Grundsicherung im Alter und die "Riester"-Rente - Johannes Steffen
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Johannes Steffen Grundsicherung im Alter und die »Riester«-Rente Bremen, Januar 2008 Grundsicherung im Alter und die «Riester»-Rente Johannes Steffen – Arbeitnehmerkammer Bremen – 01/2008 – www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/ 0
Selten wurden in den jüngeren gesellschafts- der Nachrangigkeit der Fürsorge, niemandem et- politischen Debatten derart viele Nebelkerzen ge- was »weg genommen«. Entgegen dem öffentlich worfen, Krokodilstränen vergossen und falsche teilweise erweckten Eindruck erhalten 65-jährige Fährten gelegt wie in der Diskussion um die »An- und ältere Personen mit geringem Einkommen rechnung« der »Riester«-Rente auf die Grund- immer zusätzliche Leistungen nach Kapitel IV SGB sicherung im Alter. Während sich die einen aus XII (Grundsicherung im Alter und bei dauerhaft handfesten ökonomischen wie ordnungspolitischen voller Erwerbsminderung). Diese aufstockenden Interessen als Nebelwerfer betätigen, scheinen Leistungen fallen allerdings um so geringer aus, je andere unter Verwendung identischer Argumente »höher« ein nach wie vor zu geringes eigenes Al- nach wie vor der festen Überzeugung, Leucht- terseinkommen ist; geschlossen wird mittels munition zu verschießen; wieder andere werden Grundsicherung schließlich immer nur die ver- hauptsächlich getrieben von dem Bestreben, ihr bleibende Lücke zwischen eigenen Mitteln und Für- politisches Gesicht zu wahren, weitere scheinen sorgebedarf. Unter diesem Aspekt »lohnt« sich aus reinem Populismus auf jeden Zug aufzu- private Altersvorsorge für all diejenigen nicht, springen und schließlich fehlen auch diejenigen deren Alterseinkommen selbst zusammen mit nicht, die als Brandstifter jetzt den Biedermann bspw. einer »Riester«-Rente insgesamt nicht be- geben. darfsdeckend iSd SGB XII ist. Private Altersvor- sorge kann in einem solchen Fall die Höhe des ver- Einkommen und Vermögen wurden und werden – fügbaren Einkommens im Alter nicht beeinflussen von wenigen, eng umgrenzten Ausnahmen ab- – sie hat lediglich Einfluss auf die Zusammen- gesehen – grundsätzlich in vollem Umfang auf die setzung des Alterseinkommens, also auf die An- Sozialhilfe »angerechnet«. Denn nur wer bedürftig teilswerte eigener Mittel sowie aufstockender Für- ist, hat auch Anspruch auf in der Regel auf- sorge an der Deckung des gesetzlich definierten stockende staatliche Fürsorge. Dieser Sachverhalt Grundsicherungsbedarfs. So gesehen dient ist weder erstaunlich noch neu, die »Erkenntnis« (private) Vorsorge stets auch der Reduzierung, im gehört zum Allgemeinwissen – wenn auch nicht günstigsten Fall der Vermeidung von Altersarmut jedes Einzelnen. So wird u.a. auch die staatlich ge- und somit gleichzeitig der Reduzierung bzw. Ver- förderte »Riester«-Rente folgerichtig als Ein- meidung staatlicher Fürsorgeleistungen; ein kommen im Alter bedarfsmindernd berücksichtigt – Aspekt, der historisch mit ausschlaggebend war für ein Umstand, der beispielsweise bei Renten aus die Etablierung der sozialen Rentenversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung seit jeher wie als Pflichtvorsorgesystem. Im übrigen kam in der selbstverständlich praktiziert und akzeptiert wird, derzeitigen Debatte, soweit ersichtlich, bislang ohne dass ein solches Vorgehen bislang ernsthaft niemand ernsthaft auf die Idee, den Aufbau von als »Betrug« qualifiziert worden wäre. Rentenanwartschaften bei Geringverdienern in Abgesehen von der selbstverständlich notwendigen ähnlicher Weise öffentlich zu »skandalisieren«, wie Frage, ob das gegenwärtige Niveau der Grund- dies aktuell bei der privaten Altersvorsorge ge- sicherung1 tatsächlich existenzsichernd ist, wird in- schieht. Und das, obwohl seit langem bekannt ist, folge der »Anrechnung« eigenen Einkommens, also dass sich für Geringverdiener auch die Beiträge zur Rentenversicherung nicht »lohnen« können, sofern 1 Der Regelsatz der Grundsicherung beträgt zur Zeit bundes- sie im Alter über keinerlei weiteres eigenes Ein- einheitlich für Alleinstehende 347 €, für Paarhaushalte 624 € kommen verfügen. »Lohnend« wäre unter einem monatlich. Hinzu kommen die angemessenen Kosten der Unter- kunft (KdU), die regional stark schwanken. Daraus resultieren solchen Gesichtspunkt eigene Vorsorge fürs Alter – auch die unterschiedlichen Angaben zur durchschnittlichen Höhe und hierzu zählt an ersten Stelle immer noch die des Grundsicherungsbedarfs eines Singles, die derzeit in der öffentlichen Debatte die Runde machen. Der Chef der »Fünf- soziale Rentenversicherung – überhaupt nur unter Weisen«, Bert Rürup, spricht von 660 € (Staat soll Mini-Renten kräftig aufstocken, in: Handelsblatt v. 02.01.2008), das BMAS gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen ent- geht – unter Verweis auf Daten des Statistischen Bundesamtes weder existenzsichernde Leistungen für Bedürftige für Ende 2006 – von 627 € aus (BMAS, Riester-Rente lohnt für alle, PM v. 11.01.2008). In seiner Bröschüre – Sozialhilfe und unbekannt sind oder das eigene Einkommen im Grundsicherung, Bonn, Juli 2007, S. 26 – rechnet das BMAS mit Alter betragsmäßig spürbar oberhalb des Grund- 622 €, bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) da- gegen mit 664 € (Grundsicherung für Arbeitsuchende. SGB II – sicherungsbedarfs liegt. Fragen & Antworten, Bonn, Juli 2007, S. 76) und Walter Riester schließlich spricht von 680 € (Riester-Rente lohnt sich gerade für Ob Vorsorge im Einzelfall lohnend ist, stellt sich idR Geringverdienende, PM der SPD-Bundestagsfraktion v. erst ex post heraus. Aus guten Gründen sind daher 14.01.2008) Grundsicherung im Alter und die «Riester»-Rente Johannes Steffen – Arbeitnehmerkammer Bremen – 01/2008 – www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/ 1
die Sozialversicherungssysteme in Deutschland als nicht mehr deren gesamte ökonomische Lebens- Pflichtversicherungen angelegt. Sie dienen der Ab- wirklichkeit spiegeln, wurden Versicherungs- und sicherung der für den Einzelnen unwägbaren Leistungsrecht in der Vergangenheit regelmäßig sozialen Risiken wie beispielsweise Krankheit, Un- angepasst; das soziale Sicherungssystem erwies fall, Arbeitslosigkeit, Tod (Hinterbliebenen- sich in diesen Punkten – für einige – erstaunlich sicherung), Invalidität oder eben »Langlebigkeit«, flexibel. Und schließlich hat die 1957er-Reform ei- also der finanziellen Absicherung im Alter; nur als nes für alle unübersehbar bewirkt: Der Anteil der Pflichtsysteme erlauben sie zudem einen ge- Älteren, die auf zusätzliche Sozialhilfe angewiesen sellschaftlich für geboten erachteten Solidaraus- sind, ist seit den 1960er-Jahren deutlich ge- gleich zwischen so genannten »guten« und sunken.3 »schlechten« Risiken. Doch es gibt Grenzen, die auch ein soziales Siche- Schaubild 1 rungssystem alleine nicht hinreichend einebnen kann. Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt Grundsicherung im Alter (SGB XII Kapitel IV) führen zu einer immer stärkeren und immer weite- Steuerfinanzierte Aufstockung geringer Ein- re Personengruppen erfassenden Perforation von kommen im Alter auf Fürsorgebedarf (beim Single im Schnitt auf 664 €, bei Paaren auf 1.036 €) Versicherungsbiografien. Hohe (Langzeit-) Arbeits- Volle Anrechnung des gesamten Einkommens losigkeit auf der einen Seite, die Ausweitung der De facto kein Unterhaltsrückgriff auf Kinder Voraussetzung: Bedürftigkeit Teilzeitbeschäftigung und die ungebremste Aus- breitung von Niedriglöhnen auf der anderen Seite Für soziale Risiken, die von den vorgelagerten Ver- sowie die zunehmende Bedeutung versicherungs- sicherungssystemen – aus welchen Gründen auch freier Mini-Jobs und sozial meist ungesicherter So- immer – nicht oder nicht ausreichend aufgefangen lo-Selbständiger lassen geschlossene Ver- werden, bleibt als unterstes soziales Netz die be- sicherungsverläufe (»Normalerwerbsbiografien«) dürftigkeitsabhängige staatliche Fürsorge zu- seltener werden. Je niedriger aber die erwerbs- ständig; für Nichterwerbsfähige ist dies die Sozial- lebensdurchschnittliche (versicherte) Ein- hilfe – hier die Grundsicherung im Alter. kommensposition ausfällt und je mehr zudem Phasen sozialversicherter Erwerbstätigkeit im Soziale Rentenversicherung Einzelfall an Gewicht verlieren, um so weniger kann die soziale Rentenversicherung ein Leben im Seit ihrer grundlegenden Reform im Jahre 1957 Alter jenseits der Fürsorgeabhängigkeit gewähr- galt die soziale Rentenversicherung über Jahr- leisten. Die Einführung eines flächendeckenden, zehnte als Garant der Lebensstandardsicherung2 einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns, der Aus- im Alter und bei Invalidität. Realisiert werden bau der sozialen Rentenversicherung zu einer Er- konnte dieses Ziel allerdings immer nur für die- werbstätigenpflichtversicherung, die Abschaffung jenigen, die dem Sicherungssytem auch ein volles versicherungsfreier Mini-Jobs und die Höher- Erwerbsleben lang angehört haben. Bei kürzerer bewertung von niedrigen Entgelten wie auch von Versicherungsdauer (dies betraf und betrifft noch Zeiten des Alg II-Bezugs wären erste wichtige heute regelmäßig vor allem Frauen) wurde das Ziel Schritte zur Schließung von Sicherungslücken im verfehlt; abgesichert wird grundsätzlich nur das Alter. versicherte Einkommen. Hinter dieser Logik steht vor allem die Überlegung bzw. Vermutung, dass Ohne Totalrevision des unter Rot-Grün ein- die Altersversorgung derjenigen, die während ihrer geschlagenen Katastrophenkurses in der Renten- erwerbsfähigen Lebensphase ihren Lebensunterhalt politik wird aber auch die erforderliche Schließung augenscheinlich nicht oder nicht durchgehend aus von Sicherungslücken nichts an dem grundsätz- sozialversicherungspflichtigem Einkommen be- lichen Problem ändern: Das Leistungsniveau der stritten haben (beispielsweise Selbständige, nicht sozialen Rentenversicherung läuft selbst für lang- erwerbstätige Ehegatten) über andere Sicherungs- jährig versicherte Durchschnittsverdiener in formen (Privatvorsorge, Ehegattenunterhalt) ge- währleistet ist. 3 Die seit 2003 bis 2006 von knapp 260.000 auf rd. 370.000 Per- sonen gestiegene Zahl der auf Grundsicherung im Alter an- Da derartige Annahmen für heutige Neurentner gewiesenen Menschen ist nicht vorrangig auf real gestiegene Altersarmut zurück zu führen, sondern eher dem vermehrten und erst recht für künftige Rentnergenerationen statistischen Ausweis bis dato verdeckter Armut insbesondere in- folge der Einführung der neuen Grundsicherungsleistung mit – gegenüber den bis dahin auch für Ältere geltenden allgemeinen 2 »Lebensstandardsicherung« wurde zuletzt gleichgesetzt mit ei- Sozialhilferegelungen – erleichterten Zugangsvoraussetzungen nem Nettorentenniveau nach 45 Beitragsjahren in Höhe von rd. geschuldet. Die »Grundsicherungsquote« der Älteren von derzeit 70% der (versicherten) erwerbslebensdurchschnittlichen Ein- rd. 2,5% dürfte im Laufe der nächsten beiden Dekaden allerdings kommensposition deutlich steigen Grundsicherung im Alter und die «Riester»-Rente Johannes Steffen – Arbeitnehmerkammer Bremen – 01/2008 – www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/ 2
Richtung Fürsorgeniveau. Ob sich Altersvorsorge ihres vorjährigen beitragspflichtigen Entgelts als im Einzelfall »lohnt«, stellt sich zwar idR erst ex Prämie für einen zertifizierten Altersvorsorgever- post heraus; ob allerdings ein Alterssicherungs- trag aufwenden. Für die durch die anschließende system strukturell in der Lage ist, ein solches Ziel »Schmidt-Reform« bewirkte nochmalige Ab- zu gewährleisten, kann sehr wohl ex ante beurteilt senkung des Sicherungsniveaus der gesetzlichen werden. Rentenversicherung ist hingegen keine zusätzliche staatliche Förderung vorgesehen; diese Lücke Während ein Durchschnittsverdiener4 heute 28 Bei- müssten die Betroffenen ausschließlich aus tragsjahre benötigt, um mit der daraus resultie- eigenen Mitteln schließen. renden Nettorente seinen Grundsicherungsbedarf von 664 € im Monat5 decken zu können, werden es Schaubild 3 infolge der Rentenniveausenkung (Info-Grafik »Generationengerechte Rentenpolitik?«) im Jahre 2030 – nach heutigen Werten – bereits 34 Jahre sein. Wer auf nur 75% des Durchschnittsentgelts kommt, braucht heute gut 37 Jahre, 2030 sind es schon 45 Jahre. Wohlgemerkt: Das ist politisch so gewollt. Seit der »Riester-Reform« wird die soziale Rentenversicherung sehenden Auges gegen die Wand gefahren. Denn ein Pflichtsystem, dessen Leistungen trotz erwerbslebenslanger Beitrags- zahlung in der Nähe oder gar unterhalb des Für- sorgeniveaus liegen, verliert unweigerlich seine politische Legitimation. Warum Pflichtbeiträge zahlen, wenn am Ende nicht mehr als Sozialhilfe , Monatsbericht 07/2002, S. 29 raus kommt? Arbeitgeber und private Finanz- dienstleister haben den Sekt schon kalt gestellt. Für Geringverdiener, insbesondere solche mit Kin- Schaubild 2 dern, ist die staatlich geförderte Altersvorsorge ei- ne »lohnende Sache« – so das nahezu einhellige Erforderliche Anzahl an Beitragsjahren zur Deckung Urteil. Dies gilt aber nur, sofern man den Blick des Grundsicherungsbedarfs mit der Nettorente - Single, nach heutigen Werten - ausschließlich auf die möglichen Förderquoten rich- tet und das »Riester«-Sparen mit anderen in Frage heute kommenden Anlageformen vergleicht. 2030 Ob die staatlich geförderte Altersvorsorge tatsäch- lich zu einer »Erfolgsgeschichte« wird, wie das BMAS bereits heute euphorisch verkündet6, wird sich hingegen erst noch erweisen müssen. Und bei der Beurteilung geht es dann nicht um Einzelfälle, 28 34 37 45 56 68 sondern um die Frage der Funktionstüchtigkeit des Durchschnitts- 75%-Verdiener 50%-Verdiener Systems der (teil-) privatisierten Alterssicherung. Verdiener © Arbeitnehmerkammer Bremen Eines deutet sich bereits heute an: Das standardi- sierte Gesamtversorgungsniveau aus gesetzlicher Rente und »Riester«-Rente wird auf absehbare Zeit Staatlich geförderte Altersvorsorge nicht einmal jenes Sicherungsniveau erreichen, das Mit Hilfe der im Jahre 2002 an den Start ge- vor der rot-grünen Regierungsübernahme alleine gangenen staatlich geförderten Altersvorsorge von der sozialen Rentenversicherung gewährt wur- (»Riester«-Rente) soll die durch die »Riester- de. Reform« bei der Rente aufgerissene Sicherungs- Dabei wird alles getan, um die Privatvorsorge in lücke geschlossen werden. Seither erhalten v.a. der Anspar- wie in der Leistungsphase über Privile- Arbeitnehmer staatliche Fördermittel (in Form von gien zu puschen: Zulagen bzw. eines Sonderausgabenabzugs bei der • Rot-Grün war bei Verabschiedung der »Riester- Einkommensteuer), sofern sie – seit 2008 – bis zu Reform« bereit, zum Zeitpunkt der vollen Wirk- 4% (Eigenleistung einschließlich Fördermittel) 4 6 In den alten Ländern sind dies z. Zt. rd. 30.000 € Jahresbrutto Vgl. PM des BMAS v. 08.11.2007, Riester-Rente auf Rekord- 5 Vgl. Anmerkung 1 kurs - mehr als 9,7 Millionen Verträge Grundsicherung im Alter und die «Riester»-Rente Johannes Steffen – Arbeitnehmerkammer Bremen – 01/2008 – www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/ 3
Info-Grafik Sozialpolitik Generationengerechte Rentenpolitik? »Mit den grundlegenden Entscheidungen der Rentenre- Wer allerdings den paritätisch finanzierten Beitragssatz form 2001 und dem Gesetz zur Sicherung der nachhalti- deckelt, kommt nicht umhin, auf der Leistungsseite zu gen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Renten- kürzen; so geschehen durch »Riester-« und »Schmidt- versicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) von 2004 hat Reform«. Das Nettorentenniveau wird hiernach im Wege der Gesetzgeber (...) die Grundlagen für eine generatio- der kontinuierlichen Abkoppelung der Renten- von der nengerechte Rente sowie die breite staatliche Förderung Lohnentwicklung von ursprünglich rd. 70% auf nur noch der zusätzlichen Altersvorsorge geschaffen« - so heißt es rd. 55% im Jahre 2030 sinken. Dies ist keine durch den im Entwurf der Koalitionsfraktionen für die »Rente mit demografischen Wandel aufgezwungene, also alternativ- 67«. Und weiter: »Die Betonung der Generationen- lose Entwicklung, sondern politisch gewollt. – Als Ersatz gerechtigkeit zeigt sich vor allem darin, dass seit dem für die Leistungskürzungen durch die »Riester-Reform« Wirksamwerden des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes nicht wurde die staatlich geförderte private Altersvorsorge ge- nur die steigenden Aufwendungen der heutigen Beitrags- schaffen (»Riester-Rente«). Ab kommendem Jahr können zahlergeneration für ihre Altersvorsorge, sondern auch und sollen alle ArbeitnehmerInnen kontinuierlich 4% ih- das sich verschlechternde zahlenmäßige Verhältnis von res Bruttoentgelts als Prämie für private oder betriebliche Rentnern zu Beitragszahlern bei der Höhe der Rentenan- Altersvorsorge anlegen; nur so bestehe – bei passungen Berücksichtigung finden. Diese Maßnahme entsprechender Verzinsung1 – die Aussicht auf ein auch trägt dazu bei, dass die Rentenversicherungsbeiträge für künftig Lebensstandard sicherndes Alterseinkommen. die Jüngeren bezahlbar bleiben. Die Rentnerinnen und Vorsorgeaufwendungen* für ein Lebensstandard Rentner leisten damit einen wichtigen Beitrag zur nach- sicherndes Alterseinkommen haltigen Stabilisierung des Systems. Gleichzeitig wurde in vH des Bruttoentgelts eine umfassende staatliche Förderung privater und be- Beitragssatz- 28% trieblicher Zusatzvorsorge geschaffen, damit auch die deckelung geltendes Recht Jüngeren ihren Lebensstandard im Alter halten können.« Lebens- 22% standard- Mit der »Riester-Reform« von 2001 vollzog die damalige 19,3% sicherung 17% Alternativ- rot-grüne Bundesregierung einen Paradigmenwechsel bei je Szenario der Rente: Weg vom Ziel der Lebensstandardsicherung, 14% hin zum Ziel der Beitragssatzstabilisierung. Bis dahin je 11% 9,65% galt: Wer erwerbslebenslang der sozialen Rentenversi- cherung angehört hat (unterstellt werden bei dieser An- nahme 45 Versicherungsjahre), der sollte im Alter ein Nettorentenniveau erreichen, das etwa 70% seiner – auf den aktuellen Stand hochgerechneten – durchschnittli- chen Erwerbseinkommensposition entsprach. Seither ist dagegen festgeschrieben, dass der Beitragssatz zur all- 2000 A 2030 B gemeinen Rentenversicherung bis zum Jahre 2030 die * Beitragssatz zur Rentenversicherung sowie der ArbN zur Privatvorsorge (2030 A) Marke von 22% nicht überschreiten darf. Zur »Riester-Prämie« gibt’s staatliche Fördermittel, so Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung dass sich die Zusatzbelastung im Schnitt auf »nur« knapp und der damit einhergehenden Verschiebung des zah- 3% beläuft. Für die 2004 beschlossene weitere Rentenni- lenmäßigen Verhältnisses von Beitragszahlern zu Rent- veausenkung durch die »Schmidt-Reform« ist allerdings nern dient die Beitragssatzdeckelung vorgeblich der Ent- weder eine Erhöhung der Prämie noch des staatlichen lastung der jüngeren Generation; sie dürfe nicht durch Zuschusses vorgesehen. Um diese Lücke zu schließen, ungebremst steigende Beiträge überfordert werden – so sind somit noch einmal gut 3% alleine von den Arbeit- die gebetsmühlenartig vorgetragene Begründung. nehmerInnen aufzubringen – 2030 also insgesamt 17%. »Riester-Reform« Fazit: Mit einem paritätischen Beitragssatz von rd. 28% einschl. 2. und 3. SGB VI-ÄndG im Jahre 2030 wäre weiterhin ein Lebensstandard si- »Schmidt-Reform« cherndes Alterseinkommen finanzierbar – und zwar auch 70% einschl. ohne die »Rente mit 67«. Seit der »Riester-Reform« geht »Rente mit 67« Netto- es der Rentenpolitik allerdings vorrangig um die Privati- renten- niveau* sierung sozialer Risiken und ihrer Kosten. Gewinner sind 61% Arbeitgeber und private Finanzdienstleister. Den (jünge- Siche- rungs- ren) ArbeitnehmerInnen – also den künftigen RentnerIn- niveau nen – wird dies als »generationengerechte Entlastung« vor 55% Steu- verkauft; sie müssten 2030 nur 11% statt 14% Renten- ern* Rentenniveau nach 45 Beitragsjahren beitrag zahlen. Dass sie bereits heute für einen gesicher- 53% 41% ten Lebensabend insgesamt mehr aufzuwenden haben als 2000 2030 die »unzumutbaren« 14%, die im Jahre 2030 für eine si- * 2030: Nettorentenniveau ohne Alterseinkünftegesetz und nach Berechnungsmethode chere Rente fällig wären, wird bei der öffentlichen Ver- vor »Riester-Reform«; Sicherungsniveau vor Steuern: Arbeitsentgelte ohne Abzug der »Riester-Prämie« dummungskampagne bislang erfolgreich unterschlagen. 1 Die Bundesregierung unterstellt im Rentenversicherungsbericht 2006 für die »Riester-Rente« eine opulente Verzinsung von 4% p.a. - damit aber sind die Risi- ken Invalidität und Todesfall ebenso wenig abgedeckt wie Leistungen für Reha, Kindererziehung oder Zeiten der Arbeitslosigkeit und Langzeiterkrankung © Arbeitnehmerkammer Bremen – Johannes Steffen – Info-Grafik Sozialpolitik – Generationengerechte Rentenpolitik? – 22.01.2007 http://www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik
samkeit – so genanntes »Entstehungsjahr« – kann Rente nicht ersetzen). So werden für die Be- insgesamt 20,665 Mrd. DM pro Jahr an steuer- rechnung der Höhe der späteren »Riester«-Rente12 lichen Fördermitteln (Zulagen sowie Sonderaus- • eine durchgehende Verzinsung von 4% p.a. un- gabenabzug) zuzuschießen7. Das Bundesfinanz- terstellt, ministerium wies kurze Zeit später für die Zeit • Abschläge für Verwaltungskosten einschließlich ab 2008 ein (geplantes) jährliches Förder- des sharholder values von im Schnitt lediglich volumen von 12,8 Mrd. € aus8; dies entspräche 10% in Abzug gebracht, gegenwärtig dem Aufkommen von 1,23 Bei- • keine Renditeabschläge bei der Altersrentenhöhe tragssatzpunkten zur allgemeinen Rentenver- für die Absicherung des Invaliditäts- und Todes- sicherung. fallrisiko vorgenommen; auch wenn diese Risi- • Infolge der beitragsfreien Entgeltumwandlung ken in der »Riester«-Praxis vermutlich selten mit entgehen der Sozialversicherung (ohne Renten- versichert werden, wäre ein entsprechender versicherung9) nach Schätzung der Bundes- Renditeabschlag für einen korrekten Vergleich regierung jährlich Einnahmen in Höhe von rund mit dem Leistungsniveau der gesetzlichen Rente 1 Mrd. € - steigend um 0,1 Mrd. € pro Jahr10. erforderlich. Der Verweis darauf, dass die mit der Entgelt- All dies erhöht den rechnerischen (Absolut-) Wert umwandlung erworbenen Versorgungs- der in Aussicht gestellten »Riester«-Rente und ansprüche im späteren Leistungsfall die Ein- damit deren relativen Anteil an der Gesamtver- nahmesituation der Kranken- und Pflegever- sorgung des Standardrentners. sicherung stärken, da die Betriebsrenten der Über die Leistungsfähigkeit des Systems der teil- Beitragspflicht unterliegen11, trifft so nicht privatisierten Altersssicherung sagt das normierte ganz zu. Betriebsrenten sind nur dann beitrags- Gesamtversorgungsniveau allerdings noch nichts pflichtig zu den beiden Zweigen der Sozialver- aus. Während es sich bei der gesetzlichen Rente sicherung, wenn ihr monatlicher Betrag – evtl. um ein Pflichtversicherungssystem handelt, basiert zusammen mit weiteren Versorgungsbezügen - die staatlich subventionierte Altersvorsorge auf 1/20 der monatlichen Bezugsgröße (z. Zt. Freiwilligkeit; längst nicht alle Berechtigten be- 124,25 €) übersteigt. teiligen sich an deren Aufbau – und von den- • Die außerbetriebliche »Riester«-Rente unterliegt jenigen, die sie nutzen, »riestern« nicht alle im in der Leistungsphase nicht der Beitragspflicht maximal förderfähigen Umfang. Und selbst bei den zur Kranken- und Pflegeversicherung – während derzeit »riesternden« sozialversicherungspflichtig der Zahlbetrag bei der beitragspflichtigen ge- Beschäftigten mit (prognostiziert) relativ ge- setzlichen Rente etwa 10% niedriger liegt als schlossener Erwerbsbiografie kann nicht davon deren Bruttobetrag. ausgegangen werden, dass sie auch künftig un- Kein anderes Finanzmarktprodukt wird durch öf- unterbrochen im unterstellten Umfang private fentliche Mittel in einem derartigen Ausmaß sub- Altersvorsorge betreiben; dies sind verhaltens- ventioniert, wie die private Altersvorsorge. bedingte Unwägbarkeiten einer auf Freiwilligkeit beruhenden Vorsorge. Gesamtversorgungsniveau Insgesamt wird das teilprivatisierte Alters- Auch bei der regierungsoffiziellen Projektierung des sicherungssystem in Zukunft für einen steigenden Gesamtversorgungsniveaus – also der Leistungs- Anteil älterer Menschen nicht mehr in der Lage fähigkeit des teilprivatisierten Alterssicherungs- sein, Altersarmut zu vermeiden. systems – wird alles getan, um das Bild möglichst positiv ausfallen zu lassen (Info-Grafik »Riestern« Grundsicherung und Rente – systemische Zusammenhänge 7 Vgl. BTDrs 14/5146 v. 24.01.2001, S. 8 In welchem Ausmaß die Grundsicherung im Alter 8 Vgl. Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht 09/2003, S. 45. Dieser Betrag wird wegen der – verglichen mit den ur- künftig mit aufstockenden Leistungen einspringen sprünglichen Erwartungen – zu geringen Inanspruchnahme der muss, lässt sich nicht prognostizieren. Die syste- staatlich subventionierten Altersvorsorge auf absehbare Zeit zwar nicht erreicht werden; das angegebene Volumen ist aber Aus- mischen Zusammenhänge zwischen Grund- druck des politischen Willens, Mittel in entsprechendem Umfang sicherung und Rente können allerdings bereitzustellen 9 Bei der gesetzlichen Rentenversicherung steht dem durch Ent- Orientierungshilfen bei der Einschätzung geben. geltumwandlung geminderten sozialversicherungspflichtigen Ent- gelt (z. Zt. etwa 1 Mrd. € an Beitragsmindereinnahmen) im Leis- tungsfall ein entsprechend geringerer Rentenanspruch gegenüber 10 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der betrieblichen 12 Altersversorgung, BTDrs 16/6539 v. 28.09.2007, S. 7 Vgl. u.a. Rentenversicherungsbericht 2007, BTDrs 16/7300 v. 11 Ebd. S. 8 22.11.2007, S. 26 Grundsicherung im Alter und die «Riester»-Rente Johannes Steffen – Arbeitnehmerkammer Bremen – 01/2008 – www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/ 4
Info-Grafik Sozialpolitik »Riestern« kann Rente nicht ersetzen Die Leistungsfähigkeit der sozialen Rentenversicherung Dies aber wird auf absehbare Zeit nicht gelingen; auch kann an ihrem Sicherungsziel festgemacht werden. Als das geht aus dem Rentenbericht hervor: Wer als Durch- Messlatte dient das Standardrentenniveau. Hierbei han- schnittsverdiener immer voll »geriestert« hat und im delt es sich um das rechnerische Verhältnis einer Stan- Jahre 2021 mit 45 EP in Rente geht, erreicht ein Gesamt- dardrente – das ist die Rente eines Versicherten mit 45 sicherungsniveau vor Steuern von lediglich 50,2%. Das Beitragsjahren zu Durchschnittsverdienst, also mit 45 ist deutlich weniger als die gesetzliche Rente vor dem Entgeltpunkten (EP) – zum Durchschnittsentgelt der Akti- Systemwechsel alleine geleistet hat. ven. Die 45 Beitragsjahre stehen als Norm für die durch- Hierbei wird die Entwicklung des Sicherungsniveaus seit gehende Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft. der »Riester-Reform« sogar noch stark geschönt und ist Greift der Vergleich auf Bruttogrößen zurück, so ergibt nicht mit den bis 2001 geltenden Werten vergleichbar: dies das Standardbruttorentenniveau. Für den Ausweis Obwohl infolge des rot-grünen Systemwechsels ge- der Teilhabeposition der Rentner an der Einkommens- samtwirtschaftlich nicht etwa mehr, sondern anders entwicklung der Arbeitnehmer ist diese Größe jedoch un- gespart wird (Mitnahmeeffekte durch Umschichtung hin geeignet, da sowohl Entgelte wie auch Altersbezüge mit zu subventionierten Produkten), wird der geförderte unterschiedlich hohen Abgaben belegt sind. Daher wurde Sparanteil einfach als »zusätzlicher« Vorsorgeaufwand bis zum Jahre 2004 mit Nettogrößen gerechnet. Das wie Sozialbeiträge vom Durchschnittsentgelt ab- Standardnettorentenniveau berücksichtigt die Steuer- gezogen, reduziert so den Wert des Nenners und er- und Beitragsbelastung des Arbeitsentgelts und die Bei- höht damit die ausgewiesene Sicherungsquote; beim tragsbelastung der Rente; Steuern fallen bei einem Stan- Rentenniveau liegt der »geriesterte« Wert 2030 mit dardrentner ohne weitere Einkünfte bislang nicht an. 43% um rd. 2%-Punkte höher als ohne diesen Trick. Auch der Zähler wird aufgebläht; was bislang als un- Messlatte für die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung geförderte Vorsorge etwa aus einer Lebensver- Standardrente Standardrentenniveau = sicherung der Aufbesserung der Rente diente, wird Durchschnittsentgelt jetzt als Leistung aus geförderter Altersvorsorge ein- Bruttostandardrentenniveau Nettostandardrentenniveau (bis 2004) fach einkommenserhöhend für das Gesamtniveau um- Sicherungsniveau vor Steuern (seit 2005) gebucht. Aus der vormals ergänzenden privaten Alters- vorsorge wurde zwar nur ein schlechter und teurer Seit 2005 hat aber auch diese Messlatte ausgedient. We- Teilersatz2 für bisherige Leistungen der Rentenver- gen der stufenweisen und ab 2025 völligen Freistellung sicherung – aber das Gesamtversorgungsniveau lässt der Rentenbeiträge von der Besteuerung sowie des für sich durch diesen Trick deutlich höher ausweisen. jedes spätere Rentenzugangsjahr steigenden steuer- Zur Anhebung des ausgewiesenen Gesamtniveaus trägt pflichtigen Anteils der Rente auf am Ende 100% (2040) auch der Umstand bei, dass die »Riester-Rente« selbst würden sich nämlich zum gleichen Messzeitpunkt unter- noch in der Leistungsphase subventioniert wird; anders schiedlich hohe – vom Kalenderjahr der Verrentung ab- als die gesetzliche Rente ist sie nämlich beitragsfrei zur hängige – Nettorentenniveaus ergeben. Um den Be- Kranken- und Pflegeversicherung. steuerungseffekt auszuschalten, verwendet man daher Und: die ganze Rechnerei unterschlägt, dass die soziale heute das Sicherungsniveau vor Steuern. Dieses hoch Rente auch das Invaliditäts- und Todesfallrisiko abdeckt; abstrakte Maß vernachlässigt die Besteuerung und be- dafür anfallende Renditeabschläge nimmt man bei der rücksichtigt nur die Belastungen durch Sozialbeiträge – politischen Bestimmung des »Riester-Niveaus« aber nicht und beim Arbeitnehmerentgelt seit 2002 zusätzlich auch vor. Das alles dient dem Hype der Privatvorsorge – und die tatsächlichen Aufwendungen für die »Riester-Rente«. da werden schon mal gerne Äpfel mit Birnen verglichen. Das Sicherungsniveau vor Steuern betrug 1998 – beim Start der rot-grünen Koalition – 53,6%; das entsprach Gesamtversorgungsniveau vor Steuern in v.H. - Durchschnittsverdiener mit 45 Entgeltpunkten - einem Standardnettorentenniveau von rd. 70%. Damit 53,6% Gesetzliche Rente war, so die Konvention, der Lebensstandard im Alter über »Riester-Rente« die paritätisch finanzierte gesetzliche Rente gesichert (Zugänge vor 2010 ohne) (Sicherungsziel). Infolge des unter der Schröder- 50,2% Regierung eingeleiteten Systemwechsels in der Alters- sicherungspolitik sinkt das Sicherungsniveau der gesetz- lichen Rente bis zum Jahre 2021 auf nur noch 46,1%; so 46,1% der Rentenbericht 2007 der Bundesregierung1. Bis zum Jahre 2030 ist ein weiterer Absturz auf 43% politisch ge- wollt. Mit der subventionierten privaten Altersvorsorge (»Riester-Rente«) könne die bei der gesetzlichen Rente aufgerissene Lücke geschlossen werden – so die 1998 2002 2010 2021 Propaganda. Quelle: Rentenversicherungsbericht 2007, DRV Bund © Arbeitnehmerkammer Bremen 1 2 Bundesregierung, Rentenversicherungsbericht 2007, BTDrs 16/7300 v. 22.11.2007, S. 26 - vgl. Arbeitnehmerkammer Bremen, Info-Grafik Sozialpolitik, Generationengerechte Renten- politik?, Bremen 22.01.2007, http://www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/doku/01_aktuell/info-grafik/12_info_grafik.html © Arbeitnehmerkammer Bremen – Johannes Steffen – Info-Grafik Sozialpolitik – »Riestern« kann Rente nicht ersetzen – 21.01.2008 http://www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik
Bei der Bestimmung der erforderlichen Beitrags- gewiesenen Rentenbezieher weder erhöht noch jahre zur Deckung des Grundsicherungsbedarfs senkt. (Schaubild 2) wird das Grundsicherungsniveau Sollte sich hingegen das Grundsicherungsniveau im nach SGB XII »konstant« gehalten und nur die Alter insgesamt, also einschließlich der Kosten der Auswirkung der Rentenniveausenkung berück- Unterkunft, nicht im Gleichklang mit den Renten sichtigt. entwickeln – etwa aufgrund eines steigenden KdU- Aber auch das (relative) Grundsicherungsniveau Anteils oder der politisch motivierten Erhöhung der kann sich in den kommenden Jahrzehnten ändern; Regelsätze über die heutige SGB XII- Haupteinflussfaktoren sind die Entwicklung des Anpassungsmethodik hinaus -, so hätte dies Regelsatzes, der Kaltmieten sowie der Energie- zwangsläufig die Ausweitung des Berechtigten- kosten – wobei sich die einzelnen Größen durchaus kreises zur Folge. Dies wiederum bliebe nicht ohne gegenläufig verändern können. Auswirkungen auf die Zahl der für die fürsorge- rechtliche Bedarfsdeckung erforderlichen Beitrags- Eine (Neu-) Bemessung des Eckregelsatzes erfolgt jahre (Schaubilder 2 und 5). regelmäßig im Abstand von fünf Jahren auf Basis der jeweils letzten Einkommens- und Verbrauchs- Das auf die Sicherung im Alter ausgerichtete stichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes. Pflichtversicherungssystem kann daher In den Zwischenjahren folgt die Regelsatzfest- legitimatorisch von mindestens zwei Seiten unter setzung der Entwicklung des aktuellen Renten- Druck geraten: werts (AR). Auf diese Weise wurde ein nahezu • durch die Absenkung des Leistungsniveaus der selbstreferenzielles System etabliert. Alterssicherung in Richtung Fürsorgeniveau wie auch Schaubild 4 • durch die Anhebung des Fürsorgeniveaus und Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) (zuletzt 2003) die damit verbundene Ausweitung des Kreises Nach ihrem Nettoeinkommen geschichtete der Fürsorgeberechtigten unter den Älteren (Single-) Haushalte oder auch durch eine Kombination beider Ent- wicklungen. So stiege die nach heutigen Werten rechnerisch er- ohne Sozialhilfe- Verbrauchsausgaben forderliche Zahl an Beitragsjahren zur Deckung des empfänger (bereinigt um nicht regelsatzrelevanten Grundsicherungsbedarfs eines Alleinstehenden bei Verbrauch) Erhöhung des Regelsatzes auf beispielsweise 420 € um drei auf 31 Jahre (Durchschnittsverdiener). In 20% Regelsatz (347 €) Kombination mit der politisch beschlossenen Ni- veauabsenkung auf 43% wären im Jahre 2030 be- © Arbeitnehmerkammer Bremen reits 38 Beitragsjahre erforderlich14 – verglichen mit heute eine Steigerung um mehr als ein Drittel. Bei den der Regelsatzbemessung zugrunde liegen- den unteren 20% der nach ihrem Nettoeinkommen Schaubild 5 geschichteten Single-Haushalten13 handelt es sich Erforderliche Anzahl an Beitragsjahren zur Deckung des Grundsicherungsbedarfs mit der Nettorente überwiegend um Rentnerhaushalte. Deren künftige - Single, nach heutigen Werten - Einkommensentwicklung wiederum dürfte maßgeb- SvS = Sicherungsniveau vor Steuern RS = Regelsatz SvS: 43% (2030) RS: 420 € lich bestimmt werden durch die Höhe der Renten- SvS: 52% (heute) RS: 420 € anpassungen. Wenn aber sowohl die im Abstand SvS: 52% (heute) RS: 347 € von fünf Jahren fällige (Neu-) Bemessung wie auch die zwischenzeitliche Fortschreibung der Regel- sätze methodisch bzw. de facto derart eng an die Entwicklung der Renten der gesetzlichen Renten- versicherung gekoppelt ist, dann spiegelt sich in der Regelsatzentwicklung nahezu ungebrochen die Absenkung des Rentenniveaus. Aufgrund dieser 28 37 56 31 41 62 38 50 75 Koppelung an die Renten ist die Regelsatzent- 50%-Verdiener wicklung in dem Sinne wirkungsneutral, dass sie 75%-Verdiener Durchschnittsverdiener © Arbeitnehmerkammer Bremen den Anteil der künftig auf Grundsicherung an- 13 14 Um Zirkelschlüsse zu vermeiden, wird dieses Segment der EVS Ohne Regelsatzerhöhung wären es 34 Beitragsjahre, vgl. um Haushalte von Sozialhilfeempfängern bereinigt Schaubild 2 Grundsicherung im Alter und die «Riester»-Rente Johannes Steffen – Arbeitnehmerkammer Bremen – 01/2008 – www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/ 5
So, wie die drastische Absenkung des Renten- der Verbreitungsgrad der hochgepriesenen niveaus das Pflichtsystem perspektivisch in Frage »Riester«-Rente offensichtlich bei denjenigen viel stellt, so könnte eine »drastische« Erhöhung des zu gering ist, die als Geringverdiener und/oder un- Grundsicherungsniveaus das Pflichtversicherungs- stetig Beschäftigte ein besonders hohes Armuts- system aktuell in Frage stellen. Sozialpolitische Po- risiko im Alter tragen. Hinzu kommt, dass private sitionen, die sich als vermeintlich fortschrittliches Vorsorge im Einzelfall um so weniger rentierlich ist, Gegenmodell zur – aber unter Inkaufnahme der – je später im Lebenszyklus damit begonnen wird. – Rentenniveausenkung auf den Ausbau der Grund- Ob es auch eine zielführende Schlussfolgerung ist, sicherung (im Alter) fokussieren, würden dem darf allerdings weiterhin bezweifelt werden. Pflichtversicherungssystem vermutlich legitimato- Ergebnis einer derartigen Privilegierung privater risch den endgültigen »Todesstoß« versetzen. Die Vorsorge bei der Grundsicherung im Alter wäre: Je deutliche Erhöhung des Grundsicherungsniveaus höher bei einer im Einzelfall – oder auch strukturell ohne Rückkehr zu einem vom Ziel her lebens- – nicht bedarfsdeckenden gesetzlichen Rente der standardsichernden sozialen Rentensystem machte Anteil der »Riester«-Rente am eigenen Altersein- das Pflichtsystem »Rente« im Bewußtsein der kommen ist, um so höher fiele das verfügbare Ein- Mehrheit der Versicherten »überflüssig«. kommen aus (Schaubild 6). Während heute eige- nes Alterseinkommen unabhängig von dessen Zu- Nichtanrechnung privater Vorsorge sammensetzung (gesetzliche Rente, Einkommen auf die Grundsicherung im Alter aus Privatvorsorge) in voller Höhe angerechnet Die in den vergangenen Wochen verstärkte öffent- wird, bestünde bei Freistellung etwa der »Riester«- liche Wahrnehmung des sich abzeichnenden Rente von der bedarfsmindernden Anrechnung auf Trends zu künftig wieder steigender Altersarmut die Grundsicherung im Alter ein hohes Interesse an hat im politischen Raum eine Reihe von in ihrer der Reduzierung der Leistungen aus dem Solidar- Stoßrichtung weitgehend identischen Vorschlägen system zugunsten von Leistungen aus privater hervorgebracht. Bei aller Unterschiedlichkeit im Vorsorge. Dies beträfe im Schnitt alle Ein- Detail ist ihnen das Ansinnen gemeinsam, Ein- personenhaushalte, deren Ansprüche an die kommen aus privater Vorsorge im Alter (teilweise) gesetzliche Rentenversicherung auf am Ende von der Anrechnung auf die staatliche Grund- weniger als 34 (Durchschnittsverdiener) bzw. 45 sicherung auszunehmen. (75%-Verdiener) Beitragsjahren beruhen. Und Schaubild 6 auch bei denjenigen, deren gesetzliche Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegen wird, Erhöhung des verfügbaren Alterseinkommens durch Privilegierung der »Riester«-Rente könnte wegen der damit in Aussicht stehenden Er- - Beispiel - höhung ihres verfügbaren Einkommens ein großes verfügbares Einkommen Interesse daran entstehen, die Leistungsfähigkeit Grundsicherungsbedarf anrechnungs- freies des Solidarsystems zugunsten individueller Privat- Einkommen vorsorge noch mehr zu senken. Der Privatisierung 20% 30% 40% 50% Sozialhilfe sozialer Risiken würde damit weiter Vorschub ge- (10%) leistet und das Ansehen des Solidarsystems weiter (20%) »Riester«- (30%) Rente geschwächt. 80% 70% 60% 50% gesetzliche Rente Die Annahme schließlich, eine (teilweise) Frei- stellung privater Vorsorge von der Anrechnung auf die Grundsicherung im Alter könne einen Beitrag heute bei Freistellung privater Vorsorge leisten zur Bekämpfung von Altersarmut, dürfte © Arbeitnehmerkammer Bremen sich schnell als irrig herausstellen. Wenn das heutige Grundsicherungsniveau als zu gering er- Damit würde jenen Prekarisierten eine »Be- achtet wird, um Armut wirksam zu vermeiden, lohnung« in Aussicht gestellt, die private Altersvor- dann sollte es – u.a. den Wohlfahrts- und Sozial- sorge betreiben, und gleichzeitig für diejenigen, die verbänden sowie ihren Repräsentanten – vorrangig dies bislang aus den eingangs geschilderten Grün- darum gehen, den Regelsatz des SGB XII bedarfs- den nicht tun, ein zusätzlicher – über die heutige deckend zu erhöhen; die Privilegierung Einzelner Förderung weit hinausgehender – Anreiz ge- und dort womöglich insbesondere derjenigen mit schaffen, sich bitteschön erwartungskonform zu einem besonders »glücklichen Händchen« bei der verhalten. Dies ist eine politisch keineswegs un- Wahl des Vorsorgeprodukts, kann nicht ernsthaft logische Schlussfolgerung aus dem Umstand, dass als Ansatzpunkt zur Armutsbekämpfung empfohlen Grundsicherung im Alter und die «Riester»-Rente Johannes Steffen – Arbeitnehmerkammer Bremen – 01/2008 – www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/ 6
werden. Wessen Privatvorsorge privilegiert be- Der Privilegierung auf der einen stünde die fakti- handelt wird, den interessiert die weitere Ent- sche Diskriminierung des Solidarsystems auf der wicklung des Fürsorgeniveaus nur noch am Rande. anderen Seite gegenüber. Damit geriete aus- gerechnet jenes System noch weiter unter Druck, Zudem kann offenbar nicht häufig genug daran er- das als einziges überhaupt in der Lage ist, solidari- innert werden, dass das perspektivisch steigende schen Ausgleich zwischen »guten« und »schlech- Risiko von Altersarmut seine Ursachen nicht in der ten« Risiken zu organisieren, Sicherungslücken im ausnahmslosen Anrechnung eigenen Einkommens individuellen Erwerbs(einkommens-)verlauf zu auf die Leistungen der Grundsicherung hat, son- schließen sowie alle drei so genannten bio- dern – neben den Entwicklungen auf dem Arbeits- metrischen Risiken obligatorisch abzusichern und markt15 – zurückzuführen ist auf den politischen damit im Ergebnis drohender Altersarmut Abbau des Solidarsystems; Auftraggeber, Archi- strukturell vorzubeugen. tekten und Bauherren des Abbruchs haben Namen und Adresse. Die Folgen dieses Katastrophen- Zudem könnte die (teilweise) Nichtanrechnung pri- kurses in der Alterssicherungspolitik nun mit einer vater Vorsorge zwar das verfügbare Einkommen weiteren nochmaligen Privilegierung privater Vor- der hiervon Begünstigten erhöhen – eine Weiter- sorge beheben zu wollen, hieße, den Teufel mit entwicklung in Richtung einer das sozio-kulturelle Beelzebub austreiben zu wollen. Existenzminimum tatsächlich garantierenden Grundsicherung würde damit aber gerade nicht ge- Schaubild 7 fördert, sondern eher verhindert. Ergebnis wäre Hauptursachen eines steigenden Armutspotenzials im Alter eine Grundsicherung erster und zweiter Klasse im Alter. Das von der – seit jeher final orientierten – Entwicklungen am Arbeitsmarkt Senkung des Rentenniveaus Fürsorge gewährte Sicherungsniveau wäre damit de facto vorleistungsabhängig. Langzeitarbeitslosigkeit Entkoppelung der Renten Teilzeitbeschäftigung von der (Netto-) Lohnent- Niedriglöhne wicklung Mit der »Belohnung« privater Vorsorge auch noch Verabschiedung vom Ziel Mini-Jobs der Lebensstandard- in der Leistungsphase würde somit nicht nur die Solo-Selbständigkeit sicherung Teilprivatisierung der Risi- solidarische Rentenversicherung weiter geschwächt koabsicherung ... haben Einfluss auf ... – auch das Ziel einer das sozio-kulturelle Exis- tenzminimum garantierenden Fürsorge würde auf Höhe der individuellen Rentenanwartschaften Sicherungsziel/Leistungsfähigkeit des Systems der Altersversorgung dem Privatisierungsaltar geopfert. ... erforderlich sind daher ... Schließung von Sicherungslücken Rückkehr zum Ziel der im individuellen Lebensstandardsicherung Erwerbs (einkommens-) verlauf © Arbeitnehmerkammer Bremen Politik müsste ein hochgradiges Interesse an einem strukturell armutsfesten sozialen Sicherungs- system haben. Diese Armutsfestigkeit aber droht zunehmend verloren zu gehen – nicht trotz, sondern wegen der Teilprivatisierung des Alters- sicherungssystems. Das scheint die öffentliche Debatte der letzten Wochen zumindest ansatz- weise deutlich gemacht zu haben. Die Forderung nach (teilweiser) Anrechnungsfrei- heit von aus privaten Vorsorgeanstrengungen re- sultierenden Leistungen bei der Grundsicherung im Alter aber verschleiert und verschärft eher das Problem, als dass es zu dessen Lösung beitrüge. 15 Einer von ihnen, der Vorsitzende des Sozialbeirats und Chef der »Fünf Weisen«, Bert Rürup, erdreistet sich dabei nicht, im Nachhinein zu unterstellen, die Entwicklungen seien bei Ver- abschiedung der Reform »in dieser Dynamik« noch nicht bekannt gewesen, vgl. B. Dribbusch, Wenig Rente für Generation Sand- wich, taz v. 25.01.2008 Grundsicherung im Alter und die «Riester»-Rente Johannes Steffen – Arbeitnehmerkammer Bremen – 01/2008 – www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/ 7
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