Grundlagen des Schulrechts Schleswig-Holstein - Handreichung für schulische Führungskräfte
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Grundlagen des Schulrechts Schleswig-Holstein Handreichung für schulische Führungskräfte Schleswig-Holstein. Der echte Norden.
Impressum Grundlagen des Schulrechts Schleswig-Holstein Handreichung für schulische Führungskräfte Herausgeber Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) Dr. Gesa Ramm, Direktorin Schreberweg 5, 24119 Kronshagen http://www.iqsh.schleswig-holstein.de https://twitter.com/_IQSH Bestellungen Onlineshop: https://publikationen.iqsh.de/ T +49 (0)431 5403-148 F +49 (0)431 988-6230-200 E-Mail: publikationen@iqsh.landsh.de Autoren PD Dr. Peter Brozio unter Mitarbeit von Gerhard Jens Gestaltung Stamp Media im Medienhaus Kiel, Ringstraße 19, 24114 Kiel, www.stamp-media.de Fotos und/oder Zeichnungen © stock.adobe.com: MQ-Illustrations (Titelbild), N. Theiss (Seite 12), drubig-photo (Seite 15), Fokussiert (Seite 25), Wavebreakmicro (Seite 67), kasto (Seite 78), thingamajiggs (Seite 85) © istockphoto.com: Standart (Seite 41), AndreyPopov (Seite 90) Publikationsmanagement Nadine Dobbratz-Diebel, Petra Haars, Stefanie Pape Druck Schmidt & Klaunig GmbH, Ringstraße 19, 24114 Kiel Druck auf FSC-zertifiziertem Papier © IQSH Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von Februar 2022 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. Auflage Februar 2022 Mai 22 Auflagenhöhe 1.200 850 Best.-Nr. 17/2021 Das IQSH ist laut Satzung eine dem Bildungsministerium unmittelbar nachgeordnete, nicht rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts.
Grundlagen des Schulrechts Schleswig-Holstein Handreichung für schulische Führungskräfte Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. Die digital zur Verfügung gestellte Broschüre darf zudem nicht als Download auf eigenen Websites oder Schulservern gespeichert werden. Wenn auf diese Broschüre verwiesen werden soll, muss stattdessen auf den PDF-Download des Werkes im IQSH-Onlineshop unter https://publikationen.iqsh.de/ verlinkt werden.
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis – 4 Vorwort – 5 Einführung – 6 Teil I – 9 1 Schule und Recht – 9 2 Die Kulturhoheit der Länder – 14 3 Die Normenhierarchie und der Aufbau der Gesetze – 16 4 Die Reichweite der staatlichen Aufsicht über das Schulwesen und die Konkurrenz zu anderen Grundrechten – 19 5 Die Rechtsgebiete – 27 6 Verwaltungshandeln – 32 Teil II – 42 7 Schülerinnen und Schüler – 42 8 Eltern – 54 9 Lehrkräfte – 60 Epilog – 91 Literatur – 92 Autoren – 96 4
Vorwort Das Thema Schulrecht ist für schulische Füh- und konkreten Beispielen zu den Auswirkungen rungskräfte von besonderen Bedeutung. Es des Schulrechts auf die Rechte und Pflichten handelt sich um ein sehr komplexes, nicht immer der in Schule agierenden Personengruppen wie leicht zugängliches Themengebiet. Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte sowie Schulleitungen. Wir möchten Sie mit dieser Handreichung in Ihrer Leitungsarbeit unterstützen. Die Veröffent- Ich danke dem Autor Dr. Peter Brozio, langjäh- lichung fasst komprimiert wesentliche schul- riger Leiter der Fortbildungen für schulische rechtliche Informationen für Schleswig-Holstein Führungskräfte zu rechtlichen Fragestellungen, zusammen und veranschaulicht diese mit all- sowie Gerhard Jens, seinem Vorgänger in dieser tagsrelevanten Beispielen. Funktion, sehr herzlich für die Erstellung dieser wichtigen Veröffentlichung. Zielgruppe sind insbesondere neue Schulleite- rinnen und Schulleiter sowie die Teilnehmerin- Sie wird Ihnen, liebe Schulleiterinnen und Schul- nen und Teilnehmer an den Rechtsmodulen leiter, liebe schulische Führungskräfte, sicherlich im Rahmen der Trainings zur Vorbereitung auf bei der Bewältigung Ihres komplexen Leitungs- Schulleitungsaufgaben. Die Handreichung ist, alltags hilfreich und von Nutzen sein. wie es der Autor Dr. Peter Brozio formuliert, „kein Ratgeber, sondern eine Einführung in die (schul-)rechtlichen Grundlagen“. Das Thema Schule und Recht wird historisch Dr. Gesa Ramm und gesellschaftlich eingeordnet und der Be- Direktorin zug beispielweise zum Völkerrecht, EU-Recht, Grundgesetz und Landesrecht dargestellt. Es folgen Ausführungen mit jeweils spezifischen 5
Einführung Entsprechend dem von der Kultusministerkon- sondern ein interaktives Geschehen, bei dem ferenz gemeinsam mit den Lehrkräfteorganisa- die Schülerinnen und Schüler mit entscheiden, tionen in der sogenannten „Bremer Erklärung“ was sie im „Erziehungsprozeß übernehmen“. (2000) definierten Lehrkräfteleitbild sind Leh- rerinnen und Lehrer „Fachleute für das Lernen“. Von daher erweist sich der Erziehungs- und Bil- Zudem nehmen sie eine Erziehungsaufgabe dungsauftrag von Schule mit den Zielen, wie sie wahr, indem sie „bewusst(.) und absichtsvoll(.) § 4 des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes Einflussnahme auf die Persönlichkeitsentwicklung vorsieht, als eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit. junger Menschen“ nehmen (S. 2). Ihr Handeln ist Sie kann nur in einem guten Kontakt zu den dabei an die Rechtsordnung gebunden, denn Schülerinnen und Schülern gelingen. Schulen sind als wesentliche Orte staatlicher Ge- sellschaftspolitik Gegenstand des Rechts: Ganz ähnlich verhält es sich mit dem ‚Kernge- schäft‘ von Schule, dem Unterrichten, denn was Dabei ist die „Unterrichts- und Erziehungsarbeit „Unterricht schwierig macht, ist zunächst, dass als solche ... unter rechtlichen Aspekten zu- Schüler an ihm beteiligt sind, und zwar in einer nächst von geringer Bedeutung. Welche Fremd- relativ großen Gruppe, vereinigt unter der Erwar- sprache gelehrt, welche Unterrichtsmethoden tung, am gleichen Ort und zur gleichen Zeit das die besten und am ehesten kindgerecht sind, Gleiche mit dem möglichst gleichen Ergebnis zu wie Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu lernen“ (Tenorth 2006, S. 586). Darüber hinaus bewerten sind, das sind in erster Linie päda- folgt das Lernen nicht automatisch dem Lehren, gogische Fragen. Wenn es aber darum geht, denn Lernen ist und bleibt „immer nur eine je dass Eltern geltend machen, schulische Ent- individuelle Leistung der Subjekte“. Insofern ge- scheidungen beeinträchtigten ihre Rechte oder lingt auch keine einfache Technisierung des Un- die Rechte ihres Kindes, wenn sie Widerspruch terrichtens im Sinne einer Standardisierung unter oder Klage erheben, dann können auch päda- den Gesichtspunkten einer verkürzt gedachten gogische Maßnahmen rechtlich relevant werden Qualitätsentwicklung, lassen sich Lehren und (Avenarius/Hanschmann 2019, S. 3). Lernen nicht durch einen Algorithmus ersetzen. Als Pädagoginnen und Pädagogen wissen Lehr- Vielmehr gibt es ‚Kriterien guten Unterrichts‘ bzw. kräfte darum, dass sie als Erzieherin und Erzie- ‚Güte-Kriterien für Unterricht‘, wie sie unter ande- her nur einen sehr begrenzten Einfluss darauf rem Baumert et al. (2010), Hattie (2013), Helmke haben, wie die Zuerziehenden die „Erziehung (2010) und Meyer (2010) entwickelt haben, das erfahren“, und wie diese später als Erzogene heißt fachwissenschaftlich fundierte „relativ stabile(.) „diese Erziehung im Horizont ihres Lebenslaufs ... räumlich und zeitlich allgemeingültige(.) Kriterien verstehen“ (Loch 1979, S. 85). Das heißt, Erzie- guten Unterrichts“ (Beywl/Schmid 2014, S. 10). Die- hung ist – salopp gesagt – keine Einbahnstraße, se repräsentieren, was „gute Lehre auf dem Stand 6
EINFÜHRUNG des bildungswissenschaftlichen Wissens im Allge- nämlich die Beziehung zwischen dem Schüler und meinen auszeichnet“ (S. 14), bilden einen „durch der einzelnen Lehrkraft, einer Steuerung durch Forschung gut gestützten Orientierungsrahmen“. Normen weitgehend entzieht“ (Rux 2018, S. 4): Sie sind aber nicht in jeder Situation im Unterricht tauglich, denn guter Unterricht entsteht in der Praxis „Dementsprechend lassen sich den Schulgeset- „für die jeweilige Gruppe von Lernenden in ihren zen und den einschlägigen Rechtsverordnungen biografischen Situationen und besonderen sozialen nur vergleichsweise wenige Handlungsanwei- Kontexten passend ... dann, wenn es professionell sungen in Form abstraktgenerell formulierter Lehrenden gelingt, den Unterricht genau auf diese Konditionalsätze entnehmen und auch das ‚Ver- Besonderheiten zuzuschneiden“. Von daher fordert fahren‘ der Erziehung und des Unterrichts sind die Lehrtätigkeit die Lehrkräfte immer wieder neu nicht exakt geregelt. Stattdessen haben sich die heraus, ihre professionelle Handlungskompetenz Normgeber im Wesentlichen darauf beschränkt, im Sinne einer „Habitualisierung von Reflexivität“ die innere und äußere Organisation der Schu- (Tenorth 2006, S. 591) weiterzuentwickeln. len – einschließlich der Beteiligungsrechte der Beteiligten des Schulverhältnisses – festzulegen Wie notwendig dies ist, zeigt sich unter anderem und die Ziele der Erziehung und des Unterrichts im Zusammenhang der ‚besonderen Situationen‘, zu definieren“ (Rux 2018, S. 4). in denen jede Schule in Schleswig-Holstein unter der Voraussetzung, dass entsprechende techni- Dass Lehrerinnen und Lehrer zunächst einmal sche Möglichkeiten Lehrkräften wie Schülerinnen Pädagoginnen und Pädagogen und dann erst und Schülern zur Nutzung zur Verfügung stehen, „Sachverwalter“ des Staates sind, unterstreicht auf „digitale Lehr- und Lernformen“ (§ 4a Abs. 1 der Gesetzgeber auch mit den Entscheidungs- SchulG) ausweichen „kann“. In solchen Fällen muss möglichkeiten, die er ihnen im Alltag einräumt. – so sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt – Hierzu zählen Beurteilungs- und Ermessens- dieser ‚besondere Bedarf‘ die Vorgabe aus § 2 spielräume, unbestimmte und insofern jeweils Abs. 1 SchulG, das ist das gemeinsame Lernen und zu interpretierende Rechtsbegriffe sowie die Leben in der Schule, ‚überwiegen‘. Dabei liegt es Bereiche des sogenannten nichtförmlichen Han- auf der Hand, dass diejenigen Schülerinnen und dels und der innerschulischen Maßnahmen, die Schüler, „die keinen oder keinen vollständigen kein Verwaltungshandeln darstellen. Zugang zu den digitalen Lehr- und Lernformen ha- ben“, in anderer Weise geeignet zu beschulen sind. Trotzdem wird hier die ‚Doppelnatur‘ des Lehrbe- rufs deutlich, denn es ist den Lehrkräften überlas- Vor dem Hintergrund einer immer wieder neu re- sen, wie sie situationsspezifisch pädagogisches flexiv zu gestaltenden unterrichtlichen wie erziehe- Handeln und Verwaltungshandeln in einen guten rischen Praxis wäre es natürlich von Vorteil, würde Einklang bringen. Das gilt für den Umgang mit zumindest das Schulrecht eindeutige Antworten Einzelnen wie mit Gruppen, mit Schülerinnen und für die Situationen des schulischen Alltags bereit- Schülern wie mit Eltern, mit Dienstvorgesetzten stellen. Erwarten wir doch von den Gesetzen, wie sowie mit Kolleginnen und Kollegen. In jedem Engisch (2018) es formuliert hat, „Allgemeingül- einzelnen Fall muss entschieden werden, welche tigkeit wie von Wahrheiten und Naturgesetzen“, Grenzen und Räume die rechtlichen Rahmenbe- um dann gleich weiter auszuführen: „Man ist tief dingungen setzen und wie diese dann pädago- enttäuscht, wenn man sie nicht findet“ (S. 32). gisch sinnvoll ausgefüllt werden können. So entzieht sich nicht allein der schulische Alltag Von daher sind auch alle Entscheidungshilfen, aufgrund seiner Differenziertheit und infolge des wie sie die entsprechende Ratgeberliteratur gesellschaftlichen Wandels einer umfassenden bereitstellt, immer erst darauf zu prüfen, in- rechtlichen Regelung, auch findet „das Schulrecht wieweit ihre Aussagen den konkreten Einzelfall in der Rechtswissenschaft ... kaum Beachtung“, da tatsächlich erfassen oder aber von anderen Vo- sich der „eigentliche Kern des Schulverhältnisses, raussetzungen ausgehen. Die entsprechenden 7
EINFÜHRUNG Texte bieten zwar wichtige Entscheidungshilfen, 5. Da alle Rechtsgebiete in Schule Bedeutung entlasten aber nicht die Lehrerinnen und Lehrer erlangen können, setzt sich der anschließen- von der Aufgabe, den konkreten Fall mit den de Textabschnitt mit dem Strafrecht, dem entsprechenden Rechtsvorschriften in Zusam- Bürgerlichen Recht oder Zivilrecht sowie menhang zu bringen, um auf dieser Grundlage dem Öffentlichen Recht auseinander. Dabei eine fundierte Entscheidung zu treffen. kommt dem Letztgenannten besondere Be- deutung zu, da hier das Schulrecht als beson- Der folgende Text zum Schulrecht ist kein Ratge- deres Verwaltungsrecht einzuordnen ist. ber – was im Übrigen den Nutzen entsprechender 6. Der erste Teil endet mit Ausführungen zum Ver- Veröffentlichungen, wie zum Beispiel von Hoegg waltungshandeln, thematisiert Ermessensspiel- (2010, 2016) oder Rademacher (2018), nicht in- räume und geht auf das Gebot der Verhältnis- frage stellt oder überflüssig macht -, sondern als mäßigkeit verwaltungsrechtlichen Handelns ein. eine Einführung in die (schul-)rechtlichen Grund- Zudem wird auf die Unterscheidung zwischen lagen konzipiert, wie sie Lehrkräften in Schles- Realakten und Verwaltungsakten eingegangen. wig-Holstein vertraut sein sollten, um sich selbst- ständig in ihrem beruflichen Alltag zu bewegen. Teil II, der die Personengruppen Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrkräfte in den Blick Er gliedert sich in zwei Teile, wobei zunächst nimmt, der eher allgemeine rechtliche Rahmen ange- 1. benennt die Rechte und Pflichten von Schü- sprochen wird, dem dann Ausführungen zu den lerinnen und Schülern. Schulpflicht, schulver- wesentlichen an Schule beteiligten Personen- meidendes Verhalten, Volljährigkeit sowie gruppen folgen. Über alle Abschnitte hinweg ihre Einbindung in die demokratische Struk- wird der Bezug zu den schulrechtlichen Bestim- tur der Schule sind weitere Themen. mungen Schleswig-Holsteins hergestellt. 2. Mit unterschiedlichen Rechten sind Eltern an Schule beteiligt, was vor allem der gemein- Konkret heißt dies mit Blick auf Teil I, dass samen Verantwortung von Elternhaus und 1. unter der Überschrift ‚Schule und Recht‘ die Schule für die Erziehung und Bildung der historische Entwicklung skizziert wird, deren Schülerinnen und Schüler zu dienen hat. Das Ausdruck heute der Artikel sieben des Grund- Erziehungsrecht der Eltern und die Beteili- gesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist gungsrechte werden angesprochen. und mit dem das ‚gesamte Schulwesen unter 3. Die letzten Ausführungen behandeln Pflichten die Aufsicht des Staates gestellt‘ wird. und Rechte der Lehrkräfte. Sie thematisieren Ver- 2. Dem folgen Ausführungen zur Kulturhoheit waltungshandeln, Erziehungs- und Ordnungs- der Länder, die ihren Ausdruck in den jeweils maßnahmen, Fragen der Aufsichtsführung, der einzelnen Schulgesetzen findet, wobei die Leistungsbeurteilung sowie der Haftung. Kultusministerkonferenz (KMK) Bildungspoli- tik durch Konsens ermöglichen soll. Dabei lässt es sich zwangsläufig nicht vermeiden, 3. Inhalt des nächsten Abschnitts ist die Hierar- verschiedene Inhalte aus Teil I 6. Verwaltungshan- chie der Rechtsnormen sowie deren Aufbau. deln wieder aufzunehmen, was vor allem bei den 4. Durch die im Grundgesetz festgelegte staat- Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit und zum liche Aufsicht über das Schulwesen sowie Verwaltungshandeln deutlich werden wird. dem daraus resultierenden Erziehungs- und Bildungsauftrag entstehen Konkurrenzen zu Im Epilog (Seite 91) zeigt die Anekdote ‚Der anderen Grundrechten, wie vor allem dem Lehrer‘ aus den späten Achtzigerjahren des 20. Erziehungsrecht der Eltern. Daraus ergeben Jahrhunderts, dass die Anforderungen an Lehrkräf- sich spezifische Anforderungen an die Betei- te über die Zeit hinweg erstaunlich stabil bleiben ligten und es wird unter anderem der Frage – was unter Umständen auch durch die Tatsache nachgegangen, in welcher Weise überhaupt begründet sein könnte, dass „Bildungspolitik ... in Grundrechte eingegriffen werden darf. immer auch Wirtschaftspolitik“ (Rux 2018, S. 47) ist. 8
Teil I 1 Schule und Recht Historische Entwicklungslinien – mit dem allen Kindern vom vollendeten 6. bis eine Skizze zum 13. Lebensjahr im Sinne einer allgemeinen Unterrichtspflicht der Zugang zu Schulbildung Versteht man mit Siegfried Bernfeld ‘Erziehung’ ermöglicht wird (vgl. Ballauff/Schaller Bd. II als die „Summe der Reaktionen einer Gesell- 1970, S. 385). Damit tritt die Volksschule neben schaft auf die Entwicklungstatsache“ (1967, S. 51), die schulgeldpflichtigen Gymnasien, Bürger- dann liegt es auf der Hand, dass Schulen im und Mittelschulen, das heißt, auch den aus be- Laufe der Geschichte als „Einrichtungen zur Ver- sitzlosen Familien stammenden Kindern wird ein mittlung bestimmter Kenntnisse und Fähigkeiten Zugang zu schulischer Bildung ermöglicht. Aller- [immer dann] geschaffen worden [sind], wenn dings „variiert“ die Umsetzung weiterhin gerade es der heranwachsenden Generation nicht mehr „zwischen Stadt und Land“, ist die „Schulwirk- gelang, im Alltag all das wie von selbst zu ler- lichkeit“ auf dem Lande nach wie vor „wesent- nen, was sie für ihr Leben brauchte oder was die lich beeinflusst von den lokalen Aktivitäten des Erwachsenen von ihr erwarteten“ (Schiffler/Win- [jeweiligen] Gutsherrn“ (Schuch/Tenorth/Welter keler 1999, S. 7). Die jeweilige praktische Umset- 2018, S. 274). zung fiel – und fällt – dabei je nach historischer Zeit, Kultur und Gesellschaft sowie den davon 1794 werden dann in Preußen im ‘Allgemeinen nicht immer gänzlich zu trennenden pädagogi- Landrecht’ Schulen und Hochschulen zu ‘Veran- schen Einsichten höchst unterschiedlich aus. staltungen des Staates’ erklärt, allerdings dauert es bis zur Reichsgründung 1870, dass Hamburg Das gilt natürlich auch und gerade hinsichtlich als letztes Land in Deutschland mit dem ‚Gesetz der rechtlichen Rahmenbedingungen, die in betreffend das Unterrichtswesen‘ ein staatliches Deutschland bis zum Beginn des 18. Jahrhun- Schulwesen institutionalisiert (vgl. Lehberger/de derts und weit darüber hinaus regional sehr Lorent 2012). individuell geregelt waren. Unterrichtspflicht in Preußen 1717 Rechtliche Rahmenbedingungen im 18. und 19. Jahrhundert: ein ‚Flickenteppich‘ Einführung der Volksschule in Preußen 1763 Allererste Anfänge einer einheitlichen Organisa- Schulen sind in Preußen ,Veranstaltungen des Staates´. tion zeigen sich in Preußen mit der Verordnung 1794 von 1717, die die Unterrichtspflicht einführt. amburg etabliert als letztes Land ein ,staatliches H Einen weiteren wichtigen Schritt bildet dann Schulwesen´. 1870 das ‘Land-Schul-Regiment’ aus dem Jahr 1763, 9
1 SCHULE UND RECHT Die Weimarer Reichsverfassung: konfessionellen Religionsunterricht sowie einer Ein Meilenstein im Rahmen der Vereinheit- staatlichen Bevormundung der Eltern im Sinne lichung und Demokratisierung des Schulwesens einer sozialistischen Einheitsschule voraus, sodass die getroffene Regelung auch als ‚Wei- Einen wirklichen „Meilenstein auf dem Weg der marer Schulkompromiss‘ in die Geschichte ein- weiteren Entwicklung des Schulwesens“ (Kron gegangen ist (vgl. Furck 1994; Sandfuchs 1993). 1991, S. 293) bildet nach dem Ende des Ersten Formell wird damit das Schulwesen in Deutsch- Weltkriegs die ‚Weimarer Reichsverfassung‘ vom land an die Anforderungen einer demokrati- 11. August 1919. Damit einher geht die Einfüh- schen Gesellschaft angepasst: Gerechtigkeits-, rung der vierjährigen Grundschulpflicht, die Freiheits- und Gleichheitsgrundsätze treten in 1920 die Kinder aus allen sozialen Schichten in den Vordergrund, während die bis dahin domi- einer – in diesem Sinne – ‚Gesamtschule‘ erfasst. nierenden Aspekte soziale Herkunft, Religion Dem gingen intensive politische Auseinander- oder politische beziehungsweise soziale Maßga- setzungen um den Einfluss der Kirchen, den ben zumindest ihre führende Rolle verlieren. Aufsicht des Staates über das Schulwesen Lehrerbildung ist „höhere Bildung“. Reichsverfassung Lehrkräfte sind Beamte. Weimarer Schulaufsicht durch fachlich qualifizierte Beamte Allgemeine Schulpflicht Grundschule und daran anschließendes mittleres bzw. höheres Schulwesen Privatschulen müssen genehmigt werden. Religionsunterricht ist Lehrfach und wird in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften durchgeführt. Private Vorschulen werden aufgehoben. Für die Schule maßgeblich sind die Artikel 142 Dementsprechend ordnet Artikel 143 der Wei- bis 150 im vierten Abschnitt des zweiten Haupt- marer Reichsverfassung die „Lehrerbildung“ teils der Reichsverfassung: (Abs. 2) der „höhere[n] Bildung“ zu und schreibt eine daran orientierte einheitliche Regelung für Unter dem Titel ‚Bildung und Schule‘ finden ganz Deutschland fest. Zudem haben die Lehr- sich hier wesentliche Regelungen, die nach kräfte an „öffentlichen Schulen … die Rechte dem Ende des Zweiten Weltkrieges und mit Bil- und Pflichten von Staatsbeamten“ (Abs. 3) – eine dung der Bundesrepublik Deutschland Einlass Regelung, die bis heute fortwirkt, wenngleich in das Grundgesetz gefunden haben: Das sind sie nicht mehr explizit im Grundgesetz genannt im Wesentlichen die Aufsicht des Staates über wird. Sie ermöglicht es aber dem Staat, in seinen das Schulwesen, die allgemeine Schulpflicht, Schulen eine ‚Erziehung zur Demokratie‘ zu ge- die Gliederung des Schulwesens sowie die Be- währleisten. Dass das „gesamte Schulwesen … stimmungen zu Privatschulen und zum Religi- unter der Aufsicht des Staates“ steht, „Gemein- onsunterricht. den daran beteiligt werden können und auch 10
1 SCHULE UND RECHT die Schulaufsicht durch „hauptamtlich tätige, und Hochschulen. Die Festlegung einer 1,5 % fachmännisch vorgebildete Beamte ausgeübt“ Quote durch die daran anschließende ‚Erste werden muss, regelt Artikel 144. Der darauffol- Verordnung zur Durchführung des Gesetzes gende Artikel legt die „allgemeine Schulpflicht“ gegen die Überfüllung deutscher Schulen fest, die durch den Besuch der mindestens acht- und Hochschulen‘ aus demselben Jahr hat jährigen und unentgeltlichen Volksschule erfüllt dementsprechend Abschulungen und Exma- werden kann und die in der Bundesrepublik trikulationen zur Folge. Neben einer Fülle von Deutschland in den Landesverfassungen ver- ausgrenzenden Anweisungen, wie zum Bei- ankert ist (vgl. Artikel 12 Abs. 1 Verfassung des spiel die Einführung des Hitlergrußes sowie die Landes Schleswig-Holstein). Die Gliederung des Ausschließung von jüdischen Schülerinnen und Schulwesens ist Inhalt des Artikels 146, denn auf Schülern von Schulveranstaltungen außerhalb die für alle „gemeinsame Grundschule baut sich des planmäßigen Unterrichts, kommt es 1938 das mittlere und höhere Schulwesen“ auf, wobei nach der Pogrom-Nacht am 15. November zum die Aufnahme nach „Anlage und Neigung“ und Verbot des Besuchs deutscher Schulen, da es nicht nach „wirtschaftlicher, gesellschaftlicher „keinem deutschen Lehrer … mehr zugemutet Stellung oder dem Religionsbekenntnis der werden [kann], an jüdische Schulkinder Un- Eltern“ zu erfolgen hat. Privatschulen benöti- terricht zu erteilen. Auch versteht es sich von gen nach Artikel 147 eine „Genehmigung des selbst, dass es für deutsche Schüler unerträglich Staates“ und „unterliegen den Landesgesetzen“. ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen“ Private Vorschulen sind „aufzuheben“. Der Reli- (‚Schulunterricht an Juden‘ vgl. Walk 1991, gionsunterricht wird nach Artikel 149 „ordentli- S. 64). „Damit waren auch die letzten jüdischen ches Lehrfach“, muss aber in Übereinstimmung Schülerinnen und Schüler“, wie es Ortmeyer mit den „Grundsätzen der betreffenden Religi- 2000 (S. 43 f.) formuliert, „von den regulären onsgemeinschaft“ erteilt werden. »deutschen« Schulen vertrieben worden. Ihre Unterrichtung wurde den jüdischen Schulen, genauer der »Reichsvereinigung der Juden in Nationalsozialismus: Gleichschaltung Deutschland«, übertragen, die man im August 1939 offiziell damit beauftragte“. In Zusammen- Nach 1933 nutzt der Nationalsozialismus die hang mit der Deportation der deutschen Juden in der Reichsverfassung angelegten Möglich- in die Ghettos und Vernichtungslager steht dann keiten eines zentral gelenkten Schulwesens im der Erlass vom 7. Juli 1942, der jede offizielle Sinne der Gleichschaltung. Dabei hält es „die Beschulung jüdischer Kinder untersagt: Regierung noch nicht einmal für notwendig, die schulrechtlichen Bestimmungen außer Kraft zu setzen“. Es reicht völlig aus, „im Einzelfall das „Im Hinblick auf die Entwicklung der Aus- Nötige zu veranlassen“ (Kurtz 1982, S. 282) und siedlung der Juden in der letzten Zeit hat mithilfe von Verordnungen und Vorschriften der Reichsminister des Innern (Reichssicher- sowie einer entsprechenden Personalpolitik die heitshauptamt) im Einvernehmen mit mir die Vereinheitlichung des Schulwesens im national- Reichsvereinigung der Juden in Deutschland sozialistischen Sinne zu vollziehen. angewiesen, sämtliche jüdische Schulen bis zum 30. Juni 1942 zu schließen und ihren Das gelingt, ohne die Reichsverfassung formal Mitgliedern bekannt zu geben, daß ab 1. Juli außer Kraft zu setzen. Allerdings reguliert im 1942 jegliche Beschulung jüdischer Kinder Rahmen der antisemitischen Gesetzgebung durch besoldete und unbesoldete Lehr- bereits im April 1933 das ‚Gesetz gegen die kräfte untersagt ist. Ich gebe Ihnen hiervon Überfüllung deutscher Schulen und Hochschu- Kenntnis. Von einer Veröffentlichung dieses len‘ den Zugang von Schülerinnen und Schülern Erlasses ist abzusehen." nichtarischer Abstammung zu höheren Schulen 11
1 SCHULE UND RECHT Die Akten über jüdische Schulen und jüdische der Währungsreform 1948 sowie der anschlie- Schulkinder wurden geschlossen, die noch ver- ßenden Berliner Blockade 1948/1949 erhalten bliebenen jüdischen Schülerinnen und Schüler im Juli 1948 die Ministerpräsidenten der drei sowie die jüdische Lehrerschaft wurden depor- Westzonen den Auftrag, eine „demokratische tiert und ermordet“ (Ortmeyer 1998, S. 26). Verfassung auszuarbeiten, ... ‚die für die betei- ligten Länder eine Regierungsform des födera- Damit zeigt sich der nationalsozialistische Staat listischen Typs schafft, die am besten geeignet in allgemeinem wie auch gerade in engerem ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit – das heißt auf das juristische System hin be- schließlich wiederherzustellen, und die Rechte zogenen – Sinn als Unrechtsstaat, der „unter der beteiligten Länder schützt, eine angemes- missbräuchlicher Verwendung der Form be- sene Zentralinstanz schafft und die Garantien ziehungsweise des Mediums des Rechts oder der individuellen Rechte und Freiheiten enthält“ – anders ausgedrückt – mittels gesetzlichem (von Kielmannseck 2004, S. 61). Um die sich Un-Recht im Sinne von Anti-Recht die Men- abzeichnende Spaltung zwischen West- und schenwürde von Personen negiert und verletzt“ Ostdeutschland nicht noch weiter zu vertiefen, (Lohmann 2015, zit. nach Deutscher Bundestag wird auf Betreiben der Ministerpräsidenten der 2018, S. 5). Unterstrichen wird dies durch das Begriff Verfassung durch Grundgesetz ersetzt sogenannte ‚Reichsschulpflichtgesetz‘ vom und ein Parlamentarischer Rat damit beauftragt, 6. Juli 1938, das in § 1 als Zweck der allgemei- dieses zu erarbeiten. Nach der Ratifizierung nen Schulpflicht, die Sicherung von „Erziehung durch die Landtage tritt das Grundgesetz am und Unterweisung der deutschen Jugend im 24. Mai 1949 in Kraft. Die entsprechende Ent- Geiste des Nationalsozialismus“ festschreibt scheidung wurde mit einer Zweidrittelmehrheit (Gesetz über die Schulpflicht im Deutschen der Landtage getroffen, wobei nur Bayern seine Reich vom 6. Juli 1938). Zustimmung verweigerte, da von dort her eine zu große Einschränkung der Freiheit des Bun- Mit der schlagwortartigen Bezeichnung ‚Furcht- deslandes befürchtet wurde. bare Juristen‘ kennzeichnet Müller bereits 1987 (2020) die Affinität der deutschen Justiz zur Ideologie des Nationalsozialismus. Zwar hatten Das Grundgesetz: Inhaltliche Fortführung sich auch einzelne Staatsanwälte und Richter als der schulrechtlichen Bestimmungen der ‚furchtlose Juristen‘ (Mass 2017) dem Unrecht Weimarer Reichsverfassung verweigert, jedoch macht deren geringe An- zahl in „erschreckender Weise“ (Schenk-Busch Das Grundgesetz knüpft im Artikel 7 an die 2017, S. 189) deutlich, „wie wenig Widerstand zentralen Aspekte der Weimarer Verfassung der juristische Apparat gegen das aufblühende zum Schulwesen an. Allerdings werden im Ge- Nazi-Regime geleistet hat“. gensatz zu 1919 nur noch Einzelfragen geregelt, denn viele der „Schulartikel waren inzwischen selbstverständlich geworden; sie kehrten in den Föderalismus in Deutschland: Landesverfassungen in manchmal erweiterter, Eine Forderung der westlichen Siegermächte manchmal abgewandelter Form wieder“ (Avena- rius/Hanschmann 2019, S. 30). Insofern wird in Nach Ende des Zweiten Weltkriegs entspricht es den deutschlandpolitischen Konzepten der drei westlichen Siegermächten – im Gegensatz zur UdSSR – durch föderalistische Strukturen das Wiedererstarken eines deutschen Zentral- staates zu verhindern. Vor dem Hintergrund des sich intensivierenden Ost-West-Konfliktes, 12
1 SCHULE UND RECHT Aufsicht des Staates über das Schulwesen. Die Erziehungsberechtigten bestimmen über die Teilnahme ihrer Kinder Grundgesetz für die am Religionsunterricht. Bundesrepublik Deutschland Religionsunterricht ist Lehrfach und wird in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften durchgeführt. Keine Lehrkraft muss gegen ihren Willen das Fach Religion unterrichten. Privatschulen sind zulässig, müssen aber genehmigt werden. Private Volksschulen setzen ein besonderes pädagogisches Interesse oder das Fehlen einer entsprechenden Einrichtung in der Gemeinde voraus. Private Vorschulen bleiben aufgehoben. der historischen Situation auf eine „umfassende und Einrichtungen sowie in der wissenschaft- Ordnung des Schulwesens“ verzichtet, zentral lichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter aber bleibt die Tatsache, dass das Schulwesen den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine in seiner Gänze unter der Aufsicht des Staates Sonderung der Schüler nach den Besitzver- steht. Weiterhin werden Vorgaben hinsichtlich hältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die des Religionsunterrichts, des Privatschulrechts Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirt- sowie in Bezug auf die Weiterführung des Ver- schaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräf- bots von Vorschulen getroffen. te nicht genügend gesichert ist“. Eine „priva- te Volksschule“ (Abs. 5) darf nur zugelassen Dementsprechend legt Artikel 7 Grundgesetz werden, wenn die „Unterrichtsverwaltung ein fest, dass „das gesamte Schulwesen unter der besonderes pädagogisches Interesse anerkennt Aufsicht des Staates“ (Abs. 1) steht. Über die oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, Teilnahme am Religionsunterricht bestimmen wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekennt- die Erziehungsberechtigten (vgl. Abs. 2). Dieser nis- oder Weltanschauungsschule errichtet ist in „in den öffentlichen Schulen mit Ausnah- werden soll und eine öffentliche Volksschule me der bekenntnisfreien Schulen ordentliches dieser Art in der Gemeinde nicht besteht“. Die Lehrfach“ (Abs. 3) und wird „in Übereinstim- den Artikel 7 abschließende Bestimmung, näm- mung mit den Grundsätzen der Religionsge- lich, dass „Vorschulen ... aufgehoben“ (Abs. 6) meinschaften erteilt“. In diesem Zusammenhang bleiben, bezieht sich auf die mit der Einführung wird auch festgelegt, dass kein „Lehrer ... gegen der gemeinsamen Grundschule 1920 verbun- seinen Willen verpflichtet werden [darf], Reli- dene Schließung der für spätere Gymnasiasten gionsunterricht zu erteilen“. Darüber hinaus ist bis dahin üblichen privaten Vorschulen (vgl. Art das „Recht zur Errichtung von privaten Schulen“ 147 in der Verfassung des Deutschen Reiches (Abs. 4) gewährleistet, wobei diese „als Ersatz – 11.08.1919). Diese wurden vornehmlich von für öffentliche Schulen ... der Genehmigung des Kindern wohlhabender Eltern gegen eine nicht Staates [bedürfen] und ... den Landesgesetzen geringe Gebühr besucht, um bereits nach drei [unterstehen]. Die Genehmigung ist zu erteilen, Jahren, das heißt schneller als andere, auf das wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen Gymnasium zu wechseln. 13
2 Die Kulturhoheit der Länder Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich Daraus leitet sich die Kulturhoheit der Länder ab als ein „demokratischer und sozialer Bundes- und als Folge die unterschiedliche Ausprägung staat“ (Artikel 20 Grundgesetz für die Bundes- des Schulwesens über alle 16 Bundesländer hin- republik Deutschland) und insofern haben der weg – was im Übrigen vom Bundesverfassungs- Bund wie die Länder gleichermaßen eine origi- gericht als Kernstück der Eigenstaatlichkeit der näre Staatsgewalt inne. Allerdings – wie in den Länder angesehen wird (vgl. BVerfG, 28.01.2014 Artikeln 30 und 70 definiert – geht die Gesetzge- - 2 BvR1561/12 -, Rn. (1-187)). bung grundsätzlich von den Ländern aus; außer in den Fällen, in denen das Grundgesetz eine andere Regelung vorsieht. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Bundesstaat. Die Gesetzgebung geht grundsätzlich von den Ländern aus. Die Kulturhoheit und insofern die Gestaltung des Schulwesens liegt bei den Ländern. Landesverfassung Schleswig-Holstein – Artikel 12: Schulwesen Die Kultusministerkonferenz (KMK) gewährleistet den Zusammenhalt zwischen den Bundesländern im Sinne einer ,Bildungspolitik durch Konsens'. 14
2 DIE KULTURHOHEIT DER LÄNDER Um gleichwohl einen Zusammenhalt zu gewähr- wig-Holstein finden sich diese im Artikel 12, der leisten beziehungsweise – wie Köhler es 1996 gleich im ersten Absatz die „allgemeine Schul- formuliert – „Bildungspolitik durch Konsens“ pflicht“ festschreibt (Verfassung des Landes (S. 51) zu gestalten, wurde die Kultusminister- Schleswig-Holstein). Absatz zwei bestimmt die konferenz der Länder als ständige Einrichtung Aufnahme in weiterführende Schulen, die sich mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland „außer [an] dem Wunsch der Erziehungsberech- 1949 weitergeführt. Sie war 1948 „unter den tigten nur [an] Begabung und Leistungen“ zu besonderen Verhältnissen der unmittelbaren orientieren hat und Absatz drei den Auftrag der Nachkriegszeit“ (Sekretariat der Kultusminister- öffentlichen Schule, bekenntnis- und weltan- konferenz 1998, S. 177) als eine Zusammenkunft schauungsübergreifend zu arbeiten. der Kultusminister der westlichen Besatzungszo- nen ins Leben gerufen worden. In der Föderalis- Spezifisch regionale Aspekte regeln die Ab- musreform I wird 2006 die bis dahin im Grund- sätze vier bis fünf. Das sind die Möglichkeit der gesetz (Art. 91 b Grundgesetz a. F.) verankerte Wahl der Schule einer nationalen Minderheit, „Gemeinschaftsaufgabe zur Bildungsplanung“ die Finanzierung der Schulen der nationalen (Deutscher Bundestag 2009, S. 8) zwischen Bund dänischen Minderheit sowie deren Bindung an und Ländern gestrichen und auf diese Weise die entsprechenden Gesetze und schließlich noch einmal nachhaltig betont, dass der Bund die Förderung von Friesisch- beziehungsweise keinen allgemeinen Einfluss auf das Schulwesen Niederdeutschunterricht. haben soll“ (S. 8 f.). Der Artikel endet mit der Formulierung „Nähe- Die Eigenständigkeit beziehungsweise Kulturho- res regelt ein Gesetz“ (Absatz 7) und verweist heit der Bundesländer findet auch darin Aus- damit – wie auch in anderen Landesverfassun- druck, dass in den Landesverfassungen jeweils gen üblich – auf das Schulgesetz (Schleswig-Hol- unterschiedlich weitgefasste Bestimmungen steinisches Schulgesetz) als die nächste gesetz- zum Schulwesen getroffen werden. In Schles- liche Ebene. 15
3 Die Normenhierarchie und der Aufbau der Gesetze Die Normenhierarchie unten suggeriert – „uneingeschränkt »über« dem Grundgesetz“ (Höreth 2013, S. 221). Viel- Durch den Verweis in der Landesverfassung mehr besteht zwischen den „»Hütern[n]« beider Schleswig-Holsteins auf das Schleswig-Hol- Rechtsordnungen“, das heißt zwischen dem Bun- steinische Schulgesetz wird der Stufenbau der desverfassungsgericht und dem Europäischen Rechtsordnung deutlich. Auch ist im Grundge- Gerichtshof, eine Art „Kooperationsverhältnis“: setz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel So ist das Bundesverfassungsgericht gerade 31 der Grundsatz „Bundesrecht bricht Landes- mit Blick auf die Grundrechte „letzte Instanz“ recht“ festgeschrieben. (S. 222) der Rechtsprechung, falls der „europ. Grundrechtsschutz das laut Grundgesetz er- Von daher steht das Verfassungsrecht des forderliche Schutzniveau unterschreiten sollte“. Bundes über dem der Länder, wobei die Hie- Gleichzeitig wacht der Europäische Gerichtshof rarchie auf beiden Ebenen – wie unten deutlich über die Konformität des nationalen Rechts mit wird – ähnlich ist. Daraus folgt, dass rangnied- dem Gemeinschaftsrecht. Gemäß Artikel 25 rigere Normen keine zu ranghöheren Normen Grundgesetz gehen die allgemeinen Regeln des widersprüchliche Regelungen treffen dürfen Völkerrechts den Gesetzen vor. beziehungsweise ein Geltungsvorrang der ranghöheren vor der rangniedrigeren Vorschrift In der grafischen Darstellung zeigt sich diese besteht. Im Rahmen der Schule müssen deshalb Hierarchie als Normenpyramide: ministerielle Erlasse und Verordnungen mit dem Schulgesetz als Landesgesetz sowie der Landes- verfassung und dem Grundgesetz in Einklang stehen (‚Vorrang des Gesetzes‘). Europarecht EU-Recht Auf Bundesebene steht das Verfassungsrecht Bund Grundgesetz – das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch- – Völkerrecht – land – ganz oben. Dann folgen die Bundesgeset- Bundesgesetze ze sowie die Rechtsverordnungen und Satzun- Rechtsverordnungen Satzungen gen. Analog dazu ist die Hierarchie auf der Ebene der Bundesländer gestaltet. Länder Landesverfassung Landesgesetze Das Europäische Recht genießt zwar „prinzipi- Rechtsverordnungen ell Anwendungsvorrang“ vor „dem nationalen Satzungen Recht“, jedoch steht es nicht – wie es die Grafik 16
3 DIE NORMENHIERARCHIE UND DER AUFBAU DER GESETZE Was die gerade auch im Schulbereich verbreite- Erlasse sind demgegenüber Anweisungen des ten Verordnungen und Erlasse betrifft, so werden Ministeriums an die Schulen mit ausschließlich diese von der Exekutive, das heißt vom Bildungs- interner Verbindlichkeit; sie werden deshalb in ministerium, verfügt. Auf diese Weise sollen der der Normenpyramide auch nicht genannt. Mit Gesetzgeber beziehungsweise die Parlamente ihrer Hilfe soll vor allem eine Vereinheitlichung entlastet sowie schnellere Entscheidungen im Handeln über die einzelne Schule hinaus ermöglich werden: Dabei sind Verordnungen erreicht werden. beziehungsweise Rechtsverordnungen nach der Vorgabe in Artikel 45 Abs. 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein an die Ermächtigung Der Aufbau der Gesetze durch ein beziehungsweise in einem Gesetz gebunden und somit kommt ihnen auch Geset- Rechtsnormen folgen von ihrem Aufbau her zescharakter zu. § 61 Landesverwaltungsgesetz einer Grundstruktur, die Tatbestand und Rechts- (LvwG) regelt die Bedingungen des Inkrafttre- folge zueinander in ein Verhältnis setzen: Ist tens, wobei in § 143 des Schleswig-Holsteini- eine bestimmte Voraussetzung beziehungsweise schen Schulgesetzes festgelegt wird, dass die ein Tatbestand erfüllt, folgt daraus eine be- dazu notwendige Veröffentlichung im Nachrich- stimmte Konsequenz – wobei die konkrete For- tenblatt des Ministeriums vorzunehmen ist. mulierung auch von der Rechtsfolge ausgehen kann und dann den Tatbestand nennt. Letztlich Da eine Verordnung bzw. Rechtsverordnung handelt es sich um ‘Wenn-Dann-’ beziehungs- formal immer hinreichend konkret bestimmt sein weise ‘Dann-Wenn-Formulierungen’, wie sie muss, finden sich im Schulgesetz selbst an über entsprechend auch im Schleswig-Holsteinischen 50 Stellen Hinweise auf Verordnungen. Diese Schulgesetz Verwendung finden. erstrecken sich von § 5 Schulgesetz bis § 150, das heißt von der Regelung im Zusammenhang Ein eindeutiges Beispiel zeigt unter anderem mit Abendschulen bis hin zur Mindestgröße § 23 Abs. 5, wo es im Sinne einer ‚Wenn-Dann- von Lerngruppen, wenn Gymnasien sowohl den Bestimmung‘ heißt: „Tritt eine Volljährige oder acht- als auch den neunjährigen Bildungsgang ein Volljähriger in ein Ausbildungsverhältnis für anbieten. Damit schafft der Gesetzgeber der einen anerkannten Ausbildungsberuf ein, wird Exekutive den notwendigen Spielraum, um in sie oder er bis zum Ende des Ausbildungsver- einem definierten Maße flexibel zu agieren. hältnisses berufsschulpflichtig“. Verordnungen Rechtsnorm — dienen der Entlastung der Parlamente. = — s ind an die Ermächtigung in einem Gesetz Tatbestand und Rechtsfolge gebunden. — haben Gesetzescharakter. Der Tatbestand ist — werden von der Exekutive erlassen. Die Rechtsfolge ist die Vorraussetzung, — dienen der Flexibilisierung. die Regelungswir- dass die Regelungs- kung. wirkung eintritt. Erlasse „wenn ... (Tatbestand), dann ... (Rechtsfolge)“ — haben keinen Gesetzescharakter. — sind Anweisungen der Exekutive in ihrem jeweiligen Dienstbereich. — s chaffen interne Verbindlichkeit und eine Ver- einheitlichung im dienstlichen Handeln. 17
3 DIE NORMENHIERARCHIE UND DER AUFBAU DER GESETZE Allerdings sind Rechtsnormen in der Regel nicht Was folgt daraus mit Blick auf eine Situation im so konkret formuliert wie im Beispiel, sondern schulischen Alltag, in der eine Schülerin oder eher abstrakt gefasst, damit sie für eine Vielzahl ein Schüler bei einer Klassenarbeit in der Ober- von Personen und Situationen zutreffen und stufe unentschuldigt fehlt, und die Frage zu klä- somit eine generelle Wirkung entfalten. Dem- ren ist, wie mit dieser Situation umzugehen ist? entsprechend „können“ zum Beispiel nach § 25 Abs. 1 Schulgesetz „Ordnungsmaßnahmen Hier muss zunächst einmal im Sinne des ersten getroffen werden“, wenn Erziehungsmaßnah- Schritts die passende Rechtsnorm zur Situation men nicht mehr ausreichen. Hier bedarf es mit gefunden werden. Diese liegt im Erlass ‘Zahl Blick auf den jeweiligen Einzelfall der Klärung, und Umfang der Klassenarbeiten in der gym- ob die einzelne konkrete Handlung dem Gesetz nasialen Oberstufe’ vom 31. August 2009 vor, entspricht, das heißt der Norm zuzuordnen ist, wenn es dort unter II. 6. heißt: „Schreibt eine beziehungsweise die allgemeine Formulierung Schülerin oder ein Schüler eine Klassenarbeit zur Situation der Praxis ‘passt’. ohne Nachweis eines wichtigen Grundes nicht mit, so wird dies als ungenügende Leistung Das entsprechende juristische Verfahren ist das gewertet“. Die rechtliche Erörterung im zweiten der Subsumtion, was nichts anderes bedeutet Schritt zeigt nun, dass mit der Formulierung ‚aus als die Unterordnung eines Tatbestandes unter wichtigem Grund‘ ein sogenannter ‚unbestimm- die Rechtsnorm. Dabei wird der Sachverhalt mit ter Rechtsbegriff‘ zur Anwendung kommt, der – der gesetzlichen Regel in Verbindung gebracht wie an anderer Stelle noch im Detail ausgeführt beziehungsweise geprüft, wie sich beide zuei- werden wird – der Schule einen Beurteilungs- nander verhalten. Zu fragen ist daher, ob die spielraum einräumt. In jedem Fall lässt sich die Rechtsnorm zur Situation passt und ob dann Situation der Rechtsnorm im Sinne des dritten auch die Rechtsfolgen anzuwenden sind. Schrittes subsumieren, das heißt, die Handlung passt zum Tatbestandsmerkmal. Das Ergebnis Konkret folgt die Subsumtionstechnik vier des vierten Schritts, ob nämlich der Tatbestand Schritten, wobei die ersten beiden der Erläu- erfüllt ist oder nicht, hängt dann von den Grün- terung der generellen Rechtslage dienen, im den ab, die die Schülerin oder der Schüler vor- dritten geschaut wird, ob die Rechtsnorm auch trägt und davon, wie die entsprechende Institu- auf die konkrete Sachlage angewandt werden tion der Schule diese bewertet. kann und der vierte Schritt dann das Ergebnis festhält: 1. Das Tatbestandsmerkmal, wie es im Ge- setz gegeben ist, wird genannt. 2. Das Tatbestandsmerkmal wird rechtlich erläutert. 3. Der konkrete Fall wird unter das Tatbe- standsmerkmal subsumiert und damit geprüft, ob die einzelne Handlung auch dazu passt. 4. Das Ergebnis wird festgehalten: Der Tat- bestand wird erfüllt oder aber nicht erfüllt. 18
4 Die Reichweite der staatlichen Aufsicht über das Schulwesen und die Konkurrenz zu anderen Grundrechten Wie weit nun aber reicht aus rechtlicher Die staatliche Aufsicht über Perspektive die Aufsicht des Staates über das Schulwesen: ein umfassender das gesamte Schulwesen, wie sie in Artikel 7 Bildungs- und Erziehungsauftrag Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepu- blik Deutschland (GG) festgeschrieben ist? Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2013 Reicht diese ‚Schulhoheit‘ auch bis in die Gestal- die staatliche Aufsicht über die Schulen in Form tung des Unterrichts und damit in die Tätigkeit einer sehr weitreichenden Interpretation der Geset- der Lehrkräfte hinein oder beschränkt sie sich zeslage unterstrichen. So „begründet“ (BVerwG, auf eine engere Sichtweise im Sinne einer reinen 11.09.2013 – 6 C 12.12) der Artikel 7 Abs. 1 nach Rechtsaufsicht? Auffassung des Gerichts „nicht nur Aufsichts- rechte des Staates im technischen Sinne des Die Schule hat einen umfassenden Erziehungs- und Bildungsauftrag — Dieser dient zur Sicherung des Wohlstandes sowie zum Erhalt der Demokratie. — chülerinnen und Schüler müssen daher Abschlüsse erreichen und sich demokratische S Werte erarbeiten. — abei gilt vonseiten der Schule her das Gebot der Toleranz und der parteipolitischen D Neutralität. — Das Demokratieprinzip wird durch Mitbestimmungsrechte praktisch gelebt. — Das Sozialstaatsprinzip zeigt sich in der Schulgeldfreiheit und bei den Lehrmitteln. 19
4 DIE REICHWEITE DER STAATLICHEN AUFSICHT ÜBER DAS SCHULWESEN UND DIE KONKURRENZ ZU ANDEREN GRUNDRECHTEN Wortes, sondern ... darüber hinaus einen umfas- meinungen und parteipolitischer Programme ist send zu verstehenden staatlichen Bildungs- und verfassungswidrig“. Dieses „Gebot der Toleranz“ Erziehungsauftrag. Dieser verleiht dem Staat (Avenarius/Hanschmann 2019, S. 33) erweist sich Befugnisse zur Planung, Organisation, Leitung als Konsequenz verschiedener Grundrechte, wie und inhaltlich-didaktischen Ausgestaltung des dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit Schulwesens, seiner Ausbildungsgänge sowie (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG), der Glaubensfreiheit (vgl. des dort erteilten Unterrichts“. Das heißt, der Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), dem natürlichen Recht Staat hat auch das Recht, „über diejenigen Inhalte der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder und Werte zu bestimmen, die den Kindern und (vgl. Art. 6 Abs. 2 GG) sowie den Ausführungen Jugendlichen in den Schulen vermittelt werden des Artikels 7 Abs. 2 und 3 zum Religionsunter- sollen“ (Rux 2018, S. 246, vgl. auch S. 41 f.). richt. Auf diese Weise unternimmt der Staat – wie es Rux 2018 formuliert – „zumindest den Versuch ..., den jungen Menschen diejenigen Grundwerte Wohlstand und Demokratie nahe zu bringen, auf denen die Verfassungsord- erhalten: Der Staat muss Schüle- nung beruht“, und zwar um die „Funktionsfähig- rinnen und Schüler zur Selbstent- keit des demokratischen Systems“ (S. 46), das faltung ‚zwingen‘ heißt seine eigene, zu gewährleisten. Dies ergibt sich unter anderem aus der Tatsa- In Schleswig-Holstein kommt dies in § 4 des che, dass in unserer Gesellschaft und Kultur eine Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes Berufstätigkeit eine schulische Prüfung voraus- (SchulG) zum Ausdruck, wenn als Grundlage des setzt und insofern „die soziale Stellung und der schulischen Bildungsauftrags auf die Menschen- materielle Wohlstand des Einzelnen ... in erster rechte und die „sie begründenden christlichen Linie von seinem Bildungs- und Ausbildungsni- und humanistischen Wertvorstellungen“ sowie veau abhängt“ (Rux 2002, S. 423). Zudem ist der „die Ideen der demokratischen, sozialen und Staat zum Erhalt seiner sozialen wie demokrati- liberalen Freiheitsbewegungen“ (§ 4 Abs. 2 schen Grundlage existenziell auf „gemeinsame SchulG) hingewiesen wird. Als dessen Ziele Wertvorstellungen“ beziehungsweise geteilte werden unter anderem „kulturelle und gesell- „Grundwerte“ (S. 434) seiner Bürger und Bürge- schaftliche Orientierung“ (§ 4 Abs. 3 SchulG), rinnen angewiesen. Verantwortung und Leistungsbereitschaft, Teil- nahme am Arbeitsleben im Anschluss an eine Entsprechend argumentiert das Bundesverfas- Berufsausbildung, „Kenntnisse gesellschaftli- sungsgericht, das den staatlichen Erziehungs- cher, wirtschaftlicher und historischer Zusam- auftrag nicht „auf die Vermittlung von Wissen menhänge“ (§ 4 Abs. 4 SchulG) sowie ein „Ver- und die Erziehung zu einer selbstverantwortli- ständnis für Natur und Umwelt“ genannt. Zudem chen Persönlichkeit“ (BVerfG, 31.05.2006 - 2 BvR soll Schule bei den Schülerinnen und Schülern 1693/04 -, Rn. (1-33)) beschränkt sieht, sondern „die Bereitschaft wecken, an der Erhaltung der darunter explizit auch „die Heranbildung ver- Lebensgrundlagen von Pflanzen, Tieren und antwortlicher Staatsbürger [fasst], die gleichbe- Menschen mitzuwirken“, die „Offenheit des rechtigt und verantwortungsbewusst an den de- jungen Menschen gegenüber kultureller und mokratischen Prozessen in einer pluralistischen religiöser Vielfalt“ (§ 4 Abs. 6 SchulG) sowie den Gesellschaft teilhaben“. Willen zur „Völkerverständigung und die Frie- densfähigkeit“ fördern und ein Verständnis für Daraus folgt die Verpflichtung für die Schule, die „besondere Verantwortung und Verpflich- Offenheit – gegenüber unterschiedlichen Mei- tung Deutschlands in einem gemeinsamen Eu- nungen und Ansichten -, Pluralität und Toleranz ropa sowie [für] die Bedeutung einer gerechten zu ‚leben‘: „Eine Indoktrination der Schüler nach Ordnung der Welt“ schaffen. Hinweise auf die Maßgabe bestimmter Weltanschauungen, Lehr- Bedeutung der Heimat, zum Umgang mit nati- 20
4 DIE REICHWEITE DER STAATLICHEN AUFSICHT ÜBER DAS SCHULWESEN UND DIE KONKURRENZ ZU ANDEREN GRUNDRECHTEN onalen Minderheiten sowie zur „Erziehung des Die Aufzählung zeigt, wie sehr der demokrati- jungen Menschen zur freien Selbstbestimmung sche Staat zur Sicherung seiner Existenz gerade in Achtung Andersdenkender, zum politischen auf die Schule zurückgreift – und wohl zurück- und sozialen Handeln und zur Beteiligung an der greifen muss: Er macht sie zur ‘Keimzelle des Gestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft demokratischen Gemeinwesens’, indem er die im Sinne der freiheitlichen demokratischen Schülerinnen und Schüler zur ‘Selbstentfaltung Grundordnung“ runden die Aufzählung ab. zwingt’ (vgl. Rux 2002). In diesen Zusammenhang gehört auch die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler vor Gefähr- Das Demokratieprinzip dungen „im Zusammenhang mit sexualisierter, in der Schule: Mitwirkungsrechte psychischer und körperlicher Gewalt“ (§ 4 garantieren Abs. 10 SchulG) zu schützen, „drohender und bestehender Gefährdung des Kindeswohls“ mit Dass und wie „Schule eingebunden in die Demo- strukturierten Maßnahmen zu begegnen und kratie“ (Avenarius/Füssel 2008, S. 23) ist, kommt allgemein die „Persönlichkeitsentwicklung der gerade auch im Rahmen der Mitwirkungsrechte Schülerinnen und Schüler“ zu stützen und zu zum Ausdruck, welche den Eltern wie den Schüle- stärken. Damit es möglichst erst gar nicht zu rinnen und Schülern eingeräumt werden. entsprechenden Risiken kommt, aber auch um diesen wirksam zu begegnen, entwickelt und Im Schulgesetz finden sich diese in den §§ 69 verfügt die einzelne Schule über ein „Präven- bis 78, die die Beteiligung der Eltern auf Schul-, tions- und Interventionskonzept“, das verbind- Kreis- und Landesebene zum Inhalt haben und lich vorzuhalten ist. Ebenso befähigt sie „Schü- denjenigen von § 79 bis 87, welche die ‘Schü- lerinnen und Schüler zu einer Lebensführung lervertretung’ regeln. Hier sind auch die Vor- ohne Abhängigkeit von Suchtmitteln“ (§ 4 gaben festgehalten zur Wahl wie zur Tätigkeit Abs. 11 SchulG) – wobei Näheres der Erlass der Verbindungslehrerinnen und Verbindungs- ‚Rauch- und Alkoholverbot an Schulen‘ aus dem lehrer sowie hinsichtlich der Schülerzeitungen, Jahr 2005 regelt. die „außerhalb der Verantwortung der Schule“ stehen und nur dem Presserecht unterliegen Ebenfalls in § 4 findet sich die Vorgabe, dass (§ 86 SchulG). Mitwirkungsrechte der Lehrkräf- die Schule sich „parteipolitisch neutral“ (§ 4 te gelten hinsichtlich der Fach-, Klassen- und Abs. 13 SchulG) zu verhalten hat, was der ‘Erlass Lehrerkonferenz, wobei die Fachkonferenz nur zur politischen Bildung’ aus dem Jahr 2016 noch „Vorschläge“ (§ 66 Abs. 3 SchulG) beschließen einmal aufnimmt. Von daher gehört es mit zu kann. In der Schulkonferenz, dem „oberste[n] dem „Auftrag von Schule [,] junge Menschen auf Beschlussgremium der Schule“ (§ 62 Abs. 1 ihre Stellung als Bürgerin und Bürger in einem SchulG), sind Schülerinnen und Schüler, Eltern freiheitlichen demokratischen Staat vorzuberei- sowie Lehrkräfte in gleicher Anzahl vertreten. ten und sie zu befähigen, darin Verantwortung Ihre Geschäfte führt der Schulleiter beziehungs- zu übernehmen“ (Erlass zur politischen Bildung weise die Schulleiterin und die Entscheidungen in Schulen Artikel 1, I. Vorbemerkung). Aus die- kommen mit einfacher Stimmenmehrheit zustan- sem Grund verpflichtet das Schulgesetz „Schüle- de (vgl. § 68 Abs. 6 SchulG). Allerdings wird den rinnen und Schüler, deren Eltern, die Lehrkräfte Lehrkräften als Sachwaltern des Staates in sol- und das Betreuungspersonal ... zur gegensei- chen Fragen, die ganz zentral den Verfassungs- tigen Rücksichtnahme und Achtung“ und hält auftrag des Staates betreffen, eine Art ‘Veto- sie dazu an, bei der „Lösung von Konflikten und recht’ zugebilligt (vgl. § 63 Abs. 1 Ziffer 1-13 bei unterschiedlichen Interessen ... konstruktiv und Abs. 5 SchulG): Das heißt, bei Beschlüssen zusammenarbeiten“ (§ 4 Abs. 12 SchulG). zu diesen Themen (unter anderem zu Grundsät- zen der pädagogischen Arbeit, dem Schulpro- 21
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