Die Schweiz und der brennende Amazonas - Public Eye
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PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 Die Schweiz und der brennende Amazonas Schweizer Pestizidexport vergiftet das Trinkwasser in Brasilien S. 15 Äquatorialguinea: ein Land unter der Knute eines Familienclans S. 18 Die problematische Kooperation der Deza mit privaten Konzernen S. 23
EDITORIAL PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 Die Welt steht in Flammen «Our house is on fire and I want you to panic»: Greta Thunberg, «Time»-Persönlichkeit des Jahres 2019, hat recht. Hilflos verfolgten wir im vergangenen Sommer, wie im Amazonas Zehntausende von Bränden wüteten. Die Feuer für den Konsum und den Gewinn der einen auf Kosten des Lebensraums der anderen sind ein Sinnbild für die extreme Polarisierung unserer Welt. Während auch hierzulande eine neue Generation von engagierten Menschen auf die Strasse geht und den Klimanotstand ausruft, beschliesst die altehrwürdige Schweizer Regierung ein Freihandels- abkommen mit dem brandstiftenden Regime des rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Ganz zur Freude der Schweizer Agrarrohstoffhändler und des Agrochemiekonzerns Syngenta dürfte der Anbau von Soja noch intensiver werden und die Fleischproduktion weiter an Boden gewinnen. Als Greta Thunberg sich im Dezember nach der Ermordung zweier Indigener in Brasilien empörte, dass Menschen dafür umgebracht würden, den Wald vor illegaler Abholzung schützen zu wollen, wunderte sich Bolsonaro darüber, dass die Presse «einer Göre wie Raphaël de Riedmatten ihr» so viel Aufmerksamkeit widme. Die von reaktionärer, kolonialis- tischer Rhetorik begleitete Politik der verbrannten Erde, die dem brasilianischen Präsidenten von grossen Teilen der Bevölkerung Applaus einbringt, entzweit die Gesellschaft weiter. Im November ist eine Delegation Indigener durch ganz Europa gereist, um die Dank Ihnen! Regierungen – auch jene der Schweiz – davon abzuhalten, das Die Reportagen und Analysen in unserem Magazin und die Recherchen, auf denen diese beruhen, sind Mercosur-Abkommen zu ratifizieren, was ihren Lebensraum noch nur dank der Unterstützung unserer Mitglieder stärker gefährden würde. möglich. Sie sind bereits Mitglied? Herzlichen Dank! Und doppelten Dank, falls Sie jemandem eine Schaffen wir es, gemeinsam nach demokratischen Lösungen zu Mitgliedschaft verschenken. suchen, um die Ursachen der sozialen Ungleichheit und der Zerstö- Sie sind noch nicht Mitglied? Für 75 Franken pro Jahr werden Sie es und erhalten regelmässig rung unserer Umwelt anzugehen? Oder bleiben wir passive Zuschaue- unser Magazin. Oder lernen Sie uns erst kennen rinnen und Zuschauer eines immer heftigeren Kampfs zwischen und bestellen Sie gratis ein Testa bonnement. diametral entgegengesetzten Kräften? Wir freuen uns, von Ihnen zu hören – per Antwortkarte oder auf publiceye.ch/mitglieder In diesem beginnenden Jahr 2020 möchte ich die Hoffnung der indigenen Brasilianerin Sônia Guajajara teilen, dass da tatsächlich eine junge Generation heranwächst, die einen «nachhaltigeren Lebensstil» wählen wird – einen, der es ermöglicht, unsere Beziehung zur Mit- und Umwelt neu zu denken. PUBLIC EYE – MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 VERANTWORTLICH TITELBILD KONTAKT POSTKONTO Timo Kollbrunner – © Bruno Kelly / Reuters Public Eye, 80-8885-4 Redaktion (D) & Produktion — Dienerstrasse 12, — DRUCK Postfach, 8021 Zürich Das Public Eye Magazin Raphaël de Riedmatten – Vogt-Schild Druck AG erscheint sechs Mal pro Jahr in Produktion & Redaktion (F) Tel. +41 (0) 44 2 777 999 Cyclus Print & Leipa, FSC Deutsch und Französisch. — kontakt@publiceye.ch — Mitgliedschaft inklusiv LAYOUT — AUFLAGE Abonnement 75 Franken pro Jahr. opak.cc ISSN 2504-1266 D: 26 500 Ex. / F: 10 000 Ex.
INHALT Die Schweiz und Bolsonaros Brasilien Die Analyse Für Soja und Vieh wird in Brasilien der Regen- wald brandgerodet – und die Schweiz mischt dabei als führender Finanzplatz und als Handels- platz für Agrarrohstoffe kräftig mit. S. 4 Das Abkommen Die Schweiz hat mit den Mercosur-Staaten um Brasilien ein Handelsabkommen abgeschlossen – ohne zuvor die Auswirkungen auf Menschen und Umwelt gründlich abzuklären. S. 9 Das Interview Wenn das Parlament keine klaren Nachhaltig- keitskriterien für das Mercosur-Abkommen beschliesse, «werden wir Grünen das Referendum ergreifen», sagt Ständerätin Lisa Mazzone. S. 11 Der Protest Eine Delegation von Indigenen aus Brasilien hat auf ihrer Europatour auch in Bern haltgemacht. Ihr Ziel: das Mercosur-Abkommen verhindern. S. 12 © Ricardo Moraes/Reuters Giftiger Schweizer Export Das Insektizid Profenofos ist hierzulande verboten. Dennoch exportierte Syngenta 2018 37 Tonnen davon aus der Schweiz nach Brasilien, wo es das Trinkwasser vergiftet. S. 15 Beschlagnahmte Letzten Sommer wüteten die für die Brandrodung entfachten «Supercars» Feuer im Amazonas in lange nicht mehr gesehener Zahl und Intensität. Eine Bäuerin nimmt ein eben abgebranntes Feld unweit ihrer Maniok-Plantage im Bundesstaat Rondônia in Äquatorialguinea ist bitterarm, doch der Fami- Augenschein. lienclan Obiang schwelgt im Luxus. Nun wurden die in Genf eingezogenen Sportwagen des Präsi- dentensohns versteigert. Wird der Erlös tatsäch- lich in soziale Projekte fliessen? S. 18 Zudem in diesem Heft Problematische Partnerschaften Investigation Award Public Eye unterstützt auch 2020 zwei investigative journalistische Recherchen. Jetzt bewerben! S. 26 Die Direktion für Entwicklung und Zusammen arbeit will stärker mit privaten Konzernen koope- Rohstoffhändler im Fokus der Justiz rieren. Eine Analyse von Public Eye zeigt, unter Gegen Glencore, Trafigura und Vitol wird wegen welch problematischen Bedingungen. S. 23 Bestechungszahlungen ermittelt. S. 27
4 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 Was Cargill, die Credit Suisse und Nestlé mit den Brandrodungen in Brasilien zu tun haben Die Brände im brasilianischen Amazonas, die letzten Sommer die Schlagzeilen bestimmten, sind hierzulande beinahe wieder vergessen. Und damit auch die Frage: Was hat die Schweiz als führender Handelsplatz für Agrarrohstoffe und als Finanzplatz mit den Bränden zu tun? Höchste Zeit für eine kritische Nachlese. © Bruno Kelly/Reuters FLURINA DOPPLER UND TIMO KOLLBRUNNER
DIE SCHWEIZ UND DER AMAZONAS 5 Am 19. August letzten Jahres wurde es in der brasiliani- organisation hatte Aufnahmen der US-Raumfahrtbehörde schen Handelsmetropole São Paulo mitten am Nachmit- Nasa, die die Brände im brasilianischen Regenwald-Gebiet tag plötzlich Nacht. Der Himmel verdunkelte sich durch zwischen dem 8. und dem 22. August dokumentieren, mit dichte Rauchschwaden, die der Wind offenbar aus dem Daten der brasilianischen Agrarbehörden CONAB und Amazonasgebiet, in dem Tausende Brände loderten, über der brasilianischen Umweltorganisation Imazon abgegli- 3000 Kilometer in den Süden getragen hatte. Zwei Wo- chen. Das Resultat: zwei Karten, die die geografische Nähe chen zuvor hatte der rechtsradikale Präsident Jair Bol- zwischen den Waldbränden und den Schlachthäusern der sonaro, der die internationale Besorgnis um die Amazo- internationalen Fleischindustrie einerseits und den Stand- nasbrände als «Umweltpsychose» abtat, kurzerhand den orten der Sojahändler andererseits zeigen. Leiter des brasilianischen Weltraumforschungsinstituts Auf der «Sojakarte» (siehe Seite 7) fällt als erstes eine INPE entlassen. Das Institut hatte Auswertungen ver- dicke weisse Linie auf: Es ist die Bundesstrasse BR-163, öffentlicht, die zeigten, dass die Entwaldung im Gebiet über 4500 Kilometer lang insgesamt und die Route, über Amazônia Legal, zu dem neben dem gesamten Amazo- welche ein Grossteil des in Brasilien angebauten S ojas nasregenwald auch ein Drittel des südlich anliegenden transportiert wird, um dann im Hafen von Santarém im Savannengebiets Cerrado und 40 Prozent des Sumpfge- Bundesstaat Manaus auf Schiffe verladen und später meist biets Pantanal gehören, 2019 drastisch zugenommen hat- zu Tierfutter verarbeitet zu werden. Im nördlichen Teil ist te: Im Juni lag die Abholzung 88 Prozent, im Juli gar 212 die weisse Linie links und rechts von dicht beieinander Prozent über jener im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. liegenden orangen Punkten gesäumt: Überall dort wüteten im August heftige Brände. Weiter südlich sind entlang der Kein «natürliches Phänomen» BR-163 Punkte in fünf verschiedenen Farben eingezeich- Zwischen Januar und November 2019 wurden allein im net: Das sind die Lagersilos und Verarbeitungsanlagen von brasilianischen Amazonasregenwald 92 683 Feuerherde fünf Konzernen, die aus den Gebieten, in denen die Feuer registriert, fast ein Drittel mehr als in der gleichen Perio- loderten, Soja beziehen: Archer Daniel Midland (ADM), de des Vorjahrs. Auch im südlich angrenzenden Cerra- Amaggi, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. do, der in immer grösserem Stil für landwirtschaftliche Abgesehen von der brasilianischen Amaggi-Gruppe, Monokulturen und Viehzucht genutzt wird, brannten dem weltweit grössten Sojaproduzenten, haben all diese riesige Flächen, ebenso im Amazonas- und im Steppen- Konzerne einen ganz direkten Bezug zur Schweiz, wie Pub- gebiet des benachbarten Bolivien. Ein Grossteil der Feuer lic Eye im letzten Juni aufgezeigt hat (siehe Public Eye Maga- in Bolivien steht offensichtlich in Zusammenhang mit zin Nr. 18 vom Juni 2019: «Handelsnation Schweiz: Heimat der Landwirtschaftspolitik der mittlerweile abgesetzten der Agrargiganten»). ADM betreibt sein globales Handels- Regierung von Evo Morales, die in den letzten Jahren mit geschäft im waadtländischen Rolle, Bunge wickelt seinen verschiedenen Gesetzen die Ausdehnung der Landwirt- Handel von Agrarrohstoffen über zwei «Desks» ab, wovon schaft in Regenwald- und indigenen Gebieten ermöglicht sich eines in Genf befindet. Die Louis Dreyfus Company hat; zuletzt im Juli 2019, als sie in den beiden Amazonas- wiederum hat ihr gesamtes Handelszentrum in Genf, wo Departementen Santa Cruz und Beni per Dekret die Ab- auch der US-Gigant Cargill Getreide und Ölsaaten inklusive holzung für Landwirtschaft – insbesondere den Anbau Soja handelt. Gegenüber der Sonntagszeitung, die im Sep- von Soja – und Viehzucht erlaubte. tember unter dem Titel «Schweizer Händler profitieren von In Brasilien bezeichnete Bolsonaro die Brände Waldbränden in Brasilien» über die Mighty-Earth-Studie mal als ein «natürliches Phänomen in der Trockenzeit», berichtete, beteuerten sämtliche vier Agrarhandelsriesen, dann wieder bezichtigte er einzelne Bauern oder sogar sie hielten sich an das Soja-Moratorium (siehe Seite 6) und Umweltschutzverbände der Brandstiftung. Satelliten- würden kein Soja aus neu entwaldeten Gebieten beziehen. aufnahmen, etwa jene des «Monitoring of the Andean Für Mighty Earth sind die Brände entlang der BR-163 Amazon Project» (MAAP), zeigten jedoch eindeutig, jedoch ein starkes Indiz dafür, dass die grossen Trader wei- dass ein Grossteil der Feuerherde dort entfacht wurde, terhin zu den wichtigsten Treibern der Abholzung gehören: wo vorher Rodungen stattgefunden hatten. Die Bäume Agrarbetriebe nützten eine Lücke im Soja-Moratorium aus, wurden abgeholzt und das Land daraufhin abgebrannt, um weiter Land zu roden, während sie gleichzeitig Soja an um es landwirtschaftlich nutzbar zu machen. «Slash and die grossen Händler verkaufen. burn», zu Deutsch Brandrodung, im ganz grossen Stil. Das «schlimmste Unternehmen der Welt» Soja «traded in Switzerland» Wie die Lieferketten-Transparenz-Initiative «Trase.Earth» Doch wer profitiert davon? Der Anreiz für die Vernichtung zeigt, hat ein Konzern besonders enge Handelsbeziehun- komme «von grossen internationalen Fleisch- und Soja- gen ins Amazonasgebiet und in den ebenso von Brand- konzernen», stellte Mighty Earth in einer Analyse fest, rodung betroffenen Cerrado: Cargill. Der Agrarhan- die sie Ende August veröffentlichte. Die Umweltschutz- delsgigant, nach Bunge der zweitgrösste Exporteur von
6 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 brasilianischem Soja, betreibt zwei Hafenterminals im in denen für die Monokulturen indigene Völker vertrieben Regenwald, eines in Porto Velho am Río Madeira (dem würden (siehe dazu auch Text ab Seite 12). Im April 2019 grössten Nebenfluss des Amazonas), das andere – welches wurde Cargill wie Bunge und drei weitere Konzerne von gemäss verschiedener Organisationen und Gerichtsent- der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA gebüsst, weil scheiden wegen fehlender Umweltverträglichkeitsprü- sie Soja aus illegal gerodeten Flächen im Cerrado gekauft fung eigentlich illegal ist – in Santarém am Amazonas. haben sollen. Und im Juni 2019 teilte der Konzern in einem Der US-Konzern mit Hauptsitz in Minnesota, den offenen Brief an brasilianische Sojaproduzenten seine Ab- Mighty Earth im vergangenen Juli kurz und knapp zum lehnung des «Cerrado Manifesto» mit – einem Moratorium «schlimmsten Unternehmen der Welt» kürte, hatte 2006 bei für das Savannengebiet, analog jenem im Amazonas. der Erarbeitung des Soja-Moratoriums noch eine Vorreiter- rolle übernommen. 2014 verpflichtete sich Cargill zudem Nestlé als Kundin im Rahmen des Klimagipfels in der «New Yorker Wald- Daraus, dass Cargill seinen Getreide- und Ölsaathandel erklärung», die Abholzung für Soja, Palmöl, Fleisch und über die Genfer Tochterfirma Cargill International SA Holzprodukte in seinen Lieferketten bis spätestens 2020 abwickelt, ergibt sich eine offensichtliche Mitverant- zu stoppen. Der Konzern hat im vergangenen Juni selbst wortung der Schweiz. Die schlimmen Konsequenzen, eingestanden, dass man dieses Ziel verfehlen werde. Statt- die der Anbau des in Genf gehandelten Sojas für die dessen schaffe Cargill «weiterhin Anreize für die Entwal- Umwelt und die Menschen in Brasilien hat, zeigen dung», kritisiert Mighty Earth – zum Teil auch in Gebieten, schmerzlich auf, wie dringend es ist, von der Schweiz Soja-Moratorium mit Lücken Das 2006 beschlossene Moratorium hat zu einer deutlichen Reduktion der für Soja abgeholzten Regenwäl- der geführt. Doch das Abkommen hat empfindliche Lücken – und dürfte nun stark unter Druck geraten. Das Soja-Moratorium kam im Jahr 2006 letztlich dank eines Zum anderen gilt das Soja-Moratorium nur für das brasi- Berichts von Greenpeace zustande: Als Reaktion darauf lianische Regenwaldgebiet. Im brasilianischen Cerrado, im forderten Lebensmittelkonzerne wie McDonald’s oder Wal- benachbarten bolivianischen Teil des Amazonasregen- mart die grossen, im Amazonasgebiet tätigen Agrarhändler walds oder in den Trockenwäldern des Gran Chaco in auf, den Sojaanbau im Regenwald zu stoppen. Heute ver- Argentinien, Bolivien und Paraguay tragen grosse Händler bietet das Abkommen den Handel, die Finanzierung und derweil weiterhin unbehelligt dazu bei, dass die Abholzung den Kauf von Soja, das von Regenwaldflächen stammt, die für Soja voranschreitet. dafür nach 2008 gerodet wurden oder durch deren Bewirt- schaftung die Rechte der indigenen Bevölkerung verletzt Präzedenzfall Zuckerrohr? werden. Der Text wurde von den Agrarhandelsgiganten Hinzu kommt, dass das Moratorium, das im Mai 2016 erst- ADM, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus genauso wie von der mals ohne zeitliche Beschränkung bekräftigt wurde, unter Grupo Amaggi unterzeichnet. grossem politischem Druck steht. Mit dem Argument, es verletze die «nationale Souveränität», versucht der Verband Zwei gravierende Mängel der brasilianischen Sojaproduzenten – mit Unterstützung der Das Soja-Moratorium wird von Umweltorganisationen als Regierung Bolsonaro – bei der brasilianischen Wettbewerbs- Erfolgsmodell gewertet: War die Sojaindustrie vor 2006 noch kommission gegen das Moratorium vorzugehen. Die Erfolgs für bis zu 30 Prozent der direkten Regenwaldabholzung ver- aussichten stehen nicht schlecht: Im November 2019 annul- antwortlich, waren es 2014 weniger als ein Prozent. Das Mora- lierten das Wirtschafts- und das Landwirtschaftsministerium torium hat allerdings zwei gravierende Mängel: Zum einen gilt auf Geheiss Bolsonaros ein seit zehn Jahren geltendes Mora- es eben nur für Land, das extra für den Anbau von Soja gero- torium für Zuckerrohr aus dem Amazonasgebiet und dem det wurde. Das heisst, die Agrarhändler können weiterhin Soja Cerrado. Die Auswirkungen auf Menschen und Umwelt dürf ein- und wieder verkaufen, das auf Flächen angebaut wurde, ten gravierend sein. Die Freigabe des Zuckerrohranbaus die ursprünglich für andere Zwecke – oft für die Viehzucht – werde zu «mehr Gewalt, Tod und Zerstörung für die betrof- brandgerodet wurden. So hat sich im brasilianischen Amazo- fenen Völker und Ökosysteme» und zur Verringerung der nasgebiet die Fläche, auf der Soja angebaut wird, zwischen Niederschläge führen, warnte die Menschenrechtsorganisa- 2006 und 2018 trotz Moratorium vervierfacht. tion CPT der katholischen Kirche in Brasilien.
DIE SCHWEIZ UND DER AMAZONAS 7 aus operierende Agrargiganten für Vergehen an Men- schen und Umwelt in die Pflicht zu nehmen. Aber die Verbindung der Schweiz zu Cargill erschöpft sich nicht in deren Genfer Geschäften. Das zeigt etwa ein Blick auf Cargills Kunden, zu denen – neben McDonald’s 33660 Mighty oder Burger King – auch Nestlé gehört. Gemäss Earth kauft deren Tierfutter-Tochterfirma Purina Petcare BR-163 Ware von Cargill. Zudem sei Nestlé einer der grössten Kunden des brasilianischen Fleischkonzerns Marfrig. Wie seine grössten Konkurrenten JBS und Minerva ver- pflichtete sich auch Marfrig 2009 mit der Unterzeichnung des «Rinder-Abkommens» dazu, kein Vieh aus geschütz- Quelle: Mighty Earth ten oder indigenen Gebieten zu beziehen oder von Wei- den, die nach 2009 abgeholzt wurden. Untersuchungen von Behörden und NGOs zeigen jedoch, dass das Ab- kommen oft mit «Rinderwäscherei» umgangen wird: Die Tiere werden an illegalen Orten aufgezogen und kommen Die Amazonasfeuer im August 2019 und die Anlagen der grössten Sojahändler. erst zum Schluss auf eine legale Farm. Nestlé hat sich 2010 als eines der ersten Unterneh- Sojahändler: Intensität: men verpflichtet, bis 2020 abholzungsfreie Lieferketten zu erreichen. Gegenüber Swissinfo räumte der Konzern im ADM Hoch Amaggi November allerdings ein, er werde dieses Ziel nicht errei- Bunge Mittel chen. Ende 2020 würden erst 90 Prozent der Lieferkette Cargill «abholzungsfrei» sein, in den drei Jahren danach werde man Louis Dreyfuss Tief daran arbeiten, «nahe an hundert Prozent» zu kommen. Credit Suisse als Geldgeberin in «tropischen Primärregenwäldern, Wäldern mit hohem Eine weitere, noch grundlegendere Dimension der Schwei- Schutzwert und gefährdeten natürlichen Biotopen»? Die zer Mitverantwortung für die Feuer im Amazonas eröffnet Lösung: Man definiert «Forst- oder Agrarwirtschafts sich einem, wenn man sich anschaut, wie sich die grossen unternehmen» einfach möglichst eng. Dazu zählt die Cre- Agrarhandels- und Fleischkonzerne finanzieren. Mighty dit Suisse nämlich nur Unternehmen, die in der «Gewin- Earth hat dies im April 2019 getan – in einem Bericht, des- nung von Waldressourcen […] oder in der Forstverwaltung sen Titel nach einem Actionfilm-Sequel klingt: «Complicity tätig sind, Plantagen […] oder in erheblichem Umfang in Destruction II». Global Witness nahm im September in Landwirtschaft […] betreiben» oder in der Verarbeitung einem Report mit ebenso gutem Titel – «Money to burn» von Ölpalmen tätig sind. Das heisst: Für Agrarhändler wie – die Finanzierung von Regenwaldzerstörung in Brasilien, Cargill, Bunge oder Louis Dreyfus, die keine eigenen Soja- im Kongobecken und in Papua Neu Guinea unter die Lupe. plantagen besitzen, sondern «nur» die grossen Abnehmer Ein Name, der in beiden Berichten prominent auftaucht, ist des im Regenwald oder im Cerrado produzierten Sojas und jener der Credit Suisse. Die Bank vergab zwischen 2013 und von Fleisch sind – gilt die Richtlinie nicht. Die Weisung 2018 Kredite an sämtliche vier in Brasilien aktiven Soja- sei «nicht auf Agrarhandelsgesellschaften anwendbar», trader: 60 Millionen an Bunge, 67 an Louis Dreyfus, 166 an sondern beziehe sich einzig «auf Unternehmen, deren Ak- ADM und gar 274 an Cargill. Für die Louis Dreyfus Compa- tivitäten direkt Auswirkungen auf primäre Tropenwälder ny – der auch die UBS oder die Zürcher Kantonalbank Mil- haben können», erläuterte ein Sprecher der Credit Suisse lionenkredite gewährt haben – brachte Credit Suisse zudem im Oktober gegenüber der Sonntagszeitung. Anleihen und Aktien im Wert von 278 Millionen US-Dollar Die enge Definition in der Weisung ignoriert so- heraus. Und auch in den Fleischmarkt ist die Credit Suisse wohl den Einfluss, den die Händler durch ihre Markt- involviert: Für Minerva, den grössten Rindfleischexporteur macht auf die Produktion oder eben die vorangehende Südamerikas, brachte die Grossbank neue Anleihen und Abholzung haben, wie auch die Tatsache, dass die Ag- Aktien im Wert von 283 Millionen Dollar heraus. rarhändler – wie wir letzten Sommer im Fachbericht «Agricultural Commodity Traders in Switzerland – Be- Die Kunst der Definition nefitting from Misery?» aufgezeigt hatten – längst kei- Wie ist das vereinbar mit der Weisung zu Forst- und ne reinen Händler mehr sind, sondern als «Global Value Agrarwirtschaft der Credit Suisse, in der steht, die Bank Chain Manager» stark in die Produktion vorgedrungen finanziere keine Geschäftstätigkeiten von Unternehmen sind und, wie beispielsweise die Louis Dreyfus Company
8 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 im Fall von Zuckerrohr oder Zitrusfrüchten, auch eigene se genügend, um die drängenden und durch den globa- Plantagen besitzen. Wie der Schutz der Umwelt ist auch len Agrarrohstoffhandel massgeblich mitverantworteten die Respektierung der Rechte indigener Gemeinschaf- Probleme zu lösen. Um tatsächlich mehr Verantwortung ten bei Projekten, die von der Credit Suisse mitfinanziert für die Auswirkungen ihrer Geschäfte zu übernehmen, werden, noch längst keine Selbstverständlichkeit. Das hat müssten die Handelsgiganten in einem ersten, dringend das Schlichtungsverfahren zwischen der Gesellschaft für notwendigen Schritt Transparenz über ihre Lieferkette bedrohte Völker (GfbV) und der Bank am Kontaktpunkt herstellen. Nur wenn die Händler glaubhaft und aktuell für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen darüber informieren, woher sie ihre Produkte beziehen gezeigt. Erst nach eineinhalbjährigen Verhandlungen hat und unter welchen Bedingungen diese angebaut wurden, sich die Credit Suisse im Oktober 2019 dazu verpflichtet, können im Bedarfsfall auch gezielte Massnahmen zum den Schutz der Rechte von indigenen Gemeinschaften in Schutz von Menschen und Umwelt ergriffen werden. ihren internen Richtlinien für Projektfinanzierungen zu Wirksame Instrumente, um die systemischen Prob- verankern. Die GfbV begrüsste diesen «ersten Schritt», leme des Sektors anzugehen, wären vorhanden: Die Agrar betonte aber auch, dass der Schutz der Rechte indige- händler müssen die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft ner Völker nicht auf die Finanzierung von Projekten be- und Menschenrechte anerkennen und umsetzen. Wie im schränkt bleiben dürfe, sondern auch für Firmenfinanzie- Schweizer Leitfaden für gute Praktiken zur Einhaltung der rungen und Aktiengeschäfte gelten müsse. Menschenrechte im Rohstoffhandel und dem von der OECD und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation Die Instrumente wären vorhanden FAO erarbeiteten Leitfaden für verantwortungsvolle land- Gemäss neuesten, noch unveröffentlichten Studien habe wirtschaftliche Lieferketten skizziert, muss dabei die Sorg- der Osten Amazoniens «den Kipppunkt schon überschrit- faltsprüfung in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt im ten», warnte Antonio Donato Nobre, Experte in Urwald- Zentrum stehen. Mit Blick auf die 2018 verabschiedete und ökologie, in einem Interview mit dem Berliner Tagesspie- von ihr mitunterzeichnete UNO-Deklaration zum Schutz gel. Das Klima habe sich bereits so stark verändert, dass der Rechte von Bauern und Bäuerinnen steht die Schweiz sich der Wald «nicht mehr halten» könne. Und täglich in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die hierzulande lodern – auch jetzt im Januar noch – unzählige Feuer, die geschäftenden Agrargiganten die Bauernrechte respektie- immer noch mehr Regenwaldfläche vernichten. ren. Eine Annahme der Konzernverantwortungsinitiative, Die zahlreichen Selbstverpflichtungen der Händ- über die wir voraussichtlich dieses Jahr abstimmen werden, ler, deren Zeithorizont wegen Nichterfüllung regelmäs- wäre ein entscheidendes Mittel, um die Schweizer Agrar- sig erweitert wird, sind – wie die Brände im Amazonas handelskonzerne dazu zu verpflichten, Umwelt und Men- einmal mehr überdeutlich gezeigt haben – in keiner Wei- schenrechte in allen ihren Tätigkeitsfeldern zu achten. � © Joedson Alves/Keystone/EFE Eine Schlange flüchtet im August 2019 im Bundesstaat Rondônia vor den Bränden.
DAS ABKOMMEN 9 Im falschen Film Während in Brasilien der Regenwald für zusätzliches Weide- und Ackerland abgebrannt wird, verkündet der Bundesrat den Abschluss eines Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten. Da dieses auch Zollsenkungen vorsieht, würde es den Raubbau am Amazonas weiter anheizen. THOMAS BRAUNSCHWEIG Unser Wirtschaftsminister konnte einem schon fast Nachhaltigkeit? Fehlanzeige! leidtun, als er im August vergangenen Jahres am Flug «Wir nehmen diese sehr ernst», sagte Parmelin zu den hafen Kloten vor die versammelte Medienschar trat. Waldbränden in Brasilien. Wie ernst, zeigt sich daran, Mit ernster Miene verkündete er die frohe Botschaft des dass sich das federführende Staatssekretariat für Wirt- erfolgreichen Verhandlungsabschlusses für ein Han- schaft (Seco) – wie schon bei allen vorherigen Freihan- delsabkommen mit den Mercosur-Staaten (siehe Kasten delsabkommen – standhaft geweigert hat, im Vorfeld unten). Man wähnte sich im falschen Film: Fast schon der Mercosur-Verhandlungen die von verschiedener verzweifelt versuchte Bundesrat Parmelin, die Vorteile Seite geforderte Nachhaltigkeitsanalyse durchzufüh- des politischen Deals für die Schweizer Wirtschaft her- ren (siehe Kasten auf Seite 10). Wie aber, so fragt man vorzuheben, während zugleich die Schreckensbilder der sich, soll verhindert werden, dass dieser Handelsvertrag verheerenden Brände des Amazonasurwalds weltweit die Amazonasbrände nicht noch zusätzlich befeuert, über die Bildschirme flimmerten und Jair Bolsonaro der wenn seine möglichen Auswirkungen vorgängig nicht globalen Gemeinschaft ein herrisches «Wir werden den gründlich abgeklärt wurden? Denn mit den darin vor- Amazonas ausbeuten, er gehört uns!» entgegen schleu- gesehenen Zollsenkungen soll ja der Warenaustausch derte. Brasiliens Präsident leugnet nicht nur die wissen- angeheizt werden – und damit gezielt auch der brasi- schaftlichen Fakten seiner eigenen Weltraumbehörde lianische Export von Landwirtschaftsgütern. Die da- zum Ausmass der Amazonasfeuer, sondern denunziert für nötige Produktionssteigerung wird zwangsläufig zu auch Umweltorganisationen, indigene Gemeinschaften Flächenausdehnungen führen. Und das dafür benötigte und europäische Regierungen aufs Übelste. Land findet man insbesondere im Amazonas. Das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Lange reagierten die Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) abweisend auf die Avancen der EFTA (Schweiz, Norwegen, Liechtenstein, Island). Erst als in Argentinien und Brasilien rechte Regie- rungen die Führung übernahmen, kam Bewegung in die Sache. Dann ging es jedoch verhältnismässig rasch: Nach zweijährigen Verhandlungen verkündete Brasiliens Präsident Bolsonaro am 23. August 2019 über Twitter den erfolgreichen Abschluss. Mit dem Abkommen sollen mittelfristig rund 95 Prozent der Schweizer Exporte in die Mercosur-Staaten von Zöllen befreit werden. Zugleich würde der Patentschutz in diesen Ländern gestärkt. Umgekehrt gewährt die Schweiz den Vertragspartnern zollfreien Zugang für deren Industrieprodukte sowie Zollsenkungen für Fleisch, Futtergetreide und weitere Landwirtschaftsprodukte. Die Details des Deals werden erst nach der offiziellen Unterzeichnung durch die Vertragsstaaten öffentlich. Einen Termin dafür gibt es noch nicht. Danach muss das Freihandelsabkommen von den Parlamenten aller beteiligten Staaten ratifiziert werden – und in der Schweiz voraussichtlich ein von verschiedener Seite ange- kündigtes Referendum überstehen (siehe Interview auf Seite 11). Das Staatssekretariat für Wirtschaft ist aller- dings zuversichtlich, das Vertragswerk 2021 in Kraft setzen zu können.
10 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 Geheime Bestimmungen Der Zweck von Mit einem griffigen Nachhaltigkeitskapitel im Mercosur Nachhaltigkeitsanalysen Abkommen, so versichert uns das Seco, sollen dessen mögliche negative Auswirkungen auf Menschen und Vor Verhandlungsabschluss durchgeführte Nachhal- Umwelt verhindert werden. Darin gebe es Bestimmungen tigkeitsanalysen sollen sicherstellen, dass mögliche zur Bewirtschaftung von Waldressourcen, zum Klima- negative Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf schutz und zur ökologischen Landwirtschaft. Was diese Menschen und Umwelt identifiziert und über entspre- Klauseln im Detail enthalten und wie genau oder gummig chende Anpassungen verhindert werden. Auf Grund- sie formuliert sind, bleibt nach wie vor ein Staatsgeheim- lage einer umfassenden Untersuchung hat die nis: Der Vertragstext ist auch mehrere Monate nach Ver- Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrats handlungsabschluss nicht öffentlich zugänglich. Zudem den Bundesrat bereits 2017 für seine diesbezügliche wird die Einhaltung der Bestimmungen weder systema- Passivität kritisiert: «Die bisher aus grundsätzlichen tisch überwacht, noch können Verfehlungen sanktioniert Überlegungen erfolgte Ablehnung der Durchführung werden. Allfällige Verstösse können auch nicht vor dem der entsprechenden Studien widerspricht der Beto- im Abkommen vorgesehenen Schiedsgericht eingeklagt nung der Bedeutung der Nachhaltigkeit durch den werden – im Gegensatz zu allen anderen Teilen des Deals. Bundesrat.» Die GPK forderte die Regierung unmiss- Solche Instrumente wären aber entscheidend – be- verständlich zur «Durchführung von Nachhaltigkeits- sonders angesichts eines brasilianischen Präsidenten, der studien» auf – bisher jedoch vergeblich. mit den Abholzungen im Amazonasbecken nationale Wirt- schaftsförderung betreibt und die indigene Bevölkerung, Ein wichtiges Element von Nachhaltigkeitsstudien sind deren Lebensraum bedroht ist, mit «Zootieren» vergleicht menschenrechtliche Analysen. Solche fordert nicht nur und als «prähistorische Menschen» bezeichnet. Auch sein Public Eye: Auch der UNO-Menschenrechtsausschuss Aussenminister Ernesto Araújo lässt Zweifel an der Wirk- für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat die samkeit von wohlgemeinten Bestimmungen ohne Kon- Schweiz wiederholt dazu aufgefordert, im Vorfeld von troll- und Sanktionsmöglichkeiten aufkommen. So sagte er Handelsabkommen mögliche negative Auswirkungen kurz vor Abschluss der Verhandlungen vor D iplomatinnen auf die Menschenrechte im Partnerland abzuklären – und Diplomaten: «Ich war im Mai in Rom und es war kühl zuletzt 2019 in seinem Staatenbericht zur Menschen- dort. Ich glaube nicht an den Klimawandel.» � rechtspolitik der Schweiz. © Laurent Gilliéron/Keystone Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat am WEF 2019 Spass mit Bundes- präsident Ueli Maurer und Wirtschaftsminister Guy Parmelin.
«Beim Geld gehen unsere Grundwerte schnell vergessen» Lisa Mazzone, Ständerätin und Präsidentin der Gesellschaft für © Adrien Perritaz/Keystone bedrohte Völker, setzt sich für schärfere Nachhaltigkeitskriterien im Mercosur-Abkommen ein. Sollte das Parlament diese Forde- rungen nicht unterstützen, will die Grüne Partei das Referendum ergreifen. INTERVIEW: SIMON JÄGGI Bei ihrem Besuch im November vielen Orten die Umwelt, die Men- und kennen die Bedingungen, unter hat eine indigene Delegation aus schenrechte und die soziale Gerech- denen in Brasilien Fleisch produziert dem Amazonas die Schweiz scharf tigkeit. Die Schweiz importiert be- wird. Die Tiere werden mit genmani- kritisiert. Sie sagten, das Land reits heute viele Produkte, die nicht puliertem Soja gefüttert, das auf ab- bereichere sich am Elend anderer. nachhaltig produziert werden. Wir geholzten Regenwaldflächen wächst. Teilen Sie diese Kritik? müssen den Druck auf andere Staa- Davon profitiert niemand – weder Die Indigenen haben gut verstanden, ten erhöhen, auch im Hinblick auf die die Konsumierenden, die Lebensmit- wie die Schweiz funktioniert. Insbe- kommenden Freihandelsabkommen. tel von guter Qualität wollen, noch sondere im Hinblick auf den Handel. Bäuerinnen und Bauern, die gezwun- Ich bin derselben Ansicht: Geht es Sie fordern Sanktionsmöglichkei- gen werden, auf Kosten der Umwelt ums Geld, gehen unsere Grundwerte ten. Wie könnten diese aussehen? möglichst billig zu produzieren, noch schnell vergessen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, das Klima oder die Indigenen. Aber Einfuhrkontingente nur noch an sozial wenn man die Importe in die Schweiz In der Schweiz hat die Zivilgesell- und ökologisch nachhaltig produzierte verbessern kann, ohne sie zugleich zu schaft eine Mercosur-Koalition Erzeugnisse zu vergeben. Die Schweiz erhöhen, dann wird es interessant. gebildet, die vom Bauernverband muss zudem Produkte vom Freihan- über Public Eye bis zu Brot für alle del ausschliessen, wenn diese gewisse Was sind die nächsten Schritte? reicht. Was eint diese Allianz? Mindestanforderungen nicht erfüllen. Der Bundesrat muss das Abkommen Hier treffen sich die Interessen von Zudem braucht es eine Ausstiegsklau- noch verabschieden, erst dann kommt Bauern, Konsumenten und allen, die sel, damit wir das Handelsabkommen es ins Parlament. Ich bin jedoch nicht sich für globale Solidarität einset- aufkünden können, wenn sich die Ver- sicher, ob das neue Parlament beim zen. Gemeinsam können wir stärke- tragspartner nicht an die Bestimmun- Freihandel genauer hinschauen wird ren Druck aufbauen. Wir sind nicht gen halten. Es ist spannend zu sehen, als das letzte. Wenn das Parlament grundsätzlich gegen ein Freihan- dass nicht nur in der Schweiz die Kri- keine klaren Nachhaltigkeitskrite- delsabkommen, fordern aber vom tik am Abkommen zunimmt. Auch in rien und Sanktionsmöglichkeiten Bundesrat verbindliche Nachhaltig- anderen europäischen Ländern wächst beschliesst, werden wir Grünen das keitskriterien. Der Schutz von indi- die Skepsis. Und selbstverständlich Referendum ergreifen. genen Rechten, Menschenrechten, auch in den Mercosur-Staaten. sozialen Standards und der Umwelt Es wäre das erste Mal, dass das soll rechtlich bindend im Abkommen Mehr Fleisch aus Brasilien importie- Stimmvolk über ein Freihandels- festgeschrieben werden. ren und gleichzeitig die Menschen- abkommen entscheidet. Rechnen rechte und die Umwelt schützen – Sie sich dafür Chancen aus? Wie sollen solche Regelungen ist das nicht ein Widerspruch? Es ist Zeit, dass die Bürgerinnen und durchgesetzt werden? Auch wenn die Schweiz nur jene Pro- Bürger darüber abstimmen können! Wir brauchen klare Kriterien, Kon dukte importiert, die unter nachhalti- Im Kern geht es um eine Allianz mit trollen und Sanktionsmöglichkeiten. gen Bedingungen produziert werden, den Konsumierenden. Darum, welches Das gab es in der Schweizer Handels- trägt sie mit dem Abkommen zum Essen auf unserem Teller landet. Ich politik in dieser Form bisher nicht, schädlichen Wachstum der Fleisch- bin überzeugt, die meisten Menschen insofern ist es eine Herausforderung. und Futtermittelindustrie bei. Wir wollen, dass ihre Produkte nachhaltig Eine, die wir dringend angehen müs- wissen, wie negativ sich der Fleisch- und unter Einhaltung der Menschen- sen. Die Globalisierung bedroht an konsum auf die Umwelt auswirkt rechte hergestellt werden. �
12 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 © Biel Alino/Keystone/EPA Unermüdlich im Einsatz für die Erhaltung des Amazonas: Kretã Kaingang (hinten) und Sônia Guajajara (siehe Portrait rechts). «Ein Rindskopf ist mehr wert als der eines Häuptlings» Eine indigene Delegation aus dem Amazonas machte auf ihrer Europareise Mitte November Halt in Bundesbern. Ihr Ziel: das Schweizer Freihandelsabkommen mit Bolsonaros Brasilien verhindern. SIMON JÄGGI Seit sechs Wochen sind die Indigenen bereits unterwegs. «Dass die Welt mit einer Regierung wie der von Bolsonaro Am Vorabend sind sie mit dem Zug aus Brüssel angekom- solche Abkommen schliesst, das macht uns Angst.» men, nun sind sie schon wieder auf dem Weg zur nächs- ten Pressekonferenz. Eingehüllt in dicke Daunenjacken «Die Schweiz ist ein Krebsgeschwür» bewegen sich die vier Frauen und sieben Männer durch Elizeu vertritt die Guarani-Kaiowá. Ein indigenes Volk, die Berner Altstadt. Ihre Gesichter eingerahmt von ausla- das besonders von Gewalt und Vertreibung betroffen ist. denden Kopffedern, Farbflecken im kühlen Morgennebel. Ein Grossteil seiner traditionellen Lebensräume wurde Im zweiten Stock eines Altstadthauses beginnt in von der Agrarindustrie besetzt. Wo früher Regenwald wenigen Minuten der Medientermin, organisiert von der stand, produzieren Konzerne heute Zuckerrohr, Soja und Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Kameras sind auf- Mais. Die Guarani-Kaiowá leben zusammengepfercht in gebaut, doch das mediale Interesse ist eher bescheiden. Ein kleinen Reservaten, dort verfallen viele dem Alkohol, halbes Dutzend Journalistinnen und Journalisten sitzt auf die Zahl der Selbsttötungen steigt. Elizeu wurde wegen den Stühlen und wartet. An den langen Tisch gegenüber seines Kampfes für den Schutz der Wälder von Bauern setzen sich drei Indigene: Sônia Guajajara, Elizeu Guarani verklagt, mit dem Tod bedroht und entkam auch schon Kaiowá und Kretã Kaingang. Die Delegation ist mit einer Schüssen aus dem Hinterhalt. Er kann nicht mehr in sein klaren Botschaft aus Brasilien nach Europa gekommen. Dorf zurückkehren. «In Brasilien», sagt Guarani Kaiowá Diese verkündet sie auch hier mit Nachdruck: «Das geplante Freihandelsabkommen mit Brasilien besiegelt die Zerstö- rung unserer Lebensräume», sagt Elizeu Guarani Kaiowá. Fortsetzung auf Seite 14
SÔNIA GUAJAJARA 13 «Bolsonaros Politik hat drastische Folgen» Sônia Guajajara ist eine der bekanntesten Anführerinnen der Indigenen in Brasilien. Ihr Leben hat sie ganz dem Kampf gegen die Abholzung des A mazonas verschrieben. Sie war noch ein kleines Kind, als ihre Tante ihr pro- gramm dieser Regierung. Alle, die in unsere Territorien phezeite: Eines Tages wirst du die Stimme unseres einfallen, fühlen sich vom Präsidenten bestärkt und Volkes in die Welt hinaustragen. Sônia Guajajara lebte haben kaum Strafen zu befürchten», sagt Guajajara. damals in einem von Regenwald umgebenen Dorf im Auch das Schutzgebiet im Bundesstaat Maranhão, wo Nordosten Brasiliens, fernab der modernen Zivilisa- sie aufgewachsen ist, wird stark vom illegalen Holz- tion. Heute ist sie Stammesführerin der Guajajaras, mit schlag bedroht. Dort leben 14 000 Indigene, darunter rund 20 000 Personen eine der grössten indigenen auch Gruppen, die jeden Kontakt zur Aussenwelt Gruppen Brasiliens. Als Generalsekretärin der brasi ablehnen. «Die Holzfäller sind bereits in das Gebiet lianischen Indigenen-Dachorganisation Apib ist sie eingedrungen», klagt sie. Gemeinsam haben die Ein- weltweit eine der bekanntesten Stimmen im Kampf wohner eine Nachbarschaftswache organisiert, um gegen die Vernichtung des Amazonasregenwalds. sich den Eindringlingen entgegenzustellen. Den grössten Teil des Jahres verbringt Guaja- jara auf Reisen. Sie trifft Politikerinnen, Umweltschützer Kaum Anlass zur Hoffnung und Leute aus der Wirtschaft. Letzten Oktober besuchte Die Abholzung, die illegale Goldsuche, die systemati- sie als Teil einer indigenen Delegation zwölf europäi- sche Verdrängung ihres Volkes – all das seien Folgen sche Länder. «Das ist eine Lebensmission», sagt sie. der internationalen Profitgier. «Das ständige Wirt- «Wir wollen, dass unsere Lebensweise fortbesteht. Der schaftswachstum hat für uns den gegenteiligen Effekt: Kampf dafür ist ein untrennbarer Teil von uns.» Sônia Unsere Lebensgrundlage schrumpft und schwindet Guajajara organisierte Proteste wie die Besetzung des immer weiter.» Die Ignoranz des Westens schockiere Plenarsaals im Nationalkongress durch 300 Indigene sie, sagt Guajajara. «Viele verstehen offenbar den und traf auch schon die frühere Präsidentin Dilma Rous- Zusammenhang zwischen dem Konsum in Europa und sef. Einem Millionenpublikum wurde sie 2018 bekannt, den Folgen im Amazonas noch immer nicht.» Die Poli- als sie in Rio de Janeiro gemeinsam mit dem Popstar tik im Westen müsse dringend den Druck auf jene A licia Keys auftrat. Unternehmen und Staaten erhöhen, die zur Umwelt- zerstörung beitragen. Aber auch jede und jeder Ein- Mitstreiter per Kopfschuss getötet zelne könne etwas bewirken. «Die Menschen sollten Der Kampf, den Sônia und ihre Guajajaras führen, ist ihr Kaufverhalten überdenken, regionale Produkte gefährlicher geworden. Anfang November geriet einer bevorzugen und generell weniger konsumieren.» ihrer engsten Mitstreiter in einen Hinterhalt und wurde Die Gespräche, die sie während ihrer Europa- von Holzfällern durch einen Kopfschuss getötet. «Die reise geführt hat, geben ihr jedoch wenig Anlass zur Politik von Bolsonaro hat für uns Indigene drastische Hoffnung. Sie spüre bei den Erwachsenen kaum Bereit- Folgen.» Der umstrittene Präsident ermutige zur Aus- schaft zu Veränderung. «Wir müssen mit der jungen beutung des Amazonas und rufe aktiv zu Attacken auf Generation sprechen», sagt sie. «Vielleicht können wir die indigenen Schutzgebiete auf. Zugleich schwäche diese zu einem nachhaltigen Lebensstil bewegen.» Bolsonaro jene politischen Institutionen, welche die Denn der Kampf der Indigenen sei ein globaler. «Wenn Indigenen und die Regenwälder vor illegalen Holzfäl- die Menschen nicht endlich lernen, Rücksicht auf die lern schützen sollen. «Die Erschliessung unseres Lan- Natur nehmen, zerstören wir am Ende die Lebens- des zu Profitzwecken gehört zum politischen Pro- grundlage von uns allen.»
14 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 den Journalistinnen und Journalisten, «hat ein Rinds- Schweigend essen sie am langen Tisch, bevor sie sich kopf mehr wert als der Kopf eines Häuptlings. Eine So- auf den Rückweg machen zum Hostel. Während sich ein japflanze ist wertvoller als ein Baum.» Wer Soja, Rind- Teil von ihnen in die Zimmer zurückzieht, bereitet sich fleisch, Palmöl oder Gold aus geschützten Territorien in eine kleinere Gruppe auf den nächsten Termin vor. Beim Brasilien kaufe, der kaufe indigenes Blut. Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) treffen sie sich mit Aus den Worten, welche die drei Indigenen an diesem Markus Schlagenhof, Delegierter des Bundesrats für Han- Morgen sprechen, klingen Wut und Verzweiflung. Kretã delsverträge und mitverantwortlich für das Aushandeln Kaingang bezeichnet die Schweiz als «Krebsgeschwür». des Abkommens mit den Mercosur-Ländern. Er spricht von einem Land ohne Ehrgefühl, das sich nur Kurz vor vier trifft die Gruppe – auch Elizeu Guarani für Rohstoffe und den Handel interessiere. «Die Auswir- Kaiowá ist mit dabei – beim Hauptgebäude des Seco ein. In kungen davon erleben wir täglich: illegale Goldminen, die einem Sitzungszimmer im Untergeschoss wartet eine Dele- Abholzung unserer Wälder, riesige Weideflächen, vergiftete gation des Bundes auf sie. Auf der einen Seite sitzen sechs Flüsse. Und das Vermögen, das korrupte Politiker damit Männer und eine Frau in perfekt sitzenden Anzügen. Ihnen verdienen, landet am Ende wieder auf euren Banken.» gegenüber die Indigenen, die Gesichter mit schwarzen Li- Die Medienkonferenz geht zu Ende. Die Journalisten nien geschminkt, Federschmuck auf dem Kopf. Nebst dem und Journalistinnen führen noch einige Interviews. Wollen Seco sind auch das Aussendepartement sowie das Bundes- genauer wissen, was sich die Delegation von der Reise er- amt für Umwelt vertreten. Zu Beginn bringt die Delegation hofft, welche Folgen die Indigenen bei einem Abschluss des nochmals ihre Bedenken zum Ausdruck. «Das Handelsab- Mercosur-Abkommens befürchten, wie gross ihre Hoffnun- kommen trägt zur Zerstörung unserer Lebensräume bei», gen sind. Die Delegation verfolgt mit ihrer Reise ein klares sagt Angela Kaxuyana. Die Indigenen sollen beim Abkom- Ziel: Sie will die Ratifizierung des Freihandelsabkommens men miteinbezogen und der Schutz der Lebensräume si- mit den Mercosur-Staaten verhindern. Denn die Indigenen chergestellt werden, fordert sie. «Wir appellieren an euch: befürchten, das Abkommen würde die zerstörerische Po- Übt mehr Druck aus auf die brasilianische Regierung», sagt litik der brasilianischen Regierung legitimieren. Elizeu Guarani Kaiowá. «Wir verlangen nicht, dass ihr Un- Nach GfbV-Angaben hat sich die Situation der rund mögliches tut. Aber tut, was in eurer Macht steht.» 900 000 Indigenen und die Zerstörung des Regenwalds im Amazonas seit Bolsonaros Amtsantritt drastisch ver- «Sie scheinen sensibilisiert» schärft. Experten schätzen, dass sich die Abholzung bis Knapp zwei Stunden später steht die Delegation im dicht im nächsten Jahr vervierfachen könnte, sollte die aktuelle gefüllten Tram auf dem Weg zurück in Richtung Berner Politik weitergeführt werden. Auch die Brandrodungen Altstadt. Über die Bildschirme flimmert der abendli- und Morde an Indigenen haben rasant zugenommen. che Nachrichtenstrom. Dazwischen immer wieder ein Allein 2019 sind gemäss Medienberichten rund 140 In- Bild der Indigenen von der morgendlichen Pressekonfe- digene getötet worden. Anfang November, während die renz. Titel: «Mercosur: Brasiliens indigene Völker gegen Delegation durch Europa reiste, ermordeten Holzfäller in Freihandelsabkommen». Auf ihrer bisherigen Reise ha- einem Hinterhalt einen Stammesführer per Kopfschuss. ben sie mit vielen Behörden und Wirtschaftsverbänden Die Indigenen fordern spezielle Klauseln in dem geplanten gesprochen. Oft hatten sie den Eindruck, ihnen werde Handelsabkommen zwischen den EFTA-Ländern, darun- nicht wirklich zugehört. «Beim heutigen Treffen war das ter der Schweiz, und den vier von Brasilien angeführten anders», sagt Elizeu Guarani Kaiowá. «Sie scheinen sen- Mercosur-Staaten. «Diese Klauseln müssen den Export sibilisiert und versuchen zumindest, mit Brasilien den von Produkten aus Konfliktgebieten, also indigenem Ter- Dialog zu suchen.» Er habe den Eindruck, ihre Anliegen ritorium, grundsätzlich verbieten», sagt Elizeu Guarani würden hier ernst genommen. Kaiowá. Vor allem müssten die Klauseln einklagbar sein. Beim Käfigturm steigt die Gruppe aus und geht weiter zum Waisenhausplatz, wo an diesem Abend eine Gesprächstermin beim Staatssekretariat Kundgebung gegen die Umweltpolitik der Regierung Nach der Pressekonferenz bewegt sich die Delegation ge- Bolsonaro stattfindet. Einige Dutzend Menschen haben meinsam mit dem GfbV-Team und einigen weiteren Beglei- sich bereits versammelt. Auf der kleinen Bühne hält Sônia terinnen ins Migros-Restaurant in der Berner Altstadt. Mit Guajajara auf Portugiesisch eine Rede. Gegen neun Uhr ihrem Federschmuck stechen die elf Männer und Frauen macht sich die Gruppe auf den Rückweg ins Hostel. Früh aus der Menge hervor, die in langen Schlangen vor den am kommenden Morgen fahren sie nach Genf, wo ein Buffets steht. «Ich wusste gar nicht, dass wir in der Schweiz Treffen bei den Vereinten Nationen ansteht. Das weitere jetzt auch Indianer haben», raunt eine Frau ihrer Freundin Programm ist dicht geplant. Parlamentarierinnen treffen, zu. Ein älterer Mann schüttelt im Vorbeigehen verärgert Workshop mit Aktivistinnen. Dann reisen die Indigenen den Kopf. Die Indigenen lassen sich nichts anmerken. Sie weiter – Frankreich, Holland, Grossbritannien. Ihr K ampf sind aus ihrer Heimat deutlich mehr Ablehnung gewohnt. um das eigene Überleben kennt keine Pausen. �
15 Aus der Schweiz exportiertes Nervengift im brasilianischen Trinkwasser © Lunaé Parracho 2018 wurden 37 Tonnen Profenofos aus der Schweiz nach Brasilien exportiert – das zeigen D okumente des Bundes, die Public Eye vorliegen. Dieses Insektizid – ein Organophosphat – ist auf Schweizer Böden wegen seiner Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt seit Langem verboten. In Brasilien gehört es zu den Pestiziden, die am häufigsten im Trinkwasser nachgewiesen werden. LAURENT GABERELL Sie dürften sich erinnern: Vor eineinhalb Jahren deckte Dennoch lässt es die Schweiz zu, dass dieses Pestizid ex- Public Eye auf, welche Rolle ein hierzulande verbotenes, portiert wird. Gemäss den von uns eingesehenen Daten aus der Schweiz exportiertes Pestizid 2017 in einer Ver- wurden 2018 37 Tonnen Profenofos nach Brasilien aus- giftungswelle im indischen Yavatmal gespielt hatte. Nun geführt. Auch wenn der Name der Exportfirma auf den belegen neuere Daten des Bundes, die Public Eye beim Dokumenten geschwärzt ist, gibt es keinerlei Zweifel, Bundesamt für Umwelt (BAFU) eingefordert hat, den Ex- dass es sich dabei um Syngenta handelt. Der Basler Kon- port einer weiteren höchst problematischen Substanz: zern – die Nummer eins auf dem globalen Pestizidmarkt, Profenofos. Diesen der breiten Öffentlichkeit kaum be- die 2018 mit der Agrarchemie einen Umsatz von über kannten Namen trägt ein höchst potentes Insektizid, das zehn Milliarden US-Dollar erzielte – ist die einzige Firma vor allem im Anbau von Baumwolle, Mais, Rüben, Soja, überhaupt, die auf dem brasilianischen Markt Pestizid- Kartoffeln und Gemüse verwendet wird. «Profenofos produkte verkaufen darf, welche Profenofos enthalten. ist ein Organophosphat, wie Saringas», erklärt Nathalie Auf seiner brasilianischen Website gibt der Konzern an, Chèvre, Ökotoxikologin an der Universität Lausanne, dass er den Wirkstoff im schweizerischen Monthey pro- gegenüber Public Eye. «Das sind Nervengifte.» duziert. Der globale Profenofos-Markt wird auf etwa 100 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt. Syngentas Verkäufe Gift im Trinkwasser allein machen rund einen Viertel davon aus. In der Schweiz ist die Verwendung von Profenofos seit In Brasilien gehört die Substanz zu den Pestiziden, 2005 nicht mehr erlaubt. Der Stoff steht auf der Liste die am häufigsten im Trinkwasser nachgewiesen werden, jener Pestizide, die wegen ihrer Auswirkungen auf die wie die Daten des nationalen Programms für Trinkwasser- menschliche Gesundheit oder die Umwelt verboten sind. überwachung 2018–2019 zeigen. In jeder zehnten Probe
16 PUBLIC EYE MAGAZIN Nr. 21 Januar 2020 sind die ermittelten Profenofos-Werte so hoch, dass das Dhanarisi von der Medizinischen Fakultät der Universi- Wasser in der Schweiz als für den menschlichen Konsum tät von Peradeniya in Sri Lanka. Seither seien die Zahlen ungeeignet eingestuft würde. Die am stärksten betroffe- jedoch deutlich gestiegen, insbesondere seit 2014 Chlor- nen Regionen sind mit São Paulo und Minas Gerais die pyrifos, eine Substanz aus derselben Gruppe, verboten zwei bevölkerungsreichsten Bundesstaaten des Landes. wurde. Profenofos sei heute in Sri Lanka «ein grosses In einer öffentlichen Stellungnahme hat der Problem. Mehr als jede zehnte Person, die die Substanz Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches letz- einnimmt, stirbt daran». ten Sommer den «Doppelstandard» der Regierung ange- Profenofos kann bei wiederholter Exposition auch prangert, welche die Ausfuhr von sehr gefährlichen, in in niedrigen Dosen zu irreversiblen Schäden führen. Hans der Schweiz verbotenen Pestizide zulasse, die dann im Muilerman, Toxikologe des Pesticide Action Network Ausland die Trinkwasserressourcen langfristig verun- (PAN) Europe, hat die wichtigsten Studien zum Thema reinigten. Der Zugang zu sauberem Wasser sei ein Men- ausgewertet. Sein Fazit ist eindeutig: «Profenofos ist ein schenrecht, und die Schweiz habe sich «offiziell dazu extrem gefährliches Pestizid. Besonders hoch sind die verpflichtet, diesem Menschenrecht nachzuleben» und Risiken für ungeborene Kinder. Der Stoff beeinträchtigt es im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsziele zu fördern, in erster Linie die Entwicklung des Gehirns. Die Wirkung schrieb der Verband der Trinkwasserversorger weiter. ist ähnlich wie bei Chlorpyrifos.» Die Europäische Behör- de für Lebensmittelsicherheit hat kürzlich ein Verbot für Ein Bienentöter Chlorpyrifos empfohlen, weil sie gestützt auf epidemio- Laut einem Bericht des BAFU ist Profenofos hochgiftig für logische Erhebungen von «neurologischen Auswirkungen Wasserorganismen, Vögel und Bienen. Organophosphat- während der Entwicklung» von Kindern ausgeht. Auch in Pestizide wie Profenofos veränderten die Physiologie und der Schweiz dürfte die Substanz gemäss Nathalie Chèvre Motorik der Honigbiene, was zu Lähmung und schliesslich von der Universität Lausanne demnächst verboten werden. zum Tod führe, sagt Marianne Tschuy, Fachspezialistin beim Bienengesundheitsdienst des Imker-Branchenver- Gift in unserem Gemüse bands, auf Anfrage. Leonardo Melgarejo, Agraringenieur Die gesundheitlichen Risiken betreffen nicht nur Bäu- und Vizepräsident der brasilianischen Agrarökologiever- erinnen, Landwirte oder allgemein Menschen, die in einigung, zeigt sich empört darüber, dass die Schweiz die ländlichen Gebieten leben. Durch die Ausbringung von Ausfuhr eines im eigenen Land verbotenen Pestizids zu- Profenofos auf den Feldern gelangt der Stoff oft auch lässt. «Diese Substanz gefährdet die gesamte Nahrungs- ins Trinkwasser, wie in Brasilien. Und auch in unser kette», erklärt er gegenüber Public Eye. «Die Schweiz sollte Essen. Denn obwohl die Verwendung der Substanz in sich für ein weltweites Verbot dieser Art von Stoffen ein- der Schweizer Landwirtschaft verboten ist, können Le- setzen, anstatt sie in mein Land zu exportieren.» bensmittel, die unter Einsatz von Profenofos produziert wurden, problemlos importiert werden. Profenofos ist Toxisch für das Nervensystem denn auch das am häufigsten nachgewiesene, hierzulande Profenofos ist auch für den Menschen giftig. Die Sub verbotene Pestizid in unseren Lebensmitteln – wie unse- stanz könne «die Aktivität des Nervensystems über re Analyse der detaillierten Daten des Bundesamts für stimulieren» und «bei sehr hoher Exposition Atem- Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) über lähmung und Tod» zur Folge haben, schreibt die Pestizidrückstände im Jahr 2017 gezeigt hat. Profenofos US-Umweltbehörde EPA. Das Risiko einer akuten Ver- wurde in 41 Lebensmitteln nachgewiesen, vor allem in giftung betrifft in erster Linie Landarbeiterinnen und Gemüse sowie verschiedenen Früchten und Gewürzen -arbeiter, die das Pestizid oft ohne Schutzausrüstung aus Asien (Thailand, Vietnam, Indien und Sri Lanka). ausbringen. Im Jahr 2017 haben sich Bäuerinnen und Bauern in Indien schwere, teils tödlich endende Ver- Kein Einzelfall giftungen zugezogen, «nachdem sie eine Mischung aus Profenofos ist nicht das einzige verbotene Pestizid, das Profenofos und Cypermethrin verwendeten», schreibt aus der Schweiz exportiert wird. Im Jahr 2018 wurden das BAFU in einem Bericht. aus der Schweiz auch knapp vier Tonnen Diafenthiuron Zudem sind Fälle von Suizidversuchen mit nach Südafrika und rund 20 Liter Atrazin in den Sudan Profenofos bekannt; etwa in Sri Lanka und Indien, mit ausgeführt. Auf eine parlamentarische Interpellation von Syngenta verkauften Produkten. In Sri Lanka ist es hin hat der Bundesrat 2017 berichtet, dass seit 2011 pro seit Ende der 1990er-Jahre gelungen, die Mortalität in- Jahr im Mittel 145 Tonnen hierzulande verbotene Pes- folge von Suizidversuchen drastisch zu senken, indem tizide exportiert wurden – verteilt auf durchschnittlich mehrere hochgiftige Pestizide, darunter Paraquat und 74 Exporte jährlich. Bis auf eine einzige Substanz stehen Dimethoat, verboten wurden. «Vor 2011 gab es nur sehr alle exportierten Pestizide auf der PAN-Liste der «hoch- wenige Vergiftungsfälle mit Profenofos», sagt Jeevan gefährlichen Pestizide». �
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