgezeichnet. 2002 folgte seine erste Regiearbeit für Zirkus
eine Tür aufzustossen: Die Zirkus-      Chnopf (in Co-Regie mit Andrea Schulthess). Bis 2006 inszenierte
artistik in den Stadttheaterbetrieb     er diverse Produktionen in der freien Szene. Als Schauspieler war er
zu bringen, so selbstverständlich       zunehmend nur noch in Kino- und Fernsehfilmen zu sehen (darunter
zu machen, wie es Musik und Tanz        in Christof Vorsters «Hildes Reise», Tobias Ineichens «Sonjas Rück-
sind. Die Vertikale muss da einfach     kehr», Sabine Boss‘ «Das Geheimnis von Murk»). 2006 realisierte
rein! In Frankreich ist die Zusam-      Finger seinen ersten eigenen Spielfilm «bersten», der zu Festivals in
menarbeit der etablierten Häuser        Montréal, Zürich, Hof, Locarno und Solothurn eingeladen, in den
mit Zirkuscompagnien seit zwan-         Kategorien «Bestes Drehbuch» und «Beste Nachwuchsdarstellerin»
zig Jahren ein Thema.                   für den Schweizer Filmpreis 2008 nominiert und vom Verband der
                                        Schweizer Filmjournalistinnen (SVFJ) als «Schweizer Filmperle» 2008
Und wie soll’s weitergehen?             ausgezeichnet wurde. Michael Finger ist Gründer und Leiter der zeit-
Unser grosses Thema ist der eige-       genössischen Zirkus-Theater-Compagnie Cirque de Loin.
ne Raum. Es muss ein Winterquar-

Ensemble Nr. 92                                                                                               15
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